Der Aufbau und die Grundfunktionen der Todesanzeige
Transcrição
Der Aufbau und die Grundfunktionen der Todesanzeige
Der Aufbau und die Grundfunktionen der Todesanzeige (© Dr. Klaus Dirschauer, November 2003) (* Kommentar oder Verstehenshilfe, Handlungsanweisung) Die Komplexität der Todesanzeige besteht darin, dass sie - in der Regel viele Interessen dokumentiert: Den Todesfall anzeigen. Der Todesfall ist ein Trauerfall, ein Sterbefall, ein Lebensfall, ein Hoffnungsfall … Übersicht der Arbeitsschritte: (* die Karten ? gleich groß, perspektivisch gezeichnet mit Inhaltsangabe) ( I. ) Den Todesfall öffentlich machen: ( II. ) Die Todesanzeige als Sterbeanzeige: I( III.) Die Todesanzeige als Traueranzeige: (IV.) DieTodesanzeige als Lebensanzeige: (V. ) Angesichts des Todes der Hoffnung Ausdruck geben 1 ( I. ) Den Todesfall öffentlich machen: ? * Beginnen wir mit dem der einfachsten verblosen Todesanzeige (1.) Den Tod eines Menschen privat bekannt geben: - konzentriert auf die bloße Information über den eingetretenen Todesfall im Verwandten-, Freundes- und Bekanntenkreis: ? Trauerkarte, Trauerbrief (2.) Den Tod eines Menschen öffentlich bekannt machen: - konzentriert auf die bloße Information über den eingetretenen Todesfall in der Zeitung: ? Trauerkarte, Trauerbrief, Todesanzeige in einer Tageszeitung Daten zur Identität des Toten: Vorname und Nachname Geschlecht(bei Vornamen nötig: „Herr, Frau“) Geburtstag und Todestag (* und +) bzw. Altersangabe und Sterbedatum - evtl.. Geburtsort und Sterbeort Traueranschrift, wo üblich durch ein Symbol erweitert und/oder durch einen Sinnspruch erweitert kein Verb keine Adjektive keine Adverbien Zeit und Ort und Art des Abschieds... ? *Kommentar: Der Geburtstag und der Todestag liegen im Monat. In ihm werden sie begangen. Nur Ämter und Behörden datieren. (* In den Märchen wird der Tod „Freund Hein“ genannt) (verblos, wortlos u.symbol-los) z.B. Hein Tod * 00. Monat 0000 + 00. Monat 0000 Die Menschheit Die endgültige Bestattung findet am „Jüngsten Tag“ auf dem Gräberfeld Hesekiel 37 statt 2 ? *als Symbol ein lateinisches Kreuz, eschatologisch provokativ ? *als Sinnspruch ein Bibelzitat, thematisch orientiert ? *Zeit und Ort und Art des Abschieds, nur biblisch abgestimmt (verblos, Symbol, Sinnspruch) z.B. „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle wo ist Dein Sieg?“ 1.Korintherbrief 15,15 Hein Tod * 00. Monat 0000 + 00. Monat 0000 Die Menschheit Die endgültige Bestattung findet am „Jüngsten Tag“ auf dem Gräberfeld Hesekiel 37 statt (3.) ? Den Tod eines Menschen privat und öffentlich bekannt machen: - Die Todesnachricht wird durch die Wahl eines Verbs instensivier, kann durch den Personen zugefügten Adjektive und/oder durch averbiale Bestimmungen des Ortes, der Zeit, der Art und Weise, des Grundes und durch verwandschaftliche Graduierungen erweitert werden. - Symbol und/oder Sinnspruch. ? Trauerkarte, Trauerbrief, Todesanzeige in einer Tageszeitung Daten zur Identität des Toten: Vorname und Nachname Geschlecht(bei Vornamen nötig: „Herr, Frau“) Geburtstag und Todestag (* und +) bzw. Altersangabe und Sterbedatum - evtl.. Geburtsort und Sterbeort Traueranschrift, wo üblich Todesnachricht verbalisiert adverbiale Bestimmungen verwandtschaftliche Graduierungen von der Verbwahl abhängig durch ein Symbol und/oder durch einen Sinnspruch erweiter Zeit und Ort und Art des Abschieds... 3 ? * Beginnen wird mit der einfachsten Anzeige des verbalisierten Todes: ? * verwandtschaftliche Graduierungen durch Personalpronomen ? * keine wertenden Adjektive (z.B. lieb, geliebt, gut...) ? * keine Adverbien (z.B.sehr, zutiefst, innigst...) ? * Kein Symbol, aber Sinnspruch ? * Aufbau und Druck linksbündig, zentriert, blocksatzig) (symbollos) z.B. Sinnspruch Unsere Mutter ist gestorben. Vorname Nachname geb. Nachname *00. Monat 0000 +00. Monat 0000 Vorname Nachname Vorname Nachname Zeit und Art und Art des Abschieds... ( II.) Die Todesanzeige als Sterbeanzeige: ? ? ? Beginnen wir mit der einfachsten Sterbeanzeige, mit der die Information über den Tod eines Menschen erzählend erweitert wird. Trauerkarte, Trauerbrief, Todesanzeige in einer Tageszeitung * z.B. ursprünglich: ist gestorben,verstorben, verunglückt... ( ? *In Mode gekommen ist der Brauch der Ablösesumme: „An Stelle der zugedachten Blumen...“ ? *In Mode gekommen ist die „Danksagung an Ärzte, Pflegepersonal, Bestatter...“ ? *Kommentar: Die private Todesanzeige kann durch die vielen Informationen, die sie enthält leicht überladen wirken. Sie verliert Ihren ursprünglichen Sinn, den persönlich erlittenen Todesfall öffentlich zu machen und zur Trauerfeier einzuladen. Die redaktionelle Leitfrage lautet: Was ist uns 4 unbedingt wichtig? Worauf können wir verzichten? Weniger ist oft mehr als zu viel. Daten zur Identität des Toten: Die Todesnachricht wird durch die Verbwahl des Sterbens intensiviert, durch Adjektive und adverbiale Bestimmungen des Ortes, der Zeit, der Art und Weise, des Grundes sowie durch verwandtschaftliche Graduierungen erweiter Symbole erweitert. Zeit und Ort und Art des Abschieds (symbol-los), z.B. „Du kamst, du gingst mit leiser Spur, ein flücht’ger Gast im Erdenland. Woher? Wohin? Wir wissen nur: Aus Gottes Hand in Gottes Hand.“ Ludwig Uhland Unser Sohn wurde jäh aus unserer Mitte gerissen: Vorname Nachname * 00. Monat 0000 + 00.Monat 0000 Vorname Nachnahme Vorname Nachname Zeit und Ort und Art des Abschieds (III.) Die Todesanzeige als Traueranzeige: ? ? ? Beginnen wir mit der einfachsten Trauerzeige, mit der die Information über den Tod eines Menschen erzählend erweitert wird. Trauerkarte, Trauerbrief, Todesanzeige in einer Tageszeitung * z.B. ursprünglich: trauern um, erschüttert sein, beklagen, nehmen Abschied 5 (Symbol bzw, Sinnspruch) Wir trauern um Vorname Nachname * 00. Monat 0000 + 00. Monat 0000 Vorname Nachname Vorname Nachname Zeit und Ort und Art des Abschieds (IV.) Die Todesanzeige als Lebensanzeige: (wortlos, symbol-los), z.B. Vorname Nachname *00. Monat 0000 +00. Monat 0000 Ich beklage den Tod meines Mannes. Wir trauern um unseren Vater, wir um unseren Großvater. Ich nehme Abschied von meinem Bruder Namen: Zeit und Ort und Art des Abschieds... A) Die Grundfunktion der Todesanzeige: konzentriert auf die Information 1. Den Tod eines bestimmten Menschen bekannt geben. 2. Die Daten der Identität des Toten: - Vorname Name: 6 - Geschlecht: - Alter - bzw.: Geburtstag, Todestag: - evtl. : Geburtsort: - Sterbeort: - Wohnung: 3. Den Ort, das Datum, die Uhrzeit der Bestattung angeben: 4. Die Bestattungsart benennen, - Abschiedsart, - Traueradresse - Bestattungsinstitut Vorname Nachname * + Anschrift Zeit & Ort des Abschieds (Dr. Klaus Dirschauer: 9/2002) ( B) Die Grundfunktion der Sterbeanzeige: narrativ erweitert 1a. Das Sterben eines bestimmten Menschen bekannt geben. 1b. Die adverbialen Angaben des Ortes, der Zeit, der Art und Weise 2. Die Daten der Identität des Toten: - Vorname Name: - Geschlecht: - Alter - bzw.: Geburtstag, Todestag: - evtl. : Geburtsort: - Sterbeort: - Wohnung: 7 3. Den Ort, das Datum, die Uhrzeit der Bestattung angeben: 4. Die Bestattungsart benennen, - Abschiedsart, - Traueradresse - Bestattungsinstitut 5. An Stelle der zugedachten Blumen(Ablösesumme) 6. Danksagungen an Ärzte, Pflegepersonal, Bestatter Vorname Nachname * + Anschrift Zeit & Ort des Abschieds (Dr. Klaus Dirschauer: 9/2002) ( C) Die Grundfunktion der Traueranzeige: emotional erweitert 1c. Die Traurigkeit über den eingetretenen Tod veröffentlichen. 1d. Die Dominanz familiärer Graduierung dokumentieren. 1. Den Tod eines bestimmten Menschen bekannt geben. 2. Die Daten der Identität des Toten: - Vorname Name: - Geschlecht: - Alter - bzw.: Geburtstag, Todestag: - evtl. : Geburtsort: - Sterbeort: - Wohnung: 8 3. Den Ort, das Datum, die Uhrzeit der Bestattung angeben: 4. Die Bestattungsart benennen, - Abschiedsart, - Traueradresse - Bestattungsinstitut Vorname Nachname * + Anschrift Zeit & Ort des Abschieds (Dr. Klaus Dirschauer: 9/2002) ( D) Die Grundfunktion persönlicher Würdigung in der Todesanzeige: 1e. Den Toten würdigen: - privat - familiär - freundschaftlich - sozial - beruflich - gesellschaftlich - politisch 1f. Symbolische Dekors: 1g. Spruchgut: 1. Den Tod eines bestimmten Menschen bekannt geben. 2. Die Daten der Identität des Toten: - Vorname Name: - Geschlecht: 9 - Alter - bzw.: Geburtstag, Todestag: - evtl. : Geburtsort: - Sterbeort: - Wohnung: 3. Den Ort, das Datum, die Uhrzeit der Bestattung angeben: 4. Die Bestattungsart benennen, - Abschiedsart - Traueradresse - Bestattungsinstitut Vorname Nachname * + Anschrift Zeit & Ort des Abschieds (Dr. Klaus Dirschauer: 9/2002) ( B ) Die ersten additiven Komponenten der Todesanzeige als Sterbeanzeige: 1. Die Todesart angeben, das Sterben beschreiben. 2. Die adverbialen Angaben des Ortes, der Zeit, der Art und Weise des Sterbens. 3. Der Hinweis auf die Ablösesumme. 4. Danksagungen in der Todesanzeige. 10 ( C ) Die zweiten additiven Komponenten der Todesanzeige als Traueranzeige: 1. Die eigene Traurigkeit über den eingetretenen Tod veröffentlichen. 2. Die Dominanz familiärer Graduierung. ( D ) Die dritten additiven Komponenten der Todesanzeige als Lebensanzeige: 1. Den Toten würdigen. 2. Symbole. 3. Sprüche (Dr. Klaus Dirschauer: 9/2002) © Dr. Klaus Dirschauer, Bremen Die private Todesanzeige - eine öffentliche Lebensanzeige? Zur Geschichte der Zeitung: Der Name ist nicht von dem Wort Zeit als vielmehr von dem veralteten Theiding oder Theidung (englisch: tiding) abgeleitet, was Begebenheiten oder Ereignisse meint. Von dieser angelsächsischen Herkunft her ist die Zeitung eine Nachricht, ein Bericht über ein Ereignis, eine Nachricht, eine Botschaft, die Kunde gibt. Erst wird mündlich berichtet, dann aufgeschrieben, zuletzt wird gedruckt. Die Zeitung betrifft zunächst aktuelle Beilagen zu Briefen. Sie wird bereits in Augsburg 1482 gedruckt und seit 1502 mit dem Titel „Newe zeytung“ in regelmäßigen Abständen herausgegeben. Seit 1660 wurden in Leipzig fünfmal in der Woche die „Leipziger Zeitungen“ ediert. 11 Diese Zeitungen konnten jedoch nur mit behördlichen und landesfürstlichen Privilegien erscheinen, denn sie standen unter strenger Zensur. Meinungsäußerungen waren untersagt. Landesfürsten wie Friedrich der Große schufen sich durch eine geschickte Pressepolitik eine Art Staatsjournalismus. Macht- und wirtschaftspolitisch sind die Intelligenzblätter, die zuerst 1727 in Preußen aufgekommen sind, als die Vorläufer unserer heutigen Zeitungen anzusehen. Es handelt sich dabei nicht - um einem Missverständnis vorzubeugen - etwa um den Lesestoff von Intellektuellen oder geistigen Zirkeln. Das lateinische Verb intellego bedeutet vielmehr: wahrnehmen, merken, erkennen, einsehen. Die „Allgemeine deutsche Real-Encyklopaedie für die gebildeten Stände (Conversations-Lexikon),“ die im Brockhaus Verlag 1834 in Leipzig erschienen war, erklärt den Gegenstand wie folgt: „Intelligenzblätter heißen täglich oder an bestimmten Tagen gedruckte Bogen, in welche Nachrichten eingerückt werden, die schleunig zur öffentlichen Kenntnis oder Intelligenz kommen sollen“ (Bd. 5,S.568). Bei den Intelligenzblättern geht es um wöchentliche Zusammenstellungen der Adress- und Anzeigenkontore von Angeboten und Nachfragen. Sie waren bereits 1630 durch einen Pariser Arzt Theophraste Renaudot gegründet worden, der zunächst nur Neuigkeiten zur Unterhaltung seiner Kranken sammelte, wöchentlich Flugblätter mit Neuigkeiten aus verschiedenen Ländern drucken ließ und bereits 1632 das Privileg zur ersten französischen Zeitung, der „Gazette de France“ erhielt. Schnell breiteten sich diese Zeitungen aus. Sie brachten dem Staat erheblichen Gewinn und bestimmten den Handel und das Gewerbe. Der Insertionszwang des Handels und der Wirtschaft führte zu ihrer Überwachung. Andere Zeitungen durften keine Anzeigen bringen. 1848 hob der Bundestag in der Frankfurter Paulskirche die Zensur auf. Vom Aufkommen der Todesanzeigen in den Tageszeitungen: In diesen Intelligenzblättern erscheinen die ersten Familienanzeigen, darunter natürlich auch Todesanzeigen, der damaligen Ständegesellschaft. Sie lesen sich heute wie Nachrichten des Englischen Hofes, wie politische Kommuniques oder Bulletins der Regierung. Es sind keine eingerahmten Anzeigen, sondern - ob nun bürgerlich oder von Adel - nur den jeweiligen Stand und den Hof betreffende Berichte. Sie werden deshalb in der gehobenen Sprache derer abgefasst, die für die Mitteilung des Todes gesellschaftlich verantwortlich zeichnen. Die ersten Anzeigen dieser literarischen Gattung sind die Standesanzeigen derer gewesen, die diese Intelligenzblätter auch regelmäßig bezogen und gelesen haben. Die standesbezogene Herkunft spiegeln noch heute die Familienanzeigen in den Tageszeitungen wider, mit denen der Tod des Mitgliedes eines Adelshauses oder einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens von hohem Ansehen bekannt gegeben wird. Ein Beispiel, das aus dem Jahr der Französischen Revolution, aus der „Königlich privilegierte Berlinische Zeitung“ vom 30. Juni 1789, stammt: „Nachricht. Allen denen, die ich wegen Familienverbindung und Herzensgüte als Freunde hochschätze, mache ich mit inniger Wehmut eines beklemmenden Herzens hiermit statt schriftlicher Anmeldung bekannt, dass am 11. Juni Abends gegen halb 10 Uhr mein geliebter Gemahl, der Königl. Geheime Etatminister und Oberstallmeister, auch Generalmajor von der Kavallerie, Herr Friedrich Graf von Schwerin, Ritter des schwarzen Adlerordens und Kommendater der Komturei Lietzen, nach einer 12 dreitägigen Krankheit an einer Brustentzündung zu Carlsruhe sein thätiges Leben sanft und gelassen beschlossen hat. Wer je bitteren Trennungsschmerz bei dem Abschiede geliebter Personen geschmeckt hat, wird es von selbst fühlen, wie sehr mich der Tod eines so geliebten und schätzbaren Mannes betrübt. Unter diesem Schmerz wünsche ich allen, welchen diese Nachricht eigentlich gewidmet ist, lange Schonung von ähnlichen Ereignissen und versichere zugleich, eine stille Teilnehmung an meinem Schmerz, statt aller schriftlichen Versicherungen davon dankbar anzunehmen. Bodran, den 20. Juni 1789 Verwitwete Gräfin von Schwerin, geb. Freiin von Malzan“ Erst von 1890 an beginnen die Tageszeitungen, den heutigen Typ der Todesanzeigen zu veröffentlichen. Die Einrahmungen der Meldung des Todes rühren von den Geschäftsanzeigen her. Die Todesanzeige als Standesanzeige ist bis heute unverkennbar, besonders in den großen Zeitungen beim Tode hoch angesehener Persönlichkeiten der Wirtschaft, der Politik, aus dem Kulturleben oder der Kirche wieder zu erkennen. Die Komponentenanalyse der privaten Todesanzeige: Die Komponentenanalyse ist die Beschreibung der Bestandteile einer sprachlichen Einheit sowie des Aufbaus ihrer verschiedenen Kombinationen. Sie ist im Inhaltsbereich der Sprachwissenschaft sehr gebräuchlich und wird in ähnlicher Weise auch auf das Kunstwerk angewandt. Welches sind nun die unverzichtbaren Grundkomponenten einer privaten Todesanzeige mit ihrer regionalen, auf den Ort, den Stadtteil und mit ihrer überregionalen, auf die Stadt, das Land bezogenen Öffentlichkeit einer Zeitung? In welchem Verhältnis steht zur Veröffentlichung der Todesanzeige in einer Tageszeitung die Unterrichtung betroffenen Personen durch die Zusendung eines Trauerbriefes? Selbst wenn der Wortlaut der Anzeige und des Trauerbriefes derselbe ist, erscheint der zugesandte Trauerbrief durch den Briefcharakter zugleich persönlicher gehalten. Die Trauerbriefe nehmen die alte Tradition der Intelligenzblätter auf, zumal wenn ihr Text noch inhaltlich von dem der Zeitungsanzeige abweicht. Ihre Funktion heute besteht durchgängig darin, die Personen zu benachrichtigen, die durch die Todesanzeige der Tageszeitung nicht erreicht werden. Ich bin in meinem Elternhaus noch so erzogen worden, in einem Todesfall auf eine bloße Anzeige in der Tageszeitung nicht, sehr wohl aber auf einen an mich gerichteten Trauerbrief persönlich zu reagieren, wenn möglich an der Trauerfeier teilzunehmen, einen Kondolenzbesuch abzustatten, in jedem Fall persönliche Zeilen zu schreiben, nicht nur eine bereits gedruckte Kondolenzkarte zu unterschreiben. Die erste Grundkomponente: Da steht zuerst der Name dessen, der gestorben ist: Innerhalb der privaten Todesanzeige ist an hervorgehobener Stelle der Vorname bzw. sind die Vornamen - mitunter noch der Rufname, Kurzname, der Kosename - sowie der Nachname als Familien- oder Eigennamen zu lesen. Die namentliche Hervorhebung steht in der Anzeige für das ganze gelebte Leben und seinen Tod. Der Name bedeutet Anrede und Ruf. Der Name meint den Leib des Menschen. Der Mensch vegetiert nicht einfach sprachlos wie eine Pflanze oder wortlos wie ein Tier, sondern verwirklicht 13 sprechend und hörend seine Existenz. Das lateinische Verb exsisto bedeutet: heraustreten, hervorkommen, auftreten, erscheinen, ins Leben treten. Der Mensch erwacht erst durch die Anrede, durch den Anruf des Du. Durch das Hören seines Namens gelangt er vom bloßen Dasein zum Leben. Dadurch gewinnt der Mensch seine ursprüngliche Dimension in der Kommunikation, die ihm immer bereits vorgegeben ist, wenn er ins Leben tritt. Von diesem Du des Leibes her, der selbst angesprochenen wird, erschließt sich zuerst das Es der ergreifenden Hände und des begreifenden Geistes und dann endlich das Ich im Ausdruck seiner Seele. Der Mensch gewinnt das eigentliches Leben, das in seiner Lebensgeschichte die Persönlichkeit ausmacht, also erst von dem angesprochenen Du seiner Wirklichkeit über das Es seiner Erkenntnis bis zum Ich seines Selbstverständnisses. Der Mensch wird in ganz besonderer Weise am Anfang seines Lebens wie am Ende seines Lebens bei seinem Namen gerufen. Deswegen entsprechen innerhalb der christlichen Tradition liturgisch das Taufritual und das Bestattungsritual einander. Der Geistliche zitiert an beiden Lebensenden den Propheten Jesaja im 43. Kapitel: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Die zweite Grundkomponente: Da stehen der Tag, der Name des Monats, das Jahr der Geburt und des Todes: In der Anzeigenpraxis ist heute gegenüber dem früher Selbstverständlichen weitgehend das ursprüngliche Selbstverständnis verloren gegangen, das die Lebensstimmigkeit von Geburt und Tod betrifft: Der Geburtstag wird an einem bestimmten Tag in einem bestimmten Monat begangen. Die Menschen, denen ich wichtig bin und die mir zum wiederkehrenden Tag meiner Geburt gratulieren, merken sich mit dem Datum im Kalender den Wochentag und Monatsnamen innerhalb des Jahres. Auch im Falle meines Todes würden sie sich entsprechend erinnern. Der Monat der Geburt mit den begangenen Festen und der Monat des Todes mit dem zu begehenden Gedenken sind gleichsam Sinnverwandte des Lebens in der Folge der Generationen. Die bloß numerischen Angaben der Geburts- und Todesdaten dagegen reduzieren unmerklich, doch nachhaltig das Menschenbild in den Todesanzeigen. Bereits auf den Vordrucken der Ämter, Behörden und Institutionen werden Menschen ausgiebig datiert und funktional verwaltet. Es erscheint mir deshalb gedankenlos und lieblos, in einer Todesanzeige ein menschliches Leben derartig auf die Anfangs- und Enddaten hin zu reduzieren. Die Geburt eines Menschen, sein Leben und sein Sterben, selbst noch die Trauer über seinen Tod beanspruchen wegen seiner Wiedererkennbarkeit so etwas wie das Gedächtnis des gelebten Lebens. Der Wochentag des Sterbedatums ist durch das Datum der Zeitungsausgabe jederzeit leicht festzustellen. Die dritte Grundkomponente: Da stehen Ortsangaben innerhalb der Todesanzeige: Die Ortsangaben der Geburt und des Todes spiegeln die Geschichte der Familie und das ihr anhaftende Brauchtum in der Herkunft wider. Vergangenen Generationen ist es sehr wichtig gewesen, zu Hause, im Elternhaus, geboren worden zu sein und auch sterben zu können. Im eigenen Hause, im Elternhaus, nicht in der Fremde. 14 Haus und Heimat sind Synonyme für das Leben schlechthin. Der einst in Tübingen lehrende marxistische Philosoph Ernst Bloch, der ein radikaler Utopist - Utopia ist Land, das nirgends ist - gewesen ist, bekannte sich für alle überraschend im hohen Alter zur Vorstellung einer notwendigen Heimat, die der Mensch brauchte. Das alte deutsche Wort für Fremde heißt Elend, was soviel wie Ausland bedeutet. Und das mittelalterliche Stoßgebet weist auf diesen Hintergrund der Beheimatung des Sterbens und des Grabes hin: „Herr, bewahre mich vor einem schnellen, bösen Tod.“ Heute hat sich das Gebet in die Bitte seines Gegenteils verkehrt. Für die Menschen, die durch die beiden Weltkriege zu Tode gekommen sind oder vertrieben wurden, haben der Geburtsort und der Sterbeort in der Aussage der privaten Todesanzeige einen hohen Stellenwert gehabt. In diesem Zusammenhang ist auch die Arbeit des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge nach 1945 zu würdigen.1 Der Nobelpreisträger für Literatur Günter Grass spricht sogar davon, dass die Trauer unbedingt immer ihren Ort brauche. Die vierte Grundkomponente: Steht die Anschrift des Trauerhauses auf der Todesanzeige? Die Anschrift des gerade gestorbenen Menschen stellt eine wichtige soziale lebensgeschichtliche Komponente dar. In Großstädten erscheint aus der Sorge vor einem Einbruch und Diebstahl während der Bestattungszeit die Anschrift des Trauerhauses in der Todesanzeige nicht mehr. Dieser Brauch schränkt die wünschenswerte Wiedererkennbarkeit des Toten aufgrund seiner Todesanzeige erheblich ein und leitet durch den Ortsverlust ein Vergessen ein. Man bekommt den Todesfall nicht mehr so mit, weil er nicht eindeutig auszumachen ist. Die Traueranschrift dient wesentlich der Identifizierung dessen, der da gestorben ist, der dann und dort gelebt hat. Die Anzeige dokumentiert zugleich in der Anschrift mit dem Wohn- und Lebensort des Stadtteils, der Stadt die soziale bzw. gesellschaftliche Schicht, die Zugehörigkeit, mit der Anschrift eines Altersheimes, einer Seniorenresidenz deren Verweildauer, nicht selten ein soziales Gefälle, das eingetreten ist. 2 Mit dem zunehmenden Funktionsverlust der Anschrift des Trauerhauses geht auch eine veränderte Kondolenzpraxis einher. Abgesehen vom sozialen Umfeld der Familie, den engen Freunden und guten Nachbarn, haben die bloße Unterschrift auf die vorgedruckte Kondolenzkarte, der Eintrag des eigenen Namens in die von dem Bestattungsinstituts ausgelegte Kondolenzliste, den persönlichen Kondolenzbesuch längst abgelöst. Bestatter - Werbungen auf der Todesanzeige? Im Norden Deutschlands mehr als im Süden, im Osten stärker als im Westen, in der Großstadt verbreiteter als auf dem Lande, trägt die Todesanzeige zusätzlich noch die Anschrift des gewählten Bestattungsinstitutes. Im vergangenen Jahrhundert ist die ursprüngliche Sitte des früheren Trauerhauses, zu Hause den Toten aufzubahren, 1. Klaus Dirschauer, Der totgeschwiegene Tod. Theologische Aspekte der kirchlichen Bestattung, Bremen 1973, S.41-48. 2. Klaus Dirschauer(Hg.), Emanzipiertes Alter. Ein Werkbuch, Göttingen 1990,119-134. 15 persönlich Abschied zu nehmen und zu kondolieren, auf das Bestattungsinstitut übergegangen. Das Bestattungsinstitut verfügt möglicherweise über eigene Aufbahrungsräume für einen persönlichen Abschied - wie in Bremen - und über eine eigene Kapelle. Die zugedachten Kränze und Blumengebinde werden, soweit sie nicht selbst zur Bestattung auf den Friedhof mitgenommen werden, an das Bestattungsinstitut geschickt. Seit Jahren tauchen durch die Ablösesumme, die anstelle der zugedachten Blumen- und Kranzspenden, auf das in der Todesanzeige angegebenes Konto zu überweisen erbeten wird, Namen von Wohlfahrtsverbänden, Vereinen, Initiativen, Selbsthilfegruppen auf. In der Regel lassen sie einen Rückschluss auf die Krankheit zum Tode ebenso zu, wie sie Einblick in das lebensgeschichtliche Engagement des Toten geben. Zusätzlich treten immer häufiger noch namentlichen Danksagungen an die stationäre ärztliche und pflegerische Begleitung vor dem Tode im Krankenhaus oder Pflegeheim in der Todesanzeige in Erscheinung. Sollte die private Todesanzeige zu der öffentlichen Bekanntgabe des eingetretenen Todesfalls nun auch noch - anstelle eines persönlichen Dankesbriefes - diese Danksagung wirklich mit übernehmen? Ambivalenzen der Todeswiderfahrnis im Spiegel der privaten Anzeigen: Mit den bisher aufgezeigten vier Grundkomponenten der privaten Todesanzeige - dem Vor- und Nachnamen, den Angaben des Geburtstages und Sterbetages, den Angaben des Geburtsortes und Sterbeortes, der Anschrift des Trauerhauses wird der eingetretene Tod gewissermaßen von dem Toten her, von seinen persönlichen Daten her bekannt gegeben. Über seinen Tod wird unterrichtet. Der Tod von einem unverwechselbaren bestimmten Menschen, der gelebt hat und gestorben ist, wird öffentlich gemacht. Dieser Anzeigentyp enthält nicht mehr als unbedingt für eine Identifizierung erforderlich ist. Diese Anzeige korrespondiert der möglichen späteren Grabaufschrift, bei der lediglich die Anschrift des Trauerhauses dann durch die Grabnummer des Friedhofes ersetzt worden ist. Wohin mit den Blumen? Dem bisher beschriebenen Stand entspricht auch die private Todesanzeige, die erst nach erfolgter Bestattung aufgegeben wird. Sie taucht in den Zeitungen immer häufiger auf. Mit ihr fällt ja eine Teilnahme an einer Trauerfeier weg, der eine bewusste Verschwiegenheit über den Todeseintritt vorausgeht. Der Todesfall wird verspätet und ohne Einladungscharakter eines noch möglichen Abschiedes bekannt gegeben. Kränze und Blumengebinde kommen nicht mehr in Frage. Ein nachträgliches Kondolieren - sei es persönlich mit einem Besuch verbunden oder brieflich selbst angefasst - fällt noch schwerer und wieder anders aus. Bereits in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat der Philosoph Ernst Bloch in einem Aufsatz zum Tode die Entwicklung in dem Trend von der Bestattungsfeier für den Toten zur bloßen Entsorgung seiner Leiche, die sich heute erst so deutlich abzeichnet, vorweggenommen und gefragt: „Wohin mit den Blumen?“ Mit den sich verändernden Umgangsweisen mit einem Todesfall verbinden sich sehr unterschiedliche Motive, die eine psycho-soziale Problemanzeige darstellen. Eine solche nachträgliche private Todesanzeige beispielsweise kann eine ganz bewusste Entscheidung gegen eine große Bestattung 16 mit den vielen Menschen sein. Möglicherweise auch der damit verbundenen Erwartungen und Kosten wegen. Diese verborgene Intimität des Abschiedes in der Kapelle des Bestattungsinstituts hat seinen besonderen Reiz; zumal sich dazu inzwischen eigene Rituale herausgebildet haben. Für das große öffentliche Arrangement der Bestattung, den Sarg auszusuchen, die Ausstattung und Aufbahrung in der Friedhofskapelle abzusprechen und schließlich noch allen denen, die da kommen werden, noch bei dem anschließenden Leichenschmaus selbst ausgesetzt zu sein, erscheint vielen, die eine Bestattung auszurichten haben, als eine Überforderung. Es kann auch eine Lebensgeschichte mit ihrer anhaltenden Unverträglichkeit bis hin zum Familiendrama dahinterstecken, für deren Ausgang einfach keine Öffentlichkeit erwünscht wird. Der Tod eines Menschen, der sein soziales Umfeld durch einen Umzug, den Aufenthalt im Altersheim aufgegeben oder verloren hat oder schlechthin in Vergessenheit geraten ist, kann zu einen stillen Abschied geführt haben. Der Mensch kann es selbst so verfügt haben. Auf diesem Hintergrund ist auch die Frage der anonymen Bestattung, einschließlich der Frage der Grabpflege, angesichts der familiären Mobilität des Wohnens und Lebens zu bedenken. Wie entstehen private Todesanzeigen? Es sind die familiär von einem Todesfall betroffenen Menschen - die so genannten Angehörigen - die in der Regel den Wortlaut der Todesanzeige formulieren. Das geschieht mit der beratenden Hilfe des Mitarbeiters des mit der Bestattung betrauten Bestattungsinstitutes oder des Anzeigenberaters der in Frage kommen- den Tageszeitung. Die Bestattungsinstitute und Inseratenabteilungen der Tageszeitungen bieten zur Orientierung der aufzusetzenden Todesanzeige Mustervor- lagen mit Größenangaben in unterschiedlichen Druckbild- und Textvorlagen, Symbolen und Spruchsammlungen an. Da von einem bestimmten Lebensalter an die Leser die Todesanzeigen zu lesen beginnen, erwerben sie auch ungefähre Grundkenntnisse darüber, sprechen miteinander alt werdende Menschen schon einmal über die eigenen Vorstellungen einer privaten Todesanzeige anhand Anzeigen anderer. Manchmal kommen Angehörige auch mit einem eigenen Konzept oder bereits einem Textentwurf in die Anzeigenberatung. Die eigene Todesanzeige zu Lebzeiten selbständig aufzusetzen, stellt immer noch eine Ausnahme dar. Mitunter geschieht es auch, dass der Tote bereits zu seinen Lebzeiten seine Todesanzeige aufgesetzt hat. Ein Beispiel - mit eigenem Profilfoto und eigenhändiger letzter Unterschrift versehen - gab die 64-jährige Unternehmerpersönlichkeit Willi Maurer in allen großen Tageszeitungen: „ Ungewöhnlich ist es sicherlich, wenn ich mich noch einmal an alle Freunde wende und an die Menschen, die mir einmal begegnet sind. Unser aller Leben geht einmal zu Ende - so auch das meine. Und wenn Sie diese Zeilen lesen, habe ich längst zum letzten Mal tief und vernehmlich geatmet. Fertig sind wir nie, und trotzdem müssen wir abtreten. Niemand kann sich den Zeitpunkt auswählen. Und so ist es gut, sich zur rechten Zeit darauf vorzubereiten, um nicht arg überrascht zu werden. 17 Bedanken will ich mich bei allen Menschen, die einmal meinen Weg kreuzten - im Guten und im Nichtguten. Vielleicht haben sie heute Nachsicht mit mir und meinem mir in die Wiege gelegten Temperament und meiner Veranlagung. Meine hektische Eile und mein manchmal notwendiges, wenig nachgiebiges Durchstehen haben sicher manchen verprellt. Doch lebt nicht jeder nach seinem eigenen Gesetz?! Wer seinen klaren, ihm aufgezeigten Weg geht, hat nicht allzu viele Freunde. Und um sich aus eigener Kraft aus dem endlosen Meer der Namenlosen herauszurecken muss man sich ein Leben lang bemühen und anstrengen. Ein in Vernunft und mit Verstand gelebtes Leben hat seine fest gefügte Ordnung. Oft genug und weit genug war ich davon entfernt. Die vielen kleinen Unordentlichkeiten und Unberechenbarkeiten in so vielen Stunden und Tagen, die das Dasein erst so lebens- und liebenswert machten und mir die Menschen so nahe brachten, waren gleichwohl Versäumnisse - trotzdem durften sie in meinem bewusst gelebten Leben nicht fehlen. Ich hoffe, trotz allem einen gütigen und verständnisvollen Richter zu finden - denn nach christlicher Erkenntnis ist am Ziel unseres Erdenlebens unser Dasein noch nicht zu Ende.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung von Freitag, den 4. Juni 1976, Nr. 120, S.28) Die drei additiven Komponenten: Die bisher aufgezeigten vier Grundkomponenten der privaten Todesanzeige - der Vorund Nachname, die Angaben des Geburtstages und Sterbetages sowie des Geburtsortes und Sterbeortes, die Anschrift des Trauerhauses - geben den eingetretenen Todesfall gewissermaßen von dem Toten her mit seinen persönlichen Daten bekannt. Sie unterrichteten uns über den Tod des Toten. Die zu diesen Grundkomponenten hinzutretenden drei additiven Komponenten der privaten Todesanzeige rühren ausschließlich von denen her, denen dieser Todesfall zu schaffen macht. Die erste additive Komponente: Die verwandtschaftliche Graduierung des Toten: Die erste zusätzliche Komponente der privaten Todesanzeige bezieht sich auf die psycho-soziale Situation der vom Tode Betroffenen in der jeweiligen Ausdifferenzierung des Geschlechts sowie der Partnerschaft innerhalb der Generationenfolge. In einem Obersatz wird der tote Mensch in seiner verwandtschaftlichen Beziehung von denen, die seinen Tod betrauern, ein- und zugeordnet: Als Ehepartner oder Lebensgefährte, als Vater oder Mutter, als Sohn oder Tochter, als Enkel oder Enkelin, als Bruder oder Schwester, als Tante oder Onkel, Cousine oder Cousin. Unter dem Eindruck des Todes wird noch einmal das Leben in seinen verwandtschaftlichen, oder auch freundschaftlichen, wenn erwünscht gesellschaftlichen (z.B. in der Kirchengemeinde, Kommune, im Verein, Verband), wenn erforderlich, beruflichen und möglicherweise nachbarlichen Beziehungen gesehen, um die Schnittseite durch den Todeseintritt zu dokumentieren. Die Angaben dienen durch die aufgeführten Namen der Trauernden sicherlich auch der familiären Identifizierung. Diese Zuordnung gelingt kaum noch in den Todesanzeigen, in denen die Trauernden ausschließlich mit ihrem bloßen Vornamen dastehen. Dieser Privatisierungscharakter des Todes mag für den Trauerbrief noch angehen, ist für die Öffentlichkeit der Todesanzeige in der Tageszeitung jedoch nicht angebracht. Die weiteren Angaben, die 18 einerseits der adverbialen Beschreibung des gelebten Lebens, des Sterbens, der Umstände des Todeseintritts dienen, stellen immer schon eine Wertung und Würdigung des Toten dar. Die Todesanzeige als Sterbeanzeige ist immer bereits eine Lebensanzeige, auch eine Traueranzeige. Dabei geht es bei den erweiterten Anzeigen um eine verwandtschaftliche Graduierung des Toten, die erst durch den Obersatz die Wertung und Würdigung voll zum Tragen bringt. In mehr als 90 % aller Anzeigen wächst die verwandtschaftliche Graduierung im formelhaften Anzeigentext zu einem „grammatischen Monstrums“ aus. Wer wird da nicht in einem einzigen Todesfall alles zu Grabe getragen: „Plötzlich und unerwartet entschlief heute mein lieber Mann, mein herzensguter Vater, mein Schwiegersohn, unser Bruder, Schwager, Onkel, Cousin.“ Der englische Dichter George Bernhard Shaw merkte zu diesen den Toten zugefügten Adjektiven ironisch an, dass wohl der bessere Teil der Menschheit unter der Erde läge. Der formelhafte Gebrauch in der Anzeigenpraxis, der sich ebenso aus den Anzeigenschablonen der Anzeigenberatung wie aus dem persönlichen Lesen der Anzeigenteile der Tageszeitungen ergibt, hat einen bestimmten moralischen Standard gesetzt. Der hat sich - unterschiedlich in den Regionen - auch im christlichen Sprachgebrauch, von Gott angesichts des Todes oder von der Versehung mit den heiligen Sakramenten der Kirche zu schreiben, eingespielt. Die Geschichte sozialer, gesellschaftlicher und religiöser Konventionen hat den Anzeigen Normen gesetzt, die heute zum Teil zu nichts sagenden Stereotypen depraviert worden sind. Der individuelle Tod eines Menschen sowie die Trauer über ihn können in dieser Normierung leicht untergehen. Abgesehen von dem Phänomen der verwandtschaftlichen Graduierung ist kritisch zu fragen: Was ergibt das Aufzeigen der verwandtschaftlichen Linien überhaupt für einen Sinn, wenn ihr dann noch die wertenden Adjektive und Adverbien der Würdigung des Toten abgehen? Dann stünde die liebe Verwandtschaft ziemlich lieblos, ja, entblößt da. Das heißt, dass sich die Verwandtschaft mit der Würdigung des Toten in die Anzeige selbst mit einträgt, an der nachträglich vollzogenen Würdigung selbst partizipiert, also eine Selbstwürdigung anlässlich des Todes vornimmt. So wird aus der bloßen Todesfallanzeige in der Anzeige der Trauer der Überlebenden eine postume Lebensanzeige. Dabei gehört für die Anzeige zu dem sozialen, moralischen und religiösen Standard einfach die ethische Norm dazu: Auf den im 3. Jahrhundert v.Chr. lebenden griechischen Philosophen Diogenes Laertios geht das Wort zurück: „De mortuis nil nisi bene.“ Übersetzt: „Über die Toten (rede) nichts, es sei denn gut.“ Die zweite additive Komponente: Der Anrede- und Nachrufcharakter der Todesanzeige: Diese weitere hinzugefügte Komponente betrifft das in die Todesanzeige über dem Namen hinzu gesetzte Spruchgut, das vom Du-Objekt der schriftlichen Anrede des Toten über das Es-Objekt im anredenden Nachruf der Angehörigen bis hin zum Ich-Objekt der Worte, die dem Toten gleichsam in den Mund gelegt werden, reicht: 19 Beispiel für Du-Objekt: „Wenn wir Dir auch die Ruhe gönnen, so ist voll Trauer unser Herz, Dich leiden sehen und nicht helfen können, war unser allergrößter Schmerz.“ Beispiel für Es-Objekt: „Sein Leben war Liebe und Fürsorge für uns.“ Beispiel für Ich-Objekt: „Meine Kräfte sind zu Ende, Herr, nimm mich in Deine Hände.“ Der Brauch dieses Spruchgutes geht auf Zaubersprüche zurück, die bei unterschiedlichen Anlässen verwendet wurden. Die Wurzeln reichen weit in ihren Ursprüngen in den Volksglauben zurück. Im Gebrauch, an den viele Kinder- und Volkslieder heute noch erinnern, lassen sich der anredende Du-Charakter, das erkannte Es des Objekts und das Ich des eigenen Willens deutlich wieder erkennen. Mit dem Spruchgut mag heute nicht mehr so bewusst umgegangen werden wie früher, als das Auswendiglernen von Gedichten zur Schulbildung gehörte. Heute wird es aber gern und dekorativ den privaten Anzeigen zugefügt. Der Brauch steht in der Tradition der Wandsprüche in Fluren, Zimmern und über Tor- und Türbogen von Häusern, an Hauswänden. Erinnert sei an die Rede des Zimmermanns beim Richtfest, an die Sprüche bei der Freisprechung von Gesellen oder Meistern durch die Innungen, an die Promotionsfeiern an den Universitäten, bei der Taufe eines Schiffes. In den Zusammenhang gehört auch die Gebrauchslyrik in den Poesiealben, Gästebüchern, auf den Glückwunschkarten. Das alles deutet auf den Sitz im Leben hin. Die Sprüche in den privaten Todesanzeigen dokumentieren ein gewisses und bestimmendes Lebensgefühl oder sogar Lebensprinzip. Es wird im Todesfall noch einmal in Erinnerung gerufen, um selbst dem Tode standzuhalten. Die Verwendungsart darf wohl als der Versuch einer nekrologischen Laudatio, eines lobenden Nachrufes, verstanden werden. Die dritte additive Komponente: Der Transzendenzhorizont der Todesanzeige: Der Übergang von der zweiten zur dritten hinzugefügten Komponente kann sich fließend gestalten. In der Traueranzeige drückt sich immer wieder auch die eigene Sichtweise des Lebens und des Todes aus. Der Kirchenliederdichter des 18. Jahrhunderts Philipp Friedrich Hiller beschreibt das so: „Wer tröstet uns? Das Hoffen. Wie gut ist’s, Christ zu sein! Man sieht den Himmel offen Und nicht das Grab allein.“ Für Christen mögen dazu das Zeichen des Kreuzes und das Wort der Bibel dazugehören. Die dritte Komponente malt den offenen Himmel über dem zu schließenden Grab. Dazu gehören Sprichwörter, Aussprüche, Liedstrophen, Sprüche, 20 Choralverse, Bibelstellen, Zitate, Sentenzen, Aphorismen aus den unterschiedlichsten literarischen Gattungen unserer Geschichte: „Aber ich glaube, dass wann der Tod unsre Augen schließt, wir in einem Lichte stehn, von welchem unser Sonnenlicht nur der Schatten ist.“ 3 „Die Klagemauer im Blitz eines Gebetes stürzt sie zusammen. Gott ist ein Gebet weit von uns entfernt.“ 4 „Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns.“ 5 „Niemand unter den Sterblichen ist so groß, dass er nicht in ein Gebet eingeschlossen werden könnte.“ 6 „Leuchtende Tage nicht weinen, weil sie vergangen, sondern freuen, dass sie gewesen.“ 7 „Wenn Du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es Dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache.“ 8 „Man stirbt nicht, wenn man in den Herzen der Menschen weiterlebt, die man verlässt.“ 9 3. Arthur Schopenhauer, Berliner Manuskripte. Adversaria (1828) Nr.101. 4. Nelly Sachs, Die Klagemauer 5. Rainer Maria Rilke, Schlußstück: Das Buch der Bilder, 1901. 6. Bertolt Brecht(1898-1956) 7. Rabindranath Tagore(1861-1941) 8. Antoine de Saint-Exupery, Der Kleine Prinz(1950) 21 Durch das Zitieren einer solchen Textstelle wird ein Zusammenhang des gelebten Lebens, dessen Tod angezeigt wird, mit einem Prominenten, einer herausragenden oder bedeutenden Persönlichkeit, oder auch nur einer Tagesgröße hergestellt. In dieser Form der Anteilnahme spiegeln sich natürlich auch die Angehörigen, die die in der Anzeige veröffentlichte Todeswiderfahrnis ebenso öffentlich auf einen Sinn- und Hoffnungshorizont hin überschreiten. Glauben heißt nicht mehr aber auch nicht weniger als durch diesen verdunkelten Horizont des Sterbens, des Todes und der Trauer blicken können. Für mich hat das mit der archaischen Sehnsucht wider den Tod, mit dem Protest gegen den Tod, nicht an den Tod zu glauben zu tun. Damit zu tun, dass der Tod nicht das letzte Wort behalten soll. Die Hoffnung geht gewissermaßen dahin, in den Himmel der Religionen, der Kirchen, Synagogen, Moscheen und Tempel zu kommen. In den Himmel der Dichter und Denker, Musiker und Maler, Bildhauer, Künstler - in den der Väter und Mütter aufgenommen zu werden. Der Anzeigentext mag religiös oder fromm, anspruchsvoll, auch sehr gebildet erscheinen, selbst wenn er ausgesprochen trivial oder banal aussehen mag - er dokumentiert dennoch immer wieder, wessen Geistes Kind hier gestorben ist. Gleichzeitig verrät der Anzeige das Leit- und Leidmotiv derer, die da trauern. Möglicherweise sind diese Versatzstücke auf der privaten Todesanzeige lediglich das quasi-religiöse Spruchgut derer, die mit den kirchlichen Traditionen und ihren Bibelsprüchen nur noch wenig anzufangen wissen. Möglicherweise ist es ein Ausdruck der Aufklärung, der nachchristlichen Religiosität. Kriterien der privaten Todesanzeige: Als eine unaufgebbare Voraussetzung der privaten Todesanzeige können zunächst die genannten vier Grundkomponenten angesehen werden. Bei der vierten Grundkomponente zeichnen sich mit dem Funktionsverlust des Trauerhauses bereits gesellschaftlich die stärksten Veränderungen ab. Der Auftraggeber der Todesanzeige bleibt, sei es ein Angehöriger oder mehrere. Die selbst aufgesetzte Anzeige zu Lebzeiten für den Tod wird wohl eine Ausnahme bleiben. Der Auftraggeber bleibt selbst dann noch, wenn der Ort und die Zeit der Bestattung nun nicht mehr, wie bei der Anzeige nach erfolgter Bestattung, bekannt gegeben werden. Wird die Bestattung zum bloßen Vorgang der Entsorgung, was inzwischen rechtlich möglich ist und auch schon de facto geschieht, dann erübrigt sich die private Todesanzeige. Die Todesanzeige in der Zeitung unterrichtet - gegenüber dem Trauerbrief als persönliche Benachrichtigung, auf die eine Antwort erwartet wird generell das soziale und gesellschaftliche Umfeld der vom Todesfall betroffenen Menschen. Immer mehr fällt dieses Umfeld durch einen Wegzug, den Abbruch der Kontakte, durch das Überleben aufgrund des hohen Lebensalters, durch die Armut im Alter weg. Dann vermag eine Todesanzeige ein gelebtes Leben immer noch in Erinnerung, vielleicht sogar zur abschiedlichen Trauerfeier noch einmal zusammen zu 9. Samuel Smiles( 1812-1904) 22 rufen. Selbst wenn im Todesfall die abgebrochenen Kontakte nicht wieder aufgenommen werden können. Wie verhält sich die Verarmung im Altersheim, wenn die Ersparnisse, das Haus aufgezehrt ist, die Rente die Heimkosten schon lange nicht deckt, angesichts der Überalterung der Gesellschaft zu den hohen Anzeigenkosten? Welche moralische Verantwortung sind die Zeitungen bereit, bewusst zu übernehmen? Gegenüber den audiovisuellen Medien, ihren Nachrichten, Berichten und Kommentaren kommt den Zeitungen auf die Altersstruktur der Bevölkerung bezogen eine veränderte Aufgabe zu, die zu beachten ist: Eine größere Nähe und Vertrautheit zum Leben, Denken und Altern, Sterben und Tod der Leser in der Region. Ein anders geartetes Interesse, das von der Frage „Tua res agitur?“ geleitet wird. Was soviel heißt wie: „Wird deine Angelegenheit verhandelt? Das zu lesen und vor allem nachlesen zu können, das festhalten zu können und ausschneiden zu können, was interessiert oder selbst tangiert, auch die private Todesanzeige, hängt unmittelbar mit der eigenen Lebensgeschichte, mit dem Gedächtnis eines Menschenlebens zusammen. Das Kriterium alternativer Todesanzeige: Das Zeitwort des Todes finden. Gehören eigentlich die Begleitumstände eines Todes - die Art des Sterbens, der Name der Krankheit zum Tode, das Leiden, die Pflege und ärztliche Betreuung auf der Station, der Unfall, das Unglück, die eigentliche Todesursache - und die emotionalen Reaktionen der Angehörigen auf diesen Tod sowie die familiäre Wertung und Würdigung des Toten in eine private Traueranzeige, in die Öffentlichkeit einer Tageszeitung? Ganz offensichtlich hat die Todesanzeige durch die Anzeigenpraxis verschiedene andere Funktionen - beispielsweise die Anzeige der eigenen Trauer und den Nachruf mit übernommen, in sich vereinigt. Abgesehen von dem Todesfall, bei dem die Todesanzeige zu Lebzeiten selbst formuliert worden ist, bestimmen ausnahmslos die Angehörigen, manchmal allein, sonst in der Regel im Beratungsgespräch des Bestattungsinstitutes für die Anzeige das Zeitwort des Todes. Die Angehörigen durchlaufen von der Feststellung des Todeseintritts über die Benachrichtigung des Todesfalls bis zur Formulierung der Todesanzeige einen den Todesfall auslegenden und verstehenden Prozess, annähernd das stimmige Zeitwort des Todes selbst aussprechen zu müssen und auch zu können. Die Art des Sterbens oder des zu Tode Kommens setzt einen notwendigen vermittelnden Prozess frei: Der Betriebsunfall bestand vielleicht darin, dass ein Mitarbeiter vom Baugerüst gestürzt ist, in eine Maschine geriet. Am Ende heißt es, dass der Mitarbeiter auf tragische Weise verunglückt ist. Aus dem Herzinfarkt, plötzlich tot umzufallen oder angstvoll zu ersticken, wird am Ende ein plötzliches Versterben, Verlassen, Gegangen. Nahezu 65 % der Todesanzeigen geben als Zeitwort des Todes ein Kompositum von schlafen an. Die Trennungs- oder Verlustverben machen ca. 22 % aus; beispielsweise verlassen, gegangen, verloren, geschieden, verschieden, erlöst. Erst an 12. Stelle der Skala möglicher Zeitwörter des Todes steht das Verb sterben mit 0.5%. 11 10. Hans-Jürgen Geischer, Tod und Leben. Volksfrömmigkeit im Spiegel von Todesanzeigen: THPr.6.Jg. 1971,254-271. Klaus Dirschauer, Der totgeschwiegene Tod. Theologische Aspekte der kirchlichen Bestatttung. Bremen. 1973,22-41.Stella Baum, Plötzlich und unerwartet. Frankfurt u.a. 1981. Karl-Wilhelm 23 Das Kriterium alternativer Todesanzeige: Die Trauer artikulieren. Diesen Wortfindungsprozess erachte ich für sehr wichtig. Es gilt sich bewusst zu machen, was es bedeutet, wenn das Zeitwort des Todes zu einer formelhaften Konvention erhoben wird und das Aufarbeiten der eigenen Trauer beeinträchtigt. Nun wird der Tod mit dem Sterbedatum bereits kundgetan. Auch dadurch, dass überhaupt eine Anzeige in Betracht gezogen wird. Das Zeitwort des Todes zu finden, läßt zwei Sichtweisen zu, den Tod gleichsam vom Sterbenden, vom Toten her gesehen oder von den Angehörigen her gesehen zum Ausdruck zu bringen. Ich entscheide mich gegen eine indirekte Redeweise in der Todesanzeige, etwas über das Sterben bzw. über den Tod aussagen zu wollen. Dabei bedenke ich beispielsweise, wie stereotyp formuliert die Todesnachricht aus dem Krankenhaus erfolgt. Also könnte die Todesanzeige auch ausschließlich vom verbalen Ausdruck der vom Tode Betroffenen her, als Traueranzeige aufgefasst werden. Die adverbialen Bestimmungen des Ortes (z.B.: Pflegeheim, Krankenhaus, Urlaubsort u.a.), der Zeit (z.B.: plötzlich, unerwartet u.a.), der Art und Weise (z.B.: sanft, ruhig) und die adjektivische Wertung und Würdigung (z.B.: gut, herzensgut, lieb u.a.) könnten ganz wegfallen. Die verwandtschaftliche Graduierung, die zugleich eine emotionale Graduierung der Betroffenheit ist, werden verbal in kurzen Sätzen mit unterschiedlichen Zeitwörtern der Trauer ausdifferenziert bekundet; wie am Beispiel eines Todes eines Mannes durch einen Herzinfarkt: der trauernden Ehefrau (54 Jahre verheiratet gewesen), Kinder, Schwiegerkinder, Enkel, der Schwester sowie der Nichte: „ Ich beklage den Tod meines Mannes. Wir trauern um unseren Vater und Großvater. Ich nehme Abschied von meinem Bruder, wir von unserem Onkel.“ Die Anzeige ist einfach zu lesen, keineswegs herzlos und enthält die wichtigsten Informationen über den eingetretenen Tod sowie die Trauer der davon Betroffenen. Die verwandtschaftlichen Zuordnungen gehen aus der Anzeige klar hervor. Der Formulierungskomplex des grammatischen Monstrums ist aufgelöst. Die Anzeige ist übersichtlich geworden. Sie bringt die abgestufte Trauer der vom Tod Betroffenen in jedem einzelnen Satz für sich zum Ausdruck. Das Zeitwort des Todes erübrigt sich, weil es im Zeitwort der Trauer enthalten ist. Diese Form der Anzeige nimmt vergessene Traditionen der Grabsteinbeschriftungen auf. Die Eindeutigkeit in der Aussage löst den bisherigen Komplex ab, aus verschiedenen Relationen und dahinter stehenden Rücksichtnahmen formulieren zu müssen. Bereits ein einziger Satz in erzählender Weise aus einer ganzen, wenn auch abgebrochenen Lebensgeschichte vermag zu einer persönlichen Anzeige zu werden; wie am Beispiel eines Todes nach zweijährigem Krankenlager: der Ehefrau (Anfang 40), ihrer Tochter, der Mutter und Schwiegermutter: Grümer/Robert Helmrich, Die Todesanzeige. Viel gelesen, jedoch wenig bekannt. Deskription eines wenig erschlossenen Forschungsmaterials: HSR 19.Jg.60-108. 24 Unter dem Vorname und Nachnamen, sowie dem Geburts- und Todesdatum mit ausgeschriebenen Monatsnamen, steht der erste sentimentale Satz: „Wir wären so gern zusammen alt geworden.“ Über den Namen derer, die Trauer tragen, steht der zweite Satz: „Wir danken ihm für das, was er uns war, gab und möglich machte.“ Das Verb sein überwiegt. Die Redeweise geht im Personalpronomen zweimal von der 1. Person Plural, dem wir aus und dreimal auf die 3. Person Singular. Der Wirklichkeit dieses ehelichen Lebensfragments hält die Witwe die Möglichkeit des gern und zusammen Altwerdens entgegen. Der Dank bezieht sich ausschließlich mit dem Personalpronomen im Dativ Pluralis uns auf die in der Trauer Zurückgebliebenen: war, gab, möglich machte. Die Ambivalenz der Erfahrungen mit dem Ehemann, dem Vater, dem Sohn und Schwiegersohn haben in der Traueranzeige keinen Ort, schon gar nicht nach dieser Krankheit zum Tode. Der Tod eines emeritierten Pfarrers wird noch sicherlich durch seine ehemalige Gemeinde, in ihrem Trauergottesdienst in der Kirche, durch eine Anzeige seines früheren Kirchenvorstandes, Nachrufe in den Zeitungen, wie hier im Rundfunk gewürdigt. Das heißt: Sein Leben und seine Gemeindearbeit. Die private Todesanzeige kann ihren eigenen Zweck erfüllen. Die Zuversicht des Glaubens des Pfarrehepaars wird durch deren Frömmigkeitspraxis, täglich die Herrnhuter Losungen zu lesen, durch den Bibelvers des Todestages über der Anzeige bezeugt; wie am Beispiel der Ehefrau, der Kinder, Schwiegerkinder, Enkel: „Friede sei mit dir! Fürchte dich nicht, du wirst nicht sterben.“(Richter 6,23-24) Unter dem Vor- und Nachname steht Pastor i.R. und lediglich über den Namen der Familien der lapidare Satz: „Es trauern um ihn:“ Diese private Todesanzeige - einer Grabsteininschrift ähnlich - beschränkt sich ganz darauf, nur über den Tod des Pfarrers zu unterrichten und darauf, welche Losung über dem Todestag stand. Diese Todesanzeige wirkt sehr zurückhaltend, ist jedoch im Kontext der zu erwartenden Nachrufe sowie des Trauergottesdienstes in der Kirchengemeinde durchaus verständlich. Die folgende Todesanzeige haben die vier erwachsenen Kinder und der Ehemann im Nachdenken über das Sterben seiner 59-jährigen Ehefrau, das sich in den Morgenstunden seines Geburtstages während einer gemeinsamen Reise ereignete, veröffentlicht. Auf der rechten oberen Seite ist ein Bibelwort eingelassen, das sich später auch auf der Grabstele wieder finden wird: „Siehe, meine Tage sind einer Hand breit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. 25 Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben!“ (Psalm 39,6) Darunter sind in der Mitte der Vor- und Nachnamen, der Geburtsname und das Geburts- und Sterbedatum, der Geburts- und der Sterbeort zu lesen. Es folgt der Satz: „Noch ist der Schrecken über den jähen Tod. Doch das Leben gemeinsamer Jahre ist nicht widerrufbar.“ Mittig im unteren Teil darunter stehen die Vor- und Nachnamen des Ehemannes, seiner Kinder und Schwiegerkinder sowie der Enkelkinder; unterhalb in zwei Rubriken die Namen der Verwandten, jeweils in den beiden Herkunftsfamilien zusammengefasst. Innerhalb des Gespräches des Vaters mit seinen Kindern über die Konzeption der Todesanzeige nahm die Frage viel Zeit in Anspruch, ob nicht das Gedächtnis eines Menschen - der Ehefrau und der Mutter wie Großmutter - viel mehr umfasse als die sehr subjektive Erinnerung derer, die mit den positiven Abspaltungen ihres Wesens überleben. Das Gebetswort des Psalms 39 gibt gleichsam die Klagemauer des Entsetzens ab. Die Klage bedarf Gott gegenüber ganz offensichtlich des biblischen Vorbeters. Der erste selbst formulierte Satz bringt dann in geradezu archaisch anmutender Sprache den Todeseindruck, seine immer noch anhaltende Vorherrschaft zum Ausdruck. Der zweite Satz dagegen schreibt das gemeinsame Leben in seiner ambivalenten Erfahrung fest. Mit all dem was es gewesen ist und ausgemacht hat, ganz so, wie es durch den Todeseintritt immer wieder geschieht. Der Trauerbrief weicht darin von der Zeitungsanzeige ab, dass er auf der ersten Außenseite den Abdruck des Bibeltextes aus 2. Mose 33,18-23 wiedergibt, der lange Zeit Gesprächsgegenstand des Ehepaars unmittelbar vor der Abreise gewesen ist. Der Dank der Anteilnahme am Sterben, Tod und in der Trauer erfolgte ohne Zeitungsanzeige, nur durch die Danksagung der Trauerbriefe; auf der ersten Seite befindet sich ein kleiner Auszug aus einer Predigt von Martin Luther von 1523 zu dem Lied „Mitten wir im Leben sind vom Tod umfangen“: „ Ey mitten in dem todt will ich das leben finden. Ich wil hie sterben. Ich weiß, mein herr ist by mir, wie auch der prophet im psalm sagt: ‚Ich lige und schlaffe gantz mit frieden. Denn allein du Herr hilffst mir, das ich sicher wone.‘ Du hast mich in ein gutte zuversicht gestellt, das ich werdt das leben finden. Deshalben will ich mich in frid hyn wagen. Also kehrt sich dann das liedlein umb, das man singt: „Mitten im Tode sind wir vom Leben umfangen.“ 11 Während auf der linken Innenseite noch einmal - wie auf der Todesanzeige - der Name und die Todesdaten stehen, laden auf der rechten Seite die Worte der Danksagung zum Lesen ein. Sie können durch persönliche handschriftliche Sätze ergänzt werden: „Montag, der 12. Juli 1993, war der Tag, an dem ich den Tod meiner Frau, wir den Tod unserer Mutter begehen mußten. 11. Martin Luther, WA 12, 609ff. 26 Stationen dieses Weges waren der Trauergottesdienst in der St. Stephani-Kirche, das Grab auf dem Osterholzer Friedhof und schließlich ein Zusammensein im Gemeindehaus. Wir erinnern das Läuten der Glocken, das Orgelspiel, den vollen Gesang. Wir erinnern die Worte der Heiligen Schrift: den Trauspruch, Psalm 139, die von meiner Frau so geliebte Emmausgeschichte und schließlich die Exodusstelle. Wir erinnern die Sonne über dem Friedhof an diesem malvenfarbenen Tag. Ich habe in diesem Gottesdienst meine Frau der Gnade Gottes anvertraut. Wir haben mit diesem Gottesdienst unsere Mutter noch einmal umarmen können. Wir sagen Dank, dass ein Raum war, in dem sie in allem gegenwärtig werden konnte. Im Singen und Hören, im Wort und im Schweigen, auch in den Blumen. Wir danken für die Anteilnahme und Aufmerksamkeit. Wir danken allen, die sich in ihrer Bestürzung und mit ihrer Trauer auf den Weg gemacht haben und uns tröstend zugewandt umfingen. Wir danken Herrn Pastor Dr. Harald Weinacht, der uns Weggefährte dieser Tage war und in Segen und Trost Gottes Zusage gegenwärtig hält. Wir danken Herrn Professor Hans Heintze für das wundersam tröstende Vermögen seines Orgelspiels. Danksagen möchten wir für die Hände, die im Verborgenen dieser Woche uns so zugetan waren. Schließlich ein Dank für die Briefe, Worte, die mit uns Erschrecken, Erinnerung und Würdigung teilen, leise auf Künftiges weisen.“ Die Hälfte der Danksagung erinnert noch einmal den Tag des Abschiedes in den Stationen des Begehens. Die andere Hälfte des Wortlauts dient der Danksagung. Die Verben - einschließlich Partizipien, Substantivierungen- dieser Danksagung lauten: begehen, müssen, zusammensein, erinnern, läuten, spielen, singen, lieben, haben, anvertrauen, umarmen, sagen, können, werden, hören, schweigen, danken, trösten, zuwenden, machen, umfangen, zutun, teilen, weisen. Die Adjektive sind: voll, malvenfarben, wundersam, leise. Der Text dieser Danksagung ist für den Briefcharakter sehr persönlich abgefasst. Die Gefühlslage der Betroffenen, die noch zu spüren ist, wird bewusst zurückgenommen. Das Augenmerk wird einem Tagebucheintrag vergleichbar, auf das, was sich berichten und schon erzählen läßt, gelenkt - im Wortlaut lebendig in den Verben, die ausschließlich Tätigkeiten des Begehens beschreiben. Verben sind die wahren Prädikate der Sätze. 27