auch ein Recht für ausländische Häftlinge/Häftlinge im Ausland

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auch ein Recht für ausländische Häftlinge/Häftlinge im Ausland
“SOZIALE WIEDEREINGLIEDERUNG: - AUCH EIN RECHT FÜR AUSLÄNDISCHE
HÄFTLINGE/HÄFTLINGE IM AUSLAND” - EINLEITUNG ZUM WORKSHOP 9
FRANZ LEMMERS
Meinen Damen und Herren,
internationale
Bestimmungen
weisen
der
sozialen
Wiedereingliederung, speziell der Ausbildung, eine entscheidende
Bedeutung zu. Dies ist ein Auftrag für den Strafvollzug und ein Recht
für Häftlinge. In der Praxis werden ausländische Häftlinge aber oft
missachtet oder diskriminiert. Deshalb ist es an der Zeit auf nationaler
wie auch auf europäischer Ebene entsprechende Maßnahmen zu
ergreifen. Die niederländische Bewährungshilfe hat ein Projekt ins
Leben gerufen: „Ausbildung und Beschäftigung für niederländische
Bürger während und nach ihrer Haft im Ausland“
Eine Kooperation auf europäischer Ebene ist von entscheidender
Bedeutung wenn es um die soziale Wiedereingliederung von
ausländischen Häftlingen und Häftlingen im Ausland geht.
Die Arbeit ans wirksamer sozialer Wiedereingliederung ist die zentrale
Aufgabe sowohl für den Strafvollzug als auch für die Bewährungshilfe.
Das ist nicht neu. Sie wurde vor Jahren in internationalen
Vereinbarungen
und
Bestimmungen
festgeschrieben:
Im
Internationalen Abkommen über Bürgerrecht und politische Rechte, im
Europäischen Abkommen über Menschenrechte, im UN Abkommen über
die garantierten Grundregeln für die Behandlung von Haftinsassen und
in den Europäischen Strafvollzugsregelungen. Dies waren internationale
Minimalbestimmungen, die von vielen Ländern zum Ausgangspunkt
ihrer eigenen nationalen Regelungen gemacht worden sind.
Beispielsweise wurde festgelegt, dass der Strafvollzug auf
Weiterbildung und Wiedereingliederung hinarbeiten sollte; jede
Haftanstalt sollte ein Programm bereitstellen, das darauf abzielte die
Aussichten für eine erfolgreiche Wiedereingliederung zu Verbessern.
Besondere Aufmerksamkeit sollte der Ausbildung junger Häftlinge
geschenkt werden, der Ausbildung von Häftlingen, die aus einem
anderen Land stammen und solchen, die des Lesens, Schreibens und
Rechnens nicht kundig sind.
Besondere Kurse und Methoden sollten angewandt werden, wenn es
darum geht, ihnen bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft,
Familie und die Arbeitswelt zu helfen.
Die Bestimmungen schreiben die Verpflichtung vor, einen Plan für die
Haftzeit und für die Wiedereingliederung zu entwickeln.
Meine Damen und Herren, ausländische Häftlingen finden sich sehr
häufig in einer schwierigen Situation wieder; die Vorbereitungen
während der Haftzeit für ihre soziale Wiedereingliederung erfordern
besondere Aufmerksamkeit und besondere Initiativen. Die Realität
sieht dagegen in vielen Ländern – auch innerhalb der EU - komplett
anders aus. Aus verschiedenen Gründen sind ausländische Häftlinge
nicht in der Lage, an Programmen teilzunehmen, die auf ihre
Wiedereingliederung, schulische und berufliche Ausbildung und ihre
Vermittlung in den Arbeitsmarkt abzielen.
Dank einer besonderen Beihilfe des Europäischen Sozialfonds ist die
Verbindungsstelle für niederländische Häftlinge im Ausland in der
Lage ein Projekt mit dem Namen: „Ausbildung und Beschäftigung für
niederländische Bürger während und nach ihrer Haft im Ausland“
durchzuführen. Dies wird in enger Zusammenarbeit unter anderem mit
Deutschland, Österreich und England getan. In geringerem Umfang
haben wir mit entsprechenden Arbeiten schon vor Jahren begonnen.
Mit dieser Erfahrung im Rücken sind wir nun in der Lage viel bessere
Ergebnisse zu erzielen.
Unser Erfassungssystem zeigt uns, das Häftlingen im Ausland am
Rande der Gesellschaft leben. Sie nehmen kaum am gesellschaftlichen
Leben ihrer Umgebung teil. Ungefähr 2.400 Menschen mit
niederländischer Staatsbürgerschaft oder mit einer gültigen
Aufenthaltserlaubnis sind im Ausland inhaftiert. Kaum mehr als 16 %
davon sind Frauen. Über 72% sind inhaftiert wegen schwer
Drogendelikte und 17,3 % aufgrund von Delikten im Zusammenhang
mit weichen Drogen. Dies umfasst, den Besitz, den Schmuggel, den
Transport, den Handel oder die Produktion solcher Drogen.
Es ist auffallend, das nur wenig mehr als 40 % von ihnen in den
Niederlanden geboren worden sind. Mehr als 12 % sind in Surinam
geboren worden, 11,4 % auf den niederländischen Antillen, 9,2 % in
Marokko, 4,3 % in der Türkei und 4 % in der Dominikanischen
Republik.
Es scheint, das 4,7 % überhaupt nicht mit dem Erziehungssystem in
Berührung gekommen sind. 17,4 % haben die Grundschule absolviert,
32,1 % haben eine daran anschließende Schulbildung nicht
abgeschlossen. 25,5 % besitzen einen Abschluss über diese
geringqualifizierende Schulbildung. 20 bis 25 % können kaum
niederländisch lesen oder schreiben. Die Position auf dem
Arbeitsmarkt ist entsprechend. 41,1 % waren arbeitslos bevor sie
inhaftiert wurden, 11,3 % sagten aus, sie seien nicht in der Lage zu
arbeiten, 17,7 % arbeiteten in unsicheren Arbeitsverhältnissen.
Die Einkommenslage ist geradezu erschrecken. Von den 58,8 % die
über irgend eine Art von Einkommen verfügten, lebten 25 % von der
Sozialhilfe, 10,2 % bezogen Arbeitslosengeld, 10 % bezogen
Zuwendungen aufgrund ihrer körperlichen oder psychischen
Verfassung. 11,6 % verfügten über überhaupt kein Einkommen. Mehr
als 70 % haben Schulden von bis zu 20.000 Euro.
Aus der Erfahrung und aus Veröffentlichungen wissen wir, das
Häftlinge nur ein sehr schlecht entwickeltes Selbstbewusstsein
besitzen und kaum über Ausdauer oder Durchhaltevermögen verfügen.
Viele legen ein gestörten Verhalten an den Tag und haben Problem mit
und in Beziehungen. Aber auch sie kehren in die Gesellschaft zurück
und müssen sich in sie integrieren nachdem sie aus der Haft entlasen
worden sind. Die Steigerung ihrer Aussichten auf dem Arbeitmarkt
durch Ausbildung ist daher von entscheidender Bedeutung.
Durch die Hilfe der EU konnte die Verbindungsstelle für
niederländische Häftlinge im Ausland Fernunterricht für im Ausland
einsitzende niederländische Häftlinge einrichten. Dadurch sind nun
300 von ihnen in der Lage an einem individuell überwachten Kurs
teilzunehmen, der ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern soll.
Durch ein vom Häftling auszufüllendes Aufnahmeformular wird
herausgefunden, ob die betreffende Person die Möglichkeit einer
arbeitsmarktqualifizierenden Ausbildung während ihrer Inhaftierung
nutzen möchte.
Im Falle eines positiven Bescheids erhalten die Kandidaten
Informationsmaterial und werden einem Einstufungstest unterzogen.
Welche Grundausbildung und welche berufliche Ausbildung ist vor
diesem Hintergrund die angemessenste? Grundausbildung kann das
Erlernen der niederländischen Sprache (Lesen und Schreiben) sowie
die Erlernung der Grundrechenarten beinhalten und ebenso den
Erwerb der deutschen oder englischen Sprache, IT- Kenntnisse, soziale
Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen bedeuten. Die Häftlinge
können schon vor ihrer Verurteilung beginnen.
Im Prinzip kann berufliche Ausbildung jedes theoretische Modul einer
Berufsausbildung umfassen bis hin zu einer weiterführenden Ebene.
Bevorzugt werden hier praktische Kurse wie Aushilfe im Lager,
Assistenten im sozialen Bereich, Bauarbeiter, Hilfstätigkeiten im Hoteloder Gastronomiebereich, Mechaniker usw. Für diese Kurse können
sich Häftlinge bewerben, die zu einer Haftstrafe von nicht mehr als drei
Jahren verurteilt worden sind.
Vor dem Hintergrund ihrer Inhaftierung im Ausland wird es ein
Fernstudium sein, der Informationsaustausch geschieht entweder
durch gedrucktes Material oder durch EDV. Meistenteils benutzen wir
bereits vorliegendes Material von Bildungseinrichtungen, das, falls
notwendig, für unsere Zielgruppe überarbeitet wird. Tutoren dieser
Bildungseinrichtungen erklären dem Teilnehmer die Materie und
übernehmen die Korrektur der „Hausaufgaben“.
Jeder Kandidat erhält das übliche Kursmaterial und einen individuellen
Trainer, der ihm hilft, die Motivation aufrecht zu erhalten. Inzwischen
arbeiten 80 solcher Ausbilder in unserem Projekt mit.
Im Land ihrer Inhaftierung erhalten die Teilnehmer Hilfe durch den
Besuch von Freiwilligen und konsularisch tätigen Mitarbeitern falls der
Ausbildungsfortschritt stagniert. Die Ausbildungsergebnisse werden
regelmäßig erfasst und ausgewertet. Der Prozess und die
Vereinbarungen werden moderiert; überwachte Tests können
stattfinden und Zertifikate können ausgestellt werden. Eine lange Zeit
bevor der Häftlinge in die Niederlande zurückkehrt wird ein
entsprechender Plan entwickelt. Dies beinhaltet Vereinbarungen über
weitere Ausbildungsschritte und über die Vermittlung in den
Arbeitsmarkt. Dazu werden verschiedene Organisationen in seinem
Lebensumfeld einbezogen. Ebenfalls Wert erwähnt zu werden ist
unsere Kooperation mit Partnern in Deutschland, Österreich, England
und Spanien, mit denen wir gegenwärtig ein System für e-learning und
tele-learning für Häftlinge entwickeln und testen. Insbesondere bietet
uns dies die Möglichkeit, digitalisierte Ausbildung in niederländischer
Sprache für niederländische Häftlinge im Ausland anzubieten.
Natürlich würden wir unsere Angebote gerne dem anpassen, was
ausländische Anstalten niederländischen Gefangenen anbieten. Lassen
sie uns dies als gemeinsames Ziel für eine reibungslosere Integration
betrachten, ganz besonders für ausländische Häftlinge und Häftlinge im
Ausland. Wir sollten sie dazu ermutigen, entsprechende
Eigeninitiativen zu entwickeln, sie unterstützen, ihnen Möglichkeiten
aufzeigen und ihnen helfen, sie zu nutzen. Lassen sie uns so etwas
gegen die immer noch weit verbreitete Vernachlässigung und
Missachtung dieser Zielgruppe tun.
Mein Appell an Sie bezieht sich natürlich nicht nur auf
niederländische Häftlinge im Ausland sondern auf alle Gefangenen, die
nicht in ihrem Heimatland einsitzen und früher oder später
zurückkehren werden. Ich biete Ihnen dabei sehr gerne an, an unseren
Erfahrungen im Bereich der Bewährungshilfe für Häftlinge im Ausland
teilzuhaben. Dies gilt auch für unsere Erfahrungen in der Umsetzung
von Fernunterricht.
Es wird sich von entscheidender Bedeutung erweisen, die Behörden
und offiziellen Stellen im Bereich des Strafvollzugs, der Ministerien für
Justiz, Erziehung und Arbeit sowie die EU einzubeziehen. Wir freuen
uns auf diese Zusammenarbeit.
Ich möchte meine Rede abschließen mit der Bitte an Sie, den Vortrag
zum Gegenstand einer Diskussion zu machen. Ich danke Ihnen für die
Aufmerksamkeit.
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