Der Kinderfuß

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Der Kinderfuß
Praxis Cordes-Limbrock • Neumarkt 1• 49074 Osnabrück
Der Kinderfuß
Ein kritischer Beitrag zur kinderorthopädischen Fuß-Behandlung von Dr. H.A. Limbrock
Ein sehr häufiger Grund Kinder beim Kinderorthopäden vorzustellen sind Fußfehlstellungen.
Schon Neugeborene zeigen nicht selten Fußfehlstellungen und kommen mit den Eltern und
der Frage nach Therapiemöglichkeiten.
Bevor ich auf einzelne Therapieformen eingehen möchte, zunächst einige Informationen zur
kindlichen Fußentwicklung.
Der Mensch ist eine Frühgeburt. Aufgrund der Größenzunahme des Kopfes, die in krassen
Widerspruch zum weiblichen Beckenausgang steht, werden wir zu früh geboren. Wir sind
also noch unreif. Das sieht man z.B. an der typischen Hackenfußhaltung vieler
Neugeborenen. Diese Fehlstellung ist in aller Regel harmlos und braucht auch nur selten
behandelt zu werden.
Des Weiteren ist der Fuß des Neugeborenen genau wie die Hand ein Greiforgan. In der
Frühzeit musste sich ein Neugeborener im Fell der Mutter festkrallen, um nicht beim Lauf
über die Prärie verloren zu gehen. Dazu müssen die Füße in opponierender Stellung stehen.
Babys können also mit ihren Füßen die Flasche halten. Bei Menschen ohne Arme bleibt
diese Möglichkeit ein Leben lang erhalten. Bei Gesunden entwickeln sich die Füße zu LaufOrganen und degenerieren in den Schuhen. Während unsere Vorfahren keine Schuhe und
keine Fußprobleme hatten, sind heute Fußprobleme beim Erwachsenen häufig vertreten.
Kommen wir aber zum Säugling zurück. Bei der Erstuntersuchung im Krankenhaus achten
der Kinderarzt und die Hebammen auf die häufigsten Fußfehlstellungen und veranlassen die
Eltern einen Kinderorthopäden aufzusuchen. Dieser achtet besonders auf die Festigkeit der
Fehlstellung, d.h. alle Fehlstellungen sollten sich mühelos mit den Händen korrigieren
lassen. Ist dies nicht möglich, liegt eine behandlungsbedürftige Kontraktur vor. Der
Kinderorthopäde berät sie dann über die Behandlungsmöglichkeiten. Diese Kontrakturen
betreffen besonders den Klumpfuß, den kontrakten Hackenfuß und den kontrakten
Knicksenkfuß. Neben diesen Fehlstellungen gibt es Fehlstellungen des Vorfußes, hier
besonders häufige symmetrische Zehenfehlstellungen wie das Über- oder
Untereinanderstehen der Zehen. Diese Auffälligkeiten finden sich meist in der Familie des
Säuglings gehäuft.
Die Behandlung der Kontrakturen erfolgt überwiegend mit den Händen des Therapeuten und
der Eltern oder mit korrigierenden Gipsen und Verbänden. Während die Zehenfehlstellungen
oft erst mit dem Laufbeginn behandelt werden, wenn das noch nötig ist, z.B. mit SilikonLagerungselementen, die unter den Strümpfen getragen werden. Daneben ist gerade auch
das Schuhwerk ganz wesentlich in der Behandlung.
Kommen wir also zu einem wichtigen Kapitel: Der Kinderschuh
Vorweg eine Bemerkung zur Notwendigkeit von Schuhen; grundsätzlich benötigt der Fuß
keinen Schuh. Wäre das anders, wären wir wie z.b. wie die Pferde mit Hufen auf die Welt
gekommen. Aber unser Fuß kann mehr und sollte deshalb nicht in unpassenden Schuhen
degenerieren. Der Schuh hat nur den Sinn, den Fuß vor Verletzungen zu schützen.
Inwieweit auch ein Schutz vor Kälte notwendig ist, vermag ich nicht zu sagen, denn eine
Gruppe Menschen, die das ganze Jahr nur barfuss laufen, klagen auch im Winter nicht über
kalte Füße. Anders ist das bei behinderten Kindern, da ist sicherlich der Schuh ein wichtiges
Hilfsmittel bei der Versorgung.
Des weiteren ist der Fuß ein wichtiges Sinnesorgan. Wir können mit den Füßen fühlen. Das
wird oft vergessen und wir erinnern uns erst daran, wenn wir wegen irgendwelcher
Organbeschwerden zur Fußreflexzonenmassage gehen oder wir bei der traditionellen
chinesischen oder europäischen Medizin an den Füßen behandelt werden. Deshalb ist es so
wichtig, die Kinder viel barfuss laufen zu lassen und nicht teuere so genannte propiozeptive
Einlagen zu kaufen, die diesen Effekt künstlich nachholen sollen.
Untersuchungen der Unklinik Münster und des Schuhinstitutes Offenbach zeigten, das über
40% ! aller Kinder in zu kleinen Schuhen liefen. Und wenn ich von „zu kleinen Schuhen“
spreche, meine ich nicht nur zu kurze, nein ganz besonders zu schmale Schuhe. Wenn also
ein Schuh nicht notwendig ist für die kindliche Entwicklung, dann sollte er zumindest nicht
die Ausbildung eines gesunden Fußes behindern.
Beim Kauf von Schuhen geben die meisten Kinder an, wenn der Schuh zu kurz ist, aber das
im Laufe der Zeit durch das Längenwachstum „Zukurzwerden“ wird nicht bemerkt.
Ein sich sehr bewährter Tipp zur Feststellung der Passgenauigkeit des Schuhes: Stellen Sie
ihr Kind auf einen Karton, zeichnen Sie die Umrisse des Fußes auf den Karton, lassen sie
vor den Zehen bitte einen Querfinger Platz und schneiden Sie dann diese Schablone aus
und legen Sie diese in den vorhandenen oder zu erwerbenden Schuh. Sollte die Schablone
nicht passen, ist der Schuh zu klein.
Der erste Schuh sollte möglicht spät gekauft werden, da ja, wie schon ausgeführt der
kindliche Fuß keinen Schuh benötigt, eventuell erst dann, wenn Sie ihre Kind außerhalb des
Hauses freilaufen lassen. Das bedeutet, ein Schuh ist keinesfalls notwendig, bevor Ihr Kind
ganz ohne Ihre Hilfe laufen kann.
Bezüglich des richtigen Schuhwerks verweise ich auf den Beitrag von Herrn Jahns vom
Orthopädie-Haus RAS.
Können Schuhe nachgetragen werden? Grundsätzlich ja. Da ja in der Regel Ihr Kind die
Schuhe nur eine Saison trägt, danach sind sie meistens zu klein, sind die Schuhe oft nicht
„ausgelatscht“. Nur Schuhe mit deutlichen Gebrauchspuren, wie ausgeweitetes Obermaterial
oder ungleichmäßig abgelaufenen Sohlen, sollten nicht nachgetragen werden.
Eine Fußbettung im Kinderschuh ist nicht notwendig. Ebenso eine Einlagenversorgung bei
gesunden Kinderfüßen.
Mit dem Laufbeginn stellen die Eltern ihr Kinder wegen des so genannten Einwärtsganges
oder des nach innen Wegknickens vor. Dazu sei noch einmal auf das voran Gesagte
verwiesen: Kinderfüße sind zunächst Greiforgane, erst später werden daraus Lauforgane mit
leicht nach außen gerichteter Längsachse. Manchmal versteckt sich allerdings hinter diesem
Gangbild ein Drehfehler der Hüften oder des oberen Sprunggelenkes oder eine O-BeinFehlstellung des Unterschenkels. Die Fehlstellung in den Hüften erkennt man oft an dem
Zwischenbeinsitz (Kind sitzt zwischen den nach hinten gebeugten Unterschenkeln). Die
anderen Drehfehler sind nicht so leicht zu diagnostizieren. Bei den o.g. Fehlstellung sollte
immer ein Kinderorthopäden zu Rate gezogen werden, da nur dieser entscheiden kann, ob
es sich um eine harmlose Normvariante handelt oder ob sich hinter dieser Gangauffälligkeit
eine behandlungspflichtige Hüft- oder anders geartete Fehlstellung verbirgt.
Das nach Innen-Wegknicken des Fußes gehört in die Gruppe des Knicksenk- und Plattfüße.
Diese Stellung wird besonders häufig zum Beginn des Kindergartenalters beobachtet. Oft ist
sie harmlos. Sieht man allerdings beim Hinstellen auf die Zehen keine deutliche Ausbildung
eines Längsgewölbes, sollte man dieses Kind vorstellen. Der oft harmlose Knicksenkfuß
macht allerdings bei einer Reihe von Kindern auch Beschwerden. Die Kinder geben dabei
nicht die Beschwerden im Fuß sondern im Unterschenkel, Knie und Hüfte an. Manchmal
sind diese Kinder auch nur lauffaul und wollen immer gleich auf den Arm. Diesen Kinder
kann schnell mit einer einfachen Einlage geholfen werden.
Nun zum schwierigen Kapitel Einlagen. Die meisten Kinder benötigen sie nicht. Bei einem
Teil der Kinder, die kontrakte Fehlstellungen haben oder aufgrund ihres Knicksenkfußes
Beschwerden bekommen, können Einlagen ein sehr gutes Hilfsmittel sein. Die Indikation
dazu sollte ein erfahrener Arzt stellen. Auch sollte dieser die Herstellung und Anpassung
überwachen. Einlagen sind individuelle Hilfsmittel, müssen dem Fuß nach exaktem Abdruck
angepasst werden und können nicht konfektioniert aus dem Regal genommen werden.
Gerne werden heute so genannte dynamische Einlagen verordnet, weil diese doch viel
natürlicher sein. Dem muss man widersprechen. Die propiozeptiven Einlagen sind nicht neu,
schon G. Hohmann beschreibt in seinem Buch „Fuss und Bein“ dieses Prinzip im Jahre
1934. Das von Nancy Hilton aufgenommene Konzept ist also nicht neu. Diese Fußbettung ist
bei Behinderten (Spastikern) bewährt und erfolgreich, wenn die Kinder beim Gipsabdruck
den positiven Effekt durch Nachlassen der Grundspannung zeigen. Bei Kindern mit normaler
Grundspannung ist dieser Effekt nicht nötigt. In wieweit sich das Konzept bei Kindern mit
niedriger Grundspannung bewährt, ist offen. Ausreichende Studien liegen bis heute nicht
vor.
Zum Kapitel Fußgymnastik ist zu sagen, dass diese oft sinnvoll und notwendig ist, da die
Füße selten im nicht belasteten Zustand sondern nur bei Belastung eine Abflachung des
Längsgewölbes zeigen. Jetzt werden nämlich die Beinmuskeln aktiv, um den Fuß zu
stabilisieren und ihm das geschmeidige Abrollen zu gestatten. Bei den häufig vorstelligen
Kindern mit niedriger Grundspannung ist das nicht gewährleistet. Hier kann eine regelmäßig
durchgeführte Gymnastik hilfreich sein. Sehr bewährt hat sich das Zähneputzen auf Zehen
(oft sagen Zehenspitzen obwohl das in der Regel nur Balletttänzer in speziellem Schuhwerk
können). Dabei kommt es allerdings auf die Regelmäßigkeit an. Deshalb ein fester
Tagesrhythmus: morgens und abends zum Zähneputzen auf die Zehen.