Aus deins wird meins
Transcrição
Aus deins wird meins
26 KULTUR IN DER REGION LESESTOFF HÖLLSTEIG – EIN SCHWARZWALD-KRIMI Showdown am Höllsteig K rimis, Krimis, Krimis – was ist denn los? Wollen und kriegen wir wirklich nur noch Mord und Totschlag als Lektüre? Und am besten „regional“, da gruselt es sich besonders gut, weil man die Schauplätze kennt. Den Kaiserstuhl, das Höllental und sogar Emmendingen. Dort lebt seit einigen Jahren der in Schwetzingen geborene Lehrer Thomas Erle, der in der Pension die Passion des Schreibens praktiziert. Sein dritter „Schwarzwaldkrimi“ mit dem Titel „Höllsteig“ folgt dem bewährten Rezept des Genres: Man würze die Handlung mit möglichst vielen, dem Publikum wohl bekannten Treffpunkten, angesagten Lokalen etwa. Den Personen gebe man so viel Lokalkolorit, dass der Leser glaubt, sie vielleicht zu kennen. Erle fügt noch den Schuss Lokalhistorie dazu, auf den alle abfahren: Wyhl – Chiffre für den erfolgreichen Kampf gegen ein Kernkraftwerk am Kaiserstuhl. Freilich: Gegen ein KKW, nicht ein AKW wurde gekämpft. „KKW Nein“ war „damals“ – so ein Zufall,vor genau 40 Jahren – die Parole. Wer AKW sagte und dazu noch „Wühl“ statt „Wiehl“ hatte mit der Region wenig zu tun. So wie die erfundenen „Roten Korsaren“, die der Autor als eine Art Wehrsportgruppe mit dem KKW-NeinProtest vermischt. Einer von ihnen landet bei der RAF, kommt aus dem Knast zurück und schon passieren die Fememorde der Reihe nach. Geht es um Rache? Um verstecktes Geld? Mittendrin, aber nicht ganz dabei ist der Weinhändler Kaltenbach. Er, seine pfiffige Freundin und die dem Rentenalter nahen Alt-Korsaren irrlichtern 308 Seiten lang durch die Region bis hinauf zum Showdown Ravennaschlucht. Die Polizei kommt – erstaunlich bei immerhin vier Mordfällen – nicht vor. Und so bleibt die Spannung bis zum Schluss hoch. Wer wasvon autoritären Gruppenstrukturen versteht, kann sich freilich früh ausrechnen, wo der Verräter HEINZ SIEBOLD steckt. > HÖLLSTEIG, Ein Schwarzwald-Krimi von Thomas Erle, Gmeiner-Verlag Meßkirch, 308 Seiten, 11,99 Euro. KURZGEFASST AUSSTELLUNG Ergreifende fotografische Landschaften Die Fotografengruppe F7 wurde 2013 in Rheinfelden gegründet. In ihrer neuen Ausstellung im Haus Salmegg zeigt die Gruppe Aufnahmen und Bildbearbeitungen mit Motiven unterschiedlicher Herkunft und Entstehungsgeschichte. Die Fotografen stellen digitale Bearbeitungen als auch klassische Silberemulsionsfotografien und Collagen aus. Mitglieder sind Gunter Anders, Martin Keßler, Kurt Rosenthaler, Chris Rütschlin und Tina Carolin Schopferer. Am Freitag, 9. Oktober, wird zudem der Bildvortrag „Naher Osten – Ergreifende Landschaften voller Schönheit und politischer Zerrissenheit“ von Christ Rütschlin im Dietschy-Saal gezeigt (20 Uhr). Die Ausstellung „Zeitfenster – Fotografische Abenteuer“ wird am Freitag, 11. September, um 19 Uhr eröffnet. Die Öffnungszeiten sind samstags, sonn- und feiertags jeweils von 12 bis 17 Uhr. Bis 1. November. Der Eintritt ist frei. DS Der Sonntag · 6. September 2015 Aus deins wird meins „Von Bildern. Strategien der Aneignung“ im Museum für GEGENWARTSKUNST Basel Kopieren, in ein anderes Medium übertragen, den Kontext verändern, die Methoden der AppropriationArt sind vielfältig. Eine Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst Basel zeigt sie auf. ANNETTE HOFFMANN Als Richard Prince 2014 Screenshots von Instagram-Fotos machte, sie kommentierte und großformatig auf Leinwand druckte, bekam er dafür 90 000 Dollar auf dem Kunstmarkt, als in diesem Jahr die Gründerin des Erotik-Internetportals Suicide Girls sich Princes Arbeit aneignete und damit ihr eigenes Bild zurückeroberte und mit einem Post versah, verlangte Missy Suicide 90 Dollar. Sie sollten an eine Organisation gehen, die sich für die Rechte in der digitalen Welt einsetzt. Wer hier das letzte Wort hat, ist noch nicht klar. Weder der amerikanische Künstler noch Suicide Girls hatten um Erlaubnis die Fotos zu verwenden gefragt. Während das Sampeln, Downloaden und Kopieren zu einer Art Kulturtechnik geworden ist, war es in den letzten Jahren fast ein bisschen still geworden um die Appropriation-Art, zeitgleich jedoch haben Museen das Thema für sich entdeckt: 2011 behauptete das Kunsthaus Bregenz etwas nassforsch „So machen wir es;, 2012 zeigte die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe „Die Kunst der Wiederholung“. Das Museum für Gegenwartskunst Basel ist mit seiner Ausstellung „Von Bildern. Strategien der Aneignung“ also sogar ein bisschen spät dran. Doch Søren Grammel, Leiter des Museums und Kurator der Ausstellung, hat einige Berechtigung, die Appropriation-Art zum Gegenstand einer thematischen Ausstellung zu machen. Als 1980 das Museum für Gegenwartskunst ausdrücklich als Haus für zeitgenössische Kunst gegründet wurde, war Authentizität eine wichtige Fragestellung, entsprechend viele Werke der Sammlung lassen sich unter diesem Aspekt betrachten. Neue Ankäufe und Harun Farocki zeigt in seinem Film, wie vieler Mitarbeiter, Arbeitsschritte und welcher Präzison es bedarf, um eine Erotik der Makellosigkeit auf Foto zu bannen. FOTO: MUSEUM FÜR GEGENWARTSKUNST (ZVG) Leihgaben ergänzen die Ausstellung im ersten Obergeschoss, die neuen Medien jedoch bleiben unberücksichtigt. Natürlich darf Richard Prince, der 1980 die Marlboro-Werbung zu reproduzieren begann und dessen Kunst schon immer Fragen des Urheberrechts berührte, in Basel nicht fehlen. Neben diesen Cowboys, die sich selbst von einem ur-amerikanischen Mythos nähren, sind Serien zu sehen, die durch charakteristische Posen geprägt sind. – Betrachter entschlüsselt künstlerische Haltung – Appropriation-Art ist jedoch meist mehr als das bloße Klauen vorhandener Bilder, um sie in einen neuen Kontext einzubinden. Das Kopieren alter Meisterwar lange Bestandteil der akademischen Ausbildung von Künstlern. Ein bisschen spielt Michaela Meise mit ihrer Arbeit „Etude Carpeaux“ darauf an. Die Berliner Künstlerin stellt in T-Shirt und Shorts und mit einem Tonobjekt zwei Skulpturen des französischen Künstlers Jean-Baptiste Carpeaux, der von 1827 bis 1875 lebte, nach. Die Werke, sie zeigen einen Fischerjungen, der sich eine Muschel ans Ohr hält und ein Mädchen, das diese über ihren Kopf hebt, sind kurz eingeblendet, werden aber auch in einer Vitrine umfangreich dokumentiert. Meise schlüpft in die Rolle eines Modells. Es ist ein breit gefächertes Spektrum an möglichen Aneignungen, das diese Ausstellung aufblättert. Hinzu kommt, wenn Künstler sich auf andere beziehen oder Motive aufgreifen, geschieht das aus einer Haltung, die vom Betrachter zu entschlüsseln ist, will er das Werk ganz verstehen. Das ästhetische Vergnügen an einem Kunstwerk ist hier vor allem ein intellektuelles. „Von Bildern. Strategien der Aneignung“ ist durchaus eine verkopfte Angelegenheit, für das Museum selbst jedoch eine Strategie, sich die eigene Sammlung anzueignen oder gar zu erweitern. Ein neuer Ankauf ist etwa Andrea Frasers Video „A Visit to the Sistine Chapel“, das 2005 in der Sixtinischen Kapelle in Rom entstanden ist. Fraser reiht sich in die Scharen der Touristen ein, bewaffnet mit einem Audioguide, der die Massen möglichst reibungslos durch die Räume schleust und ihnen vorgibt, wie sie die Kunstwerke wahrzunehmen haben. So hört man die Ton- spur dieses Audio-Guides und sieht groß Frasers Gesicht, auf dem sich Erstaunen, Bewunderung oder auch Rührung ablesen lassen. Ihr Video kommentiert nicht nur die populäre Kunstvermittlung, sondern überhaupt jede Form von Einflussnahme durch Institutionen wie Galerien oder Museen. Auch Harun Farocki suchte in seinem Film „Ein Bild“, der in den 80er Jahren mit dem Sender Freies Berlin koproduziert wurde, einen autonomen Zugang. Farocki begleitete die Aufnahmen des Playmate des Monats. Der Sender erwartete von Farocki einerseits eine kritische Stellungnahme, die Redaktion des Playboys andererseits eine Würdigung der eigenen Arbeit. „Ein Bild“ reflektiert die Professionalität im Fotostudio, aber auch sehr viel Naivität und den Warencharakter eines makellosen und übergangslos gebräunten Körpers. Ein Bild ist, und das zeigt dieser Film, eine Anstrengung, die nicht selten ein Gemeinschaftswerk ist. > VON BILDERN Strategien der Aneignung. Museum für Gegenwartskunst, St. Alban-Rheinweg 60, Basel. Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr. Bis 24. Januar 2016. Neue Medien als Ergänzung des Ausstellungserlebnisses Erstes Schweizer STARTCAMP lädt zum Meinungsaustausch über die Zukunft von Museen im digitalen Zeitalter / Viele Ansätze etwa in der Fondation Beyeler Um die Zukunft von Museen im Zeitalter der digitalen Kommunikation geht es beim ersten Schweizer Startcamp, das am Montag im Museum für Geschichte in der Basler Barfüßerkirche stattfindet und bei dem Kulturschaffende aus der Schweiz und aus Deutschland unter dem Motto „Kultur digital erzählen“ Konzepte vorstellen. Axel Vogelsang findet deutliche Worte: „Im angelsächsischen Raum passiert viel im Bereich digitale Medien und Museen. Deutschland hinkt dieser Entwicklung hinterher, und die Schweiz hinkt nochmals ein paar Jahre hinterher“. Vogelsang ist Professor an der Hochschule Luzern und einer der Organisatoren des Start-Camps, mit dem die eidgenössische museale Szene wachgerüttelt werden soll. Zu diesem Anlass gibt es Diskussionen und Präsentationen, wobei das Spektrum vom Ticketverkauf via Facebook bis zum Youtube-Kanal reicht. Neben Schweizer Institutionen wie dem Zürcher Opernhaus und dem Fotomuseum Winterthur hat die Heilbronner Zeitung Die Stimme ein Projekt auf die Beine gestellt, das zum 70. Jahrestag der Bombardierung Heilbronns im Zweiten Weltkrieg die damaligen Ereignisse mit Hilfe von Whatsapp nachstellt. Besucher können Zeugenberichte und Nachrichtenmeldungen auf ihren Smartphones lesen. Wie die Kombinationvon klassischen Museen mit neuen Medien funktionieren kann, zeigte die PaulGauguin-Ausstellung, die von Februar bis Juni in der Fondation Beyeler in Riehen zu sehen war. Dort gab es die Möglichkeit, sich die Playlisten prominenter Musiker, also eine Zusammenstellungvon Musikstü- Ein multimedialer Raum gehörte zum Konzept der Gauguin-Ausstellung in der cken, die diesen zu den Bil- Fondation Beyeler in Riehen. FOTO: MARK NIEDERMANN (ZVG) dern eingefallen waren, auf das Smartphone zu laden. Dass dies keineswegs eine Spielerei zum reinen Selbstzweck war, macht Kurator Dr. Raphaël Bouvier deutlich. „Wir nutzen die digitalen Möglichkeiten stets von den Themen der Ausstellung her, und Gauguin betonte, dass die musikalische Seite der Malerei ihm wichtig war.“ Seine Kollegin Mirjam Baitsch, bei der Fondation Beyeler für die digitale Kommunikation zuständig, ergänzt, dass viele Besucher eigene Playlists erstellten. Sie wird beim Startcamp zum „Einsatz von Social Media zur Ausstellungsunterstützung“ referieren. Wer mehr zu Gauguin erfahren wollte, konnte einen multimedialen Vermittlungsraum besuchen und dort ganz klassisch in Büchern blättern oder sich Fil- me ansehen. Bereits zuvor in einer Ausstellung zu Max Ernst gab es in der Fondation Beyeler eine Videoreihe, in der Besucher gefragt wurden, was ihnen an bestimmten Werken gefalle. Dies stünde im Einklang mit der Philosophie des Sammlers und Museumsgründers Ernst Beyeler, der Kunst einem breiten Publikum vermitteln wollte, wie Raphaël Bouvier sagt. Auch zur heute zu Ende gehenden Ausstellung zur Künstlerin Marlene Dumas gab es digitale Elemente wie Videos. Allerdings ist für den Kurator klar: „Die Gemälde stehen immer im Mittelpunkt.“ So stellen digitale Medien eine Ergänzung dar, niemals eine Notwendigkeit. ADRIAN STEINECK > STARTCAMP Montag, 7. September, 9 bis 18 Uhr, Museum für Geschichte Basel, Barfüßerkirche. Weitere Informationen und Eintrittskarten für 50 Schweizer Franken gibt es im Internet: www.elementdesign.ch/startcamp.