Feng Shui und Co. – fernöstliche kulturelle Praktiken im Alltag

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Feng Shui und Co. – fernöstliche kulturelle Praktiken im Alltag
Feng Shui und Co. – fernöstliche kulturelle Praktiken im Alltag
Joachim Burdack
In Zeiten gesellschaftlicher Verunsicherung und verbreiteter Sinnkrisen wird
fernöstliches Denken – oft mit Begriffen wie Ausgeglichenheit und Harmonie assoziiert – von vielen als Gegenpol
zum hektischen westlichen Alltag empfunden. Fernöstliche kulturelle Praktiken weisen zudem Qualitäten auf, die
sie für soziale Distinktion geeignet erscheinen lassen: Sie gelten als authentisch, da sie meist sehr alt sind, und sie
drücken sich oft in stark verfeinerten
Formensprachen und Ritualen aus; es
umgibt sie eine Aura edler Exotik.
Deutschsprachige Buchneuerscheinungen
zu fernöstlichen kulturellen Praktiken
1990 - 2004
Anzahl
60
nach dem online-Katalog der Deutschen
Bücherei (Leipzig), einschl. Taschenbuchausgaben, Lizenzausgaben und überarbeitete Neuauflagen (ohne unveränderte
Neuauflagen)
50
40
Shiatsu
Feng Shui
Reiki
Qi Gong
30
20
Esoterik und Selbstfindung als
Trend
10
Die Verbreitung fernöstlicher kultureller Praktiken in Deutschland hat u.a.
von der in den 1980er Jahren einsetzenden Esoterikwelle und von der Tendenz
zur Ästhetisierung der Lebenswelt in
den 1990er Jahren profitiert. Einen
Hintergrund bilden auch gesellschaftliche Individualisierungstendenzen (BECK
1986), durch die hergebrachte Lebensformen enttraditionalisiert werden und
die zu einer Lösung von traditionellen
Klassenbindungen und Familienbezügen
geführt haben. Damit erhält der Einzelne nicht nur die Chance zur Selbstverwirklichung, sondern wird gleichsam
gezwungen, seine Biographie selbst zu
entwerfen. Die Lebensgestaltung wird
k.A.
0
1990
1992
1994
1996
1998
2002
2000
2004
Jahr
© Leibniz-Institut für Länderkunde 2006
Fernöstliche kulturelle Angebote 2005
nach Postleitzahlen
Praxisstandorte
Shiatsu
Feng Shui
Reiki
1Quadrat =^ 1praktizierende
Einrichtung
PANKOW
REINICKENDORF
Ländergrenze
Stadtbezirksgrenze
Postleitzahlengrenze
S pre e
LICHTENBERG
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© Leibniz-Institut für Länderkunde 2006
Die chinesische Bewegungsmeditation
zur Förderung des freien Flusses von
Chi, Tai Chi Chuan, kann z.B. einfach
als ästhetische Leibesübung praktiziert
werden. Andererseits sind für viele
Menschen auch gerade die spirituellesoterischen Bezüge von Interesse. Hier
wird ein zumindest flüchtiger Blick in
die geistige Welt eines fremden Kulturkreises gewährt, der je nach Disposition
als Ahnung einer „tieferen Wahrheit“
oder auch als reizvolle, exotische Verpackung aufgefasst werden kann.
Da es für viele fernöstliche Praktiken
keine verbindlichen Ausbildungsgänge
und Zulassungen gibt, stellt sich der
Markt wenig transparent dar. Es darf
Massing (Bayern)
Feng Shui-Baugebiet
Feng Shui-Baugebiet in Massing
Die Gemeinde Massing in Niederbayern beschloss 1997 für das Gebiet „Massing-West” einen Bebauungsplan nach den Prinzipien von Feng Shui und Geomantie zu entwickeln. Die Anordnung der Häuser und
Straßenzüge im Bebauungsplan berücksichtigt die in geomantischen Untersuchungen festgestellten
„Energiezonen”. So wurde eine Störzone von Bebauung freigehalten. Ein positives Kraftfeld wurde ebenfalls
nicht überbaut und wird für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Den Bauherren wird keine bestimmte
Dachform vorgeschrieben, eine ausschließliche Verwendung von Satteldächern würde nach Auffassung
der Planer das Element „Feuer” zu einseitig betonen. Ab 1999 entstanden die ersten Wohnhäuser. Heute
sind nur noch wenige Parzellen verfügbar. Die Immobilienbranche entdeckt Feng Shui als verkaufsförderndes Element. Weitere Feng Shui-Baugebiete sind z.B. in Bayern in Landshut („Am Moniberg”), Furth
im Wald („Am Eichert”), Pfarrkirchen („Mooshof”) und Scheinfeld („An der Talaue”) entstanden.
Berlin
SPANDAU
zum individuell zu verantwortenden
Projekt, Identitäten werden zunehmend
nach dem Baukastenprinzip zusammengestellt. Exotische Praktiken fremder
Kulturen können dabei als Mosaiksteine
für den eigenen Lebensstil dienen. Die
auffallend geringere Dichte von fernöstlich geprägten Dienstleistungen in Ostdeutschland weist darauf hin, dass
diese Ausdifferenzierung von Lebensstilen dort noch weniger fortgeschritten
ist als in den alten Ländern.
Inzwischen sind viele fernöstliche
kulturelle Praktiken marktgängig an
westliche Konsumgewohnheiten angepasst und medial in der Zeitschriftenund Ratgeberlandschaft aufbereitet wor-
5
Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Leben in Deutschland
den . Es besteht ein reichhaltiges,
wachsendes und leicht verfügbares Angebot an entsprechenden Waren und
Dienstleistungen. Zum Teil haben etablierte Anbieter von Öko-, Bio- und
Wellnessprodukten sowie alternativer
Heilverfahren ihre Angebotspalette
entsprechend erweitert. Zusätzlich ist
ein eigenständiges Marktsegment von
spezialisierten Beratern, Lehrkräften
und Anwendern entstanden.
Chinesische und japanische
Praktiken
Großer
Müggelsee
10 km
Maßstab 1:350000
Leibniz-Institut für Länderkunde 2006
Autor: J.Burdack
Bei den kulturellen Praktiken chinesischen und japanischen Ursprungs können i.d.R. zwei inhaltliche Ebenen unterschieden werden: eine Praxisebene
und eine spirituell-esoterische Ebene.
Während in den Herkunftskulturen die
Praxisebene fest in die übergeordnete
spirituell-esoterische Ebene eingebettet
ist, wird sie bei den westlichen Versionen häufig aus diesem Kontext gelöst.
Autor: J.Burdack
sich jeder als Feng Shui-Berater bezeichnen und entsprechende Dienste
anbieten. Feng Shui findet in Deutschland vor allem als Gestaltungsprinzip
von Wohnräumen und Wohnhäusern
Anwendung .
Ein Verbraucherschutz ist im Psychound Esoterikmarkt nur schwer durchzuführen, denn das Ausbleiben von Wirkungen kann immer auch dem mangelnden Glauben des Behandelten zugeschrieben werden. Eine Einführung gewisser Standards wird durch die Bildung
von Berufsverbänden begünstigt, die
eine qualifizierte Ausbildung von Fachkräften fördern und eigenständige Berufsstände profilieren wollen (z.B. Gesellschaft für Shiatsu in Deutschland,
Berufsverband für Feng Shui und Geomantie e.V.).웇
Fernöstliche Kultur 2005
nach Gemeinden
Shiatsu („Fingerdruck“) – japanische
Art der Akupressur. Durch Drücken
bestimmter Punkte auf den Meridianen
(Bahnen des Chi im menschlichen
Körper) sollen Blockaden des Chi gelöst werden, die sich in Verspannungen, Schmerzen oder Niedergeschlagenheit äußern.
Feng Shui („Wind und Wasser“) –
chinesische, taoistische Lehre des
Einflusses von Natur und Umwelt auf
den Menschen. Ziel ist es, Harmonie
zwischen dem Menschen und seiner
bebauten und natürlichen Umwelt
herzustellen. Feng Shui wurzelt in der
Auffassung, dass alle Dinge den fünf
Elementen zugeordnet werden können
und mit positiver oder negativer Energie
(Chi) aufgeladen sind. Der Chi-Gehalt
eines Ortes soll optimiert werden.
Reiki – aus Japan stammende Methode
„geistigen Heilens“, die in heutiger Form
erst im 20.Jh. entstanden ist. Lebensenergie wird durch Handauflegen vom
Reiki-Geber auf den Körper des ReikiNehmers übertragen. Die Wirksamkeit
von Reiki und anderen Methoden der
Geistheilung ist wissenschaftlich nicht
nachgewiesen.
Zen – Form des Buddhismus, die
sich vor allem in Japan entwickelt hat.
Kiel
Ruhwinkel
Hamburg
Wentorf b. Hamb.
J Hamburg
BadZwischenahn
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Worpswede
Oldenburg
(Old.)
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Bremen
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Braunschweig
Osnabrück
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Dresden
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Köln
Troisdorf
Bonn
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Burbach
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Hürtgenwald
Leipzig
Kassel
Düsseldorf
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Fernöstlich geprägte Dienstleistungen
Berater, Lehrkräfte und Anwender
kultureller Praktiken
Lößnitz
Koblenz
Frankfurt
a.M. Frankfurt
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Singhofen
a.M.
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Wiesbaden
Hanau
Mainz
Shiatsu
Feng Shui
Reiki
Coburg
Anzahl der Einrichtungen
Ma
in
Hochheim a.M.
81
49
13
Main
1mm² =^ 2 praktizierenden Einrichtungen
Kaiserslautern
J
9 - 12
C Mannheim
5- 8
Nürnberg
Mannheim
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Ne
Heidelberg
3- 4
1- 2
Saarbrücken
Zen-Zentren
Ausrichtung
Karlsruhe
JStuttgart
Stuttgart
BadenBaden
Verdichtungsraum
Tübingen
Reutlingen
Nec
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Aalen
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Staatsgrenze
Ländergrenze
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Rhein
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Dinkelscherben
Massing
(siehe Abb.2)
Mühldorf a.Inn
Inn
Augsburg
München
Freiburg
i.Br.
Buchenbach
Königsdorf
Autor: J.Burdack
gestufte Kreisgrößen
bei weniger als
13 Einrichtungen
Bo d
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se
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Soto-Zen (stille Meditation)
Zen (allgemein)
Rinzai-Zen (Meditation mit
Koan; formelhafter Ausdruck)
Chan (chinesisches Zen)
Fernöstlich gestaltete Gärten
J Stuttgart japanischer Garten
C Mannheim chinesischer Garten
Gründungsjahr
1960
1989-1994
2000-2004
keine Angabe
Bad Tölz
Murnau
0
© Leibniz-Institut für Länderkunde 2006
25
50
75
Maßstab 1: 2750000
Grenzüberschreitende Kooperationsräume
101
100 km