Neue Kennedy

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Neue Kennedy
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Neue Kennedy-Literatur
Alan Posener, John F. Kennedy. Biographie, Rowohlt Verlag, Reinbek 2013, 200 Seiten und zahlreiche
Abbildungen in Farbe oder in SW, € 17,90.Neben Robert Dallek zählt der in Deutschland lebende Alan Posener zu den herausragenden
Kennedy-Biographen. Beide Bios liegen nun in aktualisierter Form mit Erscheinungsjahr 2013 vor,
dem 50-Jahrjubiläum der Todesschüsse von Dallas. Ein älteres Werk des einstigen Redenschreibers
und Präsidenten-Mitarbeiters Soerensen ist längst vergriffen, es sparte auch bewusst alles Negative
und das Privatleben Betreffende aus, ohne die aber eine Kennedy-Bio notgedrungen blutleer wirkt.
Poseners Monographie gleitet nie auf die Ebene des “society gossip“ herab. Gleichwohl stellt
Kennedys Sexsucht und sein Hang zu Frauen-Jagd und Kurzzeitbeziehungen sogar den nicht unpromiskuitiven Michael Douglas in den Schatten. Wer Poseners Bio liest, kommt über die strahlende
Persönlichkeit JFKs stark ins Zweifeln. Noch viel stärker als früher akzentuiert der Autor die
chronischen Leiden (die schon in Jugendzeiten quälenden Rückenbeschwerden, die ein Dauerkorsett
erforderlich machten; seine Nebennieren-Insuffizienz bzw Addison’sche Krankheit, die ihn eigentlich
amtsunfähig machte). Auch verstören der grenzenlose Opportunismus, die Prinzipienferne und die
Machtgier des Clans, nicht nur jene John Fitzgeralds. Besonders Robert Kennedy, der viel mehr
katholisch „sang“ als John F., dabei aber noch unmoralischer und mit dubiosen Motiven handelte,
steht im Visier Poseners. Dem Strahlemann „Jack“ attestiert er hingegen Mut, strategisches Denken
und eine unerhörte Selbstdisziplin, die ihm über Misserfolge (zB in Harvard als mäßiger Student ohne
Sporterfolge) hinweghalf. Kennedy wuchs nach dem Tod seines älteren Bruders Joseph, der bei einer
Bombermission im Zweiten Weltkrieg starb, in die Führungsrolle innerhalb der Familie hinein,
obwohl ihn das Schicksal dafür scheinbar nicht auserkoren hatte.
Was Kennedys Ermordung am 22.11.1963 betrifft, haben die Studien der letzten Jahre in Wahrheit
nichts Neues gebracht, sondern nur die Verschwörungsthesen bekämpft und die Ein-Täter-Theorie
als einzig legitimes Ergebnis herausgestellt. Somit gilt der Polizistenmörder Lee Harvey Oswald, ein
psychisch kranker Mann und verdeckter „Kommunist“, was immer das in der Post-McCarthy-Ära
bedeuten mochte, auch als einziger Täter bei Kennedys Tötung. McCarthy war übrigens ein Vorbild
Kennedys, ebenso wie Nixon, dessen frühe Wahlkämpfe er unterstützte und der auch als
unterlegener Gegenkandidat bei der Angelobung 1961 neben ihm am Podium vor Richter (chief
justice) Warren stand. Noch im September 1960 hatten die beiden einander in einem der ersten
großen TV-Duelle gematcht, in dem der schwitzende Nixon dem besser geschminkten, aber viel
kränkeren Kennedy eindrucksvoll unterlegen war.
Das lesenswerte und flüssig geschriebene Werk ist nur gebunden erhältlich und dementsprechend
doppelt so teuer wie die Taschenbuchausgaben von Posener und Dallek. Alan Posener war nämlich
bereits der Autor der Rowohlt Monographie über JFK, die es seit mehreren Jahren im
Taschenbuchformat gibt (zuletzt 2007). Lediglich ein Copyright-Hinweis findet sich im neuen Werk
(auf das Jahr 2012 und den Autor), aber keine Andeutung, wie sich das „neue“ Werk zum
ursprünglichen Buch verhält, dessen Layout dem neuen zum Verwechseln ähnlich ist. Die
Monographie enthielt allerdings nur Schwarzweiß-Fotos, der neue Band hingegen mit sechs
Farbfotos und zwei Farbrepros (Kennedy Buchtitel „Zivilcourage“ und seine berühmte Notiz „Ich bin
ein Berliner!“), auch die Übersichtlichkeit des Werks und der Anmerkungsapparat wurden verbessert.
Zwar ist es verständlich, dass das 50-Jahrjubiläum von Kennedys Ermordung dem Verlag dazu dient,
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ein „neues“ Werk an den Mann und an die Frau zu bringen; aber bei so vielen Überschneidungen
wäre ein Vorwort dienlich, das hier Klarheit schafft. Da derartiges fehlt, erscheint die Verlagspolitik
als nicht ganz aufrichtig, die hier den Eindruck eines völlig neuen Werks zu vermitteln trachtet.
Das ist aber nur bei sehr euphemistischer Sicht der Fall. In die Bibliographie wurden etwa neuere
Internetquellen aufgenommen; der gesamte Text umfasst 192 Seiten, dann folgen Bildnachweise
sowie die angesprochene Bibliographie, die auch ein neues Werk in Printform (Vincent Bugliosi, Four
Days In November. The Assassination Of John F. Kennedy, NY 2007) zitiert, sowie ein Überblick über
die „Kennedy-Dynastie“ und ein Namenregister (198—200), das den Band abschließt. Insgesamt
natürlich eine sehr brauchbare, seriöse und handliche Kompilation, deren „Fleisch“ sich wie ein
Roman liest, der aber auf der Realität und auf mühsamen Recherchen in Archiven und Interviews mit
Zeitzeugen beruht,
Zitate von Willy Brandt (den Kennedy wegen seiner frechen Westberliner Briefe als „Demagogen“
bezeichnete), Fidel Castro (der ihn als „intelligenten Banditen“ bezeichnete – im Gegensatz zu
Lyndon B. Johnson, der in Havannah als „mittelmäßig“ galt) und Leonard Bernstein (welcher JFK
„Lässigkeit und Majestät“ attestierte) am Umschlagtext waren schon in der Rowohlts-MonographienAusgabe enthalten, auch wenn sie die vielen Facetten des Ex-Präsidenten gut treffen und daher
schwerlich durch bessere Zitate ersetzbar wären; auch inhaltlich wurde der Text überarbeitet und an
den neuesten Forschungsstand herangeführt, wenn auch keine dramatischen Neuerungen zu
bemerken sind. So fügte Posener etwa einen kurzen Text über das weitere Schicksal der
verstorbenen Präsidentengattin Jacqueline Bouvier Kennedy/Onassis (ihr Mädchenname war Lee
Bouvier, sie verschwieg ihre irische, nicht aber ihre französische Abstammung, um sich interessanter
zu machen) eingefügt. Jackie heiratete Jack am 12.9.1953, also vor sechzig Jahren, was gar nicht so
lange her erscheint, demnach dauerte die Ehe nur knapp über ein Jahrzehnt, ehe der Tod ein
Verhältnis trennte, das neben vielen anderen außerehelichen Eskapaden aus Staatsraison und mit
dem Geld, das Joseph Kennedy seinem Sohn vererbt hatte, bis zum bitteren Ende weiter bestehen
musste.
Gerhard Strejcek