Sonjas Facharbeit - Abitur 2000 in Aschaffenburg

Transcrição

Sonjas Facharbeit - Abitur 2000 in Aschaffenburg
F RIEDRICH – D E S S A U E R – G Y M N A S I U M ASCHAFFENBURG
Kollegstufe 1998/2000
Leistungskurs: Deutsch
FACHARBEIT
T HEMA :
Die unterschiedliche Darstellung des Unheimlichen
und Horrorhaften zu verschiedenen Zeiten unter
besonderer Berücksichtigung des Doppelgängermotivs: E.T.A. Hoffmanns „Die Elixiere des Teufels“
im Vergleich mit Stephen Kings „The dark half“.
Verfasser Sonja Lux
Tag der Ablieferung 01.Februar.2000
Kursleiter StRin Karin Gruca
Bewertung
Punkte (verdoppelt)
Note
___________________________
Unterschrift des Kursleiters
Die unterschiedliche Darstellung des Unheimlichen und Horrorhaften zu verschiedenen Zeiten
unter besonderer Berücksichtigung des Doppelgängermotivs: E.T.A. Hoffmanns „Die Elixiere
des Teufels“ im Vergleich mit Stephen Kings „Stark - The Dark Half““ .
Gliederung
A Einführung
B Vergleich der beiden Bücher „Die Elixiere des Teufels“ von E.T.A. Hoffmann und „Stark –
The Dark Half“ von Stephen King, unter besonderer Berücksichtigung des Doppelgängermotivs
I Inhaltsangaben
I.1 Die Elixiere des Teufels
I.2 The Dark Half
II Die Hauptcharaktere in ihren verschiedene Erscheinungsformen
II.1 Medardus
a) Der klerikale Medardus
b) Der weltliche Medardus
c) Der vom Wahnsinn besessene Medardus
II.2 Viktorin, der Doppelgänger des Medardus
a) Der Liebhaber der Gräfin
b) Der vermeintlich ermordete Viktorin
c) Der geisteskranke Viktorin in der Rolle des Medardus
d) Der Halbbruder des Medardus
II.3 Thad Beaumont
a) Äußeres Erscheinungsbild
b) Das Kind Thad ; Thad als Ehemann und Vater
c) Der Schriftsteller Thad
II.4 George Stark
a) Äußeres Erscheinungsbild
b) Der Schriftsteller Stark
c) Der Mörder Stark
III. Gemeinsamkeiten in der Konzeption des Doppelgängers
III.1 zeitweiliger Identitätsverlust als Zeichen des Übergriffes der Doppelgänger
a) Wahnsinnsanfälle Medardus‘
b) Tranczustände Thads
III.2 Aufspaltung einer Person in die „gute“ und die „böse“ Hälfte
III.3 Die Schuldverhältnisse – Schuld der bösen Hälfte erweist sich auch als Schuld der
guten Hälfte
III.4 Die Isolation der Protagonisten durch das Auftreten des Doppelgängers –
Zerstören persönlicher Bindungen (Aurelie/Elizabeth)
a) Unmöglichkeit der Ehe Medardus/Aurelie auf Grund der Schuld Medardus‘
b) Zusammenbruch der Ehe Thad/Liz auf Grund der Begegnung zwischen Liz und Stark,
der dunklen Seite Thads
IV Unterschiede in der Konzeption des Doppelgängers
IV.1 Die Rechtfertigung des Auftretens des Doppelgängers
a) Viktorin als der reale Halbbruder
b) Stark als Inkarnation einer Fiktion
IV.2 Die Art des Doppelgängers
a) Viktorin und Medardus als körperliche Doppelgänger
b) Stark und Beaumont als geistige Verwandte – Konzeption eines erweiterten
Doppelbewusstseins
IV.3 Das Verhältnis der Protagonisten/des Lesers zu den Doppelgängern
a) Unklarheit in Bezug auf die Herkunft und die Identität des Viktorin bei Medardus
b) Gleicher Informationsstand des Lesers bedingt durch den Ich-Erzähler
→ Weiterentwicklung des bloßen Horroromans zu einer psychischen Fallstudie
c) Absolute Information über die Herkunft und die Identität mit Stark bei Thad
d) Komplette Information des Lesers; zusätzliche Information über die Aktivitäten Starks auf
Grund des häufigen Standortwechsels des Erzählers
→ Aufbau von Spannung durch den ermöglichten Blick „hinter die Kulissen“
IV. Die Klärung der Schuldfrage mit Hilfe des Doppelgängers
a) Aktive Schuld Starks – passive Schuld Thads; bedingt durch die strikte Aufteilung des
Guten und des Bösen auf zwei Personen
b) Aktive Schuld Medardus‘ bedingt durch die Aufspaltung in eine gute und eine böse Hälfte
innerhalb seines Selbst
IV.5 Die Authentifizierung des Romans, durch die Authentifizierung des Doppelgängers
a) Versuch einer sachlichen, faktischen Erklärung bei Hoffmann trotz des
phantasitschen Anspruchs des Roman
b) Mystifizierung und supranaturale Erklärung bei King, jedoch Einbettung in eine
realistische Umwelt
V Epochenbezug und Deutung im Bezug auf den Autor und dessen persönliche Situation
V.1 Hoffmann und die schwarze Romantik
1.1 Aufgreifen persönlicher Erfahrungen
a) die Hochbegabung des Medardus
b) das wilde Leben des Medardus als Analogie zu seinem eigenen Treiben
c) die Lebensgeschichte eines Bamberger Paters
1.2 Aufgreifen epochentypischer Motive
a) Der Wunsch des Medardus den engen Fesseln des bürgerlichen Lebens zu
entkommen
b) Die Elixieren als Analogie zu den Alkohol/Drogen – Experimenten der Romantiker
V.2 Stephen King und zeitgenössische Literatur;
2.1 persönliche Aspekte
a) Verwendung autobiographischer Elemente
b) Einfache sprachliche und strukturelle Gestaltung als Kennzeichen eines
Trivialliteraten
c) eventuell: Thad als Autor im Vergleich zu stark
2.2 zeittypische Aspekte
a) Detaillierte Konstruktion eines typisch-zeitgemäßen Umfeldes unter Einbezug der
aktuellen Gesellschaftsproblematik
a) Identitätskrise und Persönlichkeitsspaltung als typischer Aspekt des ausgehenden
20.Jahrhunderts
V.3 Frage nach der Selbstbestimmung des Menschen in beiden Büchern
C Fortführen des psychologischen Problems des Doppelgängertums und des Doppelbewusstseins in dem
Buch „Fight Club“ von Chuck Palahniuk
3
Brainstorming zum Begriff des Doppelgänger
Ich, Individuum, Person
Mit dem Begriff Doppelgänger assoziiert eine Vielzahl der Menschen eine
ganze Gruppe von Begriffen, angefangen bei „Zwilling“ und „Geschwistern“
– also Begriffe, die in Gedanken einen ähnlich belegten Sinneseindruck ent stehen lassen – bis hin zu Persönlichkeit und Individuum; hier wird die neg ative Entsprechung betrachtet 1. Da es oft leichter ist etwas zu verstehen, wenn
man bereits weiss, was es nicht ist, soll hier zunächst die Bedeutung der Begriffe des Ichs, der Persönlichkeit und des Individuums erklärt werden.
Als „Ich“ betrachtet man den „sich selbst bewußte[n] Ursprung und Träger
aller psychischen Akte (Denken, Wahrnehmen, Fühlen, Handeln) des Indiv iduums, in denen dieses sich selbst als kontinuierliches, identisches Selbst erfährt und von der Umwelt unterscheidet.“ 2 Es ist also wichtig sich von der
Umwelt zu unterscheiden, um als Ich gelten zu können und somit ein eigenständiges Individuum zu sein. Das Wort Individuum wiederum definiert sich
als „das Einzelwesen, das in sich geschlossen unteilbar ist; v.a. der Einze lmensch, im Unterschied zum Kollektiv, der Gesellschaft von Individuen.“ 3.
Überträgt man dies nun auf Zwillinge, so ergeben sich bereits die ersten Probleme: Wenn es für die Umwelt bereits ein Problem darstellt, zwei Menschen
optisch zu unterscheiden, so ist es auch ein Problem, sie als Individuen wahrzunehmen. Genauso müsste man zwei Personen, die auf ähnliche Art und
Weise denken, fühlen, handeln und wahrnehmen, ein gleiches Ich zusprechen,
womit sie auch nicht als Individuum gelten dürften. Der Begriff der Person
vereint in seiner psychologischen Auslegung beide Begriffe: „[D]er Mensch als
Individuum in seiner leiblich–seelischen Ganzheit und mit dem Vermögen
eines sich selbst bewussten Ich ausgestattet“ 4. Eine Person, die sich also in
ihrem Denken gespalten fühlt, wie dies beispielsweise bei Schizophrenen der
Fall ist, vereint keine seelische Ganzheit in sich. Auch bei Zwillingen kann
diese seelische Ganzheit oft nur dann gefunden werden, wenn sie sich zusammen befinden, da eine Trennung bei ihnen ein Gefühl der „Halbheit“ auslösen
kann. Darf man ihnen also deswegen die Bezeichnung „Person“ absprechen?
Eine schwierige Entscheidung, da sich hier entweder aus einer Person mehrere
ergeben (Schizophrenie) oder sich mehrere Personen zu einer ganzen vereinen
(Zwillinge). Nach der Definition müsste die gestellte Frage also mit Nein be antwortet werden.
Deutlich wird hier nur eins: Der Begriff des Doppelten lässt sich nur schwer
mit dem Begriff des Individuums vereinbaren. Da aber gerade das Bewusstsein
ein Individuum zu sein etwas Grundlegendes für das Bewußtsein des Men1
Die hier genannten Begriffe stellen einen repräsentativen Teil der Antworten dar, die sich aus einer
Umfrage in meinem Freundes- und Bekanntenkreis zum Begriff des Doppelgängers ergaben.
2
Brockhaus 392
3
Großes Lexikon 406
4
Brockhaus 736
4
schen ist, wird klar, dass sich aus solchen Verdoppelungen leicht psychische
Probleme für die betroffene Person ergeben. Diese Angst, nicht als Individ u um wahrgenommen zu werden, bzw. seine Persönlichkeit zu verlieren, ist psychologisch bei vielen Menschen so verankert, dass es sich viele Autoren, ge rade im Genre der Horrorliteratur, geschickt zu Nutze machen um dement sprechende Effekte zu erzielen. Dies zeigt sich bei E.T.A. Hoffmann wie auch
bei Stephen King, zwei Autoren, die trotz völlig des unterschiedlichen zeitl i chen Umfelds beide eine ähnliche Thematik anschneiden, und denen es damit
gelingt zwei Bestseller zu schreiben.
I.1 Inhaltsangabe „Die Elixiere des Teufels“
Der Roman „Die Elixiere des Teufels“ von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann erschien erstmalig 1815 in Berlin. Es handelt sich hierbei um die fiktive
Lebensbeichte des Mönches Medardus, der sich unversehens in einer von Inzucht und Sünde geprägten Familie wiederfindet.
Der junge Mönch Medardus ist mit der Überwachung der Reliquien in seinem
Kloster betraut. Als er eines Tages aus einer Flasche trinkt, die jene berühmten Elixiere des Teufels enthalten soll, wird in ihm das Verlangen nach weltlichen und sinnlichen Genüssen geweckt, das durch das Liebesbekenntnis einer
beichtenden Frau verstärkt wird. Um ihn für das kirchliche Leben zurückzugewinnen, schickt ihn der Abt auf eine Reise nach Italien, zu der sich Medardus auch – mit der Flasche im Gepäck – aufmacht. In der Nähe eines Schlo s ses trifft er auf den Adeligen Viktorin, der sich als Kapuziner verkleidet, anschickt die Baronin Euphemie, welche seine Geliebte ist, zu besuchen . Durch
eine Ungeschicklichkeit Medardus‘ stürzt Viktorin in einen Abgrund, worauf
sich Medardus seiner statt aufmacht an den Hof der Baronin. Durch seine ungeheure Ähnlichkeit findet er auch umwendend Zutritt und unterhält zukünftig nicht nur die Beziehung zu Euphemie weiterhin aufrecht, sondern schickt
sich auch an, deren Stieftochter Aurelie zu verführen. In einer Nacht überschlagen sich die Ereignisse, und Medardus tötet sowohl Euphemie als auch
Hermogen – Aurelies Bruder – und flieht vom Schloss. In der Zeit, die er dar auf als Adeliger getarnt bei einem Förster verbringt, wird er mit seinem Doppelgänger, einem Wahnsinnigen, konfrontiert, in dem er den vermeintlich to ten Viktorin erkennt. Dieser verfolgt ihn nun während der weiteren Handlung
kontinuierlich. Medardus gelangt alsbald, immer noch in der Verkleidung ei nes Adeligen, an einen Fürstenhof, wo er durch glückliche Zufälle wiederum
aufgenommen wird. Als Aurelie, die ebenfalls an dem Hofe weilt, den Mörder
ihres Bruders erkennt, erstattet sie Anzeige. aber gerade im letzten Moment
gesteht der verrückte Doppelgänger die Tat, was Medardus die Freiheit und
die Liebe Aurelies beschert. Die geplante Hochzeit wird allerdings nie ausg e führt, da Medardus in einem Anfall von Raserei am Hochzeitstag seine Braut
zu erstechen versucht und danach in die Wälder flüchtet.
5
In einem Kloster wird er schließlich von seiner Raserei geheilt, und es beginnt
eine Zeit der Buße in Rom. Im Verlauf seines Aufenthalts erhält er auch Einblick in Papiere, die die Verwicklungen seiner Familie und den Fluch, der auf
ihr lastet, ausführlich erklären. Ebenfalls wird ihm hier zum ersten Mal bewusst, dass er um ein Haar seine Halbschwester – Aurelie - geheiratet hätte
und seinen Halbbruder im Schloss der Gräfin getötet hat. Als er wieder in
sein Heimatkloster zurückkehrt, wird er Zeuge der Einkleidung Aurelies, die
dadurch ihre Familienschuld aussöhnen möchte. Noch am Altar nach Vollzug
der Zeremonie stürzt der verrückte Doppelgänger in die Kirche und ersticht
Aurelie, die daraufhin zur Heiligen Rosalia erklärt wird. Medardus erhält als
Bußübung die Aufgabe, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, und stirbt ein
Jahr später kurz nach Vollendung dieser am gleichen Tag des gleichen Monats
wie Aur elie.
I.2 Inhaltsangabe „The Dark Half“
Das Buch „The Dark Half“ von Stephen King erschien erstmalig 1989 in New
York. Auch hier findet sich die Doppelgängerthematik, und ebenso wie bei
Hoffmanns Werk eine schnell wachsende Leserschaft. Der Schriftsteller Thad
Beaumont sieht sich nach der Bekanntmachung seines Pseudonyms George
Stark auf einmal von der Inkarnation eben dieses bedroht. Stark offenbart
sich als seine dunkle Hälfte, und fordert von Thad die Fortsetzung der Arbeit
unter seinem Namen, ein Vorschlag auf den Thad unter keinen Umständen
eingehen will.
Die Geschichte beginnt mit der Vorstellung des Protagonisten Thad Bea umont und dessen Kindheitsgeschichte. Im Alter von elf Jahren wurde bei ihm
ein Hirntumor entfernt, der sich als Überreste eines Zwillings herausstellte,
welcher von Thad im Mutterleib absorbiert wurde (ein biologischer Vorgang,
der zur natürlichen Selektion gehört). Im Vorfeld der Operation sah Thad auf
Grund dieser Geschwulst immer wieder Sperlinge, und hörte das Geräusch
eines auffliegenden Vogelschwarms.
Sprungartig wechselt die Geschichte in das Erwachsenenleben des Thad, wo
er nun verheiratet und selbst Vater von Zwillingen ist. Thad ist Schriftsteller
und hat soeben sein Pseudonym, unter dem er äußerst erfolgreich Horrorromane verfasste, öffentlich bekannt gemacht, um sich nun wieder einem Werk
unter seinem eigenen Namen zu widmen. Zusammen mit einer Journalistin
haben die Beaumonts die fiktive Beerdigung des Pseudonyms George Stark auf
einem Friedhof nachgestellt. Kurz nach Veröffentlichung dieses Artikel
kommt Thad in Verdacht in dem weit entfernten Örtchen Castle Rock - wo er
ein Sommerhaus besitzt - einen Menschen getötet zu haben, da die dort gefundenen Fingerabdrücke exakt mit seinen übereinstimmen. Thads stichfestes
Alibi - er gab an diesem Abend eine Party in seinem Haus - rettet ihn, und der
Sheriff Alan Pangborn muss ihm widerwillig seine Unschuld zugestehen. Nach
diesem Ereignis wird Thad immer wieder von tranceartigen Zuständen befa l -
6
len, in denen er teilweise unzusammenhängende Wort aufschreibt, und immer
wieder das Geräusch von Sperlingen hört. Als die Worte im Nachhinein in
Zusammenhang mit weiteren, sich ereignenden Morden zu bringen sind, entwirft Thad die Theorie, dass sein Pseudonym sich personifiziert hat und nun
mit den Leuten abrechnet, von denen es glaubt, dass sie seinen „Tod“ (die
Bekanntmachung des Namens Stark als bloßes Pseudonym) mitverschuldet
haben. Dies stellt sich im Laufe des Buches auch als richtig heraus. Stark ist
in physischer Hinsicht genau die Person, die sich Thad immer vorgestellt hat
(und die sich von seinem Aussehen mehr als deutlich unterscheidet), dennoch
ist er mit Thad verbunden, denn im Bezug auf Stimmmuster und Fingerabdrücken sind beide völlig identisch. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen gelingt
es Stark schließlich die beiden Kinder von Thad und seine Frau als Geisel zu
nehmen. Thad, der in ständiger geistiger Verbindung mit Stark steht, ist sich
darüber im Klaren, dass Stark von ihm das Schreiben lernen möchte, da er
sonst nicht existieren kann und sich physisch bereits aufzulösen beginnt. Im
Sommerhaus der Beaumonts kommt es schließlich zum Showdown. Thad gibt
vor auf Starks Vorschläge einzugehen und bringt ihm das Schreiben bei. Die
Sperlinge, die in der amerikanischen Mythologie als Psychopompen, also Vo rboten der Untoten, gelten, kommen Thad zu Hilfe, indem sie Stark unerwartet
attackieren und zurück ins Reich der Toten bringen, womit alles wieder an
seinem rechten Platz ist. Tragischerweise verkraftet Thads Frau diese Ko nfrontation mit der dunklen Seite ihres Mannes nicht und verliert ihr Vertrauen
zu ihm. In einem späteren Werk von King erfährt der Leser, dass sie sich von
ihm getrennt hat 5.
II Die Hauptcharaktere in ihren verschiedenen Erscheinungsformen
II.1 Medardus
Im Folgenden werden nun die Hauptcharaktere der beiden Bücher in ihrer
Wesensart vorgestellt. Die Kenntnis dieser erst ermöglicht die Einordnung der
Personen und ihrer Bedeutung in den Gesamtkontext.
Bezeichnend für Medardus‘ Einstellung gegenüber seinem Dasein als Mönch
ist bereits die Tatsache, dass er sich nicht freiwillig für diesen Beruf entschi eden hat. So wurde es der Mutter bereits in frühen Jahren angeraten, den Knaben in ein Kloster zu geben, so dass dieser für die von seinem Vater begang e nen Frevel, die hier jedoch nicht näher beschrieben werden, sühnen könne
und zugleich selbst vor einem ähnlichen Werdegang geschützt sei 6. Wie wenig
geeignet Medardus für eben diese Laufbahn ist, zeigt sich in der Tatsache,
dass er den endgültigen Eintritt in das Kloster eher als Flucht vor seinen Gefühlen zu der Schwester des Konzertmeisters sieht, und ihn nicht aus innerer
Überzeugung heraus zu tun vermag 7. Auch als Bruder scheinen ihn die engen
5
Der Sheriff Pangborn , der die Hauptperson des Romans „In einer kleinen Stadt“ ist, erwähnt dies
einmal beiläufig.
6
EdT 9
7
EdT 11
7
Fesseln des Klosterlebens allzusehr zu drücken, und er findet erst Erfüllung,
als er sich als Redner hervortun kann und nicht mehr ein Punkt in der Masse
ist. Sein starkes Verlangen als ein Individuum wahrgenommen zu werden,
steht bereits im krassen Gegensatz zu den Anforderungen, die sein Beruf an
ihn stellt.
Doch bald bietet sich ihm die Möglichkeit eben diesen Restriktionen zu entfliehen, nämlich als der Abt ihn auf eine Reise nach Rom schickt 8. Die Ereig nisse, die sich kurz darauf begeben und bereits in der Inhaltsangabe erwähnt
wurden, führen nun dazu, dass er sich vom Mönch in eine Zivilperson verwandeln kann, und unter dem Deckmantel eines Adeligen reist. Zeigt er zwar
zu Anfang noch typisch klösterliche Merkmale - die sich jedoch eher in se inem Auftreten als in seiner Denkweise manifestieren - so findet er sich doch
schnell in seiner neuen Rolle zurecht, und spielt sie bis zur Perfektion, was
ihm sogar Zutritt zu einem Fürstenhof verschafft9. Bis zur Heirat mit Aurelie
hält er auch standhaft an seinem neuen Ich fest, und sein wahrer Beruf wird
mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt, als er sich nun doch für eine
weltliche Existenz zu entsche iden scheint.
Zwischen diesen beiden Wesenszügen des Medardus findet sich ein dritter,
der ihn fast als anderen Menschen erscheinen lässt: Medardus in seiner Raserei und seinen Wahnsinnsanfällen. Das heftigste Vorkommen dieser Art 10 erlebt der Leser, wenn Medardus am Hochzeitstag versucht seine Braut zu erstechen. Wie auch schon zuvor wird dieser Anfall durch die Konfrontation
des Medardus mit seinem Doppelgänger ausgelöst. Er äußert sich im gesamten
Verhalten des Medardus, jedoch scheint es eher, als ob etwas von Medardus
Besitz ergreifen, denn als ob er selbst aus sich heraus in Raserei verfallen
würde: „Da wurden die Geister der Hölle in mir wach und bäumten sich auf
[...]“ 11. Sprachlich wird der Wahnsinn durch unzusammenhängende Satzfetzen
– sowohl in inhaltlicher als auch in syntaktischer Hinsicht – gekennzeichnet.
So verbinden sich wahre Informationen („Ich [...] bin der Medardus“ 12) mit
undurchschaubaren Aussagen („ich trinke dein Blut 13“). Verstärkt wird dies
durch die Ungebundenheit der Sätze 14, und so entsteht eine Widerspiegelung
des Geisteszustandes in der Sprache. Im Anschluss an diesen Anfall irrt Medardus mehrere Tage oder auch Wochen 15 orientierungs- und, zumindest teil8
EdT 45ff
EdT 192ff
10
Natürlich finden sich auch noch andere ähnliche Situationen hierfür: So, wenn er bspw. im Schloss
mit dem Leibarzt die Vorfälle am Hofe des Barons rekapituliert. Auch hier ist es der Gedanke an den
Doppelgänger, der den – leichten - Anfall bei Medardus auslöst (xxx). Im Charakter sind sich diese
Anfälle allerdings so ähnlich, dass ihre bloße Aufzählung keine neuen Erkenntnisse bringen würde.
11
EdT 229
12
EdT 229
13
EdT 229
14
Die Sätze werden immer wieder von drei Punkten unterbrochen, als ob Teile fehlen würden.
15
typischerweise überlässt es hier Hoffmann dem Leser sich eine Meinung zu bilden. Bedingt durch
den Ich-Erzähler, der vorgibt die Dauer nicht zu kennen (230) .
9
8
weise, besinnungslos durch den Wald 16. Erst nach diesem letzten schrecklichen
Anfall ist es ihm möglich zurückzukehren zu dem klösterlichen Leben, womit
sich der Kreis wieder schließt.
II.2 Viktorin
Über die Figur des Viktorin wird der Leser weitgehend im Unklaren gelassen.
Im Schloss des Barons erfährt man, dass er wohl eine illegitime Liebschaft mit
dessen Frau Euphemie unterhält 17. Dies spielt insofern eine Rolle, dass Medardus in der Gestalt des Viktorin sofort Zugang am Hof findet und auch das
- mehr als freundliche - Entgegenkommen der Gräfin.
Wie der Abt des Heimatklosters des Medardus spekuliert und rekonstruiert,
hat Viktorin wohl den Sturz in den Abgrund überlebt 18. Somit lastete diese
erste Sünde des Mordes gar nicht auf Medardus, und die Verwicklungen hätten
hier am Ursprung des Ganzen bereits völlig geklärt werden könne. Für den
weiteren Werdegang des Medardus ist es aber von elementarer Bedeutung,
dass Viktorin eben hier scheinbar stirbt und zwar durch seine Hand. Er über schreitet dadurch zum ersten Mal die Grenze, hinter der es ihm nicht mehr
möglich wird seine Reise einfach fortzusetzen, oder in das Kloster zurückz ukehren.
Weshalb Viktorin diesen Sturz überlebt, und warum er daraufhin dem Wahnsinn anheim fällt, überlässt Hoffmann der Phantasie des Lesers. Im Weiteren
wird Viktorin jedoch nicht mehr als eigenständig handelnder Charakter darge stellt. Vielmehr sind sein Auftreten und seine Aktionen bloße Reaktionen auf
das Verhalten des Medardus, den er im weiteren Verlauf des Buches als
„Schatten“ verfolgt.
Am Ende des Buches erfährt man zum ersten und einzigen Mal einige konkrete Dinge über Viktorin. Wie Medardus in den Schriften des Malers 19 ent hüllt wird, ist Viktorin sein Halbbruder, gezeugt vom selben Vater, der ebenso
wie Medardus eigentlich mit der Aufgabe betraut gewesen wäre, das Ge schlecht von der Erbsünde, die auf allen seinen Nachkommen lastet, so wie
sie auf ihm lastete, zu befreien. Nach den wenigen Dingen die man bis zu die sem Zeitpunkt von Viktorin erfahren hat, hat er es nicht geschafft, einen
rechtschaffenen Weg einzuschlagen, was sich in seinem gesetzeswidrigen Ver hältnis zeigt. Am Ende des Buches erlangt er noch einmal alle seine Geiste skräfte, und zeigt sich als hochmütiger Adeliger, wenn er noch in seiner Todes -
16
EdT 229f
EdT 60ff Am Ende dieses Abschnitts resümiert Medardus auch selbst noch einmal: „ [...] das Ve rhältnis, mit der Baronesse, welches Viktorin unterhält“ (63).
18
EdT 306
19
EdT 253 ff Tatsächlich wird hier die ganze Familiengeschichte dargestellt. (→261/262: hier findet
sich der eigentliche Fluch, der über die Familie gelegt wurde.)
17
9
stunde versucht einem Bruder des Klosters mit seinem weltlichen Rang zu
drohen 20.
II.3 Thad Beaumont
Während ausführliche Informationen über das Aussehen der Charaktere bei
Hoffmann eher eine untergeordnete Wertung erfahren, legt King üblicherwei se Wert darauf, dem Leser ein möglichst exaktes Bild seiner Personen zu vermitteln.
Das Äquivalent zu Medardus findet sich in Thad Beaumont. Betrachtet man
Medardus als denjenigen, der alle Handlungen initiiert, und somit eine gewisse
Kontrolle über seinen Zwillingscharakter ausübt, so stellt Thad hier noch eine
viel stärkere Autorität dar, ist er doch für die gesamt Existenz des George
Stark verantwortlich.
Die erste Eigenschaft, mit der der Erzähler seinen Protagonisten Thad belegt
- und die von daher eine prägende Rolle hat - ist seine Tolpatschigkeit 21. Seine
physische Erscheinung ist alles andere als spektakulär: Er ist gut einen Meter
achtzig groß, trägt eine Brille und wird langsam kahl 22. Später erfährt man,
dass er zudem schlank – im Sinne von nicht muskulös – ist und dunkle Haare
hat 23.
Thad ist – zumindest zu Anfang des Buches – der Sympathieträger. Bereits die
Tatsache, dass dem Leser die Kindheitsgeschichte mit seiner schweren Krank heit dargestellt wird, erweckt Mitleid. Die Ehe der Beaumonts wirkt in der
Beschreibung sehr harmonisch: Liz, die liebende Ehefrau, die mit viel Ver ständnis über die Tolpatschigkeit ihres Mannes hinwegsieht und die Zwillinge,
zwei liebenswerte Kleinkinder. Die Schrecken der Vergangenheit - die Fehlg eburt von Liz und Thads Alkoholismus - scheinen überwunden. Eingebettet in
diesen Kontext wirkt die Welt, deren Mittelpunkt Thad ist komplett und vo ller Ruhe und Harmonie.
Als Ehemann übernimmt er seinen Teil der Arbeit, es wird aber schnell klar,
dass er eher ein Hindernis als eine Hilfe ist, weshalb er – gemäß seiner Rolle
als Familienpatriarch – den Großteil der Hausarbeit seiner Frau überlässt, was
aber vom Erzähler durchwegs nicht als negativ gewertet wird 24. Das Verhältnis
zu seiner Frau unterliegt im Lauf des Buches einem Wandel, der an späterer
Stelle dargestellt werden soll 25.
20
EdT 304 Allerdings muss hierzu bemerkt werden, dass er kurz darauf eine Beichte ablegt, in der er
recht ernsthaft versucht die Ereignisse, so, wie sie geschehen waren, darzulegen. Hierbei zeigt sich
seine Geisteskrankheit allerdings in derart verstörteren Erklärungen, dass diese nicht zu seiner näheren
Charakterisierung dienen können. Der Leser erfährt lediglich, dass Viktorin sich nur als Teil von Medardus betrachtet, den er als das „Ich meiner Gedanken“ tituliert.
21
tdh 24
22
tdh 194
23
tdh 479
24
tdh 24
25
→ III.4b
10
Das erste Buch das Beaumont veröffentlicht - „The Sudden Dancers“ -, erhält
unerwartet eine unglaubliche Resonanz. Unter diesem Druck gelingt es ihm
lediglich ein weiteres, mäßig erfolgreiches Werk zu veröffentlichen, bevor er
von einer Art Schreibblockade heimgesucht wird. Als Begleiterscheinungen
stellen sich zudem Alkoholismus und Depressionen ein, die allerdings auch
durch die Fehlgeburt seiner Frau verstärkt werden. Auf dem Höhepunkt dieser
Entwicklung unternimmt er einen Selbstmordversuch 26. Um ihm aus diesem
Loch herauszuhelfen, schlägt Liz vor, er solle ein Buch unter einem Pseudonym veröffentlichen. Thad wendet sich hierauf einer völlig anderen Them atik zu, und schreibt ein ebenso brutales wie erfolgreiches Buch unter dem
Namen Georg Stark. Wie Liz später einem Polizisten erzählt, verhält sich ihr
Mann während den Zeiträumen, in denen er Stark-Bücher schreibt, seltsam.
Zwar führt er aktiv keine gewalttätigen Handlungen aus, er erscheint jedoch
insgesamt aggressiver und unruhiger, allerdings auch verschlossener 27. Es ex istiert lediglich ein grundlegender Unterschied in seinem Schreibverhalten als
George Stark und dem als Thad Beaumont: Sobald er unter dem Namen Stark
schreibt, ist es ihm nicht möglich sein übliches Gerät, eine Schreibmaschine
zu benutzen. Statt dessen verwendet er Notizbücher und Bleistifte 28.
II.4 George Stark
Von Stark erhalten wir ein lebhaftes Bild, dass Thad, durch den Polizisten
Alan Pangborn aufgefordert, selbst entwirft: Stark ist „größer als [ich]. Ung efähr einsfünfundachtzig [...]. Er hat blondes Haar, kurz und sauber geschnit ten, und blaue Augen. [...] Das Auffallende an ihm ist weniger seine Größe als
seine Breite. Er ist nicht dick, aber extrem, breit gebaut. [...] Er ist in
[s]einem [Thads] Alter, aber er wird noch nicht grau und hat kein Fett ang esetzt. Er ist kräftig. [...] Er kann seinen Bizeps so anspannen, dass eine Naht
an seinem Hemdsärmel aufplatzt, aber er ist kein Muskelpaket.“ 29 In dieser
Beschreibung wird überdeutlich, dass es sich hier auf keinen Fall um den körperlichen Doppelgänger Thads handeln kann; neben Georg würde Thad vermutlich wie ein Schwächling aussehen.
Was Thad zu Beginn nicht weiss, ist, dass eine Veränderung in und an Stark
vor sich geht. Seine Kraft als Person zu existieren, schöpfte er aus der Kraft,
dass Thad unter seinem Namen schrieb. Als er damit aufhört, beginnt Stark
immer mehr zu verfallen – in physischer Hinsicht 30. Sein Fleisch löst sich auf,
die Zähne und Haare fallen ihm aus, er bekommt Geschwüre am ganzen Kör-
26
tdh 146
tdh 232
28
tdh 35
29
tdh 195
30
Stark formuliert diesen Vorgang selbst kurz und prägnant: „Wenn ich nicht schreibe, muss ich sterben.“ (tdh 308) in einem Moment, als er in geistigem Kontakt mit Thad steht.
27
11
per. Beim Zusammentreffen mit Thad schließlich steht Stark kurz vor der
völligen körperlichen Auflösung 31.
Wie sich Stark verhält, wenn er schreibt, ist nicht klar, genauso wie Informa tionen darüber fehlen, ob er überhaupt schreibt, und ob er dazu entweder in
den Körper von Thad schlüpft, oder nur eine geistige Verbindung herstellt.
Das einzige, was der Leser mit Sicherheit erfährt, ist, dass er Thad zum
Schreiben braucht, oder dass er zumindest eine Anleitung von ihm braucht,
um selber zum Schriftsteller zu werden 32( xxx ). Die Verbindung zu Thad zeigt
sich besonders deutlich darin, dass auch Stark vorhat, zum Schreiben seiner
Bücher Bleistift und Notizbuch zu verwenden, da dies „seine“ Methode ist 33.
Die Hauptbeschäftigung Starks ist im Laufe des Romans allerdings nicht das
Schreiben von Büchern, sondern vielmehr das Umbringen ihm unangenehmer
Personen. Hierbei legt Stark eine kalte Grausamkeit an den Tag. Die Eile und
die Zielgerichtetheit, mit der er seine Liste bis zum Ende durcharbeitet, erinnern an das Verhalten eines Menschen, der es darauf anlegt, eine unangenehme Aufgabe möglichst schnell hinter sich zu bringen. Stark erscheint sie jedoch nicht nur unangenehm, sondern auch noch recht nebensächlich. Immer hin scheint er sich dabei gut zu amüsieren. Am Tatort ist jedoch immer auch
ein Teil von Thad in Stark zu finden, was die Schriften an den Wänden bewei sen 34, und Starks Unwissenheit darüber zeigt wieder einmal auf, wer der eigentliche Herr ist, auch wenn sich Thad dieser Position in keinster Weise bewusst wird, bis zu dem Zeitpunkt, an dem es fast zu spät ist.
Es gibt also in beiden Büchern einen Menschen, der einem anderen auf
irgendeine Weise – welche genau soll im Verlauf dieses Abschnittes noch au fgezeigt werden – gleicht, was zu Katastrophen und Verwechslungen führt, und
das Horrorhafte beider Bücher maßgeblich mitb estimmt.
III Gemeinsamkeiten in der Konzeption des Doppelgängers
III.1a Die Wahnsinnsanfälle des Medardus
Dass es zwischen zwei Werken, die 175 Jahre auseinander liegen, Unterschiede
gibt, ist fast zwangsläufig anzunehmen. Bedingt durch die enge Verbundenheit
der Thematik, ergeben sich aber auch zahlreiche Gemeinsamkeiten.
Bei beiden Protagonisten – Medardus und Thad – setzt ein außerg ewöhnlicher Zustand ein, sobald sie mit ihrem Doppelgänger in Verbindung
treten. Bei Medardus findet sich eine Verbindung aus Wahnsinn und Grauen.
Zum ersten Mal erlebt der Leser eine solche Situation, wenn Medardus im
Gefängnis sitzt, wo der Doppelgänger ihn mehrmals anruft, und als „Brüder -
31
tdh 325ff Exakt ausgedrückt ist der Verfall von Stark einem sehr raschen Altern in Verbindung mit
einer rapide fortschreitenden Lepra recht ähnlich: Er bekommt Falten, die Haare fallen aus, ebenso die
Zähne. Hinzu kommen Hautveränderungen, die sich zu Geschwüren weiterentwickeln: Stark verfault
bei lebendigem Leibe.
32
33
34
tdh 486f
tdh 144/150/294f
12
lein“ tituliert 35. Wesentlich deutlicher zeigt sich der Wahnsinn bei Medardus
bereits kurze Zeit später; mehr und mehr nagt die Stimme des Doppelgängers
an ihm und seiner geistigen Verfassung 36, so dass er dies nun auch vor seiner
Umwelt nicht länger verbergen kann: „Was ist das ? was ist das? Sie sind
krank...in der Tat, gefährlich krank.“ 37
Der letze und heftigste Anfall dieser Art gipfelt in einem Mordversuch an se i ner eigenen Braut, Aurelie, an ihrem Hochzeitstag; daraufhin flüchtet er in die
Wälder.
III.1b Die Trancezustände des Thad Beaumont
Bei Thad vollziehen sich diese Aussetzer wesentlich subtiler. Er verfügt dank
seiner dunklen Hälfte über die Fähigkeit des automatischen Schreibens, was er
auch an mehreren Stellen des Buches ausübt. Angekündigt werden diese Anfälle zumeist von dem Geräusch vieler Sperlinge, obwohl an deren Geräusch
nicht unbedingt eine Attacke gebunden ist. Eine typische Situation: Thad sitzt
in seinem Arbeitszimmer. Unmittelbar davor wurde ihm mitgeteilt, dass man
ihn für den Hauptverdächtigen in einem Mordfall hält, was er allerdings widerlegen konnte. Auf einmal hört er nun diese Geräusche, und sieht – vor
seinem geistigen Auge – wie sich eine ungeheure Menge an Sperlingen in die
Luft erhebt. Nachdem das Bild verschwunden ist, stellt er voller Verwund erung fest, dass er quer über ein Blatt Papier, welches in seiner Schreibmaschine eingespannt gewesen war, den Satz „Die Sperlinge fliegen wieder“ g eschrieben hat. Er selbst war sich dieser Handlung zu keinem Zeitpunkt bewußt. 38 Wenig später hat er ein ähnliches Erlebnis: Er bedeckt in seinem Büro
ein Blatt Papier mit Worten, deren Sinn ihm nicht klar ist. Zwar sind die
Worte in seiner Muttersprache geschrieben, ergeben aber in sich keinen Sinn.
Auch hier geht das Geräusch fliegender Spatzen voraus und einher mit der
Handlung, und auch hier hat er danach das Gefühl wieder zu erwachen. 39 Ind i rekt erfahren wir, dass auch Stark von diesen Anfällen heimgesucht wird. An
den Tatorten findet sich jeweils der Satz „Die Sperlinge fliegen wieder“ mit
dem Blut der Opfer an die Wand geschrieben. Nun müsste man annehmen,
dass Stark dies geschrieben hat, aber als Thad in während einem Telefong e spräch auf die Vögel anspricht, ist Stark völlig verwirrt und weiss nicht, wovon die Rede ist. Wie Thad später zutreffend konstatiert, ist es er selber, der
über die Sperlinge weiss, was konsequenterweise bedeutet, dass auch er die
Schrift an der Wand angefertigt hat. 40 Somit ist klar, dass auch Stark Momente
35
EdT 182f
EdT 202 Wie Medardus auch selber feststellt, reagiert er auf die Stimme des Doppelgängers nun
wesentlich extremer: „...schrie ich wahnsinnig auf ...“
37
EdT 202 So kommentiert der Arzt des Hofes den Anfall des Medardus, den er nicht einzuordnen
vermag, was die Wiederholung seine Frage zu Anfang beweist.
38
tdh 114f
39
tdh 157ff
40
tdh 294f
36
13
hat, in denen Thad sein komplettes Handeln übernimmt, und welche ihm wie
geistige Ohnmächte erscheinen müssen.
III.2 Die Aufspaltung einer Person in eine „gute“ und eine „böse“
Hälfte
Eine weiter Parallele lässt sich zwischen der Aufteilung der Personen ziehen:
Der Mensch wird in zwei Hälften gespalten. Während man dies bei King – wie
einem ja auch der Titel schon verrät, durchaus auf eine gute und eine böse
Hälfte beschränken kann, ist die Spaltung bei Hoffmann wesentlich vorsicht iger.
Natürlich ist es klar, dass es Medardus ist, der alle diese Schandtaten (Ehebruch, Bruch der Gelübde, Mord) durchführt. Dennoch muss man Medardus
auch als denjenigen sehen, der sich aktiv bemüht, gegen seine Verfehlungen
anzugehen und sich nicht weiter zu verstricken. Medardus erscheint uns hier
als der bewußte Mensch, der in Situationen hineingerät und sich in Raserei
(welche in engem Zusammenhang mit seinem Doppelgänger steht) zu allen
möglichen Untaten hinreissen lässt.
Diese Verhaltensweise zieht sich durch sein Leben hindurch wie ein roter Faden. Er will ein guter Prediger sein und ein guter Bruder, gerät aber angereizt
durch zwei Besucher in die Fänge des Teufels, wenn er nach diesen von der
Reliquie, der Flasche, kostet 41. Er möchte in bester Absicht den Grafen vor
dem Sturz in den Abgrund retten und bewirkt genau das Gegenteil 42. Er
möchte eine Ehe mit Aurelie führen, scheitert aber bereits bei der Eheschließung an einem weiteren Anfall des Wahnsinns 43. Nun darf man Medardus zwar
nicht als das arme Opferlamm hinstellen, aber werden seine Verfehlungen
nicht oft erst durch die Konfrontation mit dem Doppelgänger, welchen oftmals die Raserei folgt, ausgelöst ? Medardus ist der sich und seiner Untaten
bewusste Teil, während Viktorin einfach nur instinktiv handelt. Betrachtet
man das Leben des Viktorin, wie er es vor dem Sturz zu führen pflegte, so
zeigen sich keine Bemühungen um eine gottesgefällige Lebensweise. Im Gegenteil, er führt ein uneheliches Verhältnis mit einer verheirateten Frau. So
scheint der Wahnsinn in den Viktorin verfällt nur als eine überzogene Kari katur seiner bisherigen Lebensweise. Er ist der typische Adelige, der öfters
Dinge macht, die vielleicht sinnlos erscheinen mögen. Während Medardus als
der typische Mensch in seinem Scheitern und Streben dargestellt wird 44.
Wie bereits am Anfang dieses Abschnittes erwähnt wurde, ist die Zuordnung
bei King wesentlich einfacher – zumindest erscheint sie so auf den ersten
Blick. Stark begeht die Morde. Stark ist der polizeilich Gesuchte. Stark ist der
41
EdT 35ff
EdT 49
43
EdT 229ff
44
Hier könnte man durchaus einen Vergleich zu Goethes Faust ziehen. So kann auch Medardus sich
nicht zwischen dem Geistigen ( in seinem Fall wohl eher Geistlichen) und dem Weltlichen entschei42
14
Böse, der am Schluss sterben muss. Auf einen zweiten Blick taucht aber die
Frage auf: Wer hat Stark denn überhaupt erst geschaffen ? Thad. Und frei
nach dem Motto: „Die Geister die ich rief...“, sieht sich nun auch Thad von
seiner eigenen Schöpfung,, von der er glaubte, sie unter Kontrolle zu haben,
bedroht. Allerdings war sich Thad dessen nicht bewußt, was er da herauf beschwörte, oder wie Alan Pangborn es formuliert: „Thad hatte nicht danach
verlangt ein Zwilling zu sein“ 45
Thad wird also in eine Sache hineingezogen. Im Verlauf dieser Handlung
spielt auch unbewusst seine Schuld eine Rolle, nämlich seine Rolle bei der
Erschaffung von Stark. Er wird zwar nicht in dem Maße schuldig wie Medardus, ist aber auch nicht der strahlende unschuldige Charakter, den man hinter
der „hellen Seite“ vermuten würde. Und hier sieht man die Parallele zu Medardus. Der eine, böse Charakter, der rein instinktiv handelt, und die Triebfeder oder der Handelnde für alle Verbrechen ist, und der Gegenpol dazu, der
sich seiner Handlungen und auch seiner Fehler bewusst ist, und sich bemüht
alles wieder ins Lot zu bringen. Während diese Darstellung bei King wirklich
sehr genau auf zwei Personen gelegt wird, findet man bei Hoffmann eine stär kere Spaltung der Person in sich (→IV.4) 46. Doch dies soll später bei den Unterschieden noch nähere Beachtung finden. Für den Moment ergibt sich lediglich die Quintessenz , dass die Aufspaltung einer Persönlichkeit in seine beiden Hälften als Leitgedanke beider Romane gelten kann.
III.3 Verteilung der Schuldverhältnisse innerhalb dieser Spaltung
Inwiefern beeinflusst jetzt diese „böse“ Hälfte die „gute“? Da die Aufteilung
wie eben gezeigt wurde, nicht immer klar zwischen zwei Personen getroffen
werden kann - man kann also nicht von Schwarz/Weiss–Malerei sprechen ist es auch nicht möglich, einer Seite die komplette Schuld zuzuweisen. Setzt
man voraus, dass Medardus vor seiner Begegnung mit Viktorin den guten Teil
vertritt, und sozusagen erst durch seine Begegnung mit dem Doppelgänger
gleich einem Virus angesteckt wird vom Verbrechen, schafft man eine Para l lele zwischen ihm und Thad. Thad hatte einen Teil Starks schon immer in
sich, der zum Vorschein kam, während er unter dessen Namen schrieb. Er
neigte zwar während dieser Zeit nicht zu gewalttätigen Handlungen, wie uns
seine Frau bestätigt 47, dennoch zeigte er stärker als gewöhnlich ein aggress ives, unruhiges Verhalten, als ob er eine zweite Persönlichkeit in sich tragen
würde. Eben diese Änderung im Verhalten zeigt sich auch bei Medardus nach
dem Zusammentreffen mit Viktorin.
den, und wie Gott bereits im Prolog im Himmel so treffend formuliert: Es irrt der Mensch solange er
strebt.
45
tdh 519
46
Später wird sich hierzu wohl noch die Frage stellen, ob Viktorin und Medardus wirklich nur als
Doppelgänger gesehen werden können, oder ob es nicht auch hier so etwas wie ein Doppelbewusstsein gibt. Zumindest hält sich Medardus zeitweise wirklich beinahe für Viktorin.
47
tdh 232
15
Da Thad ja in stärkerem Maße als Medardus die gute Hälfte darstellt, ist es
auch folgerichtig, dass er bei den Verbrechen, die stattfinden, eine passivere
Rolle einnimmt, als dieser. Stark begeht die Verbrechen, aber Thad wird –
zumindest anfangs – verdächtigt. Nur dank eines guten Alibis gelingt es ihm,
die Schuld von sich zu weisen, bis Beweise für seine Unschuld erbracht sind 48.
Doch obwohl Thad bis zum Ende des Buches unschuldig bleibt – zumindest
im traditionell rechtlichen Sinne gesprochen – stellt sich am Ende die Frage
einer moralischen Schuld: „Da ist zum Beispiel Homer Gamache, mit seiner
eigenen Armprothese zu Tode geknüppelt. Deinetwegen. Nur deinetwegen.“ 49
Obwohl sich Alan Pangborn, dem dieser Gedanke zuzuweisen ist, durchaus
der Tatsache bewußt ist, dass Thad sich selbst nicht bewußt als Zwilling auf
die Welt gewünscht hat, kann er ihn nicht von einer Teilschuld lossprechen:
„Dennoch – sie waren Zwillinge g ewesen“ 50
Und auch Thad scheint sich schuldig zu fühlen, wenn er dies auch nie au s spricht, so zeigt es sich doch in seinem Verhalten, was klar wird, wenn der
Erzähler den Roman mit den Worten schließt: [...] Thad Beaumont [hob] langsam die Hände und schlug sie vors Gesicht. So blieb er lange stehen. 51 es werden also immer beide Hälften schuldig, und die Schuld von Stark erweist ich
als die Schuld Thads, ebenso wie die gute Hälfte in Medardus vom Teil der
bösen Hälfte belastet wird.
III.4 Die Isolation des Protagonisten durch das Auftreten des Doppelgängers
III.4.1 Medardus und Aurelie
Die Beziehung zweier Menschen zueinander basiert auf Vertrauen, das wiederum nur dann entstehen kann, wenn man weiss, mit wem man es denn eigentlich „zu tun“ hat. Dieses Wer beinhaltet alle Facetten einer Persönlichkeit, im hier vorliegenden Fall also erstens: Medardus als Mönch, als Abtrü nniger von der Kirche und als Verbrecher und Mörder, und zweitens: Thad als
Schriftsteller und liebenswerter Mensch mit kleinen Schwächen und Stark se i ne dunkle Seite. Dass bei Menschen, die solch unterschiedliche Charaktere in
sich vereinen, bei engen zwischenmenschlichen Bindungen Problem auftreten,
liegt auf der Hand:
Im letzten Drittel des Romans steht Medardus endlich vor der Erfüllung se ines absoluten Wunschtraumes: er soll sich mit Aurelie vermählen. War sie
kurz zuvor noch bereit ihn töten zu lassen, weil sie in ihm den Mörder ihres
Bruders – was ja auch den Tatsachen entsprach – zu erkennen glaubte, so ließ
sie sich doch von dem falschen Geständnis des verrückten Viktorin täuschen,
der sich als Medardus ausgab. Doch am Morgen des Hochzeitstages wird Medardus noch einmal mit seinem Doppelgänger konfrontiert. Als Aurelie, be48
tdh 103 ff
tdh 519
50
tdh 519
51
tdh 522
49
16
reits als Braut geschmückt, in sein Zimmer tritt, sieht er, wie auf der Straße
der verrückte Viktorin zum Tode geführt wird. Als dieser ihn anruft, ergreifen
die „Geister der Hölle“ 52, wie Medardus selbst seinen Wahnsinn nennt, Besitz
von ihm. Medardus ist sich dessen bewußt, dass es ihnen nur deswegen möglich sei, weil er ein „frevelnde[r], verruchte[r] Sünder“ 53 ist. Die Schuld, in
die er sich zuvor verstrickt hat, verhindert also nun die Vermählung mit Aurelie, da er im Zuge dieser vom Wahnsinn befallen wird, und versucht seine
künftige Frau zu erstechen, bevor er flieht. Da es ihm nicht möglich ist, ei nem Menschen die ganze Wahrheit zu erzählen – nicht einmal der Frau, mit
der er sein Leben teilen möchte – bleibt ihm nur noch die Isolation und mit
ihr die Einsamkeit.
III.4.2 Thad und Liz
Der Situation Thads muss man sich von einer anderen Seite her nähern. So
versucht Medardus ja erst nach seinem Schuldigwerden, eine Beziehung auf zubauen, während Thad bereits zu Beginn der Handlung glücklich verheiratet
ist. Zwischen Thad und Liz herrscht Harmonie, sie bilden eine Einheit. Dies
kann man zum Beispiel erkennen, wenn man ihr Gespräch und ihr Verhalten
nach der Veröffentlichung des Pseudonyms betrachtet:
„>Bereust du, dass du es getan hast?< fragte Liz. [...] >Zuerst einmal<, sagte Thad,
>habe nicht ich es getan. Wir haben es getan<“ 54. Dass sie sich ihrer gegenseitigen
Schwächen bewusst sind, zeigt ein anderes Beispiel: „Er wollte aufstehen, stieß
gegen den Tisch und hätte ihn beinahe umgekippt. Er war [...] seltsam tolpatschig. Liz
konnte den Krug mit den Blumen [...] gerade noch festhalten, bevor er [...] auf dem Boden zerschellen konnte. >Aber Thad !< sagte sie vorwurfsvoll, doch dann begann sie
ebenfalls zu lachen. [...] >Du ( 55) bleibst hier sitzen, bis du deinen unbewußten Drang
meinen Krug zu zerschmeissen, wieder losgeworden bist.< - >Okay<, sagte er und lä chelte. > Ich liebe dich, Liz.< >Ich dich auch<“ 56 Hier zeigt sich allerdings auch,
dass sie sich mit Liebe, Rücksicht und Respekt behandeln. Die Beziehung
scheint eine gute Basis zu haben. Eine kleine Unstimmigkeit bemerkt man al lerdings, wenn Liz nämlich offen ihre Antipathie gegenüber Stark zum Ausdruck bringt, was Thad insofern irritiert, dass er sich Stark enger verbunden
fühlt, ihn sozusagen mehr als einen Teil von sich betrachtet, als Liz dies tut:
„>Ich konnte ihn nie recht leiden, Thad< Wie kann man so etwas über seinen Ehemann
sagen, hätte er fast erwidert [...]“ 57
Nach dem zweiten Mord, bei dem zum ersten Mal der Satz: „Die Sperlinge
fliegen wieder“, auftaucht, verhört Pangborn Thad erneut. Im Verlauf des Ge sprächs kommt er auch auf den Satz zu sprechen, der Thad zwar durchaus
52
EdT 229
EdT 229
54
tdh 22
53
55
56
gemeint ist Thad
tdh 24
17
bekannt ist, was er aber verschweigt. Liz entgeht es jedoch nicht, dass Thad
mehr weiss, als er bereit ist zuzugeben und stellt ihn zur Rede: „>Du verschweigst etwas, Thad<“ 58 Der Erzähler gibt uns nun einen Einblick in das
frühere Leben der Beaumonts, und hier zeigen sich erste Kratzer auf der
Oberfläche. Man erfährt, dass Thad Alkoholiker war und Liz eine Fehlgeburt
hatte. Damals – so hat es den Anschein – war ihre Beziehung nicht harmo nisch, sondern eher von Misstrauen geprägt. Thad fühlt sich an diese Zeit
erinnert, weil er meint, die Mimik seiner Frau von damals auch jetzt wieder
auf ihrem Gesicht zu finden: „Die Besorgnis war schlimm; das Misstrauen war
schlimmer“. 59 Hier setzt bei Thad der Prozess des Verheimlichens ein - „Ich
wollte es dir ohnehin erzählen<, sagte er, >Ich habe nur versucht den richtigen Anfang
zu finden< Aber stimmte das? War das wirklich so?“ 60 -, der zwangsläufig zu einem
Misston innerhalb der Beziehung zu Liz werden muss 61.
Mit jedem Mord nimmt diese Verstimmung zwischen den beiden zu. Sie ent fernen sich voneinander, einfach aufgrund der Tatsache, dass Thad hier in
eine Sache verstrickt ist, die Liz wohl nicht verstehen kann, und vielleicht
auch gar nicht verstehen will. „Er war sicher, dass sie darüber sprechen würden. Wie
wäre es möglich gewesen, nicht darüber zu sprechen? Aber sie taten es nicht.“ 62 So wird
die Situation beschrieben, als zu befürchten steht, dass Stark soeben ein neues
Opfer gefordert hat.
Einen Höhepunkt erreicht diese gegenseitige Befremdung, nachdem Thad dem
Sheriff eine genaue Beschreibung von Stark liefert, die er nur durch seine
Vorstellungskraft konzipiert. Die Reaktion von Liz ist eine Mischung aus
Staunen und Entfremdung: „>So viel< ,sagte sie mit kraftloser, leiser Stimme. ihre
Augen fixierten ihn – schienen außerstande ihn zu verlassen. >Du weißt soviel über ihn,
Thad – woher?<“ 63 Thads Bemühungen ihr ihre Angst durch seinen körperliche
Gegenwart zu nehmen scheitert: „Er nahm auf dem Fußboden neben ihrem Sessel
eine bequemere Stellung ein und hielt weiter ihre Hände, hoffte sie aufwärmen zu können. Als fünfzehn Minuten später das Telefon läutete, w aren sie noch immer kalt.“ 64
Zwar bessert sich ihr Verhältnis während der Jagd auf Stark wieder etwas –
„Sie trat zu ihm und nahm ihn fest in die Arme, und das brauchte er [...]“ 65- ,
aber durch die Begegnung mit Stark verliert ihre Beziehung letztlich jegliche
Zukunftsperspektive. Liz muss realisieren, dass Stark ein Teil ihres Mannes
ist, wenn sie die unglaubliche Synchronität in den Bewegungen der beiden
57
tdh 39
tdh 145
59
tdh 146
60
tdh 146
61
Der Zustand der Beziehung zu Anfang der Geschichte erfährt deswegen eine so genaue Beachtung,
da nur so die Möglichkeit besteht die Veränderungen richtig darzulegen, und die Isolation von Thad
deutlich zu machen.
62
tdh 186
63
tdh 197
64
tdh 197
65
tdh 249
58
18
feststellt, als Stark den Zwillingen zuwinkt: „Thad macht das ganz genauso, oh,
mein Gott, ER MACHT ES GANZ GENAUSO.“ 66
Zudem scheinen die Zwillinge Stark in seiner jetzigen Erscheinungsform gar
nicht wahrzunehmen. Da sein Verhalten so ist, wie das von Thad, sehen sie in
ihm ihren Vater. Ein Gedanke der Liz nicht mehr loslässt und befremdet. 67 Als
es schließlich im Sommerhaus der Beaumonts zur Begegnung zwischen Stark
und Thad kommt, wird Liz und Sheriff Pangborn die Gemeinsamkeit beider
noch deutlicher bewusst, die allerdings auf keiner optischen Ebene zu bewei sen ist. Sie lag „sub rosa“ 68 und äußerte sich darin, dass Stark und Thad sich
wie Spiegelbilder bewegten.
Immer deutlicher wird die Ähnlichkeit der beiden – sie zeigt sich in Thads
Lachen 69 und in seine Augen 70. Am Ende, d.h. nachdem Stark zurückgebracht
wurde ins Reich der Toten, sind es nicht einmal Thad und Liz die das Ende
ihrer Beziehung konstatieren. Es ist Sheriff Pangborn, der in seinen Gedanken
die Frage aufwirft, ob Liz es je schaffen wird, Thad wieder zu lieben, nac hdem sie diesen grausamen Teil seines Wesens kenneng elernt hat 71.
Hier ist wiederum die Parallele zu Hoffmann zu ziehen. Nachdem Liz weiß
welche Schuld er auf sich geladen hat, indem er seinem Doppelgänger die
Möglichkeit gegeben hat wieder aufzuerstehen, kann sie nicht mehr mit ihm
leben. Auch Aurelie kann, trotz ihrer offensichtlichen Liebe nicht mit dem
Mann leben, indem sie den Mönch, den Mörder ihres Bruders, zu erkennen
glaubt. In diesem Punkt zeigt sich bereits ein entscheidendes Kriterium für
den Vergleich der beiden Romane. So stellt die Isolation des Protagonisten
zwar ein gemeinsames Merkmal dar, doch bereits die Art und Weise, wie diese
Isolation vom Autor beschrieben wird, zeigt Differenzen. Dies erweist sich als
der rote Faden: Die Thematik ist zwar ähnlich, die Ausgestaltung jedoch, die
stärker als jene an den zeitlichen Rahmen gebunden ist, in welchem das Buch
entsteht, unterscheidet sich oft elementar. Im Folgenden soll dies an einigen
Beispielen praktisch aufge zeigt werden
IV Unterschiede in der Konzeption des Doppelgängers
IV.1 Die Rechtfertigung des Auftretens des Doppelgängers
Alle handelnden Personen, die in einem Roman auftreten. müssen über eine
gewisse Autorisierung verfügen, d.h. der Autor muss durch den Erzähler eine
Erklärung abgeben, so dass die Person glaubwürdig ihren Platz im Handlung sgeschehen einnehmen kann.
66
tdh 392
tdh 394f
68
tdh 479
69
tdh 487
70
tdh 493
71
tdh 519 Tatsächlich zeigen sich die vollen Ausmaße der Begegnung Liz, Stark und Thad erst in
einem späteren Buch von King. Dort erfährt der Leser, dass sich Liz wirklich von Thad getrennt hat,
da sie ein Leben mit ihm danach nicht mehr ertragen konnte
67
19
Beim ersten Auftreten Viktorins erfährt man eben dies nicht, was beim Leser
zu einer Unsicherheit führt, die sich durch den ganzen Roman fortsetzt. Immer wieder taucht die Frage auf, wer Viktorin ist, und warum er Medardus so
ähnlich sieht. Erst am Ende des Buches gibt der Ich-Erzähler hierzu Informa tionen. Viktorin ist der Halbbruder des Medardus und ebenso wie Medardus
mit dem Fluch der Familie belastet, der seit der ersten Verfehlung des
Stammvaters auf ihnen allen liegt72. Hoffmann konzipiert hier eine recht real i stische Erklärung. Zwar wird das Zusammentreffen der beiden als Zufall vorausgesetzt, – d.h. der Erzähler kann keinen logischen Grund dafür angeben,
außer dass sich beide auf einer Reise in die selbe Richtung befinden - die
Ähnlichkeit aber wird rationell durch die Verwandtschaft der beiden geklärt.
Während man bei Hoffmann also nur mit einem großen genetischen Zufall
konfrontiert wird, findet man sich bei Stephen King unversehens einem Geschöpf gegenüber, das in seinem Auftreten allen Naturgesetzen zu widerspre chen scheint. Ein Arzt stellt zwar angesichts des ungewöhnlichen Tumors, der
bei Thad im Kindesalter entfernt wird (und der die Reste eines Auges darstellt), die Theorie auf, dass Thad im Mutterleib einen Zwilling hatte, der al lerdings absorbiert wurde; spätestens mit der Entfernung dieses Tumors sind
jedoch alle körperlichen Reste des Zwillings endgültig verschwunden 73. Stark
ist also nicht wie bei Hoffmann der verschollene Zwillingsbruder. Vielmehr
ist er eine Gestalt, die sich aus der Fiktion, die Thad geschaffen hat, als er
sein Pseudonym benutzte, inkarniert hat. Stark ist eine Fleisch gewordene
Idee, die allerdings keinen Anspruch auf eine real-menschliche Existenz hat.
IV.2 Die Art des Doppelgängertums
Die Gestalt, in der der Doppelgänger, erscheint lässt sich unmittelbar aus dem
vorhergehenden Punkt ableiten. So findet sich zwischen Viktorin und Medardus eine körperliche Gleichgestalt; sie sind also echte Doppelgänger 74.Auf
Grund ihrer genetischen Verwandtschaft ist dies auch verbindlich nötig. Da
sie jedoch von unterschiedlichen Müttern und ohne das Zutun des gemeinsamen Vaters erzogen wurden, findet sich bei Viktorin eine völlig andere Lebensweise als bei Medardus. Während Viktorin nämlich als Graf erzogen wurde und in weltlichen Dingen bewandert ist, wurde Medardus bereits in jungen
Jahren in ein Kloster gegeben, weshalb er eher dem Geistlichen zugewandt ist.
In ihrer Lebensweise gleichen sich die beiden also nicht. Der Rollenwechsel,
der im Laufe der Geschichte stattfindet (wenn Medardus sich als Viktorin
ausgibt), wird folglich hauptsächlich durch den Wechsel der Kleidung symbolisiert. Diese dient als Symbol der differenzierenden Teile ihres Lebens, wird
72
EdT 253ff
tdh 16
74
Im Brockhaus findet sich folgende Definition für einen Doppelgänger: Person die einer anderen
zum verwechseln ähnlich sieht, in der christlichen Tradition und in der Parapsychologie als Bilokation
bezeichnet.
73
20
sie verkehrt, ist auf Grund der körperlichen Ähnlichkeit eine Unterscheidung
nicht mehr möglich. 75
Wie rechtfertigt sich allerdings die Anwendung des Terminus Doppelgänger
auf Thad und Stark? Auf den ersten Blick müsste man hierbei wohl eher von
einem Doppelbewusstsein sprechen 76, wobei sich dieses Doppelbewusstsein,
dass Thad während seinen Phasen, in denen er als Stark schreibt, erlebt, for tsetzt und wirklich in einem Doppelgängertum endet. Zwar leidet Thad weder
an Hysterie, noch an Somnambulismus, die Trancezustände, die er erlebt,
(→III.1.2 ) und die Veränderungen, die in ihm vorgehen, wenn er als Stark
schreibt, stellen jedoch ähnliche Verhaltensweisen dar. Selbst Thad ist sich
während dieser Zeiten nicht ganz sicher, ob er wirklich er selbst ist: „Wer bist
du, wenn du schreibst, Thad? Wer bist du dann?“ 77. Der eigentliche Übergang zum
Doppelgänger vollzieht sich allerdings erst, als Thad aufhört, unter seinem
Pseudonym zu veröffentlichen. Getrieben von dem Verlangen weiter zu leben,
personifiziert sich die Idee Stark, allerdings in dem Erscheinungsbild, dass
Thad sich selbst von seinem Pseudonym geschaffen hat. Da es notwendig war,
andere Bücher zu schreiben, um die Schreibblockade zu überwinden, war es
auch nötig ein Bild von Stark zu schaffen, dass nicht seinem eigenen ent sprach. Die Teile die Thad allerdings nicht bedacht hat – wie Fingerabdrücke,
genaues Rauchverhalten, die Art sich die steifen Glieder zu lockern – entspre chen exakt dem eigenen Verhalten von Thad. Auch ihre Denkweise ist verbunden, was insofern nicht verwunderlich ist, da Stark ja erst dank Thads
Denken entstanden ist. Sie erweisen sich somit also als geistige Doppelgänger.
Die Gleichheit zwischen beiden ist zwar nicht greifbar (außer vielleicht in den
Fingerabdrücken, die aber keinem normalen Menschen im Alltagsleben auffallen würden), jedoch auch nicht von der Hand zu weisen, wenn man die beiden nebeneinander agieren sieht. 78
Während sich bei Hoffmann also ein überwiegendes Doppelgängermotiv findet, das sich im klassischen Sinne auch auf äußere Ähnlichkeiten bezieht,
muss man bei King zwischen der Phase eines reinen Doppelbewusstseins und
der Phase eines geistigen Doppelgängertums unterscheiden.
75
So wird auch die innere Einsicht und die Bußbereitschaft des Medardus durch den abermaligen
Wechsel der Kleidung zurück zum Habit der Kapuziner dargestellt. Wie man später erfährt, wird
Viktorin etwa zu dieser Zeit von dem Kapuzinerorden aufgenommen, in dem Medardus Novize war.
Wie der Prior berichtet, trägt Viktorin hierbei weltliche Kleidung. Es existiert also immer nur ein
Viktorin – sei es als er selbst, oder als verkleideter Medardus – und ein Medardus.
76
Brockhaus, Bd. 5 s. 930 Doppelbewusstsein: zweifaches Erleben der Wirklichkeit, u.a. bei zu Hysterie und Somnambulismus neigenden Personen, die neben ihrem realen Dasein noch ein zweites,
traumhaft imaginäres Dasein führen [...].
77
tdh 147
78
tdh 479
21
IV.3 Der Wissensstand des Protagonisten/Lesers in Bezug auf den jeweiligen Doppelgänger
Da Viktorin im Unterschied zu Stark nicht durch eine Idee seines Zwillings
entstanden ist, setzt sich auf Seiten Medardus‘ auch nicht zwangsläufig ein
Wissen um dessen Person voraus, wie dies bei Thad der Fall ist. Medardus
weiß weder, wer sein Doppelgänger ist 79, noch warum dieser ihm so ähnlich
sieht. Die Tatsache, dass sein Auftreten Medardus auch immer wieder von
neuem überrascht und in Grauen versetzt, zeigt, dass Medardus auch nicht
über etwaige Informationen Viktorins Bescheid weiss, wie das bei Thad zeitweilig der Fall ist. Zeitweilig erleidet Medardus einen völligen Identitätsve rlust, und es ist ihm nicht mehr möglich zu unterscheiden, ob er er selbst ist,
und Viktorin wirklich existiert, oder ob Viktorin nur eine Phantasie seines
Geistes ist, und er sich seine Existenz nur einbildet. Die Auflösung erfolgt
erst am Ende se ines Leidensweges in dem römischen Kloster.
Hier erfährt Medardus - und zugleich auch der Leser - schließlich Näheres
durch die Schriften des Malers. Dass der Leser erst hier informiert wird, ist
eine logische Konsequenz aus der Berichterstattung des Ich-Erzählers. Hoffmann beabsichtigt aber sicher mehr, wenn er diese Perspektive für seinen Er zähler wählt. Durch die Ich-Perspektive gelingt es ihm, den Leser stärker in
das geschehen einzubinden und ihn Dinge aus der Sicht des Medardus hautnah
zu vermitteln. Hoffmann lässt den Leser miterleben, wie Medardus vom
Wahnsinn in Raserei verfällt, und sich wieder besinnt; wie er verschiedenste
Rollen spielt und schließlich seine Schuld anerkennt, und seine rätselhaften
Verbindungen nun endlich gelöst werden. Durch diese authentische Darste l lung zeigt Hoffmann viel psychologisches Geschick und hebt seinen Roman
von einem bloßen Krimi auf eine höhere Ebene. Nicht das Entsetzten und
Grauen stehen im Mittelpunkt und lassen den Leser erschauern, vielmehr ist
das Horrorhafte der ständige Wechsel im Inneren des Medardus. Es zeichnet
sich eine starke Betonung der Psyche des Medardus ab, was beinahe den Anschein erweckt, man würde Zeuge einer psychologischen Fallstudie.
Wie sich bereits in einem vorherigen Beispiel zeigte – nämlich als Thad die
Personenbeschreibung Starks liefert, obwohl alle die ihn bis jetzt gesehen haben, unmittelbar danach gestorben sind –, ist Thad über das Aussehen Starks
bestens informiert 80. Auch seinen Herkunft - der Homeland Friedhof in Castle
Rock – ist ihm bekannt, und die Tatsache, dass es sich hierbei um sein ve rfleischlichtes Pseudonym handelt, steht für ihn außer Frage81. Doch die Informationen, die Thad über Stark hat, gehen noch ein Weites über diese no rmalen Sachinformationen hinaus. Thad hat einen Zugang zum Denken Starks,
79
Dies erfährt er jedoch relativ bald, (Seite 55ff) im Gespräch mit einem engen vertrauten des Barons
und seiner Gemahlin Euphemie, auf deren Gut er kurz nach dem Unfall Viktorins eintrifft und auch
verweilt.
80
tdh 195
81
tdh 221f
22
was sich in automatischem Schreiben äußert, so zum Beispiel während dem
Mord an Miriam, den er impressionistisch mitnotiert, allerdings ohne das
Schriftstück deuten zu können 82. Im Laufe der Handlung gelingt es ihm allerdings mehr und mehr sein Denken zu verstehen, und er gelangt so zu vertief ten Kenntnissen über die Person Stark 83.
Während also hier dem Protagonisten bereits mehr Informationen zur Verf ügung stehen, als in Hoffmanns „Elixieren“, so erhält der Leser von „The Dark
Half“ nun wirklich restlos alle Informationen. Nicht nur, dass der auktoriale
Erzähler alle Reflexionen und Erkenntnisse Thads weitergibt, der Leser wird
zusätzlich noch über die Aktionen Starks unterrichtet, von denen Thad erst zu
einem späteren Zeitpunkt erfährt. Dies verhindert zwar zum einen die totale
Identifikation, wie es bei Hoffmann möglich ist, baut aber zum anderen eine
ganz eigene Spannung auf. Durch den häufigen Standortwechsel des Erzählers
ist der Leser den handelnden Personen oft einen Schritt voraus. Beobachtet er
nun im Verlauf des Buches, wie diese, oft unbewusst, genau in eine fatale
Falle laufen oder ihr um Haaresbreite entgehen, so ergibt sich das typische
Horrorromangefühl, einer Handlung handlungsunfähig beiwohnen zu müssen.
Das einzige was dem Leser bleibt, ist zu hoffen, dass „sein Held“ den Gefahren noch entkommen kann. Dies bewirkt, dass man das Buch in einem Zug
durchlesen möchte, was wiederum häufig dazu führt, dass gerade Stephen
King wieder und wieder auf den Bestsellerlisten erscheint.
IV.4 Das Verhältnis von passiver zu aktiver Schuld
An dieser Stelle soll noch einmal Bezug genommen werden auf einen Punkt,
der bereits innerhalb der Gemeinsamkeiten erwähnt wurde. Als beiden Bü chern gemeinsames Element wurde hier die Spaltung einer ganzen Persönlic hkeit in ihre Hälften aufgezeigt. Die Art, wie diese Spaltung vor sich geht, ge hört aber nun in den Bereich der Unterschiede. Bei Medardus ergibt sich dies
Spaltung innerhalb der Person, d.h. er wechselt, während er in seinem Körper
verbleibt, die Charaktere, und begeht Verbrechen, die ihm in seinem anderen
Charakter völlig fremd erscheinen, und die er nie begangen zu haben glaubt.
Trotzdem war es natürlich – physisch gesehen - ein und dieselbe person.
Hieraus ergibt sich eine sehr aktive Schuld für Medardus. Der Doppelgänger
ermöglicht zwar erst diesen Charakterwechsel, im Zuge dessen er die Morde
begeht, Viktorin kann jedoch nur die Schuld an dem Tod Aurelies beigemessen werden, während Medardus den Tod von zwei Menschen, einen versuchten Mord und den Unfall des Viktorin zu verschulden hat. Auch wenn immer
82
tdh 158 f
Dieser Sachverhalt gleicht in großen teilen dem Verhalten, das bei Zwillingen beobachtet werden
kann. Sie tendieren beispielsweise dazu, obwohl oft durch große Entfernungen getrennt, instinktiv
Leid, das ihrem Zwilling geschieht mitzuempfinden. So wird in einschlägiger Literatur berichtet, dass,
wenn ein Zwilling z.B. ein Bein gebrochen hat, der andere, ohne Kenntnis über diese Verletzung,
Phantomschmerzen verspürt. Ähnliche Motive verwendet King, wenn es Stark gelingt, Thad suggestiv
so zu beeinflussen, dss er sich – ebenso wie Stark – einen Bleistift in die Hand rammt (TdH 320).
83
23
nur die dunkle Seite in Medardus all diese Greuel begeht, so gehört sie dennoch körperlich zum „guten Medardus“.
Wie ebenfalls bereits erwähnt, findet sich im Gegensatz dazu die strikte Tre nnung bei King. Thad ist der Gute; Stark ist der Böse. Während Stark die Morde begeht, versucht Thad lediglich ihn zu stoppen. Thad trägt allerdings eine
passive Schuld, durch sein Heraufbeschwören des bösen Geistes, der in se i nem Inneren schlummerte. Nur durch die Trennung in zwei Personen wird es
dem Autor möglich, eine nahezu unschuldige Person zu konzipieren, wobei
man jedoch nicht vergessen darf, dass Stark nur ein verselbständigter Teil des
Thad Beaumont ist.
IV.5 Die Authentifizierung des Romans
Am Anfang dieses Absatzes stand die unterschiedliche Realisation der Doppelgänger. Dabei erwies sich Viktorin als eine reale Person, während Stark
eher der Charakter einer Fiktion zugeschrieben werden darf. Im Zuge der Ge staltung des Romans und der Funktion eben dieser Gestaltung spielt auch die
Frage eine Rolle, warum der Autor seine Person eben so und nicht anders
konzipiert hat. In den Elixieren findet der Leser eine recht faktische Erklä rung vor. Hoffmann rechtfertigt damit eine Art Wahrheitsanspruch in seinem
ansonsten recht fantastischen Roman. Erscheinen auch oft Handlungsgänge
und „Zufälle“ recht unwahrscheinlich, so wird das Buch doch durch die r ea litätsbezogenen Funktionen glaubwürdiger. Und diese Glaubwürdigkeit ist
gerade bei einem Horrorroman notwendig, da der Leser sonst zu sehr aus dem
Geschehen ausgeschlossen bleibt, und sich zuwenig identifizieren kann, von
der Glaubwürdigkeit, die diesem Werk dann verloren gehen würde, ganz zu
schweigen.
Hat „Stark“ deshalb nun nicht diesen Wahrheitsanspruch? Die Erklärung, die
King seinen Lesern bietet, ist recht schwer nachzuvollziehen: Ein bereits lebensunfähiger Embryo nistet sich im Kopf seines Zwillingsbruders ein. Jahre
später wird er als vermeintlicher Gehirntumor völlig entfernt, nur um wieder um Jahre später als Gedanke im Kopf des Zwillings aufzutauchen und für ihn
Bücher zu schreiben. Als der Zwilling sich seiner entledigen will, steht er von
den Toten auf und rächt sich bitter. In diesen Erläuterungen findet sich nicht
wirklich das, was man als glaubwürdige Erklärung kennzeichnen könnte. King
versucht es auf eine andere Weise. da sind zum Beispiel die Ärzte, die den
Sachverhalt in ihrem Fachjargon erklären 84. Weiterhin ist da auch noch der
streng rationalistische Sheriff, der sich erst nach und nach mit dieser Theorie
anfreunden muss, und schließlich ist da auch noch Thad, für den der Gedanke
zwar schneller akzeptabel wird, nicht jedoch, ohne ihn erst gehörig zu befremden . Also unterlegt King seine mystische Erklärung mit der Erzählung
von „vernünftigen“ Personen, deren Gedankengang uns schließlich dazu
bringt, auch an die Geschichte zu glauben.
84
tdh 12ff
24
Während Hoffmann versucht seine phantastische Geschichte mit faktischen
korrekten Protagonisten zu stützen, konzipiert dagegen King eine recht
phantastische Hauptperson und lässt diese durch auftretende Charaktere verifizieren.
V.1 Ernst Theodor Amadeus Hoffmann und die schwarze Romantik
Als Abschluss soll nun der Roman als Ganzes betrachtet werden, was sowohl
seinen Autor als auch seine Entstehungszeit beinhaltet.
Bereits die Tatsache, dass die meisten Autoren einem bestimmten Genre zugeordnet werden können, zeigt, dass ein Schriftsteller in der Wahl seiner
Themen nicht völlig frei ist, und von seinem Umfeld und seinen persönlichen
Erfahrungen geprägt wird. Diese finden sich dann häufig in seinen Büchern
w ieder, was deutlich wird, wenn man den Lebenslauf des Autors kennt.
Hoffmann war ein hochbegabter Mensch. Er war nicht nur Jurist – übte also
einen bürgerlichen Beruf, mit hoher Qualifikation aus –, sondern auch noch
Musiker, Maler und Schriftsteller. Diese Vielzahl von Talenten findet sich
auch bei Medardus wieder. Er besitzt ein unglaubliches Rednertalent, sieht den Reaktionen seiner Umwelt zufolge – gut aus, und weiss sich gewandt in
jeder Gesellschaft zu bewegen, auch wenn ihm diese völlig fremd ist. Er wird
jedoch zwischen seinen verschiedenen Wünschen derartig hin und hergerissen,
dass sich ihm eben dadurch Schwierigkeiten ergeben. Dieses Multitalent, sowie das wilde Treiben, in das sein Leben ausartet 85, können als Analogien zu
Hoffmann gesehen werden, der es in seinem Leben oft ähnlich wild trieb, wie
in sei nen Büchern86.
Da der Autor natürlich auch unter dem Einfluß der literarischen Epoche
steht, in deren Zeit sein Schaffen fällt, finden sich in seinem Werk auch
Merkmale seiner Zeit wieder. Hoffmann – der ja der Romantik, wenn auch
„nur“ der schwarzen Romantik angehörte 87 - konzipiert seinen Protagonisten
hier als einen typischen Romantiker. Seine Unentschlossenheit, die im vorigen
Absatz bereits auf seine vielschichtige Begabung zurückgeführt wurde, hat er
mit zahlreichen Romantikern gemeinsam, die auch immer einen Kompromiss
schließen mussten zwischen Wunsch und Realität. So lebten viele Romantiker
tagsüber eine bürgerliche Existenz, während sie den Rest des Tages ihrem
künstlerischen Schaffen widmeten. Auch Medardus ist hin- und hergerissen,
zwischen seinem Beruf, der ihn notwendigerweise ein ganzes Leben lang verpflichtet und seinen Wünschen, seine wel tlichen Begierden zu erfüllen.
Sein Wunsch nach Flucht aus seiner gewohnten Existenz manifestiert sich,
indem er die Elixiere des Teufels trinkt. Diese stellen eine Verbindung dar,
aus Alkohol und Droge und sind somit eine Analogie zu den Experimenten
der Romantiker mit beiden Mitteln. Alles war ihnen recht, um die zweite Welt
85
Geschichte d. dt. Lit. s. 345f
Beide Angaben angelehnt an Informationen aus dem Buch Illustrierte Geschichte der deutschen
Literatur, Band 3 , von der Klassik bis zur Romantik, Köln, Naumann & Göbel Verlagsgesellschaft
87
unter schwarzer Romantik versteht man
86
25
zu erreichen, die sie hinter der wirklichen vermuteten. Auch Hoffmann wird
nachgesagt, dass er dem Alkohol zu häufig zu stark zugesprochen hätte. Die
Wirklichkeitsflucht, die man auch heute noch zahlreichen Alkoholikern nachsagt, realisiert auch Medardus, der – ähnlich einem echten Alkoholiker – immer dann zur Flasche greift, wenn er sich schwach fühlt.
Aber nicht nur typische Verhaltensweisen der Realität werden in Medardus
widergespiegelt. Hoffmann verwendet auch die Thematik der Inzucht und der
Erbschuld. Mögen diese Themen auch zu jener Zeit hoch in der Gunst der
Autoren gestanden sein, so ist es dennoch nicht anzunehmen, dass sie in dieser Epoche im Übermaß zu finden sind.
V.2 Stephen King, ein Schriftsteller des ausgehenden 20. Jahrhunderts
King ist bekannt dafür, dass seine Bücher oft eine stark autobiograpische Prägung haben. So spielt beispielsweise oft der Staat Maine - sein Heimatstaat –
eine tragende Rolle in seinen Büchern. Ebenso auch in „The Dark Half“:
Castle Rock in Maine wird als Ausgangspunkt für Starks „Reise“ angegeben.
Doch King genügt es hier anscheinend nicht, nur persönliche Erfahrungen
einfließen zu lassen, und so konstruiert er in Thad eine Analogie zu sich
selbst. Auch Thad ist Schriftsteller, und ebenso wie bei King führt auch bei
ihm eine Reihe unerfreulicher Ereignisse in Verbindung mit einem kreativen
Tiefpunkt zum Alkoholismus. Thad löst sich aus diesem Teufelskreis, und
zwar auf dieselbe Weise wie King: Er erschafft sich ein Pseudonym. Auch
King verfasste unter dem Namen Richard Bachmann vier Bücher, bevor er
sich entschließen konnte, zu seinem eigenen zurückzukehren 88. In dem Buch
„The Dark Half“ wird die Problematik der Verselbständigung und der ung e heuren Magie, die ein solches Pseudonym auszulösen vermag, thematisiert,
und King führt die Idee weiter, bis hin zur Katastrophe. Die Fiktion, die King
hier ausführt, ist natürlich nicht in der Realität zu finden, dennoch gibt es
wohl auch Schriftsteller, die sich nahezu in ihr Pseudonym „verlieben“, da sie
hier eine ganz andere Seite ausleben können, etwas, das man unter ihrem eigenen Namen nie vermuten würde. Die Entscheidung, ob King hier seine Autobiographie zu einem interessanten Buch modifiziert, oder ob er lediglich ein
Buch mit autobiographischen Details versetzt, bleibt dem Leser überlassen.
Die Ähnlichkeiten zwischen Thad und King sind allerdings nicht von der
Hand zu weisen.
Ein weiteres Kennzeichen von King ist die einfache – und häufig auch Umgangs- - Sprache, sowie der simpel konstruierte Plot seiner Bücher. Wenn die ser auch zumal etwas verwinkelt und unlogisch erscheint, so beruht er doch
lediglich auf sich selbst, und setzt kein Vorwissen voraus, wie das oft bei höherer Literatur der Fall ist. Auch die Sprache ist leicht verständlich, es werden
88
Auf diese Parallele verweist King selbst am Anfang des Buches. Für Personen, denen das Pseudonym nicht bekannt ist, ist diese Mitteilung allerdings unmöglich korrekt einzuordnen: „Für seine
Mithilfe und Anregung bin ich dem verstorbenen Richard Bachmann Dank schuldig. Ohne ihn hätte
dieser Roman nicht geschrieben werden können“ (tdh 6)
26
nur wenige Fremdwörter gebraucht, und falls doch, folgt eine Erklärung. Dies
hat zwei Effekte: Zum Einen wird das Buch sehr leicht verständlich und lässt
sich – auch bedingt durch die einfache Thematik – sehr schnell lesen. Daraus
ergibt sich Punkt Nummer zwei: King ist sehr regelmäßig in den Bestsellerlisten zu finden, da sich alle sozialen und bildungstechnischen Kategorien von
seinem Schreibstil angesprochen fühlen können. Den Anspruch, echte Liter atur zu verfassen, hat King hierbei gar nicht : „Meine Bücher sind das literarische
Äquivalent eines Big Mac mit einer großen Portion Pommes.“ 89 Diese Einstellung
macht King zu einem reinen Trivialliteraten, allerdings mit einem ebenso hohen Beliebtheitsgrad wie McDonalds.
Neben diesen persönlichen Aspekten lässt sich aber auch ein zeitbezogener
Einfluss in seinen Büchern feststellen. Das Umfeld, in dem Thad dargestellt
wird, entspricht dem eines typischen amerikanischen Bürgers der oberen Mittelschicht: Der Mann verdient genug Geld, um die Familie mit – typischerweise – zwei Kindern zu versorgen, während die Frau den Haushalt organisiert.
Er wohnt in einer Kleinstadt und beisitzt ein Sommerhaus in einem anderen
Staat, indem er gemütlich Urlaub mit seiner Familie zu machen pflegt. Selbst verständlich gibt es da auch das eine oder andere Problem innerhalb der Ehe,
das aber mit gemeinsamen Kräften gemeistert wird. Thad ist so sehr ein Kind
seiner Zeit, dass es Niemandem schwerfallen dürfte, sich eine ähnliche Person
im nahen Freundes- oder Bekanntenkreis zu suchen. Dies ermöglicht eine einfache Identifikation, da mit allgemeingültigen Klischees gearbeitet wird.
Das psychologische Problem der Selbstkonfrontation und der Identitätskrise,
das hier literarisch verarbeitet wird, ist ebenfalls ein typischer Aspekt des 20.
Jahrhunderts. Der Mensch – in diesem Fall Thad Beaumont – entdeckt auf ein
Mal seine dunkle Seite, der er sich zwar immer latent bewusst war, zu der er
aber nie wirklich gestanden hat. Stark ist ein Überbleibsel seiner Kindheit, das
er aufarbeiten und überwinden muss. Diese Konfrontation mit sich selbst er leben Tag für Tag zahlreiche Menschen, und sie wird in einer Zeit, in der man
Gelegenheit bekommt neben seinem Broterwerb auch noch genügend Freizeit
für solche Dinge wie Selbstreflexion zu haben, immer häufiger. Dies beweist
die stetig wachsende Zahl an Selbsthilfegruppen und leider auch Selbstmorden, und nur so lässt sich die Tatsache erklären, dass es in Amerika mittle rweile mehr Psychiater, als Briefträger gibt90. Der Mensch wird mit einem
Selbstbild konfrontiert, das für ihn nur schwer zu verstehen und zu akzepti eren ist.
89
Biographie Stephen King
27
VI Weiterführende Gedanken
VI.1 Die Frage nach der Selbstbestimmung des Menschen als Leitgedan ke beider Bücher
Als grundlegende Idee findet sich in beiden Büchern die Frage nach der
Selbstbestimmung des Menschen. Sowohl Medardus als auch Thad sind der
Meinung, ihr Leben in der Hand zu haben, d.h. frei darüber verfügen zu können. Medardus erkennt den Trieb, dem er unterworfen ist – nämlich das Ve rlangen Aurelie zu besitzen –, zwar, kann sich ihm aber nicht entziehen. Doch
selbst die Verfolgung dieses Ziels bleibt ihm verwehrt, wenn er sich immer
wieder seinem Doppelgänger und den damit verbundenen Attacken des Wahnsinns stellen muss. Letztendlich erfährt er erst in dem italienischen Kloster,
dass sein Leben von vornherein determiniert war, und er entweder die Möglichkeit hatte, die Familie auszusöhnen, oder wie seine Ahnen in Frevel zu
verfallen. Medardus erscheint somit als fremdbestimmte Persönlichkeit, g elenkt von der Erbschuld und seiner eigenen Triebhaftigkeit.
Thad unterliegt dem Trugschluß, ein freies Wesen zu sein, wesentlich länger,
nämlich über Jahre hinweg, bis er sich entschließt sein Pseudonym abzuscha ffen. Erst hier manifestiert sich die Kraft, die ihn die ganze Zeit schon im
Griff hatte, zur Person George Stark. Sein weiteres Leben wird von Stark bestimmt, und Thads Aktionen scheinen oft nur als bloße Reaktionen. Trotz der
Tatsache, dass es letztendlich Thad ist, der dem Ganzen ein Ende bereitet und
Stark vernichtet, hat dieser weiteren Einfluss auf sein Leben, was in einer kaputten Ehe und einem verzweifelten Ichverständnisses Thads endet.
So stellen beide Schriftsteller die Frage nach der Fremdbestimmung des Menschen in den Raum, und keiner entschließt sich, dem Leser eine Antwort zu
geben. Vielleicht deshalb, weil dies eine Frage ist, die zu beantworten dem
Selbstverständnis des Individuums überlassen werden muss.
VI.2 Das Ende des Buches: Vergebung für den Protagonisten ?
Bereits aus der Tatsache, dass das Verfassen des Buches die „Elixiere des
Teufels“ für Medardus eine Art Bußübung ist, legt die Frage nahe, ob ihm
denn am Ende des Buches auch wirklich vergeben wird. Medardus selbst kann
diese Frage nicht beantworten, jedoch findet sich am Ende des Buches ein
Nachwort von einem anderen Mönch des Klosters, der berichtet, dass Medardus „sehr fromm gestorben [sei]“ 91. Allerdings sei dahingestellt, inwieweit ein
simpler Mönch den komplizierten Seelenzustand des Medardus erfassen kann.
Im Gegensatz zu diesem nämlich, beurteilt Medardus seinen Situation weit
weniger positiv, wenn er seinen Schriften mit einer Bitte an die heilige Rosalia
schließt: „[B] itte für mich, o heilige Jungfrau, in der dunklen Stunde, dass die
macht der Hölle [...] nicht mich bezwinge und hinabreiße in den Pfuhl ewiger
90
Wobei man doch logischerweise annehmen müsste, dass ein solch typischer Dienstleistungsberuf
stärker vertreten sein müsste, als eine spezielle medizinische Richtung.
91
EdT 323
28
Verderbnis!“ 92. Medardus scheint seinen Sünden also nicht als gesühnt anzu sehen, wenn er sich immer noch als angreifbar für die Versuchung betrachtet.
Wie gestaltet King sein Ende ? Thads Buße ist die Ermordung (wenn man bei
einem Untoten von Ermordung sprechen kann) von Stark. Er hat ihn aus der
Welt geschafft, obwohl er ihn nicht einmal bewußt in die Welt hineingesetzt
hat. Die Buße scheint also mehr als genügend. Und trotzdem fühlt Thad sich
weiterhin schuldig (→III.3).
Es scheint als ob es für beide – Medardus und Thad – keine Vergebung geben
könne. So groß ist die Schuld die sie auf sich geladen haben, dass man sie
nicht wieder wett machen kann. Sowohl Hoffmann als auch King postulieren
damit, dass ein guter Wille oftmals nicht genügt, und es durchaus möglich ist
sich soweit in Sünde zu verstricken, dass man dazu verdammt wird ein Leben
lang damit zu kämpfen. Hier zeigt sich ein ähnlich pessimistisches Menschenbild, wie in der Beantwortung nach der Frage der Selbstbestimmung.
C Das Motiv des Doppelbewustseins in dem Buch Fight Club
Das Doppelgängermotiv, das sich noch bei Hoffmann finden ließ, gestaltete
sich bei King bereits zu einem halben Doppelbewusstsein um. 10 Jahre später
findet sich dieses Motiv voll ausgestaltet in dem Roman „Fight Club“ von
Chuck Palahniuk wieder. In einem Zeitalter, in dem die Rätsel der Gene bereits fast völlig entschlüsselt sind, ist ein einfacher Doppelgänger nicht mehr
reizvoll. So verlegt sich der Autor auf das Doppelbewusstsein, was sich als
psychisches Problem wesentlich interessanter gestalten lässt. Der unscheinb are Versicherungsangestellte lebt nachts ein zweites Leben, von dem er selber
nichts weiß. Mit der Zeit glaubt er, sein zweite Ich als Person wahrnehmen zu
können, die genau mit den Eigenschaften bestückt ist, die ihm – seiner Mei nung nach – fehlen: Er ist ein Draufgänger, hat Erfolg bei Frauen und steht
völlig frei außerhalb der Gesellschaft. Im Prinzip ist es eine Idee, die sich
personifiziert, allerdings nicht wie bei Stark als reale Person, sondern nur für
seinen Schöpfer sichtbar. Und auch hier finden sich typische Aspekte wieder:
Der Doppelgänger, der böse Dinge tut, wie Restaurants zu boykottieren, indem er in die Suppenterrine pinkelt, oder Häuser in die Luft zu jagen. Der
eigentliche Protagonist bleibt für den Leser scheinbar schuldlos, obwohl er es
natürlich ist, der all diese Dinge, allerdings mit einem anderen Bewusstsein,
tut. Ebenso wie bei Hoffmann findet sich auch hier ein Ich-Erzähler, was den
Leser auf ein und denselben Wissensstand, wie den Protagonisten verweist.
Das Motiv des Doppelgängers unterliegt somit zwar einem Wandel, es fasz i niert Schriftsteller und Publikum aber immer noch, wie das Interesse an den
„Elixieren“ im 19 Jahrhundert, die Verkaufszahlen von „The Dark Half“ im
20. Jahrhundert, und die Einnahmen des Films Fight Club – nach dem gleichnamigen Buch - eindrucksvoll beweisen.
92
EdT 320
29
Literaturangaben
- King, Stephen - Stark „The Dark Half“ , München, Wilhelm Heyne
Verlag 1998 25
- Hoffmann, E.T.A. – Die Elixiere des Teufels, Stuttgart, Pilipp Reclam jr. Verlag 1997
- Brockhaus, Enzyklopädie in 24 Bänden, Leipzig-Mannheim F.A.
-
Brockhaus GmbH 1998 2 0
Biographie Stephen King, Munzinger-Archiv/Internationales Bio -
-
graphisches Archiv 6/97, New York, Viking Press
Palahniuk, Chuck – Fight Club, München, Droemersche Verlagsan -
-
stalt Th. Knaur Nachf. 1999
ferner: Hans Gerd Rötzer – Geschichte der deutschen Literatur,
Bamberg, C.C. Buchners Verlag 1992 5
30
Ich erkläre hiermit, dass ich die Facharbeit ohne fremde Hilfe angefertigt und
nur die im Literaturverzeichnis angeführten Quellen und Hilfsmittel benutzt
habe.
31
, den
Ort
Datum
Sonja Lux

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