Frank Nimsgern über Phantasma

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Frank Nimsgern über Phantasma
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Vis-à-Vis
Musik ist wie Sauerstoff zum Atmen
Frank Nimsgern über Phantasma, Bach und Anna Netrebko
rank Nimsgern ist Musiker aus Leidenschaft,
er komponierte Musicals wie »Qi«, »Elements«, »Poe« oder »Der Ring«, schreibt aber
auch klassische Stücke wie seine Symphonie »Ocean of Love«, interpretiert von Anna Netrebko.
F
blimu: Am 7. November feiert Ihre neue Show
»Phantasma« Weltpremiere in Saarbrücken. Was
verbirgt sich hinter dem Titel?«
Frank Nimsgern: Phantasma ist der Geist, der
überlebt. Im Italienischen wird ›Fantasma‹ übrigens mit »F« geschrieben, was aber aus rechtlichen Gründen nicht ging. Giorgio Phantasma ist
sozusagen der letzte Superstar unserer Generation. Er erlebt sein großes Finale, denn das Stück
beginnt mit seiner letzten Show. Vorausgehend
wurde der Reporterin Brenda de Ville das erste
Exklusivinterview mit dem großen mysteriösen
Entertainer versprochen, der für seine spektakulären Auftritte berühmt ist. Bei seinem Auftritt
jedoch bricht Giorgio Phantasma zusammen.
Man denkt, es ist ein Herzinfarkt und ruft den
Notarzt, der ihn ins Krankenhaus einweist. Dort
stellt sich auf dem Röntgenbild heraus, dass Phantasma gar kein Herz besitzt. Im Wahnzustand
erzählt er seine Geschichte und redet dabei aus
einer ganz anderen Zeit als der jetzigen, nämlich
aus der vor 100 Jahren; er ist im Grunde unsterblich!
Wir bewegen uns im Stück von nun an mit vier
Akten in vier Zeitzonen: Es beginnt mit dem 19.
Jahrhundert am Place Pigalle in Paris, 1930 sind
wir in Chicago, es folgen die Jahre 1970 und
2000. Die Dramaturgie folgt »Hoffmann’s Erzählungen«. Wie dort sind mit den vier Lebensabschnitten vier Frauen verbunden. ›Phantasma‹ ist
somit meine Interpretation von »Les Contes
d’Hoffmann« mit der Musik als Titelfigur. In
Anlehnung an E.T.A Hoffmann und zusammen
mit Wilhelm Hauffs »Das kalte Herz« und »The
Flying Dutchman« habe ich ein wirres Exposé
geschrieben und ein paar surrealistische Zeichnungen angefertigt. Am Ende haben wir das Ganze dann noch einmal neu gegliedert. (lacht)
guter Liedtexter und kein guter Librettist. Beides
lasse ich dann schreiben, in diesem Falle von Aino
Laos und Prof. Elmar Ottenthal (ehemaliger
Intendant Aachen und Theater des Westens Berlin, Anm. d. Red.), aber im Grunde ist es immer
Teamwork.
Abb. unten:
Frank Nimsgern
Foto: Frank Nimsgern
Die Geschichte hat mit einem Pakt zu tun, den
Phantasma geschlossen hat. Der Arzt, der
erscheint und die Diagnose stellt, dass Phantasma
kein Herz hat, ist sein persönlicher medizinischer
Betreuer. Vor einhundert Jahren hat er mit dem
mysteriösen ›Doc‹ einen Bund geschlossen. Als
Pfand nahm der Doktor Phantasmas Herz. Der
Pakt heißt: ewiger Ruhm, aber endlose Suche
blimu: Demnach stammt die Konzeption von
Ihnen?
Frank Nimsgern: Ja. Ich schreibe immer etwa
zehn Seiten als Konzept des Buches. Ich bin kein
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nach singulärer Liebe. Giorgio Phantasma kann
nur pluralistische Liebe empfangen, nämlich die
Liebe des Publikums. Er zieht es ganz in seinen
Bann. Doch wenn er die Bühne verlässt, ist er nur
noch einsam. Deshalb gibt es im Stück auch zwei
Spielebenen, auf der Bühne und dahinter. Die
Erlösung von der unerfüllbaren Sehnsucht vermag wie im »Fliegenden Holländer« allein die wahre Liebe.
sehr wichtig: Es ist so, als ob man als Kind eine
Geschichte erzählt bekommt mit der Frage: »Was
ist die Moral der Geschichte?« Auch im Musical
brauche ich immer eine Präambel. Dabei möchte
ich keineswegs belehren, sondern einfach Fabeln
erzählen. Ich gehe gegen das Klischee der Oberflächlichkeit des Musicals vor und möchte jedem
Inhalt einen tieferen Sinn
geben. Gerade weil ich im
Showbusiness arbeite, ist mir
aufgefallen, dass die ganzen
blimu: Welche AnforderunCastingshows kein Segen
gen muss der Darsteller erfülsind, sondern nur noch ein
len, der Giorgio Phantasma
Fluch für die jungen Leute,
spielt?
die daran teilnehmen. So verstehe ich meine Geschichte
Abb. oben: auch ein bisschen als eine
Frank Nimsgern: Er muss
Frank Nimsgern in seinem Studio Reaktion darauf. Deshalb gibt
zwei Eigenschaften darstellen
Foto: Frank Nimsgern
können: nicht nur den überes diesen Giorgio Phantasma,
zeugten Star, der die Massen begeistert, sondern der im Grunde eine Reinkarnation anderer
auch seine sensible Seite, die sich nach einem Superstars ist. Wir haben im 19. Jahrhundert
Leben jenseits der Show sehnt.
jemanden gesucht, der im Grunde das war, was
Enrico Caruso in den 1950er Jahren darstellte.
blimu: Was für eine Figur ist dieser ›Doc‹, dessen Heute ist eine solche Figur Robbie Williams, ein
Verhältnis zu Phantasma Sie bereits wie das von Mann, der zwar einen Megaerfolg hat, aber kein
soziales Umfeld besitzt und im Grunde unfähig ist
Faust zu Mephisto charakterisiert haben?
zu lieben, weil er von allen geliebt wird. IrgendFrank Nimsgern: Der Professor ist ein fanati- wann kann er es nicht mehr trennen. Diesen Glascher, wahnsinniger Wissenschaftler, dessen gro- mourfaktor, der sich für meine Musik geradezu
ßes Ziel es ist, aus den Herzen musikalischer anbietet, versuche ich umzusetzen.
Genies, welche zu früh starben, wie beispielswei- Die besondere Herausforderung war es, ein Stück
se Mozart oder eine Interpretin wie Maria Callas, zu schreiben, das durch vier Zeitzonen geht – auch
die totale Symphonie zu erschaffen.
blimu: Beim Hören des Liedes ›Mein
Herz brennt‹ (Lied des Docs, Anm. d.
Red.) fällt auf, wie sehr der dramatische
Inhalt des Textes im Kontrast steht zu dem
klangvollen Big Band Sound.
Frank Nimsgern: Das kommt daher, dass
für den Doc das Ganze eine Art Spiel ist.
Er sieht sein Handeln ironisch, ja sogar
zynisch. Der Doktor ist ein Diktator, der
alles seinem Endziel unterordnet. Schon
die Nationalsozialisten wünschten sich
immer nur eine ›Girl Kick Line‹. Die Herzmaschine ist seine ›Girl Kick Line‹ – deshalb der in der Tat schmissige Big Band
Sound.
blimu: Wie »Der Ring« zeigt, beschäftigen
Sie sich viel mit der Märchen- und Mythen-Welt.
Was fasziniert Sie daran?
Frank Nimsgern: Für mich sind es keine Märchen, es sind immer Fabeln. Die Botschaft ist mir
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musikalisch: Im 19. Jahrhundert haben wir mit
der Szene der »Place Pigalle« diese Art von Entertainment-Musik, die im früheren Moulin Rouge
stattgefunden hat. 1930 ist der Beginn von Jazz,
Blues und R & B; 1970 ist die Zeit von ‘Shaft’.
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Das stilistisch aufzunehmen und damit zu spielen,
war eine Riesenaufgabe. Für mich ist »Phantasma«
eine musikalische Zeitmaschine (lächelt). Ich
weiß, ich mache es mir nicht immer unbedingt
leicht. Ich könnte es leichter haben.
blimu: Möchten Sie das?
Frank Nimsgern: Nein, nicht wirklich. Die »Qi«Revue in Berlin war auch so eine Art Sport
(lacht). In sechs Monaten dieses Projekt auf die
Beine zu stellen, war eine Herausforderung. Ich
sehe das immer sportlich und merke dann, dass
ich gegen meinen Körper arbeite, weil ich eigentlich mehr Zeit benötige. Eine Revue für den Friedrichstadtpalast braucht normalerweise zwei Jahre
und wir haben sie irgendwie in sechs Monaten auf
die Beine gestellt.
Wie auch bei »Qi« gab es für mich bei »Phantasma« eine klare Verabredung: Ich wollte kein Stück
machen, in dem ich mich wiederhole. Ich muss
immer wieder eine neue Kür aufsetzen. Das Ganze ist nun mal eine Herausforderung – nicht nur
musikalisch, sondern auch insgesamt von der ganzen Ästhetik her: Wir befinden uns in vier verschiedenen Zeitzonen und das muss immer wieder betont werden, in den Requisiten wie auch in
den Kostümen. Trotzdem darf es nie old fashioned sein. Es soll eine traditionelle Note haben,
muss aber immer modern
sein. So habe ich beispielsweise für die Place Pigalle-Zeit
einen Cancan geschrieben,
der zwar Elemente zitiert, aber
auch ganz moderne Jungle
Beats enthält.
ich überall verschiedene Noten dazwischen
geschrieben und auch analysiert habe, was Bach
tat. So lernte ich im Grunde meine Funktionsharmonik, einfach nur durch das Spielen und
Analysieren, warum Bach von diesem Akkord zu
jenem geht. Bach war damals für mich die Bibel
schlechthin.
Bach und Wagner sind für mich echte Genies.
Richard Wagner lebt in seiner Musik Aggressionen aus – hören Sie nur die »Götterdämmerung«.
Er schafft es, all seine Emotionen, vor allem seine Wut, in seine Musik zu legen. Wenn man sich
auf seine Musik einlässt, macht sie diese Gefühle
bis heute spürbar. Sie werden auch bei mir immer
wieder Elemente von Wagner oder Bach hören,
ohne dass ich abschreibe. Ich habe sie studiert,
verinnerlicht und mit diesem Wissen im Hintergrund komponiere ich. Am liebsten würde ich
Ihnen jetzt am Klavier zeigen, was ich meine. Ich
bin ein Musiker und finde es ungeheuer schwer,
über Musik, speziell meine Musik zu sprechen.
Für mich ist Musik die höchste Form von Abstraktion. Über sie zu sprechen, erscheint mir deshalb widersinnig.
blimu: Kürzlich wurde Ihre Meeres-Symphonie
»Ocean of Love« sehr medienwirksam im Rahmen der TUI Cruises Taufe präsentiert.
Frank Nimsgern: »Ocean of
Love« ist kein Musical, sondern spätromantische Musik
mit leichten Popelementen.
Eine große Bereicherung für
mein Werk war natürlich
Anna Netrebko, die erstmals
die Musik eines zeitgenössiblimu: Was bedeutet es für
schen Komponisten aufgeAbb. oben:
nommen hat. Leider konnte
Sie, zu komponieren?
Frank Nimsgern zeigt die Noten zu »Lido«
Foto: Frank Nimsgern sie bei der Schiffstaufe von
Frank Nimsgern: Musik zu
»Mein Schiff« in Hamburg
schreiben, ist für mich wie Sauerstoff zum wegen einer Pollenallergie nicht singen. Doch
Atmen. Sie ist in mir drin und drängt nach außen. Aino Laos, die auch den Text für »Ocean of Love«
Für mich gibt es nichts Natürlicheres, als Musik zu geschrieben hat, ist glücklicherweise eingesprunkreieren. Ich habe einfach den Drang, Musik zu gen.
schreiben (lacht). Den hatte ich schon als Kind. Anna Netrebko hat allerdings bei den Tauf-FeierIch hatte jedoch eine Untugend: Ich konnte nicht lichkeiten angekündigt, die Komposition bei
gut vom Blatt spielen und immer, wenn ich nicht ihrem nächsten Auftritt in Hamburg singen zu
weiter wusste, habe ich nach Gehör weiterge- wollen. »Ocean of Love« ist zudem ein Teil des
spielt. Ich bin bis heute kein guter »Vom-Blatt- Albums »Aqua«, das wir exklusiv für TUI Cruises
Spieler«. Ich habe aber immer gewusst, wie ich produziert haben.
improvisieren muss, damit eine Melodie sinnvoll
fortgesetzt wird. Deshalb war ich auch mehr als blimu: Vielen Dank für diese Einblicke in Ihr
18 Jahre intensiv im Jazzbereich tätig.
musikalisches Schaffen. Wir freuen uns sehr, Ihre
Im Grunde habe ich damit aus der Untugend neuen Projekte bald auf der Bühne zu sehen.
eine Tugend gemacht (lacht). Mein »WohltemBarbara Kern
periertes Klavier« sah nachher so aus, das
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