Schutzwälle vor «digitalem Tsunami»

Transcrição

Schutzwälle vor «digitalem Tsunami»
Consulting | 67
handelszeitung | Nr. 22 | 28. Mai 2014
Barbara Ofner (43)
Ausbildung: Lic. iur., LL.M.
In Beratung seit: 10 Jahren
Jobfunktion: Partnerin, Legal and
Compliance FSO, EY Schweiz, Zürich
Firma: EY, London (GB)
Zum Unternehmen: 1849 gegründet,
175 000 Mitarbeitende weltweit,
davon 2085 in der Schweiz
Fachgebiete: Wirtschaftsprüfung,
Steuer- und Unternehmensberatung
Warum haben Sie sich entschieden,
im Consulting zu arbeiten?
«Ich sah eine Möglichkeit, breit
tätig zu sein und vieles kennenzu­
­
lernen. Es ist bis heute spannend
und herausfordernd, im regulato­
rischen Umfeld mit einem Team für
unsere Kunden zu verschiedenen
­
Themen und Fragestellungen Lösungen
­
zu erarbeiten.»
«Eigentlich wohl nicht anders als in
anderen Branchen, die traditionell
männerdominiert sind. Der Beruf
verlangt eine hohe zeitliche Flexi­
­
bilität, Ausdauer und eine gewisse
Durchsetzungskraft.»
Bruno Arnold
Wie schwer ist es, als Frau unter
Beratern Karriere zu machen?
Schutzwälle vor
«digitalem Tsunami»
Versicherer 2.0 Die Welle der
Digitalisierung stellt die globale
Assekuranzbranche vor grosse
Herausforderungen, wie diverse
Beratungskonzerne es in neuen
Studien parallel thematisieren.
D
Maja Kälin
ie konservative Assekuranzbranche muss sich neuen
Herausforderungen stellen.
Weil die Versicherer vielfach
noch mit traditionellen Geschäftsmodellen arbeiten, drohen sie den
Anschluss zu verlieren durch neue agile
Konkurrenz, die sich die digitale Vernetzung zugutemacht. Zu diesem Schluss
kommt eine aktuelle Studie von BearingPoint. Google-Chairman Eric Schmidt
prophezeite schon vergangenes Jahr, dass
die Assekuranzbranche unter der Verwendung von Big Data «explodieren» werde.
Ganz so dramatisch dürfte die Lage zwar
nicht sein; dass aber dringender Handlungsbedarf besteht, ist unumstritten.
Aufgrund von langen Vertragslaufzeiten­
und einer geringen Kontaktfrequenz sind
die Versicherer vergleichsweise spät mit
den Konsequenzen des digitalen Fortschritts konfrontiert. Andere Wirtschaftszweige wie der Bankensektor, die Medienhäuser oder der Versandhandel mussten
schon früher handeln. Nun gilt es jedoch
auch für die Versicherer, keine Zeit mehr
zu verlieren, ansonsten drohe das gleiche
Schicksal wie bereits der Musikindustrie
oder den Videotheken, die vom «digitalen
Tsunami» überrollt wurden, so eine aktuelle Studie von Bain & Company.
Denkbar ungünstiger Zeitpunkt
Der Handlungsdruck in Sachen Digitalisierung trifft die Assekuranzbranche zu
einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.
Probleme wie die angespannte Situation
am Kapital- und Zinsmarkt, erhöhter Effizienz- und Kostendruck, Konsolidierung,
regulatorische Anforderungen und das
vermehrte Auftreten von Naturkatastrophen machen dem Sektor zu schaffen.
Doch auch die Rolle des Kunden hat
sich verändert. Die Umfrage von Bain &
Company bei 2500 Versicherungskunden
hat ergeben, dass für 60 Prozent internetbezogene Kommunikationskanäle künftig
bei einer Interaktion mit einer Versicherung am wichtigsten sind. Kunden erwarten ein umfassendes digitales Angebot – in
der Beratung, aber auch beim Vertragsabschluss oder bei einer Schadensmeldung.
Durch die neuen digitalen Vertriebskanäle sicherungen, die die Veränderungen der
hat der Kunde in letzter Zeit an Macht Gesellschaft und des Käuferverhaltens
­gewonnen. Mit wenigen Klicks kann er die richtig erkennen und sich daraufhin ausKonditionen der Versicherer mit jenen der richten können oder sich teilweise sogar
Konkurrenz vergleichen – und bei Bedarf neu erfinden.» Den grössten Inves­ti­tions­
den Anbieter wechseln.
bedarf­sieht der Versicherungsexperte bei
Neue Player wie Google Compare oder den Mitarbeitern: «Am wichtigsten sind
Friendsurance setzen traditionelle Ver­ Aktivitäten, die in den Köpfen der Mitarsicherer ebenfalls unter Druck. Das Ge- beiter aller Ebenen ein Umdenken erzeuschäftsmodell des Versicherungsportals gen und ein neues Bewusstsein schaffen –
des Internetriesen Google basiert auf dem für Schnelligkeit, Energie, Entscheidungsoptimalen Zugang zu Daten. Dadurch freude und Mut zu Veränderungen.»
können Produkte und Leistungen exakt
auf Kundensegmente massgeschneidert Veraltetes Berufsbild des Maklers
Als Beispiel sei das Berufsbild des Verwerden. In Grossbritannien und den USA
ist Google Compare schon weit verbreitet sicherungsmaklers genannt, das sich stark
und verfügt über eine hohe Marktakzep- wandeln wird. Laut Achim Bauer von EY
tanz. Friendsurance hingegen verfolgt ein sind die Versicherungsmakler der Zukunft
«Peer-to-Peer»-Konzept und beruht auf keine Produktverkäufer oder «Klinkender sozialen Vernetzung: Verschiedene putzer» mehr. Vielmehr stünden BeraterVersicherungen können abgeschlossen qualitäten im Vordergrund. Denn auch im
werden, bei Schadensfreiheit des Versi- digitalen Zeitalter ist der Kundenkontakt
cherungsnehmers und «seinen Freunden»­ zentral. Dabei muss dieser nicht zwingend
an ein persönliches Gespräch gekoppelt
erfolgt eine Rückzahlung.
Achim Bauer, Versicherungsexperte sein: Videokonferenzen und Online-Chats
bei EY Schweiz, sagt: «Die Marktpräsenz gewinnen an Bedeutung. Neben den Mitdieser beiden Anbieter ist ein Wachrütteln arbeitern ist die Informationstechnologie
das zentrale Element in der
der Assekuranzbranche.» Sie
digitalen Zukunft. Die Aushabe verstanden, dass KunNeue Player
gangslage für ein zeitgemäs­
denbedürfnisse und Digitalisetzen die
ses und leistungsfähiges
sierung die Gebote der StunIT-System ist leider bei
de seien. «Im Einzelfall sind
traditionellen
­vielen Versicherern alles andie neuen G
­ eschäftsmodelle
Versicherer
dere als ideal. Das Marktforsogar eine echte Konkurrenz
unter Druck.
schungsunternehmen Gartfür die Versicherer», sagt
ner schätzt, dass über zwei
Walter Kuhlmann, Versicherungsexperte bei Q-Perior Schweiz. Aller- Drittel der Schadens- und Lebensversidings würden die klassischen Versiche- cherer weltweit noch mit Systemen aus
rungen nicht verdrängt, solange sie das den 1970er- und 1980er-Jahren arbeiten.
Vertrauen der Kunden durch individuelle «Die notwendigen Investitionen in die IT
und bedürfnisgerechte Ansprache halten sind ein riesiger Kostenblock», sagt Achim
Bauer. Bei einem siebenstelligen Betrag
oder sogar ausbauen könnten.
Im Zeitalter von Google sind wertvolle könne es einem schon einmal die Sprache
Informationen über Versicherte zu gerin- verschlagen. Allerdings seien die daraus
gen Kosten verfügbar. BearingPoint hat er- resultierenden Effizienzgewinne und
rechnet, dass allgemeine Daten wie Alter, Wachstumschancen immens.
Zur Thematik, wo die Schweizer Player
Geschlecht oder Standort 0,36 Euro pro
1000 Personen kosten. Autokäufer hätten im Digitalisierungsprozess heute stünden,
einen Wert von 1,53 Euro pro 1000 Perso- meint Achim Bauer: «Die meisten haben
nen. Diese Informationen sind für die Ver- noch keine umfassende Digitalisierungssicherer ein Schlüsselwert, werden aber strategie.» Allerdings stünde das Traktannoch viel zu wenig systematisch ausgewer- dum auf jeder Geschäftsleitungsagenda.
tet und verarbeitet. BearingPoint hat die Ein positives Beispiel sei Swiss Life: Die
Gründe erforscht, weshalb die Versicherer kundenzentrierte Web-Applika­tion «My
die Möglichkeiten, die Big Data und Ad- Life» zeige, dass das Unternehmen das
vanced Analytics bieten, nicht wahrneh- ­aktuelle Marktumfeld verstanden und entmen. Als Ursachen wurden mangelndes sprechend umgesetzt habe.
Die Digitalisierung fordert von der
Know-how, keine klaren Verantwortlich­Assekuranzbranche einen weitreichenden
keiten und Risikoaversion genannt.
Auf die Frage, welche Versicherungen Umbau ihres Geschäftsmodells. An erster
im herausforderndem Umfeld reüssieren Stelle wird dabei die konsequente Auswerden, antwortet Walter Kuhlmann von richtung auf die Kundenbedürfnisse steQ-Perior: «Es überleben diejenigen Ver­ hen müssen. Eine wahre Herkulesaufgabe.­
© Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer Schweiz AG, - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.as-infopool.de/lizenzierung HANDELSZEITUNG-2014-05-28-tui- d5519a93effa80004ded8773b008f7d4
anzeige