(2) Auch - Universität Hamburg

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(2) Auch - Universität Hamburg
Vertiefungsvorlesung
Entwicklung des ökonomischen
Denkens, 1870-1970
Grenznutzenlehren europaweit:
Menger, Jevons, und Walras
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
1
“Grenznutzenrevolution”
Gleichzeitige Entdeckung des Marginalprinzips
U
x1
U
x2
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
2
“Grenznutzenrevolution”
• England: William Stanley Jevons (1835-82)
The Theory of Political Economy (1871)
• France/Italy: Leon Walras (1834-1910)
Elements of Pure Economics (1874)
(Éléments d'économie politique pure)
• Austria: Carl Menger (1840-1921)
Grundsätze der Volkswirtschaftslehre (1871)
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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“Grenznutzenrevolution”
Standardnarrativ
“The whole of neo-classical economics is nothing more than the
spelling out of this principle in ever wider contexts, coupled with
the demonstration that perfect competition does under certain
conditions produce equimarginal allocations of expenditures and
resources.” (Blaug 1996 *1963+: 280)
Aber:
verschiedene Visionen, die über Jahrzehnte ausgefochten wurden.
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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“Grenznutzenrevolution”
Paradigmenwechsel?
• Wachstum versus Ressourcenallokation
• Objektive versus subjektive Wertlehre
• Moralische Gefühle versus Utilitarismus und Rationalität
• Werttheorie versus formale Preistheorie
• Institutionen versus Marktmechanismus
• Klassen versus Individuen
 Verengung des Gegenstandbereiches?
Blaug: “all what had been explained in classical political economy
(population, resources, capital) is given in neoclassical economics.”
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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“Grenznutzenrevolution”
Erklärungen
•
•
•
•
•
Interne Gründe (z.B. fallende Profitrate)
Externe Gründe (Wachstum, homo oeconomicus)
Gemeinsamer intellektueller Kontext?
Antwort auf den aufkommenden Sozialismus?
Antwort auf Populismus:
Marginalismus machte es “impossible for the educated economist
to mistake the limits of theory and practice, or to repeat the
confusions which brought the study into discredit and almost
arrested its growth.” (Foxwell 1888: 88)
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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“Grenznutzenrevolution”
Lernziele:
(1) Drei verschiedene Visionen/Versionen desselben theoretischen
Prinzips kennenlernen.
(2) Verständnis der Streitfragen, welche die Entwicklung der
neoklassischen Theorie begleitete.
(3) Verständnis für die interpretative Breite und die epistemologische
Vielfältigkeit, die das Marginalprinzip zulässt.
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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(1) Carl Menger (1840-1921)
(2) Jevons
(3) Walras
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
8
Mengers Leben und Werk
Leben und Werk
1840
geboren in Nowy Sącz (Polen), studierte Jura in Prag und Wien
1867
Arbeit als Journalist
1871
Grundsätze der Volkswirtschaftslehre
1873
Lehrstuhl an der Universität Wien
1883
Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften, und der
politischen Oekonomie insbesondere
(= Beginn der “Österreichischen Schule”: (1) Böhm-Bawerk, Wieser,
(2) Mises, Hayek, (3) Kirzner, Lachmann, Rothbard, (4) Boettke)
1876-86 Lehrer des Kronprinz Rudolf von Habsburg
1889
Freitod Kronprinz, Rückzug aus akademischen Leben
1900
Hofrat im Herrenhaus (Habsburger Parlament)
1921
starb unbeachtet in Wien
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Mengers Revolution?
• Kein Revolutionär der politischen Ökonomie
• Identifizierte sich nicht mit der Grenznutzenschule
• Ontologischer Individualismus
• Direkter, unmittelbarer Einfluss: Böhm-Bawerk und Wieser
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Mengers Wertlehre
Konstitution eines Guts
• Menschliches Bedürfnis
• „die Tauglichkeit eines Dinges, der Befriedigung menschlicher
Bedürfnisse zu dienen.“ (=„Nützlichkeit“)
• Wissen um diese Tauglichkeit
• Verfügbarkeit
 Subjektives Wissen um die bedürfnisstillende Kraft (Unsicherheit)
Till Düppe (PhD)
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Mengers Wertlehre
Grenznutzenlehre
Diskrete Skalen der “Grade
der Wichtigkeit”
→ keine psychologische
Theorie des Genusses,
sondern evaluativer
Prozess
→ Nutzen nicht messbar,
nicht additiv, nicht
interpersonal vergleichbar
I
10
9
8
7
6
5
4
3
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II
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III
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IV
7
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V
6
5
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3
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1
0
12
Mengers Wertlehre
Zurechnungstheorie (“Imputation theory”)
• Zurechnung des Wertes des Gutes „höherer Ordnung“
(Produktionsfaktoren) auf Wert der Güter „erster Ordnung“
(Konsumgüter)
• Konsum ist das primäre Wertphänomen (Umkehrung der
Produktionskostenlehre)
• Erklärung von Investitionsentscheidungen aufgrund von gleichen
marginalen Opportunitätskosten.
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Mengers Tauschlehre
Jedoch: Ungleichgewichtstheorie des Tausches:
“neither of the two participants would give his consent to such an
[equal] arrangement; equality of value nowhere has any real
existence” (in Jaffe 1976: 520)
Menger als Neoklassiker?
• “Menger cannot explain prices!” (Georgescu Roegen)
• “Menger’s economics was disequilibrium economics” (Streissler)
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Mengers Methodologie
(1) Gegen Mathematik!
Warum? Methodologischer Dualismus!
“Die bisherigen Versuche, die Eigenthümlichkeiten der
naturwissenschaftlichen Methode der Forschung kritiklos auf die
Volkswirthschaftslehre zu übertragen, haben denn auch zu den
schwersten methodischen Missgriffen und zu einem leeren Spiele
mit äusserlichen Analogien zwischen den Erscheinungen der
Volkswirthschaft und jenen der Natur geführt.” (Menger 1881,
Vorwort zu Grundsätzen)
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Mengers Methodologie
(2) Auch gegen Historismus (Methodenstreit)
Warum? Ökonomik ist eigenständige Disziplin
Gegenstand der Ökonomik:
Nicht-intendierte Resultate eigeninteressierten Handelns
„Wieso vermögen dem Gemeinwohl dienende und für dessen
Entwickelung höchst bedeutsame Institutionen ohne einen auf ihre
Begründung gerichteten Gemeinwillen zu entstehen?“ (Menger
1883: 146).
Ontologischer Individualismus
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Mengers Methodologie
Unterscheide!
 Ontologischer Individualismus: Individuen haben ontologische
Priorität gegenüber Gesellschaften.
 Methodologischer Individualismus: Soziale Phänomene sind das
Explanandum, nicht das Explanans guter Erklärungen.
 Politischer Individualismus: Schutz der individuellen Sphäre vor
Eingriffen.
 “Epistemologischer Individualismus”: subjektives Wissen kann
nicht Gegenstand der Wissenschaft werden.
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Mengers Einfluss



•
•
•
Österreichische Schule entstand als treibende Kraft der frühen
Neoklassik (Vorrang der Theorie, Grenznutzenlehre),
aber endete als heterodoxe Schule (George Mason, Think Tanks...):
(Nutzen)theoretisch, individualistisch, wirtschaftsliberal – nur keine
Mathematik!
Relevanz der Mathematik für die Entstehung der Neoklassik: hätte
nicht als literarische Ökonomik entstehen können?
Entwicklung der Österreichischen Schule gegenläufig zur Neoklassik:
Politisierung
Gesteigertes methodologisches Bewusstsein
ausgeprägte Grundsätze bezüglich Natur des Individuums
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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(1) Menger
(2) William S. Jevons (1835-1882)
(3) Walras
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Jevons’ Revolution?
Revolutionäre Veränderung gegenüber Ricardo
“The conclusion to which I am ever more clearly coming is that the
only hope of attaining a true system of Economics is to fling aside,
once and for ever, the mazy and preposterous assumptions of the
Ricardian School. Our English Economists have been living in a fool's
paradise.” (Jevons 1871: xliv-xlv)
Wenig langfristigen Einfluss: Revolutionärer Geist verschwand mit
Marshall (Neo-klassik!)
Mittelfristiger Einfluss: John B. Clark und Irving Fisher
Till Düppe (PhD)
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Jevons’ Leben und Werk
1835
1850
1850er
1862
1865
1866
1871
1874
1876
1882
Geboren in Liverpool
University College School in London
Erzanalyst in Sydney, Australien. Interesse an politischer Ökonomie.
General Mathematical Theory of Political Economy
The Coal Question
Professor of logic and mental and moral philosophy and political
economy (Owens College). Interesse an Naturwissenschaften.
The Theory of Political Economy
Principles of Science
Professur für politische Ökonomie am University College, London.
Überarbeitet, krank, melancholisch
ertrank beim Baden in Hastings
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Jevons’ Methodologie
Viktorianischer Universalgelehrter:
Logik, Meteorologie, Ökonomik, Statistik, Politik, Wirtschaftsgeschichte
Methodologischer Monismus
• „Science is the detection of identity“ (1905: 673)
• Logische Wissenschaften (Existenz) versus logische und
mathematische Wissenschaften (Quantität)
• Mechanische Konstitution der Welt
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Jevons’ Methodologie
Logik eine mechanische Menge von Operationen
“Logik Piano”
“a machine capable of reasoning,
or of replacing almost entirely
the action of the mind
in drawing inferences” (1890: 120)
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Jevons’ Methodologie
Theory of Political Economy als “mechanics of utility and self-interest”
“its method is as sure (...) as the elements of Euclid” (1871: 21)
Mathematischer Realismus:
“To me it seems that our science must be mathematical, simply
because it deals with quantities” (1871: 3)
“*economic+ laws are mathematical” (1871: 4)
Fundierung in Konsumtheorie (methodologischer Individualismus)
“the whole theory of Economics depends upon a correct theory of
consumption” (1871: 47)
Till Düppe (PhD)
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Jevons’ Wertlehre
Keine Substanzwertlehre
Wert ist keine intrinsische Qualität,
sondern abhängig von den “Umständen des Gegenstandes”
(Vorsicht: Whig-history!)
Gegen Produktionskostentheorie:
“Cost of production determines supply;
Supply determines final degree of utility;
Final degree of utility determines value”
(1970 [1871]: 187)
Till Düppe (PhD)
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Jevons’ Wertlehre
Hintergrund: 2 Formen des Utilitarismus
Utilitarismus als Verhaltenstheorie (Behaviorismus)
“Nature has placed mankind under the governance of two sovereign
masters, pain and pleasure. It is for them alone to point out what
we ought to do, as well as determine what we shall do” (Bentham)
• Nutzen als Prinzip der Erklärung individuellen Verhaltens.
• Nutzen kein moralischer Begriff (“Eigennutzen” versus
“Eigeninteresse”)
Problem: Bestimmung/Messbarkeit des Nutzens!
 Benthams “hedonic parameters”: Intensität, Dauer, Gewissheit,
Nähe, Fruchtbarkeit, Reinheit, Ausdehnung
Till Düppe (PhD)
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Jevons’ Wertlehre
Hintergrund: 2 Formen des Utilitarismus
Utilitarismus als Sozialphilosophie
•
•
•
•
Ethischer Utilitarismus: Glück als das einzige moralische Ziel
Nutzen als ein Prinzip politischer Entscheidungen: “das größte
Glück der größten Zahl”
Kriterium des sozialen Wohlstands aller Individuen (keine Klassen)
Für Umverteilung!
 Problem: interpersonaler Nutzenvergleich!
Till Düppe (PhD)
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Jevons’ Wertlehre
Jevons’ Entmoralisierung:
“The food which prevents the pangs of hunger, the clothes which
fend off the cold of winter, possess incontestable utility; but we
must beware of restricting the meaning of the word (utility) by any
moral considerations. Anything which an individual is found to
desire and to labor for must be assumed to passes for him utility. In
the science of economics we treat men not as they ought to be, but
as they are.” (Jevons 1871: 41)
 Nutzen als quantitative Größe: prinzipiell messbar
 “hedonic parameters” : intensity, duration, certainty, remoteness
(morals: fecundity, purity, extent)
 Diminishing marginal utility: psychological fact (of satiation?)
Till Düppe (PhD)
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Jevons’ Wertlehre
Messbarkeit des Nutzens und Differentialrechnung
“I hesitate to say that men will ever have the means of measuring
directly the feelings of the human heart. A unit of pleasure or of
pain is difficult even to conceive; but it is the amount of these
feelings which is continually prompting us to buying and selling,
borrowing and lending, laboring and resting, producing and
consuming; and it is from the quantitative effects of the feelings
that we must estimate their comparative amounts (…) just as we
measure gravity by its effects in the motion of a pendulum.” (Jevons
1871: 17)
“if we compare the quantities directly, we do not need the units”
(Ibid.: 7)
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Jevons‘ Tauschlehre
„Law of indifference“
• Tausch bis Ausgleich der Grenznutzen:
 Kehrwert der Grenznutzen entspricht dem Preisverhältnis
( a x)
1( y )
1
y
x
( x)
2(b
y)
2
 Beachte: kein interpersonaler Nutzenvergleich
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Jevons’ Tauschlehre
Keine Preistheorie
• Additive Aggregation der Tauschfunktionen in
Nachfragefunktionen? Interpersonaler Nutzenvergleich?
• Interdependenz: Nachfrage nach einem Gut hängt von Preisen aller
Güter ab: D=f(p); D=f(P)
• Angebotsseite: Keine Produktionstheorie
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Jevons‘ Theorie des Arbeitsangebots
x…
y…
p…
a-d…
Arbeitszeit
Einkommen
Abnehmender Grenznutzen
des Einkommens
Grenznutzenkurve
der Arbeit
in m:
(marginaler) Einkommensnutzen
= (marginaler) Arbeitsschmerz
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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(1) Menger
(2) Jevons
(3) Leon Walras (1834-1910)
Till Düppe (PhD)
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Walras’ Leben und Werk
1834
in Évreux, Normandie geboren
Vater, Auguste Walras, Lehrer, dann Professor für Philosophie
(Paris, Caen, Douai), und Autor ökonomischer Schriften:
Leitfigur
1853
wurde an der Ecole Polytechnique abgelehnt aufgrund
schlechter Mathematikkenntnise
1854
studierte Ingenieurwesen an der Ecole de Mines; bevorzugte
Literatur, Philosophie
arbeitete als Journalist, Essayist, und ist aktiv in der
Genossenschaftsbewegung
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Walras’ Leben und Werk
1860
Kritik an Proudhons Begriffs des Eigentums
Schwierigkeiten eine Anstellung an der Universität zu
bekommen, Geldprobleme
1870-93 Lehrstuhl in Lausanne
1874
Elemente einer reinen Ökonomik
Begründer der Lausanner Schule: Barone, Pareto,
Internationaler Einfluss: Wicksell (Schweden), Moore, Fisher (U.S.)
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Walras’ Leben und Werk
Seit 1874
reger Briefkontakt mit Ökonomen und Mathematikern: kaum
Anerkennung in Frankreich
1902
“Mechanics and Economics”
“It would be a waste of time to argue with the former group
[economists]; we simply speak not the same language. But
with mathematicians it is different; we can explain ourselves
and perhaps understand each other.” (Walras, quoted in
Mirowski 1987: 207)
1910
starb verbittert über die fehlende Anerkennung seiner Arbeit
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Walras’ Revivals
1908: Schumpeter: Wesen und Hauptinhalt der theoretischen
Nationalökonomie
1906: Wicksell (Geldtheorie)
1918: Cassels Reformulierung der AGT
1930s: Karl Mengers mathematisches Kolloquium: Existenzbeweis
1938: Oskar Langes Marktsozialismus
1939: Hicks’ Value and Capital
1943: Maurice Allais in Frankreich
1954: Neo-Walrasianismus (Arrow und Debreu: Existenzbeweis)
Till Düppe (PhD)
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Walras’ Methodologie
Gegenstand der Ökonomik:
 Social Wealth: knappe und nützliche Gegenstände
Dreiteilung der Ökonomik:
(1) Ökonomik als Wissenschaft
Wahrheit, Dingverhältnisse, Tausch
(2) Ökonomik als „Kunstfertigkeit“
Nützlichkeit, Verhältnis von Ding und Person, Produktion
(3) Ökonomik als “Ethik”
Gerechtigkeit, Personenverhältnisse, Eigentum
Entspricht drei Eigenschaften von knappen und nützlichen Gütern!
„We must be exceedingly careful not to study social wealth from all
three points of view at once“ (68)
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Walras’ Methodologie
Drei Bereiche: reine Ökonomik, Industrieökonomik, Sozialökonomik
1874: Elements of Pure Economics: Theory of social wealth
1896: Studies in Social Economics: Theory of the division of social
wealth
1898: Studies in Applied Economics: Theory of the production of
social wealth
 Methodologischer Dualismus: “Faits naturel, and fait
humanitaires” (blinde Kraft versus Wille)
 Reine und angewandte Ökonomik sind komplementär:
Reine Ökonomik macht nicht die vollständige Wissenschaft aus!
Till Düppe (PhD)
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Walras’ Vision
Interdependenz:
Alles ist voneinander abhängig
“*T+he economic system is a whole all parts of which hold together
and react upon one another.” (Cournot 1838: 146)
• Strukturalismus (Bedeutung der Elemente in gegenseitiger
Abhängigkeit)
• Keine ceteris paribus Annahmen
• Geschlossene versus komplexe Struktur
• Holismus oder Individualismus?
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Walras’ Vision
“In fact, the whole world may be looked upon as a vast general
market made up of diverse special markets where social wealth is
bought and sold. Our task then is to discover the laws to which
these purchases and sales tend to conform automatically. To this
end, we shall suppose that the market is perfectly competitive, just
as in pure mechanics we suppose to start with, that machines are
perfectly frictionless.”
(Elements of Pure Economics, 2003 [1874]: 84)
Till Düppe (PhD)
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Walras’ “reine Ökonomik”
“Pure economics is, in essence, the theory of the determination of
prices under a hypothetical regime of perfectly free competition”
(Walras 2003 [1874]: 40).
1. Existenz des Gleichgewichts: Unter welchen Bedingungen gibt es
ein Preissystem, das alle Märkte räumt?
2. Stabilität: wie wird ein Marktgleichgewicht erreicht?
3. “Grand Themes”: Kapital, Wachstum, Geld
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Walras in Worten
Haushalt:
•
Nutzenmaximierende Nachfrage nach Konsumgütern gegeben
individueller Nachfragefunktionen und Einkommen
•
Angebot von Produktionsfaktoren generiert Einkommen (Arbeit,
Kapital, Boden)
Firmen:
•
Gewinnmaximierendes Angebot von Konsumgütern
•
Nachfrage von Produktionsfaktoren gegeben der
Produktionsfunktion (Effizienz)
Gleichgewichtsbedingungen:
•
Markträumung : Angebot gleich Nachfrage in allen Faktor- und
Gütermärkten
•
Alles Einkommen wird konsumiert.
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Walras’ Notation
t, t’, t’’
p, p’, p’’
k, k’, k’’
a, b, c
r=φq
pa, pc, pd
pt, pp, pk
qt,qp,qk
ot,op,ok
da,ab,ac
at
verschiedene Bodenformen
verschiedene Arbeitsformen
verschiedene Kapitalformen
n Produktionsfaktoren
m Konsumgüter
“Rarete” Funktion
Preise für Konsumgüter
Preise für Produktionsfaktoren
Faktorausstattung der Haushalte
Faktorangebot der Haushalte
Haushaltsnachfrage nach Konsumgütern
technische Koeffizienten: Menge t notwendig um a zu
produzieren
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Walras’ Gleichungen
pa=1 numeraire (relative Preise – Geld ist neutral)
4 Gleichungstypen gleichzeitig lösbar?
(1) n Gleichungen vom Typ: Ot=Ft (pt,pp, pk, …, pb, pc, pd)
Faktorenangebot hängt von allen Güter- und Faktorpreisen ab
(2) m Gleichungen vom Typ: Da=Fa (pt,pp, pk, …, pb, pc, pd)
Güternachfrage hängt von allen Güter- und Faktorpreisen ab
(3) n Gleichungen vom Typ: Ot=daat+dbbt+dcct…
Faktorenangebot gleich Faktorennachfrage
(4) m Gleichungen vom Typ: pa=atpt+appp+akpk
Produktionskosten gleich Preise (Budgetrestriktion Unternehmen)
Anzahl der Gleichungen: 2n+2m
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Walras’ Lösung
Anzahl der Gleichungen:
2m+2n
Gibt es ein Preissystem, dass alle Gleichungen löst? (“Existenz” im
mathematischen Sinne)
Anzahl der Unbekannten?
Preise der Konsumgüter:
Preise der Faktoren:
Nachfrage nach Konsumgüter:
Nachfrage nach Faktoren:
Total:
m-1
n
m
n
2m+2n-1
Ja! Ein Gleichgewicht existiert!
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Stabilität?
Tâtonnement („Herantasten“)
• Auktion: Pariser Aktienmarkt
• “Preise werden zufällig ausgeschrien”, und angepasst bis Nachfrage
gleich Angebot
• Irrelevant ob Auktionator Person oder Maschine ist
 Kein „false trade“: Keine Transaktionen bei Preisen im
Ungleichgewicht
 Preismechanismus ist imitiert: Statische versus dynamische Lösung
 Wie bringen Preise im Markt ein Gleichgewicht hervor?
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Stabilität?
Such is the continuous market, which is perpetually tending
towards equilibrium without ever actually attaining it, because the
market has no other way of approaching equilibrium except by
groping, and, before the goal is reached, it has to renew its efforts
and start over again, all the basic data of the problem, e.g. the
initial quantities possessed, the utilities of goods and services, the
technical coefficients, the excess of income over consumption, the
working capital requirements, etc. having changed (…) Viewed in
this way, the market is like a lake agitated by the wind, where the
water is incessantly seeking its level without ever reaching it”
(Walras 1954: 380)
Till Düppe (PhD)
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Walras’ reine und angewandte Mathematik
Reine Mathematik:
Axiomatik, Strukturen, Beweis, Rigorosität, Ästhetik (Analysis,
Algebra, Geometrie, Zahlentheorie)
Angewandte Mathematik:
Gesetze, Quantitäten, Statistik, Daten, Funktionalität, Intuition
 War Mathematik, die in Ökonomik zur Anwendung kam, reine oder
angewandte Mathematik?
 Walras: Mathematik als rationale, nicht experimentale Methode
(„transcends the bounds of experience“)
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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Überblick
Science
Mathematics
Marginalist
Principles
complete
economic
theory
Individualism Price
Theory
ontological
no
individualism (disequilibrium)
Menger Dualism
No
Jevons
Monism
mathematical foundation of
realism
economic
theory
Walras
Monism
mathematical pure economics holism?
(mathestructuralism (versus social
matics);
and industrial
dualism
economics)
(ontology)
methodolo- no (theory
gical
of barter
individualism exchange)
Theory of Value
theory of
evaluation
(instead of
pleasure)
utility (in
principle)
measureable, no
interpersonal
comparison
yes (general utility not
equilibrimeasurable, no
um)
utility theory of
value (rarete)
Till Düppe (PhD)
Entwicklung des ökonomischen Denkens, 1870-1970
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