MeteoSchweiz - Sturm mit tropischem Charakter im Mittelmeer

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MeteoSchweiz - Sturm mit tropischem Charakter im Mittelmeer
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Aktuelles zum Wettergeschehen
08. November 2011 / Lionel Peyraud, Übersetzung Andreas Hostettler, Christoph Voisard
Sturm mit tropischem Charakter im Mittelmeer
Am Montag, 7. November 13 Uhr MESZ wurde ein Tief zwischen Korsika und den Balearen von der
amerikanischen Wetterbehörde NOAA offiziell als "Tropische Störung" deklariert. Noch am
gleichen Abend um 19 Uhr MESZ wurde das Tief von der NOAA zu einem Sturm mit tropischen
Eigenschaften, einem sogenannten "Tropical like cyclone", TLC heraufgestuft. Der Sturm mit der
Bezeichnung "01M/99L" erreichte am Mittwochnachmittag die Küste Südfrankreichs und löste
sich am Abend über der Camargue auf.
Im Bereich des Sturms wurden an exponierten Küstenlagen in Südfrankreich Orkanböen im
Bereich von 150 km/h gemessen. Zudem kam es in der Gegend von Marseille bis Nizza erneut zu
Starkniederschlägen und die hohe Brandung sorgte für grössere Probleme in Südfrankreich, aber
auch an der benachbarten italienischen Mittelmeerküste.
Wie entstehen solche Systeme über dem Mittelmeer? Wie häufig kommen sie vor? In folgendem
Bericht soll darüber Aufschluss gegeben werden.
Satellitenbildanimation (HRV-Kanal) des TLC "01M" vor der Küste Südfrankreichs vom
Dienstagnachmittag, 8. November 2011
Animation.gif, 8.3 MB
Die Entstehung Tropischer Stürme
Die Kriterien und häufigsten Bedingungen für die Formation eines tropischen Systems sind wie
folgt:
Meerwassertemperaturen wärmer als 26°C bis 50 Meter Tiefe
Instabile Luftmassenschichtung
Sehr feuchte Luftmassen in den unteren und mittleren Atmopshärenschichten
Korioliskraft stark genug, um die Bildung eines Tiefdruckzentrums zu ermöglichen
Die Initialisierung der Zirkulation durch konvergente Windfelder in den tieferen Luftschichten
Schwache Scherungsbedingungen (Windrichtungs- und Stärkeänderungen) mit zunehmender
Höhe
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Falls diese Kriterien vorhanden sind, kann sich eine sogenannte "Tropische Depression" mit
einer geschlossenen Zirkulation bilden, in welcher die mittleren Windgeschwindigkeiten 60 km/h
nicht überschreiten. Bei höheren Geschwindigkeiten spricht man von einem "Tropischen Sturm"
und ab einer mittleren Windgeschwindigkeit von mehr als 115 km/h wird das System als
"Zyklon" (in der westlichen Hemisphäre als "Hurricane") bezeichnet.
Die Ursprungsgebieten solcher tropischen Systeme befinden sich meistens in tropischen
Gewässern, die weit genug vom Äquator liegen, damit die Korioliskraft ihren Einfluss ausüben
kann, wenn die übrigen Bedingungen erfüllt sind.
Im Gegensatz zu den "Extratropischen Zyklonen" der mittleren Breitengrade, welche ihre Energie
durch die unterschiedlichen Luftmassen beziehen, werden tropische Tiefdruckgebiete durch die
Verdunstungswärme der feuchtwarmen Luftmassen angetrieben. Typischerweise kann im
Zentrum dieser Wirbel ein sogenannter warmer Kern festgestellt werden, dies im Gegensatz zu
Tiefdruckgebieten in unseren Breiten, welche sich durch einen kalten Kern auszeichnen.
Dieses Schema zeigt die Entwicklung einer tropischen Welle bei den Kapverden bis zum Hurricane
im Bereich der Karibik (Bildquelle: NOAA).
gross.jpg, 100 KB
Umwandlung eines "extratropischen" Tiefs zu einem Tief mit "tropischen" Eigenschaften
Währenddem sich tropische Tiefdrucksysteme häufig in bestimmten Weltregionen mit den
obenbeschriebenen Idealbedingungen bewegen (zum Beispiel südlich des Azorenhochs in den
sogenannten "easterly waves"), gibt es Fälle in welchen sich Überreste eines extratropischen Tiefs
in ein Tief mit tropischen Eigenschaften umwandeln.
Im Fall des thematisierten Tiefs über dem westlichen Mittelmeer, welches in seiner
ursprünglichen Ausprägung als Tief "Rolf" die tagelang anhaltenden Starkniederschläge über
Frankreich, Italien aber auch der Südschweiz verursachte, passierte genau diese Umwandlung in
ein System mit tropischen Eigenschaften.
Obwohl die Meerestemperaturen im Bereich von Tief "Rolf" nur um 20 Grad betrugen und damit
deutlich weniger als bei der Bildung von originalen tropischen Systemen, wurde im Bereich des
Tiefkerns offenbar genügend latente Wärme freigesetzt damit sich ein warmer Kern bilden
konnte.
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Diese Darstellungen ziegen die Unterschiede zwischen tropischen und extratropischen Zyklonen.
Der tropische Zyklon bildet sich in einer homogenen Temperaturumgebung. Im Gegensatz zu den
extratropischen Zyklonen schöpfen sie ihre Energie aus der latenten Wärme der Luftmasse und
bilden damit einen warmen Kern. Das Tief der mittleren Breitengrade nimmt seine Energie aus
der thermischen Differenz zwischen kalten und warmen Luftmassen, was zur Bildung von Kaltbzw. Warmfronten um einen kalten Kern führt (Merrill 1993).
gross.jpg, 111 KB
Häufigkeit der Tiefdruckgebieten mit tropischen Charakter im Mittelmeer
Die Bildung solcher Zyklone mit tropischem Charakter findet im Mittelmeer eher selten statt.
Zudem ist Ihre Intensität meistens durch die Abwesenheit von anfangs dieses Berichtes
erwähnten Parametern eingeschränkt, nämlich zu tiefer Wassertemperatur, zu starker
Windscherung oder fehlender Initialisierung. Diese fehlenden Bedingungen beschränken oder
verhindern die Bildung solcher Systeme.
"Tropische Systeme" sind im Mittelmeer zwar eher selten anzutreffen, aber folgende Liste zeigt,
dass sie trotzdem regelmässig beobachtet worden sind:
In den letzten 20 Jahren:
vom 14. bis 18. Januar 1995 im Zentralmittelmeer
vom 11. bis 13. September 1996 im westlichen Mittelmeer
vom 6. bis 11. Oktober 1996 im westlichen und zentralen Mittelmeer
vom 25. bis 28. Mai 2003 im westlichen Mittelmeer
vom 17. bis 19. Oktober 2003 im westlichen Mittelmeer
vom 26. bis 29. Oktober 2005 im Zentralmittelmeer
vom 13. bis 16. Dezember 2005 im zentralen und östlichen Mittelmeer
im September 2006
Solche Systeme haben wenig gemeinsam mit Orkantiefs à la "Lothar", welche besonders heftige
Vertreter von Tiefdruckgebieten der mittleren Breitengrade (extratropische Zyklone) sind.
Obschon heftige extratropische Tiefdruckgebiete Sturmwinde mit vergleichbarer Stärke wie
diejenige eines Hurrikans (tropischer Zyklone) verursachen können, eignet sich der Ausdruck
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"Hurrikan" für extratropische Zyklone nicht, weil ihre Struktur, ihre Entstehung und ihr
Lebenszyklus grundsätzlich verschieden sind.
Zusätzliche Informationen:
Zum aktuellen Fall im Mittelmeer :
Satellite Analysis Branch NESDIS /NOAA
Keraunos
Estofex
Allgemein über tropische Zyklone :
Tropical Prediction Center/National Hurricane Center
Hurricane Research Division / NOAA
Avertissements des cyclones tropicaux par bassin
© 2005 - 2011 MeteoSchweiz | Letzte Änderung: 08.11.2011
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