Die Frauen der „neuen malaiischen Mittelklasse
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Die Frauen der „neuen malaiischen Mittelklasse
Universität Bielefeld Fakultät für Soziologie Lehrforschungsprojekt: WS00/01-WS01/02 Praxisschwerpunkt: Entwicklungsplanung u. -politik Die Frauen der „neuen malaiischen Mittelklasse“ – Selbstbeschreibungen und Aushandlungsprozesse zwischen halal und haram Bearbeitet von: Nicole Rauscher Die Frage nach halal 1 oder haram2 ? – Einleitende Bemerkungen Das hier präsentierte Material geht auf eine dreimonatige Feldforschung zurück, die ich 2001 in Westmalaysia durchgeführt habe. Mein Anliegen war dabei die vielfältigen Beziehungen von Islam und Modernität zu spezifizieren. Dem lege ich eine Perspektive zugrunde, die Modernitäten als vieldimensionale Architekturen versteht, denen man sich mit eindimensionalen Determinierungslogiken nur unzureichend nähern kann (vgl. Eisenstadt 1998). So wie auch Nilüfer Göle fragte und suchte ich nach differenzenüberwindenden Selbst- und Fremdverständnissen, die ohne Konzepte, wie die „clash of civilizations“3 auskommen (vgl. Göle 2000). Systematischer Ausgangspunkt meiner Untersuchung war demnach der Umgang mit Differenz und Asymmetrie4 . Der Differenzbegriff bezeichnet dabei die Spanne an widersprüchlichen Wahrnehmungen, sich im Prozess befindenden Darstellungen und Brüchen, die die Linie und das Kontinuum in das ein Individuum eingeschrieben wird, aufbrechen (vgl. Rodriguez 2001: 36). Im malaysischen Kontext verortet sich Differenz an dem Punkt, an dem verschiedene Modernisierungsbestrebungen aufeinanderprallen. Diese binden den einzelnen ein, in einen Prozess sich teilweise entgegengesetzter und widersprechender Verhaltensanforderungen. Zum einen werden an das Individuum Identifikationsmöglichkeiten im Sinne der neuen Konsumkulturen, resultierend aus ökonomischem Wohlstand und der wachsenden Einbindung in den globalen Weltmarkt, herangetragen (Fischer 2001). Weiterhin gerät es durch globale Waren- und Bilderströme zunehmend in Konfrontation mit westlichen Ideologien und Wertevorstellungen, welche ihrerseits Angebote und Möglichkeiten an das Selbst offerieren (vgl. Hess / Lenz 2001: 24ff.). Zum anderen ist das Individuum in Malaysia eingebunden in ein System verstärkter Islamisierungsbestrebungen, die den zuvor genannten teilweise entgegenstehen (vgl.Muzaffar 1986; Lee 1993; Fischer 2001). Bereits im Titel meiner Ausarbeitung: „Die Frauen der neuen malaiischen Mittelklasse5 – Selbstbeschreibungen und Aushandlungsprozesse zwischen halal und haram“ kommt das Hauptanliegen meiner Arbeit, der Umgang mit Differenz in einem Feld von unterschiedlichen Verhaltens- und Identifikationsangeboten, zum Tragen. In einem Raum sich verschiebender Grenzen und Bedeutungsstrukturen scheinen die Frauen eingebunden in einen ständigen Prozess des Abtastens und Aushandelns von Grenzen. Diese Prozesse finden zwischen den Leitunterscheidungen halal und haram statt. Mittels sprachlicher Distinktion ermöglichen sie eine eindeutige Zuordnung zu Erlaubtem oder Verbotenem und strukturieren so den „Alltag in der Schwebe“. 1 Halal (arab.) = erlaubt Haram (arab.) = verboten 3 Siehe z.B. Huntington 1996 4 Dazu siehe auch Karin Werner: Vom wilden Teenager zur Bürgerin – Der Islamismus als neue Form der Vergesellschaftung junger Frauen in Ägypten. In: Ruth Klein-Hessling / Sigrid Nökel / Karin Werner (Hg.): Der neue Islam der Frauen. Weibliche Lebenspraxis in der globalisierten Moderne – Fallstudien aus Afrika, Asien und Europa. Bielefeld 1999, 249-276 und Elke Tschernokoshewa: Fremde Frauen mit und ohne Tracht: Beobachtung von Differenz und Hybridität. In: Sabine Hess / Ramona Lenz (Hg.): Geschlecht und Globalisierung – Ein kulturwissenschaftlicher Streifzug durch transnationale Räume. Königsstein/Taunus 2001, S.56-77 5 Zur genauen Erläuterung meiner Auswahl siehe Kap. 1.2 und 1.3 2 2 „The Halal is that which is allowed, that from which the burden has been released (inhallat) and the Lawgiver – who is Allah Most High alone – has permitted it. The Haram is that which the Lawgiver has prohibited in an absolute way such that anyone who transgresses this prohibition exposes him/herself to the possibility of Allah’s punishment in the hereafter and possibly to a legal punishment in this life as well.”6 Diese Unterscheidung übertrage ich symbolisch auf den Verhandlungsraum, in dem zum einen Bedeutungsstrukturen und Abgrenzungskriterien übernommen werden und es so zu einer eindeutigen Zuordnung kommt (zum Beispiel die Deklaration des Essens). Zum anderen füge ich ihn in die Aushandlungsprozesse ein, die uneindeutig und individuell verschieden ausfallen (zum Beispiel Kleidungsverhalten). Halal und haram fungieren im Endeffekt nicht mehr als bloße sprachliche Deklarationen, sondern symbolisieren hier die Eckpfeiler einer Arena in der Entscheidungen um Zuordnungen, Integrationen, Distinktionen oder Modifikationen getroffen werden. Es geht mir also um die Identifizierung eines dreidimensionalen Raum, in dem sowohl homogene, heterogene wie auch hybride7 Formen existieren können. Besonderen Fokus erhalten diejenigen Selbsttechnologien und Körperpolitiken, die zu Vermischungen und Durchkreuzungen verschiedener Kontexte und Angebote führen8 . Auf das bezugnehmend, leitete mich während meiner Feldforschung und Analyse abwechselnd der homogenisierende als auch der hybridisierende Blick.9 Beide Beobachtungsperspektiven finden Platz in meiner Ausarbeitung. Kapitel 2 und 3 sind dominiert vom homogenisierenden Blick10 , der Differenzen als starre Distinktionen zwischen den homogenen Kulturgebilden des Westens und des Islamischen Ostens verhandelt. In Kapitel 4 hingegen versuchte ich mit dem hybridisierenden Blickwinkel den Sinn für wie Nilüfer Göle es bezeichnet, „cohabitation, cross-fertilization and reciprocal borrowing“ (Göle 2001: 3) zu schärfen. Der Beitrag spiegelt somit auch auf der strukturellen Ebene das abwechselnde Spiel von Aneignung und Distinktion der malaiischen Frauen in einem Raum divergierender Angebote wieder. Das Ziel dieser Arbeit ist zum einen das Aufspüren von Konturen und Strukturen eines integrierenden in der Hybridität endenden Prozesses (am Beispiel von Körperpolitiken). Zum anderen erhob ich auch die Verortung und Wahrnehmung des einzelnen in einem Prozess von gegensätzlichen Modernisierungsbestrebungen zum Gegenstand meiner Forschung. Denn nur durch die Selbstdefinition und –positionierung des Einzelnen kann das Untersuchungsfeld explizit gemacht werden, dass den Rahmen von Aushandlungs- und Verhandlungsprozessen absteckt. 6 Auszug einer Diskussion um die Begriffe halal und haram, entnommen einer islamischen Website http://www.java-man.com/Pages/Khutab/khutba980417.html 7 Als hybrid bezeichne ich Formen, deren konstituierendes Element eine Art Vermischung bzw. Überkreuzung kultureller Einheiten ist. (siehe dazu auch Rodriguez 2001) 8 Siehe Kap.4. 9 Unterscheidung übernommen von Elke Tschernokoshewa: Fremde Frauen mit und ohne Tracht: Beobachtung von Differenz und Hybridität. In: Sabine Hess / Ramona Lenz (Hg.): Geschlecht und Globalisierung – Ein kulturwissenschaftlicher Streifzug durch transnationale Räume. Königsstein/Taunus 2001, S.56-77 10 Darunter subsumiere ich zum einen meinen Blickwinkel als Forscherin, zum anderen aber auch der Blickwinkel, den die Beforschten mir präsentierten und die Konstruktionen, die sich daraus ableiten lassen. 3 1. Modernisierungsexperimente zwischen zwei divergierenden Kräften: Islamisierung und „neue Konsumkulturen“ Dieses Kapitel dient zur Spezifizierung meiner Fragestellung. Dem werde ich mich in zwei Schritten annähern. In Kap.1.1 soll mit der Diskussion um die “multiple modernities“ auf meine Fragestellung hingeleitet werden. Im zweiten Schritt in Kap.1.2 werde ich zunächst das theoretische Konstrukt der „neuen malaiischen Mittelklasse“ erläutern, um dann mit diesen Ergebnissen mein „sampling“ zu begründen (Kap.1.2.1). Des weiteren werde ich in Kap.1.3 meine zweite Referenzkategorie, die „Frau“, diskutieren. Einmal unter dem Aspekt der Schlüsselposition des weiblichen Körpers in den öffentlichen Re-Islamisierungsbestrebungen und zum anderen unter dem Aspekt der neuen Identifikationsmöglichkeiten anhand westlicher Ideale. Ein weiteres Ziel dieses Kapitels ist es, dem Leser meine methodische Vorgehensweise und das theoretische Handwerkszeug näher zu bringen. Dabei bleibt es bereits an dieser Stelle nicht aus, dass hin und wieder bereits einige Datenmaterialien vorgestellt werden. Ich hielt dies schon hier für sinnvoll, damit möglichst früh das Theoretische von meinen eigenen Daten durchbrochen wird und nicht minder ist es mein Bestreben meine Vorgehensweise plastischer zu gestalten. So sollen am Schluss des Kapitels (1.4) in einem kurzen Exkurs meine methodischen Arbeitsschritte sowie meine Analysestrategien in vereinfachter Form dargestellt werden. Darin eingebettet ist ebenfalls die Diskussion des Leitfadens der meinen Interviews zugrunde lag. 1.1 „Multiple modernities“ in Malaysia Den Hintergrund meiner Arbeit bildet die Beziehung zwischen westlichen und islamischen Modernitäten. Dies konstatiert gleichzeitig meine Vorstellung von Modernisierung als nicht uni-linearen homogenisierenden Prozess, sondern im Sinne von “multiple modernities“ (vgl. Eisenstadt 2000a, 2000b; Göle 2000, 1995). Das Konzept postuliert gerade in der Divergenz von Modernisierungen die Gemeinsamkeit. So unterscheiden sich islamische Basisprämissen eklatant von denen westlicher Modernität. Ziel ist die Änderung der Gesellschaft als Ganzes und eine Islamisierung in allen Lebensphasen. Konstituierend dabei ist die Teilung eines perfekten Hyperislam, welcher sich selbst in Opposition zur westlichen Modernität sieht. Die Authentizität autochthoner Lebensformen wird dem mit Säkularität konnotierten Kapitalismus und der Westernisierung gegenübergestellt (vgl. Werner 1999). Das bedeutet, dass Identitäten angeboten werden, die jenseits der Konnotation von westlich gleich modern liegen (Sariönder 1999: 176). Dies ist zumeist verbunden mit einer anti-westlich-narrativen Basis, welche sich gegen europäische und amerikanische Politik und Kultur richtet (Hessling, Nökel, Werner 1999) . Aus diesen konzeptionellen Bezugssystemen entspringt meine Fragestellung: Was passiert an Schnittstellen verschiedener Modernitäten, an den Orten, wo unterschiedliche Vorstellungen und Ansprüche aufeinandertreffen. Ein geeignetes Beispiel für die Überschneidungen verschiedener Modernisierungsbestrebungen ist Malaysia. Mit seiner zunehmenden Einbindung in den globalen Weltmarkt und der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung wächst 4 auch die Konfrontation mit Modernitäten nach westlichen Idealen. Gleichzeitig ist in den letzten zwanzig Jahren ein ”revivalism“11 des Islam zu beobachten12 . Heruntertransformiert auf die Mikroebene ergibt sich daraus folgende Frage: Wie werden die unterschiedlichen Modernitäten wahrgenommen und wie werden vom Einzelnen Artefakte gehändelt? Bedeutend dabei, ist die Auswahl der Fälle, damit aufgrund des Einwirkens ähnlicher Kräfte13 die Vergleichbarkeit zwischen ihnen sichergestellt ist. Die Auswahl soll im nächsten Schritt meine Fragestellung konkretisieren. 1.2 Das theoretische Konzept der „neuen malaiischen Mittelklasse“ Seit den 60ern bis in die Gegenwart erfuhr Südostasien ein enormes kapitalistisches Wirtschaftswachstum, welches die „new urban middle class“ hervorbrachte.14 Das ökonomische Wachstum wurde vielerorts übersetzt in eine rapide Expansion des Konsums als Teil des Alltagslebens und die damit einhergehende Verfeinerung des materialistischen Lebens. Das tägliche Leben wurde durch Konsumgüter und Services in verschiedene „lifestyles“ transformiert, welche v.a. die Gruppe, der „new rich“ in Asien markieren. (vgl. Beng-Huat 2000) “It is as consumers that the new rich of Asia have attracted an interest of almost cargocult proportions of the West. They constitutes the new markets for Western products: processed foods, computer software, educational services and films and TV soaps.” (Robison und Goodman 1996) In Malaysia entwickelte sich die „neue Mittelklasse“ in den 70ern vor dem Hintergrund der Regulationen durch die Staatspolitik zur Herausbildung einer Klasse von reichen Malaien, mit dem gleichzeitigen Ziel die ökonomische Dominanz der Nichtmalaien, v.a. der Chinesen zu reduzieren. Die Regierung erarbeitete einen „Sozialvertrag“ für die verschiedenen ethnischen Gruppen im Interesse einer nationalen Einheit. Dieser Sozialvertrag wurde institutionalisiert im Second Malaysia Plan 1971-1975 als „New Economic Policy“ (NEP). Unter dem NEP wurde ein soziales Restrukturierungsprogramm entworfen, welches ein balancierteres Wachstum und eine Rückverteilung zwischen den Malaien und den Nichtmalaien in einer 20 Jahresperiode, von 1970-1990, anstrebte. Das Ziel war zum einen die Eliminierung ethnisch basierter Kontrolle einzelner ökonomischer Aktivitäten und zum anderen die Ausrottung von Armut unabhängig von der Ethnie. (vgl. Talib 2000) Das NEP spezifizierte eine aufgezwungene Wohlstandsverteilung als Quote von 30%, welche den Malaien bzw. der Bumiputra15 durch gleiche Verteilung von Beschäftigung, Businessmöglichkeiten und Wohlstand, gewährleistet werden sollte16 . 11 Zur genauen Diskussion des Begriffs siehe Kap. 2.1. Siehe dazu auch Muzaffar 1986; Hassan 1997 13 Mit Kräften assoziiere ich die verschiedenen teilweise konträren Bestrebungen, die bei dem Subjekt, auf das sie wirken, eventuell und das gilt es zu untersuchen, eine Vereinbarkeitsproblematik hervorrufen. 14 Der 1997-98 finanzielle und ökonomische Einbruch verursachte laut Embong 2000 weder eine Auflösung noch eine Verkleinerung der „neuen malaiischen Mittelklasse“. Stattdessen wird diese Klasse durch die voranschreitende Genesung in der Zukunft erneut anwachsen. Jedoch wird angenommen, dass ihre Zusammensetzung differenzierter als vorher ausfallen wird. (vgl. Embong 2000) 15 Bumiputra bedeutet ”natives of the soil“ und bezieht sich auf Natives aus Sabah, Sarawak und der Halbinsel Malaysias, wie Dayaks, Kadasan, Malaien und Minoritäten wie Semais und Temiars (vgl. Talib 2000) 16 Für Details siehe „Second Malaysia Plan“, 1971-1975 12 5 Die Diskussion um die Mittelklasse im malaysischen Kontext wird v.a. geprägt durch Kahn (1991, 1996) und Embong (1995, 1999). Zuordnungskriterien zur Mittelklasse bilden dabei zum einen die Bildungspositionen, die die Individuen einnehmen, und zum anderen die Umsetzung dieser in Beschäftigungsverhältnisse am Arbeitsmarkt und an Produktionseinheiten. Von Embong (2000) werden drei analytische Kategorien der Mittelklasse unterschieden: die „neue“ Mittelklasse, die „alte“ Mittelklasse und die „marginale“ Mittelklasse. Die „neue“ Mittelklasse bezieht sich hauptsächlich auf das Gehalt. Mitglieder sind zum Beispiel „Professionelle“, Manager und Verwaltungsangestellte, welche einen distinktiven Angestelltenstatus teilen und dessen prinzipielles Merkmal ein gewisser Grad an Autonomie ist. Die „alte“ Mittelklasse bezieht sich auf solche mit einigem Kapital und der Möglichkeit oder auch Nichtmöglichkeit Kontrolle über die Arbeit zu haben. Die dritte Kategorie, die „marginale“ Mittelklasse lässt sich mit einem geringem Grad an „Weißkragen-Angestellten“ der „unteren“ Mittelklasse zuordnen. (vgl. Embong 2000: 3) Die vorliegende Ausarbeitung bezieht sich auf die nach Embong signifikanteste Komponente der Mittelklasse, die „neue“ Mittelklasse. Von einer relativ kleinen Gruppe in den frühen Jahren der Unabhängigkeit mit nur 4.0% 1957 und 5.9% 1970, erhöhte sich die „neue“ Mittelklasse auf einen Anteil von 11,2% 1990 und 15,2% im Jahr 2000 (Malaysia 2000; siehe auch Embong 2000: 5). Zur den hervorstechendesten Merkmalen der „neuen“ Mittelklasse zählen: intergenerationale Mobilität, Bildung, Geld, Konsumorientierung und Sichtbarmachen dieser (vgl. Embong 2000: 6ff.). Die „neue“ Mittelklasse ist historisch gesehen eine neue Klasse, welche durch dramatische intergenerationale Mobilität in den letzten 30 Jahren gekennzeichnet ist. Wir haben es somit mit der ersten Generation dieser Art von Mittelklasse zu tun. Der Hauptanteil dieser „neuen“ Mittelklasse, ungefähr 42% stammen aus Farmerfamilien und der Arbeiterklasse. Nur 14% kommen aus der „alten“ und 22% aus der „marginalen“ Mittelklasse. Und nur ungefähr 2% haben ihre Wurzeln in kapitalistischen Klassenhintergründen (vgl. Embong 2000). Weiterhin ist die „neue“ Mittelklasse, die meist gebildeteste Klasse in der malaysischen Gesellschaft.17 Da die „neue“ Mittelklasse reich ist18 , stützt sich ihre ökonomische Basis auf Gehältern und ist in hohem Maße abhängig vom finanziellen System für Löhne und Kredite. Ein weiteres Merkmal der „neuen“ Mittelklasse ist ihre Konsumorientierung. Die Mitglieder teilen einen „lifestyle“ von materiellem Komfort (komfortables Wohnen und komfortable Autos), Ferien und Freizeit. Eine Untersuchung zur Zusammensetzung von Indikatoren, so wie Eigenheimbesitz, Typ des Wohnens, Besitz von Autos und anderen, stellte heraus, dass die Mitglieder versuchen ihren materiellen Wohlstand zu zeigen (vgl. Embong 2000)19 . Da die Mitglieder der „neuen“ Mittelklasse in der ersten Generation sind und da wie Embong (2000) passend formuliert nur „short memories“ vorhanden sind und nicht auf einer starken historisch gewachsenen ökonomischen Fundierung zurückgegriffen werden kann, sind die Klassenmitglieder sehr sicherheitsbedürftig. Das bedeutet, dass ihr oberstes Ziel die Festigung und der Erhalt der ökonomischen Position ist. Damit sind Anstrengungen verbunden, die es den Kindern ermöglichen sollen die Parental-Position zu reproduzieren oder auszubauen. Die 17 In einer Studie von 1996 haben 79% der Befragten der „neuen“ Mittelklasse eine abgeschlossene tertiäre Ausbildung. Davon haben 42% ein „first degree“ und 15% ein „postgraduate degree“ (vgl. Embong 2000). 18 Manchmal auch als „nouveau riche“ betitelt (siehe Robison und Goodman 1996). 19 Siehe auch Alexander Horstmann: The making of a new middle class - Social space and the production and consumption of cultural images in southern Thailand. Bielefeld 2000 6 Vorstellung der Reproduktion der Klassenposition durch die Kinder und der damit verbundene Wunsch die Bildungsleistung der Kinder zu erhöhen wird unter Mittelklasseeltern in der „tuition-mania“20 reflektiert (vgl. Embong, 2001). Wie oben schon erläutert, beinhaltet die Förderung der Mittelklasse in Malaysia im Rahmen staatlicher Reglementierungen eine starke ethnische Komponente. Die „neue“ Mittelklasse ist somit auf der einen Seite das Produkt der kapitalistischen Expansion der Märkte und zum anderen das Ergebnis der ideologischen Arbeit im Namen des Staates. Aus dem letzterem ergibt sich, dass der Großteil der Mitglieder der „neuen“ Mittelklasse ethnisch gesehen, der Gruppe der Malaien21 zuzuordnen ist. Somit werde ich diese Klasse auch als „neue malaiische Mittelklasse“(vgl. auch Fischer 2001) bezeichnen. Damit ergeben sich in bezug auf die „neue malaiische Mittelklasse“ zwei für meine Fragestellung interessante Aspekte: Zum einen die Repräsentation der Vorhut in der rapiden Transformation der Konsumkultur durch die neuen ökonomischen Möglichkeiten und zum anderen die zentrale Rolle in der Formung der Islamisierungsbestrebungen (vgl. Fischer 2001). 1.2.1 Die empirische Nutzung des Konzeptes der „neuen malaiischen Mittelklasse“ Auf dieser Grundlage lässt sich auch das „sampling“ für meine Fragestellung begründen. Denn auf die Identitätsformation der „neuen malaiischen Mittelklasse“ lassen sich laut Literatur22 zwei einwirkende Kräfte beobachten: Auf der einen Seite der Islam und v.a. die islamischen Revitalisierungsbewegungen und auf der anderen Seite die neuen materiellen Möglichkeiten des Konsums und der damit verbundenen neuen Identifikationsangebote aus dem Westen. Die Mitglieder haben die Chance am „lifestyling“23 zu partizipieren sind aber zur selben Zeit eingebunden in die islamischen Debatten über den kontroversen Wert von Konsum (Fischer 2001). Mahathir, der Premierminister Malaysias, formuliert seine Vorbehalte gegenüber dem Materialismus als Produkt der Marktexpansion, wie folgt: „But at this particular point in time what seems particularly pressing is the need to ensure the correct balance between material and spiritual development [...] We do not want to be a wasteful consumer society where unbridled materialism runs riot” (Mahathir in Muzaffar 1997) Mahathir’s Ideen bauen auf dem Argument auf, dass die Handlungen der Muslime zwischen der gegenwärtigen Welt und der spirituellen Welt24 ausgeglichen sein müssen, und das beide die gleiche Bedeutung haben (Mahathir 1993). Aufgrund der neuen materiellen Möglichkeiten richten sich diese Handlungsempfehlungen v.a. an die Mitglieder der „neuen malaiischen Mittelklasse“. 20 Von Embong (2000) verwendeter Begriff zur Skizzierung der elterlichen Bildungssucht. Malaien können ihre Religion nicht frei wählen und sind von Geburt an Muslime. 22 Vgl. Fischer 2001 23 „Lifestyling“ bezeichnet laut Gerke (1999, 1995) ein eigenständiges Referenzniveau, welches nicht auf Schichtindizes reduzierbar ist, sondern dessen Grundlage der Konsum und dessen Sichtbarmachen bildet. 24 Eng damit verbunden ist die Balance zwischen der Gegenwart und dem Jenseits, welche Mahathir proklamiert (Mahathir 1993). 21 7 Die Diskussion der „neuen malaiischen Mittelklasse“ lässt sich optimal in meine Fragestellung einbeten. Mein Interesse gilt den Aushandlungsprozessen des Einzelnen mit den Spannungen25 , welche sich aus den neuen materiellen Möglichkeiten und dem Wiederaufblühen des Islam ergeben, umzugehen. Die „neue malaiische Mittelklasse“ bietet somit das „lebende Feldpendant“ meiner theoretischen Überlegungen. Auf sie wirken zum einen der Wohlstand und die damit verbundenen materialistischen Möglichkeiten ein. Zum anderen werden an sie die Bestrebungen der islamischen Erneuerung, die den oben genannten ideologisch entgegengesetzt scheinen oder zumindest kritisch gegenüberstehen, herangetragen. Die sich formierende „neue malaiische Mittelklasse“ erhält somit Einflüsse von zwei zum Teil divergierenden Fronten. Die Frage, die sich daraus stellt, ist: Welche Auswirkungen haben diese für den Einzelnen und welche Identifikations- und Distinktionsprozesse werden angestoßen? Die Auswahl der Mitglieder der „neuen malaiischen Mittelklasse“ im Feld wurde mit Hilfe einer Daten-Triangulation validiert26 . Zum einen wurden die Befragten von einer externen Person ausgewählt und als der „neuen Mittelklasse“ zugehörig etikettiert. Zum anderen erfasste ich Kriterien, die laut der Literatur (Gerke 1995; Embong 2000; Horstmann 2000; Fischer 2001) die „neue Mittelklasse“ konstituieren. Die Faktoren sammelte ich zum einen durch Beobachtung der jeweiligen Umgebung, wie die Art des Hauses und Wohnens, die Einrichtung und das Auto. Zum anderen erfragte ich bestimmte Kategorien27 , wie die Herkunft, die Bildung, der Beruf, die Bildung der Kinder und die Freizeit- und Feriengestaltung. Alle meine Befragungsperson wohnten in „Bandar Renchine“, einem Vorort von Kajang, 30km vor der Hauptstadt Kuala Lumpur. Die Art des Hauses und Wohnens ähnelte sich sehr, da die Häuser der Siedlung mit minimalen Ausnahmen alle einheitlich waren: „Die Häuser waren alle etwas zurückgesetzt von der Strasse, zum Haus gelangte man durch eine meist riesige Einfahrt, welche durch große Tore von der Strasse abgetrennt waren. Alle Häuser waren mit Zäunen umgeben. Die Einfahrten waren betoniert und wurden als Parkplätze genutzt, bei den meisten Häusern standen ein oder zwei Autos davor. Erst auf dem zweiten Blick fiel einem dann auf, dass hinter den Autos ein Haus stand. Es sah teilweise so aus, als wenn die Autos fast bis zur Hausfassade herangefahren wurden. Die Häuser waren oft in beige, gelb oder hellblau gestrichen. Sie waren alle einstöckig und bestanden zumeist von der Grundfläche her aus zwei versetzten Rechtecken. Sie hatten alle ein Flachdach und man ging seitlich durch eine Tür direkt in den Wohnraum. Vor den Türen waren Fliegen- und Metallgittertüren angebracht.[...] So wie S.28 sagte, war es eine typische „neue“ Mittelschichtssiedlung, die in den letzten 10 Jahren entstanden war. Rund um die Häuser war es sauber, es sah sowieso überall sehr sauber und ordentlich aus [...] Die meisten Häuser unterschieden sich kaum von den anderen, eher durch die davor geparkten Autos. Oft waren das malaysische Kleinwagen, hier und da sah man aber auch importierte Autos. Immer waren 25 Aufgrund der Literatur nehme ich an, dass ein Spannungsfeld existiert, welches aber in der Feldarbeit noch genauer definiert werden soll. 26 Siehe dazu Uwe Flick: Triangulation in der qualitativen Forschung. In: Uwe Flick / Ernst von Kardorff / Ines Steinke: Qualitative Forschung – Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg 2000 27 Zur Erläuterung des Leitfadens siehe 1.3. 28 Bei S. handelt es sich um einen einheimischen Sozialforscher, der mir den Kontakt zu meinen Befragungspersonen in dieser Siedlung vermittelte. 8 sie tiptop gepflegt. Die Rasenflächen, die, die Häuser säumten waren kurz geschnitten und anscheinend wurden sie in den Abendstunden beregnet [...]“ (FTB29 2409) Als dritte Absicherung nahm ich außerdem die Selbsteinschätzung der Befragten hinzu. Zur Erhöhung der internen Konsistenz und damit der Validität der Einordnung der Befragungspersonen stellte ich an zwei unterschiedlichen Zeitpunkten im Interview ähnliche Fragen. Zum einen in welche Klasse sie sich einordnen würden und zum anderen an welchem „lifestyle“ sie partizipieren.30 Auf beide Fragen antworteten meine Interviewpersonen in gleicher Weise: „My lifestyle is just middleclass [...]“31 bzw. “I think, I put myself in the middle class.”32 oder sie bezeichneten ihre Klassenposition als „intermediate“, welches synonym zum Begriff Mittelklasse verwendet wurde. Somit konnte relativ valide die Einordnung der Befragungspersonen in die „neue malaiische Mittelklasse“ erfolgen. 1.3 Die Frau als „Mikrokosmos“ verschiedener Diskurse – Begründung meiner Auswahl Die zweite Achse des „samplings“ bezeichnet die Auswahl des Geschlechts der Interviewten. Dabei positioniere ich die Frau ins Zentrum meiner Forschung. Diese Auswahl geschieht analog zu den öffentlichen Diskursen im Rahmen der Islamisierung und Modernisierung im „western style“. Die Frau wird darin als ideologisiertes Objekt zum „battle field“ der verschiedenen Bestrebungen (vgl. Sariönder 1999; Werner 1999). Dabei wird häufig der Fokus auf den weiblichen Körper gerichtet, der nun nicht mehr den strikt privaten Interessen dient, sondern als Austragungsort öffentlicher Debatten dient. So berichtet Werner (1999) in einer Studie aus Ägypten, dass ägyptische Fundamentalisten davon ausgehen, das westliche Modernisierungen bzw. die „Westernisierung“, die weibliche Identität zerstöre und die Frauen zu pornographischen Objekten reduziere. Basierend auf der islamischen Idee der moralischen Gesellschaft wird die Frau so zur Schlüsselposition im islamischen Diskurs (Sariönder, 1999). Das Interesse am Thema Frau lässt sich nach Patricia Martinez darin begründen, dass sie als Mütter eine bedeutende Macht ausüben können und ihnen somit die Möglichkeit besteht nachkommende Generationen zu beeinflussen: “[...] that women are the bearers of culture, they are the mothers who perpetuate ethnicity. As the primary caregivers of children, women transmit and instill moral values and religious identity.” (Martinez 2000) Mein Ziel ist es, zu beschreiben, wie die Frauen der „neuen malaiischen Mittelklasse“ die verschiedenen Kräfte33 : Islamisierungs- und westliche Modernisierungsbestrebungen im Sinne neuer Konsumkulturen, in ihrem Leben verhandeln. Mir geht es dabei nicht um die bloße Beschreibung ihrer Auswirkungen, sondern eher um das „Aufspüren“ bestimmter Selbst- bzw. Körperpolitiken, die in den Einzelfällen zum Ausdruck kommen. 29 FTB = Feldtagebuchaufzeichnungen Siehe Leitfaden im Anhang. 31 Aus Interview mit M. 32 Aus Interview mit S. 33 Im folgenden soll noch geklärt werden, wie die Frauen die Kräfte wahrnehmen und definieren, und ob der Terminus sinnvoll erscheint. 30 9 Ich schreibe somit über die „malaiische Frau“34 als Akteurin, Teilnehmerin und Selbstdarstellerin bzw. über den „malaiischen Frauenkörper“ in einem komplexen Identifikationsprozess, der aus den oben beschriebenen differenten und teilweise gegensätzlichen Angeboten resultiert. Dabei leitet mich v.a. die Vorstellung, dass Frau und Frausein und die damit verbundenen Körperpolitiken nie in einem Vakuum existieren (Martinez 2000), sondern vielmehr in einem diffusen Feld oft divergierender Kräfte sich herauskristallisiert. 1.4 Exkurs: Methodisches Vorgehen im Feld Im folgenden soll nun in vereinfachter und verkürzter Form mein Vorgehen im Feld beschrieben werden. Abbildung 1 dient dabei als grobe Orientierung, wobei die Vorgehensweise natürlich in keiner Weise als rein linear zu betrachten ist. Sie wurde immer wieder von Rückbesinnungen, Hemmnissen und sonstigen Unterbrechungen durchzogen. Diese quer zur Struktur aus Abbildung 1 liegenden Erfahrungen werte ich jedoch eher als Bereicherungen denn als Rückschläge. Abbildung 1: Beobachtung Fragen zu Zusammenhängen / Kategorien Analyse ‚sampling’ Leitfaden für halbstandardisierte Interviews Interviews Beobachtungen Im Zuge der ersten Feldannäherung begann ich mit freien Beobachtungen. Objekte meiner Beobachtung waren malaiische Frauen (siehe Kap. 1.2.2), die ich von anderen Frauen aufgrund ihrer islamischen Kleidung35 unterschied. In Supermärkten, Kaufhäusern, an Essensständen und auf der Strasse verschaffte ich mir so die ersten Eindrücke bezüglich meiner Forschungsfrage. In Beschreibungen versuchte ich die Konstruktion dessen, was die Beteiligten vor Ort konstruierten, festzuhalten. Daraus ergaben sich Fragen hinsichtlich des Kontextverstehens, aber auch Fragen, die meine Fragestellung ausdifferenzierten und in kleinere Fragestellungen unterteilten. Es ergaben sich folgende Einzelfragen36 : 34 Aufgrund der Übersichtlichkeit verwende ich ‚malaiische Frau’ synonym für den korrekteren Terminus ‚malaiisch muslimische Frau’. Ich gehe davon aus, dass die malaiische Frau aufgrund der Definition von ‚Malayness’ Muslime ist (was jedoch laut Informantenaussagen nicht immer der Fall ist, diese Ausnahmen werde ich jedoch in meinen Ausführungen vernachlässigen). 35 Genauere Beschreibung der ‚islamischen Kleidung’ in Kapitel 2 und 4 36 Anschließende Auflistung nur ein Auszug 10 • • • • • • • • Welche Rolle spielt der Islam für die eigene Identifikation? Wie werden die Veränderungen des ‚islamic renewal’ wahrgenommen? Hat es Veränderungen in den Einstellungen zum Islam im Lebensverlauf gegeben? Was bedeutet der islamische Kleidercodex für die einzelne und wie setzt sie ihn um? Wie geht die einzelne mit westlichen Identifikationsangeboten, die ihr durch die neuen materiellen Möglichkeiten offeriert werden, um? Welche Vorstellungen existieren von den westlichen Frauen? In welchen Bereichen kommt es zu Distinktion gegenüber der westlichen Kultur und wo finden Integrationen statt? Welche Auswirkungen haben die Distinktions- und Integrationsprozesse auf die Wahrnehmung als „malaiische Muslime“? Diese Partialfragen subsumierte ich unter Kategorien, die dann meinen Leitfaden37 bildeten. Es soll an dieser Stelle keine ausführliche Diskussion meines Leitfadens erfolgen, stattdessen greife ich zwei exemplarische Beispielkategorien heraus. Zum einen „islamische Kleidung“ und zum anderen „Malaysia und der Westen“. In Bezug auf die „islamische Kleidung“ interessierte mich die individuelle Definition von islamischen Kleiderkodes, sowie die Umsetzung dieser am eigenen Körper. Daran anknüpfend wollte ich den Befragten Begründungen und Argumentationslinien für ihre Verhaltensweisen in bezug auf die Kleidung entlocken. Die Kategorie „Malaysia und der Westen“ sollte mir die Möglichkeit bieten, Weltsichten von dem eigenen Land, der Kultur und Religion zu sammeln, um diese anschließend an den Darstellungsarten des Westen zu kontrastieren. Weiterhin sollte diese Kategorie mir die Möglichkeit bieten eventuelle Einflüsse des Westens in Malaysia zu entdecken. Und diese dann auf ihre Bewertungen hin zu untersuchen. Die Kategorien und konzeptionellen Bezugssysteme, die ich in meinem Leitfaden verwandte, werden in der anschließenden Analyse auf ihre Angemessenheit hin untersucht.(siehe Kap.2.1 und 3.2) Vorwegnehmend, bedeutet dies, in einigen Fällen den Ersatz durch „natürliche Kategorien“ oder eine weitere Ausdifferenzierung. Meine Fremdheit in dieser „Welt“ fungierte hier als erster Informationsgenerator38 . Je weiter ich in das Feld gelangte, desto mehr Fragen und Zusammenhänge offenbarten sich mir. Dabei erfuhr ich immer wieder Besonderheiten der mir umgebenden Welt als Ensemble von Differenzen zum eigenen Selbstverständnis. So bereichernd wie die „Weltfremdheit“ in der Hinsicht war, so hinderlich erwies sie sich in anderen. Um mich den Beforschten möglichst anzunähern, plante ich, malaiische Frauen, gemäß meines „Samplings“ (siehe Kap. 1.2.1.1), in ihrem „natürlichen Milieu“ aufzusuchen und mittels eines Leitfadeninterviews Beschreibungen von Weltsichten‚ Handlungsstrategien, Selbstdarstellungsarten und Alltagskonzepte dieser, zu dokumentieren. Die Kontaktaufnahme erwies sich aufgrund meiner kulturellen Fremdheit als sehr schwierig. Nur durch Unterstützung eines Einheimischen gelang es mir Verbindungen zu einigen Frauen herzustellen. Daraus entwickelten sich informelle Treffen, sowie bei jeder Person eine Verabredung, bei dem explizit das leitfadengestützte Interview durchgeführt wurde. Davon ausgehend lege ich meiner Ausarbeitung zum einen fünf Interviewtranskripte und zum anderen Mitschriften 37 38 Siehe Anhang Vgl. Willems 2000 über Goffman. 11 informeller Gespräche, Beobachtungen39 und Beschreibungen zugrunde. Ziel der pluralistischen Materialverwendung sind die alternativen und komplementären Gegenstandszugänge im Hinblick auf den Gewinn von Vergleichsmöglichkeiten. In meinen Analysestrategien versuchte ich mich den Methoden von Goffman anzunähern40 . In Beobachtungs-, Beschreibungs- und Analyseverfahren machte ich mir Metaphern, Konzepte und Modelle zunutze. Bei der Generierung von Begriffs- und Deutungsmitteln probierte ich mich in den Strategien der Analogien41 . So wie Goffman postuliert, ist das Ziel qualitativer empirischer Arbeit die Enthüllung bewusster und unbewusster Sinnkomplexitäten (Willems 2000). Ausgangspunkt meiner Auswertung war im Sinne der Subsumptionslogik, die Einordnung des gesammelten Materials in ein und denselben Rahmen42 (Vgl. Goffman 1977). Anschließend versuchte ich dem Material durch Klassifikation43 eine Gestalt zu geben, dies entspricht dem Goffmanschen Vorgehen und in Grundzügen der Weberschen Vorstellung zur Bildung von Idealtypen. Das Ziel war dann die Herausarbeitung gemeinsamer Züge, um darin Deutungsmuster, Positionierungs- und Aushandlungsprozesse der alltäglichen Lebenspraxis der malaiischen Frauen zu entdecken. 39 Mit Beobachtungen sind freie sowie auch „naturalistische“ Beobachtungen (nach Goffman 1974) gemeint. „Naturalisitische“ Beobachtungen beziehen sich auf solche, die in bezug auf die Interviewperson, bzw. Interviewsituation, dass heißt in Referenz auf den jeweils darzustellenden Einzelfall, gemacht wurden. 40 Siehe dazu Williams 1988 41 Zum Beispiel die Übertragung der sprachlichen Unterscheidung von halal und haram in die Aushandlungsarena, in der Entscheidungen um Integration und Distinktion getroffen werden. 42 Den Rahmen bildete bei mir zum einen die Islamisierungsbestrebungen und zum anderen die Modernisierungen im “western style“. 43 Siehe hierzu Kap. 2.2 und 4.1. 12 2. ”Consumption of Islam“ oder die Sehnsucht nach islamischer Erneuerung Grundlage diese Kapitels bildet die Spezifizierung zweier Konsumarten. Dabei stütze ich mich theoretisch auf Lee (1993). Er unterscheidet vom klassischen Gütermarkt den ideologisch, religiösen Markt. Aus dieser Differenzierung heraus, ergeben sich die beiden unterschiedlichen Konsumtypen. Im folgenden soll es vorerst um den spirituellen “consumption of Islam“ gehen. Im anschließenden Kapitel (Kap.3) wird dann an einigen Punkten der „herkömmliche“ materialistische Konsum näher diskutiert. Darüber hinaus erscheint es mir sinnvoll, dieses Kapitel aus meinen Überlegungen heraus, dem Leser zu begründen: Der Gedankengang war, dass bevor Strategien und Umgangsweisen mit den unterschiedlichen Bestrebungen in bezug auf die einzelne Frau beleuchtet werden können, herausgestellt werden muss, wo sich die einzelne im Raum dieser verortet. Das bedeutet, dass darzustellen ist, wie die einzelne die Veränderungen, Diskurse und Bewegungen individuell wahrnimmt. Und wie sich dies, mit den eigenen Wahrnehmungen, den Körperpolitiken und dem Bewusstsein verbindet. Ausgangspunkt ist dabei, die Veränderungen der letzten 20 Jahre in Malaysia in Relation zur Etablierung eines islamischen Raumes zu stellen. Dabei leitet mich die Vorstellung, dass sich die einzelne Frau in einem “islamscape“44 bewegt und sie die mehr oder minder beschränkte Möglichkeit hat an einem Konsumprozess teilzunehmen, dass heißt “consumption of Islam“ zu betreiben und damit ihre Person mit dem Islam zu verknüpfen. Welche Prozesse daraus entstehen und welche Auswirkungen diese auf die Selbstbeschreibungen der einzelnen Frauen haben, ist Ziel meiner Beleuchtung. 2.1 “Islamic resurgence“ oder die Diskussion eines Begriffs Wie in 1. bereits erwähnt, war meine Vorfeldphase und mein Eintritt in die Feldphase begleitet von theoretischen Konstrukten und Konzepten. Dem zuzurechnen ist der theoretische Diskurs um den Islamisierungsprozess. Bald merkte ich, dass es den Begriff im alltäglichen Sprach- aber auch Denkprozess der Einheimischen gar nicht gibt. Jene Veränderung die ich dem Islamisierungsprozess zuschreiben würde, wurden in normale Beschreibungen von Veränderungsprozessen eingebettet. Die einzelne schien Erneuerungen nicht starr in den Begriffen Islamisierung oder westliche Modernisierung wahrzunehmen. Vielmehr wurde beides miteinander verquickt und in Beschreibungen um die Zeitbegriffe “last“ und “now“ integriert45 . Eine meiner Interviewpartnerinnen, verweigerte sich dem Begriff des Islamisierungsprozesses, da die Islamisierung für sie etwas sei, wo man hineingeboren werde. Die Konnotation, die sie mit dem Begriff verband, bezog sich eher auf politische, administrative Änderungen. Ihr war es wichtig den inneren Wandel, die die Muslime in Malaysia vollzogen haben, in den Vordergrund zu stellen. Islamisierung vollzieht sich somit in bezug auf das Verstehen des Einzelnen. Durch das mehr an Wissen und das größere Verständnis des Islams und seiner heiligen Schriften, vollzieht sich die Islamisierung am eigenen Selbst. Es wurde bedeutsam islamisch zu sein und man begann religiöse Prämissen 44 Begriff der nach Klein-Hessling; Nökel und Werner (1999) den globalen Raum des Islam bezeichnet. Der Terminus wird in Analogie zu Appadurais (1990, 1996) Unterscheidung der globalen Landschaft in unterschiedliche “scapes“ verwendet. 45 Siehe auch Kap. 2.4. 13 mehr und mehr in den Alltag zu integrieren und dabei eigene “islamic lifestyles“ zu entwickeln. Eine andere Interviewpartnerin erklärte: “We wants to living back to islam [...] this means to the muslim is follow the guideline of muslim and the property is follow the quaran.“ Gleichzeitig verband sie den Islamisierungsgedanken in Malaysia mit dem in anderen Ländern: “[...] people, we and most nations, would love to go back, what we are – we are Muslim people guidance by the Qu’ran“46 . Das bedeutet, dass sie sich selbst und alle Malaien, eingebunden in einer globalen Revitalisierung des Islam sieht. Daraus ergibt sich, wenn man dem Konzept des “religioscape“ von Apparadurai (1990, 1996) folgt, ein global geteilter Raum des “islamscape“. Somit werden Verbindungen zwischen den muslimisch malaiische Identitäten in Malaysia und den islamischen Identitäten des Nahen Ostens denkbar. Das eben Diskutierte beachtend, wird im folgenden von Rückbesinnung, Wiederaufleben bzw. Wiederbeleben des Islam gesprochen. Charakterisieren wird dies der Begriff “islamic resurgence“ anstelle von Islamisierungsprozess. Die nachfolgenden Abschnitte werden die Wahrnehmungen von Veränderungen des einzelnen in bezug auf die Religion wiedergeben. Gleichzeitig werden meine eigenen Beobachtungen einfließen. Ich habe versucht meine Ausarbeitungen losgelöst vom theoretischen Konzept der Islamisierung darzustellen, welche aber natürlich nicht davon freigesprochen werden können. 2.2 ”Public view“ Marker der ”islamic resurgance“ Was bedeutet “to be more islamic“47 und welche Auswirkungen48 hat dies im öffentlich sichtbaren Kontext? “Public view“49 bedeutet an dieser Stelle, was beschreiben die Frauen als nach außen wahrnehmbar und welchen Einfluss hat dies auf die Selbstbeschreibung und damit die Identitätsbildung der Frauen. Dabei ist die Dichotomisierung der Auswirkungen Ergebnis der Analyse der Interviews und wurde deshalb von mir als sinnvolle Leitunterscheidung verwendet.50 Die Frauen versetzten sich während der Gespräche oft in einen externen Beobachter oder übernahmen meine Perspektive und versuchten mir somit besondere Veränderungen näher zu bringen. Davon ausgehend, fokussierte ich dann meinen eigenen Beobachtungen und Beschreibungen auf die angesprochenen Bereiche, sofern sie mir nicht vorher schon explizit aufgefallen waren, und vervollständigte und verifizierte so das Material. Natürlich gibt meine eigene Sichtweise nur den „Status quo“ wieder, deshalb stütze ich mich in den rückblickenden Vergleichen allein auf die Aussagen meiner Informantinnen. Das Kapitel ist im folgenden in drei Unterabschnitte eingeteilt, wovon jeder einen einzelnen Markerkomplex beschreibt51 . 46 Interview von H. Siehe auch Martinez 2000: 3f. 48 Es wird nicht angenommen, dass die inneren Prozesse und Veränderungen monokausal die äußeren sichtbaren beeinflussen. Vielmehr sind beide miteinander verquickt und verstärken sich wechselseitig und es kann keine eindeutige Monokausalität aufgezeigt werden. 49 Das Antonym “non-public view“ und “islamic resurgance“ wird in Kapitel 4 genauer untersucht. 50 Ähnliche Verwendung bei Muzaffar (1986). 51 Ich erhebe damit keinen Anspruch auf Vollständigkeit, vielmehr sollen an diesen Beispielen die Wirkweisen auf die Einzelne exemplarisch verdeutlich werden. 47 14 2.2.1 “Clean halal food“ Besondere Bedeutung wurde von allen Interviewpartnerinnen dem Essen und der islamischen Diätregeln geschenkt. Der Koran sagt: ”Eat of what is on earth, lawful and good“52 . Der koranische Term für „lawful“ ist „halal“, also erlaubt. Wobei es noch drei weitere Einteilungen der Nahrung gibt: Zum einen das Antonym von „halal“ „haram“, was verboten bedeutet. Zwischen diesen befinden sich „makrooh“ – zweifelhaft und „mushbooh“ – befürchten. Dies bedeutet der Inhalt des Essens ist unbekannt oder unklar. Treue Muslime, so wurde mir berichtet, vermeiden den Konsum von zweifelhaftem Essen. Meine Befragten händelten ihre Einteilung mit den Begriffen halal und haram und nur selten wurde mir von den beiden anderen erzählt. Teilweise wurden halal und haram ersetzt durch nicht koranische Wörter, welche aber die gleiche Konnotation beinhalten: für „halal“: „clean“, “healthy“ oder „good / right for us Muslims“ und für „haram“: “unclean“, “unhealthy“ oder “not good / right for us Muslims“. Zu den eindeutig als haram Definiertem zählt: Schwein, Tierfett, Kollagen, Gelatine und Alkohol. Ebenso unakzeptiert ist Fleisch, welches nicht in einer bestimmten Art geschlachtet wurde. Trotz dieser offen benannten Einschränkungen hoben die Frauen hervor “I can eat what I want“53 . Daraus schloss ich, dass sie diese Regeln nicht als Einschränkungen ihrer persönlichen Entscheidungsfreiheit ansehen, sondern sie als gottgewollte Vorschrift akzeptieren und in ihre muslimische Identität als Merkmal integrieren. Mit diesem Symbol des „muslimisch sein“ wird auch der Nicht-Muslime in Malaysia zunehmend konfrontiert. Sei es durch die zahlreichen Signaltafeln an Essensständen, Restaurants oder die Zeichen auf den Supermarktprodukten. Überall wird einem die Allgegenwärtigkeit islamischer Diätregeln vor Augen geführt. Die ganze Welt des Essens wird anscheinend symbolisch zwischen den Begriffen halal und haram aufgeteilt. Gerade die eindrucksvolle Visualisierung dieser Einteilung macht einerseits die gesteigerte Sensitivität der Malaien dem Essen gegenüber deutlich, anderseits verstärkt sie diese natürlich auch. Die zunehmende Sensibilisierung gegenüber dem Essen reicht soweit, dass bei Betriebsessen für Malaien und Chinesen getrennte Essen durchgeführt werden. Die Grenzziehungen auf Basis des Essens verstärken natürlich die interethnischen Differenzen und vermindern das gemeinsame Sozialleben der verschiedenen Ethnien. So kam es nicht selten vor, dass Chinesen über die Essregeln der Malaien witzelten. Gerade über das Sichtbarmachen islamischer Regeln und Verhaltensvorschriften wird die “Malayness“ neu definiert und dies geschieht nicht zuletzt durch das Aufzeigen von Differenzen zwischen den verschiedenen Ethnien (vgl. Muzaffar 1986: 57ff., Fischer 2001: 6f.). Essen wird so zu einem öffentlich wirksames Symbol, welches demonstriert, wie Einstellungen durch die “islamic resurgence“ geteilt werden. 2.2.2 “Islamic dress code“ Das am auffälligsten sichtbare und öffentlich wirksamste Symbol des “islamic resurgence“ in Malaysia ist wohl der islamische Dresscode für Frauen54 . Der neuen Sittsamkeit der Kleidung liegt der Glaube zugrunde, dass das Zeigen von Körperteilen vor nicht Familienmitgliedern 52 Nach einer islamischen Website: http://www.java-man.com/Pages/Khutab/khutba980417.html. Aus Interview mit M. 54 Vgl. dazu auch Muzaffar 1986: 61 und Fischer 2001. 53 15 (aurat 55 ) ein Akt der Provokation darstellt, welcher “Trouble“ in der männlichen Welt auslöst und bis zur Verleitung zu sexuellen Gewaltakten führen kann. Die zurückhaltende dezente Kleidung, welche den Körper vom Nacken bis zu den Zehen und zu den Handgelenken bedeckt, soll verhindern das Männer sich sexuell angezogen fühlen. Das offensichtlichste Merkmal dieses „covering“ ist das Tragen des Kopftuches (tudung) (Säriönder 1999: 181f.). Schon am Flughafen fallen einem die weiblichen Zolloffiziere auf, die navyblaue Kopftücher unter ihren Kappen tragen. Auch überall sonst sieht man die malaiischen Frauenköpfe bedeckt mit dem tudung, sei es an den Zollschaltern der Autobahnen, auf dem Fahrrad, beim Sport oder unter dem Helm auf dem Motorroller. Das Anlegen des Kopftuches fungiert als das Symbol der islamischen Rückbesinnung (vgl. Sariönder 1999). Die Frauen beschrieben mir, dass in ihrer Jugend, vor etwa 20 / 30 Jahren sehr wenige Malaiinnen Kopftücher trugen, und dass es heute zum alltäglichen Straßenbild gehört. Man schäme sich als Muslime heute ohne Kopftuch, berichtet mir eine. Sie fühle sich in einer Gruppe von Frauen verschiedener Ethnien nicht wohl, wenn man sie nicht anhand der Kleidung von den anderen unterscheiden kann und sie eindeutig als Muslime identifiziert wird. Daran erkennt man, dass das Kopftuchtragen als Identitätsmarker in die Selbstrepräsentation der Frauen zunehmend integriert wurde. Eine andere beschreibt: “I’m not suitable to mix with other”56 . Auch hier wird, wie oben beschrieben, die Symbolhaftigkeit in der Grenzziehung zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen deutlich. Weiterhin begründen die Frauen den Griff zum Kopftuch mit einem größeren Verständnis des Islam und seiner Schriften. Sie seien heute gebildeter und damit auch religiös wissender, um die Hintergründe islamischer Regeln und Vorschriften zu verstehen. Das größere Verständnis wird meist auf den Schutz der eigenen Person und der gesamten Gesellschaft bezogen. Denn Freizügigkeit und Offenheit der Frauen würde Männer sexuell anziehen und so zu einem gesellschaftlichen Durcheinander führen. „Demnach fungiert das Kopftuch als Garant der weiblichen Ehrbarkeit und als Instrument der Verhaltenskontrolle. Durch die faktische und symbolische Begrenzung der weiblichen Attraktivität und durch das bezeugte Desinteresse an männlicher Aufmerksamkeit soll fitna (soziale Unordnung) verhindert werden.“ (Göle in Sariönder 1999: 190) 2.2.3 “How to be a good Muslim woman” Eng mit den Vorschriften gemäß der „richtigen“ islamischen Kleidung ist die Frage, was eine gute Muslime ausmacht, verbunden. Das Ziel aller meiner Befragten war ein dem Islam folgendes Leben, sie nannten es den “Muslim way of life“. Mit dem Begriff wurde versucht die Differenz zu anderen vor allem westlichen Lebensstilen explizit zu machen. Markiert ist der “Muslim way of life“ durch die Anweisungen der islamischen Schriften, Koran und Hadith, welche als die absoluten Worte Gottes angesehen werden. Um die Worte Gottes richtig zu verstehen und in eine „Malaiische Version“ zu übersetzen, werden von den Frauen Koranlesungen und Interpretationsstunden besucht. Eine Frau berichtete mir, dass bei den Zusammenkünften neben der Übersetzungen der arabischen Schrift, aber auch die Probleme des täglichen Lebens der Muslime besprochen werden. Meist verstärkt sich das Interesse an 55 „Aurat“ = „the parts of the body that a female must cover, including the hair and neck, from all men except a husband and father“ aus dem Glossar von Roziah Omar: Malay woman in the body – Between biology and culture. Kuala Lumpur.1994 56 Aus Interview mit M. 16 der Religion und damit auch der Besuch solcher Veranstaltungen mit zunehmendem Alter. So berichteten mir einige Frauen, dass sie ab Mitte 30 ein stärkeren Drang verspürten sich mit dem Koran und seinen Interpretationen zu beschäftigen. Dieser Wandel war teilweise verbunden mit den Vorbereitungen der Haj. Ziel war es ein möglichst „reines gottgewolltes“ Leben zu führen57 . Öffentlich sichtbar sind diese zum privaten Lebensbereich zählenden Diskurse zum einen in der Vielzahl der angebotenen islamischen Verhaltensfibeln. Fast vor jeder Einkaufspassage waren kleine Holztische aufgebaut an denen meist junge Muslime Interpretationen des Koran für alle nur denkbaren Lebensbereiche verkauften. Die kleinen Bücher oder Kassetten gaben genaue Anweisungen, wie man sich religionskonform im Alltag zu verhalten habe, oder sie diskutierten moralische Fragen, die implizit Handlungsanweisungen gaben. Zum anderen werden im Fernsehen zu bestimmten Zeiten Koranlesungen oder religiöse Diskussionen übertragen. Der Koran, die Schrift des Islam, erscheint einem allgegenwärtig. In den letzten 20 Jahren wurden zahlreiche Moscheen und Gebetsräume errichtet. Jeder Rastplatz an der Autobahn ist mittlerweile mit einem Gebetsraum ausgestattet. In Hotels, unabhängig davon, welcher Religion der Besitzer angehört, findet man an den Zimmerdecken grüne Pfeile, die die Richtung Mekkas anzeigen, in dessen Richtung die Gebete der Muslime gesendet werden sollen. In der Zeitung findet man die Sonnenstandszeiten, nach denen die Muslime, die fünf auf den Tag verteilten Gebete ausrichten. Diese öffentlich sichtbaren Symbole des Islam verlangen von dem einzelnen ein hohes Maß an religiöser Disziplin, an die er sich an fast jedem Ort erinnert fühlt. Den Erwartungen zu entsprechen, fällt vielen Frauen schwer und sie werten deshalb ihren Status als gläubige Muslime ab. So berichtete mir eine arbeitstätige Malaiin, mit drei Kindern, dass sie es nicht schafft jeden Tag fünf Mal zu beten, da sie oft mit so vielen Dingen gleichzeitig konfrontiert ist, das sie es einfach vergisst oder es zu den Zeitpunkten nicht möglich ist, da sie zum Beispiel im Auto ist. Manchmal holt sie die fehlenden Gebete zu einem späteren Zeitpunkt nach, aber meist fühlt sie sich schlecht, da sie das Gefühl hat dem öffentlich propagierten Bild einer guten Muslime nicht zu entsprechen. 2.3 Die islamische „Deprivatisierung“58 Wie in den vorangegangenen Kapiteln bereits angeklungen, weiten sich die öffentlich sichtbaren Symbole und die Diskurse um sie herum oft in den privaten Bereich aus. Oder andersrum ausgedrückt, das Privatleben verlagert sich in den öffentlichen Diskurs bzw. der öffentliche Diskurs wirkt sich auf den Intimbereich aus und zwingt den einzelnen zur Rechtfertigung seiner Handlungen, wenn auch nur vor sich selbst59 . Als besonderer Dreh- und Angelpunkt erweist sich dabei die Frau und die Familie. Familie wird zum ideologischen Konstrukt, welche Maßstäbe zu erfüllen hat. Herzfeld (1977) beschreibt die besondere Rolle der Familie und der Intimsphäre im Zusammenhang mit religiösen Diskursen, wie folgt: 57 Ausführliche Diskussion 4.1 Begriff übernommen von Monika Salzbrunn 1999: 68 59 Siehe dazu auch Fischer 2001. 58 17 “[...] the representation of the family resembles that of the nation. The family is the secret, inner and private core of the nation.” (nach Fischer 2001: 8) Familiäre Selbstrepräsentationen werden als imaginäre Familien zum Kern der islamischen Erneuerung. Der Islam wird somit als schützende Kraft der Familie zum “self-sufficient way of life that contains the answer to all human universal problems“ (Fischer 2001: 3). Eine Mutter von drei Kindern berichtet: “New generation is now they see in our society a lot of drugs and then rape and then thief or what bad, bad things. […] but we Malay we think that Islam that Muslim can survive our bad things- can protect our children.”60 Die Familie bzw. das Private wird damit zur öffentlichen und politischen Arena, besonders dann, wenn die “outside world“ als bedrohlich wahrgenommen wird. Schon Bourdieu (1977: 89) verglich das Haus bzw. die Familie mit einem Buch, in welches die Struktur und Vision einer Gesellschaft und der Welt beschrieben wird61 . Die Islamisierungspolitik der Regierung seit den frühen 80igern steuerte bewusst die wachsende Öffentlichkeit der muslimischen Normen. Daraus ergab sich eine Durchdringung der privaten durch die öffentliche Sphäre und das rein Private wurde so zum Gegenstand öffentlicher Diskurse. 2.4 Exkurs: Kontrast zwischen Vergangenheit und Gegenwart An einigen exemplarischen Beispielen habe ich versucht die Wahrnehmungen der einzelnen in Bezug auf den “islamic resurgence“ wiederzugeben und nach relevanten Gesichtspunkten zu ordnen. Die kontinuierliche Repräsentanz der Veränderungen im Alltag zwingt die Einzelne zur zunehmenden Auseinandersetzung mit der eigenen Religion, der “Malayness“ und der Position als muslimische Frau. Die Erneuerungen der Gegenwart werden von den Frauen an der Vergangenheit, der Zeit der Jugendlichkeit, kontrastiert. Selten wurden von den Frauen Bewertungen oder kritische Anmerkungen gegeben, es schien als würden sie den religiösen “renewal“ annehmen und wie selbstverständlich in ihren Alltag integrieren. Muslim sein und die damit verbundenen öffentlichen Merkmale werden so für die einzelne zu Distinktions- und Identifikationselementen. Mit der auffälligen Präsens des Islam in der Öffentlichkeit wird zum einen Macht gegenüber den anderen ethnischen Gruppen demonstriert und zum anderen politische Entscheidungen auf Basis islamischer Moralvorstellungen legitimiert (vgl. auch Lee 1993, Fischer 2001). Die öffentlichen Charakteristika und das Unterstreichen der Veränderungen verstärken die Bedeutung einer exklusiven islamischen Identität. Die einzelne malaiische Frau ist somit eingebunden in einen festen religiösen Rahmen, der an sie Forderungen stellt, die von öffentlichen Symbolen intensiviert werden. Neben den oben genannten Veränderungen, wurden aber auch Veränderungen beschrieben, die aus einer anderen Richtung zu kommen scheinen. Veränderungen die im abstrahierten Sinn der westlichen Modernität zugeordnet werden können. Somit ergeben sich zwei Trends der Beschreibung des Kontrastes zwischen Vergangenheit und Gegenwart: Zum einen wie oben beschrieben, verbunden mit dem “islamic resurgence“ und zum anderen bezogen auf die 60 61 Interview mit H. Nach Fischer 2001: 8ff. 18 Modernisierung nach westlichem Vorbild. Aus dieser Unterscheidung resultieren auch die zwei Bedeutungsebenen von Islamisierung: auf der einen Seite als dynamische Kraft, die zur Transformation traditioneller Kulturen beiträgt und auf der anderen Seite als defensive Reaktion auf sozialen Wandel in Form von “westernstyle“ Modernisierung. Auf den zweiten Aspekt nimmt das folgende Kapitel bezug, welches sich mit den Beschreibungen und Ängsten der Frauen in bezug auf die Modernisierung im “westernstyle“ in Malaysia auseinandersetzt. 19 3. Die Modernität im “westernstyle“ oder die Frage nach der “dark outside world“ 62 Im folgenden liegt nun im Gegensatz zu dem vorangegangenen Kapitel der Fokus auf denjenigen Veränderungen, die von den Frauen mit westlicher Modernisierung verbunden werden. Dabei fließen in alle Unterkapitel Kategorien ein, die erst aus den Gesprächen und Interviews entstanden sind, mit einer Ausnahme: in 3.2 wird das Konzept der Westernisierung diskutiert, welches aus der Literatur abstrahiert und von mir bewusst in die Gespräche eingebaut wurde. Damit wollte ich die einheimischen Definitionen und Bedeutungen dieses Begriffes erfahren, um gleichzeitig seine Alltagsrelevanz zu überprüfen. An dieser Stelle wird die bisherige methodische Strategie, ähnlich wie in Kap.2.1, durchbrochen und mit einem theoretischen Konstrukt ins Feld gegangen, um die reaktionären Verhaltensweisen der Befragten daraufhin zu untersuchen. Vorwegnehmend, wird sich am Ende der Auseinandersetzung, ähnlich wie in Kap.2.1 in bezug auf den Begriff des Islamisierungsprozess, eine kritische Distanzierung zu diesem Begriff ergeben. Am Schluss des Kapitels (in 3.3) soll meine Rolle als fremde westliche Forscherin auf den Untersuchungsprozess genauer beleuchtet werden. Darin eingebettet ist das Induzieren von Irritationen durch die Fremdheit meiner Person und die Wirkung und Funktion meiner Person als repräsentative „Westliche“ und damit als konträrer Vergleichsmaßstab63 gegenüber den Frauen selbst. 3.1 Die Imagination des Westens oder die Frage nach den Ein-Flüssen64 Wenn ich nach Unterscheiden zwischen Malaysia und anderen Ländern gefragt habe, wurde als ausschließlichen Distinktionsmerkmal die Religion und die Religiösität genannt. Dem untergeordnet wurden Ausdrucksweisen von Religion, wie Denken, Kleidung und Essen. Daran wird explizit, dass Religion das Merkmal ist, was Verbundenheit und Gemeinschaft herstellt. Die westlichen Länder werden demzufolge als am unterschiedlichsten zu Malaysia wahrgenommen, da sie nicht dem islamischen Glauben und den damit verbundenen Regeln folgen. Die folgenden Differenzbereiche resultieren aus den Beschreibungen der westlichen Welt aus Sicht der malaiischen Frauen: die Frau und die ihr zugeschriebene Haushaltsarena, die Kleidersitten, die Familie und die Familienbindungen und Traditionen, v.a. in bezug auf die Essgewohnheiten. Die Bereiche decken sich mit denen, die als öffentliche Marker der „islamic resurgence“ in Malaysia identifiziert wurden. Die imaginäre westliche Frau wird den Beschreibungen zufolge als vollkommen konträr zur eigenen Position als malaiische Muslime dargestellt65 . “[...] maybe [one] different way [to European women] is – they are outgoing. But we are Muslims we are outcast […] we are not sociable, we don’t go out and drink, we don’t go tonight, we don’t go to discos. In KL they does, some Muslims, the younger one.”66 62 Begriff entnommen dem Interview mit M. Dabei habe ich es vermieden mich selbst als konträr zu den Befragten zu sehen. Diese Distinktion resultiert vorrangig aus den Verhaltensweisen und Reaktionen der Kontaktpersonen mir gegenüber (genauer in Kap. 3.3). 64 Der Begriff signalisiert, dass es zu Einströmungen kommt, aber unklar ist, ob, in welcher Weise und wie sie sich auswirken. 65 Siehe auch Sariönder 1999: 184. 66 Aus Interview mit M. 63 20 In der Position als immer sexy angezogen, welche respektlos mit ihrem Ehemann umgeht, fristet die westliche Frau eine unmoralische Existenz in den Vorstellungen der Malaiinnen. Voreheliche Beziehungen und sexuelle Kontakte sowie Scheidungen werden als nicht denkbar für die eigene Gesellschaft dargestellt und dabei gleichzeitig mit dem Etikett unmoralisch, unreligiös und “unhealthy“ deklariert. Jedoch erkennen sie alle an den Westen angelehnte Entwicklungen in Malaysia. Diese seien v.a. sichtbar in der “young and fun”67 Generation in den Großstädten. “The young people go out here and go out there and non marriage, couples stay together.”68 Als Generatoren, die westliche Lebensvorstellungen und –stile verbreiten, werden in erster Linie Fernsehen und Zeitschriften verantwortlich gemacht. „Last time our, our young generation they don’t know more about Britney Spears. And then now is the children watch in television and then see the pop video of Britney Spears with short clothes and navel can see, so they like it. Everywhere you can see some of Malay - Malay girls wear like that, so means influenced by the culture - US culture – western culture. But is – I see that is not good, that is injures our culture a lot, the religion of our culture.”69 Die Einflüsse, die die sogenannten Globalisierungskatalysatoren nach Malaysia bringen, werden als Gefahr und Bedrohung der eigenen Kultur und Religion wahrgenommen. Eine Informantin erzählt mir, dass eine typische Malaiin nicht fernsieht und keine Magazine liest, damit dies keinen schlechten Einfluss auf sie habe. Stattdessen ist ihre Aufgabe der Familie und v.a. den Eltern zuzuhören, und daraus ihre Informationen über die Welt zu erhalten. Eine etwas gemäßigte Variante dieser strengen Vorstellungen begegnete ich bei einer anderen Malaiin. Sie bekäme ihre Zeitschriften von ihrem Mann, der lese sie zuerst und im Anschluss habe sie dann die Möglichkeit sie zu lesen. Deshalb hat sie auch kaum die Gelegenheit Frauenzeitschriften zu erhalten, sondern ihr Zeitschriftenkonsum beziehe sich auf Wirtschafts- und Politikmagazine, wie “Asianweeks“ und “Star“. In einem Gespräch mit einer in den USA und in Großbritannien ausgebildeten Architektin erfahre ich, dass trotzdem die westlichen Magazine (Cosmopolitan, MarieClaire) bei den Malaiinnen sehr beliebt sind. Die Artikel seien fraulicher und beschäftigen sich nicht mit den traditionellen Themen, wie Familie, Kinder und Haushalt. Sie ermöglichen ihr eine klein wenig differenziertere Sichtweise und emanzipiere sie, berichtet sie mir. Diese Sichtweise ist bei ihr sicherlich verstärkt durch den fünfjährigen Auslandsaufenthalt, von dem sie selber sagt, dass er sie anders denken lasse als „die Frauen, die nie aus Malaysia herauskommen und dessen einziges Fenster nach außen das Fernsehen ist“70 . Trotzdem beschreibt sie, wie auch alle anderen Interviewten, dass sie wegen der gegenwärtigen Entwicklungen in Malaysia besorgt ist und Vorsicht gegenüber dem geboten ist, was nach Malaysia kommt. V.a. die Jugend soll davor bewahrt werden “to do unhealthy 67 Begriff stammt aus informellen Gespräch mit H. Aus Interview mit M. 69 Aus Interview mit M. 70 Übersetzung aus dem Interview mit S. 68 21 activities, which are not good for us“, erklärt mir eine andere. Unter “unhealthy“ wurden, wie oben schon kurz beschrieben, die Aktivitäten subsumiert, die im Sinne des Islam unmoralisch, unreligiös also als haram (verboten) gelten. Dem gegenüber stehen die moralisch erlaubten, im Sinne der muslimischen Prinzipien als halal71 angesehenen Aktivitäten. “[The] principles of Muslim they are different, we have the law of Muslim, we have to follow the way of a Muslim – principle of Muslim – the lifestyle of Muslim. We can not drink because the cost of drink is a lot, when you are drunk, we cannot wear sexy because this attract men, because of rapes. You are not save. In a lot of Muslim areas something that we have to follow.”72 Die Vorsicht und Skepsis gegenüber den als westlich deklarierten Einflüssen ist abhängig von der Mentalität des einzelnen. Daraus lässt sich auch die Sorge um die Jugend erklären. Als Heranwachsender ist man stärker als in anderen Lebensabschnitten auf der Suche nach Identifikationsmöglichkeiten. Sie erweisen sich als noch formbar, und darin liegt auch die Gefahr. Unabhängig von der Jugend fielen die westlichen Modernisierungsbestrebungen und ihre Auswirkungen noch bei der sogenannten “orang kaya baru“ (neue Elite) auf fruchtbaren Boden. Religiösität scheint hier unter dem Deckmantel von Materialismus und Individualismus verloren gegangen zu sein. Durch die immensen ökonomischen Möglichkeiten scheinen die wahren islamischen Werte hinter hedonistischem Konsum verschwunden zu sein. An dieser Stelle wird die zu Beginn des Kapitels 2 getroffene Leitunterscheidung noch einmal zum tragen kommen. Auf der einen Seite scheint der materielle klassische Gütermarkt eine so starke Anziehung auszuüben, dass auf der anderen Seite der spirituelle religiöse Konsum ins Hintertreffen gerät. Und genau davor warnte Mahathir in seiner Äußerungen zur neuen malaiischen Mittelklasse und der ihr offenstehenden Möglichkeiten73 . Es scheint so, als würden die globalisierte Jugendkultur und die “orang kaya baru“ die negativen Folgen von „Westernisierung“ sichtbar machen und somit als abschreckendes und gleichzeitig ermahnendes Paradebeispiel fungieren (vgl. Kiem 1993). Jedoch soll im folgenden, wie oben angekündigt zunächst der Begriff der „Westernisierung“ und seine einheimischen Definitionen betrachtet werden. 3.2 „Westernisierung“ Bedeutungsstrukturen – Ein Begriff in Konfrontation mit einheimischen Die Frage nach dem Verständnis von „Westernisierung“ rief bei vielen meiner Befragten Missbehagen hervor. Einige wehrten sich komplett gegen diesen Begriff oder entgegneten empört, soll das heißen wir sind „westernisiert“. In allen Fällen konnte ich eine negative Konnotation oder sogar Ablehnung des Begriffs erkennen. Meist waren die Bedeutungsstrukturen, die sie mit Westernisierung verbanden zwischen den Zeilen oder an anderen Stellen in den Gesprächen erfassbar. Sie wurden als Einflüsse aus der Umgebung beschrieben oder direkter als Beeinflussungen aus den westlichen Kulturen. Wie oben schon beschrieben, sahen die Frauen diese als Bedrohung oder Gefährdung ihrer eigenen Kultur und Religion an. 71 Zur Verwendung der Begriffe siehe S.1f. Aus Interview mit H. 73 Siehe Kap.1.2.1 72 22 In welchen Bereichen nehmen die Frauen der „neuen malaiischen Mittelklasse“ Einflüsse wahr und warum liegt die Gefahr einer Verletzung der Kultur darin? Die beschriebenen Arenen westlicher Einflüsse decken sich mit denen die in Kap.3.1 als am konträrsten zur eigenen Position und den eigenen Verhaltenskodexen wahrgenommen wurden. • • • • Haushaltsbereich Essgewohnheiten Familien und –bindungen Kleidung Wobei die Auflistung als Rangskala aufgefasst werden kann, bei der die Bedeutung und Tragweite der Einflüsse von oben nach unten zunimmt74 . Ein Grund dafür ist sicherlich darin zu finden, dass die Kleidung als am sichtbarsten und öffentlich wirksamsten einzuschätzen ist. Da die weiblichen Körperpolitiken Gegenstand des anschließenden Kapitels sind, verzichte ich an dieser Stelle auf die Darstellung des westlichen Einflusses auf die Kleidung und verweise auf Kapitel 4. Im Zusammenhang mit westlicher Modernisierung wurde an vielen Stellen die Beeinflussung des Haushaltsbereiches hervorgehoben. Technische Geräte, wie die Mikrowelle, erleichtere den Frauen die Arbeit, vor allem wenn sie tagsüber aus dem Haus sind, und deshalb die Zeit straffer zu organisieren ist. Traditionelle Kochgerätschaften, werden mehr und mehr durch europäische ersetzt und neben dem Gang auf den Markt ist es nun auch üblich bis zu dreimal wöchentlich in nahegelegene Supermärkte zum Einkaufen zu fahren. Frische Sachen, die zur Zubereitung traditioneller Gerichte, wie „malay ayam“75 , „kari ikan“76 oder „kurmah daging“77 , benötigt werden, kauften alle meine Informanten auf dem lokalen Markt. Andere Artikel, wie Putzmittel, Waschmittel also Haushaltsartikel erwarben sie im Supermarkt. Die Supermärkte sind vom Artikelangebot den westlichen Supermärkten sehr ähnlich, ansonsten lassen sich jedoch sehr viele Unterschiede herausstellen. Die Rollbänder an der Kasse sind so kurz, dass es kaum möglich ist, mehr als einen zum Viertel gefüllten Wagen auf einmal besorgen zu wollen. Ganz abgesehen davon, dass die Kassierer dem auch nicht gewachsen zu seien schienen. Man sah niemanden mit vollgepackten Einkaufskörben oder mit mehr als einer Tragetasche einkaufen gehen. Anscheinend wird der Supermarkt wirklich nur für bestimmte Artikel aufgesucht und v.a. Lebensmittel scheinen eher auf den Märkten besorgt zu werden. Viele Frauen beschreiben, dass sie sich in den neuen Supermärkten nicht wohl fühlen und das Angebot so groß sei, dass man gar nicht wisse, was man benötige. Dieser Eindruck widerspricht den Ergebnissen einer Fallstudie in Bandar Baru Bangi, einem Ort ungefähr 30km entfernt von meinem Erhebungsgebiet. Die Studie beschreibt, dass die Konsumenten die Auswahl in den Supermärkten genießen und keineswegs davon irritiert seien. Im Gegenteil die Vielfalt und die damit verbundene Befriedigung von Wünschen und Gefühlen seien probate Mittel, die die Auswahl eines Shoppingcenters hochgradig beeinflussen. (siehe Chai Yek Yin, 2001) 74 Einschätzung resultiert aus den Auswertungen der fünf Interviewtranskripte zu den jeweiligen Themen. Traditionell mit Curry gekochtes Huhn. 76 Fischcurry 77 Rind eingelegt in Kurmah und Kokosnussmilch. 75 23 Wie kann man diese Differenzen nun begründen: Eine Erklärung bietet das Antworten gemäß der sozialen Erwünschtheit. Vielleicht wollten die Frauen sich möglichst konträr gegenüber den als westlich konnotierten hedonistischem Konsumverhalten positionieren. Eventuell beabsichtigten sie damit ihren Widerstand gegen die Westernisierung auszudrücken. An dieser Stelle kann nur spekuliert werden, da ich nicht weiß, ob sie mir nur ein Sollbild ihres eigenen Anspruches oder ihr wirkliches Verhalten berichteten und ich auch ansonsten keine weiteren Anhaltspunkte gefunden habe, die die Aussagen in eine Richtung hin validieren würden. Vermutlich haben sie ihre eigenen Verhaltensweisen etwas abgeschwächt und in Richtung des gewünschten Verhaltens hin korrigiert, um eine Konformität zwischen ihren Aussagen herzustellen. Ein weiterer Aspekt, der sich in den letzten Jahren zunehmend verändert habe, sei das Essen. Fast Food Ketten pflastern das Straßenbild größerer Städte. Zunehmend integriert sich die westliche Esskultur in den Alltag der Malaien. An den Fast Food Restaurants stehen große Schilder, die das Essen als eindeutig halal deklarieren78 und so versuchen sie auch dem letzten die Scheu und Vorbehalte zu nehmen. Die Frauen meinten, sie meiden solche Lokale, da sie eher für Jugendliche konzipiert wären. Interessant ist zu bemerken, dass eine meiner Informanten vorschlug sich mit mir bei McDonald’s zu treffen. Dies beruht aber wohl eher auf der Scheu vor mir und der Tatsache eine fremde Frau zu sich nach Hause zu holen als darauf, dass es ein von ihr bevorzugter Ort sei. Alle Frauen waren aufgrund des zunehmenden Konsums von Fast Food Artikeln besorgt. Das traditionelle Essen wurde als ”real taste“ und “very delicious“ dem Essen aus solchen Fast Food Einrichtungen gegenübergestellt. Begründen taten sie ihre Vorbehalte und Bedenken unter dem Deckmantel der gesunden Ernährung. Eine homopatische Ärztin mit der ich Kontakt hatte, hob diesen Aspekt besonders hervor. Im Gegensatz zu den anderen bedeutete die Ablehnung des einen bei ihr nicht die Annahme des anderen. Auch im traditionellen malaiischen Essen sah sie Gefahren. So verweigerte sie sich zum Beispiel dem Kochen mit Kokosmilch, da diese aufgrund des Fettgehaltes das Herz zu sehr belaste. Mit dem gleichen Argument lehnte sie auch das traditionelle Frühstück nasi lemak 79 ab. Ein ähnliches Verhalten fand ich auch bei den anderen Frauen. Sehr selten war das Frühstück noch bestimmt von Reis, Anchovies und Curryhühnchen (nasi lemak). Vielmehr fanden westliche Produkte, wie Cornflakes, Milch und Toast Platz auf dem Küchentisch. Die Gründe dafür lagen meist in der wenigen Zeit, die sie morgens haben, um aufwendige traditionelle Gerichte zuzubereiten. So scheint, die zunehmende Partizipation der Frauen an außerhäuslicher Erwerbstätigkeit, einen Einfluss auf die private Esskultur zu haben. Diese Einflüsse unterscheiden sich von dem in Kap.1 beschriebenen Wandel in bezug auf das Essen, dort geht es in die Richtung einer neuen Bedeutungsgeladenheit des Essens. Essen wird zum Symbol und Hinweisreiz auf den “islamic resurgence“. Hier werden alte Bedeutungsstrukturen von Essen aufgelöst und durch andere ersetzt. So werden traditionelle Gerichte, welche aufwendig in der Herstellung sind, nur noch zu besonderen Anlässen der Familie serviert. Im Alltag werden eher schnelle und unaufwendige Gerichte bevorzugt. 78 Siehe auch Kap. 2.2.1 Traditionelles malaiisches Frühstück, bestehend aus Kokosmilchreis, Curryhühnchen oder gekochtem Ei, Anchovies, Erdnüssen und Gurken. 79 24 Obwohl sie sich an anderer Stelle dem Begriff „Westernisierung“ versperrte, bezeichnete eine Malaiin im Gespräch ihre Schwester als „westernisiert“. Diese sei aufgrund eines längeren Aufenthaltes in den USA dazu übergegangen mehr und mehr westlich zu kochen. Das Verhalten ihrer Schwester entschuldigend, verweist sie schnell darauf, dass ihre Schwester trotzdem sehr religiös sei. Daran erkennt man, dass die Kochgewohnheiten und das Essverhalten sehr dafür bestimmend sind, ob in Fremdbeschreibungen jemand als westlich modern bezeichnet wird, dies jedoch nicht mit dem Grad an Religiösität im Zusammenhang steht. Eine andere ebenfalls in Großbritannien ausgebildete Malaiin berichtet: “I don’t prefer western breakfast, my children do, because when they were little I was in UK. So when you were in UK they all eat cornflakes they not used to eat ‘Nasi Lemak’ however in the morning. They trained. They are more comfortable the western breakfast than the Malay breakfast. And maybe it’s not so spicy. That’s why they like it.”80 Es scheint so, als wurde zunehmend die westliche Esskultur in die malaiische integriert werden. Doch geschieht das meist nicht ohne innerfamiliäre Reibereien und Aushandlungsprozesse. So haben v.a. Familien deren Kinder die ersten Lebensjahre in westlichen Ländern verbracht haben es schwer diese vom traditionellen meist scharfen Essen zu überzeugen. Ein besorgter indischer Vater berichtete mir, dass seine Tochter aus dem Kindergarten heim komme und sage, sie wolle nun morgens auch Cornflakes und Toast essen und nicht mehr die gebratenen Nudeln, schließlich essen das die anderen Kinder auch. Ferner gilt also auch hier die größte Sorge der Jugend. Sie ist es, die die Wünsche nach Veränderung und sei es nur bezogen auf die Esskultur in die Familien hineintragen und damit mehr oder weniger den Anstoß für Wandlungsprozesse geben. Die Eltern selbst scheinen sich, so würde ich es betrachten, von diesem Verhalten erst mal zu distanzieren. So berichteten die meisten malaiischen Frauen, dass sie eigentlich das traditionelle Essen bevorzugen, sich aber aufgrund der Wünsche der Kinder und der Zeitersparnis fügen. Wie in Kap.2 schon diskutiert, scheint gerade das Essen ein wichtiger Identitätsmarker vom “islamic way of life“ zu sein. Wie passen beide dem Anschein nach gegensätzlichen Ergebnisse zusammen? Als erstes lässt sich ein elementarer Unterscheid für den in Kap.2 diskutierten und dem hier angesprochenen Aspekt herausstellen. In Kap.2 ging es um öffentlich sichtbare Symbole der “islamic resurgence“ und dabei nahm die Markierung des Essens als halal eine wichtige Position ein. An dieser Stelle geht es eher um den privaten und nicht-öffentlichen Konsum, der in eine entgegengesetzte Richtung zu gehen scheint. Wie oben schon angedeutet, bedeutet das eine jedoch nicht den Ausschluss des anderen. Sondern vielmehr, so hat es den Anschein wird den westlichen Essensprodukte ohne Probleme eine Integration in den privaten Raum durch die eindeutige Etikettierung als halal ermöglicht. So scheint sich an dieser Stelle, laut meines Datenmaterials keine Vereinbarkeitsproblematik durch verschiedene Verhaltensweisen aufzubauen. Ein anderer Bereich der aufgrund der zunehmenden Einbindung in den globalen Markt, dem ökonomischem Wachstum und durch die Konfrontation mit westlichen Idealen und Moralvorstellungen in den Wandel geraten zu sein scheint, sind die Familienbindungen. Dieser den Veränderungen unterworfene Aspekt bezieht sich zum einen auf die unmittelbare 80 Aus Interview mit S. 25 Verwandtschaft aber zum anderen auch auf die weitläufigeren Verwandtschaftsbeziehungen. War es in der Vergangenheit normal im kampung81 der Eltern auch nach der Heirat zu bleiben, so verlassen heute viele bereits vor der Eheschließung im Zuge der Ausbildung oder nach der Eheschließung das heimatliche Dorf. Bei vielen meiner Informanten, war die Sehnsucht nach der Geborgenheit und Hilfestellung durch die Familie im kampung sichtbar. Die meisten berichteten mir melancholisch, dass sie ihre Eltern und ihre Familie meist nur einmal im Jahr sähen oder wenn große Feste anstanden. Sie bezeichneten ihre Familienbindungen als nicht mehr so fest, wie sie früher einmal gewesen seien. Aber auch die Familienfeste und –zeremonien hätten sich verändert. Vor allem Hochzeitsfeste machen einen Prozess der Kommerzialisierung durch (siehe auch Talib, 2000). In der Vergangenheit wurden die Feste in den Dörfern der Eltern ausgetragen, das Essen wurde von Verwandten und Bekannten gekocht und die Feier dauerte meist drei Tage. Seit den letzten 10-15 Jahren wird nur noch die religiöse Zeremonie im Haus abgehalten, diese dauert dann nur einen halben Tag. Das Essen wird von Lieferservicen bereitet und riesige Zelte werden aufgebaut. Eine Feier sei umso besser, je mehr Menschen kommen und desto größer wäre auch das Ansehen der Familie, die feiere. Dies konnte ich am eigenen Leib erfahren, denn nichts ging in Malaysia schneller, als die Einladung zu irgendeiner Hochzeit. Steigerte man mit seinem Kommen als Westliche doch das Prestige und Ansehen der Feier und der Familie. Wie Talib treffend beschreibt: “The entire atmosphere at such a wedding would be a mixture of contemporary Western culture, the traditional culture of the Malays and Islamic religious practices. […] the couple would be in Malay traditional costume, or Western coat and tails and wedding gown, they would be accompanied by flower girls and the traditional drum beats, there would be the religious blessings and public announcement of the status and academic achievements of the couple.” (Talib, 2000 In: Beng-Huat (Edit.) 2000 p.48) Auch hier scheint es zu einer Überkreuzung kultureller Ausführungen und Praktiken zu kommen. Aus den vorangegangenen Darstellungen ergibt sich ein Bild, welches Irritationen, kommend mit der westlichen Modernisierung, beschreibt, Islamisierungsbestrebungen, die diesen genannten Irritationen und Einflüssen entgegengesetzt zu sein scheinen, aber auch Durchkreuzungsprozesse, die Elemente beider miteinander verbinden. 3.3 Exkurs: Kritische Reflexion meiner Position als westliche Forscherin Als wichtigen Aspekt für das Gelingen eines Interviews konstatiert Harry Hermanns in „Interviewen als Tätigkeit“82 , die Wahrnehmung des Interviewers als wer er selbst gesehen wird. Dieser Gesichtspunkt scheint bezogen auf meine Feldforschung besondere Relevanz zu haben. Zum einen habe ich eine auf das Geschlecht bezogene besondere Nähe zu meinen Informantinnen und zum anderen differenziere ich mich von ihnen. Markiert durch äußere Merkmale, wie Kleidung, Sprache und Verhaltensweisen zeige ich die Zugehörigkeit zu einer 81 82 Bahasa Melayu: Dorf In: Flick, Kardorff, Steinke (Hg.): Qualitative Forschung. ein Handbuch; Hamburg 2000, S.360-368 26 anderen Kultur und Religion an. Auch wenn ich versuchte in meiner Selbstdarstellung die Differenzen möglichst unauffällig zu halten, indem ich mich zum Beispiel dezenter und bedeckter kleidete, erscheint es mir unmöglich meine Ergebnisse losgelöst von meinem eigenen Wirken im Feld zu betrachten. Den systematischen Angelpunkt meiner Arbeit bildet die Art und Weise des Umgangs mit Differenz83 . Dabei erscheint mir neben den Befragten auch mein eigener Umgang mit der Fremdheit von entscheidender Bedeutung zu sein. Die eigene und die fremde Kultur wurden in den Gesprächen immer als zwei entgegengesetzte separate Gebilde konstruiert. Besonders deutlich wurde diese Denkweise in der dichotomisierenden Gegenüberstellung meiner Person, stellvertretend für die Frauen des Westens, gegen die Position der Befragten und ihrer Gemeinschaft. Diese homogene Beobachtungsperspektive oder wie Elka Tschernokoshewa (2001) es bezeichnet die „dichotome Optik“ macht Differenzen nicht sichtbar, sondern sie situiert das Andere und Fremde jenseits der Norm und jenseits der eigenen Gesellschaft. Wie in den beiden vorangegangen Kapiteln dargestellt, scheint es, als hätte ich teilweise die Exklusion meiner eigenen Person durch dichotomisierende Fragestellungen vorangetrieben. In manchen Situationen schien es den Frauen also gar nicht möglich der Konstruktion von Welt und Gegenwelt zu entfliehen. Die Frauen nahmen sich selbst als Vertreterinnen der islamischen (weiblichen) Gemeinschaft wahr und begaben sich deshalb während der Gespräche häufig in eine Verteidigungsposition bzw. unter Rechtfertigungsdruck. In Anbetracht der in der westlichen Welt vorherrschenden Stereotypisierungen von muslimischen Frauen, ein durchaus verständliches Unterfangen. Paradoxerweise erfolgte jedoch gleichzeitig damit eine Projektion von Stereotypen auf meine Position als westliche Fremde. Somit entstand ein Dilemma, was es hieß zu berücksichtigen. Ich versuchte dem Manko mithilfe der „doppelten Blickrichtung“, mit der ich Differenzen abwechselnd ernst nahm und an anderen Stellen versuchte sie außer Kraft zu setzen, entgegenzuwirken. Mit diesem für das Hybride empfindlichen Blick folgte ich HagemannWhite’s (2001) Versuch das Ambivalente, Heterogene und Dynamische an kulturellen Phänomenen zur Geltung zu bringen. Signifikante Momente dieser Vorgehensweise sind einerseits die offene und ausdrückliche Anerkennung von Differenzen, andererseits aber auch der Versuch Differenzen und Similarität, Andersheit und Gemeinsamkeit konzeptionell zu bündeln. Diesem Aspekt soll das folgende Kapitel Rechnung tragen, indem es systematisch versucht die Einteilung in Welt und Gegenwelt bzw. die Absolutheit homogen gedachter Gruppen zu durchbrechen und den Blick auf das Hybride richtet. 83 Siehe S.1f. 27 4. Der weibliche Körper Modernisierungsbestrebungen als Ebene der Aushandlung zweier In diesem letzten Kapitel soll zum einen dem in Kapitel 3.3 Angesprochenem Rechnung getragen werden, zum anderen soll es, die in den beiden vorangegangenen Kapiteln skizzierten Ebenen miteinander verbinden. Als mikrosoziologische Arena dieser Synthese dient der weibliche Körper.84 In Kap. 4.1 soll anhand eines Modells, welches aus dem Datenmaterial entwickelt wurde, die idealtypische Genese islamischer Erkenntnis und die körperpolitischen Auswirkungen beschrieben werden. Darauf folgend wird in Kap. 4.2 ein dritter hybrider Raum in bezug auf malaiisch muslimische Körperpolitiken identifiziert. Damit will ich zeigen, wie es den Frauen trotz aller Differenz gelingt, Verbindungen zwischen den zwei in Kap. 2 und 3 diskutierten Ebenen herzustellen. Diskutiert werden soll an dieser Stelle zum einen islamische Kleidung als Fashion Statement mit besonderem Fokus auf den baju kurung und das mini-telekung und zum anderen der Körper als Experimentierplattform unter besonderer Berücksichtigung des “mixed dressing“. 4.1 Drei Entwicklungsstadien islamisch religiöser Erkenntnis und ihre körperpolitische Relevanz Grundlage des folgenden Modells sind der von den Frauen beschriebene eigene religiöse Reifeprozess. Aus diesem lassen sich drei signifikant voneinander unterscheidbare Stadien herauskristallisieren. Die erste Phase wird zwischen dem 13. und 18. Lebensjahr verortet. In dieser findet der Eintritt in das Erwachsenenalter statt, welcher bestimmt ist durch biologische Veränderungen, wie die erste Menstruationsblutung aber auch dem Willen Erwachsenenrollen anzunehmen und damit neue Verhaltensanforderungen zu berücksichtigen. Es wird erwartet, dass folgenden Leitlinien in bezug auf die Kleidung gefolgt wird: “Clothes must be cover the aurat. They must be modest and decent. They must not to be transparent or thin. They must be feminine. They must not symbolize arrogance. They must not be an imitation of clothes of non-Islamic communities (those which show the aurat).” (Omar 1994: 27) Trotz dieser eindeutigen Richtlinien wurde in den Gesprächen immer wieder betont, dass es jungen Mädchen erlaubt ist zu tragen, was sie wollen. “First level is begin from the 13 come to 18 or 17 like that. We are very humane with children with girls especially girls. They can wear as they can and then not need to wear a tujung because they can choose, if they want use clothes /ahah/ you wear. It’s okay. They are not forced to wear clothes to the feed except palm and face.”85 Neben dieser vorgeführten Zwanglosigkeit, gilt jedoch für beider Geschlecht das Einhalten bestimmter Kleidervorschriften in der Schule. „Dazu gehört meist ein großes weißes Kopftuch, welches vorne und hinten bis zur Hüfte reicht, außerdem ein langarmiges weißes Oberteil, welches bis zu den Knien geht und ein türkisblauer langer Rock. Das Kopftuch verdeckt meist die komplette Stirn. Außerdem sind es keine wahren Tücher zum Binden sondern eher Überschlüpfe, 84 85 Zur genaueren Erläuterung und Begründung siehe Kap. 1.2.2. Aus Interview von M. 28 die man einfach nur über den Kopf zu ziehen braucht. Dazu tragen die Mädchen meist weiße Stoffschuhe.“ (aus FTB 19/07) Viele Mütter beschrieben mir jedoch, dass ihre Kinder sobald sie die Schule verlassen, die Kopfbedeckung abnehmen und in der Freizeit das tragen, was sie wollen. Bezugnehmend auf einen Artikel in der “New Straits Times“ berichtet Rahman: “I saw two couples in school uniform entering one of the emergency exits and re-appeared […] the girls no longer wearing their mini-telekung“(Rahman 1998: 15). Ähnliche Beobachtungen machte ich häufig nach Schulschluss in den oberen Unterhaltungsetagen der großen Einkaufszentren. Ob diese Freizügigkeit wirklich so toleriert wird, bleibt dahin gestellt, denn die Zahl der beobachteten Mädchen, die auf der Strasse “casual“ gekleidet waren, ist verschwindet gering gegenüber den denen, die den “islamic way of wearing“ praktizieren. Als “casual“ bezeichneten die Malaiinnen meinen Kleidungsstil und zogen ihn häufig, wie in 3.3 bereits angedeutet, als Vergleichsmaßstab heran. Es beinhaltet zum einen die sportliche und damit auch körperbetonte Komponente aber auch die Tatsache der fremden und damit unislamischen Kleidung, welche nicht die aurat bedeckt. Häufig wurde Kleidung dichotom eingeteilt in islamisch und westlich bzw. “casual“. Nach dieser Phase, die laut der Beschreibungen einzig und allein von den Wünschen der jungen Mädchen und den schulischen Kleidervorschriften bestimmt ist, folgt das Stadium, in dem die jungen Frauen schon mehr und mehr wissen sollten, was gut für sie ist. Nach dieser Erkenntnis sollten sie dann ihre Kleidung auswählen und die meisten entscheiden sich für die islamische Kleidung. Trotzdem so wurde mir berichtet, ist diese Phase noch häufig unterbrochen von Zeiten in denen doch eher die sportliche bzw. “casual” Variante bevorzugt wird. Grundsätzlich so scheint es, sollte jeder malaiischen Frau klar sein, warum sie bestimmte islamische Kleidercodes einzuhalten habe. Auch an dieser Stelle wurde von meinen Informantinnen immer wieder betont, dass niemand sie zum Anlegen langer Kleidung und der Kopfbedeckung zwingt, sondern dass das ihre freie Entscheidung ist, und mit dem größeren Verständnis des Islam zusammenhängt. “18 to 40 they can choose what they want to wear but after 40, like me. 40 to 60 until die most of the Malay like wear the Malay suite like Baju Kurung, Baju Kubaja and then they use scarf – majority. So nobody force them to wear but they like to wear […] The religion teach us, the religion educate us – follow […]”86 Da sich alle meine Befragten zwischen 38 und 45 Jahre alt waren, lassen sie sich alle diesem dritten Level zuordnen. Dieser Schritt bzw. “switch“, so wie die Frauen es nannten, wird als religiöse Selbsterkenntnis gesehen. Man selbst nehme sich jetzt als “pure islamic“ wahr, so berichtete mir eine. Große Bedeutung hat dabei die verstärkte Beschäftigung mit dem Koran. Der Koran wird häufiger gelesen und aus dem arabischen in Bahasa Melayu übersetzt. Damit versuchen die Frauen eine Malaiische Version der Überlieferungen Allahs zu erlangen. Sie berichten, dass sie nun wissen, was sie lesen. Aus diesen neuen Erkenntnissen entwickeln sich neue Sichtweisen und ein individueller “malay muslim way of life“. Erst in dieser Phase bildet sich eine volle malaiisch muslimische Identität heraus. In engen Zusammenhang steht dabei die Durchführung des bedeutendsten Ereignis im Leben eines Muslims, die Haj. Somit bezeichnet das dritte Level die höchste Erkenntnis und Hingabe an Gott und den islamischen 86 Aus Interview mit M. 29 Glauben. Dieser innere Erkenntnis geht einher mit der äußerlichen Veränderung des Kleidungsstils. „Dabei tragen die Frauen ein Kopftuch, welches sehr groß ist. Auf dem Rücken reicht es meist mit der Spitze bis zum Rücken. Auf der Vorderseite bedeckt es die komplette Brust und reicht bis zur Höhe des Bauchnabels. Diese Tücher sind meist einfarbig und werden unter dem Kinn mit einer pompösen goldenen Brosche zusammengehalten. Die Farbtöne der Tücher sind vielfältig, jedoch scheint es mir als würden die helleren weißen, beige, rosa und hellblauen Tönen gegenüber den dunkleren Tönen überwiegen. Die einfarbigen Kopftücher sind an den Ecken oft mit Goldstickereien verziert und ab und zu hängen an den Ecken goldene, weiße oder andersfarbige Kordeln. Die Frauen tragen dazu meist farblich passend den baju kurung. Dieser besteht aus einem langarmigen Shirt welches sehr weit sitzt, so dass man kaum Körperkonturen erkennen kann. Die Ärmel reichen bis zur Hälfte der Hände und das Shirt geht bis 1/3 über die Knie. Unten tragen die Frauen einen weiten, langen - bis zu den Knöcheln reichenden sarong. Das Shirt und der Rock sind meist aus dem gleichen Muster.’ (FTB 26/07) An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die in Kap. 2 getroffene Unterscheidung von “public view marker“ und “non-public view marker“ zurückkommen. Hier scheint der inneren Erkenntnis eine öffentlich wirksame Veränderung zu folgen. Die Frauen tragen ihre spirituelle religiöse Erkenntnis mittels der Kleidung als Symbol in den öffentlichen Raum. Die ”islamic resurgence“ scheint sich hier in bezug auf die Einzelbiographie der Frau und ihren Körper zu beziehen. Die religiöse Selbsterkenntnis konstituiert somit eine Islamisierung auf der Mikroebene. An dieser Stelle wird der weibliche Körper von den islamischen Frauen selbst in die öffentliche Arena eingebracht. Der Kleidungsstil wird somit zum signifikanten Marker der Religiösität einer einzelnen aber auch der ganzen Gemeinschaft. Der Körper wird bezugnehmend auf Kap. 2.3 aus der Privatheit herausgenommen und zum interaktiven Zeichensystem und Instrument in symbolischen Auseinandersetzungen, d.h. zum „öffentlichen Text“. (vgl. Hessling, Nökel, Werner 1999) Mit diesem oben beschriebenen Modell, welches als lineares Konstrukt in der vollen Hinwendung zum islamischen Glauben und dem Folgen der heiligen Schriften endet, wurden von den Befragten meiner Ansicht nach zwei Funktionen erfüllt: Zum einen sollte damit ein stimmiges rundes Konzept konstruiert werden, in das alle vorher gebrachten Informationen integriert werden. Zum anderen wurde damit versucht, die eigene Position zu rechtfertigen, und zu belegen, dass das eigene Kleidungsverhalten aus der Erkenntnis und dem größeren Verstehen beruht und nicht auf exogenem Zwang. Bedeutsamer erscheint mir der erste Punkt. In Kap. 3.1 wurde ausführlich von den Auswirkungen westlicher Modernisierungsbestreben auf die Jugend berichtet. Gerade sie scheint der „ideale Nährboden“ für die hedonistischen konsumeristischen und damit unislamischen Angebote zu sein. Mit diesem Modell aber geraten die als “unhealthy“ und kulturzerstörerischen Verhaltensweisen der Jugend in ein ganz anderes Licht. Zum einen erfahren sie mit dieser Erklärung Legitimierung, zum anderen deutet dieses Genesemodell an, dass die Hinwendung an Gott einem Verständnis- und Lernprozess unterworfen ist und die Jugend diesen Pfad der Erkenntnis erst noch vor sich hat. “You turn to understand and then you understand the reason why you have to wear all that [and] make it part of your lifestyle.”87 87 Aus Interview mit S. 30 Wie oben schon angedeutet, ist dieses Modell eher idealtypisch gedacht und soll keine umfassende Deskription der malaiischen Frauen liefern. Es wurde von meinen Befragten als Erklärungsmodell für ihre eigenen Verhaltensweisen und die anderer Malaiinnen herangezogen. Für mich bietet es einen Ansatzpunkt, von dem aus man Facetten, die in die Selbstbeschreibungen und Fremdbeschreibungen einfließen erkennen kann. Es kann als grober Trend in bezug auf die Körperpolitiken der malaiischen Frauen in verschiedenen Altersklassen verstanden werden. Mit dem folgenden Kapitel soll an einzelnen Aspekten Feinabstimmungen der körperbezogenen Selbsttechnologien untersucht werden. Diese sind bezogen auf das eben beschriebene idealtypische Modell Abweichungen, Modifikationen und Hybride. 4.2 Hybridisierte malaiische Körperpolitiken Wie mehrfach angedeutet, transportieren die kulturellen Ein-Flüsse auch immer Körperimages. Mit der Zunahme und Erweiterung der zur Verfügung stehenden bzw. abrufbaren Körperbilder und –diskurse scheint sich der Bedeutungsgehalt von Weiblichkeit und der zugehörigen Körperpolitiken auszudifferenzieren und auch innerhalb einer Lebensbiographie zu variieren88 . Neue Körperkonstruktionen im Sinne einer Hybridisierung scheinen möglich und werden als Anpassungsleistung in komplexen, v.a. differierenden Welten auch zunehmend gefordert (vgl. auch Hess und Lenz 2001). Mittels der gleichzeitigen Zusetzung von „westlich-modern“ oder „islamisch“ konnotierten Werten und Ideen, erfahren Körperpolitiken bzw. Körperkonstruktionen ihren selektiven Einsatz und/oder ihre taktische Umwertung. Anschließend soll an zwei Beispielen beschrieben werden, wie die Synthese zwischen islamischer Kleidung und Mode im malaiischen Kontext hergestellt wird. 4.2.1 Islamische Kleidung als Fashion – Statement Mode und islamische Kleidung erscheinen einem auf den ersten Blick als unvereinbar. Denkt man an islamische Frauen im Nahen Osten, so drängt sich einem das Bild einer „mysteriösen Sphinx“89 auf, welche in grau oder schwarz, von Kopf bis Fuß verhüllt ist. Es scheint so als würde sie eine Quasi-Uniform tragen, wobei jede einzelne das Replikat der anderen ist.(vgl. Beatrix 1999) Ein ganz anderen Eindruck erwecken die farbenfrohen Bekleidungen, genannt baju kurung, der Malaiinnen. “The [baju kurung] consists of a long tunic that reaches to the knee as a top, worn with a loose sarong skirting. The bright and vibrant colors of the baju kurung appear to be a form of resistance that emphatically stops the total ‘Arabinisation’ of Malay women’s clothing practices. Instead of appearing as a solid mass of black as do Arab women in public, the Malay women are defiantly bright and colorful. Orange, red, lime green, purple work to retain and reassert the colors of Southeast Asia as found in the classic batiks.”(Beng-Huat, 2000: 285) Kombiniert mit dem baju kurung tragen die Frauen entweder ein passendes einfarbiges oder das Muster des baju kurung replizierendes Kopftuch. Das Tragen der Kopftücher unterscheidet sich durch die mehr oder wenigere Strenge des Bindens. Eigentlich darf kein 88 89 Siehe Kap.4.1 Übernommen von Beatrix 1999: 3 31 Haar hervorgucken, jedoch scheint dies für die Frauen kaum praktikabel. In vielen Fällen ist das Kopftuch nur locker um den Kopf gebunden. Die verschiedenen Arten das Kopftuch zu tragen, zu binden oder mit Nadeln zusammenzuhalten, demonstrieren zum einen die soziale Absicht korrekt islamisch gekleidet zu sein, zum anderen erkämpfen sich die Frauen damit die Freiheit schön und „casual“ auszusehen. Das Symbol Kopftuch wird an dieser Stelle transformiert in ein modisch verwendbares Accessoir. Das v.a. bei den jungen Mädchen beliebte kleinere Kopftuch, auch mini-telekung genannt, ist ein weiteres Beispiel für die Verbindung von Mode und islamischer Kleidung. Die minitelekungs sind gerade so groß, dass sie die Haare bedecken. Sie zeigen zum einen, dass die Mädchen gewillt sind den Vorschriften des Islam zu folgen, d.h. das aurat zu bedecken, auf der anderen Seite bringen sie ein modisches Statement zum Ausdruck, welches Kreativität und Individualität symbolisiert. Nicht nur junge Malaiinnen versuchen mit dieser milderen Form der Kopfbedeckung modisches Bewusstsein zu reflektieren. In größeren Firmen ist ein sogenannter “casual“ Tag institutionalisiert, meist ist dies der Samstag, da dies nur ein halber Arbeitstag ist. So stellte ich an solch einem besagten Samstag in einem Architekturbüro fest, dass kaum einer gemäß der islamischen Kleideregeln erschienen war. Die meisten trugen über den Kopf nur einen lockeren teilweise auch transparenten Schal, Kopftücher waren kreativ geknotet und in grellen Farben und Mustern. Niemand trug den traditionellen baju kurung, sondern das Bild wurde bestimmt von lockeren Shirts und weiten Hosen. Die Röcke, die von den Frauen getragen wurden, waren figurbetonter als die sarongs, die sie sonst trugen, aber dennoch waren sie so lang, dass sie die Beine bis zu den Knöcheln bedeckten. An diesem Beispiel erkennt man, dass Mode bzw. westliche Modeideale durchaus einen Platz im Alltagsleben der Malaiinnen haben, auch wenn das Ausleben Einschränkungen durch religiöse Regeln erfährt. In den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erkämpfen sich die Frauen ein Terrain, auf dem sie entgegen der Homogenisierung Kreativität und Individualität walten lassen. Auch der baju kurung vereint zwei Bedeutungen, zum einen die aurat verdeckende islamische und zum anderen die individuelle modische Bedeutung. So ist es den Frauen möglich auf der einen Seite den islamischen Kleidervorschriften zu genügen, sich auf der anderen Seite jedoch von der Masse abzuheben und eine individuellen modischen Stil zu finden. Individualität wird dabei durch verschiedene Muster, Farben und Stoffe ausgedrückt. Besonders beliebt sind helle, farbenfrohe und blumige Muster. “You look beautiful with baju kurung especially when the color matches with the skin color. […] You can wear baju kurung everyday. Baju kurung is very variable I think sort of dress because you will never underdressed or out dress, anybody wear baju kurung in Malaysia. So if you wear you can wear baju kurung to the market, to the dinner, anywhere. It depends to the type of cloth, you can choose it from the most expensive one to the normal one.”90 An diesem Punkt wird deutlich, was ich Kap. 3.3 schon andeutete. Es werden zwei Ebenen miteinander verbunden, die sich zunächst in Differenz zueinander verhielten. Im folgenden sollen weitere Beispiele beleuchtet werden, die die Differenz in Hybridität aufweichen. 90 Aus Interview mit S. 32 4.2.2 Modische Experimente und Variationen des “mixed dressing“ Wie oben schon beschrieben, entstehen aus individuellen alltagsweltlichen Aushandlungen Modifikationen der im begrenzten Rahmen variablen religiösen Normen und Vorschriften. Die Frau befindet sich gerade aufgrund des Neuaufblühens des Islam auf einem Experimentierfeld, auf dem Regeln und Werte nicht einfach aus dem islamischen Zentrum91 übernommen werden. Vielmehr ist die malaiische Frau aktiv in den Prozess der ständigen Modifikation und damit an der Findung eines malaiischen Islam beteiligt. Treffend fand ich den von Amina Wadud-Muhsin (1995) verwendeten Begriff des „tropischen Islam“, der signalisiert, dass es nicht einfach zur Aufnahme und Replizierung der Islamisierungsbewegungen und –veränderungen des Nahen Ostens kommt, sondern wie eine Informantin beschrieb: ”we tried to get a Malay version“92 . Diesen Gedanken möchten ich mit meinen letzten Ausarbeitungen gerecht werden: Ich möchte darstellen, dass jede einzelne auf unterschiedliche Art und Weise versucht sich aus der homogenen Masse und damit auch aus der Anonymität herauspositioniert und damit einen individuellen “islamic way of life“, der an vielen Punkten modifiziert, neu gedacht oder ausgehandelt wird93 , entwickelt. Die malaiischen Frauen der neuen Mittelklasse stellen somit keine homogene Gruppe dar, sondern jede einzelne führt eigene Aushandlungskämpfe mit sich selbst und ihrer Umgebung und findet dabei mehr oder weniger große Nischen für sich und ihr Alltagsverhalten. Bereits zu Beginn meines Forschungsaufenthaltes wunderte ich mich über die vielen Kleidungsstücke in den Boutiquen und Warenhäuser, die ganz und gar nicht islamisch aussahen aber dennoch von Malaiinnen Beachtung fanden. Im Laufe meines Forschungsaufenthaltes zeichneten sich in den Daten drei Strategien im Umgang mit dieser eigentlich als westlich konnotierten „sexy“ Kleidung ab. Die erste offenbarte sich recht schnell: Häufig sahen sich die Frauen die Kleidung längere Zeit an, hoben sie hoch, hielten sie an ihren Körper und es sah aus, als würden sie um eine Entscheidung kämpfen. Nach einiger Zeit legten sie die Kleidung aber immer wieder hin und verließen den Laden. Wieder und wieder fiel mir auf, dass die Malaiinnen die besagte Kleidung zwar betrachteten, jedoch es so gut wie nie zum Kauf kam. Anscheinend genügt es den Frauen, sich der aktuellen Mode in Form eines Voyeurismus anzunähern, bei dem sie sich selbst als aktive Teilnehmerin heraushalten. Damit verharren sie auf der Ebene der stillen Beobachterin, was in keiner Weise den moralischen Wertmaßstäben der Religion widerspricht. Diese Taktik zeichnete sich auch häufig in den Gesprächen ab. Sie bezeichneten sich alle als modisch interessiert und sie hatten Freude daran sich die aktuellen Trends anzusehen, sei es in Frauenzeitschriften oder in den Boutiquen. Jedoch war kaum eine gewillt, diese auch zu kaufen, geschweige denn zu tragen. Begründet wurde dieses Verhalten mit den hohen Preisen der meist importierten Waren. Diese Legitimierungsstrategie hebt die anvisierten eigentlich als “unhealthy“ bezeichneten Artefakte vom Status des „westlichen“ und damit unmoralischen, auf den Podest des Besonderen. Das bedeutet für die Frauen praktisch, dass es zu besonderen Anlässen möglich ist das ersehnte Pailettentop oder die Pfennigabsatzschuhe doch zu erwerben. Mit dieser 91 Fraglich ist, ob die Unterscheidung von islamischen Zentrum und Peripherie überhaupt noch sinnvoll erscheint. Entgegen dessen soll der Begriff Zentrum an dieser Stelle dennoch Verwendung finden und von Diskussionen um die Tauglichkeit dieser Differenzierung abstrahiert werden. 92 Aus Interview mit M. 93 Diese verschiedenen Zeitpunkte, die neue Aushandlungen oder Veränderungen hervorrufen, können, wie in 4.1 beschrieben durch bestimmte Lebensverläufe oder –phasen, durch kritische Ereignisse oder einfach aus bestimmten Gefühlslagen herrühren. 33 Umdefinition werden somit alte Bedeutungs- und Zuordnungsstrategien durchbrochen und mit neuen Aspekten beladen. So wird die Beschränkung der Kaufkraft zur neuen Schnittmenge im Aushandlungsprozess, vor dessen Hintergrund die neuen Aushandlungsprozesse die alte Bedeutungsgeladenheit des, ich bezeichne es noch mal als, Artefakt fast in den Hintergrund geraten. Es kommt also zur Überlagerung von Bedeutungsstrukturen, welche den Frauen neue Sinnzuschreibungen ermöglichen. Eine zweite Strategie, die die Implementierung westlicher Kleidung in den eigenen islamischen Kontext ermöglicht, ist mit dem Ausspruch “I wear double“ erkennbar. In der öffentlichen Arena tragen die Frauen blickdichte, nicht anliegende, aurat bedeckende Kleidung. Unter dieser Kleidung befindet sich jedoch, wie mir mehrmals eindrucksvoll demonstriert wurde, ein sogenanntes „sexy“ Outfit. Diese kurzen, engen Röcke und Hosen sollen, wenn die erste Lage verschwindet den eigenen Ehemann sexuell stimulieren. Dies möchte ich kurz an einem Interviewausschnitt94 illustrieren: I95 : M96 : I: M: I: M: I: M: I: M: I saw women wearing a small scarf and they wear jeans and t-shirt (interrupted) It is not allowed for a Muslim. I mean this is only fashion. If you are a Muslim you are bad. Mean long dress and nothing to see and long scarf. And this means if you want to be a good Muslim you always have to wear long dress, e.g. baju kurung and no pants or short tight skirts? Sometimes I wear double. I wear pants under. Oh, I think it is very hot isn’t? I went shopping, I went working and at home I open it. Just to cover my body. Distract people not when you wear baju and under you wear tight jeans, skirt.. sexy. [Baju] is short-less shine-less. That’s what you wear. (zeigte mir, was sie unter dem baju trug) No transparent material in the public? You can but you have to wear double. Oh it is very hot. We all believe this: ‘Hot here, in hell is more hotter.’(laughing) […] We know it is hot but we all believe it is hotter in hell. It is okay. Is hot here but when we follow the forbidden of god good luck, good earth. When you don’t feel hot you don’t care. An diesem Punkt wird deutlich wie einzelne Elemente aus der westlichen Hemisphäre der imaginären globalen Topographie in die islamische Hemisphäre transportiert werden und dabei gleichzeitig neu übersetzt werden (vgl. Werner 1997; Klein-Hessling 1999). Das bedeutet, dass westliche Artefakte, wie hier die enge Jeans oder der Minirock zum Erotisierungs-Instrument der Frauen rationalisiert werden, und dabei all ihrer anderen ästhetischen, praktischen oder ideologischen Aspekte in den Hintergrund geraten. Als solch umdefiniertes Objekt wird es gezielt in den eigenen Lebensalltag der Frauen integriert. Zum einen sind sie dazu angehalten in der Öffentlichkeit dezent und bedeckt aufzutreten um durch ihren Sexappeal keine soziale Unordnung zu bewirken. Zum anderen sind sie dazu aufgefordert erotische Kleidung im privaten Bereich zu tragen, um ihre Ehemänner zu erfreuen. Das heißt, es wird nicht die Kleidung an sich als „unmoralisch“ oder „westlich“ gesehen, sondern vielmehr wird sich um eine situative und pragmatische Benutzung dieser 94 Aus Interview mit M. I = Interviewer 96 M = Interviewte 95 34 Artefakte bemüht. Das bedeutet, wie schon mehrfach angedeutet, für die Frauen, ein ständiges Ausbalancieren an Grenzen. Es müssen sich Praktiken entfalten, die die ständige Reflexion und Rationalisierung der eigenen Position leisten und die Übersetzungsleistungen damit kontrollieren und legitimieren. Es geht um ein dauerndes Abtasten von Differenzen und der Verortung der eigenen Position und des Körpers in diesem Prozess. Von den Frauen werden eigene Modi der Zuordnung entwickelt die zu Handlungsanweisungen unter der Prämisse ”can“ und “cannot“ hochgerechnet werden. Oder anders: Die malaiische Frau befindet sich in einem ständigen Balanceakt zwischen den Bewertungskategorien halal und haram. Die Frauen, die ich interviewte, versuchten jede auf ihre Art Alltagshandlungen auf Grundlage dieser Dichotomie auszuhandeln und mittels Legitimierungsstrategien, situativer oder pragmatischer Nutzung von Bedeutungsebenen das Dilemma zu lösen. Entgegen meiner Vermutung kommt es dabei nicht zu einem Spannungsfeld, sondern das Dilemma wird umfunktioniert zu einem Experimentierfeld, in dem wie oben angedeutet, Frauen ihre Kreativität walten lassen. Diese verschiedenen Strategien bezeichne ich mit einem aus den Interviews entnommenen Begriff als “mixed dressing“. Mit diesem stelle ich zum einen noch mal explizit den Feldbezug her, zum anderen signalisiert er meine theoretisch konzeptionellen Bezugssysteme, welche in der anschließenden Schlussbetrachtung in einem Strang zusammengeführt werden sollen. 35 5. Von Kontrastierung zu Hybridisierung oder die Frage nach der Vereinbarkeit von Unvereinbarem: Schlussbetrachtungen Mit meinem Bericht habe ich versucht, einen Beitrag zur Diskussion um Modernisierungsschübe und deren Veränderung im alltagsweltlichen Kontext, zu leisten. Ausgangspunkt war dabei die Annahme, dass Modernisierung nicht ein vom Westen ausgehender homogenisierender Prozess ist, sondern nur ein in multiplen Modernitäten gedachtes Modell den Realitäten gerecht wird. Malaysia identifizierte ich, ausgehend von diesen Überlegungen als Ort an dem verschiedene, in Teilaspekten konkurrierende Modernisierungsbestrebungen aufeinandertreffen. Als geeignete Mikroebene zur Identifizierung von Umgangsweisen mit diesen verschiedenen Kräften erwies sich die neue malaiische Mittelklasse. Sie ist zum einen in die ideologischen Diskurse der neuen Islamisierung in Malaysia eingebunden, zum anderen werden an sie neue Identifikationsmöglichkeiten durch den zunehmenden materiellen Wohlstand und der Nähe zur neuen Konsumkultur herangetragen. Die Fragestellung, die mich daraufhin während meines Forschungsaufenthaltes leitete, war: Wie werden die einzelnen Positionen verhandelt und welche Aushandlungsstrategien entstehen an den Schnittebenen? Die Frauen der neuen malaiischen Mittelklasse stellte ich ins Zentrum meiner Forschung. Gründe dafür, sind ihre Bedeutung in den ideologischen Diskursen, in denen sie und v.a. ihr Körper zu den Austragungsorten der Islamisierungsbestrebungen werden, die den als westlich konnotierten Bestrebungen entgegengesetzt scheinen. Dies bildet die Grundlage für mein „sampling“ und es ergab sich folgende Forschungsfrage: Wie nimmt die einzelne die verschiedenen Bestrebungen und Entwicklungen wahr, wo verortetet sie sich selbst und welche Elemente finden Eingang in ihre Selbstbeschreibungen? Als zweiten Teilaspekt interessierte mich der individuelle Umgang und die Aushandlungsprozesse, die durch die Differenz in Gang gesetzt werden. Besondere Relevanz legte ich dabei auf die Körperpolitiken der Malaiinnen. Im zweiten Kapitel versuchte ich die Wahrnehmungen der malaiischen Frau in bezug auf den ”islamic resurgence“ darzustellen. Dabei identifizierte ich die neuen Sensibilisierungen für islamische Diätregeln und islamische Kleidervorschriften als “public view“ Marker. Diese öffentlich wirksamen Markierungen der Islamisierung beeinflussen die Subjektpositionierungen und Identitätskonstruktionen der Frauen nachhaltig. Zum einen ist eng damit, die Frage verbunden: “How to be a good Muslim women“ verbunden, zum anderen erscheinen mir jegliche Aspekte der privaten Sphäre herausgehoben und in einen öffentlich ideologischen Diskurs gestellt. Im nächsten Schritt (Kap. 3) habe ich die Konstruktionen und Imaginationen der Frauen über den Westen, an den Ergebnissen des vorangegangenen Kapitels kontrastiert. Auffällig ist dabei, dass genau die Aspekte des Westens als different zum eigenen Selbst wahrgenommen werden, die im Zuge der “islamic resurgence“ an Bedeutung gewonnen haben. Weiterhin scheint es, als würden die Islamisierungsbestrebungen in den Bereichen verstärkt, die im Zuge einer nach westlichen Idealen strebenden Modernisierung als am beeinflussbarsten dargestellt werden. In Kapitel 4 versuchte ich die beiden vorher beschriebenen Ebenen zusammenzuführen. Gegenstand meiner Synthese war dabei der weibliche Körper und die Körperpolitiken. Mithilfe einiger exemplarischer Beispiele versuchte ich die Vereinbarkeit von zunächst 36 Unvereinbarem darzustellen. Aus den unter dem Begriff ”mixed dressing“ subsumierten Beobachtungen ergab sich ein Bild von Vermischung- und Durchkreuzungsprozessen. Auf einem Experimentierfeld lösten sich teilweise differente Bedeutungsstrukturen in hybride Formen auf. So partizipieren die malaiischen Frauen mithilfe ganz unterschiedlicher Strategien an einer umdefinierten Modewelt und machen sich Teilaspekte dessen zunutze. Diese Prozesse sind auf der einen Seite der Homogenisierung des arabischen Islams entgegengesetzt und führen dabei auf der anderen Seite zu einer Malaiischen Version des Islams. Mit Hilfe der Zauberformel „Hybridität“ versuchte ich den Grenzüberschreitungen Rechnung zu tragen. Trotz aller vorher dargestellter Differenz scheint jede einzelne ein Repertoire an Möglichkeiten und Strategien zu entwickeln, um die scheinbar widersprüchlichen Welten miteinander zu verknüpfen. Von Interesse ist, neben der von den Frauen vorgenommenen homogenisierenden Darstellung von Christlichem Abendland und Östlichem Islam, der Punkt an dem der Blick das Hybride erfasst - der Raum in dem differenzenüberwindende Selbstverständnisse zum Vorschein kommt und Bruchstellen ungeahnte Synthesen hervorbringt. 37 Literaturverzeichnis Appadurai, Arjun: Disjuncture and difference in the global cultural economy. In: Featherstone, Mike (ed): Global culture. Nationalism, globalization and modernity. 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