Spectrum Geräuschlose 800 Kilogramm

Transcrição

Spectrum Geräuschlose 800 Kilogramm
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Guess Club - Bar und
Restaurant
Kaunitzgasse 3
1060 Wien, Österreich
© Mischa Erben
Geräuschlose 800 Kilogramm
SAMMLUNG
Cool, lässig, großstädtisch, durchlässig: die zwei Ebenen des "Guess-Clubs" von
Markus und Kinayeh Geiswinkler. Selten wurde der Innen-außen-Bezug so scharf in
Szene gesetzt wie bei dem neuen Lokal in Wien-Mariahilf.
ARCHITEKTIN
Spectrum
Geiswinkler & Geiswinkler
BAUHERRIN
conWert Immobilien AG
von Liesbeth Waechter-Böhm
Was einem beim Anblick des "Guess-Clubs" in der Wiener Kaunitzgasse in den Sinn
kommt, das sind zeitgeistig-urbane Schlagworte: Coolness, großstädtisches Nomadentum,
Vernetzung, Kommunikation, virtuelle Bilder, Geschwindigkeit . . . Aber die Arbeit von
Markus und Kinayeh Geiswinkler hält mehr parat.
Der "Guess-Club" befindet sich in einem Gründerzeithaus aus dem Jahr 1872 mit
herkömmlicher Lochfassade, allerdings auf einem Terrain, dem eine gewisse Eigenart
innewohnt: Das Haus steht auf der Geländekante zum Wiental hinunter, eine
Stiegenanlage mit denkmalgeschütztem Mauerwerk (Otto Wagner) überwindet diesen
Geländesprung. Wohlgemerkt, von einem Lokal ist die Rede. Von einem "urbanen" Lokal.
Einem, wo sich seit der Eröffnung ein Publikum festsetzt, das mit banaler
("Erlebnis"-)Dekoration allein kaum zu ködern wäre.
STATIK
Gmeiner Haferl
FUNKTION
Hotel und Gastronomie
PLANUNGSBEGINN
1997
AUSFÜHRUNG
1997 - 1998
MITARBEIT PLANUNG
Eric T. Red (PL), Michael Maurer,
Roland Hartmann, Stuart
Mackenzie-Harrison
MITARBEIT STATIK
Und doch muß man sagen, daß die Botschaft, die der "Guess-Club" in das städtische
Daniel Georgi
Umfeld morst, nicht etwa einem Geheimcode unterliegt, sie ist für jedermann auf Anhieb zu
WEITERE KONSULENTiNNEN
entschlüsseln: Was hier signalisiert wird, hat mit Offenheit zu tun, mit dem kommunikativen
Kunst am Bau: Andreas Baumann
Austausch zwischen draußen und drinnen, mit einem lässigen, ganz unprätentiösen
(Surrounding)
Selbstverständnis. Daran sind die Architekten nicht "unschuldig".
Der "Guess-Club" erstreckt sich über zwei Ebenen und hat folgerichtig zwei Eingänge.
Oben geht es in die Bar, unten, am Fuß der Treppe, ins Restaurant. Intern sind beide
Ebenen natürlich ebenfalls verbunden, können im Fall spezieller Veranstaltungen in der
Bar aber problemlos getrennt werden. Zur Stadt hin blickt ein gewaltiges Schaufenster acht mal fünf Meter - , das beide Ebenen einsehbar macht. Es ist zweigeteilt und läßt sich
im Barbereich aufschieben: Mit Hilfe eines Elektromotors fahren die 800 Kilogramm Glas
der oberen Scheibe geräuschlos hinunter.
Aufgrund der Bildrechte kann es zu Unterschieden
zwischen der HTML- und der Printversion kommen.
Im Barbereich selbst ist die solcherart gewollte städtische Schlucht nur durch eine
Glasbrüstung ohne Handlauf konterkariert, von weitem teilt sich diese notwendige
Sicherheitsmaßnahme also gar nicht mit. Da steht man und schaut verwundert, auch ein
wenig irritiert hinüber, und man fragt sich: Ja, darf denn das sein? Das vorrangige Thema
ist damit aber klar definiert: Der Innen-außen-Bezug wurde hier mit ungewöhnlicher
Schärfe in Szene gesetzt.
© Mischa Erben
© Mischa Erben
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© Barbara Bösch
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Guess Club - Bar und Restaurant
Die Geiswinklers hatten bei diesem Bau mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Allen
voran: Wie reagiert ein gründerzeitliches Ziegelmauerwerk, wenn man es entkernt? Man ist
schrittweise vorgegangen: Es wurde entkernt, es wurde abgefangen, es wurde weiter
entkernt, und es wurde weiter abgefangen. Jetzt stecken in der Decke ungefähr 40.000
Kilogramm Stahl, und im oberen Bereich zeugt die Position des Barbereichs mit seinem
elliptischen Kern noch vom konstruktiv nicht wegzubringenden Restbestand der alten
Mittelmauer.
Die Bar ist schlicht schön: hinterleuchtetes Glas, vie- le Flaschen, angenehm für jedes
Auge. Der große, durchlässige Raum wurde geradezu leger behandelt. Sehr dunkler
Kunststein auf dem Boden, ein metallisches Gittergeflecht an der Decke, schwarzer Granit
an der Bar. Und Glas in allen Variationen: als hinterleuchtete Milchglasscheiben, als
durchsichtige Screens, als dunkles, fast schwarzes Plexiglas-Kleid und als schwarze
Wand, die gleichzeitig Projektionsfläche ist. Denn das ist das Besondere dieser Bar: Sie
treibt mit den technologischen Möglichkeiten von heute ihr Spiel.
Da wird einerseits dem Besucher die Möglichkeit geboten, zum Drink aktiv im Internet zu
surfen, er kann aber auch unversehens passiv zum Gegenstand eines Medienspektakels
werden: Versteckte Kameras filmen das Geschehen in der Bar, auf der schwarzen
Glaswand tauchen diese Bilder dann wie aus dem Nichts auf. Später einmal, wenn es auch
in anderen Städten "Guess-Clubs" geben wird - Günter Kerbler, dem Besitzer, schwebt
eine solche Lokal-Kette vor - , wird sich dieses Spiel noch erweitern lassen: Dann kann
man in Wien zeitgleich miterleben, was sich in Berlin oder Mailand tut.
Die Architekten haben bei der Möblierung der Bar auch das Detail beachtet. Man sitzt auf
Barhockern von Castiglioni, und die Stühle stammen von Charles Eames. Nur die
Sitzbänke sind ein maßgeschneiderter Entwurf. Feinheiten lassen sich dabei erst ausfindig
machen, wenn man ins Restaurant hinuntergeht und dort auf die gleiche Möblierung trifft.
Denn dort haben die Eames-Sessel ein Sitzkissen, und die Rückenlehne der Bänke ist
eine Spur stärker geneigt als oben. Bequemlichkeit ist also angesagt.
Grundsätzlich sind die Materialien, die man in der Bar vorfindet, bis in das Restaurant im
Untergeschoß durchgezogen. Die Anordnung der Tische - jeweils an den Wänden entlang
- wirkt hier durch einen leichten, eleganten Schwung wie eine großzügig einladende Geste.
Ein kleiner Teil des ursprünglichen Gewölbes korrespondiert homogen mit den alten
Ziegelmauern, die nur abgeschlagen, aber nicht verputzt wurden. Trotzdem kommt keine
rustikale Kelleratmosphäre auf. Dem rauhen Mauerwerk ist nämlich eine dunkle
Plexiglasbahn vorgespannt, eine artifizielle "zweite Haut" sozusagen.
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Man könnte sagen, daß ein Hauptziel der Architekten die Vereinheitlichung und
Beruhigung, die Durchlässigkeit und Großzügigkeit der beiden Geschoße war. Obwohl
natürlich viel Technik installiert werden mußte, zeigen die Geiswinklers diese Technik nicht
her, das heißt: ausschließlich auf den WCs.
Sie hätte viel zuviel Unruhe in die Räume gebracht, sie hätte das Raumklima belastet.
Jetzt deckt das Metallgeflecht an der Decke alle Leitungen und Rohre ab, und durch das
Geflecht hindurch wird auch noch die verbrauchte Luft unsichtbar abgesaugt.
An "Kinderkrankheiten" wären zu vermerken: Ein Bewegungsmelder sollte dafür sorgen,
daß das Bild der Speisekarte auf einem Bildschirm erscheint. Das tut es viel zu spät - ein
Software-Problem. Und im Barbereich fehlen noch die Kameras bei den Bildschirmen, die
es dem Gast ermöglichen sollen, bei seiner Internet-Kommunikation auch selbst auf dem
Schirm zu erscheinen.
Vor allem aber: Wie das großzügige "Aufschneiden" des Lokals, wie der kommunikative
Austausch mit dem Straßenraum tatsächlich funktioniert, wie es ist, wenn die gewaltige
Scheibe nach unten fährt und unten bleibt, das kann man wohl erst hautnah erfahren,
wenn es wieder wärmer ist.
Spectrum, 28.11.1998
WEITERE TEXTE
Guess Club - Bar und Restaurant, Az W, 14.09.2003
Im Raum der schwarzen Moderne, Gert Walden, Der Standard, 20.11.1998
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