Das neue Unterhaltsrecht

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Das neue Unterhaltsrecht
Das neue Unterhaltsrecht
Die seit 2005 intensiv diskutierte Reform des Unterhaltsrechts1 wurde am 9. November 2007 vom Bundestag und am 30. November 2007 vom Bundesrat verabschiedet
und tritt zum 1. Januar 2008 in Kraft.
Kernpunkte der Reform sind
1. die geänderte Rangfolge der Unterhaltsberechtigten (im Mangelfall) und
2. die Neuregelungen zum Betreuungsunterhalt.
In beiden Fällen waren Urteile des Bundesverfassungsgerichts mit prägend, in denen
eine unterschiedliche Behandlung ehelicher und nichtehelich geborener Kinder als
unvereinbar mit dem Grundgesetz bewertet wurden. Während bisher z. B. nach einer
Scheidung einer allein erziehenden Person in den ersten acht Lebensjahren des
Kindes i. d. R. keine Erwerbstätigkeit zugemutet wurde, konnten nicht verheiratete
allein Erziehende i. d. R. nur für drei Jahre Betreuungsunterhalt geltend machen.
Hierzu führte das Bundesverfassungsgericht aus: „Es verstößt gegen Art. 6 Abs. 5
Grundgesetz, die Dauer des Unterhaltsanspruchs, den der Gesetzgeber einem Elternteil wegen der Betreuung seines Kindes gegen den anderen Elternteil einräumt,
für eheliche und nichteheliche Kinder unterschiedlich zu bestimmen.“ (Leitsatz des
Urteils vom 28.02.2007)
Zu 1. Geänderte Rangfolge der Unterhaltsberechtigten
Erklärtes Ziel der Unterhaltsrechtsreform ist im Wortlaut des Bundesjustizministeriums die „Förderung des Kindeswohls“ durch eine Änderung der Rangfolge im Unterhaltsrecht.
Ab Januar 2008 stehen minderjährige Kinder sowie Kinder unter 21 Jahre, die noch
zur Schule gehen und im Haushalt eines Elternteils leben, im 1. Unterhaltsrang, d. h.
ihre Ansprüche gehen denen aller anderen Unterhaltsberechtigten vor. Zwischen
ehelichen Kindern und denen, deren Eltern zum Zeitpunkt der Geburt nicht miteinander verheiratet waren, wird nicht mehr unterschieden.
Der Kindesunterhalt knüpft zukünftig an die Höhe des Kinderfreibetrags im Einkommenssteuergesetz an. Das Kindergeld wird zukünftig generell wieder hälftig angerechnet.
Der Mindestunterhalt beträgt bundesweit für die Zeit bis zur Vollendung des
6. Lebensjahres (erste Altersstufe) 279 €, für die Zeit vom 7. bis zur Vollendung des
12. Lebensjahres (zweite Altersstufe) 322 € und für die Zeit vom 13. Lebensjahr an
(dritte Altersstufe) 365 €.
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1
vgl. Stellungnahme des SkF/DCV, Juli 2005
http://www.skf-zentrale.de/Stellungnahme_Unterhaltsrecht_SkF_DCV.pdf
vgl. Stellungnahme der AGIA, Juli 2005
http://www.skf-zentrale.de/Stellungnahme_AGIA_Endfassung.pdf
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Bis zu einem Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen von 1.500 € (zukünftig die
erste von zehn Einkommensstufen der Düsseldorfer Tagelle) ergeben sich bundeseinheitlich nach Abzug des hälftigen Kindergeldes (77 €) also folgende Zahlbeträge:
für Kinder von 0-5 Jahren 202 €
für Kinder von 6-11 Jahren 245 €
für Kinder von 12-17 Jahren 288 €.
Im Vergleich zu den derzeitigen Zahlbeträgen ergeben sich damit kaum Veränderungen (Erhöhung des Kindesunterhalts in der untersten Altersgruppe um 3 €, Reduzierung des Kindesunterhalts bei den 6- bis 11-Jährigen um 2 € und bei den 12- bis
17-Jährigen um 3 €).
Der Selbstbehalt des erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen gegenüber minderjährigen
Kindern liegt in der untersten Einkommensstufe bei 900 €.
Im 2. Unterhaltsrang stehen ab Januar 2008 Elternteile, die wegen der Betreuung
eines Kindes unterhaltsberechtigt sind oder im Falle einer Scheidung wären. Ebenfalls in den 2. Rang aufgenommen wurden – nach langer Diskussion und zahlreichen
kritischen Stellungnahmen im Vorfeld – nichtbetreuende (geschiedene) Ehegatten
nach langer Ehedauer.
Im Vergleich zur bisherigen Rechtssprechung ergeben sich damit Verschlechterungen für geschiedene allein Erziehende, die vom 1. in den 2. Rang rutschen und Verbesserungen für Kinder betreuende nichteheliche Mütter und Väter, die vom 3. Rang
in den 2. aufsteigen.
Damit entspricht der Gesetzgeber den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts,
das unterschiedliche Erwerbsverpflichtungen wegen der konkreten Folgen für die
Alltagsgestaltung von Kindern für verfassungswidrig hält.
Vom 1. Januar 2008 an haben allein erziehende Elternteile einen Anspruch auf
Betreuungsunterhalt generell für mindestens drei Jahre, gerechnet ab der Geburt des
Kindes. Eine Verlängerung soll möglich sein, soweit dies der Billigkeit entspricht,
wenn das Kind einer längeren Betreuung durch den Elternteil bedarf oder keine anderen Möglichkeiten der Kinderbetreuung bestehen.
Unabhängig von dem Unterhaltsanspruch wegen Betreuung von Kindern kann der
Unterhalt für Geschiedene aus Gründen der nachehelichen Solidarität verlängert
werden. Ein lebenslanger Unterhaltsanspruch nach Scheidung wird aber künftig eine
Ausnahmeregelung sein, die nur noch bei langer Ehedauer (mehr als 10 Jahre) in
Betracht kommt und sofern die Bedürftigkeit auf Ehe bedingten Nachteilen beruht.
Bei kürzerer Ehedauer wird der Ehegattenunterhalt zukünftig vermutlich häufiger als
bisher befristet werden.
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Das Rangverhältnis mehrerer Unterhaltsberechtigter
Zukünftig werden Unterhaltsansprüche der Personengruppen im 2. und jeweils folgenden Rang nur berücksichtigt, wenn die Unterhaltsansprüche aus der vorherigen
Rangstufe voll befriedigt sind. Sofern innerhalb eines Rangs mehrere Berechtigte
Ansprüche geltend machen, sind diese anteilig zu berücksichtigen. Neben den eben
schon beschriebenen Berechtigten im 1. und 2. Rang stehen im 3. Rang Ehegatten
und geschiedene Ehegatten, die keine Kinder (mehr) betreuen, soweit sie nicht wegen langer Ehedauer in den 2. Rang fallen.
Im 4. Rang stehen volljährige Kinder, die nicht in den 1. Rang fallen und im 5. Rang
folgen Enkel, Urenkel und weitere Abkömmlinge, im 6. Rang Eltern und im 7. Rang
weitere Verwandte der aufsteigenden Linie. Unverändert bestehen keine gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber Geschwistern oder Verwandten des Ehegatten
(z. B. Schwiegereltern, Kindern des Partners aus dessen erster Ehe).
Bewertung der Reform aus Sicht des SkF
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Minderjährige Kinder als besonders schutzbedürftige Gruppe unabhängig vom
Familienstand der Eltern in den 1. Rang zu setzen, entspricht den Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts und wird allgemein befürwortet.
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Die Anknüpfung des Kindesunterhalts an die Höhe des Kinderexistenzminimums
im Einkommenssteuergesetz bewirkt, dass der Mindestunterhalt der Kinder erst
wieder steigen wird, wenn der steuerliche Kinderfreibetrag um mehr als 5,9 %
steigt. Ob das vom BMJ formulierte Ziel, das Kindeswohl fördern zu wollen, auf
diesem Weg also erreicht wird, bleibt fraglich: zwar gehen die Ansprüche aller
minderjährigen bzw. bis 21-jährigen Kinder ab 2008 den Ansprüchen aller anderen Unterhaltsberechtigten vor – aber ein höheres Haushaltseinkommen als bisher steht den Einelternfamilien auch dann nicht zur Verfügung! SkF und DCV haben schon 2005 gefordert, den Kindesunterhalt nicht am steuerrechtlichen, sondern am tatsächlichen Existenzminimum zu bemessen.
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Da zukünftig zunächst alle Ansprüche der Kinder im 1. Rang erfüllt werden, wird
im Mangelfall häufiger als bisher der allein erziehende Elternteil ‚leer ausgehen’.
Insbesondere für geschiedene Mütter mit über 3-jährigen Kindern wird der Druck,
den eigenen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu sichern, zunehmen.
Konkret erfolgt die Gleichstellung Kinder betreuender Mütter (bzw. Väter) durch
Absenkung der Unterhaltsansprüche geschiedener Frauen (Männer) auf einen
Betreuungsunterhaltsanspruch für nur noch drei Jahre (nach der Geburt des Kindes)!
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Für ledige Mütter oder für Ehe-/Lebenspartner, die mit einem aus erster Ehe unterhaltspflichtigen Partner zusammen leben und gemeinsame minderjährige Kinder betreuen, verbessert sich die finanzielle Situation im Vergleich zu heute, da
ihre Unterhaltsansprüche verlängert und aufgewertet werden.
„Der bisher geltende prinzipielle Vorrang des geschiedenen Partners aus erster
Ehe vor einem neuen Ehegatten des zum Unterhalt Verpflichteten wird nicht bestehen bleiben, die Verpflichtung Geschiedener, sich selber um ihr Auskommen
zu kümmern, statt den (oder die) Ex in Anspruch zu nehmen, wird ganz erheblich
verschärft werden, und die Rechtsstellung unverheirateter Eltern wird der von geschiedenen erheblich angenähert ...“ 1
Die Verbesserungen für unverheiratete Eltern, die Kleinkinder betreuen, gehen
somit zu Lasten der geschiedenen Eltern mit älteren Kindern.
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Neu ist auch, dass Unterhaltsansprüche Geschiedener zukünftig häufiger als bisher in der Höhe begrenzt oder zeitlich befristet werden – vor allem bei kürzerer
Ehedauer, bei langer Arbeitslosigkeit oder anderen nicht Ehe bedingten Gründen.
„Eine zuverlässige Vorhersage, wann künftig im Einzelfall ein Unterhaltsanspruch
überhaupt zugebilligt, unter welchen Voraussetzungen er gekappt oder befristet
wird, oder welche Rolle anderweitige Unterhaltspflichten dabei spielen werden, ist
derzeit guten Gewissens nicht möglich ... Es wird voraussichtlich einige Jahre
dauern, bis sich tatsächlich eine klare Linie herausbildet.“ 2
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Dies betrifft nicht nur den sogenannten ‚Mangelfall’, sondern gilt auch für Fälle, in
denen ein Unterhaltspflichtiger aufgrund seines hohen Einkommens zahlungsfähig wäre. Damit trifft das finanzielle Risiko des Scheiterns der Ehe noch mehr als
heute alleinerziehende Frauen, die während der Ehe ihre Erwerbstätigkeit reduziert oder aufgegeben hatten, denn der berufliche Einstieg fällt bei der aktuellen
Lage auf dem Arbeitsmarkt schwer und das Einkommen bleibt langfristig niedriger als es bei ununterbrochener Erwerbstätigkeit wäre.
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Der notwendige Selbstbehalt erwerbstätiger Unterhaltspflichtiger gegenüber dem
geschiedenen betreuenden Ehegatten wird auf 1.000 € angehoben. (Für allein
erziehende Elternteile gibt es einen solchen Selbstbehalt nicht!)
Beispiele
Ein nach 20 Jahren Ehe geschiedener Mann hat aus erster Ehe zwei Kinder. Seine Frau hat zugunsten von Kinderbetreuung und Haushaltsführung auf eigene Erwerbstätigkeit verzichtet. Die Kinder sind
14 und 16 Jahre alt und besuchen die Schule. Die geschiedene Frau findet nach der Scheidung keinen Arbeitsplatz. Der Mann hat nach der Scheidung erneut geheiratet und mit seiner zweiten Ehefrau
zwei minderjährige Kinder.
In diesem Fall werden nach Abzug des sog. Selbstbehalts des Mannes zunächst die Unterhaltsansprüche aller Kinder erfüllt. Falls dann noch Einkommen zur Verfügung steht, müssen erste und zweite Ehefrau sich das Geld teilen. Sie befinden sich beide im 2. Rang. Die erste Ehefrau, weil die Ehe
von langer Dauer war und die zweite Ehefrau, weil sie minderjährige Kinder betreut.
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1 und 2
www.ra-cunningham.de/rechtsanwalt-familienrecht-nuernberg/scheidung-unterhalt
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Die Ehe von Herrn und Frau A. wurde nach vier Jahren geschieden und ist kinderlos. Frau A. hat während der Ehe eine geringfügige Teilzeitbeschäftigung ausgeübt und findet nun keinen Ganztagsarbeitsplatz. In zweiter Partnerschaft hat Herr A. jetzt zwei minderjährige Kinder, das jüngste ist 2 Jahre
alt.
In diesem Beispiel würden die Kinder (aus der zweiten Ehe) erstrangig bedient. Im zweiten Rang befindet sich die Kinder betreuende zweite Ehefrau und nur, wenn nach Erfüllung ihres Unterhaltsanspruchs noch Geld verbleibt, wird auch der Anspruch der ersten Ehefrau befriedigt.
Ehepaar B. wird geschieden als die gemeinsame Tochter 5 Jahre alt ist. Frau B. war für Haushalt und
Kind zuständig und seit der Geburt der Tochter nicht erwerbstätig. Da die Tochter einen Kindergarten
besucht, ist Frau B. nach der Scheidung gehalten, sich intensiv um einen Arbeitsplatz (mindestens
halbtags) zu bemühen. Das neue Unterhaltsrecht betont den sog. Grundsatz der nachehelichen Eigenverantwortung, der nacheheliche Unterhalt kann vom Gericht zeitlich befristet werden und der
eheliche Lebensstandard allein ist nicht mehr dauerhaft Maßstab des Unterhaltsanspruchs.
Dezember 2007
Petra Winkelmann
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