4. Fastenpredigt am 15. März 2015 in St. Peter

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4. Fastenpredigt am 15. März 2015 in St. Peter
Evang.-Luth. Pfarramt St. Peter
4. Fastenpredigt am 15. März 2015 in St. Peter
„Exodus-Schicksale“ gehalten von Pfarrerin Christine Rinka
Liebe Gemeinde,
Exodus-Schicksale – wir alle haben ein Exodus-Schicksal.
Keiner von uns ist immer am gleichen Ort zu Hause.
Jeder von uns muss früher oder später ausziehen aus einem vertrauten Land.
Viele von uns haben das schon im ganz wörtlichen Sinn erfahren, sind einmal, oder auch
mehrmals umgezogen, innerhalb von Deutschland oder auch nur innerhalb von Nürnberg.
Viele, die heute wie alte Nürnberger aussehen, haben vor dem Krieg in anderen Ländern
gelebt, in Polen, Tschechien, Russland.
In unserer Gemeinde, auch hier im Gottesdienst sind eine Menge Menschen, die aus
anderen Ländern hierhergezogen sind: Menschen aus Siebenbürgen in Rumänien,
Menschen aus Kasachstan oder anderen Teilen der früheren Sowjetunion, Menschen aus
Afrika und anderen Ländern, heute sind Gäste aus Syrien unter uns.
Aber auch wer heute noch im selben Haus wohnt, in dem er schon als Kind wohnte, ist
ausgezogen aus dem Land der Kindheit um erwachsen zu werden;
ist ausgezogen oder vertrieben worden aus dem Land der Familie und Ehe, als er oder sie
einen Teil dieser Familie verloren oder bewusst aufgegeben hat.
Wir alle leben nicht mehr dasselbe Leben wie am Beginn unseres Lebens.
Wir sind unterwegs.
Jeder, der einmal auszogen ist, kennt das Gefühl: man ist ein bisschen fremd. Die neue
Lebenssituation ist ungewohnt, die Menschen, die Wege sind noch fremd. Man fühlt sich
noch nicht richtig wohl, ist ein bisschen unsicher.
Gern nimmt man das in Kauf, wenn man freiwillig ausgezogen ist. Das Neue ist ja auch
interessant, aufregend, oft besser als das alte.
Gar nicht lustvoll ist es aber, wenn Menschen vertrieben werden oder fliehen müssen.
So wie die, die wir Asylanten nennen.
So wie die Menschen, die jetzt mitten unter uns leben, die sich mit Menschen aus St.
Peter an den Montagen im Kontakt-Cafè treffen.
So wie die, die uns heute hier besuchen.
Ihre Geschichte haben sie mir erzählt, ich darf sie heute an Sie weitergeben.
Ein Exodus-Schicksal. So oder ähnlich geschieht es in diesen Zeiten täglich hundertfach
und tausendfach.
Busaina und ihre Kinder, Sohn Achmed, schon ein junger Mann und Hanna, fast 11 Jahre
alt. Sie kommen aus Syrien.
In Syrien herrscht Chaos.
Da sind auf der einen Seite die offiziellen Regierungstruppen des Regimes Assad.
Und da sind auf der anderen Seite die Oppositionellen, demokratische wie islamistische
Gruppierungen.
Niemand weiß mehr so ganz, wer da eigentlich zum wem hält und gegen wen kämpft.
Und in dieser Unübersichtlichkeit und ohne wirkliche Kontrolle, handelt offenbar jeder auf
eigene Rechnung. Manche versuchen einfach mit Terror Geld von der verängstigten
Bevölkerung zu erpressen.
So muss es gewesen sein bei Achmed und seiner Familie.
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Sie lebten in Homs, wir haben den Namen der Stadt häufig im Fernsehen gehört, und
hören ihn noch, die Stadt liegt völlig darnieder.
Irgendwelche marodierenden Truppen holten Achmed ab, sperrten ihn ein und erpressten
die Familie. Sie sollten zahlen, damit Achmed wieder frei kommt.
Nach einigen Wochen kam Achmed dann zwar frei, wohl nach entsprechender Zahlung.
Aber so was konnte sich jeden Tag wiederholen. Sie beschlossen zu fliehen.
Sie flüchteten, wie die meisten zuerst in ein anderes arabisches Land, nach Ägypten.
Diese Nachbarländer Syriens nehmen derzeit Millionen von Flüchtlingen auf, sie sind im
Grunde total damit überfordert.
Sie können den Flüchtlingen nichts bieten, das den Namen Leben verdient.
So beschloss die Familie weiter zu fliehen.
Das geht nur mit Hilfe von Schleppern auf illegalem Weg. Würden sie offiziell in
Deutschland einreisen, würden sie sofort abgefangen und zurück geschickt.
Mit dem Bus ging es nach Alexandrien, das am Mittelmeer liegt. Dann mussten sie warten.
Untergebracht in irgendwelchen Häusern mit nichts, irgendeiner Decke, ohne Bett, keine
eigenen Zimmer, kaum Essen, 26 Tage lang.
Dann ging es weiter mit einem anderen Bus.
Unterwegs wurden sie angehalten, Autos kreisten sie ein, ein Überfall oder abgekartetes
Spiel.
Die Banden nehmen den Flüchtlingen alles ab, was sich noch irgendwie versilbern lässt.
Alle sollten ihr Handy abgeben.
Wer es irgendwie schafft, versucht wenigstens sein Handy zu retten.
Handy bedeutet Kontakt aufnehmen können, zu den anderen, die zu Haus bleiben
mussten, unterwegs, wenn man sich verliert, zu Menschen später einmal am Ziel.
Handy bedeutet mit etwas Glück irgendwo ins Internet zu kommen um sich zu informieren,
Hilfe zu holen, oder auch einfach Fotos zu machen um das unsäglich Schicksal
dokumentieren zu können.
Endlich sollten sie in ein Boot steigen.
Es sind die ältesten, kaputtesten, marodesten Boote, die man sich denken kann.
Niemanden interessiert es, wie viele davon sinken.
Eines der Boote in dem die Familie fuhr, hatte einen Kabelbrand, da nahm ein anderes
Boot sie auf. Sie waren 850 Leute auf dem Boot.
Immer wieder müssen sie unterwegs auf andere Boote umsteigen.
Es gibt keine Kabinen, keine Toiletten, keine Betten, alle sitzen, hocken, kauern da
irgendwie, grade ein bisschen Wasser gibt es zu trinken. So geht das Tagelang, keiner
weiß, wann und ob sie je ankommen würden.
Achmed ist es gelungen, sein Handy unbemerkt zu retten, er hat die Szenerie gefilmt.
Wir haben die Aufnahmen gesehen vom Boot, Menschen liegen mehr aufeinander und
übereinander, als dass sie sitzen, die einen völlig apathisch, andere schreien aufgeregt.
Bei jedem Wellengang müssen sie achtgeben, dass die überbeladenen Boote nicht
kippen, sie müssen sich geschickt im Boot verteilen, dass es nicht kentert.
Tagelang, ohne Bett und Toilette.
Irgendwann, als sie im 7. Boot saßen, fand sie ein spanischer Frachter und nahm sie an
Bord.
Das war ihr Glück, sie waren gerettet.
So viele andere werden nicht gefunden oder kentern zuvor.
Achmed machte wieder Fotos.
Man hält es nicht für möglich, eine Familie, die aussieht wie auf Urlaub, so glücklich.
Ich habe Achmed gefragt, warum er lacht auf dem Foto, er meinte, er war ja glücklich, sie
hatten es geschafft.
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Dann nahm ein italienisches Schiff sie auf und über Italien ging es mit Hilfe von
Schleppern weiter nach Deutschland.
Nach den offiziellen Regeln müssten sie ja in Italien bleiben und dort Asyl beantragen und
abwarten, ob sie als Flüchtlinge akzeptiert werden.
In Italien herrschen aber katastrophale Zustände in den Flüchtlingscamps, auch Italien ist
völlig überfordert. Niemand will da bleiben.
Und die Italiener sehen nicht hin, wer da durchreist.
Wer genug Geld hat, kann es bis nach Deutschland schaffen.
Dieser Familie gelang es.
Monatelang waren sie unterwegs. Am Ende haben sie 20.000 – 30.000 Euro gebraucht für
die verschiedenen Schlepperbanden.
Und jetzt? Immerhin dürfen Flüchtlinge erst mal bleiben, ihr Asylantrag wird bearbeitet.
Dann brauchen sie Arbeit und Wohnung. Beides ist nicht so einfach.
Wer vermietet, möge bitte mithelfen die Flüchtlinge unterzubringen! Wer weiß, wo sie
arbeiten könnten, soll Bescheid geben!
Exodus-Schicksale.
Auch wenn wir das Glück hatten, niemals etwas Ähnliches erleben zu müssen, so wissen
wir alle aus kleinem eigenen Erleben: schon das kleine bisschen fremd sein irgendwo ist
anstrengend.
Wie muss es erst für die sein, die aus bitterster Not geflüchtet sind und nicht wissen, ob
sie je zurückkehren können.
Wer fremd ist, braucht Willkommen und braucht Unterstützung, wir wissen es genau.
So begründet die Bibel, warum man gut zu Fremden sein soll, weil man das doch selbst
kennt.
Im Alten Testament heißt es immer wieder, wie z. B. im 2. Mose 22,20:
„Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge
in Ägyptenland gewesen“.
Für die Israeliten gehörte es zur Identität, Fremde zu sein. Sie waren das Volk, das aus
der Gefangenschaft, der Sklaverei in Ägypten geflohen war mit Gottes Hilfe.
Nun konnten sie nachfühlen, wie Fremde sich fühlen und sollen sie unterstützen.
Ganz ähnlich könnten wir heute argumentieren:
Wie viele Deutsche waren im letzten Krieg auf der Flucht. Viele wissen, was Flucht
bedeutet. Daraus leitet sich ab, dass wir deshalb anderen Flüchtlingen beistehen sollen.
Es gibt aber für uns Christen noch einen besonderen Grund.
Jesus selbst war so etwas wie ein Fremder auf dieser Erde.
Er wurde von vielen abgelehnt.
Sein Leben stand von Anfang an unter dem Zeichen der Verfolgung.
Gerade geboren, mussten seine Eltern mit ihm vor König Herodes fliehen.
Und später war er der Verfolgte schlechthin, der am Kreuz aus dieser Welt vertrieben
wurde.
Jesus steht an der Seite aller Verfolgten und Flüchtenden.
Und deshalb ist auch unser Platz da.
So haben wir es vorhin in der Lesung gehört (Hebräer 14,12-14)
Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen
vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach
tragen.
Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
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Der Hebräerbrief sieht unsere ganze Existenz als Christen so: wir sind wie Christus
Fremdlinge, Wanderer, die hier auf dieser Erde keine endgültige Heimat haben.
Wir haben hier keine bleibende Stadt.
Diese Erde ist gar nicht für immer unsere Heimat. Wir sind auf der Wanderschaft.
Wir sind unterwegs, alle. Auch wenn uns das nicht dauernd auffällt.
Wir sind unterwegs.
Nur wer dies leugnet, glaubt, er kann sich vor den Veränderungen drücken und Fremde
draußen halten.
Aber so ist das Leben nicht, dass immer alles beim Alten bleibt, so wie man es kennt, wie
es vertraut ist.
Wer sich nicht freiwillig mit ändert, wird von Veränderungen böse überrumpelt.
Es gehört zu unserer Existenz, dass wir immer wieder ausziehen müssen.
Die einen mussten ihre Länder, Häuser und Familien verlassen, wir müssen nur ein paar
Gewohnheiten verlassen.
Es ist das Mindeste an Solidarität mit Flüchtlingen, dass auch wir uns innerlich ein
bisschen aufmachen und uns einlassen auf manche Neuerung und Veränderung.
Unser Leben, unsere Gesellschaft wird nicht genauso bleiben wie bisher, wenn Menschen
aus anderen Ländern, Kulturen und Religionen mit uns zusammen leben.
Wir verändern uns beide, die Fremden und die Einheimischen und wachsen zusammen zu
etwas Neuem.
Aber die Veränderung bewältigt man ja viel besser, wenn man dabei nicht alleine ist.
Aber auf der Wanderschaft in äußere und innere neue Länder geht es sich ja viel leichter,
wenn man eine Gemeinschaft bildet.
Wir bilden eine Weggemeinschaft, wir lernen uns kennen, wir tauschen uns aus, helfen
uns gegenseitig.
Also gehen wir gemeinsam unseren Weg und erleben gemeinsam, wie wir die Zukunft hier
im Land gestalten können
Und wir wissen als Christen: Wir sind zwar unterwegs und diese Erde ist nur
vorübergehend unsere Heimat. Aber wir sind nicht unterwegs wie Heimatlose.
Wir haben auch ein zu Hause. Diese unsere Heimat liegt in Gott. So heißt es im
Epheserbrief:
„So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und
Gottes Hausgenossen“ (Epheser 2,19).
Wir wissen ja schon in dieser Welt, wo wir hingehören, eben zu Gott.
Wir haben einen Anker, einen Halt in ihm. Wir können uns mit allem an ihn wenden.
Er ist mit uns unterwegs, wir gehen nicht allein, und wir werden mit ihm ganz sicher
ankommen.
Am Ende sollen wir nach Gottes Willen alle bei ihm ankommen.
Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Gott schon alles vorbereitet hat, dass wir die Wanderung durch diese Zeit bewältigen und
am Ende bei ihm zu Hause sein können für immer. Amen
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Gebet von Holger Forssmann (H. Forssman, Alphagebete, S. 28/29)
Gastlichkeit
Wenn Du uns Engel auf die Erde sendest, Gott,
als unerkannte Wanderer und stille Fremde,
dann lass sie, bitte, Platz an unsern Tischen finden,
lass unsere Türen für sie offen stehen,
damit sie nicht betrübt oder missachtet weiterziehen.
Hilf uns, die Wohnungen und Häuser zugänglich zu lassen.
Gib uns Vergnügen, sie für uns und andere zu schmücken.
Schenk uns die Neugier auf Geschichten von Besuchern,
und halte auch die Freude am gedeckten Tisch lebendig.
Ja. Gastfreundschaft gehört zu einem guten Leben:
Wir brauchen sie auch selber, wenn wir fremd und ratlos sind,
auf Reisen oder spät in einer unbekannten Gegend.
Wie schön ist da ein warmes Licht,
ein offnes Haus, ein freundliches Willkommen.
Häufig sind wir bei Dir zu Gast, Du großmütiger Gott.
Wir lauschen andächtig auf Deine weisen Worte.
Wir singen Lieder und empfangen Brot und Wein.
Wenn wir gesegnet dann Dein Haus verlassen,
soll dieser Segen nicht nur bei uns bleiben,
sondern auch anderen zu Gute kommen,
sie mögen Menschen oder Engel sein.
Amen.
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