Football`s coming home

Transcrição

Football`s coming home
Gunnar Leue
Football’s coming home
Die großen Momente der Fußballpopgeschichte
”
”
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Geschichte zeigt: Da rollte früh was an . . . . . . . . . .
Im Stadion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wenn die Musi vorm Spiel erklingt:
in Trainingslagern, Bussen und Kabinen … . . . . . . . .
Stadion DJing vor, während und nach dem Spiel . . . .
Nationalhymnen: vom Vorspiel zur Lachnummer . . .
Sang und Klang auf der Tribüne . . . . . . . . . . . . . . . .
Der Promi-Treff in der VIP-Loge . . . . . . . . . . . . . . . .
The Turnier-Show must begin . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Im Studio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vereinshymnen, Lob- und Schmählieder auf Klubs . .
Was schon immer mal über Fußball(er)
gesungen werden musste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vom Platz ins Studio: Fußballer am Mikrofon . . . . . .
Zweifelhaftes Stimmungs-Intro:
die Turnierhymne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Oh Nationalspieler, elf Sänger sollt ihr sein . . . . . . . .
Der Musiker – Freund und Helfer des Vereins . . . . . . . .
In Concert – Live is Live . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vorsicht Kamera – Fußballpop
in Funk und Fernsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fröhlich sein und singen – die Partypioniere . . . . . . . . .
Ungewöhnliche Rendezvous von Fußball(ern)
und Musik(ern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
Quellenangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
”
Vorwort
»Man sollte nicht ernsthaft über Rockmusik reden,
das ist genauso, als ob man todernst übers Fußballspiel
reden würde. Beides sollte stets das sein, wozu es
ursprünglich gedacht war, nämlich Unterhaltung.«
David Coverdale, Ex-Sänger von Deep Purple
Was haben Fußball und Popmusik miteinander zu tun? Im
Prinzip nichts, im richtigen Leben alles. Wollten Außerirdische
den Sinn des Lebens auf der Erde erkunden, bräuchten sie nur
auf diese beiden Spielplätze zu schauen. Unsere Spezies strebt
nach Spaß, Erfüllung und danach, das letzte Wort zu haben,
wofür sie sich anstrengt und notfalls trickst. Zwar gibt der
Mensch überall den Gernegroß, im Fußball und in der Musik
richtet er jedoch das geringste Unheil an. Eine zivilisatorische
Leistung, die schwer erkämpft wurde.
Der beinahe parallele Aufstieg von Fußball und Popmusik begann damit, dass beiden anfangs ein ähnlich schlechter Ruf
anhaftete. In Deutschland wurde das eine zunächst als Fußlümmelei abgetan, das andere als Hottentottenmusik. Unbeeindruckt schritt ein unbekannter Deutscher in einem Liederbuch für Fußballspieler 1920 zur Verbrüderung: »Lieder und
Spiel sind stammverwandt, sind doch beide die Sonnenkinder
jener licht- und wärmestrahlenden Himmelsgöttin, die leider
durch den Entwicklungszug unserer Kultur mehr und mehr zu
einer Fremden auf Erden geworden ist. Was Wunder, wenn
Lied und Spiel trotz aller Entfremdung sich zusammenfinden?«
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Wer Fußball spielt,
soll auch singen …
Die Liaison ist heute inniger denn je. Fußball und Musik führen als Teile der Popkultur eine symbiotische, aber auch bizarre Beziehung. Fangesänge ohne Popanleihen: undenkbar. Eine
WM, EM oder ein Verein ohne eigene Hymne: unmöglich.
Eine Band ohne einen Fußballsong: mittlerweile ziemlich selten. Noch seltener sind Fußballer oder Mannschaften, die
nicht irgendwann singen.
Eingeläutet wird ein Spiel heutzutage gern mit »Hell’s Bell«
von AC/DC und wenn es sich um ein Finale handelt, dröhnt
am Ende »We Are The Champions« von Queen durchs Stadionrund. Entertainment heißt das verbindende Zauberwort.
Natürlich lassen sich auch zwischen Kicken und Kino oder
Angeln und Ambient Music Parallelen finden, aber nirgendwo
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wird die Brüderschaft so gefeiert wie im Rock and Ball. Die
sympathischen Simpel-Rocker von The Slade formulierten
stellvertretend für viele Kollegen den heiligen Dreisatz ihres
Lebensglücks: »Fußball, Puppen und Bier«. Das hätte genau
so auch im Spielerpass von George Best oder Paul Gascoigne
stehen können. Da sind sie sich mit ihren Fans einig: Überteuertes Bier im Plastikbecher gehört zum Stadion- oder Konzertbesuch einfach dazu (in den VIP-Logen kann es auch Sekt
sein).
Vom Bier zum Champagner und weiter zum sexuellen Schlaraffenland – diesen Gedankenweg beschreiten Fußballer ebenso gern wie Musiker, wobei nur Letztere dies immer schon als
wichtige Spielmotivation zugaben. Für den sozialen Aufstieg
aus der Unterschicht sahen viele Jugendliche nur zwei Chancen: das Spielen in einer Band oder in einer Fußballmannschaft. Weil Fußballer anfangs als reine Sportler galten, denen
man anders als Künstlern kein Recht auf Allüren zubilligte,
gaben sie sich nach außen zunächst braver. Inzwischen haben
sie bei Sex & Drugs & Rock’n’Roll-Skandalen mächtig aufgeholt.
Remis steht es schon jetzt in puncto Kommerzialisierung,
manifestiert im Rund-um-Sponsoring und überteuertem Merchandisingkrempel, was die Fans überall spaltet. Die Mainstream-Abteilung freut sich am Eventfeeling für die ganze
Familie, während die Indie-Fraktion lieber ein (scheinbar) unbedeutendes Drittligaspiel anschaut als den FC Bayern. Stadionrock versus Clubkonzert – die Ansätze zum Fanbewusstsein gehen oftmals auseinander wie weiland der Bauch von
Maradona.
Ob Indie- oder Eventpublikum: Es ist das Live-Spiel auf Rasen
oder Bühne, das lockt. Den feinen Unterschied kennt Mick
Jagger. »Musik ist keine Sache von 90 Minuten auf dem Platz
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und dann gewinnst du oder verlierst. Spielen Sie als FußballTeam eine schlechte Saison, steigen Sie ab. Mit Musikern, die
schon mal etwas geleistet haben, hat man, denke ich, doch
etwas mehr Geduld.« Das könnte daran liegen, dass sie inzwischen oft älter sind als ihre Zuschauer.
Nicht zu vergessen ist die Treue zur Jugendliebe. Sowohl Fußball als auch Rockmusik sind in ihrer Faszination letztlich
unkaputtbar. Mythen, Legenden, Randerscheinungen und
skurrile Hintergründe, gern verpackt in Rankings und Hitlisten, spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie sind das Salz in
der Suppe, das den Fans ihre Leidenschaft erst richtig schmackhaft macht, Genuss und Verdruss fördert – also alles, was die
Anbetung von Spiel und Spielern spannend macht.
Viele Leute zahlen für dieses Gefühl einen hohen Preis, auch
monetär. So wie die Dead Heads zu den Konzerten der Grateful Dead hinterherreisen, folgen die Fußballfans ihren Klubs
zum Auswärtsspiel. Und retten sie zur Not vor dem Ruin. Vor
allem Musiker treten gern als finanzielle Förderer auf, was den
passionierten Nichtfan in der Gewissheit bestärkt: Da sind die
Verrückten unter sich. Oh ja, gerade Superstars mit Hang zur
Geldverschwendung lieben den Fußball-Spielplatz.
Die moderne Ehe von Fußball und Pop verkörpert niemand
schöner als die Beckhams. David erreichte Ende der neunziger
Jahre als erster Fußballer einen vom sportlichen Können entkoppelten Status als globaler Popsuperstar, der mit Michael
Jackson oder Madonna vergleichbar war. Die Heirat mit ExSpice-Girl Victoria setzte dem Ballyhoo die Krone auf. Seitdem geht der Trend bei der Wahl der Spielerfrau immer öfter
zur Popsängerin.
Der Weg zum Event-Ballaballa ist gesäumt mit unzähligen
Opfern des guten Geschmacks – erbracht von berühmten und
weniger bekannten Protagonisten beider Kulturen. Wo das
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mit dem Stadionrock over the world noch enden wird, weiß
niemand.
Wie alles begann, wer die Trendsetter, die frühen Helden und
die größten Rumpelfüßler des Rock’n’Ball sind, darüber
möchte dieses Buch Auskunft geben. Denn irgendwie gehören
auch die großen Fußball-Pop-Momente zur abenteuerlichen
Kulturgeschichte der Menschheit.
Gunnar Leue, Herbst 2009
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”
Die Geschichte zeigt:
Da rollte früh was an
»Im Laufe der Zeit wird man sagen, dass Maradona für
den Fußball das war, was Rimbaud für die Dichtkunst
und Mozart für die Musik.«
Eric Cantona, Fußballer
Am 20. Januar 1982 stand Ozzy Osbourne mit seiner Band
Black Sabbath auf einer Bühne in Amerika und biss einer Fledermaus den Kopf ab. Ein Fan hatte sie auf die Bühne geworfen und der Sänger sie für eine Attrappe gehalten. Die Aktion
schlug ein wie ein Ballack-Elfmeter und bescherte Ozzy dank
der weltweiten Empörung sofort die Tabellenspitze unter den
Schockrockern, bekleckerten sich die Kollegen Alice Cooper
oder Kiss doch nur mit Kunstblut.
Die Geschichte des Fußballs begann etliche hundert Jahre zuvor angeblich mit einer ähnlichen Enthauptungsshow. Laut
Historikern knödelten die alten Kelten nach gewonnenen
Schlachten mit den abgeschlagenen Köpfen der Gegner, bevorzugt von Häuptlingen, herum. Dass die Gruselkicker die
Ahnentruppe des Fußballs sind, wird von den Chinesen zwar
bestritten. Aber wozu an der Legende kratzen, wenn sich daraus zwei wesentliche Charakteristika des modernen Fußballs
schön ableiten lassen? Erstens: die Affinität zum Martialischen
und zur Gewalt. Zweitens: die Erkenntnis, dass Sport und
Unterhaltung zusammengehören.
Den antiken Griechen war dies beizeiten klar, weshalb sie neben den Olympischen Spielen für die Sportler auch Pythische
Spiele für Musiker und Sänger in Delphi veranstalteten. Selbst
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bei den neuzeitlichen Spielen zwischen 1912 und 1948 wurden noch Medaillen für künstlerische Leistungen wie Gesangsund Orchesterkompositionen vergeben. Nicht jedoch für Fangesänge, die entwickelten sich erst später zu einer eigenständigen Kategorie des Musikschaffens – natürlich in England,
wo ausgerechnet Aristokraten Mitte des 19. Jahrhunderts den
Grundstein für jenen Platz legten, auf dem sich das niedere
Volk fortan sportlich austobte. Letztlich war das die Voraussetzung für den Durchbruch des Fußballs zum Massenphänomen. Ähnlich wie bei der Popmusik, deren globaler Siegeszug
seine Ursprünge im Unterschichtenfaible für Blues und daraus
folgend Rock’n’Roll und Beatmusik hatte.
Ob es Zufall ist, dass ausgerechnet eine Insel mit tendenziell
eigentümlichen Bewohnern heute als Mutterland von Fußball
und Popmusik gilt? Als spekulative Erklärung böte sich die
positive Einstellung der Briten zum Biertrinken an. Ahnten sie,
dass sich Konzert- und Fußballspielbesuche als ideale Veranstaltung zum Kollektivsaufen eignen würden? Dafür spräche,
dass der Geburtstag des modernen Fußballs am 26. Oktober
1863 in der Londoner Kneipe »Freemason’s Tavern« gefeiert
wurde. Damals gründeten ein paar Sportfreunde die »Football
Association«, den ersten nationalen Verband.
Auch wenn Musikern der Drang zum Formellen eher abgeht –
der Schänke gebührt in ihrer Kulturgeschichte gleichfalls ein
zentraler Platz. Der Aufstieg der Rock- und Popmusik begann in
diversen Blueskneipen und Beatschuppen. Vielleicht stürzten
die Briten auch so ungestüm und massenhaft auf die neuen
Spielfelder, weil sie merkten, dass sich wildes Gekicke genau
wie musikalisches Remmidemmi gut für die kurzzeitige Auflösung des ihnen oft nachgesagten Gefühlsstaus eigneten. Nicht
nur bei den Briten zeigt sich, dass entfesselte Emotionen das
große Bindeglied zwischen Fußball und Musik sind.
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Der Unterschied zwischen den Kulturkreisen ist jedoch, dass
vorzugsweise aus dem nord- und mitteleuropäischen Raum
stammende Fans zum Ausflippen gern den Alkohol-Support in
Anspruch nehmen. Die Bevölkerung der Rhythmus-im-BlutHemisphäre neigt auch ohne Rauschmittel dazu. Vor allem in
Brasilien, wo die Verwandtschaft von Dribbel- und Tanzkunst
den Samba-Fußball gebar (den Begriff hatte der Soziologe Gilberto Freyre 1938 in einem Aufsatz über die Selecao aus der
Taufe gehoben).
Lange bevor der Fußball in dem südamerikanischen Land zur
Volksreligion wurde, hatten die schwarzafrikanischen Sklaven
im 19. Jahrhundert den Kampftanz Capoeira entwickelt. Er
war Teil der Widerstandskultur gegen ihre Unterdrückung.
Von ihm, so sagt es Brasiliens Volkssänger und zeitweiliger
Sportminister Gilberto Gil, habe der brasilianische Fußball
viel übernommen. »Vom Capoeira kommt unsere körperliche
Elastizität und Beweglichkeit.«
Anfang des 20. Jahrhunderts hatte das von den Engländern
nach Brasilien gebrachte Spiel bereits einen festen Platz neben der Samba in der kulturellen Seele des Volkes eingenommen. In Rio ist jeder große Verein mit einem der großen
Sambaklubs liiert. Alle, inklusive der Frauen, beteiligen sich
dort singend und tanzend am Spiel. Gilberto Gil: »Unsere
ganze kulturelle Seele kommt beim Fußballspielen zum Ausdruck.«
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Show-Girls und Fußballer in Affären vereint
Die Fusion von singendem und kickendem Unterhaltungsgewerbe trieb in Brasilien früh Blüten. Großartige Fußballer
wurden besungen und sangen natürlich selbst (besonders
Pelé). Samba-Prinzessinnen nutzen die Popularität von Spielern, um ihre Platten zu promoten. Als das umschwärmte
Showgirl Angelita Martinez, Tochter eines bekannten Profifußballers und selbst mit einem liiert, 1958 den Titel »Mané
Garrincha« als Tribut an den genialen Dribbler aufnahm,
spannte sie den auch gleich für die Platten-PR ein. Garrincha
begleitete sie ins TV-Studio, zu Konzerten und nahm sie mit
zum Training von Botafago Rio de Janeiro, wo sie im Vereinstrikot posierte und eine Affäre mit ihm begann. (Dass der
Schlager kurz darauf von der Zensur verboten wurde, lag nur
indirekt am unmoralischen Verhalten des verheirateten Fußballers. Die prüde Zensurbehörde störte sich an der Umdichtung der Leute, die aus »Mané, der in Pau Grande geboren
ist« die Zeile machten: »Mané, der mit einem Pau Grande
geboren ist«, was auf den legendären Ruf von Garrinchas
Penis zielte.)
Im Gegenzug halfen Sängerinnen bei der Stimmenakquise für
die Wahl zum Fußballer des Jahres. Diesmal war Fußballhallodri Garrincha der Profiteur. Er wurde tatkräftig unterstützt,
als er 1961 im Wettbewerb um den besten Fußballspieler Rios
hoffnungslos zurücklag. Bei der vom »Jornal dos Sports« veranstalteten Wahl durften die Leser unbegrenzt Stimmen abgeben, sie mussten es lediglich auf einem der Zeitung beigelegten Zettel tun. Auf ihrer Werbetour in eigener Sache traten die
Spieler in Schulen, Betrieben, vor Gewerkschaftern, im Radio
und Fernsehen auf. Oft begleiteten sie berühmte Leute, die die
Stimmen einkassierten. Ein Foto mit Autogramm gab es für
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20 Votierungen, eine Karte für ein Benefizkonzert zugunsten
eines Spielers kostete 50 Stimmen. Als Botafago-Mann Garrincha bei einer Zwischenauszählung nur auf Platz zwei lag
hinter Vasco-Kapitän Bellini, dem Favoriten der portugiesischen Kaufleute in Rio, erwog sein Verein den Einsatz einer
Sängerin als letzte Rettung. Der Liedtexter Ronaldo Bôscoli
hatte Botafago-Trainer Sandro Moreyra die Bossa-negra-Königin Elza Soares vorgeschlagen. Garrincha bat die zierliche,
aber stimmgewaltige Schönheit um Hilfe, worauf sie einging,
da er selbst berühmt war und der Job wenig Aufwand versprach: ein paar Autogramme und Wimpel in Plattenläden
gegen die Stimmen der Leute eintauschen, fertig. Es wurde
dann doch etwas mehr, denn die Samba-Queen forcierte ihre
Unterstützung noch mit Extra-Konzerten, so dass Garrincha
im Januar 1962 die Wahl zum besten Spieler von Rio mit
54 000 Stimmen Vorsprung gewann. Elza Soares wurde im
selben Jahr noch offizielle Patin der Seleção während der WM
in Chile, wo ihr Garrincha bei einem PR-Auftritt im Mannschaftsquartier versprach: »Ich hole dir den Pokal.«
Die Beziehung geriet zu einer innigen und schlagzeilenträchtigen Liebesromanze, die infolge der Alkoholabhängigkeit
Garrinchas nach vielen Jahren tragisch endete, weil Garrincha
seine Sucht nie in den Griff bekam und 1983 starb. Die Liaison war zweifellos das spektakulärste Beispiel für die auch
personell starke Verbandelung von Fußball und Musik in
Brasilien, wo es schon in den fünfziger Jahren zuhauf Affären
von Kickern mit Showgirls gegeben hatte.
Während die Samba der perfekte Soundtrack zum leichtfüßigen Spiel der Brasilianer war, bevorzugten die weniger leichtfüßigen Kollegen aus Uruguay und Argentinien passenderweise den schwermütigen Tango. Bei der ersten Weltmeisterschaft
1930 in Uruguay reichte die Rivalität zwischen Urus und Gau17
chos bis zum öffentlichen Disput, für welches Team Carlos
Gardel als musikalisches Maskottchen dienen dürfe. Der
berühmteste aller Tangostars wurde von beiden Nationen als
einer der ihren reklamiert. Er handelte sportlich fair und sang
bei der WM für beide Parteien. Dabei verfügten die Urus, die
das Finale gegen die Argentinier gewannen, mit José Leandro
Andrade über ein enormes Tangotalent in der eigenen Mannschaft. Andrade, der seine Kindheit als Straßenmusiker verbrachte, hatte in den zwanziger Jahren nicht nur als Fußballer
bei den Olympischen Spielen brilliert, sondern auch als Tangotänzer und Sänger in Pariser Varietés.
Und die europäischen Spieler? Sie zeigten sich immerhin als
geselliges Volk. Bei der gut zweiwöchigen Schiffsüberfahrt
nach Südamerika amüsierten sich die Teams aus Frankreich,
Rumänien und Belgien derart beim Hören von Arien und beim
Singen von Volksweisen, dass ihnen beim ersten WM-Turnier
die Kraft für sportliche Höchstleistungen fehlte. Deutsche
Fußballer befanden sich damals nicht auf dem Schiff. Dass ihr
Hobby in Deutschland überhaupt erst als Sport akzeptiert
wurde, lag ja auch noch nicht allzu lang zurück.
Lange wurde die »Fußlümmelei« im Land der Turnvereine mit
Hang zur Deutschtümelei als englische Unart geächtet. Wenn
schon Bolzen, dann Rackern und Kämpfen. Der Unterhaltungsaspekt des Sports war für die Deutschen nicht mal ein
drittklassiger Faktor. Statt Spaß am Spiel lautete die Parole:
Ertüchtigung fürs Soldatsein! Nur deshalb stellten die preußischen Militärs Anfang des 20. Jahrhunderts Exerzierplätze
als Bolzplätze zur Verfügung. Kein Wunder, dass teutonische
Fußballfans noch bis vor wenigen Jahrzehnten als Schlachtenbummler firmierten.
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Auch minderwertiges Liedgut taugt gut zum Feiern
Trotzdem hatten gerade die Aktiven in der frühen deutschen
Fußballära die Geselligkeit stets im Blick. Der kollektive Lobgesang aufs sportliche Hobby machte eben das erst richtig
schön. Das »Cassabuch« des »Berliner Fußball Clubs Hertha«, dem Vorläufer von Hertha BSC, belegt den Zusammenhang von Fußball, Fröhlichsein und Singen. Die Einnahmenund Ausgabenposten offenbaren den hohen Stellenwert der
musikalisch umrahmten Trinkabende, genannt »Kommers«,
für die Sportler anno 1893. Unter dem Posten »Für Tanz kam
ein« sind für die damalige Zeit horrende Summen aufgelistet.
Ein Pianist kostete zwei Mark zehn pro Abend, und gefeiert
wurde jede Woche.
Um die Jahrhundertwende erschienen auch die ersten FußballLiederbücher, wie das »Ballspieler Commers-Buch« mit Trinkund Volksliedern für Fußballer und Kricketspieler. Dass die
Qualität der Stücke selbst den Herausgebern zuweilen peinlich schien, erhellt ein Vorwort aus dem Büchlein »Sang und
Klang« von 1920: »Wir sind aus Mangel an wirklich guten
Sportliedern bis an die äußerste Grenze des Erträglichen gegangen.« Dass minderwertiges Liedgut kein Hemmnis für
ausgelassenes Feiern war, drang aus unzähligen Vereinsheimen
nach außen. Die Qualitätsfrage wurde von den Herausgebern
des DFB-Liederbuches 1953 schlicht verklärt, als Verbandschef Peco Bauwens sich das alte Fußball-Liedlein zurückwünschte, welches »die Mannschaft und die Gegner miteinander« verband. Des DFB-Chefs Rat: »Vereins- und vor allem
Jugendleiter sorgt dafür, dass das Lied wieder Einkehr in die
Reihen eurer Mitglieder findet. So bannt ihr den Fanatismus
und macht erst den Sport zu dem, was er sein soll: zum Freudenspender für Jung und Alt.«
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Schon 1922 hatten es die Wiener Fußballfans nicht bei allgemeinen Hymnen auf den Fußball belassen. Sie huldigten dem
Freudenspender in persona des Rapid-Wunderstürmers Josef
Uridil mit dem erwartungsfrohen Foxtrott »Heute spielt der
Uridil«, dessen Text von Robert Katscher und dem Wienerlied-Autor Hermann Leopoldi zur Musik von Oskar Steiner
und Oskar Virag verfasst wurde. Bis dato waren die Oden an
Spiel und Spieler eher allgemein gehalten wie bei Ernst Gröschels »Deutscher Fußballmarsch«, der im April 1921 vom
Otto Rathke Orchester beim Berliner Label Beka veröffentlicht wurde.
Nicht viel anders hielt man es anno dazumal in England. Nebenbei legte man dort den Grundstein für den fußballerischen
Stadionpop. Auf Tonträger konserviert ist der Gesang von
90 000 Zuschauern, die in Wembley vor dem FA-Cup-Finale
1927 Arsenal London gegen Cardiff City den religiösen Choral »Abide With Me« anstimmen. Nicht zuletzt dieses Ereignis
begründete eine Tradition und machte England zum Mutterland der Fangesänge.
Als das Inselreich 1966 zur WM rief, war die Welt eine gänzlich andere, vor allem poppigere. Nachdem die moderne Fußballära mit den Titelkämpfen 1950 in Brasilien begonnen
hatte, stand nun die Modernisierung des Fußballumfelds an.
In England grassierte die Beatlemania, was sich im ersten offiziellen WM-Lied – einem Skiffle-Song von Lonnie Donegan
für das WM-Maskottchen »World-Cup-Willie« – nicht unbedingt musikalisch widerspiegelte. Immerhin schwappte ein
bisschen Gefühl von Swinging London in die Stadien. Ausgerechnet einige Krauts drückten es auf einem Transparent
aus: »Die Beatles kommen aus England, der Weltmeister
aus Deutschland«. Mit Teil zwei der Behauptung lagen sie
falsch.
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