HBRC06HT Reply form test - International Campaign for Tibet
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HBRC06HT Reply form test - International Campaign for Tibet
GEFÄHRLICHE FLUCHT: ÜBER DIE LAGE TIBETISCHER FLÜCHTLINGE BERICHT 2006 1825 Jefferson Place, NW Washington, DC 20036 T +1 202 785 1515 F +1 202 785 4343 E [email protected] www.savetibet.org ICT-Europe Vijzelstraat 77 1017HG Amsterdam The Netherlands T +31 (0)20 3308265 F +31 (0)20 3308266 E [email protected] ICT-Deutschland e.V. Schönhauser Allee 163 10435 Berlin Germany T +49 (0)30 27879086 F +49 (0)30 27879087 E [email protected] ICT-Brüssel 11, Rue de la Liniere 1060 Brussels Belgium T +32 (0)2 6094410 F +32 (0)2 6094432 E [email protected] International Campaign for Tibet (ICT) ist eine politisch unabhängige Nichtregierungsorganisation, die die Einhaltung international anerkannter Menschenrechtsstandards in Tibet beobachtet und fördert. ICT wurde 1988 gegründet und verfügt über Büros in Washington, DC, Amsterdam, Brüssel und Berlin. Deutsche Übersetzung: ICT. Verbindlich ist der Wortlaut des englischen Originals „Dangerous Crossing — Conditions Impacting the Flight of Tibetan Refugees, 2006 Report“ Gefährliche Flucht: Über die Lage tibetischer Flüchtlinge l Bericht 2006 ©2007 by the International Campaign for Tibet Printed in Germany ISBN: 1-879245-26-4 Ein Bericht der International Campaign for Tibet Washington, DC l Amsterdam l Berlin l Brüssel www.savetibet.de I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T GEFÄHRLICHE FLUCHT: ÜBER DIE LAGE TIBETISCHER FLÜCHTLINGE l BERICHT 2006 INHALT ZUSAMMENFASSUNG TITELBILD: Chinesische Soldaten auf dem Weg zur Leiche Kelsang Namtsos, der 17-jährigen tibetischen Nonne, die getötet wurde, als chinesische Grenzpatrouillen auf eine Gruppe Tibeter schossen, die am 30. September 2006 über den Nangpa-Pass ins Exil flohen. ICT erhielt die Aufnahme von einem britischen Bergsteiger, der anonym bleiben will. DANKSAGUNG „Gefährliche Flucht“ wurde von ICT-Mitarbeitern in Washington, DC, in Zusammenarbeit mit ICT-Teams in Indien und Nepal zusammengestellt. ICT dankt insbesondere den Tibetern in der Gruppe, die die Schüsse am Nangpa-Pass am 30. September überlebt haben und jetzt im Exil leben, für ihre Bereitschaft für diesen Bericht auszusagen sowie den Bergsteigern, die den Vorfall beobachtet haben, für die großzügige Überlassung von Bildaufnahmen und ebenfalls für ihre Zeugenaussagen. 2 DIE SCHÜSSE AM NANGPA-PASS Schusswaffengebrauch als „normale Grenzverwaltung“ Rettung eines Tibeters Wie ich die Schüsse am Nangpa-Pass überlebte Ein Traum vom Dalai Lama Der Vorfall am Nangpa-Pass wird bekannt Internationale Reaktionen auf die Schüsse am Nangpa-Pass Die Schüsse am Nangpa-Pass: Folgen und frühere Vorfälle 5 11 14 16 19 24 26 27 GEFÄHRLICHE FLUCHT: POLITIK UND UMGANG MIT TIBETERN, DIE NEPAL ERREICHEN Abschieberisiken Eine bedeutende Verschlechterung: Update über die Schließung tibetischer Büros in Kathmandu Kalachakra-Belehrung: mehr Tibeter nutzten Nepal als Transitland 29 FESTNAHME WÄHREND DER FLUCHT — DIE FOLGEN 36 DIE ROUTEN 39 WARUM TIBETER AUS TIBET FLIEHEN Diffamierung des Dalai Lama Diffamierung des Dalai Lama in tibetischen Schulen Von einer Kellnerin zur Nonne 41 48 49 50 NEPALS SICH WANDELNDE ORDNUNG UND CHINAS EINFLUSS 52 EINE PERSÖNLICHE PILGERREISE 55 AUDIENZ FÜR NEUANKÖMMLINGE BEIM DALAI LAMA 60 EMPFEHLUNGEN 62 ANHANG I: DIE OFFIZIELLE CHINESISCHE VERSION ÜBER DIE SCHÜSSE AM NANGPA-PASS 63 ANHANG II: REAKTIONEN AUS DER BERGSTEIGERSZENE 64 ENDNOTEN 66 31 32 34 ZUSAMMENFASSUNG Ungefähr 2.500 bis 3.500 Tibeter begeben sich jährlich auf die gefährliche Flucht über das Himalajagebirge in das indische und nepalesische Exil. Im Jahr 2006 reisten jedoch weniger nach Nepal als in den Jahren 2004 und 2005. Weniger als 2.600 Flüchlinge ließen sich im Tibetischen Flüchtlingsaufnahmezentrum in Kathmandu registrieren. Viele von ihnen treten die Flucht allein deswegen an, um ihren religiösen Führer, den Dalai Lama sehen zu können. Eine hohe Prozentzahl der neuen Flüchtlinge sind Kinder, die von ihren Eltern in tibetische Exilschulen geschickt werden, da sie sich den Schulbesuch ihrer Kinder in Tibet nicht leisten können oder weil die Schulen unzureichend sind und keinen Unterricht auf Tibetisch anbieten. Daneben wollen viele Mönche und Nonnen im Exil ihre Religion frei ausüben und keine staatliche Verfolgung befürchten müssen. Andere Tibeter fliehen, weil sie im Zuge neuer Entwicklungsprojekte, die China in den armen westlichen Regionen der Volksrepublik umsetzt, enteignet und umgesiedelt wurden oder weil es ihnen nicht möglich ist, ihren Lebensunterhalt im Wettbewerb mit chinesischen Zuwanderern zu bestreiten. In den letzten Jahren reisen immer mehr Tibeter mit chinesischen Pässen, um nach Indien zu pilgern und Verwandte zu besuchen. Die meisten kehren wieder heim. Im September 2006 wurde eine junge tibetische Nonne von der chinesischen Polizei auf dem Nangpa-Pass erschossen. Dieser Himalaja-Pass ist ein Haupthandelsweg zwischen Tibet und Nepal, der gewöhnlicherweise als Fluchtroute von tibetischen Flüchtlingen genutzt wird. Zum ersten Mal wurde ein derartiger Vorfall von einer großen Gruppe internationaler Augenzeugen — Bergsteigern am 8.201 Meter hohen Himalajagipfel Cho Oyu, zu dessen Füßen der Nangpa-Pass liegt — beobachtet. Einer der Bergsteiger filmte den Vorfall und das Video, das weltweit in den Medien gezeigt wurde, sorgte für große Aufmerksamkeit. Die chinesischen Behörden bezeichneten das Verhalten der Grenzpatrouillen als „normale Grenzverwaltung“. Dieser Bericht geht ebenfalls detailliert auf einen früheren Vorfall ein, bei dem tibetische Flüchtlinge von chinesischen Truppen an der nepalesischen Grenze unter Beschuss genommen worden waren. Dramatische politische Entwicklungen im Jahr 2006 in Nepal hatten sowohl für Tibeter mit festem Wohnsitz in Nepal als auch auf Transitreisende nach Indien große Folgen. Friedensgespräche zwischen maoistischen Rebellen und Regierungstruppen hatten im Mai 2006 begonnen und sollten den langen gewaltsamen Konflikt in Nepal zwischen Regierung und Maoisten beenden. Diesem Konflikt waren in Nepal, einem der ärmsten Länder Südasiens, mehr als 13.000 Menschen zum Opfer gefallen. Das Ende der Alleinherrschaft König Gyanendras im April, der zahlreiche prodemokratische Kundgebungen vorausgegangen waren, und die Machtübernahme eines neuen demokratischen Bündnisses ließen Hoffnung für die Tibet2 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Ein bewaffneter Soldat bewacht einen Militärkontrollpunkt in Nepal nahe der Grenze zu Tibet. Der Bürgerkrieg in Nepal hatte seit 1996 angedauert, bis 2006 ernsthafte Friedensverhandlungen zwischen den Konfliktparteien begannen. Den Auseinandersetzungen sind mehr als 13.000 Menschen zum Opfer gefallen. (Foto: Jonathan Greene – www.jonathan-green.com) frage in Nepal aufkommen. König Gyanendra war als Freund der chinesischen Tibetpolitik bekannt und hatte die Schließung des Büros des Vertreters des Dalai Lamas und des Tibetischen Wohlfahrtsbüros in Kathmandu im Jahre 2005 zu verantworten. Beide waren für das Situation der Tibeter seit ihrer Einrichtung in den 60er Jahren von großer Bedeutung. Dennoch zeichneten sich auch am Jahresende keine sichtbaren Verbesserungen der Lage der Tibeter ab, da China weiterhin einen großen politischen Einfluss auf Nepal ausübt. Obwohl es zunächst den Anschein hatte, dass ein Verwaltungsverfahren zur Registrierung einer Organisation, die die Arbeit des geschlossenen Tibetischen Wohlfahrtsbüros weiterführen sollte, erfolgreich abgeschlossen werden könne, wurde das Verfahren nach Intervention der chinesischen Botschaft in Kathmandu nicht weiterbetrieben. Chinas Dünnhäutigkeit hinsichtlich der Tibetproblematik war insgesamt Kennzeichen der chinesisch-nepalesischen Beziehungen im Jahre 2006. Mehrere hochrangige I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 3 chinesische Delegationen besuchten Kathmandu und die nepalesischen Behörden unterstrichen dabei, keine „anti-chinesischen Aktivitäten“ auf ihrem Boden dulden zu wollen, während China sein Hauptaugenmerk auf die Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen an der tibetisch-nepalesischen Grenze legte. Ein Flüchtlingsumsiedlungsprogramm, mit dem Tausende Tibeter, die sich derzeit in Nepal befinden, in den Vereinigten Staaten angesiedelt werden sollen, wurde von der chinesischen Regierung scharf kritisiert. Die neue nepalesische Regierung hat der Umsetzung des Programmes bis jetzt noch nicht zugestimmt. In den letzten Jahren waren mehr Fälle von Refoulement (die zwangsweise Zurücksendung oder Abschiebung von Personen in ein Land, in dem sie verfolgt werden)1 von Tibetern durch nepalesische Polizisten zu verzeichnen, wobei die Behörden allerdings mit größerer Heimlichkeit vorgegangen waren. Während dem UN Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in Kathmandu keine Fälle von zwangsweiser Abschiebung im Jahre 2006 bekannt waren, konzedierte der UNHCR, dass in Kathmandu über Vorgänge in den Grenzgebieten fast nichts bekannt wurde — obwohl die Arbeit der UN-Beobachtermissionen im Jahr 2006 wieder aufgenommen wurde. ICT musste den Fall einer Gruppe von sieben Tibetern zur Kenntnis nehmen, die Mitte Dezember von der nepalesischen Polizei an die chinesischen Behörden ausgeliefert wurden. Laut einem Augenzeugen wurde die Gruppe in der Nähe von Tatopani gefasst, das sich nur einige Kilomenter von der „Freundschaftsbrücke“ entfernt befindet, die die Grenze zwischen Nepal und China markiert. Chinesisches Sicherheitspersonal betrat dabei nepalesisches Staatsgebiet, um die Flüchtlinge zurück nach Tibet zu transportieren. Während des Jahres 2006 war die Situation für tibetische Flüchtlinge in Nepal sehr unsicher. Tibeter auf ihrer Reise nach Nepal mussten befürchten, auf nepalesischem Territorium zurückgewiesen zu werden und auch legal Ansässige sahen sich ständigen Schwierigkeiten ausgesetzt. 4 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T DIE SCHÜSSE AM NANGPA-PASS „SIE KNALLEN SIE AB WIE HUNDE“ — Sergiu Matei, rumänischer Kameramann, Augenzeuge der Schüsse auf tibetische Flüchtlinge, die am 30. September über den Nangpa-Pass ins Exil fliehen. Sein Kommentar ist auf dem weltweit verbreiteten Filmausschnitt zu hören, der die chinesische Version des Vorfalls klar widerlegt. Danach hätten die Sicherheitskräfte in Notwehr gehandelt. Am 30. September 2006 wurde eine Gruppe von Tibetern von Einheiten der chinesischen Bewaffneten Volkspolizei unter Beschuss genommen, als sie über den Nangpa-Pass ins Exil fliehen wollte. Die Tibeter, waren von einem BergsteigerBasislager am Himalajagipfel Cho Oyu, der sich nur wenige Kilometer östlich befindet, klar zu sehen, als sie den vereisten Nangpa-Pass in einer Höhe 5.716 Metern westlich des Mount Everest überqueren wollten. ICT sammelte eine Reihe von Augenzeugenberichten und befragte die Mehrheit der Tibeter, denen die Flucht nach Nepal gelungen war, um den Vorfall dokumentieren zu können. Angehörige der Bewaffneten Volkspolizei überqueren einen Bergkamm in der Nähe des Nangpa-Passes, unmittelbar nach der Erschießung einer tibetischen Nonne. Im Vordergrund tibetische Gebetsfahnen. (Foto: ICT hat die Aufnahme von einem britischen Bergsteiger erhalten, der anonym bleiben möchte) Ein Google Earth Bild, das das Gebiet zeigt, in dem geschossen wurde. Die gelbe Linie markiert die tibetisch-nepalesische Grenze, die ungefähr 15-20 Minuten Fußmarsch von dem Punkt entfernt liegt, an dem Kelsang Namtso erschossen wurde. (Foto: ICT) Drei chinesische Soldaten beobachten das Gebiet, in dem die Schüsse fielen, ungefähr 200 Meter vom Basislager entfernt. (Foto: Britischer Bergsteiger) Augenzeugen konnten die Tibeter zum ersten Mal vom Cho Oyu aus als zwei Reihen von 20 bis 30 schwarzen Punkten im Schnee wahrnehmen.2 Mehrere Bergsteiger erklärten, dass für sie klar gewesen sei, dass sich viele Kinder in der Gruppe befanden, da diese kleiner waren als der Rest und sich langsamer bewegten; zumindest einer der Bergsteiger äußerte die Vermutung, dass die Anwesenheit der Kinder möglicherweise den Rest der Gruppe aufgehalten und sie davon abgehalten hatte, schneller die Grenze zu erreichen.3 Expeditionsleiter erinnerte sich, eine Gruppe Soldaten im vorgeschobenen Basislager gesehen zu haben, eine andere Gruppe von ungefähr drei Soldaten auf einem Kamm in ca. 275 Metern Entfernung, drei weitere unten auf einem Kamm und zwei oder drei links davon (s. die Bilder als Begleitmaterial).8 Ein europäischer Bergsteiger, der anonym bleiben möchte, erklärte, dass drei bis fünf Soldaten auf die Tibeter feuerten: „Man konnte sehen, wie sie ihre Waffen schulterten und es gab einen Rückstoß.“9 Der Nangpa-Pass dient als Haupthandelsroute zwischen Tibet und Nepal und wird gewöhnlich als ein Fluchtweg von Tibetern benutzt, die ins Exil fliehen. Yakkarawanen und Flüchtlinge werden oftmals von Bergsteigern am vorgelagerten Basislager am Cho Oyu gesehen, insbesondere Ende September und Anfang Oktober, wenn die Hochzeit der Bergsteigerexpeditionen angebrochen ist. Es wurden 15 bis 20 Minuten lang mit Unterbrechungen Schüsse auf die Tibeter abgegeben, die verzweifelt versuchten, die Grenze zu erreichen und zu entkommen. Verschiedene Augenzeugen machen unterschiedliche Aussagen über die Dauer der Schüsse, was auf die Panik des Augenblickes zurückzuführen sein könnte. Sergiu Matei, ein professioneller Kameramann aus Rumänien, der seinen Urlaub im Himalaja verbrachte, nahm seine Kamera und filmte, was sich vor seinen Augen abspielte. Es war um acht Uhr morgens bei klarem Wetter (einer der Tibeter sagte aus, dass die Sonne gerade den Berggipfel erreicht hatte),4 so dass die Tibeter für mindestens 60 internationale Bergsteiger und deren Träger und Personal klar zu sehen waren, von denen die meisten gerade ihr Frühstück beendeten oder sich in ihren Zelten ausruhten. Nach einigen Berichten könnten es sogar mehr als 100 Bergsteiger gewesen sein, plus Träger und Personal, die sich zu dieser Zeit im Basislager befanden.5 Als die Gewehrschüsse zu hören waren, rannten die Bergsteiger, die in ihren Zelten waren, nach draußen und begaben sich zu den anderen. Sie hatten klare Sicht auf den Pass und waren entsetzt über den Vorgang, den sie aus kurzer Entfernung beobachten konnten. Zwei der Augenzeugen, ein britischer Polizeibeamter und ein ehemaliger Scharfschütze der britischen Armee, beschreiben die Gewehre als ‘AK-47s’; es handelte sich um chinesische Sturmgewehre des Typs 81 (Kopien der AK-47 Kalashnikov, entworfen für Nahkampfgefechte), das von der Volksbefreiungsarmee am meisten genutzte Automatikgewehr.10 Die Gewehre können automatisch abgefeuert Mitglieder der Bewaffneten Volkspolizei im Basislager des Cho Oyu. Mindestens einer der Bergsteiger schilderte ICT, dass das anwesende Sicherheitspersonal einzelne anwesende Alpinisten filmte, die sich zum Zeitpunkt des Vorfalls im Basislager aufhielten. (Foto: Britischer Bergsteiger) Ein amerikanischer Bergsteiger und Expeditionsleiter sagte ICT: „Ich sah die Reihe der Flüchtlinge am frühen Morgen, als sie den Pass überquerten, noch bevor ich ins Zelt ging um zu frühstücken. Ich kenne die politische Situation der Tibeter in Tibet und erinnere mich, dass es mir durch den Kopf schoss, dass sie sich nahe der Grenze befanden, und war erleichtert, weil ich dachte, dass sie sicher nach Nepal6 kommen würden. Aber dann sagte einer unserer Sherpas ‘die chinesischen Soldaten kommen, sehr schlecht’. Ich hörte den ersten Schuss und rannte nach draußen. Es waren Soldaten über die Moräne vor dem Basiscamp verteilt.7 Soldaten erschienen sogar im Lager selbst. Ich beobachtete vier verschiedene Soldaten, die sich niederknieten und auf die Tibeter zielten.“ Ein englischer Bergsteiger und 6 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 7 werden, aber die meisten Augenzeugen einschließlich derjenigen Bergsteiger, die etwas Kenntnis von Feuerwaffen hatten, berichteten von einzelnen Schüssen, und weniger von Gewehrsalven. Viele von ICT befragte Bergsteiger äußerten sich auch über das Alter der Soldaten: „Sie waren noch Kinder, gerade 18 Jahre alt“, bemerkte einer der Befragten.11 Mehrere Bergsteiger berichteten von einer „einschüchternden“ Atmosphäre im vorgeschobenen Basislager vor und nach der Schießerei; der britische Polizeibeamter Steve Lawes erklärte: „Die Soldaten waren eher jung, und scheinbar unberechenbar.“12 Einige der von ICT befragten Bergsteiger sagten, dass mindestens einer der Soldaten die Bergsteiger im vorgeschobenen Basislager zur Zeit des Zwischenfalls filmte.13 Verantwortlich für die Schüsse sind Einheiten der Bewaffneten Volkspolizei, einer paramilitärischen Einheit, die aus der Volksbefreiungsarmee heraus in den frühen 80er Jahren gebildet wurde. Sie wird für die innere Sicherheit, Grenzkontrollen sowie den Schutz von staatlichen Einrichtungen einschließlich der Gefängnisse eingesetzt. Die Bewaffnete Volkspolizei, die zentral für die Patrouillen im Hochgebirge und damit für die Überwachung der Fluchtrouten der Tibeter zuständig ist, steht sowohl unter der Kontrolle eines Regierungsministeriums als auch der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).14 Die Lager der Bewaffneten Volkspolizei sind alle befestigt, besitzen Gefängniskapazitäten und werden auch von Einheiten der Volksbefreiungsarmee benutzt. Nach Aussagen in diesem Gebiet dürfte mittlerweile eine gestiegene Zahl an Militärpersonal in der Region nach dem Zwischenfall stationiert sein. Das Videofilmmaterial15 enthüllt, dass drei Tibeter unter den Schüssen zusammenbrachen, aber zwei von ihnen wieder aufstanden. Nicht alle der Augenzeugen hatten dies zu diesem Zeitpunkt wahrgenommen. Der amerikanische Bergsteiger bemerkte es und sagte später: „Wir sahen drei zu Boden gehen, aber einer blieb unten. Ich dachte, ich sähe die anderen stolpern und zucken, als ob sie getroffen wären. Es scheint, dass hinter einem kleinen Hügel, was wir nicht sehen konnten, weiter geschossen wurde.“ möglicherweise der Rucksack einer ihrer Freunde, einer weiteren jungen Nonne, die diesen wahrscheinlich während der Schüsse abwarf und der es gelang zu entkommen. Einer der tibetischen Flüchtlinge, ein junger Mann Ende zwanzig, stolperte nach den Schüssen in das vorgeschobenen Basislager, um zu fliehen; er war verängstigt und durcheinander. „Einige der Bergsteiger weinten“, erzählte er ICT.16 Während die Schüsse fielen, betraten Soldaten der Bewaffneten Volkspolizei zusammen mit einer Gruppe tibetischer Kinder und Erwachsener aus der Gruppe, die sie in Gewahrsam genommen hatten, das vorgeschobene Basislager. Der britische Polizeibeamte Steve Lawes erklärte: “Eine Gruppe von ungefähr zehn bis zwölf Kindern, die zwischen sechs und zehn Jahren alt gewesen sein dürften, wurde in das vorgeschobene Basislager in Begleitung von drei Soldaten mit Nahkampfgewehren gebracht. Die Kinder standen in einer Reihe, ungefähr zwei Meter von mir entfernt. Sie sahen uns nicht — sie schauten sich nicht um, wie das Kinder normalerweise tun, sie fürchteten sich zu sehr. Zu dieser Zeit liefen überall im vorgeschobenen Basislager Soldaten herum. Sie waren überall präsent und die Atmosphäre war sehr einschüchternd.” Mehrere Bergsteiger schilderten ihren Eindruck von den in Gewahrsam genommenen Kindern, und Bilder zeigen die Gruppe im Lager. Einige Bergsteiger meinten, dass die Kinder resigniert oder verwirrt wirkten aufgrund dessen, was geschehen war. Im Basislager wurde ihnen von den Soldaten zu essen gegeben. Berichte von Tibetern in der Gruppe, die es nach Nepal geschafft hatten, deuteten an, dass alle Kinder auf der Reise Hunger litten, weil sie nicht genug Proviant bei sich trugen. Ein Standfoto, aufgenommen von Pavle Kozjek, zeigt die Gruppe vor einem grünen Zelt, das sich von den Zelten der Bergsteiger durch die rote chinesische Flagge unterscheidet. Kinder und ältere Tibeter, die von der Bewaffneten Volkspolizei festgenommen wurden, werden aus dem Basislager abgeführt (der Rucksack, der von einem der Tibeter getragen wird zeigt die Maskottchen der Olympischen Spiele 2008 in Peking). (Foto: Britischer Bergsteiger) Die Person, die fiel und liegenblieb, war die 17-jährige Kelsang Namtso, eine junge Nonne aus Nagchu (chinesisch: Nagu) aus der Tibetischen Autonomen Region (TAR). Sergiu Matei sagte: „Ich konnte aufnehmen, dass ein kleiner schwarzer Schatten zu Boden ging. Man sieht ein menschliches Leben im Bruchteil von Sekunden dahinschwinden. Diese Person atmete wie du, aß wie du, tat genau das Gleiche wie du.“ Kelsang Namtso, wie alle anderen der Tibeter, auf die geschossen wurde, hatte den Soldaten, die schossen, den Rücken zugewandt. Die Geschosse scheinen durch ihren Körper nahe der Achseln durchschlagen zu haben, wie Augenzeugen be-richteten, die ihren Körper später sahen. Nachdem sie in den Schnee gefallen war, versuchte sie nach oben zu kriechen, bevor sie liegenblieb. Sergiu Matei schaltete seine Kamera aus: „Ich wollte nicht filmen, wie sie stirbt.“ Ein Standfoto — das Titelbild dieses Berichtes — von ihrem Körper, das vom vorgeschobenen Basislager aus vom slowenischen Bergsteiger Pavel Kozjek aufgenommen wurde, zeigt einen zweiten dunklen Schatten neben ihr im Schnee, 8 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 9 Soldaten der Bewaffneten Volkspolizei mit einer Gruppe von Kindern, die sie auf dem Nangpa-Pass festgenommen hatten. Die Gruppe bestand aus 70 Tibetern, darunter 7-jährige Kinder. (Foto: Pavle Kozjek) Nach Quellen von ICT wurden die meisten Kinder wahrscheinlich Ende 2006 zu ihren Familien in Tibet zurückgeschickt, nachdem die Eltern eine Strafe gezahlt hatten.18 Ein verlässlicher Bericht spricht allerdings davon, dass alle Kinder der Gruppe, die über 16 Jahre alt waren, in der Haft mit Knüppeln und elektrischen Schlagstöcken geschlagen wurden. Einer europäischen Regierung wurde mitgeteilt, dass die Kinder, die gefangengenommen worden waren, kurz darauf wieder zu ihren Familien entlassen wurden. Laut inoffizieller Informationen, die ICT erhalten hat, wurde die Gruppe nicht sofort entlassen und manche befinden sich vielleicht auch noch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts in Haft. Dieselbe Quelle, die sich mittlerweile im Exil befindet, ist der Auffassung, dass die Eltern offensichtlich nach Shigatse vorgeladen wurden, um ihre Kinder aus dem Gefängnis abzuholen. Die Kinder seien dabei unterschiedlich lange in Haft gewesen; von einigen Wochen bis zu drei Monaten. Ein junger Tibeter wurde ebenfalls von den Bergsteigern gesehen, als er im Gewahrsam von Soldaten ins vorgeschobene Basislager humpelte. Auf einem Foto, das von einem der britischen Bergsteiger aufgenommen wurde, scheint es, als ob getrocknetes Blut auf seinen Jeans in Höhe des Knöchels zu sehen wäre. Ein europäischer Bergsteiger konnte mit dem jungen Tibeter im Basislager mit Hilfe eines Chinesen aus einem anderen Expeditionsteam, der für ihn übersetzte, sprechen: „Er sagte mir, dass er beim Gehen große Schmerzen hätte — der Knochen war wahscheinlich gebrochen. Wenn er sich ausruhte, war sein Bein in Ordnung. Er schien den Schmerz aushalten zu können. Seine Verletzung schien nicht lebensbedrohlich zu sein, sie war weit unten an seinem Bein.“19 Der Bergsteiger der unerkannt bleiben möchte, sagte, dass es ihm gelang, die Aufmerksamkeit des chinesischen Bergsteigerteams auf den Verletzten zu lenken: „Er atmete schwer, aber sie hatten keine Ahnung, was ihm fehlte und hatten auch keine schmerzstillenden Medikamente bei sich.“ nahe der Fußspur nachdem ihn ein Schuss am Bein getroffen hatte und die Nonnen rannten genau vor ihm. Dann wurde eine Nonne erschossen und starb.“ Derselbe europäische Bergsteiger, der mit Kalsang Namgyal gesprochen hatte, sagte: „Die in Gewahrsam genommenen Kinder sahen mich zu Tode erschrocken an. Es gab einen Soldaten im Basislager, der eine Pistole hatte und mehr Sterne auf seiner Uniform.21 Er war definitiv ranghöher. Er forderte zum Schießen auf und sagte jedem, was er zu tun habe, während sie die Kinder und den Mann mit dem angeschossenen Bein festhielten.“ Mehrere von ICT befragte Bergsteiger berichteten von der Einstellung der Soldaten vor und nach den Schüssen. Sergiu Matei sagte: „Sie handelten so, als ob es [die Schüsse] sich um eine ganz normale Aufgabe handelt.“ Ein europäischer Bergsteiger sagte: „Uns gegenüber waren sie ein wenig feindselig, aber ansonsten ganz entspannt. Sie wussten genau, was sie taten.“ Bei bestimmten Punkten verlangten die Soldaten nach den Ferngläsern, die einigen der Bergsteiger gehörten, um den Pass genau abzusuchen. Derselbe europäische Bergsteiger erklärte: „Ein Soldat kam zu mir und fragte nach meinem Fernglas. Ich gab es ihm. Er war ziemlich aggressiv.“22 Kurz nach dem Vorfall kursierten in den Medien Berichte über weitere Tote. Diese Opfer wurden weder von Bergsteigern bestätigt, noch sah die Gruppe von Tibetern, die sicher ins Exil floh, ihre Körper. Allerdings erreichten Gerüchte von bis zu acht Toten unter Sherpas und Tibetern der Gegend Bergsteiger am Cho Oyu, infolge dessen entsprechende Berichte in die Medien gelangten.23 Weitere Berichte sprechen davon, dass ein tibetischer Junge angeschossen und später in der Haft seinen Verletzungen erlegen sein könnte. Dies konnte allerdings zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichtes nicht verifiziert werden. ICT kann ferner keine weiteren Opfer bestätigen. SCHUSSWAFFENGEBRAUCH ALS „NORMALE GRENZVERWALTUNG“ Nach chinesischem Strafrecht verletzen Tibeter, die illegal die Grenze überqueren, Artikel 322 des Strafgesetzbuches und können aufgrund des „geheimen ÜberEine chinesische Militärbasis, die den Nangpa-Pass zwischen Tibet und Nepal überwacht. Berichte gehen davon aus, dass man von der Basis aus die Spitze des Passes beobachten kann. Die nepalesische Grenze ist ca. 12 bis 15 Kilometer entfernt. Der junge Tibeter wurde von einigen Tibetern aus der Gruppe, die ins Exil geflohen waren, als Kalsang Namgyal aus der Tibetischen Autonomen Präfektur Kardze (Chinese: Ganzi) in der Provinz Sichuan, dem tibetischen Kham, identifiziert. Ein Tibeter in den Zwanzigern, der aus der Heimatgegend von Kalsang Namgyal stammt, kann bezeugen, dass er angeschossen worden war und sagte ICT: „Die Soldaten schossen auf die Leute vor mir, und ich konnte sehen, dass einige ihre Habe von sich warfen, damit sie schneller laufen konnten. Dies war wegen wegen des Schnees und der Höhe der Berge schwierig Kalsang Namgyal saß irgendwo 10 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 11 Stunden im Schnee versteckt hatten, zurück zur Leiche. Eine von ihnen sagte: „Wir überprüften, ob sie noch lebte oder schon tot war, aber sie war bereits tot. Wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, noch 15 Minuten weiter zu gehen, hätte sie die Grenze passieren können. Ich versuchte, ihren rechten Arm zu heben und sah, dass ihre Brust Blut überströmt war, und man sah sehr deutlich helles rotes Blut, das auf den Schnee floss, weil der Schnee doch so weiß ist.“ Erst am nächsten Tag begann eine größere Gruppe Beamter und Polizisten, die Leiche wegzuschaffen. Ein britischer Bergsteiger, ein professioneller Expeditionsleiter, nahm eine Reihe von Bildern mit einem Teleskopobjektiv auf, um die Szene, die sich in der Nähe der Leiche am 1. Oktober abspielte, zu dokumentieren.27 Die Bilder zeigen ungefähr zwölf Personen, die sich um die Leiche der Nonne im Schnee eingefunden haben. Einer der Beamten oder Polizisten scheint Notizen zu machen, und auf einem anderen Bild ist ein Mann zu sehen, der mit den Händen hinter dem Kopf im Schnee liegt, nachdem die meisten der Gruppe schon gegangen sind.28 Mehrere Bergsteiger bestätigten, dass Mitglieder der Gruppe Aufnahmen der Leiche machten. Eine im Schnee steckende Schaufel ist zu sehen. Deshalb war in frühen Berichten die Rede davon, dass die Nonne dort im Schnee, wo sie gestorben war, auch bestattet wurde. Angehörige der Bewaffneten Volkspolizei und andere Beamte stehen um den Körper der tibetischen Nonne herum, ein Tag nachdem sie erschossen wurde. Ein Beamter in Zivilkleidung ist in der Mitte abgebildet. Viele der Polizisten trugen weiße Sturmhauben (Skimasken). (Foto: Britischer Bergsteiger) querens nationaler Grenzen“ festgenommen werden. Es ist ebenfalls durch Berichte geflohener Tibeter bekannt geworden, dass Truppen der Bewaffneten Volkspolizei die Anweisung haben, Tibeter aufzugreifen, die die Grenze überqueren. Ein früherer Zwischenfall, bei dem auf Tibeter im Gebiet Dingri nahe der Grenze zu Nepal geschossen wurde, ist weiteres Beispiel für den rücksichtslosen Umgang der chinesischen Behörden mit tibetischen Flüchtlingen. Der aktuelle Vorfall wurde durch eine offizielle Antwort der chinesischen Regierung an eine europäische Botschaft in Peking bestätigt, wobei erklärt wurde, dass die Grenzpolizei gemäß ‘normaler Grenzverwaltung’ gehandelt hatte.24 Berichte von Augenzeugen der Schüsse am Nangpa-Pass im September belegen, dass die Grenzbeamten es als legitim ansehen, auf Tibeter zu schießen, die sich auf der Flucht nach Nepal befinden. Ungefähr eine bis eineinhalb Stunden nachdem die Schüsse eingestellt worden waren, berichteten Bergsteiger, dass ungefähr drei Beamte oder Polizisten aufbrachen, um den leblosen Körper der Nonne Kelsang Namtso zu untersuchen und dass später Soldaten auf dem Gletscher bis zum Sonnenuntergang patrouillierten, als ob sie nach Personen suchten.25 Bei Einbruch der Dunkelheit konnte man immer noch Kelsang Namtsos Körper auf dem Pass sehen. Mehrere Bergsteiger sprachen darüber, dass man vom vorgeschobenen Basislager hinuntersteigen solle, um ihren Körper als Beweis für das, was geschehen war, zu fotografieren, doch keiner tat dies.26 Nachdem die Soldaten nicht mehr in Sichtweite waren, gingen drei Nonnen aus der Gruppe der Tibeter, die entkommen waren und sich selbst mehrere 12 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Dr. Pierre Maina erklärte, dass am Morgen des 1. Oktober noch mehr Beamte im vorgeschobenen Basislager angekommen waren: „Sie sahen wie Beamte aus, vielleicht Militärbeamte von höherem Rang. Sie gingen am Gletscher vielleicht drei oder vier Stunden entlang, überprüften alles und gingen dann schließlich zu der Leiche, die sie dort am Nangpa-Pass finden konnten. Immer mehr Beamte oder Polizisten schlossen sich ihnen an.“ Dr. Maina beobachtete das Geschehen durch sein Fernglas und sagte: „Sie standen alle um die Leiche herum und es schien, dass sie Notizen und Fotos machten. Dann wickelten sie die Leiche ein, es sah aus wie ein rotes Tuch29 und luden sie auf.“ Sergiu Matei bestätigt die Szene gleichfalls, aber ohne Fernglas: „Sie wickelten die Leiche in etwas ein und zogen sie danach den Gletscher hinunter.“ Es ist nichts über den Verbleib der Leiche von Kelsang Namtso bekannt, aber es ist wahrscheinlich, dass sie vom Pass weggeschafft wurde, vermutlich zu einem späteren Zeitpunkt und ohne Augenzeugen. Eine tibetische Nonne, die aus der gleichen Gegend wie die Getötete stammt, sagte ICT im Januar 2007, dass die Leiche Kelsang Namtsos ihren Eltern nicht übergeben worden war.30 Von der Gruppe, die ursprünglich mehr als 70 Tibeter umfasste, erreichten, nachdem die Schüsse gefallen waren, 43 Tibeter Nepal. Von der Gruppe der 70 wurden mindestens 15 im Gewahrsam der chinesischen Soldaten im vorgeschobenen Basislager gesehen, und es wird vermutet, dass sie in Haft genommen wurden. Ungefähr 23 Tibeter der größeren Gruppe hatten offensichtlich den Anschluss verloren, noch bevor die Schüsse fielen. Nach den Berichten, die ICT erhielt, waren die meisten wahrscheinlich in Gewahrsam genommen worden. Es ist nicht bekannt, ob sie wieder freigelassen wurden. I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 13 RETTUNG EINES TIBETERS Sergiu Matei, der rumänische Bergsteiger, der die Erschießung der Nonne gefilmt hatte, schilderte ICT, wie er einem jungen Tibeter half, der hinter die Gruppe zurückgefallen war, die unter Beschuss genommen wurde. Dieser hatte sich im Basislager zu verstecken versucht: „Kurz nachdem die Schießerei vorüber war, kam ein junger tibetischer Küchenjunge zu mir und sagte, dass jemand in der Toilette sei. Ich nahm meine Kamera, um diesen Moment als Beweis festzuhalten. Ich möchte nicht wissen, was dem Tibeter durch den Kopf ging, als er meine Schritte hörte und niemanden sah. Aber ich erkannte, was er dachte, als ich seine Augen sah. Jetzt ist alles aus, waren seine Gedanken. Als er mich mit der Kamera erblickte, war er immer noch verängstigt. Er verstand kein Englisch und ich sprach mit ihm auf Rumänisch, wobei ich versuchte, mit freundlicher und warmer Stimme zu sprechen, damit er verstehen konnte, dass ich ihm nichts Böses wollte. Ich sagte, er solle hier bleiben und ich würde ihm etwas zu essen bringen. Ich holte ein paar Pfannkuchen und etwas Käse, Überbleibsel vom Mittagessen, und gab ihm alles. Ich fragte ihn, ob er den Dalai Lama besuchen wolle und er legte seine Hände zusammen, als ob er beten wolle. Da wusste ich, dass wir einander verstanden. Ich ging vom Zelt weg und überzeugte den Leiter des Basislagers und ein paar andere Leute, dass er eine Einer der Polizisten, der vor Ort bleibt, macht sich heiße Tasse Tee brauchte und warme Kleidung, denn er Notizen, während ein anderer im Schnee liegt. war schon ganz blau gefroren. (Foto: Britischer Bergsteiger). Es war nicht besonders kalt, zwei Grad minus — in dieser Höhe ein angenehmes Wetter. Der Leiter des Basislagers und sein Personal waren sehr, sehr ängstlich und sagten, dass sie das nicht tun könnten, denn wenn man sie erwischte, würden sie erschossen werden. Ich sagte ihnen, dass es keinen Anlass gäbe sich zu sorgen, denn wenn sie kämen, würde ich ihnen sagen, dass er von mir angeheuert worden wäre. Sie sagten mehrere Stunden lang immer wieder nein. Dann gaben sie nach. Der Leiter des Basislagers erteilte mir keine Erlaubnis, dem Tibeter zu helfen, aber ich tat es einfach. Ich holte ihn aus der Toilette und brachte ihn zum Küchenzelt, wir gingen geradewegs an ein paar Soldaten vorbei. Ich setzte einen Hut auf seinen Kopf und legte meinen Arm um ihn, damit es ganz natürlich aussah, so als ob ich etwas mit ihm diskutieren würde. Ich erwärmte etwas Milch mit ein paar Cornflakes und 14 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T fügte noch Flüssigkeit hinzu, damit er genug Energie bekam, um es über den Pass zu schaffen. Ich gab ihm soviel zu essen, wie ich nur konnte. Der Leiter des Basislagers und ein paar der Küchenjungen sagten mir, dass ich sehr vorsichtig sein müsse, denn sie hatten gehört, dass die Chinesen mindestens zwei der Tibeter [aus der Gruppe] vermissten und sie suchten. Ich gab ihm warme Kleidung, da er zitterte, und nachdem er sie angezogen hatte, wurde ihm wärmer, aber er wusste nicht wie er sagen sollte, dass es ihm nun nicht mehr kalt war. Er zeigte mir, indem er sich schüttelte, als ob er fröre, und dann wieder damit aufhörte. Es war ungefähr morgens um 2.30 Uhr, es war dunkel und keine Soldaten oder Bergsteiger waren zu sehen. Wir standen uns gegenüber und sahen uns an. Dann senkte er den Blick, offensichtlich um in sich zu gehen. Wahrscheinlich dachte er, dass er nun wirklich gehen muss, und zwar gleich, weil es noch dunkel war. Wenn man sieht, wie die eigenen Freunde bei der Überquerung des Gletschers niedergeschossen werden, denkt man wahrscheinlich, dass man das gleiche Schicksal hat. Ich gab ihm einen Klaps auf seinen Rücken und zeigte ihm den kürzesten Weg über den Gletscher und sagte, dass Gott mit ihm sein wird.“ Der Tibeter, ein 27 Jahre alter Bauer aus Kardze in Sichuan (Kham) gelangte sicher nach Nepal und besucht jetzt eine tibetische Exilschule in Indien. Er erklärte ICT, warum er hinter den Rest der Gruppe zurückgefallen war, bevor er Zuflucht im Basislager suchte. Er hätte das Weinen eines Kindes aus seiner Heimatregion gehört und war zurückgegangen, um nach dem Kind zu sehen. Er wisse nicht, wo das Kind nun sei. In seinem Bericht verweist er auf folgende Gründe für seine Flucht aus Tibet: „Als Kind ging ich sechs Jahre lang zur Schule, aber danach konnte ich meine Ausbildung nicht fortsetzen, denn ich hätte auf die Distriktschule gehen müssen. Stattdessen half ich meinen Eltern auf den Feldern und sammelte je nach Jahreszeit Yartsa Gunbu (Raupenpilze) als zusätzliche Einnahmequelle.31 Anfangs wollte ich mit einem chinesischen Pass nach Nepal gehen, aber als ich einen Pass beantragte, wurde mir mitgeteilt, dass erst nach Beendigung der Spiele Chinas und der westlichen Länder [dies ist wahrscheinlich eine Bezugnahme auf die Olympischen Spiele, aber das konnte nicht bestätigt werden] möglich wäre, einen Pass zu erhalten. So entschloss ich mich zur Flucht. Ich bin ein überzeugter Anhänger Seiner Heiligkeit des Dalai Lama. Nicht nur ich, sondern die Mehrzahl der Tibeter in meinem Gebiet wollen von ihm empfangen werden. Die Bewohner meiner Heimatregion haben besondere Gebete für ein langes Leben des Dalai Lama organisiert.32 Es ist traurig, dass diese [Tibeter die] nicht den Weg nach Nepal nehmen konnten und dass auch jene, die von den Chinesen verhaftet wurden, den Dalai Lama nicht besuchen können, was doch ihr Traum und größter Wunsch ist. Ich würde mich so gerne weiterbilden. Ich fühle, dass eine moderne Erziehung in der heutigen Zeit essentiell ist. Ich möchte an der tibetischen Transitschule [in der Nähe Dharamsalas, Indien] lernen. „Ich möchte dem Bergsteiger danken, der mein Leben am Nangpa-La rettete. Ich finde keine Worte, um meine Dankbarkeit allen gegenüber auszudrücken, die mir geholfen haben, mich an einem sicheren Platz zu verstecken, wo die Armee mich weder sehen noch gefangen nehmen konnte.“ I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 15 kennengelernt. Einige von ihnen hatten 5.000 Yuan (US $ 644) an den Führer bezahlt, andere 4.500 Yuan (US $ 580), wieder andere nur 3.500 Yuan (US $ 451). Ich hatte 4.000 Yuan (US $ 515) bezahlt. Es hieß, dass der Führer für die Begleitung von Kindern von den Eltern etwas mehr verlangte, weil er sich auf dem Weg um die Kinder kümmern musste. Als wir Lhasa auf unserer Reise zur Grenze verließen, war es bereits dunkel. Nach einigen Stunden stiegen wir aus dem Lastwagen und gingen zu Fuß weiter, wie uns der Führer gesagt hatte. Er teilte uns mit, dass es vier bis fünf Tage dauern würde, bis wir Nepal zu Fuß erreichen würden. Das stimmte aber nicht.35 Manchmal rasteten wir in der Nacht und reisten bei Tage weiter, aber ein anderes Mal gingen wir erst nach Einbruch der Dunkelheit weiter, weil der Führer uns gesagt hatte, dass die Armeelager in der Nähe wären. Wir hatten oft Durst, weil wir nicht einen Tropfen Wasser zu trinken hatten. Wir hatten Lhasa am 18. September verlassen und erreichten den Nangpa-Pass am 30. September. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir fast unseren ganzen Proviant aufgebraucht, und es war nur noch ein bisschen Tsampa [traditionelles tibetisches Essen] übrig. Wir mussten uns irgendwo während des Tages vor der Überquerung des Passes verstecken, und so kochten wir etwas Wasser und fügten dann etwas Tsampa hinzu und teilten es dann mit den anderen. Drei junge Nonnen, Überlebende des Vorfalls am Nangpa-Pass. Sie alle waren mit der verstorbenen Nonne Kelsang Namtso befreundet. Jetzt leben sie in Indien. (Foto: Jonathan Green) WIE ICH DIE SCHÜSSE AM NANGPA-PASS ÜBERLEBTE Eine Nonne Anfang zwanzig aus Zentraltibet gab ICT folgenden Bericht über ihre Flucht nach den Schüssen am Nangpa-Pass ab. Sie schildert darin unter anderem, wie sie den Leichnam Kelsang Namtsos vorfand. Ihr Name und weitere persönliche Angaben wurden geändert. „Ich beschloss Tibet zu verlassen, weil ich seine Heiligkeit den Dalai Lama besuchen wollte und ich, als ich in Tibet war, niemals die Chance hatte, zur Schule zu gehen als ich klein war, weil es bei uns keine Schule gab. Ich stamme aus einer Bauernfamilie. Deshalb wollte ich mir etwas Bildung aneignen. Ich habe nicht versucht einen chinesischen Pass zu bekommen, bevor ich das Land verließ, denn selbst wenn ich es versucht hätte, hätte ich keinen bekommen. In meinem Gebiet gibt es nur ein paar Tibeter, die nach Indien gereist sind, aber keiner von ihnen hatte einen Pass besessen. Ich traf unseren Führer kurz bevor wir Lhasa verließen, als wir im Lastwagen saßen. Der Führer sagte mir, dass nur 45 Personen nach Indien reisen würden, und als ich den Lastwagen erreichte, hatte ich nicht mehr die Zeit die Anwesenden zu zählen. Später erfuhr ich, dass wir insgesamt 75 Personen in dieser Gruppe waren.33 Ich reiste mit der Tochter unseres Nachbarn, Tenzin,34 da mich deren Mutter gebeten hatte, sie mitzunehmen. Später habe ich noch andere aus der Gruppe 16 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Früh am Morgen des 30. September waren wir in der Nähe des Bergsteigerlagers.36 Unsere Gruppe hatte sich aufgeteilt, weil uns der Führer gewarnt hatte, dass in diesem Gebiet chinesische Soldaten seien, und deshalb mussten wir eine andere Route nehmen, die aufgrund der steilen Felsen wirklich gefährlich war. Wir hörten über uns einige rufen, dass sie uns verloren hätten, und der Führer ging, um sie zu suchen und zurückzubringen. Ungefähr 20 Personen waren vermisst. Nach einiger Zeit kam der Führer alleine zurück und sagte, dass er überall gesucht hätte, sie aber nicht finden konnte und deshalb annahm, man hätte sie gefangengenommen.37 Er sagte, dass wir so schnell wie wir nur konnten gehen sollten, sonst würden uns die Soldaten folgen, weil sie wüssten, dass wir hier irgendwo sein müssten. So gingen wir so schnell wir konnten Richtung Pass und da sahen wir dann den Schnee und die Zelte der westlichen Bergsteiger. Einige aus der Gruppe gingen in Richtung der Zelte, um die Bergsteiger um etwas Essen zu bitten, und einige Ausländer gaben ihnen Kekse und Süßigkeiten. Während wir aßen, eilte der Führer herbei und sagte zu uns ‘los, rennt weg, die Soldaten kommen.’ Und dann sah ich ein paar Soldaten. Wir rannten alle in verschiedene Richtungen. Ich war in der Mitte der Reihe und Tenzin kam gleich hinter mir. Ich sagte ihr, dass sie so schnell sie könne laufen und ihren Rucksack wegwerfen solle. Erst wollte Tenzin das nicht, weil sie sagte, dass sie dann keine Kleidung mehr zum Wechseln hätte, was nicht stimmte. Dann wurden wir am Ende zurückgelassen und es schien, als kämen die Soldaten näher, und ich konnte das Pfeifen der Gewehrkugeln hören. Ich hatte Angst, und wir rannten überall hin, manchmal gingen wir auf allen Vieren. Ich musste noch den zwei Mädchen helfen, die bei mir waren und zog sie hoch und sagte, sie sollen rennen.38 Ich sah den Mann aus Kardze, der später von den Soldaten gefangengenommen wurde,39 und schrie ihm zu, er solle rennen, aber er sagte, er könne nicht. Er sagte, I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 17 und man konnte sehen, wie das helle rote Blut in den weißen Schnee floss. Wir folgten dann weiter dem Hauptpfad, den die Gruppe früher genommen hatte als sie vor den Soldaten floh und es geschafft hatte, die Grenze zu überschreiten. Wir folgten ihren Fußspuren im tiefen Schnee; wir hatten Angst, wir könnten erfrieren und in der Nacht sterben. Ich trug eine kleine Tasche bei mir, in die ich einige verschiedene Chakne [Gerstenkörner, die durch einen Lama gesegnet worden sind] gepackt hatte, die ich von verschiedenen Klöstern bekommen hatte. Ansonsten hatte keiner von uns etwas zu essen dabei, denn wir hatten alles, was wir mit uns trugen, weggeworfen, als die Schüsse losgingen. Zum Glück aßen wir ein paar Stück Chakne, was uns half, Kräfte zu gewinnen und als wir wieder ein wenig Energie hatten, konnten wir langsam ein paar Schritte weitergehen, fühlten uns dann aber schwindlig und fielen fast hin. Wir haben auch versucht, den Schnee zu essen. Wir wollten stehenbleiben und uns dann hinlegen, aber wir wussten, dass wir dann gestorben wären, weil es schrecklich kalt war. Die Bewaffnete Volkspolizei bringt eine am Nangpa-Pass festgenommene Gruppe von Tibetern in dieses Zelt, in dem sie bis zum Weitertransport aus dem vorgeschobenen Basislager warten müssen. Eine rote chinesische Fahne weht über dem Zelt (hier nicht sichtbar). (Foto: Pavle Kozjek) wir sollten uns beeilen und nicht stehenbleiben. Als ich mich umsah, saß der Kardze-Mann auf einem Fels nahe der Straße und die Soldaten gingen zu ihm. Ich denke, er hatte zu dieser Zeit bereits eine Schussverletzung am Bein und saß deshalb auf einem Fels und rührte sich nicht, bis die Soldaten bei ihm waren. Wir rannten von der Gruppe weg zu einem kleinen Hügel, der Schnee bedeckt war und nur wenig entfernt von dem Hauptpfad lag, der über den Pass führt. Wir konnten uns dort bis zum Nachmittag verstecken, so ungefähr fünf Stunden lang. Erst da stellte ich fest, dass eine Kugel mein Hosenbein durchdrungen hatte, man kann das Loch in meinem Hosenbein sehen. Ich hatte etwas Warmes an meinem Bein gefühlt, daran erinnerte ich mich, und später stellte ich fest, dass die Kugel durch meine Hose gegangen war. Aber ich hatte keine Verletzung, nicht einmal einen Kratzer. Und später, als die Soldaten nicht mehr zu schießen schienen, kamen wir zurück auf den Pfad und sahen die tote Nonne. Wir überprüften, ob sie tot war, oder nicht, aber sie war schon tot. Wenn sie die Chance gehabt hätte, noch 15 Minuten weiter zu gehen, hätte sie die Grenze passieren können, aber sie wurde dort erschossen. Ich versuchte, ihren rechten Arm zu heben, und sah, dass die Brust voller Blut war, 18 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Wir gingen weiter, aber wir wussten nicht, wo wir waren. Wenn wir eine Rast machten, konnten wir unsere Füße nicht mehr spüren. Bei Tagesanbruch sahen wir einige Fußspuren auf dem Pfad und folgten ihnen. Nach einiger Zeit erreichten wir die Stelle, an der kein Schnee mehr war. Endlich hatten wir einen kleinen Teestand erreicht, und dort war auch der Rest der Gruppe. Einige von ihnen waren schneeblind und konnten nicht mehr laufen, so dass die anderen, die Sonnenbrillen trugen, sie führten. Nur zwei Kinder aus der Gruppe hatten die Reise gemacht, das jüngste war ein sieben Jahre altes Mädchen. Unser Führer hatte die Leute auf dem Weg gezählt, bevor die Schüsse fielen und sagte, dass es 15 Kinder gewesen waren. Ich kenne ihre wirklichen Namen nicht, aber einige von ihnen hatten Spitznamen wie Shamomo (Fleischmomo — ein tibetischer Kloß), Shogkhog momo (Kartoffelkloß), Thukpa Bagthuk (eine tibetische Suppe mit Mehlklößen) sowie ein Kind mit geschorenem Haupt, dessen Spitzname Martang war (Lederbeutel, in den Butter eingenäht ist). Ich weiß nicht, was aus diesen Kindern geworden ist.“40 EIN TRAUM VOM DALAI LAMA Ein Mönch in den Dreißigern aus Kongpo in der Tibetischen Autonomen Region (TAR) berichtete ICT folgendes über seine Flucht nach den Schüssen und über seine Ankunft im Exil: „Wir brachen bei Nacht auf und wurden zu einem Lastwagen gebracht, der irgendwo in einer verlassenen Gegend nahe einem Berg geparkt hatte. Ich weiß nicht genau, wie viele Leute es waren, aber später wurde mir gesagt, dass es insgesamt 77 in unserer Gruppe waren. Der Führer sagte, dass wir ungefähr 13 Leute wären – und der Führer sagte auch, dass es nur ungefähr zehn Tage von Tibet nach Nepal dauern würde, weshalb ich Proviant für nur zehn Tage mitnahm. Vielen der Gruppe war gesagt worden, dass es nicht mehr als zwei Tage dauern würde. Deshalb hatten sie Proviant für nur zwei Tage vorbereitet. So hatten wir für den größten Teil des Weges nicht genug zu essen. Die Reise dauerte 22 Tage. I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 19 Als wir am Pass ankamen, sahen wir die Zelte der Bergsteiger. Ich hatte diese Zelte bereits in einem Buch gesehen, als ich in Tibet war, aber da ich aus einer ländlichen Gegend komme, hatte ich so etwas noch nie zuvor gesehen. Ich wusste bis dahin nicht, dass so viele Leute in dem Lager waren und dass sie aus verschiedenen Ländern kamen. Ich dachte, sie kämen alles aus den USA, denn als ich in Tibet war, dachte ich, wenn ich einen Ausländer sah, dass er oder sie aus den USA kommen müsste. An der Spitze des Passes konnten wir aus einer Entfernung einige Leute sehen, eine Gruppe von ungefähr fünf Personen kam auf uns zu. Aber wir konnten nicht ausmachen, ob sie zu uns gehörten oder Soldaten waren. Manchmal sahen sie wie Mönche aus, weil sie lange Armeemäntel trugen (chinesisch: Dayi, ein gefütterter Wintermantel). Als wir näher kamen erkannten wir, dass es sich um Militär handelte. Die Leute schrien und rannten los. Ich ging zurück, um die Kinder zu holen, aber es war zu spät, ich sah, dass beide bereits gefangengenommen waren.41 Als ich losrannte, konnte ich sehen, dass die Nonnen vor mir den Berg hochkletterten. Dann begannen die Soldaten zu schießen. Und dann hörte ich einen Soldaten „Thama de“ (tibetisch, wörtlich: „Fick deine Mutter“) schreien. Tatsächlich waren die Soldaten sehr nahe bei mir, als ich sie sah. Ich dachte, es wären nur noch 30 Schritte zwischen mir und den Soldaten. Ich versuchte wegzulaufen, aber ich konnte nicht, weil ich zu erschöpft und ausgehungert war und außerdem mein ganzes Gepäck auf dem Rücken trug. Ich versuchte, das Gepäck wegzuwerfen, aber ich hatte es sehr fest um meine Schultern gebunden, wie das die Leute in meiner Heimat Kongpo machen, wenn sie auf eine lange Reise gehen, so dass es nicht einfach war, es loszuwerden. Ich hörte nur das Geräusch von Gewehren und Kugeln, das immer näher kam, und manchmal schlugen kurz vor meinen Füßen Gewehrkugeln ein. Ich fühlte mich verloren und wusste nicht, was ich tun sollte. Plötzlich dachte ich an seine Heiligkeit den Dalai Lama. Als ich in Tibet war, hatte ich ihn nie ‘˜Gyalwa Rinpoche’ (lit. der Siegreiche, der Wertvolle, der Dalai Lama) oder ‘gyawa tenzin gyatso“ [Tenzin Gyatso der Siegreiche) genannt und die meisten Leute würden ihn „tham cad khyenpa“ [Allwissender] nennen, aber an diesem Tag sagte ich mir, dass ich ihn „tham cad khyenpa“ [Allwissender] nennen und um Hilfe zu ihm beten sollte. Und sofort begann ich seinen Namen anzurufen und zu ihm zu beten, dann kehrte meine Stärke zurück, ich fühlte wie meine Füße leicht wurden und ich ganz normal laufen konnte. Jedermann rannte hierhin und dorthin. Einige von ihnen kletterten den Berg hinunter und andere den Berg hinauf. Ich sah sie nicht, aber ich hörte, dass jemand schrie, sie wäre erschossen worden.42 Ein Mädchen in unserer Gruppe sagte, dass sie gehört hätte, dass ein tibetischer Soldat etwas auf Tibetisch schrie wie ‘Pharo Sa. Da khyoetso bod danga’ [esse den Körper deines Vaters und dann will ich sehen, wie du rennen kannst!] als er schoss. Nachdem wir sicheres nepalesisches Gebiet erreicht hatten, zählte ich unsere Gruppe und stellte fest, dass es 37 Personen über die Grenze geschafft hatten. Aber dann kamen später noch weitere Leute alleine und am Ende waren es 41 Personen, die das tibetische Flüchtlingsaufnahmzentrum erreicht hatten.43 20 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Als wir durch Nepal zogen, dachten wir, dass das Aufnahmezentrum nahe sei, aber wir gingen sehr lange und konnten es nicht finden, deshalb war ich besorgt, ich könnte Seine Heiligkeit niemals sehen. Wir trafen einen alten Mann auf unserem Weg, der ein Bild Seiner Heiligkeit mit sich trug. Als ich das Bild sah, war ich schockiert, und mein erster Gedanke war, dass es nicht echt sei. Ich bat den alten Mann, mir das Foto zu geben, aber er tat es nicht. Ich verließ Tibet in erster Linie, weil ich Seine Heiligkeit den Dalai Lama besuchen wollte, und zum zweiten, weil ich eine ordentliche buddhistische Erziehung in einem der Klöster in Südindien erhalten wollte, um ein guter Mönch zu werden. Ich hätte als Mönch auch in Tibet bleiben können, aber ich ärgerte mich immer über die chinesischen Behörden, als ich im Kloster in Tibet war. Sie kommen immer ins Kloster und sagen, dass alle Mönche Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama abschwören und ihn kritisieren müssen, und sie betrachten Seine Heiligkeit als ihren Feind. Sie Yakherden sind gut ausgerüstet und es sagten auch, dass die Mönche im gewohnt, in der Höhe zu übernachten, wenn Kloster sehr eifrig die „patriotis- sie die Grenze überschreiten. Das gilt nicht für che Erziehung“ studieren sollten, tibetische Flüchtlinge. Yakhirten helfen den und die Mönche mussten sagen, tibetischen Flüchtlingen, die nach Namche ‘Tibet ist ein Teil Chinas’ und so Bazaar wollen, oft mit Essen, einer Unterkunft weiter. Als ich klein war, hatte oder nur einer Tasse Tee. (Foto: ICT) ich mir immer gesagt, dass ich nach Indien gehen werde, um von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama gesegnet zu werden, und ich träumte auch zweimal von Seiner Heiligkeit und in meinen Träumen saß Seine Heiligkeit auf seinem Thron, aber dieses Mal als ich bei ihm Audienz hatte, saß er auf einem Stuhl.“44 Die Gruppe vom Nangpa-Pass ist in vieler Hinsicht typisch für eine tibetische Flüchtlingsgruppe. Kelsang Namtso, die bei den Schüssen auf dem Nangpa-Pass am 30. September starb, besuchte nie eine Schule und wurde erst vor einem Jahr, im Alter von 16, zur Nonne ordiniert. In ihrer Heimat gab es keine Klöster, in denen sie eine religiöse Ausbildung hätte erhalten können. Obwohl ein Kloster in den letzten Jahren in ihrem Heimatbezirk mit Geldern örtlicher Mönche errichtet worden war, hat die Regierung dort keine buddhistische Erziehung oder Praktiken erlaubt — das Gebäude verwaist. Kelsang Namtso verließ Tibet, um den Segen des Dalai Lama zu empfangen und im Dolma Ling Kloster in Indien zu studieren. I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 21 Ihre beste Freundin, eine 16-jährige Nonne, die Dolma heißt und Indien mittlerweile erreicht hat, sagte ICT, dass Kelsang Namtso eine starke, ernsthafte junge Frau gewesen sei, die ihrer religiöse Berufung gegen den Wunsch ihrer Eltern folgen wollte. Ihre Eltern seien arm und wollten, dass sie auf dem Land arbeitet. „Sie war die einzige Tochter der Familie mit fünf Söhnen und ihre Mutter wollte nicht, dass sie eine Nonne wird, da sie das einzige Mädchen war. Sie sagte, dass sie ihr helfen müsse. Aber sie [Kelsang Namtso] war überzeugt davon, Nonne zu werden und las viele Texte. Es war ihr Traum, ins Dolma Ling Kloster zu kommen und den Dalai Lama zu sehen.“ Als sie gefragt wurde, warum Kelsang Namtso so entschieden Nonne werden wollte, sagte Dolma ICT: „Sie würde sagen, dass dieses Lebensrad voll von Elend ist. Wenn man sein Leben dafür geben kann, Leistungen anzuhäufen, dann ist eine Wiedergeburt möglich. Man kann seine Zeit dazu nutzen, ein guter Mensch zu sein. Sie legte immer Wert darauf.“ Dolma fügte hinzu, dass Kelsang Namtso Angst hatte, bevor sie den Nangpa-Pass überquerte, sie war immer besorgt um das Wohl ihrer Freunde: „Sie weinte [bevor sie den Pass bestieg] weil sie dachte, dass wir vielleicht Probleme in den Bergen haben könnten, aber auch weil wir schon so lange gingen und alle Kopfweh hatten.“ Zwei weitere Mönche aus der Gruppe aus Kongpo [chinesisch: Gongbo, in der TAR] sagten ICT, dass sie Tibet verlassen hatten, weil die Beamten in ihrer Stadt eine Kampagne zur „patriotischen Umerziehung“ in ihrem Kloster durchführen wollten. Sie hatten Angst davor, den Dalai Lama diffamieren zu müssen. In der Gruppe der 43 befanden sich auch viele Bauern und Nomaden. Viele von ihnen berichteten ICT, dass es ihnen nicht möglich war, eine Ausbildung zu erhalten. Ein Bauer meinte: „Die Chinesen sagen, dass sie Straßen und Eisenbahnen bauen, um den Tibetern etwas Gutes zu tun. Aber diese Infrastrukturprojekte sind für chinesische Siedler, die in den Städten leben und nicht für tibetische Nomaden und Farmer auf dem Land.“ Kelsang Namtso war eine der sieben Nonnen in der Gruppe, auf die geschossen wurde. Die sechs Nonnen, die überlebt hatten, berichteten ICT, dass sie geflohen waren, um den Dalai Lama zu sehen und eine ordentliche Aubildung zu erhalten. Eine bemerkte, dass besonders deswegen Verzweiflung in Tibet herrsche, weil die lokalen Kader einer Frau nur dann offiziell erlaubten Nonne zu werden, wenn sie sich vom Dalai Lama distanzierten. Sie sagte: „Das zu tun, wäre jenseits unserer Vorstellung“. Sie fügte hinzu, dass die „patriotische Umerziehung“ von ortsansässigen Beamten in Schulen und religiösen Institutionen in ihrer Region in der Nagchu Präfektur (chinesisch: Nagu) etwa drei Mal im Jahr durchgeführt würden. Es befanden sich ferner sechs Mönche in der Gruppe. Einer von ihnen, der aus der gleichen Gegend wie die Nonnen in Nagchu kam, sagte ICT, dass er vor mehr als zehn Jahren im Alter von zwölf Mönch wurde. Er erklärte, dass er hauptsächlich deswegen geflüchtet sei, um den Dalai Lama zu sehen und um eine Ausbildung in einem Kloster zu erhalten. Ähnlich wie der Großteil der Gruppe der 43, die in Kathmandu kurz nach den Schüssen ankam, hat auch er keine Ausbildung in Tibet erhalten. „Heutzutage werden die Kinder in den Schulen nicht auf Tibetisch ausgebildet, sagte er. „Wenn die Prüfungen kommen, fallen die meisten tibetischen Schüler durch und nur die chinesischen Schüler haben die Möglichkeit, auf eine bessere Schule zu gehen, weil alle Tests auf Chinesisch sind.“45 Es ist wahr, dass wenn ein Tibeter in der tibetischen Universität [in Lhasa] seinen Abschluss macht, er immer noch einen guten Job bekommen und sogar der Leiter eines Landkreises werden kann, aber das wird mit der hohen Zahl chinesischer Zuwanderer, die nach Tibet ziehen, immer schwieriger. Sie sind die Personen mit den besseren Jobaussichten. Aus diesem Grund kann es auch sein, dass man mit einem Abschluss an der Tibet-Universität [in Lhasa] Lehrer auf dem Land wird.“ 22 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 23 DER VORFALL AM NANGPA-PASS WIRD BEKANNT Ein Bericht von einem amerikanischen Bergsteiger über die Schüsse am NangpaPass wurde zuerst auf ExplorersWeb (www.mounteverest.net) veröffentlicht, einer Website, die nach eigener Aussage unabhängig und nicht gewerblich Hinweise und Nachrichten über Bergsteigen, Segeltouren und Polartreks anbietet.46 ICT erhielt gleichlautende Berichte direkt von einem amerikanischen Bergsteiger auf dem Cho Oyu und ging diesen Berichten nach, indem andere Bergsteiger befragt wurden, als sie aus Tibet kommend in Nepal eintrafen. Aber auch die meisten Tibeter in der Gruppe, die unter Beschuss waren, wurden befragt. Alle ausländischen Bergsteiger, die darin verwickelt waren, waren zurückhaltend in ihren Aussagen, solange sie sich auf chinesischem Gebiet befanden. Der amerikanische Bergsteiger, der die Informationen weitergegeben hatte, sagte ICT: „Das ist nicht schwer zu verstehen, nachdem Bergsteigen heutzutage ein großes Geschäft geworden ist, dass man in China nicht viel Aufhebens machen will, denn wenn man die Erlaubnis für den Zugang zu einem der höchsten Berge verliert, ist das ein bedeutender Einnahmeverlust für die meisten kommerziellen Ausrüster, ganz zu schweigen, dass sich Schüsse in einer Brochüre nicht so gut machen.“ Der Bergsteiger fügte hinzu, dass ihm von Kameraden gesagt wurde, es wäre dumm von ihm, zu berichten, was geschehen war. Andere Bergsteiger sagten, dass sie nicht unter Druck gesetzt worden waren, nicht über das Geschehene zu sprechen:47 zwei berichteten der Zeitschrift „The Alpinist“ dass ihr Ausrüster ihnen riet nach ihrem Gewissen zu handeln und dass sie sich nicht über die Auswirkungen auf sein Geschäft kümmern müssten. Es ist bemerkenswert, dass zwei Bergsteiger offen über den Vorfall sprachen, während sie sich selbst noch auf chinesischem Gebiet befanden.48 Alle anderen von ICT befragten Bergsteiger sagten, dass sie entweder danach in Nepal waren oder gerade auf dem Weg nach Hause. Einige Bergsteiger sagten, dass sie nur anonym aussagen würden, weil sie sich um ihr Personal sorgten, das noch in Nepal oder Tibet sei, oder fürchteten, dass sie nie wieder eine Erlaubnis bekämen, in Tibet Berge zu besteigen. Einige meinten, dass sie auch Monate später noch sehr verstört aufgrund der Dinge waren, die sie gesehen hatten: „Die Schüsse verfolgen mich immer noch jeden Tag“, sagte einer von ihnen ICT im Januar 2007. Am 13. Oktober 2006, nachdem das Videomaterial zur besten Sendezeit in der ganzen Welt gesehen worden war, gaben die chinesischen Behörden ihre offizielle Version der Vorfälle auf dem Pass zur Kenntnis. China sagte, dass Grenzsoldaten versucht hätten, eine Gruppe von tibetischen „blinden Passagieren“ zu überreden, doch wieder nach Hause zu gehen, aber die Tibeter hätten sich geweigert und die „Soldaten angegriffen“, woraufhin diese „gezwungen waren, sich selbst zu verteidigen“. (People’s Daily, 13. Oktober und Xinhua, 12. Oktober). Der offizielle chinesische Bericht gibt einen Todesfall zu, sagt aber, dass es sich um die Folgen von Höhenkrankheit handle. Am gleichen Tag, an dem dieser offizielle Bericht herausgegeben wurde, stritt der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Liu Jianchao ab, etwas von dem Zwischenfall zu wissen. Bei seiner Rückkehr nach Bukarest wurde der rumänische Kameramann Sergiu Matei am Flughafen von Kollegen des Fernsehsenders ProTV empfangen, für den er arbeitet. Seine Aufzeichnungen wurden auf einige Minuten gekürzt und weltweit gesendet – sie widerlegen die offizielle chinesische Version der Ereignisse deutlich.50 Mateis Videomaterial zeigt unmissverständlich, dass die Tibeter, die unter Beschuss genommen worden waren, den Soldaten den Rücken zugekehrt hatten, unbewaffnet waren und keinerlei Widerstand leisteten. Die Augenzeugen und Tibeter in der Gruppe, die von ICT befragt worden waren, bestätigten, dass es gar keine Möglichkeit gegeben hätte, die Soldaten ‘anzugreifen’, bevor diese das Feuer eröffneten. Trotz der Beweise hatten die chinesischen Behörden bis zum Ende 2006 ihre Behauptungen nicht korrigiert.51 Mindestens vier Bergsteiger, die vom Cho Oyu zurückkehrt und von ICT befragt worden waren, wurden in ihrem Hotel in Kathmandu von der chinesischen Botschaft aufgespürt, nachdem sie nach Hause zurückgekehrt waren. Beamte der Botschaft hatten Treffen mit ihnen angefragt, die sie aber nicht bewilligten. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums stritt den Vorgang in einem Interview mit BBC ab. Es ist bemerkenswert, dass die Bergsteiger, die als erste eine Aussage machten, aus ehemals kommunistischen Ländern stammten. Zwei tschechische Bergsteiger schrieben ICT, nachdem sie vom Cho Oyu nach Nepal zurückgekehrt waren: „Wir hatten das Gefühl, in die Zeit von vor zwanzig Jahren zurückversetzt zu sein, als in unserem Land ein strenges kommunistisches System herrschte und tschechische Soldaten tschechische Bürger töteten, die dem ‘Eisernen Vorhang’ entkommen wollten.“49 24 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Ein verletzter junger Tibter wird von Bewaffneter Volkspolizei durch das Bergsteigerlager am Cho Oyu geführt. (Foto: Britischer Bergsteiger) I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 25 INTERNATIONALE REAKTIONEN AUF DIE SCHÜSSE AM NANGPA-PASS DIE SCHÜSSE VOM NANGPA-PASS: FOLGEN UND ANDERE FÄLLE Am 12. Oktober 2006 übergab der US-amerikanische Botschafter Clark Randt in Peking eine Demarche an China (offizielle diplomatische Beschwerde). Auch die Europäische Union sandte im Dezember eine Demarche an China in Bezug auf die Menschenrechtssituation, die auch auf die Nangpa-Schüsse einging. Dass auf tibetische Flüchtlinge, die aus Tibet nach Nepal fliehen, auf beiden Seiten der chinesischen und nepalesischen Seite geschossen wird, war schon zuvor der Fall. Der Vorfall am Nangpa-Pass aber ist der erste Fall, der sich vor einer großen Zahl internationaler Augenzeugen ereignete und filmisch dokumentiert wurde. Die EU zeigte sich besonders besorgt über die Situation der verhafteten Kinder. Die Schüsse wurden während des Menschenrechtsdialogs der EU mit China in Beijing am 19. Oktober zur Sprache gebracht, wobei Finnland die Rats-Präsidentschaft innehatte. Die EU zeigte sich über die mangelnde Reaktion der chinesischen Seite während des Dialogs enttäuscht.52 Nach den Schüssen in den Wintermonaten des Jahres 2006, verließen weniger Tibeter Tibet auf dieser Route, um nach Nepal zu kommen. Laut verlässlichen Quellen scheinen mehr Tibeter alternative Strecken zu wählen. Eine Nonne, die Ende 2006 ins Exil flüchtete, berichtete ICT: „Eine Freundin sagte mir, dass ihre Eltern ihr geraten hätten, nicht davon zu laufen, wenn chinesische Soldaten sie oder ihre Gruppe sie während der Flucht festnehmen wollten. Sonst würden sie vielleicht schießen und sie töten, wie Kelsang Namtso.“ Der niederländische Außenminister Bernard Bot war einer von mehreren europäischen Politikern, die ein Statement zu den Schüssen abgaben. Am 19. Oktober sagte er im niederländischen Parlament, dass China die Verantwortlichen für die Schüsse identifizieren und bestrafen solle und er bezeichnete den Videofilm über den Zwischenfall als „schrecklich und sehr erschütternd“. Finnland setzte den Dialog über die Menschenrechte im Dezember 2006 fort und brachte das Thema erneut zur Sprache, indem es die Details hinterfragte. Bei der Drucklegung dieses Berichts wartete die EU immer noch auf eine Antwort aus China auf diese Fragen. Das Thema wurde auch am 18. Oktober im kanadischen Unterhaus besprochen. Auf die Frage, wie man den Vorfall der chinesischen Regierung gegenüber thematisiert habe und welche Maßnahmen ergriffen wurden, damit die festgehaltenen Kinder zurück zu ihren Familien kommen könnten, erklärte Außenminister Peter Mc Kay, dass der „schreckliche Vorfall“ eine „Greultat“ sei. Kanada verurteilt den Gewaltakt gegen unbewaffnete Zivilisten als eine unerhörte Verletzung der Menschenrechte.“ Kanada verlange zudem von China, den Vorfall unabhängig zu untersuchen, die Verantwortlichen zu bestrafen und die festgenommenen tibetischen Kinder sofort freizulassen. Zwei tibetische Nonnen, die kürzlich das Exil erreichten, berichteten, dass sich eine zweite Schießerei im Oktober 2005 in der Nähe der tibetischen Stadt Dingri nahe der Grenze ereignet hatte. Ihren Aussagen gegenüber ICT zufolge war eine Gruppe von ungefähr 50 Tibetern in einem Bus von Lhasa aus gereist und dann während mehrerer Nächte zu Fuß weitergegangen. Als die Gruppe in der Nähe des Nangpa-Passes um ca. sechs Uhr abends ankam, schossen Soldaten, die auf einer nahe gelegenen Militärbasis stationiert waren, auf sie. Eine aus der Gruppe, eine junge Nonne, deren Identität nicht preisgegeben werden soll, sagte: „Die Chinesen feuerten mehrere Gewehrsalven auf uns ab. Wir dachten, sie wollten uns durch Schüsse in die Luft einschüchtern. Aber dann bemerkten wir, dass sie es ernst meinten. Unsere Gruppe stob auseinander und ich habe keine Ahnung, wo die anderen abgeblieben sind, vielleicht gingen sie zurück oder es gelang ihnen zu fliehen. Nachdem einige Zeit geschossen wurde, hielten viele von uns an und 23 von uns wurden von chinesischen Soldaten festgenommen.53 Die Gruppe der Tibeter wurde gefesselt und in Gewahrsam genommen, wo sie mehrere Monate blieb. Die Männer der Gruppe, hauptsächlich Mönche, wurden laut des gleichen Berichts, besonders schwer mit Elektroschockstößen misshandelt. Nachdem sie nach ihrer Freilassung nach Hause geschickt worden waren, gelang es zwei Nonnen der Gruppe später im Jahr 2006 zu fliehen. Ein weiterer Vorfall hatte sich im Oktober 2003 ereignet, als chinesische Grenzsicherheitsbeamte auf eine Gruppe von 34 tibetischen Flüchtlingen, die versucht hatte nach Nepal über den Nangpa La zu gelangen, schossen. Einer der Tibeter aus der Gruppe sagte gegenüber ICT, dass es nur 17 Mitglieder der Gruppe erfolgreich über Nangpa-Pass geschafft hätten, während die anderen von den Sicherheitskräften festgenommen worden wären. Es ist nicht bekannt, ob einer der 17, die die Reise nicht fortsetzen konnten, angeschossen wurde. (Siehe „China Constructs Road Near Nangpa La to Stem Flow of Tibetan Refugees to Nepal“, 3. Dezember 2003, ICT-Bericht unter http://www.savetibet.org/news/newsitem.php?id=552). 26 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 27 GEFÄHRLICHE FLUCHT: POLITIK UND UMGANG MIT TIBETERN, DIE NEPAL ERREICHEN Das UNHCR in Kathmandu hat die Aufgabe, alle neu angekommenen Tibeter in Nepal zu befragen. Mit wenigen Ausnahmen registriert es alle als „persons of concern“, doch erklärt es sich nicht bereit, in Nepal weitergehende Befragungen durchzuführen, die den Status dieser Personen betreffen. Seit 1989 wird Tibetern, die nach Nepal einreisen, nur ein 15-tägiger Transitaufenthalt gewährt. Tibetern wird Essen und eine Übernachtungsmöglichkeit im Tibetischen Flüchtlingsaufnahmezentrum (TRRC) gewährt, das vom UNHCR seit Oktober 2005 in Zusammenarbeit mit dem Lutherischen Weltbund geführt wird. Die indische Botschaft in Kathmandu stellt den neuen Flüchtlingen ein spezielles Einreisedokument (SEP) für Indien aus. Dort kümmert sich die tibetische Zentralverwaltung des Dalai Lama um deren Ansiedlung und schickt sie in Schulen, Klöster oder tibetische Flüchtlingssiedlungen in ganz Indien. Jedem neu angekommenen Flüchtling wird eine Audienz beim Dalai Lama gewährt. Lasten werden im Grenzgebiet zu Nepal einen Gebirgspfad hinab getragen. Die Strecke verläuft entlang der tibetischen Fluchtrouten. 2002 gab es voneinander unabhängige Augenzeugenberichte westlicher Bergsteiger über chinesische Grenzpolizei, die sowohl auf tibetische Flüchtlinge schoss, als auch Flüchtlinge über den Nangpa-Pass bis auf nepalesisches Gebiet verfolgte. Die nepalesische Polizei in Namche Bazaar, dem Haupthandelsort südlich des NangpaPasses, berichtete ICT, dass sie bei den Ermittlungen nach der Grenzübertretung mindestens ein Dutzend Patronenhülsen auf der nepalesischen Seite des Passes eingesammelt hätte. Die nepalesischen Behörden haben das Vorgehen der Chinesen nicht öffentlich missbilligt. Ein Amerikaner, der auf der Südseite des Nangpa-Passes lebt und arbeitet, und der sich im Basislager am Cho Oyu aufgehalten hatte, sagte: „Sherpas und tibetische Händler aus den Grenzdörfern auf beiden Seiten des Passes haben die Erlaubnis, frei zum Zwecke des Handels zu reisen, und diejenigen, die den NangpaPass regelmäßig überschreiten, berichten, dass es für die Bewaffnete Volkspolizei nicht ungewöhnlich ist, Flüchtlinge bis nach Nepal zu verfolgen — aber nie so weit bis zu den eigentlichen Sherpadörfern.“ Bei mindestens zwei Zwischenfällen in den letzten Jahren feuerten chinesische Grenzpatrouillen auf westliche Bergsteiger, auch wenn niemand dabei verletzt wurde. 28 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Die Regierung von Nepal erlaubt Tibetern, die vor dem 31. Dezember 1989 in Nepal Zuflucht gesucht haben, sowie deren ordnungsgemäß registrierten Nachkommen, in Nepal zu bleiben. Tibetische Flüchtlinge, die nach diesem Datum eingereist sind oder noch in Nepal ankommen werden, profitieren normalerweise von einem informellen Abkommen zwischen der Regierung von Nepal und dem UNHCR, das oftmals als ‘Gentlemen’s Agreement’ bezeichnet wird. Dieses Abkommen setzt eine enge Zusammenarbeit der nepalesischen Polizei mit Beamten des UN-Hochkommissariats voraus, damit eine sichere Durchreise der tibetischen Flüchtlinge durch Nepal nach Indien gewährleistet wird. Eine Yakkarawane überquert eine lange Tibeter, die vor 1989 in Nepal Hängebrücke in Khumbu, einige Kilometer von Namche Bazaar, Nepal, entfernt. (Foto: ICT) eingereist sind, sollten einen „Flüchtlingsausweis“ (RC) bekommen, der ihnen erlaubt, in Nepal mit gewissen eingeschränkten Bürgerrechten und limitierter Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes zu bleiben (Tibetern ist es nicht gestattet, Sonderzonen wie z. B. die nepalesisch-tibetischen Grenzregionen zu betreten) und einen gewissen Grad an Sicherheit im Falle von Bedrohung bietet.54 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 29 Das Gentlemen’s Abkommen wird von den nepalesischen Behörden häufig nicht angewandt. Dies führt zu Abschiebungen in den Grenzregionen sowie zur Festnahme von Flüchtlingen, die auf der Durchreise oder in Kathmandu angetroffen wurden. Ihnen werden exorbitante Strafen für den ‘Verstoß’ gegen die nepalesischen Einwanderungsgesetze auferlegt. Der bekannteste Vorfall war eine von der Regierung gebilligte Abschiebung von 18 tibetischen Flüchtlingen, einschließlich zehn Minderjähriger, die am 31. Mai 2003 den chinesischen Behörden in Kathmandu übergeben wurden. Von der Hauptstadt aus hat man sie mehrere Stunden bis zur Grenzstadt Kodari transportiert und dann nach Tibet zurückgeschickt. Einer aus der Gruppe dieser Tibeter, dem es später gelang, ins Exil zu fliehen, berichtete ICT, dass sie alle schwer geschlagen wurden, als sie auf der tibetischen Seite waren, und dass sie während der Haft Zwangsarbeit leisten mussten.5 Nach dem Zwischenfall wuchsen Angst und Besorgnis unter den Neuankömmlingen in Nepal. Als eine Folge des Zwischenfalls vom Mai 2003 zog der USamerikanische Kongress einen 45% 30% Gesetzentwurf zurück, der Geistliche Kinder und Nepal zwei Jahre lang Zollfrei(darunter 3–4% Schüler heit und einen unbeschränkten Nonnen) Zugang zu US-amerikanischen Märkten gewährt hätte. Im August 2003 übermittelte der damalige nepalesische Außenminister Madhu Raman Acharya den Wortlaut einer ‘neu ange5% 20% passten Flüchtlingspolitik’ als Nomaden und Bauern Anhang in einem Brief an die Arbeitslose Senatorin Dianne Feinstein. Es bleibt unklar, ob diese Politik jemals umgesetzt wurde und sie muss vor allem in Nepal selbst bekannt werden, über die Regierungskreise der USA hinaus. FLÜCHTLINGE Es wurden im TRRC im Jahr 2006 weniger Flüchtlinge registriert als noch in den zwei vorhergehenden Jahren. Das TRRC verzeichnete etwas über 2.400 Personen, ungefähr ein Drittel von ihnen waren Kinder unter 1556. Der Großteil kam, wie gewöhnlich, in den Wintermonaten — im November waren es 300, die nach Nepal reisten. In den letzten fünf Jahren kamen Dreiviertel der Flüchtlinge aus den Regionen von Kham und Amdo im östlichen Tibet (die jetzt zu den chinesischen Provinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan gehören). Generell scheint es für Tibeter, die außerhalb der TAR leben, leichter zu sein Pässe zu erhalten, aber im Jahr 2006 musste man über Beziehungen und Geld verfügen, um an die Dokumente zu kommen. 30 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T DAS ABSCHIEBERISIKO Im Jahr 2005 hat ICT über die erhöhten Risiken für in Nepal ankommende Tibeter berichtet, nachdem das UNHCR keine Beobachtungmissionen mehr in die Grenznähe schicken durfte. Im Jahr 2006 unternahm das UNHCR vier Beobachtungsmissionen in heikle Grenzgebiete. Das UNHCR führt diese Missionen Die Thamserku-Gebirgskette (6.623 Meter) aus, um sowohl die Abschiebung funkelt an einem kalten Morgen in der Sonne. tibetischer Flüchtlinge zu verhin- Auf der rechten Seite auf dem Hang über dern, als auch das nepalesische der Stadt befindet sich die Route zum Sicherheitspersonal über die fi- Nangpa-Gletscher. (Foto: ICT) nanziellen Mittel des UNHCR, mit denen tibetischen Flüchtlingen eine Reise von der Grenze zum TRRC außerhalb Kathmandus ermöglicht wird, zu unterrichten. Beamte des UNHCR, die die Grenze in diesem Jahr besuchten, erklärten, dass die nepalesischen Bezirksverwaltungen zur Kenntnis genommen hätten, dass Nepal niemanden zurückweisen darf, obwohl diese Bedenken über Schmuggelaktivitäten äußerten. Nachdem im Jahr 2005 keine Missionen durchgeführt werden konnten und 2006 vier Beobachtungsmissionen stattgefunden haben, ist nun unklar, ob das UNHCR seine Missionen in den Grenzgebieten fortführen oder ob es sie wieder einstellen wird. Grundsätzlich wird es immer schwieriger, in den Grenzregionen Informationen über Abschiebungen zu erhalten. Oft wird über sie nicht berichtet und deshalb sind sie in Kathmandu nicht bekannt. ICT hat am 17. Dezember 2006 einen Fall beobachtet, bei dem sieben Tibeter in ein Grenzfahrzeug in der kleinen nepalesischen Stadt Tatopani, ungefähr 20 Minuten Fahrtzeit von der „Freundschaftsbrücke“, die die Grenze markiert, entfernt, geladen wurden. Der Laster wurde von Sicherheitspersonal in Zivilkleidung, das von der tibetischen Seite der Grenze kam, gefahren. Sie nahmen die Tibeter (vier Frauen und drei Männer) vor vielen Augenzeugen mit über die Brücke auf die tibetische Seite. Eine Tibeterin soll unter 18 Jahre alt gewesen sein. Ein tibetischer Kenner der Verhältnisse in Kathmandu meinte gegenüber ICT: „Man glaubt nun, dass die nepalesische Zuwanderungsbehörde in Liping, Tatopani, damit vollkommen einverstanden ist, dass Chinesen in nepalesisches Territorium eindringen, um ihre eigenen Leute zurückzuholen. Es gibt scheinbar chinesische Informanten auf der nepalesischen Seite, die die Grenzbeamten über Tibeter auf nepalesischem Gebiet in Kenntnis setzen.“ Er sagte außerdem, dass inoffizielle Abschiebungen wie diese öfter vorkommen, als darüber berichtet wird. Auch sei die „Freundschaftsbrücke“ immer noch einer der gefährlichsten Punkte, an denen Tibeter die Grenze nach Nepal überqueren können. I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 31 EINE BEDEUTENDE VERSCHLECHTERUNG: UPDATE ÜBER DIE SCHLIESSUNG TIBETISCHER BÜROS IN KATHMANDU Der wichtigste Umschwung in den letzten Jahren für die politische Situation der Tibeter in Nepal kam im Januar 2005, mit der Aufforderung der nepalesischen Regierung, das Büro des Repräsentanten des Dalai Lamas und das Tibetische Wohlfahrtsbüro (TRWO) in Kathmandu zu schließen. Dieser Entschluss stand offenbar in Zusammenhang mit Chinas Einfluss auf Nepal in Verbindung. Diese Anweisungen kamen nur wenige Tage vor dem Putsch des Königs. Beide Büros waren in Nepal mit dem Wissen der nepalesischen Regierung seit den 60er Jahren tätig. Im ganzen Jahr 2005 drängten Regierungen Nepal dazu, ein anderes tibetisches Büro registrieren zu lassen, das mit dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge zusammenarbeiten und sowohl den 2.500 tibetischen Flüchtlingen, die jedes Jahr über Nepal fliehen, humanitäre Hilfe zukommen lassen, als auch den 20.000 in Nepal lebenden Tibetern soziale Dienste zur Verfügung stellen könne. Im Oktober 2005 registrierte das nepalesische Innenministerium die „Bhota Wohlfahrtsorganisation“, die von einem nepalesischen Bürger tibetischer Abstammung geleitet wird. Bemühungen des nepalesischen Außenministeriums, die Registrierung der Einrichtung zu annullieren, dauerten bis 2006 an und bedingten einen dauerhaft unsicheren Zustand hinsichtlich der Zukunft der Organisation, die für das Wohl der Tibeter in Nepal sehr wichtig wäre. Das tibetische Flüchtlingsaufnahmezentrum (TRRC) in Kathmandu, Nepal. (Foto: Jonathan Green) Ein kleines Touristenflugzeug hebt ab vom Flughafen Lukla, der auf 2.860 Meter im östlichen Nepal liegt. Flüge werden oft annulliert, da sich die Wetterlage in der Gegend schnell ändert. (Foto: ICT). Trotz dieser Verschlechterung verlief die Durchreise von Flüchtlingen in Nepal fast das ganze Jahr 2006 relativ reibungslos, bis die Regierung des Königs die Ausstellung von Ausreisegenehmigungen stoppte. Während dieser Zeit war das TRRC gezwungen, fast 1.000 Tibeter in einer Einrichtung unterzubringen, die normalerweise nur 450 Personen aufnehmen kann. Sonstige Risiken, denen sich die Tibeter ständig ausgesetzt sahen, waren Bedrohungen und Plünderungen durch maoistische oder bewaffnete nepalesische Streitkräfte. Viele Tibeter, die durch die Grenzregionen reisten, wurden von nepalesischen Streitkräften während der Patrouillen in den Grenzgebieten aufgegriffen. In solchen Fällen werden sie häufig bedroht, schlecht behandelt, ihres Geldes und anderer Wertgegenstände beraubt und werden oft misshandelt. Im August 2006 wurde eine Gruppe von fünf Tibetern, einschließlich zweier Mönche nahe Barabise von einem Polizeikontrollposten im Sindhupalchok-Distrikt nahe des „China-Nepal Freundschaft Highway“ aufgegriffen. Man drohte ihnen mit der Abschiebung, falls sie nicht 4.150 Yuan (US $ 535) zahlen würden. I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 33 KALACHAKRA-BELEHRUNG: MEHR TIBETER NUTZTEN NEPAL ALS TRANSITLAND Ende 2005 nahm die Zahl der Tibeter in Nepal zu. Sie kamen, um mit dem Dalai Lama im Januar 2006 das buddhistische Kalachakra zu feiern. Tausende von ihnen, einschließlich 7.000 Tibeter mit chinesischem Pass, reisten durch Nepal, um an dieser wichtigen buddhistischen Zeremonie in Amravati im südindischen Staat Andhra Pradesh teilzunehmen. Mit dem Zustrom der Tibeter stellte die nepalesische Regierung im Oktober 2005 die Ausstellung von Reisedokumenten, die fest ansässige Tibeter und Flüchtlinge aus Bhutan zum Verlassen des Landes benötigen, ein. Im November wurden auch die Ausreisegenehmigungen für tibetische Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Indien waren, gestoppt. Dies führte dazu, dass Hunderte von Tibetern in Nepal festsaßen, das TRRC hoffnungslos überfüllt war und einige Tibeter in Nepal nicht zum Kalachakra nach Indien reisen konnten. Die Wiederaufnahme der Ausstellung von Reisedokumenten, die es ansässigen Tibetern erlaubt, das Land zu verlassen, erfolgte erst im Mai 2006 und die Gewährung der Ausreiseerlaubnisse im Juni 2006.57 Ritueller Rundgang um die Stupa von Amravati, Andhra Pradesh, Indien, wo der Dalai Lama das Kalachakra im Januar 2006 abhielt. (Foto: Claudia Leisinger – www.singer-leisinger.com) 34 Es ist bemerkenswert, dass eine wachsende Zahl von Tibetern, die einen chinesischen Pass besitzen, im Jahr 2005 nach Nepal kam — was wahrscheinlich auf das Kalachakra zurückzuführen ist. Mehr als 8.000 Tibeter waren im Besitz von chinesischen Pässen und reisten, um den Segen des Dalai Lama zu erhalten. Viele Tibeter mit einem chinesischen Pass begaben sich auf religiösen Pilgerreisen nach Nepal oder Indien — die Stupas von Swayambhunath und Boudhanath in Kathmandu mit Namo Boudha, nahe Kathmandu und Lumbini, dem Geburtsort des Buddha, sind die am meisten besuchten heiligen buddhistischen Orte in Nepal.58 In Indien reisen viele tibetische Pilger nach Sarnath in Uttar Pradesh, wo Buddha seine erste Predigt hielt und nach Bodh Gaya in Bihar, wo er die Erleuchtung erlangt haben soll. I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Tibeter beim Kalachakra im Januar 2006. Tausende Tibeter, davon ungefähr 7.000, die einen chinesischen Pass haben, reisten durch Nepal um diese wichtige buddhistische Zeremonie in Amaravati in Südindien im Staat Andhra Pradesh zu feiern. (Foto: ICT) Wie dieser Bericht zeigt, ist einer der Hauptgründe für die Flucht ins Exil der Wunsch, ihrem geistigen Führer, dem Dalai Lama nahe zu sein, der in Dharamsala, in Nordindien lebt. Das kann für die Tibeter auf der Rückkehr nach Tibet allerdings Risiken bergen. Die tibetische Zentralverwaltung (CTA) verlangt von Neuankömmlingen, dass sie einen indischen Visumstempel in ihren Pass eintragen lassen oder über eine Einreisegenehmigung verfügen, die von der indischen Botschaft in Kathmandu ausgestellt wird, wenn sie an einer Audienz mit dem Dalai Lama teilnehmen. Die CTA versucht so, den Zustrom der Tibeter nach Indien zu legalisieren und neuen Flüchtlingen zu helfen, eine Aufenthaltsgenehmigung in Indien zu erhalten. Dennoch kann ein indischer Visumstempel bei der Rückkehr nach Tibet zu Schikane und eventuell zu Inhaftierung durch chinesische Sicherheitsbeamte führen. ICT sind Berichte von Tibetern bekannt, deren Pässe nach ihrer Rückkehr von einer Indienreise beschlagnahmt wurden. Ein Tibeter in Kathmandu erklärte ICT „Es ist ein besonderes Bedürfnis der Tibeter, die ins Exil kommen, eine Pilgerreise zu unternehmen oder den Dalai Lama zu sehen.“ I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 35 eine junge tibetische Gruppe von unter 16-Jährigen, aufgrund von Hinweisen durch Spitzel aufgegriffen, noch bevor sie Nepal erreichte. FOLGEN VON FESTNAHME UND INHAFTIERUNG Tibeter waren Im Jahr 2006 ständig Gefahren auf der tibetischen Seite der Grenze ausgesetzt, wenn sie bei ihrem Fluchtversuch festgenommen wurden oder das Land illegal betreten hatten.59 Ein Tibeter Anfang Zwanzig aus Qinghai (aus dem tibetischen Gebiet von Amdo), der im März im Exil ankam, sagte ICT, dass er bei seinem ersten Fluchtversuch nahe der Grenze bei der tibetischen Stadt Dingri gefangen genommen und zur Militärbaracke gebracht wurde, wo man ihn zwei Tage lang festhielt. Er war dann vier Monate in einem Gefangenenlager, bis er nach Zahlung einer Strafe von 1.200 Yuan (US $155) in seine Heimatstadt zurückkehren durfte.60 Eine Gruppe von Nonnen und Mönchen gab ICT Auskunft über ihre Inhaftierung in Shigatse, nachdem sie nach einem Fluchtversuch festgenommen worden waren. Sie berichteten, dass sie verprügelt und mit Elektroschlagstöcken misshandelt wurden (siehe Bericht unten). Spitzel, die über fliehende Tibeter informieren, scheinen auf beiden Seiten der Grenze aktiv zu sein. Ein ICT-Beobachter in Nepal erklärt, dass die Tibeter genau wissen, dass Spitzel auf der tibetischen Seite arbeiten. Oft sind es örtliche Nomaden oder Farmer, die für ihre Dienste gut bezahlt werden.61 Im November 2006 wurde Tibetische Flüchtlinge, die mit einem Rettungshubschrauber von Lukla nach Kathmandu fliegen. (Foto: ICT) Die Gefahren für Führer, die Tibeter über die Bergpässe führen, haben in den letzten Jahren zugenommen. Es werden längere Strafen für diejenigen verhängt, die festgenommen werden. Razzien bei Führern wurden verstärkt, seit die Schüsse am Nangpa-Pass am 30. September die internationale Aufmerksamkeit auf die Gefahren der Flucht gelenkt haben. Der Wert der Führer für Tibeter liegt in ihrem Wissen, wie man zum einen den chinesischen Sicherheitskräften und zum anderen der nepalesischen Polizei entkommt (oder wie man mit letzteren verhandelt, um sicher Kathmandu zu erreichen). Zudem führen sie die Gruppe über Bergpfade durch schwieriges Gelände. Das Entgelt, das die tibetischen Führer erhalten, liegt bei US $ 80-350 pro Person. Das entspricht oftmals einem Jahreslohn für einen Tibeter vom Land. Berichte aus 2006 lassen vermuten, dass dieser Lohn infolge der höheren Risiken der Reisen ebenfalls gestiegen ist. Für Tibeter sind die Chancen, im TRRC in Kathmandu sicher anzukommen, höher, wenn sie sich einer Gruppe mit Führer anschließen, als einer Gruppe ohne Führer. Eine Gruppe von mehr als 20 Tibetern, die ins Exil floh, wurde, nachdem man im Oktober 2005 auf sie geschossen hatte, verprügelt und von Soldaten aus dem Dingri-Bezirk festgenommen. Eine Nonne aus der Gruppe beschreibt nach einer zweiten, geglückten Flucht ihren Leidensweg: „Wir wurden einer nach dem anderen von den Soldaten gefesselt. Ich denke, es waren ungefähr 20 von ihnen und es kamen noch mehr. Sie trugen alle Maschinengewehre und Funkgeräte.62 Da die Soldaten nicht genügend Seile hatten, fesselten sie nur einige unserer Freunde und schafften uns dann alle zu einer Stelle, an der ihre Wagen parkten. Wir wurden in die Wagen geladen und zum Armeelager gebracht. Wir sahen unseren Führer und andere Mönche, wie sie später ins Gefängnis abtransportiert wurden. Als die Soldaten versuchten, uns festzunehmen, wollten die Mönche fliehen. Wir konnten sehen, dass sie im ganzen Gesicht Blutergüsse aufgrund der Schläge hatten, die ihnen die Soldaten zugefügt hatten, als sie festgenommen wurden. Wir wussten nicht, was mit unserem Führer danach geschah. Wir konnten von der Stelle aus, an der wir verhaftet wurden, den NangpaPass sehen. Wir Frauen wurden nicht so schlimm wie die Männer in unserer Gruppe verprügelt. Die Männer wurden sogar mit Elektroschockstöcken geschlagen. Weibliche Inhaftierte wurden vorwiegend mit Gürteln geschlagen. Nach der Ankunft in der Militärbasis wurden wir einer nach dem anderen verhört und alle Details wurden aufgezeichnet. Sie fotografierten uns. Die Vernehmenden waren sowohl Tibeter als auch Chinesen, allerdings waren die meisten Chinesen. Wir wurden gefragt, warum wir versucht hatten, nach Indien zu fliehen. Wir sagten den Soldaten, dass wir in Schulen gehen wollten, aber wir erwähnten nicht, dass wir Nonnen waren. Wir hatten gehört, dass die Strafen für Nonnen und Mönche noch schlimmer waren. I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 37 Vom Norden aus fotografiert zeigt dieses Foto das Tal am Lunag-Kangchung Pfad. Gletscherspalten, gefrorene Seen und Felsbrocken erschweren die Wanderung für tibetische Yakhändler und Flüchtlinge. (Foto: ICT) Die Armee sagte, dass die chinesische Regierung Tausende von Schulen eingerichtet hätte, und es deshalb nicht nötig sei, aus Tibet zu fliehen. Wir antworteten einfach, dass wir Englisch lernen wollten. Wir wurden auch gefragt, ob wir Seine Heiligkeit, den Dalai Lama sehen wollten. Am nächsten Tag wurden wir in das Gefängnis des Dingri-Bezirks geschickt, wo wir 13 Tage fest saßen. Die Polizei des DingriBezirksgefängnisses nahm wieder alle unsere Daten auf und befragte einen nach dem anderen. Die Polizei schlug uns, wenn sie mit unseren Antworten nicht zufrieden war. Zweimal am Tag bekamen wir etwas zu essen, Frühstück und einen kleinen Schöpfer Weizen, das Abendessen um 19 Uhr bestand aus einer kleinen Schale Drehthuk (Reisbrei). Unsere Gruppe wurde am gleichen Tag noch in das neue Gefängnis nach Shigatse63 gebracht. Die Polizei lud uns auf schwere Militärfahrzeuge. Wir waren alle gefesselt. Wir wurden für vier Monate ins Gefängnis gesteckt. Ungefähr 20 Gefangene waren in einer Zelle eingesperrt mit zwei chinesischen Polizisten, die jede Zelle bewachten. Die meisten Gefangenen waren im Gefängnis, weil sie versucht hatten, ins Exil zu fliehen oder weil sie zurück nach Tibet wollten. Wir wurden vor allem in der ersten Woche nach unserer Ankunft verhört. Um 12 Uhr Mittag bekamen wir als Frühstück einen kleinen Schöpfer voll Gerste und eine Tasse schwarzen Tee. Eine kleine Schale Thukpa (Nudelsuppe) mit einer Mischung aus ein wenig Spinat, Reis und Wasser wurde serviert. Es gab nicht genug Decken und Matratzen für die Inhaftierten, wenn wir zu Bett gingen. Eine sehr dünne Matratze und ein Betttuch [tibetisch: Tsuktu] mussten sich zwei Inhaftierte teilen. Es herrschten eisige Temperaturen. Wir wurden wie Verbrecher behandelt. Man bezeichnete uns als Separatismus-Anhänger. Die meisten von uns mussten auf den Feldern arbeiten, sobald sie in den verschiedenen Grenzregionen festgenommen wurden. Wir mussten ungefähr einen Monat lang Schlamm für das Anpflanzen von Gemüse umgraben und planieren. DIE ROUTEN Es bestehen zwischen Tibet und Nepal enge historische und kulturelle Bindungen. Nomaden, Pilger, aber auch Händler und Geschäftsleute tibetischer oder nepalesischer Herkunft überquerten seit dem achten Jahrhundert die Grenze in beide Richtungen. Viele dieser alten Handelsrouten wie der Nangpa-Pass — fast 5.180 Meter über dem Meeresspiegel — werden immer noch von tibetischen Händlern benutzt, die ihre Yakkarawanen nach Nepal treiben. 2006 begaben sich die meisten tibetischen Flüchtlinge auf die Reise, als die Berge tief verschneit und die Gletscherregionen gefroren waren. Um ihre Fluchtabsichten vor lokalen Behörden zu verschleiern, nehmen die Tibeter auf der Route nur wenig Essen oder zusätzliche Kleidung mit. Unterkühlung, Schneeblindheit, Erfrierungen wie auch Verletzungen durch Ausrutscher auf dem Eis oder durch Stürze sind an der Tagesordnung. Verletzungen können dazu führen, dass man vom Führer zurückgelassen wird, dessen Hilfe unverzichtbar ist um die Grenzpatrouillen zu umgehen. In den Sommermonaten kann sich der Schnee in Matsch verwandeln und Nebel macht die Pfade und tödliche Abhänge unsichtbar. Neu angekommene Flüchtlinge, die sich an einem Lagerfeuer ausruhen. (Foto: Jonathan Green). Nach vier Monaten Inhaftierung im neuen Gefängnis von Shigatse wurden vier Polizisten (…) beauftragt, uns zum Gefängnis in unserer Präfektur zu begleiten. Wir wurden dann in unser Bezirksgefängnis gebracht und nachdem ich nach vier Tagen Haft 3.000 Yuan (US $ 387) Strafe bezahlt hatte, wieder entlassen. Meine Eltern und ich erhielten ein Entlassungspapier und es wurde uns gesagt, dass bei einem erneuten Fluchtversuch die Strafe höher ausfallen würde.“ 38 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 39 Ein Tibeter im tibetischen Flüchtlingsaufnahmezentrum zeigt seine erfrorenen Zehen nach seiner Reise über den Himalaja im Jahr 2005. Im Jahr 2006 wurde über ernsthafte Erfrierungen nicht berichtet. (Foto: ICT) Diese alte Route über den Nangpa-Pass verbindet die tibetische Stadt Dingri mit Städten wie Namche Bazaar, Lukla und Jiri, die sich an den Ausläufern des Himalajas befinden. Unter idealen Wetterbedingungen dauert die Wanderung von Dingri zum Nangpa-Pass zwei bis drei Tage, mitunter aber auch fünf bis sogar zehn Tage. Man braucht normalerweise zwei weitere Tage, um den vereisten Nangpa-Pass zu überqueren und mindestens zwei bis drei Wochen, um Kathmandu zu Fuß zu erreichen. Die Stadt Dram (chinesisch: Zhangmu, nepalesisch: Khasa) in 2.299 Metern Höhe ist für viele indische und nepalesische Lastwagenfahrer das Tor nach Tibet. Oft müssen sie tagelang warten, bis sie die Zollerklärung erhalten, um ihren Weg zu ihren Bestimmungsorten fortsetzen zu können. Hier versuchen tibetische Flüchtlinge über die China-Nepal „Freundschaftsbrücke“ nach Nepal zu gelangen. Für tibetische Flüchtlinge ist es gefährlich, zu lange auf der nepalesischen Seite der „Freundschaftsbrücke“ zu bleiben. Laut einer zuverlässigen Quelle werden die Flüchtlinge wieder nach Tibet zurückgebracht, wenn die chinesische Polizei erfährt, dass Fliehende auf der anderen Seite der Brücke Unterschlupf gefunden haben. Zu Fuß dauert die Reise von Khasa auf der nepalesischen Seite nach Kathmandu ungefähr eine Woche bis zehn Tage. Ein Bus fährt sechs bis sieben Stunden durch die nepalesischen Grenzstädte Kodari, Tatopani und Barabise. WARUM TIBETER TIBET VERLASSEN Die Regierung der Volksrepublik China ist der Auffassung, dass wirtschaftliche und soziale Veränderungen die Lebensbedingungen der Tibeter in Tibet verbessern und deshalb die Loyalität gegenüber der Heimat größer werden sollte. Für Tausende Tibeter sind diese „Verbesserungen“ immer noch Grund, das Land zu verlassen. Viele Tibeter, die Tibet verlassen, um den Dalai Lama zu sehen oder um eine Pilgerfahrt zu unternehmen und die später zurückkehren, sind auf dem Rückweg Risiken ausgesetzt. Einige Tibeter entschließen sich zurückzukommen, nachdem sie eine Ausbildung in einer Exilsschule genossen oder Verwandte besucht haben. FLUCHTGRÜNDE (I): EINSCHRÄNKUNG DER RELIGIONSFREIHEIT Im Jahr 2006 waren, wie in den vorhergehenden Jahren, die meisten tibetischen Flüchtlinge Mönche und Nonnen, die in Tibet ihrer religiösen Berufung nicht nachgehen konnten. In den letzten zehn Jahren führten mehr als 45% der tibetischen Flüchtlinge das Leben eines Geistlichen, davon waren ungefähr 3-4% Nonnen. Mönche und Nonnen sind weiterhin das Ziel politischer Kampagnen, die darauf Cham (klösterlicher) Tänzer, Kham, Tibet. Nach der Kulturrevolution bauten Tibeter ihre Klöster und Tempel als Machtzentren der tibetischen Gemeinden wieder auf. Trotz des Drucks, der von der chinesischen Politik ausgeübt wurde, halten die Tibeter auch weiterhin ihr kulturelles und religiöses Erbe aufrecht, indem sie ihre Traditionen leben wo immer es möglich ist. Dies geschieht im Besonderen in den östlichen Gegenden von Kham und Amdo, außerhalb der Tibetischen Autonomen Region. (Foto: ICT) Tibeter reisen auch durch die Himalajaregionen Mustang und Humla im westlichen Teil von Nepal. Einige Tibeter durchqueren Purang (Nep. Taklakot) und folgen dem Humla Karnali Fluss, der in der Nähe des Berges Kailash (tib. Khang Rinpoche) fließt. Kailash ist einer der heiligsten Berge Tibets, der nicht nur von den Buddhisten, sondern auch von Hindus, Bonpos, Sikhs und Jains verehrt wird. Da die meisten Tibeter in den Wintermonaten über den Nangpa-Pass nach Nepal fliehen, sind Fälle von Tibetern, die unter extremen Erfrierungen leiden, nicht ungewöhnlich. Manchmal müssen Zehen, Finger oder sogar Gliedmaßen amputiert werden. Obwohl im Jahr 2006 die Klinik des TRRC über keine nennenswerten Fälle extremer Erfrierungen berichtete, wurden viele Tibeter in nepalesischen Krankenhäusern operiert. Tibeter scheinen immer häufiger auf ihrer Reise nach Indien medizinische Behandlungen in Nepal in Anspruch zu nehmen, die in Tibet nicht durchführbar beziehungsweise unbezahlbar wären. Die Anzahl dieser Fälle ist allerdings immer noch sehr gering. 40 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 41 ausgerichtet sind, die religiöse Ausbildung abzuwerten und den Einfluss der Klöster auf die tibetischen Gemeinden zu beschränken. Die chinesische Regierung kontrolliert religiöse Praktiken und die Gebetsstätten in tibetischen Gebieten auch weiterhin sehr streng.64 Laut einer Mitteilung der Zeitung „La sa wan bao“ („Abendnachrichten“) in Lhasa wurde tibetischen Mitgliedern der Kommunistischen Partei, Regierungsbeamten, pensionierten ehemaligen Behördenmitarbeitern sowie allen Studenten im Dezember 2006 verboten, an einem wichtigen buddhistischen Feiertag teilzunehmen. Die Stellungnahme, die am 12. Dezember 2006 veröffentlicht wurde, führt aus, dass eine Teilnahme an religiösen Aktivitäten nicht erlaubt sei, da es für die Regierung und die Partei notwendig sei, „die Ausbildung, die Führung und die Verwaltung der breiten Masse und der Kader zu stärken.“ Aus diesem Grund war es für viele nicht möglich an den Feierlichkeiten des „Gaden Ngachoe“ Festes teilzunehmen, mit dem dem buddhistischen Lehrer Tsongkhapa gedacht werden sollte. Tsongkhapa hatte im 14. Jahrhundert die Gelugpa Schule im tibetischen Buddhismus gegründet.65 Dieser Bericht belegt deutlich das Klima religiöser und politischer Repressionen, unter denen Tibet unter der Führung des Parteisekretärs Zhang Qingli, der als Hardliner in ideologischen Fragen bekannt ist, zu leiden hat. In diesem Jahr sorgte Zhang Qingli für eine Intensivierung der „patriotischen Umerziehungkampagnen“ in tibetischen Klöstern und in der Gesellschaft. Die zweite Hälfte des abgelaufenen Jahres zeichnete sich zudem durch gewachsene Feindseligkeiten gegenüber dem Dalai Lama seitens tibetischer Politiker wie auch des Parteichefs der TAR aus. Die Forderung an tibetische Regierungsbeamte in Lhasa und anderen Regionen lange, handgeschriebene Diffamierungen ihres religiösen Führers zu schreiben, sorgte für großen Unmut aus. ICT berichtete über die Gefangennahme einiger tibetischer Mönche und Nonnen aus politischen Gründen. Unter ihnen befand sich ein junger Mönch, der einer Studentengruppe erklärte, dass Tibeter keine Meinungsfreiheit besäßen. Er wurde aufgrund dieser Aussage zu vier Jahren Haft verurteilt und angeklagt „die Gesellschaft sehr zu schädigen“. Der Tibeter, Gedun, früher ein Lehrer des traditionellen Klostertanzes (Cham) wurde mit einem weiteren Mönch namens Jamphel Gyatso wegen „der Spaltung des Landes“ verurteilt, wie ICT von einer offiziellen chinesischen Informationsquelle erfuhr. 66 FLUCHTGRÜNDE (II): CHINAS WIRTSCHAFTSPOLITIK Pekings Strategie ökonomischer Entwicklung mit dem Titel „Entwicklung des Westens“ (Chinesisch: ‘xibu da kaifa’67), verändert wohl das tibetische Leben und die tibetische Landschaft mehr als jede andere politische Maßnahme. Pekings Kampagne, die westlichen Regionen der Volksrepublik zu entwickeln, ist politisch hoch angesiedelt und wurde vom damaligen Parteisekretär und Präsidenten Jiang Zemin 1999 ins Leben gerufen. Dieses umfassende Projekt wirkt sich auf mehr als 56% des Territoriums der Volksrepublik China und auf fast ein Viertel der riesigen 42 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Der neue Bahnhof in Lhasa, der am 1. Juli 2006 eröffnet wurde. Die Kosten der Bahnlinie belaufen sich auf 4,1 Milliarden Dollar. Die chinesische Regierung behauptet, dass die Verbindung helfen wird, Tibet zu modernisieren. Kritiker glauben, dass sie wahrscheinlich Peking eher hilft, seine militärische und administrative Kontrolle in der Region zu verbessern. Chinesische Wissenschaftler warnten, dass die globale Erwärmung einen irreparablen Schaden der Gleise innerhalb von zehn Jahren verursachen kann. (Foto: ICT) Bevölkerung aus, die auch Tibeter, uighurische Muslime und andere so genannte ‘nationale Minderheiten’ umfasst. Die chinesischen Behörden behaupten, dass die Entwicklung der westlichen Regionen die Infrastruktur verbessert, den Umweltschutz verstärkt und Wissenschaft, Technologie und Ausbildung voran bringt. Aber die Realität sieht anders aus. Die Entwicklung des Westens spiegelt die Parteiagenda wider, Tibet zu kontrollieren und die Regionen auf der Basis des chinesischen Städtebaumodells zu entwickeln, das tibetische Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten nicht berücksichtigt. Es stellt eine ernste Bedrohung für das Überleben und die Religion der Tibeter dar. Während einige Tibeter zweifellos von den wirtschaftlichen Reformen profitiert haben, sollte es jedoch klar sein, dass es sich hierbei um eine Minderheit handelt. Am ersten Juli 2006 wurde die höchste Eisenbahn der Welt, die über das tibetische Plateau führt in Lhasa unter einem politisch zunehmend repressiven Klima I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 43 eigenen Gemeinden ausgesetzt. Das veranlasst sie, sich um das Überleben der eigenen Kultur und Identität zu sorgen. Viele von ihnen fliehen ins Ausland, weil sie sich von ihrem Land verdrängt fühlen oder ihre Arbeit und ihren Lebensunterhalt verloren haben. Eine ältere tibetische Frau in einer Nomadensiedlung in Osttibet. Tibetische Nomaden werden häufig umgesiedelt und gezwungen, ihre traditionelle Lebensweise aufzugeben, während China seine Kontrolle über die Bevölkerung ausweitet. eröffnet. Das Sicherheitspersonal in Lhasa wurde knapp, da die Regierung ihre „patriotischen Erziehungskampagnen“ intensiviert und Tibets Parteichef Zhang Qingli einen „Kampf bis zum Tod“ gegen den Dalai Lama und seine Unterstützer angekündigt hatte. Die Fertigstellung der 1.142 Kilometer langen Strecke von Golmud (Ge´ermu) in der Qinhai Provinz nach Lhasa in der Tibetischen Autonomen Region , die trotz hoher Kosten und technischer Schwierigkeiten durchgeführt wurde, spiegelt die politischen und strategischen Ziele der Pekinger Führung wider. Von der Presse als Kernstück von Chinas Kampagne, mit der sie die westlichen Regionen entwickeln will, bezeichnet, verbindet die 4,1 Milliarden Dollar teure Bahnlinie Lhasa mit Peking, und führt dabei über Shanghai, Chengdu und Guangzhou und Xining. Sie bringt Peking sehr viel näher an das von Mao Zedong vor 40 Jahren gesetzte Ziel, Tibet China China politisch und strategisch an China anzubinden.68 Vor der Eröffnung der Bahnlinie unternahmen einige tibetische Frauen den mutigen Schritt, gegen die Umsiedlung ihrer Häuser zu protestieren, die dem neuen Bahnhof in Lhasa weichen mussten. Der Protest, der am Tor des Regierungsgebäudes der TAR stattfand, wurde von Frauen aus der Gegend von Liuwu (N´eu) initiiert, einem Dorf, das zerstört wurde. Laut tibetischer Quellen „knieten die Frauen auf dem Boden vor dem Büro der TAR und sagten in sehr bescheidenem Ton, dass ihr Land genommen wurde und dass sie nun nichts mehr hätten.“ Die Frauen wurden später von Sicherheitspersonal eingeschüchtert und dazu gebracht, ihren Protest einzustellen. Die ‘xibu da kaifa’ Kampagne stellt die Entwicklung des Verwaltungs- und Militärapparats des Staates an die erste Stelle, um die Kontrolle über Tibet aufrechtzuerhalten. So leiden die Tibeter immer noch unter wachsender Armut, der Ungleichheit von Stadt und Land und der schlechtesten Ausbildung in der Volksrepublik China. In den meisten Gebieten gibt es nur wenig oder gar keine Gesundheitsfürsorge. Die Entwicklung des Westens wird von oben verordnet und richtet sich nicht nach den Bedürfnissen der Lokalbevölkerung. Die Tibeter sehen sich durch die Zahl der chinesischen Einwanderer, die nach Tibet kommt, einem wachsenden Wettbewerb um Arbeitsplätze und einer Marginalisierung in ihren 44 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Laut Berichten des Radio Free Asia (RFA) und anderer Quellen gab es im Oktober 2006 einen seltenen Protest in Lhasa. Hunderte tibetische Studenten wehrten sich gegen die offensichtliche Diskriminierung durch chinesische Behörden, die Verwaltungsstellen ausgeschrieben hatten. Es war bei dem Protest, der mehrere Tage anhielt und sich vor dem Regierungsgebäude der TAR abspielte, nicht von Gewalt oder Verhaftungen die Rede. Der tibetische Dienst von RFA berichtete, dass der Protest einer Überprüfung folgte, bei der 100 Stellen in der Verwaltung besetzt werden sollten. Die Stellen wurden 98 Chinesen und zwei Tibetern angeboten. Die Demonstrierenden waren Hochschulabgänger aus verschiedenen Universitäten Chinas. Vielen war offensichtlich zugesagt worden, dass sie nach ihrem Studium eine Arbeit bekämen. Im letzten Jahrzehnt waren circa 20% der Tibeter, die ins Ausland gingen, Bauern und 5% Nomaden oder arbeitslos. Diese Prozentzahl wird vermutlich steigen, wenn Peking die Wirtschaftspolitik weiter verfolgt, die eine dramatische Auswirkung auf die tibetische Landschaft und ihre Bevölkerung haben. China will aus politischen Gründen Nomaden ansiedeln, um damit angeblich die Wirtschaftlichkeit der Viehzucht zu verbessern und die Auswirkungen von Naturkatastrophen auf das Leben tibetischer Viehhalter zu vermindern. Versteckte Agenda hinter dieser Strategie ist, dass eine Bevölkerung mit einer festen Adresse besser durch Verwaltung und Polizei kontrolliert werden kann. Für viele Nomaden ist der Übergang zum Stadtleben schwierig. Oft werden sie in gesichtslosen Häuserblocks an großen Straßen oder in neu geschaffenen Stadtgegenden untergebracht und stehen vor dem Problem, ihren Lebensunterhalt komplett neu bestreiten zu müssen. Das Aufzwingen chinesischer Stadt- und Industrialisierungsmodelle auf eine traditionelle Lebensweise führt laut Studien nomadischer Gemeinschaften, die in Osttibet durchgeführt wurden, zu einer steigenden Armut unter den Nomaden und zu einer Verschlechterung der Weidelandschaft. ICT hat mit Nomaden und Hirten gesprochen, die ins Exil flüchteten, weil sie aufgrund des Verlustes ihrer Felder oder ihrer Lebensgrundlage durch die neuen wirtschaftlichen Programme nicht mehr ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten. FLUCHTGRÜNDE (III): AUSBILDUNG Das Fehlen einer angemessenen Bildungspolitik zur Förderung und Unterstützung der tibetischen Sprache führt zu immer größerer Frustration unter den Tibetern und ist ein Hauptgrund, warum viele Kinder und Erwachsene Zuflucht in Indien suchen. Wer nicht Chinesisch sprechen kann, ist im Nachteil, weil er auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr mithalten kann. Der nationale Lehrplan wird nur in den Grundschulen in tibetischer Sprache gelehrt. Danach ist Tibetisch normalerweise ein Wahlfach und alle anderen Fächer werden in Mandarin unterrichtet. Kinder, die kein Chinesisch beherrschen, das sie für die anderen Unterrichtsfächer in höheren I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 45 Ein Kinderbild aus dem Tibetischen Flüchtlingsaufnahmezentrum, das chinesische Soldaten zeigt, die eine tibetische Familie schikanieren. Kinder, die ins Exil fliehen, zeichnen häufig Bilder vom Alltagsleben in Tibet, auf denen die starke Militärpräsenz in ihrer Heimat abgebildet ist. Die Rowell Stiftung unterstützt ein Kunstprojekt im Aufnahmezentrum in Dharamsala, Indien, das den Kindern hilft, sich vom Trauma der Reise ins Exil und der Trennung von ihren Eltern zu erholen. (Foto: Jonathan Green). Klassen brauchen, fallen zurück und verlieren das Interesse an der Schule. Wohlhabende tibetische Familien schicken ihre Kinder oft nach China, damit sie dort ihre Sprachfähigkeiten verbessern und einen guten Abschluss an einer chinesischen Universität erhalten können. Familien mit einem niedrigeren Einkommen, die sich die Schulgebühren nicht leisten können, beschließen oftmals ihre Kinder ins Exil nach Indien zu schicken, weil sie dort eine tibetische Ausbildung erhalten und in der Nähe des Dalai Lama sind. FLUCHTGRÜNDE (IV): POLITISCHE REPRESSIONEN Ehemalige politische Gefangene und solche, die der Staat im Visier hat, weil sie nach chinesischem Behördenjargon „Separatisten“ sind (also angeblich versuchen, Tibet von China abzuspalten), befinden sich ebenfalls unter denjenigen, die jedes Jahr aus Tibet fliehen. Politischer Aktivismus und Pro-Unabhängigkeitsaktionen 46 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T sind streng verboten und werden nach chinesischen Gesetzen schwer bestraft. Ehemalige Häftlinge und politische Aktivisten haben große Schwierigkeiten sobald sie entlassen werden. Nonnen und Mönchen ist es untersagt, in ihre Klöster zurückzukehren. Auch wenn viele versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen, sind die Erfolgschancen rar und sie leiden unter ständiger Bewachung und Bespitzelung. Unter denjenigen, die fliehen, sind auch viele Tibeter, die einer Verhaftung aufgrund politischer Vergehen entkommen sind. Wenn sie nach Tibet zurückkehrten, würden ihnen schwere Strafen drohen. 2006 konnten drei bekannte ehemalige politische Gefangene aus Tibet ausreisen — Nonnen, die lange Strafen im berüchtigten Drapchi Gefängnis bei Lhasa verbüßt hatten. Es handelt sich um Ngawang Rigdrol, die sechs Jahre in Haft saß, Rigzin Choekyi, die 12 Jahre Haft verbüßte und Lhundrub Zangmo, Chinesische Soldaten in Lhasa, 2006. (Foto: ICT) die 9 Jahre in Haft saß. Die letztgenannten waren zusammen mit Phuntsog Nyidron und Ngawang Sandrol in der bekannten Gruppe der Nonnen, deren Haftstrafen verlängert wurden, da sie insgeheim Gesänge über den Dalai Lama und die Zukunft Tibets auf eine Kassette aufgenommen hatten, die aus dem Gefängnis geschmuggelt wurde und in den Westen gelangte.70 2006 berichtete ICT von langen Haftstrafen, die verschiedenen Mönchen und Nonnen aufgrund „Spaltung des Landes“ auferlegt wurden. Unter ihnen war auch ein höhergestellter Mönch, Choeying Khedrub, der 2001 inhaftiert wurde und eine lebenslange Haftstrafe verbüßt. Choeying Khedrub, der Anfang dreißig ist, gehörte einer Gruppe von drei Mönchen und zwei Laien an, die wegen des Druckens und Verteilens von prodemokratischen Flugblättern angeklagt wurden.71 Außerdem wurde der Westen auf das Schicksal eines jungen tibetischen Schriftstellers und Lehrers aufmerksam. Der 29-jährige Dolma Kyab schmuggelte einen Brief aus dem Gefängnis, in dem er erklärt, dass er aufgrund eines unveröffentlichten Buchmanuskriptes eine 10-jährige Strafe verbüßen muss. Dolma Kyab, der unter seinen Freunden für sein Engagement für die Umwelt Tibets bekannt ist, wurde im März 2005 im Chusur (chinesisch: Qushui) Gefängnis südwestlich von Lhasa inhaftiert, weil er angeblich „die Staatssicherheit gefährdet“.72 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 47 ICT hat die folgenden Berichte über Fluchtgründe von Neuankömmlingen zusammengetragen. DIFFAMIERUNG DES DALAI LAMA Ein Mönch Mitte zwanzig aus dem Gebiet von Lhasa gab folgende Gründe für seine Flucht aus Tibet an: „In den späten 90er Jahren wurde ich während einer patriotischen Erziehungskampagne aus meinem Kloster in Tibet ausgeschlossen. Ich hatte dort über zehn Jahre studiert. Ungefähr sieben Mitglieder eines Arbeitsteams und Beamte des Bezirks und aus dem Gebiet von Lhasa kamen in unser Kloster, um eine ‘patriotische Erziehungskampagne’ durchzuführen. Die Kampagne dauerte drei Monate. Während dieser Zeit mussten wir einige Texte mit hauptsächlich politischem Inhalt lesen und auswendig lernen. Zusammen mit zwei anderen Freunden weigerte ich mich, Seine Heiligkeit den Dalai Lama zu diffamieren. Wir machten den Beamten klar, dass wir dem Kurs der „patriotischen Erziehung“ folgen würden, aber unser religiöses Fundament, den Lamaismus nicht verraten könnten. Wir erklärten Personal des Büros für öffentliche den Beamten, die die Erziehungskam- Sicherheit in Zivilkleidung (mit einer pagne durchführten, dass bei einer Pistole) in einem tibetischen Kloster Verleugnung unseres spirituellen Funda- während einer „patriotischen mentes die Basis unseres Mönchseins in Umerziehungskampagne“. (Photo: ICT) Frage gestellt würde und das Befolgen des Buddha Dharma umsonst wäre. Deshalb sagten wir, dass wir abgesehen von der Diffamierung Seiner Heiligkeit des Dalai Lama uns allen Regeln beugen und uns an das Studienmaterial halten würden. Allerdings sprechen die Beamten, wenn sie von ‘separatistischen Kräften’ oder ‘Separatismus’ reden, vom Dalai Lama. Sie betrachten den Dalai Lama als eine Bedrohung für die Einheit des Staates. Es hat keinen Sinn Mönch zu werden, wenn es keine Religionsfreiheit gibt oder die Freiheit, sich seine eigenen Religionsführer auszusuchen. Die chinesischen Beamten misstrauten unserer Arbeit sehr. Wir durften die Bilder des Dalai Lama nicht behalten. Jede unserer Bewegungen wurde durch Informanten [im Kloster] beobachtet und jeder, der solches Material hatte, wurde ins Gefängnis gesteckt und intensiv verhört. 48 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Nach meinem Rausschmiss aus dem Kloster war mein Leben nutzlos geworden. Ich brauchte die Erlaubnis des Vorstehers der Stadtgemeinde, wenn ich von meinem Haus in den nächsten Bezirk oder nach Lhasa gehen wollte. Ich konnte keine neue Zulassung zu irgendeinem Kloster in Tibet bekommen. Ich blieb einfach zu Hause und verbrachte meine Zeit mit Lesen von Büchern und religiösen Texten und machte die Hausarbeit. Meine Eltern sind Bauern. Ich habe allerdings keine Ahnung von der Arbeit auf dem Feld. Das Leben war wirklich hart, da wir keine Meinungsfreiheit, keine Bewegungs- und Religionsfreiheit genießen. Ich konnte mich nicht auf meine religiösen Texte konzentrieren, weil ich immer Angst hatte und mich unsicher fühlte. Sogar meine Familie unterstützte mich nicht mehr, nachdem ich aus dem Kloster vertrieben worden war. Sie fürchteten, die chinesischen Beamten könnten etwas gegen sie unternehmen, wenn sie erführen, dass sie mich unterstützen. So entschloss ich mich, ins Exil zu gehen.“ DIFFAMIERUNG DES DALAI LAMA IN TIBETISCHEN SCHULEN Ein Teenager aus Zentraltibet berichtet zum Thema Ausbildung: „Ich wurde von meinen Eltern im Gebiet von Lhasa auf die Schule geschickt, aber ich ging ins Exil, weil ich dort eine gute Ausbildung erhalte, die auch die tibetische Sprache und Kultur umfasst und die Freiheit bietet, meinen Glauben an Seine Heiligkeit den Dalai Lama auszudrücken. Die Schule, auf die ich [im Stadtgebiet Lhasas] ging, war gut. Sie wurde von einem Beamten der tibetischen Regierung geleitet und es gab dort viele Schüler aus ländlichen Gegenden und aus der Stadt. Es wurde dort nur Chinesisch und Englisch unterrichtet und kein Tibetisch. Es gab chinesische und tibetische Lehrer an der Schule. Normalerweise überprüften die tibetischen Lehrer die Schüler, um zu sehen, ob sie ein Bild Seiner Heiligkeit des Dalai Lama um den Hals trugen. Einmal gab es einen tibetischen Lehrer, der alle Schüler überprüfte und ehrlich gesagt, hatten die meisten etwas um den Hals oder ein Foto Seiner Heiligkeit des Dalai Lama bei sich. Der Lehrer fand heraus, dass ein Schüler das Foto Seiner Heiligkeit bei sich trug und warf das Bild in die Toilette. Daraufhin waren alle Schüler sehr aufgebracht. Auch wurden die Schüler oft aufgefordert, Schmähbriefe an Seine Heiligkeit den Dalai Lama zu schreiben. Letztes Jahr diskutierten die Schüler darüber und beschlossen, keine Briefe zu verfassen. Aber dieses Jahr forderte die Schule wieder auf, diese Briefe zu schreiben, und die Hälfte der Schüler, insbesondere Mädchen, verfassten sie. Aber es gab auch Schüler wie mich, die sich weigerten. Es gab einen chinesischen Lehrer, der mir befahl, einen solchen Brief zu schreiben. Er sagte: „Du musst den Brief schreiben, sonst wirft dich die Schule raus“, und das in einem sehr ärgerlichen und rauen Ton. Jetzt denke ich, dass ich nie mehr nach Tibet zurückgehen werde.“ I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 49 VON EINER KELLNERIN ZUR NONNE Eine 20-jährige tibetische Frau aus einer Bauernfamilie erklärte ICT, warum sie ins Exil floh: „In meiner Heimat gibt es sehr viele Jugendliche, die eine gute Ausbildung haben möchten. Da allerdings die Gebühren für die Oberschule so hoch sind, dass sie sie nicht bezahlen können, müssen sie die Schule verlassen. Wenn man es sich nicht leisten kann, die Gebühren mit Geld zu bezahlen, ist es möglich, in Naturalien zu bezahlen, indem man eine gewisse Menge Getreide abliefert. Dennoch gibt es immer noch viele Kinder bei uns, die die Schulgebühren nicht bezahlen können. Die Regierung von Shang [örtliche Gemeinde] sagt immer, dass die Eltern ihre Kinder in die Schule schicken müssen, und dass sie bestraft würden, wenn sie es nicht täten, aber dann werden die Kinder aus der Schule geworfen, wenn sie nicht bezahlen können. Manche bleiben zu Hause und arbeiten auf den Feldern, während andere in Orte wie Tsethang [Lhokha Präfektur. Chinesisch: Shannan in der TAR] und Lhasa gehen, wo sie verschiedene Arbeiten annehmen. Wenn man, wie ich, ein junges Mädchen ist, kann man einen Job als Bedienung in einem Restaurant finden oder in einer Nangma Bar [Bar in einer tibetischen Stadt, in der Livemusik von professionellen Musikern gespielt wird].73 Eine Yakkarawane macht über Kangchung am Fuße des Nangpa-Gletschers eine Pause. Mindestens fünf oder sechs Stunden trennen die Yakhändler von Dzasampa, wo sie gewöhnlicherweise die Nacht verbringen, bevor sie den Nangpa-Pass nach Tibet überqueren. (Foto: ICT) 50 Als meine Schwester und ich zur Grundschule gingen, war es kein Problem, das Schulgeld zu bezahlen, aber als wir auf die Mittelschule gingen, mussten wir höhere Gebühren entrichten. Meine Mutter ist allein erziehend und muss für unser Schulgeld und den Haushalt sorgen. Als wir auf die Bezirksmittelschule gingen, war dies eine harte Zeit für meine Mutter, weil sie so viel bezahlen musste. Die Gebühren für ein Schuljahr betragen für die Bezirksmittelschule zwischen 350 und 400 Yuan (US $ 45-50), und manchmal musste meine Mutter Getreide abliefern. Das machte mich immer sehr traurig und ich hatte Mitleid mit ihr. Obwohl meine Mutter darauf bestand, verließ ich die Mittelschule noch vor meinem Abschluss. I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Da ich die Älteste in der Familie war, dachte ich, dass ich meiner Mutter helfen könnte, etwas Geld für die Schulausbildung meiner Schwester zu verdienen. Zuerst arbeitete ich in einer chinesischen Baufirma als Arbeiter, schleppte Ziegel und Steine auf meinem Rücken und sie bezahlten mir 20 Yuan (US $ 2,58) am Tag. Mein Essen musste ich allerdings selbst bezahlen. Als ich diesen Job bei einem chinesischen Arbeitgeber bekam, war das ganz gut. Ich kann Chinesisch und der chinesische Boss akzeptierte mich. Wenn man heute kein Chinesisch kann, ist es unmöglich, Arbeit zu finden, selbst wenn man andere Fähigkeiten besitzt. Auch wenn man einen Job hat, muss man die schwerste Arbeit verrichten und die Chinesen beschimpfen dich immer. Ich arbeitete drei Monate als Arbeiter für den Chinesen und ging danach nach Tsethang und arbeitete in einem Restaurant als Bedienung, was sehr anstrengend war. Ich musste das ganze Geschirr abwaschen. Dann ging ich wieder nach Hause und teilte meiner Mutter mit, dass ich Nonne im Shugseb Kloster werden wollte. Meine Mutter war damit einverstanden und sagte, ich könne Nonne werden. Aber wenn man Nonne werden will, muss man eine Menge an das Kloster bezahlen, wie Geld, Butter, Fleisch, Tsampa usw., sonst wird man nicht aufgenommen. Es gibt auch Beschränkungen, was die Zahl der Nonnen angeht, und man muss Beziehungen haben, um ins Kloster eintreten zu können. Wir kannten aber niemand in der Regierung. Es ist so, als ob das Kloster der Regierung gehören würde. Meine Mutter ging mehrmals zum Nonnenkloster und zu den [örtliche Behörden], um für mich die Erlaubnis, Nonne zu werden, zu erhalten. Am Ende sagte meine Mutter, dass es besser sei, nach Indien zu gehen und dort Nonne zu werden. Um das Geld für die Abreise zusammenzubekommen, arbeitete ich als Bedienung in einer Nangma Bar, die Nyihoe Nangma [Sun shine Nangma] hieß. Ich mochte diese Arbeit nicht wirklich, weil ich in der Nangma den Gästen Bier servieren musste. Viele verschiedene Leute gehen in eine Nangma-Bar und wenn man dort als Bedienung arbeitet, denken viele, die noch nie da waren, man sei eine Prostituierte. Deshalb sagte ich meiner Mutter, dass ich nicht mehr in der Nangma Bar arbeiten wolle. Dann lernte meine Mutter zum Glück jemanden kennen, der auch nach Indien gehen wollte. Deshalb kamen wir gemeinsam nach Indien und jetzt gehe ich auf eine tibetische Übergangsschule. Obwohl ich hierher kam, um Nonne zu werden, sagten sie mir im Auffangzentrum [in Dharamsala] ich solle zuerst zur Schule gehen, als ich ihnen erzählt hatte, dass ich in ein Nonnenkloster gehen wolle. So weiß ich nicht, was ich in Zukunft tun soll, und meine Mutter ist vielleicht verärgert, weil ich jetzt wieder zur Schule gehe. Für mich gibt es keine Wahl und ich kann es mir nicht leisten, wieder nach Tibet zu gehen, weil ich für den Führer soviel bezahlt habe.“ I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 51 NEPALS SICH WANDELNDE ORDNUNG UND CHINAS EINFLUSS AUF DIE NEUEN VERHÄLTNISSE Das Jahr 2006 begann mit prodemokratischen und antimonarchischen Massenkundgebungen in den Straßen Kathmandus gegen den König Gyanendra, der am 1. Februar 2005 die Macht ergriffen hatte. Wochen der Kundgebungen und Massenstreiks in Kathmandu führten zu Gewaltausbrüchen, die zwölf Tote und 100 Verletzte forderten. Am 24. April erklärte sich König Gyanendra bereit, zurückzutreten und das nepalesische Parlament wieder einzusetzen, das nach vier Jahren wieder tagen konnte. Grija Trasad Koirala wurde zum Premierminister ernannt und im Rahmen des Sieben-Parteien-Bündnisses (SPA) begann er mit den Maoisten (der Kommunistischen Partei Nepals) zu sprechen. Nach einem formellen Friedensvertrag und einem Waffenstillstand wurde bis zum Ende des Jahres 2006 versucht, die Maoisten in die neue nepalesische Regierung zu integrieren. Eine vorläufige Verfassung wurde im Dezember verabschiedet und Wahlen werden vor Juni 2007 stattfinden.75 Die Veränderung der politischen Lage in Kathmandu brachte den ca. 20.000 ansässigen tibetischen Flüchtlingen, sowie den Tausenden, die durch das Land nach Indien reisen, neue Möglichkeiten, aber auch größere Unsicherheiten. Obwohl Nichteinmischung in die nationalen Angelegenheiten des anderen ein offenes Grundprinzip der chinesisch-nepalesischen Beziehungen darstellen soll, beeinflusst China Nepal in jeder Hinsicht außerordentlich, sowohl geopolitisch als auch wirtschaftlich. 52 Volk entschieden hat und haben uns nie in die internen Angelegenheiten Nepals eingemischt. Wir unterstützen Nepal in seinen Bemühungen die Souveränität, die Unabhängigkeit und die territoriale Unversehrtheit zu erlangen.“ (Xinhua, 18. März 2006) Während viele Staaten Nepals sich auf die demokratische Zukunft nach der Auflösung der Regierung des König Gyanendra im Jahr 2005 beziehungsweise auf den Frieden nach den zahlreichen maoistischen Aufständen konzentrierten, sicherte China laut dem nepalesischen Generalkonsul Paudyal in Lhasa „entschlossene Unterstützung… unabhängig davon, wer die Macht hat“ zu. Paudyal empfahl China nicht nur diese Vorgehensweise, sondern er nutzte auch die Gelegenheit seine Meinung zur Religionsfreiheit in Tibet kundzutun, indem er sagte: „Ich habe jeden Tag viele tausende Gläubige gesehen, die um den Potala Palast oder andere Tempel in Lhasa kreisten. Jeder, der Lhasa besucht, kann diese Szene jeden Morgen und Abend beobachten. Aus dieser Beobachtung kann ich leicht folgern, dass die Bevölkerung ihre religiösen Aktivitäten ohne Probleme ausleben kann.“ (Xinhuanet, 6. Januar 2006). Nachdem der König gezwungen war, seine Direktherrschaft im Oktober abzugeben, stattete der Sonderberater für auswärtige Angelegenheiten des neuen nepalesischen Premierminister, Dr. Suresh Chandra Chalise, dem Vizeminister des Auswärtigen Amts der Kommunistischen Partei Chinas, Liu Hungcai, einen Höflichkeitsbesuch ab. Er bekräftigte, dass sich Nepals Einsatz für die Geschäfte mit China nicht geändert habe und es den chinesischen Anspruch auf Tibet respektiere. Nepal schränkte die ansässigen tibetischen Flüchtlingsgemeinden immer weiter in ihrem Handlungsspielraum ein und verhinderte ein von den USA vorgeschlagenes Wiederansiedlungsprogramm für tibetische Flüchtlinge. Im Juli 2006 traf sich der chinesische Vizeminister für auswärtige Angelegenheiten, Wu Dawei, mit dem nepalesischen Minister für auswärtige Angelegenheiten, KP Oli, in Kathmandu, um über das von den USA vorgeschlagene Wiederansiedlungsprogramm für tibetische Flüchtlinge zu sprechen. Laut Berichten bekräftigte Oli wiederholt, dass Nepal bereits 1989 aufgehört hatte, Tibetern einen Flüchtlingsstatus zu gewähren. Chinas extreme Sensibilität gegenüber allem, was Tibet betrifft, war auch weiterhin ein Kennzeichen der chinesisch-nepalesischen Beziehungen.76 Im Laufe des Jahres besuchten mehrere hochrangige chinesische Delegationen Kathmandu. Unter ihnen war im März auch Chinas Staatsratsmitglied Tan Jiaxuan und im Juli der stellvertretende Außenminister Wu Dawei.77 China signalisierte seine Wertschätzung der Haltung Nepals „es den Tibetern nicht zu erlauben, an separatistischen Aktionen teilzunehmen“ und es nicht „zu gestatten, dass Kräfte von außen solche Aktionen auf dem Boden Nepals unterstützen“. Die Volksrepublik signalisierte dies sowohl durch militärische und finanzielle Unterstützung, als auch durch Stellungnahmen chinesischer Delegationen. Chinas Investitionen in die Infrastruktur Tibets, besonders die der Golmud-LhasaEisenbahnlinie, wurden von Nepal79 als vorteilhaft angesehen, und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind seit 2006 gewachsen. Nepalesische Unternehmer haben über 8.2 Millionen Dollar in Lhasa investiert und laut dem Direktor für Wirtschaft in der TAR, Zhao Li Fu, wachsen die Geschäftsmöglichkeiten. Regionale Experten verkünden eine neue Ära des chinesisch-nepalesischen Handels und der Diplomatie, die auf der wirtschaftliche Entwicklung in den westlichen Gebieten Chinas basiert. Im März erläuterte der nepalesische König dem chinesischen Staatsratsmitglied Tan Jianxuan, dass „Nepal die Ein-China-Politik seiner Regierung unterstützt und keine anti-chinesischen Aktivi-täten auf Nepals Territorium erlauben wird.“78 Tang antwortete, „wir schätzen die Form der Entwicklung, für die sich das nepalesische 2006 schafften beide Länder die Visumpflicht für Bürger und deren Familienangehörigen, die Diplomatenpässe besitzen ab, wenn sie sich höchstens für 30 Tage in dem Gebiet des anderen Staates aufhielten. Zudem konzentrierte sich China weiterhin auf die Bewachung der tibetisch-nepalesischen Grenze.80 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 53 Im November ging Liu Hongcai nach einem Treffen in Kathmandu mit Nepals Minister für auswärtige Angelegenheiten, Oli, auf das von den USA vorgeschlagene Wiederansiedlungsprogramm für tibetische Flüchtlinge ein. Er sagte: „China hat ein großes Interesse an Tibet. Ausländische Kräfte versuchen eine Abspaltung Tibets von China herbeizuführen, was für China nicht akzeptabel ist.“ (The Himalayan Times, 24. November 2006) EINE PERSÖNLICHE PILGERREISE WIE EINE REISE EINBLICK IN DIE GEFÄHRLICHE FLUCHT GEWÄHRTE Während eines ICT Besuches in Kathmandu 2006 bemerkte ICT Vizepräsidentin Mary Beth Markey, dass die beunruhigendste Entwicklung die Angst unter vielen in Kathmandu lebenden Tibetern sei. „Sie sprachen von Chinas Spuren, von tibetischen Geschäftsleuten, die häufig von Maoisten erpresst würden, von einem Warenlager einer tibetischen Teppichfabrik, das sich Maoisten angeeignet haben und das nun als Gerichtshof benutzt wird, und von einer ineffektiven Regierung und Polizei, die ihnen keinen oder nur wenig Schutz bietet. Sprich, die Mitglieder der tibetischen Gemeinde sind in großer Sorge über ihre Zukunft in Nepal.“ Kurz nach den Schüssen am 30. September 2006 am Nangpa-Pass begab sich ein westlicher Wissenschaftler und Buddhist auf die Reise von Kathmandu zu dem Pass, an dem Kelsang Namtso gestorben war. Er berichtete ICT über seine Reise. Namen wurden geändert. „Ich unternahm diese Reise, um aus erster Hand zu erfahren, was die Tibeter durchmachen, wenn sie in der Hoffnung auf Freiheit den ganzen Weg von zu Hause über die Grenze im Himalajagebirge gehen. Nichts hatte mich auf die immensen physischen und psychologischen Anstrengungen, denen ich auf meiner Wanderung, die schließlich eine Pilgerreise wurde, ausgesetzt war, vorbereitet. Wahrscheinlich war es mehr ein persönlicher Tribut und eine Hommage an jene Tibeter, die es gewagt haben und immer noch wagen, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um der chinesischen Unterdrückung zu entfliehen und die Grenze zu überqueren. Tiefer Schnee und eisige Schluchten umgeben die Gletscher auf dem Weg zum Nangpa-Pass, besonders um den Berg Cho Oyu. (Foto: ICT) Begleitet von einem ehemaligen Yakhirten, der nun Bauer ist, brach ich auf eine fünf Tage lange, schwere Reise auf, die mit einem Aufstieg von der Lukla Landebahn (die sich ca. 45 Minuten Flugzeit von Kathmandu entfernt befindet) begann und einen halben Tag in Anspruch nahm. Ich war bereits mehrmals in Tibet, war aber niemals einer solch atemberaubenden Reihe von Gletschern und dramatischen Mondlandschaften ausgesetzt gewesen. Unter der brennenden Sonne und vom Wind gepeitscht legten wir eine Entfernung von nahezu 40 kilometer in zweieinhalb Tagen zurück. Bei verschiedenen Gelegenheiten trafen wir auf kleine Yakkarawanen von tibetischen Händlern und Hirten, die von Dingri und Pheruk kamen und auf dem Weg zum Namche Bazaar waren, um ihre Waren auf dem örtlichen Markt zu verkaufen. Bei der Ankunft in Namche Bazaar legte ich eine Pause ein, um süßen Milchtee in einem tibetischen Teeladen zu trinken. Ein junger Tibeter, armselig gekleidet und leicht ausgemergelt, kam herein, um uns zu erzählen, dass eine Gruppe von 54 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 55 Tibetern die Grenze am Tag zuvor passiert hatte und gerade in der Stadt angekommen war. Der Führer hatte sie eine Meile vor dem Nangpa-Pass sich selbst überlassen. Wir folgten dem jungen Tibeter in ein Privathaus, wo die Gruppe Unterschlupf gefunden hatte.81 Es gab zwei oder drei Kinder und zwei Nonnen in der Gruppe, alle aßen eine Packung trockener Fertignudeln. Auch sie waren wie die meisten Mitglieder der Gruppe armselig ausgerüstet. Eines der Kinder hatte einen kaputten Schuh, und man konnte die dünnen Socken sehen. Die meisten der Tibeter kamen aus Amdo und nur ein paar aus Kham.82 Das Durchschnittsalter war 18, und alle erzählten uns, dass sie dem Dalai Lama treffen und in Indien studieren wollten. Obwohl zahlreiche Karawanen tibetischer Yakherden jährlich die Grenze überqueren, sehen sich Tibeter, die aus ihrem Land fliehen, extremen Schwierigkeiten ausgesetzt, wenn sie versuchen den Pass zu überqueren. Häufig sind sie schlecht ausgerüstet und sich der Härte des Unterfangens nicht bewusst. (Foto: ICT) Laut Abkommen zwischen China und Nepal wird es tibetischen Händlern erlaubt, die Grenze zu überqueren um nach Namche Bazaar, das sich in der Khumbu Region in Nepal befindet, zu reisen. Wöchentlich und häufig auch täglich findet ein tibetischer Markt in Namche Bazaar statt, bei dem viele tibetische Händler ihre Produkte verkaufen — sowohl tibetische Milchprodukte wie auch Kleidung und billige chinesische Ware, die sie auf den Märkten von Shigatse und Lhasa in der TAR erworben haben. (Foto: ICT) Ich finde es kaum vorstellbar, dass Eltern ihre Kinder auf eine so harte und gefährliche Reise schicken, aber bald bemerkte ich, dass die Tibeter keine Vorstellung von den Entfernungen, der Dauer und den Bedingungen einer solchen Reise haben. Noch schlimmer ist, dass sie sich des Risikos, gefangen zu werden und ihrer geringen Chancen tatsächlich die andere Seite der Grenze zu erreichen, nicht bewusst sind. Später trafen wir eine alte Dame auf ihrem Weg ins Exil. Obwohl die Tibeter meist in Gruppen reisen, machen sich doch manche allein auf den Weg. Armselig ausgerüstet und fast schneeblind war die 72-jährige. Sie hatte sich alleine auf den Weg gemacht, aber nach ein paar Tagen Fußmarsch konnte sie sich einer Gruppe von Händlern anschließen, deren Ziel Khumbu war. Sie traf sie ein paar Meilen hinter der chinesischen Armeegarnison von Trakmar.83 Die alte Frau sagte mir, dass es ihr Traum sei, Seine Heiligkeit den Dalai Lama in Indien zu treffen. Sie erklärte, dass sie in Tibet keine Verwandten hätte und nur den Wunsch hege, Seine Heiligkeit zu sehen — danach könne sie in Frieden sterben. Sie sagte mir, dass sie fürchterliche Kopfschmerzen und Schmerzen in den Knien habe. Ich gab ihr ein paar Tabletten Ibuprofen und Tylenol gegen die Schmerzen, damit sie Namche Bazaar erreichen konnte. Viele Tibeter begeben sich mit zu wenig Essen und mit dünner, unzureichender Kleidung auf den gefährlichen Weg ins Exil. Ein tibetisches Kind kam in Nepal mit diesen Schuhen an, nachdem es den Nangpa-Pass überquert hatte. (Foto: Jonathan Green). In der kleinen Stadt Kunde (3.790 Meter hoch) im Norden von Namche Bazaar befindet sich das Kunde Krankenhaus (am oberen Ende links mit dem grauen Blechdach). (Foto: ICT) Je höher wir gingen, desto erstaunter war ich, wie anstrengend die Wanderung war. Sogar Yaks haben Schwierigkeiten, diesen Pfad zu gehen. Als ich mich daran gewöhnt hatte, fühlte ich die Hauptsymptome der Höhenkrankheit nicht mehr so stark. Dennoch litt ich unter Erschöpfung und Appetitlosigkeit. Ich I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 57 möchte mir gar nicht vorstellen, wie die schlecht ausgerüsteten Kinder mit ihren dünnen Jacken und den Turnschuhen hier wandern. Das Gebiet ist ständig von dickem Eis bedeckt, und es gibt große Gletscherspalten. Auf der Spitze des Passes verbarg sich ein einzelner Mast unter einer riesigen Masse tibetischer Gebetsfahnen. Wir konnten von der Spitze des Passes, der sich auf der nepalesischen Seite befand, direkt nach Tibet sehen. Auf einer Höhe von 3.440 Metern ist Namche Bazaar das Tor zum Himalaja und der höchste Handels- und Polizeikontrollpunkt in der Region Khumbus in Nepal. Nachdem sie die Grenze am Nangpa-Pass überquert haben (5.741 Meter) verbringen Tibeter normalerweise eine Nacht in Namche Bazaar auf ihrem Weg nach Kathmandu. Hier haben sie die erste Gelegenheit, das TRRC zu kontaktieren und um Hilfe zu bitten. (Foto: ICT) Ich fühlte den unwiderstehlichen Drang, die Stelle aufzusuchen, an der Kelsang Namtso gestorben war; sozusagen als eine persönliche Wallfahrt. Das war natürlich riskant – selbst für einen Ausländer, obwohl mir wahrscheinlich schlimmstenfalls eine Geldstrafe wegen illegalen Grenzübertritts drohte. Es dauerte eine weitere halbe Stunde, um den Punkt auf der tibetischen Seite des Passes zu erreichen. Mein Führer, der das Gebiet sehr genau kannte, zeigte auf die Stelle, an der Kelsang Namtso erschossen wurde. Über dem Schnee war der Abhang, von dem aus die Chinesen auf die Tibeter gefeuert hatten, und hinter der Moräne waren ein paar Zelte im Basislager auf dem Berg Cho Oyu. Ich ließ einen tibetischen Khata [weißer Seidenschal] für sie im Schnee zurück.“ Das Foto, das einige Wochen nach dem Vorfall vom 30. September aufgenommen wurde, zeigt die steinige und eisige Gegend, in der die 17-jährige Nonne Kelsang Namtso erschossen wurde, nachdem sie versucht hatte, die Grenze zu erreichen. Diese Bild wurde in Richtung des Basislagers am Cho Oyu aufgenommen. (Foto: ICT) erkannte, dass es keinen klar erkennbaren Pfad gab und sich der gesamte Weg über Steine, Felsbrocken und Klippen schlängelt. Einmal musste ich einen kleinen Fluss durchwaten, im nächsten Moment rutschte ich über einen Kiesabhang, und dann wiederum erklomm ich einen gefährlichen Eishügel. Die tibetische Karawane war vor mir, und es wurde mir klar, dass wir sie nicht einholen konnten. Sie machen solche Reise zwei oder mehrmals im Jahr. Wir brauchten fast drei Stunden, um den Nangpa-Pass bei eisigem Wind und unter beißender Sonne von dem eisbedeckten Dzasampa aus zu erreichen [ein großer Felsvorsprung auf dem Gletscher, auf dem die tibetischen Yakhirten und Bergsteiger normalerweise kampen, bevor sie ihren Weg über den Pass fortsetzen],84 wo wir die Nacht zuvor kampiert hatten, nachdem wir drei Tage bis zur Erschöpfung von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang marschiert waren. Ich 58 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 59 AUDIENZ FÜR NEUANKÖMMLINGE BEIM DALAI LAMA Neuankömmlingen in Indien haben die Möglichkeit, eine Audienz beim Dalai Lama zu erhalten. ICT war während einer dieser Audienzen im Dezember 2006 in Dharamsala beim Tsuglakhang Temple nahe der Residenz Seiner Heiligkeit anwesend. Im Raum war es still, als der Dalai Lama sprach, aber einen Augenblick lang hörte man ein unterdrücktes Schluchzen in der tibetischen Versammlung. Dort waren auch in großer Zahl Mönche aus Tibet anwesend und einige von ihnen planten, wieder nach Tibet zurückzukehren. Es folgt nun eine bearbeitete Version der Ansprache des Dalai Lama an die Tibeter, übersetzt und paraphrasiert aus dem Tibetischen. Es beginnt mit Bemerkungen, darüber, dass die Tibeter auf ihr spirituelles und kulturelles Erbe stolz sein sollten. Der Dalai Lama fuhr fort, der Gruppe ein Treffen zu schildern, dass er mit Mao nach der chinesischen Invasion in den 50er Jahren hatte: „Ich traf Mao mehrere Male während meiner Besuche in China — einmal sagte er mir, dass er die Chinesen nur deshalb nach Tibet geschickt hätte, um Tibet zu entwickeln. Wenn das erreicht wäre, würden sie sich wieder zurückziehen. Vielleicht scherzte Mao mit mir, vielleicht aber auch nicht. Ich erinnere mich an einen Beamten, der immer über die Volksrepublik China sprach, und sagte, dass sie für eine vereinte Volksrepublik stünde. Aber nun legen die Chinesen nicht wirklich Wert auf die Einheit. Es scheint, dass sie mehr an der wirtschaftlichen Macht interessiert sind. Obwohl die Partei kommunistisch ist, ist die Regierung in Wirklichkeit kapitalistisch. Früher hatten die Chinesen immer klare Ziele, sie wollten eine klassenlose Gesellschaft sein. Aber das Ideal dieser revolutionären Gesellschaft ist jetzt vollkommen verschwunden. Heute ist die Führung nur noch an der Macht interessiert. Sie denken nicht wirklich langfristig an die Zukunft. Es scheint, dass man heute keinen echten Kommunismus mehr in China antrifft. Es kann sein, dass es in Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung für Tibeter durchaus vorteilhaft sein könnte, wenn sie innerhalb der Volksrepublik blieben. Wenn wir wirklich wirtschaftliche Entwicklung erhalten würden. Ein starkes Tibet dürfte sowohl im Interesse Chinas als auch in unserem sein. Dann gäbe es Frieden und Stabilität. Wenn jemand in seinem Inneren nicht glücklich ist, wird es schwierig sein, echten Frieden zu finden. Es ist unsere Pflicht, eine sinnvolle Form der Autonomie zu erreichen. aber junge Menschen sollten sich mit dem Studium der Religion beschäftigen und generell eine bessere Ausbildung erhalten. Es ist wichtig für euch, eure Intelligenz einzusetzen, um eine bessere Ausbildung zu erhalten. Eine moderne Erziehung ist wichtig und steht mit der tibetischen buddhistischen Kultur in engem Zusammenhang. Sie zu besitzen, ist von großer Bedeutung, da sie den Tibetern helfen kann, die Probleme zu lösen, denen sie heute gegenüberstehen. Ohne eine moderne Bildung und Wissenschaft ist es für Tibeter sehr schwierig, im Wettbewerb mit den Chinesen zu konkurrieren. Seit wir in den 60er Jahren ins Exil gingen, wussten wir um die Wichtigkeit einer guten modernen Bildung. Man kann kein echter Tibeter sein, wenn man die eigene tibetische Kultur, die traditionellen tibetischen Werte nicht versteht. Für die ältere Generation ist es wichtig, zu wissen, was mit der Kultur geschieht. Besonders für Tibeter die in ländlichen Gegenden leben und Probleme in ihren Dörfern haben. Langsam beginnt China [das chinesische Volk] die [Bedeutung] der Rechtsstaatlichkeit zu erkennen. Für China, das sich der Weltgemeinschaft angeschlossen hat, ist das sehr wichtig. Ich traf [vor kurzem] drei Leute, die aus Tibet kamen. Sie hatten mit den [Behörden] Probleme. Das Rechtssystem erlaubt ihnen ihren Kummer vorzutragen. Ihr solltet ausharren, was immer für Schwierigkeiten es sein mögen. Ob es die Sorge um die Umwelt ist oder das Einrichten von Schulen, immer gibt es eine Möglichkeit, seine Beschwerden zu äußern. Für die Mönche unter euch; wenn ihr euch einem Kloster angeschlossen habt, solltet ihr der Klosterdisziplin folgen und fleißig lernen.“ Seine Heiligkeit der Dalai Lama wendet sich an Neuankömmlinge im Dezember 2006 in Dharamsala, Indien. (Foto: Tenzin Choejor, mit Dank an das Privatbüro des Dalai Lama) Wir müssen uns jetzt auf unser Leben im Exil einstellen. Wenn ihr nach Tibet zurückkehrt, teilt mit euren tibetischen Kameraden das, was ihr gesehen habt. Teilt euer Wissen aber nur mit denjenigen, denen ihr vertraut. Es ist wichtig, ehrlich und aufrichtig zu sein. Es ist für euch wichtig zu wissen, was wir im Exil getan haben. Wichtig ist zudem die Ausbildung. Klöster sind nicht unbedingt nötig — 60 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 61 Empfehlungen an die USA, die EU und andere ausländische Regierungen: 1. Stellen Sie dem UNHCR weiterhin finanzielle Mittel für den Betrieb des TRRC zur Verfügung. EMPFEHLUNGEN 2. Protestieren Sie bei der nepalesischen Regierung wegen der Bemühungen, die Zulassung der „Bhota Wohlfahrtsgesellschaft“ aufzuheben. Empfehlungen an das UNHCR: 1. Entsenden Sie UNHCR-Schutzbeamte in die Grenzgebiete Nepals, um die lokalen Behörden in der richtigen Behandlung von Flüchtlingen zu unterweisen, die Einhaltung des Non-Refoulement-Prinzips zu überwachen und um bei Abschiebung und/oder Missbräuchen einzugreifen. Führen Sie in Gebieten, in denen ein Einsatz von UNHCR Mitarbeitern nicht möglich ist, regelmäßig Kontrollmissionen durch. 2. Unterstützen Sie neu angekommene Flüchtlinge in den Grenzgebieten unverzüglich und sichern sie ihren Weg zum TRRC. 3. Drängen Sie die nepalesische Regierung, das Non-Refoulement-Prinzip an der Grenze einzuhalten, indem sie angemessene politische und administrative Schritte unternimmt. Diese sollten schriftliche Anweisungen an alle Grenzpatrouillen und die Polizei sowie ein besonderes Training der nepalesischen Polizei, Sicherheitskräfte und Einwanderungsbehörden über ein angemessenes Verfahren und die internationalen Menschenrechtsstandards und Praktiken beinhalten. 4. Protestieren sie offiziell bei der Regierung in Nepal gegen alle Maßnahmen, die die Registrierung des „Bhota Wohlfahrsbüros“ verhindern wollen. Empfehlungen an die Regierung in Nepal: 1. Geben Sie allen tibetischen Flüchtlingen, die vor dem 31. Dezember 1989 in Nepal eingereist sind sowie deren registrierten Nachkommen Flüchtlingsausweise (Refugee Certificates, RC). 1. Führen Sie umgehend die Reiseerlaubnis für tibetische Flüchtlinge wieder ein. 2. Respektieren Sie das Schutzsystem für Flüchtlingen im Geiste der UN Konvention von 1951 und des dazugehörigen Protokolls von 1967 einschließlich des Schutzes vor Refoulement. 3. Kooperieren Sie mit den Mitarbeitern des UNHCR in Kathmandu, den NGOs und den ausländischen Regierungen, die eine Lösung der Tibet-Frage befürworten, bei der Unterstützung der Flüchtlinge. 3. Weisen Sie Menschenrechtsbeobachter in den Botschaften an, Neuankömmlinge aus Tibet über die Bedingungen in den Grenzregionen zu befragen. 4. Arbeiten Sie auf multilateraler Ebene, um die nepalesische Regierung dazu zu bewegen, eine formell abgesicherte Politik zum Schutz von Flüchtlingen zu verabschieden und arbeiten Sie mit dem UNHCR und NGOs bei Flüchtlingsproblemen zusammen, einschließlich der Ausbildung der Grenzpolizei und der Beamten der Einwanderungsbehörden. 5. Drängen Sie die Regierung der Volksrepublik China, den Vorfall vom 30. September 2006 zu untersuchen und einen umfassenden Bericht über die Anzahl der festgenommenen Tibeter, insbesondere der Kinder, die vermutlich immer noch inhaftiert sind, vorzulegen. ANHANG I Die offizielle chinesische Erklärung über die Schüsse am Nangpa-Pass: Lhasa, 12. Oktober (Xinhua) – Fast 70 Personen haben versucht, illegal die Grenze zwischen China und Nepal in der Autonomen Region Tibet am frühen Morgen des 30. September zu überqueren. Eine Person starb während eines Konflikts mit den Grenzkontrollen, sagte ein Beamter der zuständigen Behörde des Gebiets am Donnerstag. Der Beamte sagte, dass eine kleine Einheit von chinesischen Grenzsoldaten die ‘Einschleicher’ fand und versuchte, sie zur Rückkehr in ihre Heimat zu überreden. Aber die Grenzgänger weigerten sich und griffen die Soldaten an. Unter diesen Umständen waren die „Grenzsoldaten gezwungen, sich selbst zu verteidigen, und verletzten zwei der illegalen Grenzgänger“, heißt es in der Quelle. Eine der verletzten Personen starb später im Krankenhaus aufgrund des Sauerstoffmangels in einer Höhe von 6.200 Metern, während die andere verletzte Person im örtlichen Krankenhaus behandelt wurde. Vorläufige Befragungen zeigten, dass es sich um einen groß angelegten und vorsätzlich geplanten Fall von illegaler Grenzüberschreitung handelte. Weitere Untersuchungen sind noch im Gange. 62 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 63 ANHANG II Aufgrund des Medieninteresses nach den Schüssen veröffentlichten mehrere Bergsteigermagazine Artikel, die sich mit ethischen Fragestellungen befassten, die sich aus dem Vorfall am Nangpa-Pass ergeben hatten. Ein Editorial in der März 07 Ausgabe von „The Alpinist“ von Katie Ives berichtet von vielen, die nach den Schüssen einfach weiter kletterten, und die „ein tiefes Empfinden der Dissonanz“ hervorriefen. Nach dem Zwischenfall hatte Farmer [Lee Farmer, aus Australien] nur noch eins im Sinn, nämlich heil ins Lager zu kommen; dort angekommen, versuchte er zu schlafen, doch das Bild des leblosen Körpers wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Der slowenische Alpinist Pavle Kozjek, der eine neue Route auf dem Cho Oyu einen Tag nach dem Mord bestiegen hatte, war gewöhnt, sich auf den Augenblick zu konzentrieren. Auf seinem Abstieg jedoch empfand er ein ‘neues, fremdes Gefühl’: Der Aufstieg war wie immer eine ‘Aufwertung des Lebens’. Gleichzeitig hatte er das schlimmste Ereignis, das vorstellbar ist, mit angesehen – die Ermordung eines unbewaffneten menschlichen Wesens“. Ives kommt zu dem Schluss, dass der Tod von Kelsang Namtso „unsere Verpflichtung für unsere Mitmenschen symbolisiert. Ohne diese hinterlassen selbst die größten Heldentaten in tollster Umgebung nichts als Leere und Dunkelheit in uns.“ (www.alpinist.com) Die Nachrichten über die Schüsse am Nangpa-Pass wurden zuerst auf ExplorersWeb (www.mounteverest.net) veröffentlicht. Diese Website ist nicht kommerziell ausgerichtet und publiziert Hinweise und Nachrichten über Bergsteigen, Ozeansegeln und Polarreisen. Weiter unten befindet sich ein Bericht, der im Januar 2007 veröffentlicht wurde: …Aber der Himalaja war auf uns noch nicht vorbereitet. Wir wussten von der höchsten Bergkette der Welt nicht welch anderes moralisches Drama sie noch in sich barg. Dieses Mal kam es in Form einer e-Mail vom Nachbargipfel des Everest am 2. Oktober zu uns. Die Mitteilung war so bewegend, dass wir beschlossen, sie zu veröffentlichen, weil wir der Quelle, einem amerikanischen Berufsbergführer, vertrauten. 64 Ein Tag verging, und eine nur allzu vertraute Stille umhüllte den Himalaja. In einer e-Mail an ExWeb wurde am nächsten Tag darum gebeten, die „Story zurückzuziehen, weil einige professionelle Expeditionsleiter sagen, dass die Schüsse nicht auf Flüchtlinge gerichtet waren, sondern auf Menschenhändler.“ Nirgendwo sonst erschienen Nachrichten über den Zwischenfall. China verneinte, dass überhaupt etwas vorgefallen sei. Aber schließlich gab die Organisation International Campaign for Tibet einen vollständigen Bericht über das, was sich tatsächlich zugetragen hatte, heraus. Eine sehr junge tibetische Nonne war von den chinesischen Grenzkontrollen auf ihrem Weg ins Exil in Nepal erschossen worden. Von 70 Flüchtlingen, meist Kinder und junge Mönche in den Dreißigern, konnten 43 den Gewehrsalven entfliehen, aber über den Verbleib der restlichen 30, einschließlich der Kinder, ist nichts bekannt. Allmählich sickerten die Details durch. Die Organisation sprach mit einem britischen Bergführer und Polizeioffizier, der sagte, dass die Bergsteiger Augenzeugen waren, als einer der Tibeter wieder aufstand, nachdem er gefallen war. Die bedeutet, dass einer der beiden wahrscheinlich überlebt hatte. Der Führer erklärte auch, dass wahrscheinlich bis zu 60 Bergsteiger im Basislager den Vorfall mit eigenen Augen gesehen hatten. „Sie konnten sehen, wie die chinesischen Soldaten in der Nähe des Basislagers knieten, zielten und dann schossen, immer und immer wieder, und zwar auf eine Gruppe, die sich nicht verteidigen konnte,“ sagte er. …Mit der wachsenden Zahl der Augenzeugenberichte machten die Chinesen eine Kehrtwendung und verteidigten sich selbst: Die Flüchtlinge hätten sie angegriffen, behaupteten sie. Das Beste, was sich auf ExplorersWeb im Jahre 2006 ereignete. „Wir brauchen Bilder“, schrieb ExplorersWeb in einem Aufruf an alle Bergsteiger. „Es gibt dort eine Geschichte, die sich am 30. September und 1. Oktober ereignete und bislang noch nicht berichtet wurde“ schrieb der Bergsteiger. „Sie ist tragisch, sie ist tief bewegend und offensichtlich zu real für die Tibeter.“ Der Bergsteiger berichtete, dass auf der mittleren Höhe des Cho Oyu Massivs eine Gruppe Tibeter auf ihrem Weg über den Nangpa La Pass an der Grenze zu Nepal unter Beschuss genommen wurde. „Hi, ich heiße Pavle Kozjek, aus Slowenien und komme gerade vom Cho Oyu zurück“ war eine Antwort am nächsten Tag. Unter Hunderten von Bergsteigern am Cho Oyu, hatte Pavle als einziger einen weniger genutzten Weg genommen; er nahm eine neue Route auf den 8.000er. Aber seine e-Mail handelte nicht davon. „Ich habe ein paar Fotos vom 30.9, “ schrieb Pavle und fügte die Bilder im Anhang dazu … Mindestens einer der Flüchtlinge lag tot im Schnee und das Basislager wimmelte nur so von chinesischer Armee nach den Schüssen. Dies war der einzige Bericht über den Zwischenfall trotz hunderter von Bergsteigern mit Satellitentelefonen. Ein anderer Bergsteiger, ein Arzt, hatte die Medien in seiner Heimat angerufen, die entschlossen, dies nicht zu veröffentlichen. Die Nachricht erschien nur bei ExplorersWeb. Wenigstens diesmal geschah der Tod einer jungen tibetischen Nonne nicht unbemerkt – dafür sorgten die Bergsteiger. I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Das Beste, was in diesem Jahr auf ExplorersWeb bekannt wurde, war keine Heldentat, sondern die Wahrheit über den Nangpa La, die ans Licht kam. I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 65 12 ENDNOTEN 1 Das Non-Refoulement Prinzip ist in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 niedergelegt. 2 Verschiedene Augenzeugen geben eine unterschiedliche Anzahl von Tibetern an, die sie vor der Schießerei erkannt hatten, aber die Mehrheit der Befragten berichtetet, dass es 20-30 Tibeter in der Gruppe waren, auf die geschossen wurde. Diese Tibeter waren Teil einer größeren Gruppe von über 70 Flüchtlingen, die anscheinend den Pass in zwei Gruppen überqueren wollten. 3 ICT-Interview mit Steve Lawes, einem britischen Polizisten. Ein amerikanischer Bergsteiger und Expeditionsleiter erklärte: „Es war deutlich erkennbar, dass einige Kinder dabei waren – sie bewegten sich langsamer; uns war klar, dass sie bei einer Flucht Schwierigkeiten haben würden.“ 4 Angaben über den genauen Zeitpunkt des Vorfalls variieren. Beinahe alle Bergsteiger sagten aus, dass die Sonne aufgegangen war und es ungefähr ‘Frühstückszeit’ war; einige konzedierten, dass man in den Bergen leicht das Zeitgefühl verliert, und andere sagten, dass ihre Uhren noch auf nepalesische Zeit oder eine andere eingestellt waren. Von einem Bergsteiger wurden folgende GPS-Koordinaten festgehalten: N 28 07.821 und E 086 35.988. 5 Angaben über die genaue Anzahl der Bergsteiger, Sherpas, Träger und Expeditionsmitglieder im vorgeschobenen Basislager zum Zeitpunkt der Schießerei variieren. Mehrere der von ICT befragten Bergsteiger, die sich zu dieser Zeit im vorgeschobenen Basislager aufhielten, litten unter der Höhenlage oder waren aus anderen Gründen nicht bei der Gipfelbesteigung mitgegangen. Die Expeditionsmitglieder, die zu der Zeit den Gipfel des Cho Oyu bestiegen, waren keine Augenzeugen der Schießerei, hörten aber später davon. Zum Beispiel litt der rumänische Kameramann Sergiu Matei, der die Schießerei filmte, an einem Lungenödem und musste deshalb wieder auf eine niedrigere Höhe herabsteigen, nachdem er zuvor versucht hatte höher zu steigen. Dr. Ted Esquerra von den Philippinen war im vorgeschobenen Basislager geblieben, um einen kranken europäischen Bergsteiger zu pflegen. 6 Zu dem Zeitpunkt, als auf sie geschossen wurde, war die Gruppe Tibeter ungefähr 15 bis 20 Minuten Fussmarsch von der nepalesischen Grenze entfernt. 7 Andere Bergsteiger, darunter der dänische Arzt Pierre Maina, sahen Soldaten sowohl in knieender als auch in stehender Position. 8 Ein europäischer Bergsteiger, der nicht genannt werden möchte, sagte aus: „Sie waren stark verstreut, aber sie ordneten sich neu zu Gruppen. Ein Teil war entlang der Moränenseite verstreut und eine Gruppe war zur gleichen Zeit beim ABC [ Basislager].“ 9 Die Tibeter aus der Gruppe bestätigen die Anwesenheit von mindestens fünf Soldaten in der Nähe des vorgeschobenen Basislagers, die auf die Tibeter schossen. Ein Mönch in der Gruppe sagte aus: „Ein paar aus unserer Gruppe sahen sieben Soldaten, aber ich habe nur fünf gesehen.“ 10 Sergiu Matei, der in der rumänischen Armee gedient hatte, sagte aus: „Ich habe ein Foto von einem der chinesischen Soldaten, der Typ-81 in der Hand hält, genau wie eine AK-47, der einzige Unterschied ist die Zielvorrichtung am hinteren Ende des Waffenlaufs. Ein anderer hält eine andere Art von Kalashnikov, eine mit dem Lauf unten.“ 11 So Steve Lawes, britischer Polizeibeamter, im Gespräch mit ICT. 66 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T Ein amerikanischer Bergsteiger merkte an: „Die [Soldaten] waren sehr jung, nicht sehr erfahren, einige von ihnen nur ungefähr 19 oder 20 Jahre alt. Die meisten Bergsteiger versuchten, Abstand zu halten, und die Stimmung war sehr angespannt.“ 13 Bei der Frage, ob er von dem chinesischen Sicherheitspersonal gefilmt wurde, antwortete einer der Bergsteiger ICT: „Nein, ich habe die gefilmt.“ Ein anderer Bergsteiger sagte aus, dass sie die Bergsteiger im Zwischenbasislager weiter unten gefilmt haben, aber nach seiner Kenntnis nicht im vorgeschobenen Basislager. 14 In der Bewaffneten Volkspolizei existieren zwei Kommandoketten. Die Bewaffnete Polizei steht gleichzeitig unter dem Kommando des militärischen Zentralkommitees der KPCh und des Staatsrats. Die Zentrale der Bewaffneten Volkspolizei fällt in die direkte Zuständigkeit des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit unter Minister Zhou Yongkang, einem ehemaligen Parteisekretär der Provinz Sichuan. 15 Sergiu Matei filmte den Vorfall etwas über 20 Minuten lang. Eine bearbeitete Version seines Filmmaterials wurde in der ganzen Welt ausgestahlt von der Fernsehgesellschaft ProTV in Bukarest, Rumänien, sowie von APTV. Er ist als Download auf der Internetseite www.youtube.com einzusehen. 16 Dem Befragten wurde maßgeblich von Sergiu Matei zur Flucht verholfen. 17 Derselbe junge Tibeter, der von Sergiu Matei gerettet wurde, sagte gegenüber ICT, dass er auf dem Marsch auf sechs Kinder aufgepasst hätte, bevor die Schießerei begann, und von der Gruppe getrennt wurde. „Diese Kinder hatten nichts zu Essen [dabei], so dass wir sie die ganze Zeit versorgen mussten“, sagte er. „Sie hatten kein Tsampa (geröstetes Gerstenmehl), das sie mitnehmen konnten. Sie hatten auch keine Schüsseln. Wir mussten diesen Kindern Tee und Tsampa geben. Alle diese Kinder waren unter 12 Jahre alt, sie waren noch klein.“ Der Befragte geht inzwischen in Indien zur Schule. 18 Eine Quelle besagt, dass sich die Strafe auf 500 Yuan (64 Dollar) belief. 19 Der dänische Arzt, Dr. Pierre Maina, der sich zum Zeitpunkt des Vorfalls im vorgeschobenen Basislager aufhielt, wies auf die erhöhte Gefahr durch Verletzungen in solcher Höhe hin: „Wenn man verletzt ist und Blut verliert, muss das Herz noch mehr arbeiten und in dieser Höhenlage hat man sowieso eine erhöhte Herzfrequenz. Die Schmerzen erhöhen die Belastung für Herz und Lungen und schwächen zusätzlich, was das Gesundheitsrisiko durch die Verletzung erhöht. 20 Einer der Bergsteiger merkte an, dass man schon ‘Superman’ sein müsste, um in dieser Höhe schnell laufen zu können. 21 Mehrere Bergsteiger beobachteten, dass die regulären Soldaten keine für das Terrain passenden Stiefel .trugen, sondern weiße Tennisschuhe oder Turnschuhe, wie auf den Bildern zu sehen. 22 Der britische Bergsteiger Steve Lawes berichtete das Gleiche. 23 Ein Bergsteiger erklärte ICT: „Es hätte mich nicht überrascht wenn es mehr [Opfer] gegeben hätten, weil die Schüsse so lange abgefeuert wurden und die Tibeter einfache Ziele waren, die sich nicht schnell genug bewegen konnten.“ 24 Antwort an eine europäische Regierung im Dezember 2006 / Januar 2007. 25 Dr. Pierre Maina war einer der Bergsteiger, die Augenzeuge dieses Vorfalls wurden, und Sergiu Matei war einer von mindestens zwei Augenzeugen, denen zufolge ungefähr drei Beamte nach der Schießerei die Leiche untersuchten. 26 Eine Aussage eines Bergsteigers gegenüber ICT war: „Ich hatte einfach nicht den Mut, etwas zu tun, da die Soldaten noch in der Nähe waren.“ Ein anderer sagte: „Ich schäme mich immer noch dafür, dass ich nichts unternommen habe.“ I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 67 27 Für die Beseitigung der Leiche der Nonne gibt es weniger Augenzeugen, da viele der Bergsteiger, die die Schießerei beobachtet hatten, das vorgeschobene Basislager verlassen hatten, um auf den Gipfel zu steigen. Einige berichteten, dass sie sich gefragt hatten, nachdem sie Augenzeuge der Schießerei geworden waren, ob sie mit der Bergbesteigung fortfahren oder nicht, aber wie ein Augenzeuge später gegenüber The Alpinist Magazine (www.alpinist.com) aussagte, glaubten sie nicht, dass der Verzicht auf den Aufstieg irgendeinen Sinn hätte, da Kelsang Namtso bereits tot war. 28 Der britische Bergsteiger, der die Fotos schoss, gab zu, dass ihn das Verhalten der Beamten an dieser Stelle unerklärlich war: „Es sah aus, als ob er ein Sonnenbad nehmen würde“, sagte er. „Unter den Umständen war es bizarr.“ 29 Dr. Maina schränkte ein, dass es sich bei dem um die Nonne gewickelten Tuch nicht um eine rote Decke gehandelt haben könnte – er hatte eine rote Farbe gesehen, erkennt aber an, dass es auch eine Art Leichensack gewesen sein kein. Sergiu Matei erläuterte: „Meiner Ansicht nach ist da untem im Gletscher ein großer Friedhof ohne Kreuze. Tibeter fliehen seit 50 Jahren, und nicht immer beobachten Bergsteiger, was passiert.“ 30 Die Nonne ist inzwischen im Exil, und diese Information erhielt ICT im Januar 2007. 31 Botanischer Name: cordyceps sinensis. Inzwischen ist das Sammeln von Raupenpilzen eine wichtige Einnahmequelle geworden. 32 Im Januar 2002 musste der Dalai Lama eine größere religiöse Feierlichkeit im indischen Bodh Gaya wegen Magenproblemen absagen. Die Nachricht verbreitete sich schnell nach Tibet und Tibeter in der Gegend von Kardze waren so besorgt, dass sie die Gefahr auf sich nahmen, religiöse Feierlichkeiten zu veranstalten, mit denen für die Gesundheit des Dalai Lama gebetet werden sollte. Bewohner von mehr als 50 Dörfern kamen daraufhin zusammen, um für den Dalai Lama zu beten. Filmaufnahmen hiervon wurden kurze Zeit später heimlich unter der Bevölkerung weitergegeben. Im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten wurden mindestens 20 Personen in der Region festgenommen. Weitere Informationen hierüber im ICT-Bericht „When Sky Fell to Earth: The New Crackdown on Buddhism in Tibet“, 2004. 33 Anderen Aussagen zufolge bestand die Gruppe 77 aus Personen — eine genaue Anzahl konnte nicht bestätigt werden, aber wahrscheinlich lag sie zwischen 73 und 77 34 Name geändert. 35 Fast alle Tibeter in der Gruppe, die von ICT befragt wurden, gaben an, dass die Führer ihnen gesagt hätten, der Weg sei kürzer und dass sie weniger Lebensmittel mitnehmen sollten, als sie später tatsächlich benötigten. Sie sagten auch, dass die Führer ihnen gesagt hätten, dass die Gruppe kleiner wäre, als sie dann tatsächlich war. 36 Vorgeschobenes Basislager am Cho Oyu. 37 Andere Tibeter aus der Gruppe bestätigten, dass mindestens 20 Mitglieder der ursprünglichen Gruppe von mehr als 70 Tibetern, die Lhasa zusammen verlassen hatten, bereits fehlten, als die Schießerei begann. 38 Die Freundin der Nonnen berichtete ICT, dass sie sich vor Angst zuerst nicht bewegen konnte: „Ich hatte solche Angst und weinte vor Angst. Meine Freundin schob mich von hinten, also rannte ich.“ 39 Es handelte sich um Kalsang Namgyal, den Bergsteiger nach der Schießerei mit einer Wunde am Bein fotografierten, als er in Gewahrsam genommen wurde. 40 Es handelt sich um die Kinder, die von den chinesischen Soldaten in Gewahrsam genommen wurden und von den ausländischen Bergsteigern am vorgeschobenen Basislager am Cho Oyu gesehen wurden. 68 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 41 Der Mönch identifizierte später beide Kinder auf einem der Fotos von den festgenommenen Kindern, die die Bergsteiger aufgenommen hatten. 42 Der Mönch bestätigt die Berichte der Nonnen, die Kelsang Namtsos Leiche sahen, dass sie von links erschoßen wurde, durch seine Aussage: „Da waren fünf Nonnen, die zusammen durch den Schnee liefen, und sie war in der Mitte der Reihe. Also kamen die Schüsse von dieser Seite [zeigt auf seine linke Seite].“ 43 Diese Zahl bezieht nicht die beiden Führer mit ein, die ebenfalls Nepal erreichten. 44 Die ganze Nangpa-Gruppe erhielt nach ihrer Ankunft in Indien eine Audienz beim Dalai Lama in Dharamsala. 45 Im heutigen Tibet wird in den Grundschulen immer noch auf Tibetisch gelehrt, aber ab der Mittelschule sprechen alle Chinesisch. Aus diesem Grund fallen Tibeter schnell zurück. Häufig wollen Tibeter ihre Kinder auf chinesische Schulen schicken, damit sie auf dem Arbeitsmarkt besser konkurrieren können. Aber auch die chinesische Ausbildung garantiert keine Arbeit, da es immer gebildetere Chinesen gibt und weil auf dem chinesisch-dominierten Arbeitmarkt chinesesische Arbeitskräfte bevorzugt werden. 46 Die Webseite ExplorersWeb erklärte „Die Wahrheit über Nangpa-La“ zum „Best of ExplorersWeb“ im Jahre 2006. Siehe Anhang II. 47 Der Ausrüster sagte gegenüber The Alpinist weiter: „Ich hoffe, dass Bergsteiger immer ihre Stimme erheben werden, wenn etwas geschieht.“ (The Alpinist, Februar 2007) 48 Der amerikanische Bergsteiger und Dr. Teofredo T Esguerra, Arzt und stellvertretender Expeditionsleiter von den Philippinen. Dr. Esguerra sagte gegenüber ICT, dass er Augenzeuge der Schüsse wurde, da er im vorgeschobenen Basislager war und sich um einen kranken spanischen Bergsteiger gekümmert hat. Er gab einer Zeitung von den Philippinen ein ergreifendes Interview vom Cho Oyu ab. 49 Die tschechischen Bergsteiger fügten hinzu: „Der Vorfall war ein wichtiger Beleg für den Status Quo in Sachen Menschenrechte in Tibet. Bedauerlicherweise töten sie Tibeter, gerade wenn die Welt sich auf die Olympischen Spiele in China vorbereitet. Für mich ist das ein unverzeihlicher Angriff auf indigene Völker, wenn die Welt doch den Frieden zelebrieren sollte.“ 50 Das Video war kurze Zeit später auf der Webseite „Youtube“ zu sehen. Das Magazin „Foreign Policy“ bezog sich in seiner Januar/Februar-Ausgabe 2007 auf den sog. „Youtube-Effekt“, der zu größerer Transparenz und Verantwortlichkeit von Regierungshandeln führen könne, da Ereignisse — wie der Nangpa-Vorfall — sofort einer breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden könnten. 51 Der Tibetologe der Columbia-Universität, Dr. Robert Barnett verglich diese Äußerung mit der Position der chinesischen Behörden nach den Tötungen in Lhasa 1987 bei einer Demonstration – bei der daran festgehalten wurde, dass die Polizei gar kein Feuer eröffnet hätte. Dr. Barnett weist darauf hin, dass im Januar 1988 die chinesische Regierung an die Vereinten Nationen schrieb, dass am 1. Oktober 1987 die tibetischen Demonstranten „Waffen aus den Händen der Polizisten für Öffentliche Sicherheit gerissen und in die Menge geschossen (hätten). In Folge wurden sechs Personen getötet. Weder schossen die Polizisten für Öffentliche Sicherheit noch erwiderten sie das Feuer“ (Schreiben der Regierung der Volksrepublik Chinas an Professor Amos Wako, den UN-Special Rapporteur for Summary and Arbitrary Executions, zitiert in: E/CN.4/1988/22 (19. Januar 1988), Paragraph 82.) Diese Behauptung wurde durch unabhängige Berichte sowie Fotos der chinesischen Polizei, als sie in die Menge feuert, widerlegt. Später änderten die chinesischen Behörden ihre Position und gaben zu, dass I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 69 die chinesische Polizei „gezwungen war….in die Luft zu feuern“. Tibeter sagten später mit schwarzem Humor, dass die Kugeln von den Wolken abgeprallt sein müssen. 52 Im Januar 2007 schien es wahrscheinlich, dass die EU den Vorfall während der nächsten Runde des Menschenrechtsdialogs mit China thematisieren würde. 53 Die Befragte konnte nicht genau bestimmen, wie lange die Schüsse andauerten. Sie erinnerte sich daran, dass die Soldaten „grüne Uniformen“ trugen und dass „einer von ihnen eine Pistole trug und ein anderer lange Arme hatte“. Ein Mönch der Gruppe, der sich offenbar während der Schüsse verstecken konnte, wurde einige Tage später gefunden und festgenommen. Als er inhaftiert wurde, konnte er nicht richtig gehen, da er bei seinem Fluchtversuch hingefallen war und sich verletzt hatte. Weitere der mehr als 50 Personen aus der Gruppe, die versuchten zu fliehen, wurden später festgenommen. Beide Nonnen erklärten, dass sie von den Schüssen geschockt waren, da sie von solchen Ereignissen nie gehört hatten. Sie glaubten, dass auch die Größe der Gruppe mit den Geschehnissen in Zusammenhang stand. 54 Laut UNHCR-Bericht für Nepal aus dem Jahr 2004 gab es 20.700 „persons of concern“ tibetischen Ursprungs im Land. Vergleiche: UNHCR Weltbericht 2004 — Nepal, S. 2. Die elektronische Version kann unter folgendem Link eingesehen werden: http://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/vtx/home/opendoc.pdf?tbl=PUBL&id=42ad4da 50&page=home. 55 Zum ICT Bericht über den Abschiebevorfall an der Grenze 2003 siehe „Gefährliche Flucht 2003“, als Download verfügbar unter www.savetibet.de. 56 Bei dieser Gesamtzahl sind auch einige Passinhaber dabei. 57 Im Dezember 2006 änderten sich die indischen Ausreisebestimmungen. Es wird nicht erwartet, dass diese Änderung Auswirkung auf die Durchreise der Tibeter durch Nepal oder auf die Herausgabe von besonderen Einreisegenehmigungen (SEP) an Tibeter hat. In den letzten Jahren reisten immer mehr Tibeter mit Familienangehörigen in westlichen Ländern von Tibet durch Nepal und betraten Indien mit SEP. Sie waren dann in der Lage, sich westliche Reisedokumente (oder ICRC Reisedokumente) in Neu Delhi zu beschaffen, die für die Familienzusammenführung ausgestellt werden. Auf der Grundlage der SEP (die beweisen, dass der Inhaber Indien legal betreten hat und deshalb nicht wegen illegaler Einwanderung bestraft werden kann) wurden ihnen dann von den indischen Behörden Ausreisegenehmigungen erteilt. Dies wird nicht länger möglich sein — Tibeter müssen nun mit SEP nach Indien einreisen und sich dann um ein Registrierungszertifikat bewerben, das ihnen den Aufenthalt in Indien gestattet. Sobald sie dieses Dokument besitzen, können sie sich um einen indischen ‘Personalausweis’, das Reisedokument für Nichteinheimische, bewerben. Schließlich können sie Indien mit dem Personalausweis verlassen — der keine Ausreisegenehmigung erforderlich macht. Der Zeitrahmen reicht von einem bis zu drei Jahren, im Vergleich zu der nahezu sofortigen Ausreise wie derzeit gehandhabt. Laut UNHCR in Kathmandu dauert die Familienzusammenführung über Indien nun länger, auch wenn die neuen Regeln keine Gefahr für die Durchreise durch Nepal darstellen. Ein vom tibetischen Kashag am 20. September 2006 herausgegebenes Statement erklärt die Regeln folgendermaßen: „Da die Zahl solcher Personen [die einen Ausreiseantrag gestellt haben] ständig zunimmt, war die Situation für die indische Regierung immer schwieriger geworden. Sie ist der Meinung, dass einige Tibeter Indien als Ausreisemöglichkeit missbrauchten und setzte deshalb durch, dass solche Personen ab dem 31. Dezember 2006 keine Ausreise-genehmigungen mehr erhielten.“ 70 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 58 Dieser Trend setzte sich vermehrt fort, als China Nepal im Jahr 2002 zu einer Touristengegend erklärte. 59 Manchmal galt dies sogar für Tibeter mit amtlichen Papieren. Ein Tibeter, der im Besitz einer amtlichen Reisegenehmigung von der chinesischen Botschaft in Indien für einen Besuch bei seiner Familie in Tibet war, sagte gegenüber ICT, dass er bei seiner Ankunft im Sommer 2006 in Gewahrsam genommen wurde und über Nacht in Shigatse, der tibetischen Autonomen Region, festgehalten wurde. Danach durfte er zu seiner Familie reisen — wurde aber wieder festgenommen und für drei Monate in Gewahrsam genommen. Er sagte ICT, dass er geschlagen wurde, weil er sich weigerte, bestimmte Fragen zu beantworten. Der Vernehmungsbeamte wollte wissen, wie oft er den Dalai Lama gesehen habe und fragte ihn über Beamten der tibetischen Exilregierungen aus. 60 Ihm wurde auch gesagt, dass ihm eine Gefängnisstrafe drohen würde, wenn er noch mal versuchen würde, ins Exil zu fliehen. 61 Eine Summe von 100 Yuan (13 Dollar) wurden geboten einem Polizisten zu helfen, einen fliehenden Tibeter zu fassen. Die selbe Quelle erklärte, dass Menschen die das als Vollzeitjob machen 3000 Yuan (387 Dollar) im Monat verdienen, auch wenn das nicht bewiesen werden konnte. 62 Wahrscheinlich handelt es sich um Angriffsgewehre, Kopien der AK-47, mit einer automatischen Feuerfunktion. 63 Das Gefängnis, in dem die Nonnen und Mönche festgehalten wurden, war wahrscheinlich das so genannte ‘Snowland New Reception Center’, das 2003 in Shigatse speziell für Tibeter angelegt wurde, die bei Fluchtversuchen gefangen genommen wurden oder illegal aus Nepal oder Indien zurückkehrten. 64 Für weitere Informationen zum Thema religiöse Unterdrückung siehe ICT Bericht ‘When Sky Fell on Earth‘, als Download verfügbar auf der ICT Homepage unter http://www.savetibet.org/documents/document.php?id=37 65 Siehe ICT Bericht: Chinesische Behörden verbieten Teilnahme an buddhistischen Feierlichkeiten unter http://www.savetibet.org/de/news/news.php?id=297. 66 Siehe ICT Bericht: „Mönche inhaftiert — sie verurteilten mangelnde Meinungsfreiheit.“ Unter: http://www.savetibet.org/de/news/news.php?id=287 67 ‘Xibu da kaifa’ wird am häufigsten als ‘Große Entwicklung des Westen’ übersetzt. Die korrektere Übersetzung des Wortes ‘kaifa’ aus dem Chinesischen wäre jedoch ‘Ausbeutung’. 68 Siehe: ICT Bericht: Einweihung der neuen Bahnlinie nach Lhasa-Peking verschärft politische Repression in Tibet. Unter: http://www.savetibet.org/de/news/news.php?id=251. 69 Siehe: Jahresbericht 2006 der Congressional-Executive Commission on China, den man unter www.cecc.gov herunterladen kann. 70 Vgl. ICT Bericht: Zwei der „Singenden Nonne fliehen ins Exil.“ http://www.savetibet.org/de/news/news.php?id=278 71 Vgl.: ICT Bericht „Lange Haftstrafen für tibetische politische Gefangene“ http://www.savetibet.org/de/news/news.php?id=278 72 Siehe: ICT Bericht:Tibetischer Intellektueller wegen Buchmanuskript über Geschichte und Kultur zu zehn Jahren Haft verurteilt. http://www.savetibet.org/de/news/news.php?id=262. 73 ‘Nangma’ ist ein Genre von tibetischen Liedern aus der Region Lhasa, die von folgenden Instrumenten begleitet werden: Gitarre (Dranyen), Flöte (Lingbu), Fiedel (Piwang) und Hackbrett (Yangchin). I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T 71 74 Andere tibetische Frauen, die als Nonne ins Exil gingen oder mit dem Ziel, Nonne zu werden, teilen diese Erfahrung. 75 Im November 2006 verständigten sich die nepalesische Armee und die Maoisten auf eine Waffenruhe, mit dem jede Seite einen Grossteil der Waffen niederlegte und seine Truppen unter Aufsicht der Vereinten Nationen auf einige wenige Kasernen reduzierte. Human Rights Watch begrüßte neben anderen am 21. November diesen Beschluß, der, falls er durchgesetzt würde, einen Krieg beenden könnte, der circa 13.000 Menschen seit seinem Beginn 1996 in den Tod riss. Zudem wies die Organisation darauf hin, dass ein Ende der Straflosigkeit ganz oben auf der politischen Agenda stehen müsse. 76 Ein westlicher Regierungsbeamter in Kathmandu sagte Mitarbeitern von ICT im Oktober, dass China Nepal vor allem im punkto Tibet beeinflusse. 77 Der letzte Besuch war jener der dritten offiziellen chinesischen Delegation innerhalb von vier Monaten, der sowohl von der indischen als auch von der nepalesischen Presse aufgenommen wurde. 78 Während des Jahres bekräftigten die nepalesischen Behörden, dass sie China in Tibet oder Taiwanrelevanten Fragestellungen unterstützen werden. (Nepalnews, 17. März 2006). 79 Der chinesische Botschafter in Nepal, Sun Heping erklärte bei einem Treffen in Kathmandu am 14. Juli 2006, dass die Eisenbahn eine „historische Gelegenheit“ darstelle, den weiteren Handel zwischen Nepal und China voranzutreiben. (Kathmandu Post, 14. Juli 2006). Die Zeitung schrieb: „Bei dieser Gelegenheit erbat Madan Regmi, der Vorsitzende des Chinazentrums von der chinesischen Regierung, die Eisenbahnli-nie bis zur nepalesischen Grenze zu erweitern.“ 80 Laut der Nepalnews.com vom 20. März 06 wurden in der zweiten Aprilwoche die Grenzen noch einmal neu vermessen. Die Agentur berichtete: „China und Nepal teilen sich eine 14.000 km lange Grenze mit 79 Grenzsteinen. Beide Länder ließen in den Jahren 1978 und 1988 ihre Grenzen auf der Grundlage des Grenzabkommens von 1961 nach messen.“ 81 Ein informelles Netzwerk von Tibetern in der Grenzregion unterstützt Tibeter, die über Namche Bazaar ins Exil fliehen wollen, indem sie sie mit wichtigen Lebensmitteln, Unterschlupf und Weganweisungen versorgen, bevor sie nach Kathmandu und zum TRRC weiterreisen. 82 Die östlichen tibetischen Gebiete sind jetzt in die chinesischen Provinzen Qinghai, Sichuan, Gansu und Yunnan eingegliedert. 83 Eine der wichtigsten PAP-Grenzkontrollstationen bei Tragmar, ungefähr 25 km nordwestlich von Nangpa La. Tibetische Flüchtlinge überqueren die Gegend von Tragmar-Nangpa La (2-3 Tagesmärsche) in der Regel nachts, um die Grenzpatrouillen zu vermeiden. Normalerweise haben sie bereits zwischen vier Tagesmärschen bis zu einer Woche hinter sich, bevor sie die Tragmar Region erreichen. 2002 installierte die Tragmar Patrouillenstation Flutlichter, um das Gebiet während Patrouillen des Sicherheitspersonals zu beleuchten. 84 Die Gegend befindet einige Meilen südlich vom Nangpa-Pass auf der nepalesischen Seite der Grenze. 72 I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T