Der Aufbau und die Grundfunktionen der Todesanzeige

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Der Aufbau und die Grundfunktionen der Todesanzeige
Der Aufbau und die Grundfunktionen der Todesanzeige
(© Dr. Klaus Dirschauer, November 2003)
(* Kommentar oder Verstehenshilfe, Handlungsanweisung)
Die Komplexität der Todesanzeige
besteht darin, dass sie - in der Regel viele Interessen dokumentiert:
Den Todesfall anzeigen.
Der Todesfall
ist ein Trauerfall,
ein Sterbefall,
ein Lebensfall,
ein Hoffnungsfall
…
Übersicht der Arbeitsschritte:
(* die Karten ? gleich groß, perspektivisch gezeichnet mit Inhaltsangabe)
( I. ) Den Todesfall öffentlich machen:
( II. ) Die Todesanzeige als Sterbeanzeige:
I( III.) Die Todesanzeige als Traueranzeige:
(IV.) DieTodesanzeige als Lebensanzeige:
(V. ) Angesichts des Todes der Hoffnung Ausdruck
geben
1
( I. ) Den Todesfall öffentlich machen:
? * Beginnen wir mit dem der einfachsten verblosen Todesanzeige
(1.) Den Tod eines Menschen privat bekannt geben:
- konzentriert auf die bloße Information über den eingetretenen
Todesfall im Verwandten-, Freundes- und Bekanntenkreis:
? Trauerkarte, Trauerbrief
(2.) Den Tod eines Menschen öffentlich bekannt machen:
- konzentriert auf die bloße Information über den eingetretenen
Todesfall in der Zeitung:
? Trauerkarte, Trauerbrief, Todesanzeige in einer Tageszeitung
Daten zur Identität des Toten:
Vorname und Nachname
Geschlecht(bei Vornamen nötig: „Herr, Frau“)
Geburtstag und Todestag (* und +) bzw. Altersangabe und Sterbedatum
- evtl.. Geburtsort und Sterbeort
Traueranschrift, wo üblich
durch ein Symbol erweitert und/oder durch einen Sinnspruch erweitert
kein Verb
keine Adjektive
keine Adverbien
Zeit und Ort und Art des Abschieds...
? *Kommentar: Der Geburtstag und der Todestag liegen im Monat. In
ihm werden sie begangen. Nur Ämter und Behörden datieren.
(* In den Märchen wird der Tod „Freund Hein“ genannt)
(verblos, wortlos u.symbol-los) z.B.
Hein Tod
* 00. Monat 0000
+ 00. Monat 0000
Die Menschheit
Die endgültige Bestattung findet am „Jüngsten Tag“
auf dem Gräberfeld Hesekiel 37 statt
2
? *als Symbol ein lateinisches Kreuz, eschatologisch provokativ
? *als Sinnspruch ein Bibelzitat, thematisch orientiert
? *Zeit und Ort und Art des Abschieds, nur biblisch abgestimmt
(verblos, Symbol, Sinnspruch) z.B.
„Tod, wo ist dein Stachel? Hölle wo ist Dein Sieg?“
1.Korintherbrief 15,15
Hein Tod
* 00. Monat 0000
+ 00. Monat 0000
Die Menschheit
Die endgültige Bestattung findet am „Jüngsten Tag“
auf dem Gräberfeld Hesekiel 37 statt
(3.) ? Den Tod eines Menschen privat und öffentlich bekannt machen:
- Die Todesnachricht wird durch die Wahl eines Verbs instensivier, kann
durch den Personen zugefügten Adjektive und/oder durch averbiale Bestimmungen des Ortes, der Zeit, der Art und Weise, des Grundes und
durch verwandschaftliche Graduierungen erweitert werden.
- Symbol und/oder Sinnspruch.
? Trauerkarte, Trauerbrief, Todesanzeige in einer Tageszeitung
Daten zur Identität des Toten:
Vorname und Nachname
Geschlecht(bei Vornamen nötig: „Herr, Frau“)
Geburtstag und Todestag (* und +) bzw. Altersangabe und Sterbedatum
- evtl.. Geburtsort und Sterbeort
Traueranschrift, wo üblich
Todesnachricht verbalisiert
adverbiale Bestimmungen
verwandtschaftliche Graduierungen von der Verbwahl abhängig
durch ein Symbol und/oder durch einen Sinnspruch erweiter
Zeit und Ort und Art des Abschieds...
3
? * Beginnen wird mit der einfachsten Anzeige des verbalisierten
Todes:
? * verwandtschaftliche Graduierungen durch Personalpronomen
? * keine wertenden Adjektive (z.B. lieb, geliebt, gut...)
? * keine Adverbien (z.B.sehr, zutiefst, innigst...)
? * Kein Symbol, aber Sinnspruch
? * Aufbau und Druck linksbündig, zentriert, blocksatzig)
(symbollos) z.B.
Sinnspruch
Unsere Mutter ist gestorben.
Vorname Nachname
geb. Nachname
*00. Monat 0000
+00. Monat 0000
Vorname Nachname
Vorname Nachname
Zeit und Art und Art des Abschieds...
( II.) Die Todesanzeige als Sterbeanzeige:
?
?
?
Beginnen wir mit der einfachsten Sterbeanzeige, mit der die Information
über den Tod eines Menschen erzählend erweitert wird.
Trauerkarte, Trauerbrief, Todesanzeige in einer Tageszeitung
* z.B. ursprünglich: ist gestorben,verstorben, verunglückt...
(
? *In Mode gekommen ist der Brauch der Ablösesumme: „An Stelle der
zugedachten Blumen...“
? *In Mode gekommen ist die „Danksagung an Ärzte, Pflegepersonal,
Bestatter...“
? *Kommentar: Die private Todesanzeige kann durch die vielen Informationen, die sie enthält leicht überladen wirken. Sie verliert Ihren ursprünglichen Sinn, den persönlich erlittenen Todesfall öffentlich zu machen und
zur Trauerfeier einzuladen. Die redaktionelle Leitfrage lautet: Was ist uns
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unbedingt wichtig? Worauf können wir verzichten? Weniger ist oft mehr
als zu viel.
Daten zur Identität des Toten:
Die Todesnachricht wird durch die Verbwahl des Sterbens intensiviert,
durch Adjektive und adverbiale Bestimmungen des Ortes, der Zeit, der Art
und Weise, des Grundes sowie
durch verwandtschaftliche Graduierungen erweiter
Symbole
erweitert.
Zeit und Ort und Art des Abschieds
(symbol-los), z.B.
„Du kamst, du gingst mit leiser Spur,
ein flücht’ger Gast im Erdenland.
Woher? Wohin? Wir wissen nur:
Aus Gottes Hand in Gottes Hand.“
Ludwig Uhland
Unser Sohn wurde jäh aus unserer Mitte gerissen:
Vorname Nachname
* 00. Monat 0000
+ 00.Monat 0000
Vorname Nachnahme
Vorname Nachname
Zeit und Ort und Art des Abschieds
(III.) Die Todesanzeige als Traueranzeige:
?
?
?
Beginnen wir mit der einfachsten Trauerzeige, mit der die Information
über den Tod eines Menschen erzählend erweitert wird.
Trauerkarte, Trauerbrief, Todesanzeige in einer Tageszeitung
* z.B. ursprünglich: trauern um, erschüttert sein, beklagen, nehmen Abschied
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(Symbol bzw, Sinnspruch)
Wir trauern um
Vorname Nachname
* 00. Monat 0000
+ 00. Monat 0000
Vorname Nachname
Vorname Nachname
Zeit und Ort und Art des Abschieds
(IV.) Die Todesanzeige als Lebensanzeige:
(wortlos, symbol-los), z.B.
Vorname Nachname
*00. Monat 0000
+00. Monat 0000
Ich beklage den Tod meines Mannes.
Wir trauern um unseren Vater, wir um unseren Großvater.
Ich nehme Abschied von meinem Bruder
Namen:
Zeit und Ort und Art des Abschieds...
A) Die Grundfunktion der Todesanzeige: konzentriert auf die
Information
1. Den Tod eines bestimmten Menschen bekannt geben.
2. Die Daten der Identität des Toten:
- Vorname Name:
6
- Geschlecht:
- Alter
- bzw.: Geburtstag, Todestag:
- evtl. : Geburtsort:
- Sterbeort:
- Wohnung:
3. Den Ort, das Datum, die Uhrzeit der Bestattung angeben:
4. Die Bestattungsart benennen,
- Abschiedsart,
- Traueradresse
- Bestattungsinstitut
Vorname Nachname
*
+
Anschrift
Zeit & Ort des Abschieds
(Dr. Klaus Dirschauer: 9/2002)
( B) Die Grundfunktion der Sterbeanzeige: narrativ erweitert
1a. Das Sterben eines bestimmten Menschen bekannt geben.
1b. Die adverbialen Angaben des Ortes, der Zeit, der Art und Weise
2.
Die Daten der Identität des Toten:
- Vorname Name:
- Geschlecht:
- Alter
- bzw.: Geburtstag, Todestag:
- evtl. : Geburtsort:
- Sterbeort:
- Wohnung:
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3. Den Ort, das Datum, die Uhrzeit der Bestattung angeben:
4. Die Bestattungsart benennen,
- Abschiedsart,
- Traueradresse
- Bestattungsinstitut
5.
An Stelle der zugedachten Blumen(Ablösesumme)
6. Danksagungen an Ärzte, Pflegepersonal, Bestatter
Vorname Nachname
*
+
Anschrift
Zeit & Ort des Abschieds
(Dr. Klaus Dirschauer: 9/2002)
( C) Die Grundfunktion der Traueranzeige: emotional erweitert
1c. Die Traurigkeit über den eingetretenen Tod veröffentlichen.
1d. Die Dominanz familiärer Graduierung dokumentieren.
1. Den Tod eines bestimmten Menschen bekannt geben.
2. Die Daten der Identität des Toten:
- Vorname Name:
- Geschlecht:
- Alter
- bzw.: Geburtstag, Todestag:
- evtl. : Geburtsort:
- Sterbeort:
- Wohnung:
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3. Den Ort, das Datum, die Uhrzeit der Bestattung angeben:
4. Die Bestattungsart benennen,
- Abschiedsart,
- Traueradresse
- Bestattungsinstitut
Vorname Nachname
*
+
Anschrift
Zeit & Ort des Abschieds
(Dr. Klaus Dirschauer: 9/2002)
( D) Die Grundfunktion persönlicher Würdigung in der Todesanzeige:
1e. Den Toten würdigen:
- privat
- familiär
- freundschaftlich
- sozial
- beruflich
- gesellschaftlich
- politisch
1f. Symbolische Dekors:
1g. Spruchgut:
1. Den Tod eines bestimmten Menschen bekannt geben.
2. Die Daten der Identität des Toten:
- Vorname Name:
- Geschlecht:
9
- Alter
- bzw.: Geburtstag, Todestag:
- evtl. : Geburtsort:
- Sterbeort:
- Wohnung:
3. Den Ort, das Datum, die Uhrzeit der Bestattung angeben:
4. Die Bestattungsart benennen,
- Abschiedsart
- Traueradresse
- Bestattungsinstitut
Vorname Nachname
*
+
Anschrift
Zeit & Ort des Abschieds
(Dr. Klaus Dirschauer: 9/2002)
( B ) Die ersten additiven Komponenten
der Todesanzeige als Sterbeanzeige:
1. Die Todesart angeben, das Sterben beschreiben.
2. Die adverbialen Angaben des Ortes, der Zeit, der Art und Weise des
Sterbens.
3. Der Hinweis auf die Ablösesumme.
4. Danksagungen in der Todesanzeige.
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( C ) Die zweiten additiven Komponenten
der Todesanzeige als Traueranzeige:
1. Die eigene Traurigkeit über den eingetretenen Tod veröffentlichen.
2. Die Dominanz familiärer Graduierung.
( D ) Die dritten additiven Komponenten
der Todesanzeige als Lebensanzeige:
1. Den Toten würdigen.
2. Symbole.
3. Sprüche
(Dr. Klaus Dirschauer: 9/2002)
© Dr. Klaus Dirschauer, Bremen
Die private Todesanzeige - eine öffentliche Lebensanzeige?
Zur Geschichte der Zeitung:
Der Name ist nicht von dem Wort Zeit als vielmehr von dem veralteten Theiding oder
Theidung (englisch: tiding) abgeleitet, was Begebenheiten oder Ereignisse meint. Von
dieser angelsächsischen Herkunft her ist die Zeitung eine Nachricht, ein Bericht über ein
Ereignis, eine Nachricht, eine Botschaft, die Kunde gibt. Erst wird mündlich berichtet,
dann aufgeschrieben, zuletzt wird gedruckt. Die Zeitung betrifft zunächst aktuelle
Beilagen zu Briefen. Sie wird bereits in Augsburg 1482 gedruckt und seit 1502 mit dem
Titel „Newe zeytung“ in regelmäßigen Abständen herausgegeben. Seit 1660 wurden in
Leipzig fünfmal in der Woche die „Leipziger Zeitungen“ ediert.
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Diese Zeitungen konnten jedoch nur mit behördlichen und landesfürstlichen Privilegien erscheinen, denn sie standen unter strenger Zensur. Meinungsäußerungen waren
untersagt. Landesfürsten wie Friedrich der Große schufen sich durch eine geschickte
Pressepolitik eine Art Staatsjournalismus. Macht- und wirtschaftspolitisch sind die
Intelligenzblätter, die zuerst 1727 in Preußen aufgekommen sind, als die Vorläufer unserer
heutigen Zeitungen anzusehen. Es handelt sich dabei nicht - um einem Missverständnis
vorzubeugen - etwa um den Lesestoff von Intellektuellen oder geistigen Zirkeln. Das
lateinische Verb intellego bedeutet vielmehr: wahrnehmen, merken, erkennen, einsehen. Die
„Allgemeine deutsche Real-Encyklopaedie für die gebildeten Stände (Conversations-Lexikon),“ die im
Brockhaus Verlag 1834 in Leipzig erschienen war, erklärt den Gegenstand wie folgt:
„Intelligenzblätter heißen täglich oder an bestimmten Tagen gedruckte Bogen, in welche Nachrichten
eingerückt werden, die schleunig zur öffentlichen Kenntnis oder Intelligenz kommen sollen“ (Bd.
5,S.568).
Bei den Intelligenzblättern geht es um wöchentliche Zusammenstellungen der Adress- und
Anzeigenkontore von Angeboten und Nachfragen. Sie waren bereits 1630 durch einen
Pariser Arzt Theophraste Renaudot gegründet worden, der zunächst nur Neuigkeiten zur
Unterhaltung seiner Kranken sammelte, wöchentlich Flugblätter mit Neuigkeiten aus
verschiedenen Ländern drucken ließ und bereits 1632 das Privileg zur ersten
französischen Zeitung, der „Gazette de France“ erhielt. Schnell breiteten sich diese
Zeitungen aus. Sie brachten dem Staat erheblichen Gewinn und bestimmten den Handel
und das Gewerbe. Der Insertionszwang des Handels und der Wirtschaft führte zu ihrer
Überwachung. Andere Zeitungen durften keine Anzeigen bringen. 1848 hob der
Bundestag in der Frankfurter Paulskirche die Zensur auf.
Vom Aufkommen der Todesanzeigen in den Tageszeitungen:
In diesen Intelligenzblättern erscheinen die ersten Familienanzeigen, darunter natürlich
auch Todesanzeigen, der damaligen Ständegesellschaft. Sie lesen sich heute wie
Nachrichten des Englischen Hofes, wie politische Kommuniques oder Bulletins der
Regierung. Es sind keine eingerahmten Anzeigen, sondern - ob nun bürgerlich oder von
Adel - nur den jeweiligen Stand und den Hof betreffende Berichte. Sie werden deshalb
in der gehobenen Sprache derer abgefasst, die für die Mitteilung des Todes
gesellschaftlich verantwortlich zeichnen. Die ersten Anzeigen dieser literarischen
Gattung sind die Standesanzeigen derer gewesen, die diese Intelligenzblätter auch
regelmäßig bezogen und gelesen haben.
Die standesbezogene Herkunft spiegeln noch heute die Familienanzeigen in den
Tageszeitungen wider, mit denen der Tod des Mitgliedes eines Adelshauses oder einer
Persönlichkeit des öffentlichen Lebens von hohem Ansehen bekannt gegeben wird. Ein
Beispiel, das aus dem Jahr der Französischen Revolution, aus der „Königlich privilegierte
Berlinische Zeitung“ vom 30. Juni 1789, stammt:
„Nachricht. Allen denen, die ich wegen Familienverbindung und Herzensgüte als Freunde hochschätze,
mache ich mit inniger Wehmut eines beklemmenden Herzens hiermit statt schriftlicher Anmeldung
bekannt, dass am 11. Juni Abends gegen halb 10 Uhr mein geliebter Gemahl, der Königl. Geheime
Etatminister und Oberstallmeister, auch Generalmajor von der Kavallerie, Herr Friedrich Graf von
Schwerin, Ritter des schwarzen Adlerordens und Kommendater der Komturei Lietzen, nach einer
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dreitägigen Krankheit an einer Brustentzündung zu Carlsruhe sein thätiges Leben sanft und gelassen
beschlossen hat. Wer je bitteren Trennungsschmerz bei dem Abschiede geliebter Personen geschmeckt hat,
wird es von selbst fühlen, wie sehr mich der Tod eines so geliebten und schätzbaren Mannes betrübt.
Unter diesem Schmerz wünsche ich allen, welchen diese Nachricht eigentlich gewidmet ist, lange
Schonung von ähnlichen Ereignissen und versichere zugleich, eine stille Teilnehmung an meinem
Schmerz, statt aller schriftlichen Versicherungen davon dankbar anzunehmen.
Bodran, den 20. Juni 1789
Verwitwete Gräfin von Schwerin, geb. Freiin von Malzan“
Erst von 1890 an beginnen die Tageszeitungen, den heutigen Typ der Todesanzeigen zu
veröffentlichen. Die Einrahmungen der Meldung des Todes rühren von den
Geschäftsanzeigen her. Die Todesanzeige als Standesanzeige ist bis heute unverkennbar,
besonders in den großen Zeitungen beim Tode hoch angesehener Persönlichkeiten der
Wirtschaft, der Politik, aus dem Kulturleben oder der Kirche wieder zu erkennen.
Die Komponentenanalyse der privaten Todesanzeige:
Die Komponentenanalyse ist die Beschreibung der Bestandteile einer sprachlichen
Einheit sowie des Aufbaus ihrer verschiedenen Kombinationen. Sie ist im Inhaltsbereich
der Sprachwissenschaft sehr gebräuchlich und wird in ähnlicher Weise auch auf das
Kunstwerk angewandt.
Welches sind nun die unverzichtbaren Grundkomponenten einer privaten Todesanzeige
mit ihrer regionalen, auf den Ort, den Stadtteil und mit ihrer überregionalen, auf die
Stadt, das Land bezogenen Öffentlichkeit einer Zeitung?
In welchem Verhältnis steht zur Veröffentlichung der Todesanzeige in einer
Tageszeitung die Unterrichtung betroffenen Personen durch die Zusendung eines
Trauerbriefes? Selbst wenn der Wortlaut der Anzeige und des Trauerbriefes derselbe ist,
erscheint der zugesandte Trauerbrief durch den Briefcharakter zugleich persönlicher
gehalten. Die Trauerbriefe nehmen die alte Tradition der Intelligenzblätter auf, zumal wenn
ihr Text noch inhaltlich von dem der Zeitungsanzeige abweicht. Ihre Funktion heute
besteht durchgängig darin, die Personen zu benachrichtigen, die durch die Todesanzeige
der Tageszeitung nicht erreicht werden.
Ich bin in meinem Elternhaus noch so erzogen worden, in einem Todesfall auf eine
bloße Anzeige in der Tageszeitung nicht, sehr wohl aber auf einen an mich gerichteten
Trauerbrief persönlich zu reagieren, wenn möglich an der Trauerfeier teilzunehmen,
einen Kondolenzbesuch abzustatten, in jedem Fall persönliche Zeilen zu schreiben,
nicht nur eine bereits gedruckte Kondolenzkarte zu unterschreiben.
Die erste Grundkomponente:
Da steht zuerst der Name dessen, der gestorben ist:
Innerhalb der privaten Todesanzeige ist an hervorgehobener Stelle der Vorname bzw.
sind die Vornamen - mitunter noch der Rufname, Kurzname, der Kosename - sowie der
Nachname als Familien- oder Eigennamen zu lesen. Die namentliche Hervorhebung
steht in der Anzeige für das ganze gelebte Leben und seinen Tod. Der Name bedeutet
Anrede und Ruf. Der Name meint den Leib des Menschen. Der Mensch vegetiert nicht
einfach sprachlos wie eine Pflanze oder wortlos wie ein Tier, sondern verwirklicht
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sprechend und hörend seine Existenz. Das lateinische Verb exsisto bedeutet: heraustreten,
hervorkommen, auftreten, erscheinen, ins Leben treten.
Der Mensch erwacht erst durch die Anrede, durch den Anruf des Du. Durch das Hören
seines Namens gelangt er vom bloßen Dasein zum Leben. Dadurch gewinnt der Mensch
seine ursprüngliche Dimension in der Kommunikation, die ihm immer bereits
vorgegeben ist, wenn er ins Leben tritt. Von diesem Du des Leibes her, der selbst
angesprochenen wird, erschließt sich zuerst das Es der ergreifenden Hände und des
begreifenden Geistes und dann endlich das Ich im Ausdruck seiner Seele.
Der Mensch gewinnt das eigentliches Leben, das in seiner Lebensgeschichte die
Persönlichkeit ausmacht, also erst von dem angesprochenen Du seiner Wirklichkeit über
das Es seiner Erkenntnis bis zum Ich seines Selbstverständnisses. Der Mensch wird in
ganz besonderer Weise am Anfang seines Lebens wie am Ende seines Lebens bei seinem
Namen gerufen. Deswegen entsprechen innerhalb der christlichen Tradition liturgisch das
Taufritual und das Bestattungsritual einander. Der Geistliche zitiert an beiden
Lebensenden den Propheten Jesaja im 43. Kapitel: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich
erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“
Die zweite Grundkomponente:
Da stehen der Tag, der Name des Monats, das Jahr der Geburt und des Todes:
In der Anzeigenpraxis ist heute gegenüber dem früher Selbstverständlichen weitgehend
das ursprüngliche Selbstverständnis verloren gegangen, das die Lebensstimmigkeit von
Geburt und Tod betrifft:
Der Geburtstag wird an einem bestimmten Tag in einem bestimmten Monat begangen.
Die Menschen, denen ich wichtig bin und die mir zum wiederkehrenden Tag meiner
Geburt gratulieren, merken sich mit dem Datum im Kalender den Wochentag und
Monatsnamen innerhalb des Jahres. Auch im Falle meines Todes würden sie sich
entsprechend erinnern. Der Monat der Geburt mit den begangenen Festen und der
Monat des Todes mit dem zu begehenden Gedenken sind gleichsam Sinnverwandte des
Lebens in der Folge der Generationen.
Die bloß numerischen Angaben der Geburts- und Todesdaten dagegen reduzieren
unmerklich, doch nachhaltig das Menschenbild in den Todesanzeigen. Bereits auf den
Vordrucken der Ämter, Behörden und Institutionen werden Menschen ausgiebig datiert
und funktional verwaltet. Es erscheint mir deshalb gedankenlos und lieblos, in einer
Todesanzeige ein menschliches Leben derartig auf die Anfangs- und Enddaten hin zu
reduzieren. Die Geburt eines Menschen, sein Leben und sein Sterben, selbst noch die
Trauer über seinen Tod beanspruchen wegen seiner Wiedererkennbarkeit so etwas wie
das Gedächtnis des gelebten Lebens. Der Wochentag des Sterbedatums ist durch das
Datum der Zeitungsausgabe jederzeit leicht festzustellen.
Die dritte Grundkomponente:
Da stehen Ortsangaben innerhalb der Todesanzeige:
Die Ortsangaben der Geburt und des Todes spiegeln die Geschichte der Familie und das
ihr anhaftende Brauchtum in der Herkunft wider. Vergangenen Generationen ist es sehr
wichtig gewesen, zu Hause, im Elternhaus, geboren worden zu sein und auch sterben zu
können. Im eigenen Hause, im Elternhaus, nicht in der Fremde.
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Haus und Heimat sind Synonyme für das Leben schlechthin. Der einst in Tübingen
lehrende marxistische Philosoph Ernst Bloch, der ein radikaler Utopist - Utopia ist Land,
das nirgends ist - gewesen ist, bekannte sich für alle überraschend im hohen Alter zur
Vorstellung einer notwendigen Heimat, die der Mensch brauchte. Das alte deutsche
Wort für Fremde heißt Elend, was soviel wie Ausland bedeutet. Und das mittelalterliche
Stoßgebet weist auf diesen Hintergrund der Beheimatung des Sterbens und des Grabes
hin: „Herr, bewahre mich vor einem schnellen, bösen Tod.“ Heute hat sich das Gebet in die Bitte
seines Gegenteils verkehrt.
Für die Menschen, die durch die beiden Weltkriege zu Tode gekommen sind oder
vertrieben wurden, haben der Geburtsort und der Sterbeort in der Aussage der privaten
Todesanzeige einen hohen Stellenwert gehabt. In diesem Zusammenhang ist auch die
Arbeit des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge nach 1945 zu würdigen.1 Der
Nobelpreisträger für Literatur Günter Grass spricht sogar davon, dass die Trauer
unbedingt immer ihren Ort brauche.
Die vierte Grundkomponente:
Steht die Anschrift des Trauerhauses auf der Todesanzeige?
Die Anschrift des gerade gestorbenen Menschen stellt eine wichtige soziale
lebensgeschichtliche Komponente dar. In Großstädten erscheint aus der Sorge vor
einem Einbruch und Diebstahl während der Bestattungszeit die Anschrift des
Trauerhauses in der Todesanzeige
nicht mehr. Dieser Brauch schränkt die
wünschenswerte Wiedererkennbarkeit des Toten aufgrund seiner Todesanzeige erheblich
ein und leitet durch den Ortsverlust ein Vergessen ein. Man bekommt den Todesfall
nicht mehr so mit, weil er nicht eindeutig auszumachen ist.
Die Traueranschrift dient wesentlich der Identifizierung dessen, der da gestorben ist, der
dann und dort gelebt hat. Die Anzeige dokumentiert zugleich in der Anschrift mit dem
Wohn- und Lebensort des Stadtteils, der Stadt die soziale bzw. gesellschaftliche Schicht,
die Zugehörigkeit, mit der Anschrift eines Altersheimes, einer Seniorenresidenz deren
Verweildauer, nicht selten ein soziales Gefälle, das eingetreten ist. 2 Mit dem
zunehmenden Funktionsverlust der Anschrift des Trauerhauses geht auch eine
veränderte Kondolenzpraxis einher. Abgesehen vom sozialen Umfeld der Familie, den
engen Freunden und guten Nachbarn, haben die bloße Unterschrift auf die vorgedruckte
Kondolenzkarte, der Eintrag des eigenen Namens in die von dem Bestattungsinstituts
ausgelegte Kondolenzliste, den persönlichen Kondolenzbesuch längst abgelöst.
Bestatter - Werbungen auf der Todesanzeige?
Im Norden Deutschlands mehr als im Süden, im Osten stärker als im Westen, in der
Großstadt verbreiteter als auf dem Lande, trägt die Todesanzeige zusätzlich noch die
Anschrift des gewählten Bestattungsinstitutes. Im vergangenen Jahrhundert ist die
ursprüngliche Sitte des früheren Trauerhauses, zu Hause den Toten aufzubahren,
1. Klaus Dirschauer, Der totgeschwiegene Tod. Theologische Aspekte der kirchlichen Bestattung, Bremen
1973, S.41-48.
2. Klaus Dirschauer(Hg.), Emanzipiertes Alter. Ein Werkbuch, Göttingen 1990,119-134.
15
persönlich Abschied zu nehmen und zu kondolieren, auf das Bestattungsinstitut
übergegangen. Das Bestattungsinstitut verfügt möglicherweise über eigene
Aufbahrungsräume für einen persönlichen Abschied - wie in Bremen - und über eine
eigene Kapelle. Die zugedachten Kränze und Blumengebinde werden, soweit sie nicht
selbst zur Bestattung auf den Friedhof mitgenommen werden, an das
Bestattungsinstitut geschickt.
Seit Jahren tauchen durch die Ablösesumme, die anstelle der zugedachten Blumen- und
Kranzspenden, auf das in der Todesanzeige angegebenes Konto zu überweisen erbeten
wird, Namen von Wohlfahrtsverbänden, Vereinen, Initiativen, Selbsthilfegruppen auf.
In der Regel lassen sie einen Rückschluss auf die Krankheit zum Tode ebenso zu, wie sie
Einblick in das lebensgeschichtliche Engagement des Toten geben.
Zusätzlich treten immer häufiger noch namentlichen Danksagungen an die stationäre
ärztliche und pflegerische Begleitung vor dem Tode im Krankenhaus oder Pflegeheim in
der Todesanzeige in Erscheinung. Sollte die private Todesanzeige zu der öffentlichen
Bekanntgabe des eingetretenen Todesfalls nun auch noch - anstelle eines persönlichen
Dankesbriefes - diese Danksagung wirklich mit übernehmen?
Ambivalenzen der Todeswiderfahrnis im Spiegel der privaten Anzeigen:
Mit den bisher aufgezeigten vier Grundkomponenten der privaten Todesanzeige - dem
Vor- und Nachnamen, den Angaben des Geburtstages und Sterbetages, den Angaben
des Geburtsortes und Sterbeortes, der Anschrift des Trauerhauses wird der eingetretene Tod gewissermaßen von dem Toten her, von seinen persönlichen
Daten her bekannt gegeben. Über seinen Tod wird unterrichtet. Der Tod von einem
unverwechselbaren bestimmten Menschen, der gelebt hat und gestorben ist, wird
öffentlich gemacht. Dieser Anzeigentyp enthält nicht mehr als unbedingt für eine
Identifizierung erforderlich ist. Diese Anzeige korrespondiert der möglichen späteren
Grabaufschrift, bei der lediglich die Anschrift des Trauerhauses dann durch die
Grabnummer des Friedhofes ersetzt worden ist.
Wohin mit den Blumen?
Dem bisher beschriebenen Stand entspricht auch die private Todesanzeige, die erst nach
erfolgter Bestattung aufgegeben wird. Sie taucht in den Zeitungen immer häufiger auf.
Mit ihr fällt ja eine Teilnahme an einer Trauerfeier weg, der eine bewusste
Verschwiegenheit über den Todeseintritt vorausgeht. Der Todesfall wird verspätet und
ohne Einladungscharakter eines noch möglichen Abschiedes bekannt gegeben. Kränze
und Blumengebinde kommen nicht mehr in Frage. Ein nachträgliches Kondolieren - sei
es persönlich mit einem Besuch verbunden oder brieflich selbst angefasst - fällt noch
schwerer und wieder anders aus. Bereits in den 30er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts hat der Philosoph Ernst Bloch in einem Aufsatz zum Tode die Entwicklung
in dem Trend von der Bestattungsfeier für den Toten zur bloßen Entsorgung seiner
Leiche, die sich heute erst so deutlich abzeichnet, vorweggenommen und gefragt: „Wohin
mit den Blumen?“ Mit den sich verändernden Umgangsweisen mit einem Todesfall
verbinden sich sehr unterschiedliche Motive, die eine psycho-soziale Problemanzeige
darstellen. Eine solche nachträgliche private Todesanzeige beispielsweise kann eine ganz
bewusste Entscheidung gegen eine große Bestattung
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mit den vielen Menschen sein. Möglicherweise auch der damit verbundenen
Erwartungen und Kosten wegen.
Diese verborgene Intimität des Abschiedes in der Kapelle des Bestattungsinstituts hat
seinen besonderen Reiz; zumal sich dazu inzwischen eigene Rituale herausgebildet
haben. Für das große öffentliche Arrangement der Bestattung, den Sarg auszusuchen, die
Ausstattung und Aufbahrung in der Friedhofskapelle abzusprechen und schließlich noch
allen denen, die da kommen werden, noch bei dem anschließenden Leichenschmaus
selbst ausgesetzt zu sein, erscheint vielen, die eine Bestattung auszurichten haben, als
eine Überforderung.
Es kann auch eine Lebensgeschichte mit ihrer anhaltenden Unverträglichkeit bis hin zum
Familiendrama dahinterstecken, für deren Ausgang einfach keine Öffentlichkeit
erwünscht wird. Der Tod eines Menschen, der sein soziales Umfeld durch einen Umzug,
den Aufenthalt im Altersheim aufgegeben oder verloren hat oder schlechthin in
Vergessenheit geraten ist, kann zu einen stillen Abschied geführt haben. Der Mensch
kann es selbst so verfügt haben. Auf diesem Hintergrund ist auch die Frage der
anonymen Bestattung, einschließlich der Frage der Grabpflege, angesichts der familiären
Mobilität des Wohnens und Lebens zu bedenken.
Wie entstehen private Todesanzeigen?
Es sind die familiär von einem Todesfall betroffenen Menschen - die so genannten
Angehörigen - die in der Regel den Wortlaut der Todesanzeige formulieren. Das
geschieht mit der beratenden Hilfe des Mitarbeiters des mit der Bestattung betrauten
Bestattungsinstitutes oder des Anzeigenberaters der in Frage kommen- den
Tageszeitung. Die Bestattungsinstitute und Inseratenabteilungen der Tageszeitungen
bieten zur Orientierung der aufzusetzenden Todesanzeige Mustervor- lagen mit
Größenangaben in unterschiedlichen Druckbild- und Textvorlagen, Symbolen und
Spruchsammlungen an.
Da von einem bestimmten Lebensalter an die Leser die Todesanzeigen zu lesen
beginnen, erwerben sie auch ungefähre Grundkenntnisse darüber, sprechen miteinander
alt werdende Menschen schon einmal über die eigenen Vorstellungen einer privaten
Todesanzeige anhand Anzeigen anderer. Manchmal kommen Angehörige auch mit
einem eigenen Konzept oder bereits einem Textentwurf in die Anzeigenberatung. Die
eigene Todesanzeige zu Lebzeiten selbständig aufzusetzen, stellt immer noch eine
Ausnahme dar.
Mitunter geschieht es auch, dass der Tote bereits zu seinen Lebzeiten seine Todesanzeige
aufgesetzt hat. Ein Beispiel - mit eigenem Profilfoto und eigenhändiger letzter
Unterschrift versehen - gab die 64-jährige Unternehmerpersönlichkeit Willi Maurer in
allen großen Tageszeitungen:
„ Ungewöhnlich ist es sicherlich, wenn ich mich noch einmal an alle Freunde wende und an die
Menschen, die mir einmal begegnet sind.
Unser aller Leben geht einmal zu Ende - so auch das meine. Und wenn Sie diese Zeilen lesen, habe ich
längst zum letzten Mal tief und vernehmlich geatmet.
Fertig sind wir nie, und trotzdem müssen wir abtreten. Niemand kann sich den Zeitpunkt auswählen.
Und so ist es gut, sich zur rechten Zeit darauf vorzubereiten, um nicht arg überrascht zu werden.
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Bedanken will ich mich bei allen Menschen, die einmal meinen Weg kreuzten - im Guten und im
Nichtguten. Vielleicht haben sie heute Nachsicht mit mir und meinem mir in die Wiege gelegten
Temperament und meiner Veranlagung. Meine hektische Eile und mein manchmal notwendiges, wenig
nachgiebiges Durchstehen haben sicher manchen verprellt. Doch lebt nicht jeder nach seinem eigenen
Gesetz?! Wer seinen klaren, ihm aufgezeigten Weg geht, hat nicht allzu viele Freunde. Und um sich aus
eigener Kraft aus dem endlosen Meer der Namenlosen herauszurecken muss man sich ein Leben lang
bemühen und anstrengen.
Ein in Vernunft und mit Verstand gelebtes Leben hat seine fest gefügte Ordnung. Oft genug und weit
genug war ich davon entfernt. Die vielen kleinen Unordentlichkeiten und Unberechenbarkeiten in so
vielen Stunden und Tagen, die das Dasein erst so lebens- und liebenswert machten und mir die Menschen
so nahe brachten, waren gleichwohl Versäumnisse - trotzdem durften sie in meinem bewusst gelebten
Leben nicht fehlen.
Ich hoffe, trotz allem einen gütigen und verständnisvollen Richter zu finden - denn nach christlicher
Erkenntnis ist am Ziel unseres Erdenlebens unser Dasein noch nicht zu Ende.“
(Frankfurter Allgemeine Zeitung von Freitag, den 4. Juni 1976, Nr. 120, S.28)
Die drei additiven Komponenten:
Die bisher aufgezeigten vier Grundkomponenten der privaten Todesanzeige - der Vorund Nachname, die Angaben des Geburtstages und Sterbetages sowie des Geburtsortes
und Sterbeortes, die Anschrift des Trauerhauses - geben den eingetretenen Todesfall
gewissermaßen von dem Toten her mit seinen persönlichen Daten bekannt. Sie
unterrichteten uns über den Tod des Toten.
Die zu diesen Grundkomponenten hinzutretenden drei additiven Komponenten der
privaten Todesanzeige rühren ausschließlich von denen her, denen dieser Todesfall zu schaffen
macht.
Die erste additive Komponente:
Die verwandtschaftliche Graduierung des Toten:
Die erste zusätzliche Komponente der privaten Todesanzeige bezieht sich auf die
psycho-soziale Situation der vom Tode Betroffenen in der jeweiligen Ausdifferenzierung
des Geschlechts sowie der Partnerschaft innerhalb der Generationenfolge. In einem
Obersatz wird der tote Mensch in seiner verwandtschaftlichen Beziehung von denen, die
seinen Tod betrauern, ein- und zugeordnet: Als Ehepartner oder Lebensgefährte, als
Vater oder Mutter, als Sohn oder Tochter, als Enkel oder Enkelin, als Bruder oder
Schwester, als Tante oder Onkel, Cousine oder Cousin. Unter dem Eindruck des Todes
wird noch einmal das Leben in seinen verwandtschaftlichen, oder auch
freundschaftlichen, wenn erwünscht gesellschaftlichen (z.B. in der Kirchengemeinde,
Kommune, im Verein, Verband), wenn erforderlich, beruflichen und möglicherweise
nachbarlichen Beziehungen gesehen, um die Schnittseite durch den Todeseintritt zu
dokumentieren. Die Angaben dienen durch die aufgeführten Namen der Trauernden
sicherlich auch der familiären Identifizierung.
Diese Zuordnung gelingt kaum noch in den Todesanzeigen, in denen die Trauernden
ausschließlich mit ihrem bloßen Vornamen dastehen. Dieser Privatisierungscharakter
des Todes mag für den Trauerbrief noch angehen, ist für die Öffentlichkeit der
Todesanzeige in der Tageszeitung jedoch nicht angebracht. Die weiteren Angaben, die
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einerseits der adverbialen Beschreibung des gelebten Lebens, des Sterbens, der
Umstände des Todeseintritts dienen, stellen immer schon eine Wertung und Würdigung
des Toten dar. Die Todesanzeige als Sterbeanzeige ist immer bereits eine Lebensanzeige,
auch eine Traueranzeige.
Dabei geht es bei den erweiterten Anzeigen um eine verwandtschaftliche Graduierung
des Toten, die erst durch den Obersatz die Wertung und Würdigung voll zum Tragen
bringt. In mehr als 90 % aller Anzeigen wächst die verwandtschaftliche Graduierung im
formelhaften Anzeigentext zu einem „grammatischen Monstrums“ aus. Wer wird da nicht in
einem einzigen Todesfall alles zu Grabe getragen:
„Plötzlich und unerwartet entschlief heute mein lieber Mann, mein herzensguter Vater, mein
Schwiegersohn, unser Bruder, Schwager, Onkel, Cousin.“
Der englische Dichter George Bernhard Shaw merkte zu diesen den Toten zugefügten
Adjektiven ironisch an, dass wohl der bessere Teil der Menschheit unter der Erde läge.
Der formelhafte Gebrauch in der Anzeigenpraxis, der sich ebenso aus den
Anzeigenschablonen der Anzeigenberatung wie aus dem persönlichen Lesen der
Anzeigenteile der Tageszeitungen ergibt, hat einen bestimmten moralischen Standard
gesetzt. Der hat sich - unterschiedlich in den Regionen - auch im christlichen
Sprachgebrauch, von Gott angesichts des Todes oder von der Versehung mit den
heiligen Sakramenten der Kirche zu schreiben, eingespielt. Die Geschichte sozialer,
gesellschaftlicher und religiöser Konventionen hat den Anzeigen Normen gesetzt, die
heute zum Teil zu nichts sagenden Stereotypen depraviert worden sind. Der individuelle
Tod eines Menschen sowie die Trauer über ihn können in dieser Normierung leicht
untergehen.
Abgesehen von dem Phänomen der verwandtschaftlichen Graduierung ist kritisch zu
fragen: Was ergibt das Aufzeigen der verwandtschaftlichen Linien überhaupt für einen
Sinn, wenn ihr dann noch die wertenden Adjektive und Adverbien der Würdigung des
Toten abgehen? Dann stünde die liebe Verwandtschaft ziemlich lieblos, ja, entblößt da.
Das heißt, dass sich die Verwandtschaft mit der Würdigung des Toten in die Anzeige
selbst mit einträgt, an der nachträglich vollzogenen Würdigung selbst partizipiert, also
eine Selbstwürdigung anlässlich des Todes vornimmt. So wird aus der bloßen
Todesfallanzeige in der Anzeige der Trauer der Überlebenden eine postume
Lebensanzeige. Dabei gehört für die Anzeige zu dem sozialen, moralischen und
religiösen Standard einfach die ethische Norm dazu: Auf den im 3. Jahrhundert v.Chr.
lebenden griechischen Philosophen Diogenes Laertios geht das Wort zurück: „De mortuis nil
nisi bene.“ Übersetzt: „Über die Toten (rede) nichts, es sei denn gut.“
Die zweite additive Komponente:
Der Anrede- und Nachrufcharakter der Todesanzeige:
Diese weitere hinzugefügte Komponente betrifft das in die Todesanzeige über dem
Namen hinzu gesetzte Spruchgut, das vom Du-Objekt der schriftlichen Anrede des Toten
über das Es-Objekt im anredenden Nachruf der Angehörigen bis hin zum Ich-Objekt der
Worte, die dem Toten gleichsam in den Mund gelegt werden, reicht:
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Beispiel für Du-Objekt: „Wenn wir Dir auch die Ruhe gönnen,
so ist voll Trauer unser Herz,
Dich leiden sehen und nicht helfen können,
war unser allergrößter Schmerz.“
Beispiel für Es-Objekt: „Sein Leben war Liebe und Fürsorge für uns.“
Beispiel für Ich-Objekt: „Meine Kräfte sind zu Ende,
Herr, nimm mich in Deine Hände.“
Der Brauch dieses Spruchgutes geht auf Zaubersprüche zurück, die bei
unterschiedlichen Anlässen verwendet wurden. Die Wurzeln reichen weit in ihren
Ursprüngen in den Volksglauben zurück. Im Gebrauch, an den viele Kinder- und
Volkslieder heute noch erinnern, lassen sich der anredende Du-Charakter, das erkannte
Es des Objekts und das Ich des eigenen Willens deutlich wieder erkennen. Mit dem
Spruchgut mag heute nicht mehr so bewusst umgegangen werden wie früher, als das
Auswendiglernen von Gedichten zur Schulbildung gehörte. Heute wird es aber gern und
dekorativ den privaten Anzeigen zugefügt. Der Brauch steht in der Tradition der
Wandsprüche in Fluren, Zimmern und über Tor- und Türbogen von Häusern, an
Hauswänden. Erinnert sei an die Rede des Zimmermanns beim Richtfest, an die Sprüche
bei der Freisprechung von Gesellen oder Meistern durch die Innungen, an die
Promotionsfeiern an den Universitäten, bei der Taufe eines Schiffes. In den
Zusammenhang gehört auch die Gebrauchslyrik in den Poesiealben, Gästebüchern, auf
den Glückwunschkarten. Das alles deutet auf den Sitz im Leben hin. Die Sprüche in den
privaten Todesanzeigen dokumentieren ein gewisses und bestimmendes Lebensgefühl
oder sogar Lebensprinzip. Es wird im Todesfall noch einmal in Erinnerung gerufen, um
selbst dem Tode standzuhalten. Die Verwendungsart darf wohl als der Versuch einer
nekrologischen Laudatio, eines lobenden Nachrufes, verstanden werden.
Die dritte additive Komponente:
Der Transzendenzhorizont der Todesanzeige:
Der Übergang von der zweiten zur dritten hinzugefügten Komponente kann sich
fließend gestalten. In der Traueranzeige drückt sich immer wieder auch die eigene
Sichtweise des Lebens und des Todes aus. Der Kirchenliederdichter des 18. Jahrhunderts
Philipp Friedrich Hiller beschreibt das so:
„Wer tröstet uns? Das Hoffen.
Wie gut ist’s, Christ zu sein!
Man sieht den Himmel offen
Und nicht das Grab allein.“
Für Christen mögen dazu das Zeichen des Kreuzes und das Wort der Bibel
dazugehören. Die dritte Komponente malt den offenen Himmel über dem zu
schließenden Grab. Dazu gehören Sprichwörter, Aussprüche, Liedstrophen, Sprüche,
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Choralverse, Bibelstellen, Zitate, Sentenzen, Aphorismen aus den unterschiedlichsten
literarischen Gattungen unserer Geschichte:
„Aber ich glaube,
dass wann der Tod unsre Augen schließt,
wir in einem Lichte stehn,
von welchem unser Sonnenlicht
nur der Schatten ist.“ 3
„Die Klagemauer im Blitz eines Gebetes
stürzt sie zusammen.
Gott ist ein
Gebet weit
von uns entfernt.“ 4
„Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.“ 5
„Niemand unter den Sterblichen ist so groß,
dass er nicht in ein Gebet eingeschlossen werden könnte.“ 6
„Leuchtende Tage
nicht weinen, weil sie vergangen,
sondern freuen, dass sie gewesen.“ 7
„Wenn Du bei Nacht den Himmel anschaust,
wird es Dir sein, als lachten alle Sterne,
weil ich auf einem von ihnen wohne,
weil ich auf einem von ihnen lache.“ 8
„Man stirbt nicht,
wenn man in den Herzen
der Menschen weiterlebt,
die man verlässt.“ 9
3. Arthur Schopenhauer, Berliner Manuskripte. Adversaria (1828) Nr.101.
4. Nelly Sachs, Die Klagemauer
5. Rainer Maria Rilke, Schlußstück: Das Buch der Bilder, 1901.
6. Bertolt Brecht(1898-1956)
7. Rabindranath Tagore(1861-1941)
8. Antoine de Saint-Exupery, Der Kleine Prinz(1950)
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Durch das Zitieren einer solchen Textstelle wird ein Zusammenhang des gelebten
Lebens, dessen Tod angezeigt wird, mit einem Prominenten, einer herausragenden oder
bedeutenden Persönlichkeit, oder auch nur einer Tagesgröße hergestellt. In dieser Form
der Anteilnahme spiegeln sich natürlich auch die Angehörigen, die die in der Anzeige
veröffentlichte Todeswiderfahrnis ebenso öffentlich auf einen Sinn- und
Hoffnungshorizont hin überschreiten. Glauben heißt nicht mehr aber auch nicht
weniger als durch diesen verdunkelten Horizont des Sterbens, des Todes und der Trauer
blicken können.
Für mich hat das mit der archaischen Sehnsucht wider den Tod, mit dem Protest gegen
den Tod, nicht an den Tod zu glauben zu tun. Damit zu tun, dass der Tod nicht das
letzte Wort behalten soll. Die Hoffnung geht gewissermaßen dahin, in den Himmel der
Religionen, der Kirchen, Synagogen, Moscheen und Tempel zu kommen. In den
Himmel der Dichter und Denker, Musiker und Maler, Bildhauer, Künstler - in den der
Väter und Mütter aufgenommen zu werden.
Der Anzeigentext mag religiös oder fromm, anspruchsvoll, auch sehr gebildet
erscheinen, selbst wenn er ausgesprochen trivial oder banal aussehen mag - er
dokumentiert dennoch immer wieder, wessen Geistes Kind hier gestorben ist.
Gleichzeitig verrät der Anzeige das Leit- und Leidmotiv derer, die da trauern.
Möglicherweise sind diese Versatzstücke auf der privaten Todesanzeige lediglich das
quasi-religiöse Spruchgut derer, die mit den kirchlichen Traditionen und ihren
Bibelsprüchen nur noch wenig anzufangen wissen. Möglicherweise ist es ein Ausdruck
der Aufklärung, der nachchristlichen Religiosität.
Kriterien der privaten Todesanzeige:
Als eine unaufgebbare Voraussetzung der privaten Todesanzeige können zunächst die
genannten vier Grundkomponenten angesehen werden. Bei der vierten
Grundkomponente zeichnen sich mit dem Funktionsverlust des Trauerhauses bereits
gesellschaftlich die stärksten Veränderungen ab. Der Auftraggeber der Todesanzeige
bleibt, sei es ein Angehöriger oder mehrere. Die selbst aufgesetzte Anzeige zu Lebzeiten
für den Tod wird wohl eine Ausnahme bleiben. Der Auftraggeber bleibt selbst dann
noch, wenn der Ort und die Zeit der Bestattung nun nicht mehr, wie bei der Anzeige
nach erfolgter Bestattung, bekannt gegeben werden.
Wird die Bestattung zum bloßen Vorgang der Entsorgung, was inzwischen rechtlich
möglich ist und auch schon de facto geschieht, dann erübrigt sich die private
Todesanzeige. Die Todesanzeige in der Zeitung unterrichtet - gegenüber dem
Trauerbrief als persönliche Benachrichtigung, auf die eine Antwort erwartet wird generell das soziale und gesellschaftliche Umfeld der vom Todesfall betroffenen
Menschen. Immer mehr fällt dieses Umfeld durch einen Wegzug, den Abbruch der
Kontakte, durch das Überleben aufgrund des hohen Lebensalters, durch die Armut im
Alter weg. Dann vermag eine Todesanzeige ein gelebtes Leben immer noch in
Erinnerung, vielleicht sogar zur abschiedlichen Trauerfeier noch einmal zusammen zu
9. Samuel Smiles( 1812-1904)
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rufen. Selbst wenn im Todesfall die abgebrochenen Kontakte nicht
wieder
aufgenommen werden können.
Wie verhält sich die Verarmung im Altersheim, wenn die Ersparnisse, das Haus
aufgezehrt ist, die Rente die Heimkosten schon lange nicht deckt, angesichts der
Überalterung der Gesellschaft zu den hohen Anzeigenkosten? Welche moralische
Verantwortung sind die Zeitungen bereit, bewusst zu übernehmen? Gegenüber den
audiovisuellen Medien, ihren Nachrichten, Berichten und Kommentaren kommt den
Zeitungen auf die Altersstruktur der Bevölkerung bezogen eine veränderte Aufgabe zu,
die zu beachten ist: Eine größere Nähe und Vertrautheit zum Leben, Denken und
Altern, Sterben und Tod der Leser in der Region. Ein anders geartetes Interesse, das von
der Frage „Tua res agitur?“ geleitet wird. Was soviel heißt wie: „Wird deine Angelegenheit
verhandelt? Das zu lesen und vor allem nachlesen zu können, das festhalten zu können
und ausschneiden zu können, was interessiert oder selbst tangiert, auch die private
Todesanzeige, hängt unmittelbar mit der eigenen Lebensgeschichte, mit dem
Gedächtnis eines Menschenlebens zusammen.
Das Kriterium alternativer Todesanzeige: Das Zeitwort des Todes finden.
Gehören eigentlich die Begleitumstände eines Todes - die Art des Sterbens, der Name
der Krankheit zum Tode, das Leiden, die Pflege und ärztliche Betreuung auf der Station,
der Unfall, das Unglück, die eigentliche Todesursache - und die emotionalen Reaktionen
der Angehörigen auf diesen Tod sowie die familiäre Wertung und Würdigung des Toten
in eine private Traueranzeige, in die Öffentlichkeit einer Tageszeitung? Ganz
offensichtlich hat die Todesanzeige durch die Anzeigenpraxis verschiedene andere
Funktionen - beispielsweise die Anzeige der eigenen Trauer und den Nachruf mit
übernommen, in sich vereinigt.
Abgesehen von dem Todesfall, bei dem die
Todesanzeige zu Lebzeiten selbst formuliert worden ist, bestimmen ausnahmslos die
Angehörigen, manchmal allein, sonst in der Regel im Beratungsgespräch des
Bestattungsinstitutes für die Anzeige das Zeitwort des Todes.
Die Angehörigen durchlaufen von der Feststellung des Todeseintritts über die
Benachrichtigung des Todesfalls bis zur Formulierung der Todesanzeige einen den
Todesfall auslegenden und verstehenden Prozess, annähernd das stimmige Zeitwort des
Todes selbst aussprechen zu müssen und auch zu können. Die Art des Sterbens oder des
zu Tode Kommens setzt einen notwendigen vermittelnden Prozess frei: Der
Betriebsunfall bestand vielleicht darin, dass ein Mitarbeiter vom Baugerüst gestürzt ist, in
eine Maschine geriet. Am Ende heißt es, dass der Mitarbeiter auf tragische Weise
verunglückt ist. Aus dem Herzinfarkt, plötzlich tot umzufallen oder angstvoll zu
ersticken, wird am Ende ein plötzliches Versterben, Verlassen, Gegangen. Nahezu 65 %
der Todesanzeigen geben als Zeitwort des Todes ein Kompositum von schlafen an. Die
Trennungs- oder Verlustverben machen ca. 22 % aus; beispielsweise verlassen, gegangen,
verloren, geschieden, verschieden, erlöst. Erst an 12. Stelle der Skala möglicher Zeitwörter des Todes
steht das Verb sterben mit 0.5%. 11
10. Hans-Jürgen Geischer, Tod und Leben. Volksfrömmigkeit im Spiegel von Todesanzeigen: THPr.6.Jg.
1971,254-271. Klaus Dirschauer, Der totgeschwiegene Tod. Theologische Aspekte der kirchlichen Bestatttung. Bremen. 1973,22-41.Stella Baum, Plötzlich und unerwartet. Frankfurt u.a. 1981. Karl-Wilhelm
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Das Kriterium alternativer Todesanzeige: Die Trauer artikulieren.
Diesen Wortfindungsprozess erachte ich für sehr wichtig. Es gilt sich bewusst zu
machen, was es bedeutet, wenn das Zeitwort des Todes zu einer formelhaften Konvention
erhoben wird und das Aufarbeiten der eigenen Trauer beeinträchtigt. Nun wird der Tod
mit dem Sterbedatum bereits kundgetan. Auch dadurch, dass überhaupt eine Anzeige in
Betracht gezogen wird. Das Zeitwort des Todes zu finden, läßt zwei Sichtweisen zu, den
Tod gleichsam vom Sterbenden, vom Toten her gesehen oder von den Angehörigen her
gesehen zum Ausdruck zu bringen.
Ich entscheide mich gegen eine indirekte Redeweise in der Todesanzeige, etwas über das
Sterben bzw. über den Tod aussagen zu wollen. Dabei bedenke ich beispielsweise, wie
stereotyp formuliert die Todesnachricht aus dem Krankenhaus erfolgt. Also könnte die
Todesanzeige auch ausschließlich vom verbalen Ausdruck der vom Tode Betroffenen
her, als Traueranzeige aufgefasst werden. Die adverbialen Bestimmungen des Ortes (z.B.:
Pflegeheim, Krankenhaus, Urlaubsort u.a.), der Zeit (z.B.: plötzlich, unerwartet u.a.), der
Art und Weise (z.B.: sanft, ruhig) und die adjektivische Wertung und Würdigung (z.B.: gut,
herzensgut, lieb u.a.) könnten ganz wegfallen. Die verwandtschaftliche Graduierung, die
zugleich eine emotionale Graduierung der Betroffenheit ist, werden verbal in kurzen
Sätzen mit unterschiedlichen Zeitwörtern der Trauer ausdifferenziert bekundet; wie am
Beispiel eines Todes eines Mannes durch einen Herzinfarkt: der trauernden Ehefrau (54
Jahre verheiratet gewesen), Kinder, Schwiegerkinder, Enkel, der Schwester sowie der
Nichte:
„ Ich beklage den Tod meines Mannes.
Wir trauern um unseren Vater und Großvater.
Ich nehme Abschied von meinem Bruder,
wir von unserem Onkel.“
Die Anzeige ist einfach zu lesen, keineswegs herzlos und enthält die wichtigsten
Informationen über den eingetretenen Tod sowie die Trauer der davon Betroffenen. Die
verwandtschaftlichen Zuordnungen gehen aus der Anzeige klar hervor. Der
Formulierungskomplex des grammatischen Monstrums ist aufgelöst. Die Anzeige ist
übersichtlich geworden. Sie bringt die abgestufte Trauer der vom Tod Betroffenen in
jedem einzelnen Satz für sich zum Ausdruck. Das Zeitwort des Todes erübrigt sich, weil es
im Zeitwort der Trauer enthalten ist. Diese Form der Anzeige nimmt vergessene
Traditionen der Grabsteinbeschriftungen auf. Die Eindeutigkeit in der Aussage löst den
bisherigen Komplex ab, aus verschiedenen Relationen und dahinter stehenden
Rücksichtnahmen formulieren zu müssen.
Bereits ein einziger Satz in erzählender Weise aus einer ganzen, wenn auch
abgebrochenen Lebensgeschichte vermag zu einer persönlichen Anzeige zu werden; wie
am Beispiel eines Todes nach zweijährigem Krankenlager: der Ehefrau (Anfang 40), ihrer
Tochter, der Mutter und Schwiegermutter:
Grümer/Robert Helmrich, Die Todesanzeige. Viel gelesen, jedoch wenig bekannt. Deskription eines wenig
erschlossenen Forschungsmaterials: HSR 19.Jg.60-108.
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Unter dem Vorname und Nachnamen, sowie dem Geburts- und Todesdatum mit
ausgeschriebenen Monatsnamen, steht der erste sentimentale Satz:
„Wir wären so gern zusammen alt geworden.“
Über den Namen derer, die Trauer tragen, steht der zweite Satz:
„Wir danken ihm für das, was er uns war, gab und möglich machte.“
Das Verb sein überwiegt. Die Redeweise geht im Personalpronomen zweimal von der 1.
Person Plural, dem wir aus und dreimal auf die 3. Person Singular. Der Wirklichkeit
dieses ehelichen Lebensfragments hält die Witwe die Möglichkeit des gern und zusammen
Altwerdens entgegen. Der Dank bezieht sich ausschließlich mit dem Personalpronomen
im Dativ Pluralis uns auf die in der Trauer Zurückgebliebenen: war, gab, möglich machte. Die
Ambivalenz der Erfahrungen mit dem Ehemann, dem Vater, dem Sohn und
Schwiegersohn haben in der Traueranzeige keinen Ort, schon gar nicht nach dieser
Krankheit zum Tode.
Der Tod eines emeritierten Pfarrers wird noch sicherlich durch seine ehemalige
Gemeinde, in ihrem Trauergottesdienst in der Kirche, durch eine Anzeige seines
früheren Kirchenvorstandes, Nachrufe in den Zeitungen, wie hier im Rundfunk
gewürdigt. Das heißt: Sein Leben und seine Gemeindearbeit. Die private Todesanzeige
kann ihren eigenen Zweck erfüllen. Die Zuversicht des Glaubens des Pfarrehepaars wird
durch deren Frömmigkeitspraxis, täglich die Herrnhuter Losungen zu lesen, durch den
Bibelvers des Todestages über der Anzeige bezeugt; wie am Beispiel der Ehefrau, der
Kinder, Schwiegerkinder, Enkel:
„Friede sei mit dir! Fürchte dich nicht, du wirst nicht sterben.“(Richter 6,23-24)
Unter dem Vor- und Nachname steht Pastor i.R. und lediglich über den Namen der
Familien der lapidare Satz:
„Es trauern um ihn:“
Diese private Todesanzeige - einer Grabsteininschrift ähnlich - beschränkt sich ganz
darauf, nur über den Tod des Pfarrers zu unterrichten und darauf, welche Losung über
dem Todestag stand. Diese Todesanzeige wirkt sehr zurückhaltend, ist jedoch im
Kontext der zu erwartenden Nachrufe sowie des Trauergottesdienstes in der
Kirchengemeinde durchaus verständlich.
Die folgende Todesanzeige haben die vier erwachsenen Kinder und der Ehemann im
Nachdenken über das Sterben seiner 59-jährigen Ehefrau, das sich in den
Morgenstunden seines Geburtstages während einer gemeinsamen Reise ereignete,
veröffentlicht. Auf der rechten oberen Seite ist ein Bibelwort eingelassen, das sich später
auch auf der Grabstele wieder finden wird:
„Siehe, meine Tage sind einer Hand breit bei dir,
und mein Leben ist wie nichts vor dir.
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Wie gar nichts sind alle Menschen,
die doch so sicher leben!“
(Psalm 39,6)
Darunter sind in der Mitte der Vor- und Nachnamen, der Geburtsname und das
Geburts- und Sterbedatum, der Geburts- und der Sterbeort zu lesen. Es folgt der Satz:
„Noch ist der Schrecken über den jähen Tod.
Doch das Leben gemeinsamer Jahre ist nicht widerrufbar.“
Mittig im unteren Teil darunter stehen die Vor- und Nachnamen des Ehemannes,
seiner Kinder und Schwiegerkinder sowie der Enkelkinder; unterhalb in zwei Rubriken
die Namen der Verwandten, jeweils in den beiden Herkunftsfamilien zusammengefasst.
Innerhalb des Gespräches des Vaters mit seinen Kindern über die Konzeption der
Todesanzeige nahm die Frage viel Zeit in Anspruch, ob nicht das Gedächtnis eines
Menschen - der Ehefrau und der Mutter wie Großmutter - viel mehr umfasse als die sehr
subjektive Erinnerung derer, die mit den positiven Abspaltungen ihres Wesens
überleben.
Das Gebetswort des Psalms 39 gibt gleichsam die Klagemauer des Entsetzens ab. Die
Klage bedarf Gott gegenüber ganz offensichtlich des biblischen Vorbeters. Der erste
selbst formulierte Satz bringt dann in geradezu archaisch anmutender Sprache den
Todeseindruck, seine immer noch anhaltende Vorherrschaft zum Ausdruck. Der zweite
Satz dagegen schreibt das gemeinsame Leben in seiner ambivalenten Erfahrung fest. Mit
all dem was es gewesen ist und ausgemacht hat, ganz so, wie es durch den Todeseintritt
immer wieder geschieht. Der Trauerbrief weicht darin von der Zeitungsanzeige ab, dass
er auf der ersten Außenseite den Abdruck des Bibeltextes aus 2. Mose 33,18-23
wiedergibt, der lange Zeit Gesprächsgegenstand des Ehepaars unmittelbar vor der
Abreise gewesen ist. Der Dank der Anteilnahme am Sterben, Tod und in der Trauer
erfolgte ohne Zeitungsanzeige, nur durch die Danksagung der Trauerbriefe; auf der
ersten Seite befindet sich ein kleiner Auszug aus einer Predigt von Martin Luther von 1523
zu dem Lied „Mitten wir im Leben sind vom Tod umfangen“:
„ Ey mitten in dem todt will ich das leben finden. Ich wil hie sterben. Ich weiß, mein herr ist by mir,
wie auch der prophet im psalm sagt: ‚Ich lige und schlaffe gantz mit frieden. Denn allein du Herr hilffst
mir, das ich sicher wone.‘ Du hast mich in ein gutte zuversicht gestellt, das ich werdt das leben finden.
Deshalben will ich mich in frid hyn wagen. Also kehrt sich dann das liedlein umb, das man singt:
„Mitten im Tode sind wir vom Leben umfangen.“ 11
Während auf der linken Innenseite noch einmal - wie auf der Todesanzeige - der Name
und die Todesdaten stehen, laden auf der rechten Seite die Worte der Danksagung zum
Lesen ein. Sie können durch persönliche handschriftliche Sätze ergänzt werden:
„Montag, der 12. Juli 1993, war der Tag, an dem ich den Tod meiner Frau, wir den Tod unserer
Mutter begehen mußten.
11. Martin Luther, WA 12, 609ff.
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Stationen dieses Weges waren der Trauergottesdienst in der St. Stephani-Kirche, das Grab auf dem
Osterholzer Friedhof und schließlich ein Zusammensein im Gemeindehaus.
Wir erinnern das Läuten der Glocken, das Orgelspiel, den vollen Gesang. Wir erinnern die Worte der
Heiligen Schrift: den Trauspruch, Psalm 139, die von meiner Frau so geliebte Emmausgeschichte und
schließlich die Exodusstelle. Wir erinnern die Sonne über dem Friedhof an diesem malvenfarbenen Tag.
Ich habe in diesem Gottesdienst meine Frau der Gnade Gottes anvertraut. Wir haben mit diesem
Gottesdienst unsere Mutter noch einmal umarmen können.
Wir sagen Dank, dass ein Raum war, in dem sie in allem gegenwärtig werden konnte. Im Singen und
Hören, im Wort und im Schweigen, auch in den Blumen.
Wir danken für die Anteilnahme und Aufmerksamkeit. Wir danken allen, die sich in ihrer
Bestürzung und mit ihrer Trauer auf den Weg gemacht haben und uns tröstend zugewandt umfingen.
Wir danken Herrn Pastor Dr. Harald Weinacht, der uns Weggefährte dieser Tage war und in Segen
und Trost Gottes Zusage gegenwärtig hält.
Wir danken Herrn Professor Hans Heintze für das wundersam tröstende Vermögen seines Orgelspiels.
Danksagen möchten wir für die Hände, die im Verborgenen dieser Woche uns so zugetan waren.
Schließlich ein Dank für die Briefe, Worte, die mit uns Erschrecken, Erinnerung und Würdigung
teilen, leise auf Künftiges weisen.“
Die Hälfte der Danksagung erinnert noch einmal den Tag des Abschiedes in den
Stationen des Begehens. Die andere Hälfte des Wortlauts dient der Danksagung. Die
Verben - einschließlich Partizipien, Substantivierungen- dieser Danksagung lauten:
begehen, müssen, zusammensein, erinnern, läuten, spielen, singen, lieben, haben, anvertrauen, umarmen,
sagen, können, werden, hören, schweigen, danken, trösten, zuwenden, machen, umfangen, zutun, teilen,
weisen. Die Adjektive sind: voll, malvenfarben, wundersam, leise. Der Text dieser Danksagung
ist für den Briefcharakter sehr persönlich abgefasst. Die Gefühlslage der Betroffenen, die
noch zu spüren ist, wird bewusst zurückgenommen. Das Augenmerk wird einem
Tagebucheintrag vergleichbar, auf das, was sich berichten und schon erzählen läßt,
gelenkt - im Wortlaut lebendig in den Verben, die ausschließlich Tätigkeiten des
Begehens beschreiben. Verben sind die wahren Prädikate der Sätze.
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