HBRC06HT Reply form test - International Campaign for Tibet

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HBRC06HT Reply form test - International Campaign for Tibet
GEFÄHRLICHE
FLUCHT:
ÜBER DIE LAGE TIBETISCHER FLÜCHTLINGE
BERICHT 2006
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International Campaign for Tibet (ICT) ist eine politisch unabhängige Nichtregierungsorganisation, die die Einhaltung international anerkannter Menschenrechtsstandards in Tibet beobachtet und fördert. ICT wurde 1988 gegründet und verfügt
über Büros in Washington, DC, Amsterdam, Brüssel und Berlin.
Deutsche Übersetzung: ICT. Verbindlich ist der Wortlaut des englischen Originals
„Dangerous Crossing — Conditions Impacting the Flight of Tibetan Refugees, 2006
Report“
Gefährliche Flucht: Über die Lage tibetischer Flüchtlinge l Bericht 2006
©2007 by the International Campaign for Tibet
Printed in Germany ISBN: 1-879245-26-4
Ein Bericht der International Campaign for Tibet
Washington, DC l Amsterdam l Berlin l Brüssel
www.savetibet.de
I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T
GEFÄHRLICHE FLUCHT:
ÜBER DIE LAGE TIBETISCHER FLÜCHTLINGE l BERICHT 2006
INHALT
ZUSAMMENFASSUNG
TITELBILD: Chinesische Soldaten auf dem Weg zur
Leiche Kelsang Namtsos, der 17-jährigen tibetischen Nonne,
die getötet wurde, als chinesische Grenzpatrouillen auf
eine Gruppe Tibeter schossen, die am 30. September 2006
über den Nangpa-Pass ins Exil flohen. ICT erhielt die
Aufnahme von einem britischen Bergsteiger, der
anonym bleiben will.
DANKSAGUNG
„Gefährliche Flucht“ wurde von ICT-Mitarbeitern in
Washington, DC, in Zusammenarbeit mit ICT-Teams
in Indien und Nepal zusammengestellt. ICT dankt
insbesondere den Tibetern in der Gruppe, die die Schüsse
am Nangpa-Pass am 30. September überlebt haben und
jetzt im Exil leben, für ihre Bereitschaft für diesen Bericht
auszusagen sowie den Bergsteigern, die den Vorfall
beobachtet haben, für die großzügige Überlassung von
Bildaufnahmen und ebenfalls für ihre Zeugenaussagen.
2
DIE SCHÜSSE AM NANGPA-PASS
Schusswaffengebrauch als „normale Grenzverwaltung“
Rettung eines Tibeters
Wie ich die Schüsse am Nangpa-Pass überlebte
Ein Traum vom Dalai Lama
Der Vorfall am Nangpa-Pass wird bekannt
Internationale Reaktionen auf die Schüsse am Nangpa-Pass
Die Schüsse am Nangpa-Pass: Folgen und frühere Vorfälle
5
11
14
16
19
24
26
27
GEFÄHRLICHE FLUCHT: POLITIK UND UMGANG MIT TIBETERN, DIE NEPAL
ERREICHEN
Abschieberisiken
Eine bedeutende Verschlechterung: Update über die
Schließung tibetischer Büros in Kathmandu
Kalachakra-Belehrung: mehr Tibeter nutzten Nepal als Transitland
29
FESTNAHME WÄHREND DER FLUCHT — DIE FOLGEN
36
DIE ROUTEN
39
WARUM TIBETER AUS TIBET FLIEHEN
Diffamierung des Dalai Lama
Diffamierung des Dalai Lama in tibetischen Schulen
Von einer Kellnerin zur Nonne
41
48
49
50
NEPALS SICH WANDELNDE ORDNUNG UND CHINAS EINFLUSS
52
EINE PERSÖNLICHE PILGERREISE
55
AUDIENZ FÜR NEUANKÖMMLINGE BEIM DALAI LAMA
60
EMPFEHLUNGEN
62
ANHANG I: DIE OFFIZIELLE CHINESISCHE VERSION ÜBER DIE
SCHÜSSE AM NANGPA-PASS
63
ANHANG II: REAKTIONEN AUS DER BERGSTEIGERSZENE
64
ENDNOTEN
66
31
32
34
ZUSAMMENFASSUNG
Ungefähr 2.500 bis 3.500 Tibeter begeben sich jährlich auf die gefährliche Flucht
über das Himalajagebirge in das indische und nepalesische Exil. Im Jahr 2006 reisten jedoch weniger nach Nepal als in den Jahren 2004 und 2005. Weniger als 2.600
Flüchlinge ließen sich im Tibetischen Flüchtlingsaufnahmezentrum in Kathmandu
registrieren. Viele von ihnen treten die Flucht allein deswegen an, um ihren
religiösen Führer, den Dalai Lama sehen zu können. Eine hohe Prozentzahl der
neuen Flüchtlinge sind Kinder, die von ihren Eltern in tibetische Exilschulen
geschickt werden, da sie sich den Schulbesuch ihrer Kinder in Tibet nicht leisten
können oder weil die Schulen unzureichend sind und keinen Unterricht auf
Tibetisch anbieten. Daneben wollen viele Mönche und Nonnen im Exil ihre
Religion frei ausüben und keine staatliche Verfolgung befürchten müssen. Andere
Tibeter fliehen, weil sie im Zuge neuer Entwicklungsprojekte, die China in den
armen westlichen Regionen der Volksrepublik umsetzt, enteignet und umgesiedelt
wurden oder weil es ihnen nicht möglich ist, ihren Lebensunterhalt im Wettbewerb
mit chinesischen Zuwanderern zu bestreiten. In den letzten Jahren reisen immer
mehr Tibeter mit chinesischen Pässen, um nach Indien zu pilgern und Verwandte
zu besuchen. Die meisten kehren wieder heim.
Im September 2006 wurde eine junge tibetische Nonne von der chinesischen Polizei
auf dem Nangpa-Pass erschossen. Dieser Himalaja-Pass ist ein Haupthandelsweg
zwischen Tibet und Nepal, der gewöhnlicherweise als Fluchtroute von tibetischen
Flüchtlingen genutzt wird. Zum ersten Mal wurde ein derartiger Vorfall von einer
großen Gruppe internationaler Augenzeugen — Bergsteigern am 8.201 Meter
hohen Himalajagipfel Cho Oyu, zu dessen Füßen der Nangpa-Pass liegt —
beobachtet. Einer der Bergsteiger filmte den Vorfall und das Video, das weltweit in
den Medien gezeigt wurde, sorgte für große Aufmerksamkeit. Die chinesischen
Behörden bezeichneten das Verhalten der Grenzpatrouillen als „normale Grenzverwaltung“. Dieser Bericht geht ebenfalls detailliert auf einen früheren Vorfall ein, bei
dem tibetische Flüchtlinge von chinesischen Truppen an der nepalesischen Grenze
unter Beschuss genommen worden waren.
Dramatische politische Entwicklungen im Jahr 2006 in Nepal hatten sowohl für
Tibeter mit festem Wohnsitz in Nepal als auch auf Transitreisende nach Indien große
Folgen. Friedensgespräche zwischen maoistischen Rebellen und Regierungstruppen hatten im Mai 2006 begonnen und sollten den langen gewaltsamen Konflikt
in Nepal zwischen Regierung und Maoisten beenden. Diesem Konflikt waren in
Nepal, einem der ärmsten Länder Südasiens, mehr als 13.000 Menschen zum
Opfer gefallen.
Das Ende der Alleinherrschaft König Gyanendras im April, der zahlreiche
prodemokratische Kundgebungen vorausgegangen waren, und die Machtübernahme eines neuen demokratischen Bündnisses ließen Hoffnung für die Tibet2
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Ein bewaffneter Soldat bewacht einen Militärkontrollpunkt in Nepal nahe der Grenze
zu Tibet. Der Bürgerkrieg in Nepal hatte seit 1996 angedauert, bis 2006 ernsthafte
Friedensverhandlungen zwischen den Konfliktparteien begannen. Den Auseinandersetzungen sind mehr als 13.000 Menschen zum Opfer gefallen. (Foto: Jonathan
Greene – www.jonathan-green.com)
frage in Nepal aufkommen. König Gyanendra war als Freund der chinesischen
Tibetpolitik bekannt und hatte die Schließung des Büros des Vertreters des Dalai
Lamas und des Tibetischen Wohlfahrtsbüros in Kathmandu im Jahre 2005 zu
verantworten. Beide waren für das Situation der Tibeter seit ihrer Einrichtung in
den 60er Jahren von großer Bedeutung.
Dennoch zeichneten sich auch am Jahresende keine sichtbaren Verbesserungen
der Lage der Tibeter ab, da China weiterhin einen großen politischen Einfluss auf
Nepal ausübt. Obwohl es zunächst den Anschein hatte, dass ein Verwaltungsverfahren zur Registrierung einer Organisation, die die Arbeit des geschlossenen
Tibetischen Wohlfahrtsbüros weiterführen sollte, erfolgreich abgeschlossen werden
könne, wurde das Verfahren nach Intervention der chinesischen Botschaft in
Kathmandu nicht weiterbetrieben.
Chinas Dünnhäutigkeit hinsichtlich der Tibetproblematik war insgesamt Kennzeichen der chinesisch-nepalesischen Beziehungen im Jahre 2006. Mehrere hochrangige
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3
chinesische Delegationen besuchten Kathmandu und die nepalesischen Behörden
unterstrichen dabei, keine „anti-chinesischen Aktivitäten“ auf ihrem Boden dulden
zu wollen, während China sein Hauptaugenmerk auf die Sicherheits- und
Überwachungsmaßnahmen an der tibetisch-nepalesischen Grenze legte.
Ein Flüchtlingsumsiedlungsprogramm, mit dem Tausende Tibeter, die sich derzeit
in Nepal befinden, in den Vereinigten Staaten angesiedelt werden sollen, wurde
von der chinesischen Regierung scharf kritisiert. Die neue nepalesische Regierung
hat der Umsetzung des Programmes bis jetzt noch nicht zugestimmt.
In den letzten Jahren waren mehr Fälle von Refoulement (die zwangsweise Zurücksendung oder Abschiebung von Personen in ein Land, in dem sie verfolgt werden)1
von Tibetern durch nepalesische Polizisten zu verzeichnen, wobei die Behörden
allerdings mit größerer Heimlichkeit vorgegangen waren. Während dem UN
Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in Kathmandu keine Fälle von
zwangsweiser Abschiebung im Jahre 2006 bekannt waren, konzedierte der
UNHCR, dass in Kathmandu über Vorgänge in den Grenzgebieten fast nichts
bekannt wurde — obwohl die Arbeit der UN-Beobachtermissionen im Jahr 2006
wieder aufgenommen wurde. ICT musste den Fall einer Gruppe von sieben
Tibetern zur Kenntnis nehmen, die Mitte Dezember von der nepalesischen Polizei
an die chinesischen Behörden ausgeliefert wurden. Laut einem Augenzeugen wurde
die Gruppe in der Nähe von Tatopani gefasst, das sich nur einige Kilomenter von
der „Freundschaftsbrücke“ entfernt befindet, die die Grenze zwischen Nepal
und China markiert. Chinesisches Sicherheitspersonal betrat dabei nepalesisches
Staatsgebiet, um die Flüchtlinge zurück nach Tibet zu transportieren.
Während des Jahres 2006 war die Situation für tibetische Flüchtlinge in Nepal
sehr unsicher. Tibeter auf ihrer Reise nach Nepal mussten befürchten, auf nepalesischem Territorium zurückgewiesen zu werden und auch legal Ansässige sahen
sich ständigen Schwierigkeiten ausgesetzt.
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DIE SCHÜSSE AM NANGPA-PASS
„SIE KNALLEN SIE AB WIE HUNDE“
— Sergiu Matei, rumänischer Kameramann, Augenzeuge der Schüsse auf
tibetische Flüchtlinge, die am 30. September über den Nangpa-Pass ins Exil
fliehen. Sein Kommentar ist auf dem weltweit verbreiteten Filmausschnitt zu
hören, der die chinesische Version des Vorfalls klar widerlegt. Danach
hätten die Sicherheitskräfte in Notwehr gehandelt.
Am 30. September 2006 wurde eine Gruppe von Tibetern von Einheiten der chinesischen Bewaffneten Volkspolizei unter Beschuss genommen, als sie über den
Nangpa-Pass ins Exil fliehen wollte. Die Tibeter, waren von einem BergsteigerBasislager am Himalajagipfel Cho Oyu, der sich nur wenige Kilometer östlich
befindet, klar zu sehen, als sie den vereisten Nangpa-Pass in einer Höhe 5.716
Metern westlich des Mount Everest überqueren wollten. ICT sammelte eine Reihe
von Augenzeugenberichten und befragte die Mehrheit der Tibeter, denen die
Flucht nach Nepal gelungen war, um den Vorfall dokumentieren zu können.
Angehörige der Bewaffneten Volkspolizei überqueren einen Bergkamm in der Nähe
des Nangpa-Passes, unmittelbar nach der Erschießung einer tibetischen Nonne.
Im Vordergrund tibetische Gebetsfahnen. (Foto: ICT hat die Aufnahme von einem
britischen Bergsteiger erhalten, der anonym bleiben möchte)
Ein Google Earth Bild,
das das Gebiet zeigt, in
dem geschossen wurde.
Die gelbe Linie markiert
die tibetisch-nepalesische
Grenze, die ungefähr
15-20 Minuten Fußmarsch
von dem Punkt entfernt
liegt, an dem Kelsang
Namtso erschossen wurde.
(Foto: ICT)
Drei chinesische Soldaten
beobachten das Gebiet,
in dem die Schüsse fielen,
ungefähr 200 Meter vom
Basislager entfernt.
(Foto: Britischer Bergsteiger)
Augenzeugen konnten die Tibeter zum ersten Mal vom Cho Oyu aus als zwei
Reihen von 20 bis 30 schwarzen Punkten im Schnee wahrnehmen.2 Mehrere Bergsteiger erklärten, dass für sie klar gewesen sei, dass sich viele Kinder in der Gruppe
befanden, da diese kleiner waren als der Rest und sich langsamer bewegten;
zumindest einer der Bergsteiger äußerte die Vermutung, dass die Anwesenheit der
Kinder möglicherweise den Rest der Gruppe aufgehalten und sie davon abgehalten
hatte, schneller die Grenze zu erreichen.3
Expeditionsleiter erinnerte sich, eine Gruppe Soldaten im vorgeschobenen Basislager gesehen zu haben, eine andere Gruppe von ungefähr drei Soldaten auf einem
Kamm in ca. 275 Metern Entfernung, drei weitere unten auf einem Kamm und
zwei oder drei links davon (s. die Bilder als Begleitmaterial).8 Ein europäischer
Bergsteiger, der anonym bleiben möchte, erklärte, dass drei bis fünf Soldaten auf die
Tibeter feuerten: „Man konnte sehen, wie sie ihre Waffen schulterten und es gab
einen Rückstoß.“9
Der Nangpa-Pass dient als Haupthandelsroute zwischen Tibet und Nepal und
wird gewöhnlich als ein Fluchtweg von Tibetern benutzt, die ins Exil fliehen.
Yakkarawanen und Flüchtlinge werden oftmals von Bergsteigern am vorgelagerten
Basislager am Cho Oyu gesehen, insbesondere Ende September und Anfang
Oktober, wenn die Hochzeit der Bergsteigerexpeditionen angebrochen ist.
Es wurden 15 bis 20 Minuten lang mit Unterbrechungen Schüsse auf die Tibeter
abgegeben, die verzweifelt versuchten, die Grenze zu erreichen und zu entkommen.
Verschiedene Augenzeugen machen unterschiedliche Aussagen über die Dauer der
Schüsse, was auf die Panik des Augenblickes zurückzuführen sein könnte. Sergiu
Matei, ein professioneller Kameramann aus Rumänien, der seinen Urlaub im
Himalaja verbrachte, nahm seine Kamera und filmte, was sich vor seinen Augen
abspielte.
Es war um acht Uhr morgens bei klarem Wetter (einer der Tibeter sagte aus, dass
die Sonne gerade den Berggipfel erreicht hatte),4 so dass die Tibeter für mindestens
60 internationale Bergsteiger und deren Träger und Personal klar zu sehen waren,
von denen die meisten gerade ihr Frühstück beendeten oder sich in ihren Zelten
ausruhten. Nach einigen Berichten könnten es sogar mehr als 100 Bergsteiger
gewesen sein, plus Träger und Personal, die sich zu dieser Zeit im Basislager
befanden.5 Als die Gewehrschüsse zu hören waren, rannten die Bergsteiger, die in
ihren Zelten waren, nach draußen und begaben sich zu den anderen. Sie hatten
klare Sicht auf den Pass und waren entsetzt über den Vorgang, den sie aus kurzer
Entfernung beobachten konnten.
Zwei der Augenzeugen, ein britischer Polizeibeamter und ein ehemaliger Scharfschütze der britischen Armee, beschreiben die Gewehre als ‘AK-47s’; es handelte
sich um chinesische Sturmgewehre des Typs 81 (Kopien der AK-47 Kalashnikov,
entworfen für Nahkampfgefechte), das von der Volksbefreiungsarmee am meisten
genutzte Automatikgewehr.10 Die Gewehre können automatisch abgefeuert
Mitglieder der Bewaffneten
Volkspolizei im Basislager des
Cho Oyu. Mindestens einer der
Bergsteiger schilderte ICT,
dass das anwesende Sicherheitspersonal einzelne
anwesende Alpinisten filmte,
die sich zum Zeitpunkt des
Vorfalls im Basislager aufhielten.
(Foto: Britischer Bergsteiger)
Ein amerikanischer Bergsteiger und Expeditionsleiter sagte ICT: „Ich sah die Reihe
der Flüchtlinge am frühen Morgen, als sie den Pass überquerten, noch bevor ich ins
Zelt ging um zu frühstücken. Ich kenne die politische Situation der Tibeter in
Tibet und erinnere mich, dass es mir durch den Kopf schoss, dass sie sich nahe der
Grenze befanden, und war erleichtert, weil ich dachte, dass sie sicher nach Nepal6
kommen würden. Aber dann sagte einer unserer Sherpas ‘die chinesischen
Soldaten kommen, sehr schlecht’. Ich hörte den ersten Schuss und rannte nach
draußen. Es waren Soldaten über die Moräne vor dem Basiscamp verteilt.7 Soldaten
erschienen sogar im Lager selbst. Ich beobachtete vier verschiedene Soldaten, die
sich niederknieten und auf die Tibeter zielten.“ Ein englischer Bergsteiger und
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7
werden, aber die meisten Augenzeugen einschließlich derjenigen Bergsteiger, die
etwas Kenntnis von Feuerwaffen hatten, berichteten von einzelnen Schüssen, und
weniger von Gewehrsalven. Viele von ICT befragte Bergsteiger äußerten sich auch
über das Alter der Soldaten: „Sie waren noch Kinder, gerade 18 Jahre alt“, bemerkte
einer der Befragten.11
Mehrere Bergsteiger berichteten von einer „einschüchternden“ Atmosphäre im
vorgeschobenen Basislager vor und nach der Schießerei; der britische Polizeibeamter
Steve Lawes erklärte: „Die Soldaten waren eher jung, und scheinbar unberechenbar.“12 Einige der von ICT befragten Bergsteiger sagten, dass mindestens einer der
Soldaten die Bergsteiger im vorgeschobenen Basislager zur Zeit des Zwischenfalls
filmte.13
Verantwortlich für die Schüsse sind Einheiten der Bewaffneten Volkspolizei, einer
paramilitärischen Einheit, die aus der Volksbefreiungsarmee heraus in den frühen
80er Jahren gebildet wurde. Sie wird für die innere Sicherheit, Grenzkontrollen
sowie den Schutz von staatlichen Einrichtungen einschließlich der Gefängnisse
eingesetzt. Die Bewaffnete Volkspolizei, die zentral für die Patrouillen im Hochgebirge und damit für die Überwachung der Fluchtrouten der Tibeter zuständig ist,
steht sowohl unter der Kontrolle eines Regierungsministeriums als auch der
Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).14 Die Lager der Bewaffneten Volkspolizei
sind alle befestigt, besitzen Gefängniskapazitäten und werden auch von Einheiten
der Volksbefreiungsarmee benutzt. Nach Aussagen in diesem Gebiet dürfte
mittlerweile eine gestiegene Zahl an Militärpersonal in der Region nach dem
Zwischenfall stationiert sein.
Das Videofilmmaterial15 enthüllt, dass drei Tibeter unter den Schüssen zusammenbrachen, aber zwei von ihnen wieder aufstanden. Nicht alle der Augenzeugen hatten
dies zu diesem Zeitpunkt wahrgenommen. Der amerikanische Bergsteiger bemerkte
es und sagte später: „Wir sahen drei zu Boden gehen, aber einer blieb unten. Ich
dachte, ich sähe die anderen stolpern und zucken, als ob sie getroffen wären. Es
scheint, dass hinter einem kleinen Hügel, was wir nicht sehen konnten, weiter
geschossen wurde.“
möglicherweise der Rucksack einer ihrer Freunde, einer weiteren jungen Nonne, die
diesen wahrscheinlich während der Schüsse abwarf und der es gelang zu entkommen.
Einer der tibetischen Flüchtlinge, ein junger Mann Ende zwanzig, stolperte nach
den Schüssen in das vorgeschobenen Basislager, um zu fliehen; er war verängstigt
und durcheinander. „Einige der Bergsteiger weinten“, erzählte er ICT.16
Während die Schüsse fielen, betraten Soldaten der Bewaffneten Volkspolizei
zusammen mit einer Gruppe tibetischer Kinder und Erwachsener aus der Gruppe,
die sie in Gewahrsam genommen hatten, das vorgeschobene Basislager. Der
britische Polizeibeamte Steve Lawes erklärte: “Eine Gruppe von ungefähr zehn
bis zwölf Kindern, die zwischen sechs und zehn Jahren alt gewesen sein dürften,
wurde in das vorgeschobene Basislager in Begleitung von drei Soldaten mit
Nahkampfgewehren gebracht. Die Kinder standen in einer Reihe, ungefähr zwei
Meter von mir entfernt. Sie sahen uns nicht — sie schauten sich nicht um, wie das
Kinder normalerweise tun, sie fürchteten sich zu sehr. Zu dieser Zeit liefen überall
im vorgeschobenen Basislager Soldaten herum. Sie waren überall präsent und die
Atmosphäre war sehr einschüchternd.” Mehrere Bergsteiger schilderten ihren
Eindruck von den in Gewahrsam genommenen Kindern, und Bilder zeigen die
Gruppe im Lager. Einige Bergsteiger meinten, dass die Kinder resigniert oder
verwirrt wirkten aufgrund dessen, was geschehen war. Im Basislager wurde ihnen
von den Soldaten zu essen gegeben. Berichte von Tibetern in der Gruppe, die es
nach Nepal geschafft hatten, deuteten an, dass alle Kinder auf der Reise Hunger
litten, weil sie nicht genug Proviant bei sich trugen. Ein Standfoto, aufgenommen
von Pavle Kozjek, zeigt die Gruppe vor einem grünen Zelt, das sich von den
Zelten der Bergsteiger durch die rote chinesische Flagge unterscheidet.
Kinder und ältere Tibeter, die von der Bewaffneten Volkspolizei festgenommen
wurden, werden aus dem Basislager abgeführt (der Rucksack, der von einem der
Tibeter getragen wird zeigt die Maskottchen der Olympischen Spiele 2008 in Peking).
(Foto: Britischer Bergsteiger)
Die Person, die fiel und liegenblieb, war die 17-jährige Kelsang Namtso, eine junge
Nonne aus Nagchu (chinesisch: Nagu) aus der Tibetischen Autonomen Region
(TAR). Sergiu Matei sagte: „Ich konnte aufnehmen, dass ein kleiner schwarzer
Schatten zu Boden ging. Man sieht ein menschliches Leben im Bruchteil von
Sekunden dahinschwinden. Diese Person atmete wie du, aß wie du, tat genau das
Gleiche wie du.“ Kelsang Namtso, wie alle anderen der Tibeter, auf die geschossen
wurde, hatte den Soldaten, die schossen, den Rücken zugewandt. Die Geschosse
scheinen durch ihren Körper nahe der Achseln durchschlagen zu haben, wie Augenzeugen be-richteten, die ihren Körper später sahen. Nachdem sie in den Schnee
gefallen war, versuchte sie nach oben zu kriechen, bevor sie liegenblieb. Sergiu
Matei schaltete seine Kamera aus: „Ich wollte nicht filmen, wie sie stirbt.“ Ein
Standfoto — das Titelbild dieses Berichtes — von ihrem Körper, das vom
vorgeschobenen Basislager aus vom slowenischen Bergsteiger Pavel Kozjek
aufgenommen wurde, zeigt einen zweiten dunklen Schatten neben ihr im Schnee,
8
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9
Soldaten der Bewaffneten
Volkspolizei mit einer Gruppe
von Kindern, die sie auf dem
Nangpa-Pass festgenommen
hatten. Die Gruppe bestand
aus 70 Tibetern, darunter
7-jährige Kinder.
(Foto: Pavle Kozjek)
Nach Quellen von ICT wurden die meisten Kinder wahrscheinlich Ende 2006 zu
ihren Familien in Tibet zurückgeschickt, nachdem die Eltern eine Strafe gezahlt
hatten.18 Ein verlässlicher Bericht spricht allerdings davon, dass alle Kinder der
Gruppe, die über 16 Jahre alt waren, in der Haft mit Knüppeln und elektrischen
Schlagstöcken geschlagen wurden. Einer europäischen Regierung wurde mitgeteilt,
dass die Kinder, die gefangengenommen worden waren, kurz darauf wieder
zu ihren Familien entlassen wurden. Laut inoffizieller Informationen, die ICT
erhalten hat, wurde die Gruppe nicht sofort entlassen und manche befinden sich
vielleicht auch noch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts in Haft.
Dieselbe Quelle, die sich mittlerweile im Exil befindet, ist der Auffassung, dass die
Eltern offensichtlich nach Shigatse vorgeladen wurden, um ihre Kinder aus dem
Gefängnis abzuholen. Die Kinder seien dabei unterschiedlich lange in Haft gewesen;
von einigen Wochen bis zu drei Monaten.
Ein junger Tibeter wurde ebenfalls von den Bergsteigern gesehen, als er im
Gewahrsam von Soldaten ins vorgeschobene Basislager humpelte. Auf einem Foto,
das von einem der britischen Bergsteiger aufgenommen wurde, scheint es, als ob
getrocknetes Blut auf seinen Jeans in Höhe des Knöchels zu sehen wäre. Ein
europäischer Bergsteiger konnte mit dem jungen Tibeter im Basislager mit Hilfe
eines Chinesen aus einem anderen Expeditionsteam, der für ihn übersetzte,
sprechen: „Er sagte mir, dass er beim Gehen große Schmerzen hätte — der Knochen
war wahscheinlich gebrochen. Wenn er sich ausruhte, war sein Bein in Ordnung.
Er schien den Schmerz aushalten zu können. Seine Verletzung schien nicht lebensbedrohlich zu sein, sie war weit unten an seinem Bein.“19 Der Bergsteiger der
unerkannt bleiben möchte, sagte, dass es ihm gelang, die Aufmerksamkeit des
chinesischen Bergsteigerteams auf den Verletzten zu lenken: „Er atmete schwer, aber
sie hatten keine Ahnung, was ihm fehlte und hatten auch keine schmerzstillenden
Medikamente bei sich.“
nahe der Fußspur nachdem ihn ein Schuss am Bein getroffen hatte und die Nonnen rannten genau vor ihm. Dann wurde eine Nonne erschossen und starb.“
Derselbe europäische Bergsteiger, der mit Kalsang Namgyal gesprochen hatte,
sagte: „Die in Gewahrsam genommenen Kinder sahen mich zu Tode erschrocken
an. Es gab einen Soldaten im Basislager, der eine Pistole hatte und mehr Sterne auf
seiner Uniform.21 Er war definitiv ranghöher. Er forderte zum Schießen auf und
sagte jedem, was er zu tun habe, während sie die Kinder und den Mann mit dem
angeschossenen Bein festhielten.“
Mehrere von ICT befragte Bergsteiger berichteten von der Einstellung der Soldaten
vor und nach den Schüssen. Sergiu Matei sagte: „Sie handelten so, als ob es [die
Schüsse] sich um eine ganz normale Aufgabe handelt.“ Ein europäischer Bergsteiger
sagte: „Uns gegenüber waren sie ein wenig feindselig, aber ansonsten ganz entspannt.
Sie wussten genau, was sie taten.“ Bei bestimmten Punkten verlangten die Soldaten
nach den Ferngläsern, die einigen der Bergsteiger gehörten, um den Pass genau
abzusuchen. Derselbe europäische Bergsteiger erklärte: „Ein Soldat kam zu mir
und fragte nach meinem Fernglas. Ich gab es ihm. Er war ziemlich aggressiv.“22
Kurz nach dem Vorfall kursierten in den Medien Berichte über weitere Tote. Diese
Opfer wurden weder von Bergsteigern bestätigt, noch sah die Gruppe von
Tibetern, die sicher ins Exil floh, ihre Körper. Allerdings erreichten Gerüchte von
bis zu acht Toten unter Sherpas und Tibetern der Gegend Bergsteiger am Cho
Oyu, infolge dessen entsprechende Berichte in die Medien gelangten.23 Weitere
Berichte sprechen davon, dass ein tibetischer Junge angeschossen und später in der
Haft seinen Verletzungen erlegen sein könnte. Dies konnte allerdings zum
Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichtes nicht verifiziert werden. ICT kann
ferner keine weiteren Opfer bestätigen.
SCHUSSWAFFENGEBRAUCH ALS „NORMALE GRENZVERWALTUNG“
Nach chinesischem Strafrecht verletzen Tibeter, die illegal die Grenze überqueren,
Artikel 322 des Strafgesetzbuches und können aufgrund des „geheimen ÜberEine chinesische
Militärbasis, die den
Nangpa-Pass zwischen
Tibet und Nepal
überwacht. Berichte
gehen davon aus, dass
man von der Basis aus
die Spitze des Passes
beobachten kann. Die
nepalesische Grenze ist
ca. 12 bis 15 Kilometer
entfernt.
Der junge Tibeter wurde von einigen Tibetern aus der Gruppe, die ins Exil geflohen waren, als Kalsang Namgyal aus der Tibetischen Autonomen Präfektur Kardze
(Chinese: Ganzi) in der Provinz Sichuan, dem tibetischen Kham, identifiziert. Ein
Tibeter in den Zwanzigern, der aus der Heimatgegend von Kalsang Namgyal
stammt, kann bezeugen, dass er angeschossen worden war und sagte ICT: „Die
Soldaten schossen auf die Leute vor mir, und ich konnte sehen, dass einige ihre
Habe von sich warfen, damit sie schneller laufen konnten. Dies war wegen wegen
des Schnees und der Höhe der Berge schwierig Kalsang Namgyal saß irgendwo
10
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Stunden im Schnee versteckt hatten, zurück zur Leiche. Eine von ihnen sagte:
„Wir überprüften, ob sie noch lebte oder schon tot war, aber sie war bereits tot.
Wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, noch 15 Minuten weiter zu gehen, hätte
sie die Grenze passieren können. Ich versuchte, ihren rechten Arm zu heben und
sah, dass ihre Brust Blut überströmt war, und man sah sehr deutlich helles rotes Blut,
das auf den Schnee floss, weil der Schnee doch so weiß ist.“
Erst am nächsten Tag begann eine größere Gruppe Beamter und Polizisten, die Leiche wegzuschaffen. Ein britischer Bergsteiger, ein professioneller Expeditionsleiter,
nahm eine Reihe von Bildern mit einem Teleskopobjektiv auf, um die Szene, die
sich in der Nähe der Leiche am 1. Oktober abspielte, zu dokumentieren.27 Die
Bilder zeigen ungefähr zwölf Personen, die sich um die Leiche der Nonne im
Schnee eingefunden haben. Einer der Beamten oder Polizisten scheint Notizen zu
machen, und auf einem anderen Bild ist ein Mann zu sehen, der mit den Händen
hinter dem Kopf im Schnee liegt, nachdem die meisten der Gruppe schon
gegangen sind.28 Mehrere Bergsteiger bestätigten, dass Mitglieder der Gruppe
Aufnahmen der Leiche machten. Eine im Schnee steckende Schaufel ist zu sehen.
Deshalb war in frühen Berichten die Rede davon, dass die Nonne dort im Schnee,
wo sie gestorben war, auch bestattet wurde.
Angehörige der Bewaffneten Volkspolizei und andere Beamte stehen um den Körper
der tibetischen Nonne herum, ein Tag nachdem sie erschossen wurde. Ein Beamter in
Zivilkleidung ist in der Mitte abgebildet. Viele der Polizisten trugen weiße Sturmhauben
(Skimasken). (Foto: Britischer Bergsteiger)
querens nationaler Grenzen“ festgenommen werden. Es ist ebenfalls durch Berichte
geflohener Tibeter bekannt geworden, dass Truppen der Bewaffneten Volkspolizei
die Anweisung haben, Tibeter aufzugreifen, die die Grenze überqueren. Ein früherer
Zwischenfall, bei dem auf Tibeter im Gebiet Dingri nahe der Grenze zu Nepal
geschossen wurde, ist weiteres Beispiel für den rücksichtslosen Umgang der
chinesischen Behörden mit tibetischen Flüchtlingen. Der aktuelle Vorfall wurde
durch eine offizielle Antwort der chinesischen Regierung an eine europäische
Botschaft in Peking bestätigt, wobei erklärt wurde, dass die Grenzpolizei gemäß
‘normaler Grenzverwaltung’ gehandelt hatte.24 Berichte von Augenzeugen der
Schüsse am Nangpa-Pass im September belegen, dass die Grenzbeamten es als
legitim ansehen, auf Tibeter zu schießen, die sich auf der Flucht nach Nepal befinden.
Ungefähr eine bis eineinhalb Stunden nachdem die Schüsse eingestellt worden
waren, berichteten Bergsteiger, dass ungefähr drei Beamte oder Polizisten aufbrachen, um den leblosen Körper der Nonne Kelsang Namtso zu untersuchen und
dass später Soldaten auf dem Gletscher bis zum Sonnenuntergang patrouillierten,
als ob sie nach Personen suchten.25 Bei Einbruch der Dunkelheit konnte man
immer noch Kelsang Namtsos Körper auf dem Pass sehen. Mehrere Bergsteiger
sprachen darüber, dass man vom vorgeschobenen Basislager hinuntersteigen solle,
um ihren Körper als Beweis für das, was geschehen war, zu fotografieren, doch
keiner tat dies.26 Nachdem die Soldaten nicht mehr in Sichtweite waren, gingen drei
Nonnen aus der Gruppe der Tibeter, die entkommen waren und sich selbst mehrere
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Dr. Pierre Maina erklärte, dass am Morgen des 1. Oktober noch mehr Beamte im
vorgeschobenen Basislager angekommen waren: „Sie sahen wie Beamte aus, vielleicht Militärbeamte von höherem Rang. Sie gingen am Gletscher vielleicht drei
oder vier Stunden entlang, überprüften alles und gingen dann schließlich zu der
Leiche, die sie dort am Nangpa-Pass finden konnten. Immer mehr Beamte oder
Polizisten schlossen sich ihnen an.“ Dr. Maina beobachtete das Geschehen durch
sein Fernglas und sagte: „Sie standen alle um die Leiche herum und es schien, dass
sie Notizen und Fotos machten. Dann wickelten sie die Leiche ein, es sah aus wie
ein rotes Tuch29 und luden sie auf.“ Sergiu Matei bestätigt die Szene gleichfalls,
aber ohne Fernglas: „Sie wickelten die Leiche in etwas ein und zogen sie danach den
Gletscher hinunter.“
Es ist nichts über den Verbleib der Leiche von Kelsang Namtso bekannt, aber es ist
wahrscheinlich, dass sie vom Pass weggeschafft wurde, vermutlich zu einem späteren
Zeitpunkt und ohne Augenzeugen. Eine tibetische Nonne, die aus der gleichen
Gegend wie die Getötete stammt, sagte ICT im Januar 2007, dass die Leiche
Kelsang Namtsos ihren Eltern nicht übergeben worden war.30
Von der Gruppe, die ursprünglich mehr als 70 Tibeter umfasste, erreichten,
nachdem die Schüsse gefallen waren, 43 Tibeter Nepal. Von der Gruppe der 70
wurden mindestens 15 im Gewahrsam der chinesischen Soldaten im vorgeschobenen Basislager gesehen, und es wird vermutet, dass sie in Haft genommen wurden.
Ungefähr 23 Tibeter der größeren Gruppe hatten offensichtlich den Anschluss
verloren, noch bevor die Schüsse fielen. Nach den Berichten, die ICT erhielt, waren
die meisten wahrscheinlich in Gewahrsam genommen worden. Es ist nicht bekannt,
ob sie wieder freigelassen wurden.
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RETTUNG EINES TIBETERS
Sergiu Matei, der rumänische Bergsteiger, der die Erschießung der Nonne gefilmt
hatte, schilderte ICT, wie er einem jungen Tibeter half, der hinter die Gruppe zurückgefallen war, die unter Beschuss genommen wurde. Dieser hatte sich im Basislager
zu verstecken versucht:
„Kurz nachdem die Schießerei vorüber war, kam ein junger tibetischer Küchenjunge zu mir und sagte, dass jemand in der Toilette sei. Ich nahm meine Kamera,
um diesen Moment als Beweis festzuhalten. Ich möchte nicht wissen, was dem
Tibeter durch den Kopf ging, als er meine Schritte hörte und niemanden sah. Aber
ich erkannte, was er dachte, als ich seine Augen sah. Jetzt ist alles aus, waren seine
Gedanken. Als er mich mit der Kamera erblickte, war er immer noch verängstigt.
Er verstand kein Englisch und ich sprach mit ihm auf Rumänisch, wobei ich
versuchte, mit freundlicher und warmer Stimme zu sprechen, damit er verstehen
konnte, dass ich ihm nichts
Böses wollte. Ich sagte, er
solle hier bleiben und ich
würde ihm etwas zu essen
bringen. Ich holte ein paar
Pfannkuchen und etwas
Käse, Überbleibsel vom Mittagessen, und gab ihm alles.
Ich fragte ihn, ob er den
Dalai Lama besuchen wolle
und er legte seine Hände
zusammen, als ob er beten
wolle. Da wusste ich, dass
wir einander verstanden. Ich
ging vom Zelt weg und
überzeugte den Leiter des
Basislagers und ein paar andere Leute, dass er eine
Einer der Polizisten, der vor Ort bleibt, macht sich
heiße Tasse Tee brauchte
und warme Kleidung, denn er Notizen, während ein anderer im Schnee liegt.
war schon ganz blau gefroren. (Foto: Britischer Bergsteiger).
Es war nicht besonders kalt,
zwei Grad minus — in dieser Höhe ein angenehmes Wetter. Der Leiter des
Basislagers und sein Personal waren sehr, sehr ängstlich und sagten, dass sie das
nicht tun könnten, denn wenn man sie erwischte, würden sie erschossen werden. Ich
sagte ihnen, dass es keinen Anlass gäbe sich zu sorgen, denn wenn sie kämen, würde
ich ihnen sagen, dass er von mir angeheuert worden wäre. Sie sagten mehrere
Stunden lang immer wieder nein. Dann gaben sie nach. Der Leiter des
Basislagers erteilte mir keine Erlaubnis, dem Tibeter zu helfen, aber ich tat es
einfach. Ich holte ihn aus der Toilette und brachte ihn zum Küchenzelt, wir gingen
geradewegs an ein paar Soldaten vorbei. Ich setzte einen Hut auf seinen Kopf und
legte meinen Arm um ihn, damit es ganz natürlich aussah, so als ob ich etwas mit
ihm diskutieren würde. Ich erwärmte etwas Milch mit ein paar Cornflakes und
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fügte noch Flüssigkeit hinzu, damit er genug Energie bekam, um es über den Pass
zu schaffen. Ich gab ihm soviel zu essen, wie ich nur konnte. Der Leiter des Basislagers und ein paar der Küchenjungen sagten mir, dass ich sehr vorsichtig sein
müsse, denn sie hatten gehört, dass die Chinesen mindestens zwei der Tibeter [aus
der Gruppe] vermissten und sie suchten. Ich gab ihm warme Kleidung, da er
zitterte, und nachdem er sie angezogen hatte, wurde ihm wärmer, aber er wusste
nicht wie er sagen sollte, dass es ihm nun nicht mehr kalt war. Er zeigte mir, indem
er sich schüttelte, als ob er fröre, und dann wieder damit aufhörte. Es war ungefähr
morgens um 2.30 Uhr, es war dunkel und keine Soldaten oder Bergsteiger waren
zu sehen. Wir standen uns gegenüber und sahen uns an. Dann senkte er den Blick,
offensichtlich um in sich zu gehen. Wahrscheinlich dachte er, dass er nun wirklich
gehen muss, und zwar gleich, weil es noch dunkel war. Wenn man sieht, wie die
eigenen Freunde bei der Überquerung des Gletschers niedergeschossen werden,
denkt man wahrscheinlich, dass man das gleiche Schicksal hat. Ich gab ihm einen
Klaps auf seinen Rücken und zeigte ihm den kürzesten Weg über den Gletscher
und sagte, dass Gott mit ihm sein wird.“
Der Tibeter, ein 27 Jahre alter Bauer aus Kardze in Sichuan (Kham) gelangte sicher
nach Nepal und besucht jetzt eine tibetische Exilschule in Indien. Er erklärte ICT,
warum er hinter den Rest der Gruppe zurückgefallen war, bevor er Zuflucht im
Basislager suchte. Er hätte das Weinen eines Kindes aus seiner Heimatregion gehört
und war zurückgegangen, um nach dem Kind zu sehen. Er wisse nicht, wo das
Kind nun sei. In seinem Bericht verweist er auf folgende Gründe für seine Flucht
aus Tibet:
„Als Kind ging ich sechs Jahre lang zur Schule, aber danach konnte ich meine
Ausbildung nicht fortsetzen, denn ich hätte auf die Distriktschule gehen müssen.
Stattdessen half ich meinen Eltern auf den Feldern und sammelte je nach Jahreszeit
Yartsa Gunbu (Raupenpilze) als zusätzliche Einnahmequelle.31 Anfangs wollte ich
mit einem chinesischen Pass nach Nepal gehen, aber als ich einen Pass beantragte,
wurde mir mitgeteilt, dass erst nach Beendigung der Spiele Chinas und der westlichen Länder [dies ist wahrscheinlich eine Bezugnahme auf die Olympischen
Spiele, aber das konnte nicht bestätigt werden] möglich wäre, einen Pass zu erhalten. So entschloss ich mich zur Flucht. Ich bin ein überzeugter Anhänger Seiner
Heiligkeit des Dalai Lama. Nicht nur ich, sondern die Mehrzahl der Tibeter in
meinem Gebiet wollen von ihm empfangen werden. Die Bewohner meiner Heimatregion haben besondere Gebete für ein langes Leben des Dalai Lama organisiert.32
Es ist traurig, dass diese [Tibeter die] nicht den Weg nach Nepal nehmen konnten
und dass auch jene, die von den Chinesen verhaftet wurden, den Dalai Lama nicht
besuchen können, was doch ihr Traum und größter Wunsch ist. Ich würde mich so
gerne weiterbilden. Ich fühle, dass eine moderne Erziehung in der heutigen Zeit
essentiell ist. Ich möchte an der tibetischen Transitschule [in der Nähe Dharamsalas,
Indien] lernen.
„Ich möchte dem Bergsteiger danken, der mein Leben am Nangpa-La rettete. Ich
finde keine Worte, um meine Dankbarkeit allen gegenüber auszudrücken, die mir
geholfen haben, mich an einem sicheren Platz zu verstecken, wo die Armee mich
weder sehen noch gefangen nehmen konnte.“
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kennengelernt. Einige von ihnen hatten 5.000 Yuan (US $ 644) an den Führer
bezahlt, andere 4.500 Yuan (US $ 580), wieder andere nur 3.500 Yuan (US $ 451).
Ich hatte 4.000 Yuan (US $ 515) bezahlt. Es hieß, dass der Führer für die
Begleitung von Kindern von den Eltern etwas mehr verlangte, weil er sich auf dem
Weg um die Kinder kümmern musste.
Als wir Lhasa auf unserer Reise zur Grenze verließen, war es bereits dunkel. Nach
einigen Stunden stiegen wir aus dem Lastwagen und gingen zu Fuß weiter, wie
uns der Führer gesagt hatte. Er teilte uns mit, dass es vier bis fünf Tage dauern
würde, bis wir Nepal zu Fuß erreichen würden. Das stimmte aber nicht.35 Manchmal rasteten wir in der Nacht und reisten bei Tage weiter, aber ein anderes Mal
gingen wir erst nach Einbruch der Dunkelheit weiter, weil der Führer uns gesagt
hatte, dass die Armeelager in der Nähe wären. Wir hatten oft Durst, weil wir nicht
einen Tropfen Wasser zu trinken hatten. Wir hatten Lhasa am 18. September verlassen und erreichten den Nangpa-Pass am 30. September. Zu diesem Zeitpunkt
hatten wir fast unseren ganzen Proviant aufgebraucht, und es war nur noch ein
bisschen Tsampa [traditionelles tibetisches Essen] übrig. Wir mussten uns irgendwo
während des Tages vor der Überquerung des Passes verstecken, und so kochten
wir etwas Wasser und fügten dann etwas Tsampa hinzu und teilten es dann mit
den anderen.
Drei junge Nonnen, Überlebende des Vorfalls am Nangpa-Pass. Sie alle waren mit der
verstorbenen Nonne Kelsang Namtso befreundet. Jetzt leben sie in Indien.
(Foto: Jonathan Green)
WIE ICH DIE SCHÜSSE AM NANGPA-PASS ÜBERLEBTE
Eine Nonne Anfang zwanzig aus Zentraltibet gab ICT folgenden Bericht über
ihre Flucht nach den Schüssen am Nangpa-Pass ab. Sie schildert darin unter
anderem, wie sie den Leichnam Kelsang Namtsos vorfand. Ihr Name und weitere
persönliche Angaben wurden geändert.
„Ich beschloss Tibet zu verlassen, weil ich seine Heiligkeit den Dalai Lama
besuchen wollte und ich, als ich in Tibet war, niemals die Chance hatte, zur Schule
zu gehen als ich klein war, weil es bei uns keine Schule gab. Ich stamme aus einer
Bauernfamilie. Deshalb wollte ich mir etwas Bildung aneignen. Ich habe nicht
versucht einen chinesischen Pass zu bekommen, bevor ich das Land verließ, denn
selbst wenn ich es versucht hätte, hätte ich keinen bekommen. In meinem Gebiet
gibt es nur ein paar Tibeter, die nach Indien gereist sind, aber keiner von ihnen
hatte einen Pass besessen.
Ich traf unseren Führer kurz bevor wir Lhasa verließen, als wir im Lastwagen saßen.
Der Führer sagte mir, dass nur 45 Personen nach Indien reisen würden, und als
ich den Lastwagen erreichte, hatte ich nicht mehr die Zeit die Anwesenden zu
zählen. Später erfuhr ich, dass wir insgesamt 75 Personen in dieser Gruppe waren.33
Ich reiste mit der Tochter unseres Nachbarn, Tenzin,34 da mich deren Mutter
gebeten hatte, sie mitzunehmen. Später habe ich noch andere aus der Gruppe
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Früh am Morgen des 30. September waren wir in der Nähe des Bergsteigerlagers.36
Unsere Gruppe hatte sich aufgeteilt, weil uns der Führer gewarnt hatte, dass in
diesem Gebiet chinesische Soldaten seien, und deshalb mussten wir eine andere
Route nehmen, die aufgrund der steilen Felsen wirklich gefährlich war. Wir hörten
über uns einige rufen, dass sie uns verloren hätten, und der Führer ging, um sie zu
suchen und zurückzubringen. Ungefähr 20 Personen waren vermisst. Nach einiger
Zeit kam der Führer alleine zurück und sagte, dass er überall gesucht hätte, sie aber
nicht finden konnte und deshalb annahm, man hätte sie gefangengenommen.37 Er
sagte, dass wir so schnell wie wir nur konnten gehen sollten, sonst würden uns die
Soldaten folgen, weil sie wüssten, dass wir hier irgendwo sein müssten. So gingen
wir so schnell wir konnten Richtung Pass und da sahen wir dann den Schnee und
die Zelte der westlichen Bergsteiger. Einige aus der Gruppe gingen in Richtung der
Zelte, um die Bergsteiger um etwas Essen zu bitten, und einige Ausländer gaben
ihnen Kekse und Süßigkeiten. Während wir aßen, eilte der Führer herbei und sagte
zu uns ‘los, rennt weg, die Soldaten kommen.’ Und dann sah ich ein paar Soldaten.
Wir rannten alle in verschiedene Richtungen. Ich war in der Mitte der Reihe
und Tenzin kam gleich hinter mir. Ich sagte ihr, dass sie so schnell sie könne
laufen und ihren Rucksack wegwerfen solle. Erst wollte Tenzin das nicht, weil sie
sagte, dass sie dann keine Kleidung mehr zum Wechseln hätte, was nicht stimmte.
Dann wurden wir am Ende zurückgelassen und es schien, als kämen die Soldaten
näher, und ich konnte das Pfeifen der Gewehrkugeln hören. Ich hatte Angst,
und wir rannten überall hin, manchmal gingen wir auf allen Vieren. Ich musste
noch den zwei Mädchen helfen, die bei mir waren und zog sie hoch und sagte, sie
sollen rennen.38
Ich sah den Mann aus Kardze, der später von den Soldaten gefangengenommen
wurde,39 und schrie ihm zu, er solle rennen, aber er sagte, er könne nicht. Er sagte,
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17
und man konnte sehen, wie das helle rote Blut in den weißen Schnee floss. Wir
folgten dann weiter dem Hauptpfad, den die Gruppe früher genommen hatte als
sie vor den Soldaten floh und es geschafft hatte, die Grenze zu überschreiten. Wir
folgten ihren Fußspuren im tiefen Schnee; wir hatten Angst, wir könnten erfrieren
und in der Nacht sterben. Ich trug eine kleine Tasche bei mir, in die ich einige
verschiedene Chakne [Gerstenkörner, die durch einen Lama gesegnet worden sind]
gepackt hatte, die ich von verschiedenen Klöstern bekommen hatte. Ansonsten
hatte keiner von uns etwas zu essen dabei, denn wir hatten alles, was wir mit uns
trugen, weggeworfen, als die Schüsse losgingen. Zum Glück aßen wir ein paar
Stück Chakne, was uns half, Kräfte zu gewinnen und als wir wieder ein wenig
Energie hatten, konnten wir langsam ein paar Schritte weitergehen, fühlten uns
dann aber schwindlig und fielen fast hin. Wir haben auch versucht, den Schnee
zu essen. Wir wollten stehenbleiben und uns dann hinlegen, aber wir wussten, dass
wir dann gestorben wären, weil es schrecklich kalt war.
Die Bewaffnete Volkspolizei bringt eine am Nangpa-Pass festgenommene Gruppe von
Tibetern in dieses Zelt, in dem sie bis zum Weitertransport aus dem vorgeschobenen
Basislager warten müssen. Eine rote chinesische Fahne weht über dem Zelt (hier nicht
sichtbar). (Foto: Pavle Kozjek)
wir sollten uns beeilen und nicht stehenbleiben. Als ich mich umsah, saß der
Kardze-Mann auf einem Fels nahe der Straße und die Soldaten gingen zu ihm.
Ich denke, er hatte zu dieser Zeit bereits eine Schussverletzung am Bein und saß
deshalb auf einem Fels und rührte sich nicht, bis die Soldaten bei ihm waren.
Wir rannten von der Gruppe weg zu einem kleinen Hügel, der Schnee bedeckt
war und nur wenig entfernt von dem Hauptpfad lag, der über den Pass führt. Wir
konnten uns dort bis zum Nachmittag verstecken, so ungefähr fünf Stunden lang.
Erst da stellte ich fest, dass eine Kugel mein Hosenbein durchdrungen hatte, man
kann das Loch in meinem Hosenbein sehen. Ich hatte etwas Warmes an meinem
Bein gefühlt, daran erinnerte ich mich, und später stellte ich fest, dass die Kugel
durch meine Hose gegangen war. Aber ich hatte keine Verletzung, nicht einmal
einen Kratzer.
Und später, als die Soldaten nicht mehr zu schießen schienen, kamen wir zurück auf
den Pfad und sahen die tote Nonne. Wir überprüften, ob sie tot war, oder nicht, aber
sie war schon tot. Wenn sie die Chance gehabt hätte, noch 15 Minuten weiter zu
gehen, hätte sie die Grenze passieren können, aber sie wurde dort erschossen. Ich
versuchte, ihren rechten Arm zu heben, und sah, dass die Brust voller Blut war,
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Wir gingen weiter, aber wir wussten nicht, wo wir waren. Wenn wir eine Rast
machten, konnten wir unsere Füße nicht mehr spüren. Bei Tagesanbruch sahen
wir einige Fußspuren auf dem Pfad und folgten ihnen. Nach einiger Zeit
erreichten wir die Stelle, an der kein Schnee mehr war. Endlich hatten wir einen
kleinen Teestand erreicht, und dort war auch der Rest der Gruppe. Einige von
ihnen waren schneeblind und konnten nicht mehr laufen, so dass die anderen, die
Sonnenbrillen trugen, sie führten. Nur zwei Kinder aus der Gruppe hatten die
Reise gemacht, das jüngste war ein sieben Jahre altes Mädchen. Unser Führer hatte
die Leute auf dem Weg gezählt, bevor die Schüsse fielen und sagte, dass es 15
Kinder gewesen waren. Ich kenne ihre wirklichen Namen nicht, aber einige von
ihnen hatten Spitznamen wie Shamomo (Fleischmomo — ein tibetischer Kloß),
Shogkhog momo (Kartoffelkloß), Thukpa Bagthuk (eine tibetische Suppe mit
Mehlklößen) sowie ein Kind mit geschorenem Haupt, dessen Spitzname Martang
war (Lederbeutel, in den Butter eingenäht ist). Ich weiß nicht, was aus diesen
Kindern geworden ist.“40
EIN TRAUM VOM DALAI LAMA
Ein Mönch in den Dreißigern aus Kongpo in der Tibetischen Autonomen Region
(TAR) berichtete ICT folgendes über seine Flucht nach den Schüssen und über seine
Ankunft im Exil:
„Wir brachen bei Nacht auf und wurden zu einem Lastwagen gebracht, der
irgendwo in einer verlassenen Gegend nahe einem Berg geparkt hatte. Ich weiß
nicht genau, wie viele Leute es waren, aber später wurde mir gesagt, dass es insgesamt 77 in unserer Gruppe waren. Der Führer sagte, dass wir ungefähr 13 Leute
wären – und der Führer sagte auch, dass es nur ungefähr zehn Tage von Tibet nach
Nepal dauern würde, weshalb ich Proviant für nur zehn Tage mitnahm. Vielen der
Gruppe war gesagt worden, dass es nicht mehr als zwei Tage dauern würde. Deshalb
hatten sie Proviant für nur zwei Tage vorbereitet. So hatten wir für den größten Teil
des Weges nicht genug zu essen. Die Reise dauerte 22 Tage.
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Als wir am Pass ankamen, sahen wir die Zelte der Bergsteiger. Ich hatte diese Zelte
bereits in einem Buch gesehen, als ich in Tibet war, aber da ich aus einer ländlichen
Gegend komme, hatte ich so etwas noch nie zuvor gesehen. Ich wusste bis dahin
nicht, dass so viele Leute in dem Lager waren und dass sie aus verschiedenen
Ländern kamen. Ich dachte, sie kämen alles aus den USA, denn als ich in Tibet
war, dachte ich, wenn ich einen Ausländer sah, dass er oder sie aus den USA kommen müsste.
An der Spitze des Passes konnten wir aus einer Entfernung einige Leute sehen, eine
Gruppe von ungefähr fünf Personen kam auf uns zu. Aber wir konnten nicht
ausmachen, ob sie zu uns gehörten oder Soldaten waren. Manchmal sahen sie wie
Mönche aus, weil sie lange Armeemäntel trugen (chinesisch: Dayi, ein gefütterter
Wintermantel). Als wir näher kamen erkannten wir, dass es sich um Militär
handelte. Die Leute schrien und rannten los. Ich ging zurück, um die Kinder zu
holen, aber es war zu spät, ich sah, dass beide bereits gefangengenommen waren.41
Als ich losrannte, konnte ich sehen, dass die Nonnen vor mir den Berg hochkletterten. Dann begannen die Soldaten zu schießen. Und dann hörte ich einen
Soldaten „Thama de“ (tibetisch, wörtlich: „Fick deine Mutter“) schreien. Tatsächlich waren die Soldaten sehr nahe bei mir, als ich sie sah. Ich dachte, es wären nur
noch 30 Schritte zwischen mir und den Soldaten. Ich versuchte wegzulaufen, aber
ich konnte nicht, weil ich zu erschöpft und ausgehungert war und außerdem mein
ganzes Gepäck auf dem Rücken trug. Ich versuchte, das Gepäck wegzuwerfen,
aber ich hatte es sehr fest um meine Schultern gebunden, wie das die Leute in
meiner Heimat Kongpo machen, wenn sie auf eine lange Reise gehen, so dass es
nicht einfach war, es loszuwerden. Ich hörte nur das Geräusch von Gewehren und
Kugeln, das immer näher kam, und manchmal schlugen kurz vor meinen Füßen
Gewehrkugeln ein. Ich fühlte mich verloren und wusste nicht, was ich tun sollte.
Plötzlich dachte ich an seine Heiligkeit den Dalai Lama. Als ich in Tibet war,
hatte ich ihn nie ‘˜Gyalwa Rinpoche’ (lit. der Siegreiche, der Wertvolle, der Dalai
Lama) oder ‘gyawa tenzin gyatso“ [Tenzin Gyatso der Siegreiche) genannt und
die meisten Leute würden ihn „tham cad khyenpa“ [Allwissender] nennen, aber an
diesem Tag sagte ich mir, dass ich ihn „tham cad khyenpa“ [Allwissender] nennen
und um Hilfe zu ihm beten sollte. Und sofort begann ich seinen Namen
anzurufen und zu ihm zu beten, dann kehrte meine Stärke zurück, ich fühlte wie
meine Füße leicht wurden und ich ganz normal laufen konnte. Jedermann rannte
hierhin und dorthin. Einige von ihnen kletterten den Berg hinunter und andere den
Berg hinauf.
Ich sah sie nicht, aber ich hörte, dass jemand schrie, sie wäre erschossen worden.42
Ein Mädchen in unserer Gruppe sagte, dass sie gehört hätte, dass ein tibetischer
Soldat etwas auf Tibetisch schrie wie ‘Pharo Sa. Da khyoetso bod danga’ [esse den
Körper deines Vaters und dann will ich sehen, wie du rennen kannst!] als er schoss.
Nachdem wir sicheres nepalesisches Gebiet erreicht hatten, zählte ich unsere
Gruppe und stellte fest, dass es 37 Personen über die Grenze geschafft hatten. Aber
dann kamen später noch weitere Leute alleine und am Ende waren es 41 Personen,
die das tibetische Flüchtlingsaufnahmzentrum erreicht hatten.43
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Als wir durch Nepal zogen, dachten wir, dass das Aufnahmezentrum nahe sei, aber
wir gingen sehr lange und konnten es nicht finden, deshalb war ich besorgt, ich
könnte Seine Heiligkeit niemals sehen. Wir trafen einen alten Mann auf unserem
Weg, der ein Bild Seiner Heiligkeit mit sich trug. Als ich das Bild sah, war ich
schockiert, und mein erster Gedanke war, dass es nicht echt sei. Ich bat den alten
Mann, mir das Foto zu geben, aber er tat es nicht.
Ich verließ Tibet in erster Linie,
weil ich Seine Heiligkeit den
Dalai Lama besuchen wollte,
und zum zweiten, weil ich eine
ordentliche buddhistische Erziehung in einem der Klöster in
Südindien erhalten wollte, um
ein guter Mönch zu werden. Ich
hätte als Mönch auch in Tibet
bleiben können, aber ich ärgerte
mich immer über die chinesischen Behörden, als ich im
Kloster in Tibet war. Sie kommen immer ins Kloster und
sagen, dass alle Mönche Seiner
Heiligkeit dem Dalai Lama
abschwören und ihn kritisieren
müssen, und sie betrachten Seine
Heiligkeit als ihren Feind. Sie Yakherden sind gut ausgerüstet und es
sagten auch, dass die Mönche im gewohnt, in der Höhe zu übernachten, wenn
Kloster sehr eifrig die „patriotis- sie die Grenze überschreiten. Das gilt nicht für
che Erziehung“ studieren sollten, tibetische Flüchtlinge. Yakhirten helfen den
und die Mönche mussten sagen, tibetischen Flüchtlingen, die nach Namche
‘Tibet ist ein Teil Chinas’ und so Bazaar wollen, oft mit Essen, einer Unterkunft
weiter. Als ich klein war, hatte oder nur einer Tasse Tee. (Foto: ICT)
ich mir immer gesagt, dass ich
nach Indien gehen werde, um von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama gesegnet zu
werden, und ich träumte auch zweimal von Seiner Heiligkeit und in meinen
Träumen saß Seine Heiligkeit auf seinem Thron, aber dieses Mal als ich bei ihm
Audienz hatte, saß er auf einem Stuhl.“44
Die Gruppe vom Nangpa-Pass ist in vieler Hinsicht typisch für eine tibetische
Flüchtlingsgruppe. Kelsang Namtso, die bei den Schüssen auf dem Nangpa-Pass
am 30. September starb, besuchte nie eine Schule und wurde erst vor einem Jahr,
im Alter von 16, zur Nonne ordiniert. In ihrer Heimat gab es keine Klöster, in
denen sie eine religiöse Ausbildung hätte erhalten können. Obwohl ein Kloster in
den letzten Jahren in ihrem Heimatbezirk mit Geldern örtlicher Mönche errichtet
worden war, hat die Regierung dort keine buddhistische Erziehung oder Praktiken
erlaubt — das Gebäude verwaist. Kelsang Namtso verließ Tibet, um den Segen
des Dalai Lama zu empfangen und im Dolma Ling Kloster in Indien zu studieren.
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Ihre beste Freundin, eine 16-jährige Nonne, die Dolma heißt und Indien mittlerweile erreicht hat, sagte ICT, dass Kelsang Namtso eine starke, ernsthafte junge
Frau gewesen sei, die ihrer religiöse Berufung gegen den Wunsch ihrer Eltern
folgen wollte. Ihre Eltern seien arm und wollten, dass sie auf dem Land arbeitet.
„Sie war die einzige Tochter der Familie mit fünf Söhnen und ihre Mutter wollte
nicht, dass sie eine Nonne wird, da sie das einzige Mädchen war. Sie sagte, dass
sie ihr helfen müsse. Aber sie [Kelsang Namtso] war überzeugt davon, Nonne
zu werden und las viele Texte. Es war ihr Traum, ins Dolma Ling Kloster zu
kommen und den Dalai Lama zu sehen.“
Als sie gefragt wurde, warum Kelsang Namtso so entschieden Nonne werden wollte,
sagte Dolma ICT: „Sie würde sagen, dass dieses Lebensrad voll von Elend ist.
Wenn man sein Leben dafür geben kann, Leistungen anzuhäufen, dann ist eine
Wiedergeburt möglich. Man kann seine Zeit dazu nutzen, ein guter Mensch zu
sein. Sie legte immer Wert darauf.“ Dolma fügte hinzu, dass Kelsang Namtso Angst
hatte, bevor sie den Nangpa-Pass überquerte, sie war immer besorgt um das Wohl
ihrer Freunde: „Sie weinte [bevor sie den Pass bestieg] weil sie dachte, dass wir
vielleicht Probleme in den Bergen haben könnten, aber auch weil wir schon so
lange gingen und alle Kopfweh hatten.“
Zwei weitere Mönche aus der Gruppe aus Kongpo [chinesisch: Gongbo, in der
TAR] sagten ICT, dass sie Tibet verlassen hatten, weil die Beamten in ihrer Stadt
eine Kampagne zur „patriotischen Umerziehung“ in ihrem Kloster durchführen
wollten. Sie hatten Angst davor, den Dalai Lama diffamieren zu müssen.
In der Gruppe der 43 befanden sich auch viele Bauern und Nomaden. Viele von
ihnen berichteten ICT, dass es ihnen nicht möglich war, eine Ausbildung zu erhalten. Ein Bauer meinte: „Die Chinesen sagen, dass sie Straßen und Eisenbahnen
bauen, um den Tibetern etwas Gutes zu tun. Aber diese Infrastrukturprojekte sind
für chinesische Siedler, die in den Städten leben und nicht für tibetische Nomaden
und Farmer auf dem Land.“
Kelsang Namtso war eine der sieben Nonnen in der Gruppe, auf die geschossen
wurde. Die sechs Nonnen, die überlebt hatten, berichteten ICT, dass sie geflohen
waren, um den Dalai Lama zu sehen und eine ordentliche Aubildung zu erhalten.
Eine bemerkte, dass besonders deswegen Verzweiflung in Tibet herrsche, weil die
lokalen Kader einer Frau nur dann offiziell erlaubten Nonne zu werden, wenn sie
sich vom Dalai Lama distanzierten. Sie sagte: „Das zu tun, wäre jenseits unserer
Vorstellung“. Sie fügte hinzu, dass die „patriotische Umerziehung“ von ortsansässigen Beamten in Schulen und religiösen Institutionen in ihrer Region in der
Nagchu Präfektur (chinesisch: Nagu) etwa drei Mal im Jahr durchgeführt würden.
Es befanden sich ferner sechs Mönche in der Gruppe. Einer von ihnen, der aus der
gleichen Gegend wie die Nonnen in Nagchu kam, sagte ICT, dass er vor mehr als
zehn Jahren im Alter von zwölf Mönch wurde. Er erklärte, dass er hauptsächlich
deswegen geflüchtet sei, um den Dalai Lama zu sehen und um eine Ausbildung in
einem Kloster zu erhalten. Ähnlich wie der Großteil der Gruppe der 43, die in
Kathmandu kurz nach den Schüssen ankam, hat auch er keine Ausbildung in Tibet
erhalten. „Heutzutage werden die Kinder in den Schulen nicht auf Tibetisch ausgebildet, sagte er. „Wenn die Prüfungen kommen, fallen die meisten tibetischen
Schüler durch und nur die chinesischen Schüler haben die Möglichkeit, auf eine
bessere Schule zu gehen, weil alle Tests auf Chinesisch sind.“45 Es ist wahr, dass
wenn ein Tibeter in der tibetischen Universität [in Lhasa] seinen Abschluss macht,
er immer noch einen guten Job bekommen und sogar der Leiter eines Landkreises
werden kann, aber das wird mit der hohen Zahl chinesischer Zuwanderer, die nach
Tibet ziehen, immer schwieriger. Sie sind die Personen mit den besseren Jobaussichten. Aus diesem Grund kann es auch sein, dass man mit einem Abschluss an
der Tibet-Universität [in Lhasa] Lehrer auf dem Land wird.“
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DER VORFALL AM NANGPA-PASS WIRD BEKANNT
Ein Bericht von einem amerikanischen Bergsteiger über die Schüsse am NangpaPass wurde zuerst auf ExplorersWeb (www.mounteverest.net) veröffentlicht, einer
Website, die nach eigener Aussage unabhängig und nicht gewerblich Hinweise
und Nachrichten über Bergsteigen, Segeltouren und Polartreks anbietet.46 ICT
erhielt gleichlautende Berichte direkt von einem amerikanischen Bergsteiger auf
dem Cho Oyu und ging diesen Berichten nach, indem andere Bergsteiger befragt
wurden, als sie aus Tibet kommend in Nepal eintrafen. Aber auch die meisten Tibeter
in der Gruppe, die unter Beschuss waren, wurden befragt. Alle ausländischen
Bergsteiger, die darin verwickelt waren, waren zurückhaltend in ihren Aussagen,
solange sie sich auf chinesischem Gebiet befanden. Der amerikanische Bergsteiger,
der die Informationen weitergegeben hatte, sagte ICT: „Das ist nicht schwer zu
verstehen, nachdem Bergsteigen heutzutage ein großes Geschäft geworden ist, dass
man in China nicht viel Aufhebens machen will, denn wenn man die Erlaubnis für
den Zugang zu einem der höchsten Berge verliert, ist das ein bedeutender
Einnahmeverlust für die meisten kommerziellen Ausrüster, ganz zu schweigen,
dass sich Schüsse in einer Brochüre nicht so gut machen.“ Der Bergsteiger fügte
hinzu, dass ihm von Kameraden gesagt wurde, es wäre dumm von ihm, zu berichten,
was geschehen war. Andere Bergsteiger sagten, dass sie nicht unter Druck gesetzt
worden waren, nicht über das Geschehene zu sprechen:47 zwei berichteten der
Zeitschrift „The Alpinist“ dass ihr Ausrüster ihnen riet nach ihrem Gewissen zu
handeln und dass sie sich nicht über die Auswirkungen auf sein Geschäft kümmern müssten. Es ist bemerkenswert, dass zwei Bergsteiger offen über den Vorfall
sprachen, während sie sich selbst noch auf chinesischem Gebiet befanden.48 Alle
anderen von ICT befragten Bergsteiger sagten, dass sie entweder danach in Nepal
waren oder gerade auf dem Weg nach Hause. Einige Bergsteiger sagten, dass sie nur
anonym aussagen würden, weil sie sich um ihr Personal sorgten, das noch in Nepal
oder Tibet sei, oder fürchteten, dass sie nie wieder eine Erlaubnis bekämen, in
Tibet Berge zu besteigen. Einige meinten, dass sie auch Monate später noch sehr
verstört aufgrund der Dinge waren, die sie gesehen hatten: „Die Schüsse verfolgen
mich immer noch jeden Tag“, sagte einer von ihnen ICT im Januar 2007.
Am 13. Oktober 2006, nachdem das Videomaterial zur besten Sendezeit in der
ganzen Welt gesehen worden war, gaben die chinesischen Behörden ihre offizielle
Version der Vorfälle auf dem Pass zur Kenntnis. China sagte, dass Grenzsoldaten
versucht hätten, eine Gruppe von tibetischen „blinden Passagieren“ zu überreden,
doch wieder nach Hause zu gehen, aber die Tibeter hätten sich geweigert und die
„Soldaten angegriffen“, woraufhin diese „gezwungen waren, sich selbst zu verteidigen“.
(People’s Daily, 13. Oktober und Xinhua, 12. Oktober). Der offizielle chinesische
Bericht gibt einen Todesfall zu, sagt aber, dass es sich um die Folgen von Höhenkrankheit handle. Am gleichen Tag, an dem dieser offizielle Bericht herausgegeben
wurde, stritt der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Liu Jianchao ab,
etwas von dem Zwischenfall zu wissen.
Bei seiner Rückkehr nach Bukarest wurde der rumänische Kameramann Sergiu
Matei am Flughafen von Kollegen des Fernsehsenders ProTV empfangen, für den er
arbeitet. Seine Aufzeichnungen
wurden auf einige Minuten
gekürzt und weltweit gesendet –
sie widerlegen die offizielle chinesische Version der Ereignisse
deutlich.50
Mateis Videomaterial zeigt unmissverständlich, dass die Tibeter,
die unter Beschuss genommen
worden waren, den Soldaten den
Rücken zugekehrt hatten, unbewaffnet waren und keinerlei
Widerstand leisteten. Die Augenzeugen und Tibeter in der Gruppe,
die von ICT befragt worden
waren, bestätigten, dass es gar
keine Möglichkeit gegeben hätte,
die Soldaten ‘anzugreifen’, bevor
diese das Feuer eröffneten. Trotz
der Beweise hatten die chinesischen Behörden bis zum Ende
2006 ihre Behauptungen nicht
korrigiert.51
Mindestens vier Bergsteiger, die vom Cho Oyu zurückkehrt und von ICT befragt
worden waren, wurden in ihrem Hotel in Kathmandu von der chinesischen
Botschaft aufgespürt, nachdem sie nach Hause zurückgekehrt waren. Beamte der
Botschaft hatten Treffen mit ihnen angefragt, die sie aber nicht bewilligten. Ein
Sprecher des chinesischen Außenministeriums stritt den Vorgang in einem Interview
mit BBC ab.
Es ist bemerkenswert, dass die Bergsteiger, die als erste eine Aussage machten, aus
ehemals kommunistischen Ländern stammten. Zwei tschechische Bergsteiger
schrieben ICT, nachdem sie vom Cho Oyu nach Nepal zurückgekehrt waren: „Wir
hatten das Gefühl, in die Zeit von vor zwanzig Jahren zurückversetzt zu sein, als in
unserem Land ein strenges kommunistisches System herrschte und tschechische
Soldaten tschechische Bürger töteten, die dem ‘Eisernen Vorhang’ entkommen
wollten.“49
24
I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T
Ein verletzter junger Tibter wird von Bewaffneter
Volkspolizei durch das Bergsteigerlager am Cho
Oyu geführt. (Foto: Britischer Bergsteiger)
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25
INTERNATIONALE REAKTIONEN AUF DIE SCHÜSSE AM NANGPA-PASS
DIE SCHÜSSE VOM NANGPA-PASS: FOLGEN UND ANDERE FÄLLE
Am 12. Oktober 2006 übergab der US-amerikanische Botschafter Clark Randt in
Peking eine Demarche an China (offizielle diplomatische Beschwerde). Auch die
Europäische Union sandte im Dezember eine Demarche an China in Bezug auf die
Menschenrechtssituation, die auch auf die Nangpa-Schüsse einging.
Dass auf tibetische Flüchtlinge, die aus Tibet nach Nepal fliehen, auf beiden Seiten
der chinesischen und nepalesischen Seite geschossen wird, war schon zuvor der
Fall. Der Vorfall am Nangpa-Pass aber ist der erste Fall, der sich vor einer großen
Zahl internationaler Augenzeugen ereignete und filmisch dokumentiert wurde.
Die EU zeigte sich besonders besorgt über die Situation der verhafteten Kinder. Die
Schüsse wurden während des Menschenrechtsdialogs der EU mit China in Beijing
am 19. Oktober zur Sprache gebracht, wobei Finnland die Rats-Präsidentschaft
innehatte. Die EU zeigte sich über die mangelnde Reaktion der chinesischen Seite
während des Dialogs enttäuscht.52
Nach den Schüssen in den Wintermonaten des Jahres 2006, verließen weniger
Tibeter Tibet auf dieser Route, um nach Nepal zu kommen. Laut verlässlichen
Quellen scheinen mehr Tibeter alternative Strecken zu wählen. Eine Nonne, die
Ende 2006 ins Exil flüchtete, berichtete ICT: „Eine Freundin sagte mir, dass ihre
Eltern ihr geraten hätten, nicht davon zu laufen, wenn chinesische Soldaten sie
oder ihre Gruppe sie während der Flucht festnehmen wollten. Sonst würden sie
vielleicht schießen und sie töten, wie Kelsang Namtso.“
Der niederländische Außenminister Bernard Bot war einer von mehreren
europäischen Politikern, die ein Statement zu den Schüssen abgaben. Am 19.
Oktober sagte er im niederländischen Parlament, dass China die Verantwortlichen
für die Schüsse identifizieren und bestrafen solle und er bezeichnete den Videofilm
über den Zwischenfall als „schrecklich und sehr erschütternd“.
Finnland setzte den Dialog über die Menschenrechte im Dezember 2006 fort und
brachte das Thema erneut zur Sprache, indem es die Details hinterfragte. Bei der
Drucklegung dieses Berichts wartete die EU immer noch auf eine Antwort aus
China auf diese Fragen.
Das Thema wurde auch am 18. Oktober im kanadischen Unterhaus besprochen.
Auf die Frage, wie man den Vorfall der chinesischen Regierung gegenüber thematisiert habe und welche Maßnahmen ergriffen wurden, damit die festgehaltenen
Kinder zurück zu ihren Familien kommen könnten, erklärte Außenminister Peter
Mc Kay, dass der „schreckliche Vorfall“ eine „Greultat“ sei. Kanada verurteilt
den Gewaltakt gegen unbewaffnete Zivilisten als eine unerhörte Verletzung der
Menschenrechte.“ Kanada verlange zudem von China, den Vorfall unabhängig zu
untersuchen, die Verantwortlichen zu bestrafen und die festgenommenen tibetischen Kinder sofort freizulassen.
Zwei tibetische Nonnen, die kürzlich das Exil erreichten, berichteten, dass sich
eine zweite Schießerei im Oktober 2005 in der Nähe der tibetischen Stadt Dingri
nahe der Grenze ereignet hatte. Ihren Aussagen gegenüber ICT zufolge war eine
Gruppe von ungefähr 50 Tibetern in einem Bus von Lhasa aus gereist und dann
während mehrerer Nächte zu Fuß weitergegangen. Als die Gruppe in der Nähe des
Nangpa-Passes um ca. sechs Uhr abends ankam, schossen Soldaten, die auf einer
nahe gelegenen Militärbasis stationiert waren, auf sie. Eine aus der Gruppe, eine
junge Nonne, deren Identität nicht preisgegeben werden soll, sagte: „Die Chinesen
feuerten mehrere Gewehrsalven auf uns ab. Wir dachten, sie wollten uns durch
Schüsse in die Luft einschüchtern. Aber dann bemerkten wir, dass sie es ernst
meinten. Unsere Gruppe stob auseinander und ich habe keine Ahnung, wo die
anderen abgeblieben sind, vielleicht gingen sie zurück oder es gelang ihnen zu
fliehen. Nachdem einige Zeit geschossen wurde, hielten viele von uns an und 23 von
uns wurden von chinesischen Soldaten festgenommen.53
Die Gruppe der Tibeter wurde gefesselt und in Gewahrsam genommen, wo sie
mehrere Monate blieb. Die Männer der Gruppe, hauptsächlich Mönche, wurden
laut des gleichen Berichts, besonders schwer mit Elektroschockstößen misshandelt.
Nachdem sie nach ihrer Freilassung nach Hause geschickt worden waren, gelang es
zwei Nonnen der Gruppe später im Jahr 2006 zu fliehen.
Ein weiterer Vorfall hatte sich im Oktober 2003 ereignet, als chinesische Grenzsicherheitsbeamte auf eine Gruppe von 34 tibetischen Flüchtlingen, die versucht
hatte nach Nepal über den Nangpa La zu gelangen, schossen. Einer der Tibeter aus
der Gruppe sagte gegenüber ICT, dass es nur 17 Mitglieder der Gruppe erfolgreich über Nangpa-Pass geschafft hätten, während die anderen von den Sicherheitskräften festgenommen worden wären. Es ist nicht bekannt, ob einer der 17, die die
Reise nicht fortsetzen konnten, angeschossen wurde. (Siehe „China Constructs
Road Near Nangpa La to Stem Flow of Tibetan Refugees to Nepal“, 3. Dezember
2003, ICT-Bericht unter http://www.savetibet.org/news/newsitem.php?id=552).
26
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27
GEFÄHRLICHE FLUCHT:
POLITIK UND UMGANG MIT TIBETERN, DIE NEPAL ERREICHEN
Das UNHCR in Kathmandu hat die Aufgabe, alle neu angekommenen Tibeter in
Nepal zu befragen. Mit wenigen Ausnahmen registriert es alle als „persons of concern“, doch erklärt es sich nicht bereit, in Nepal weitergehende Befragungen
durchzuführen, die den Status dieser Personen betreffen. Seit 1989 wird Tibetern,
die nach Nepal einreisen, nur ein 15-tägiger Transitaufenthalt gewährt. Tibetern
wird Essen und eine Übernachtungsmöglichkeit im Tibetischen Flüchtlingsaufnahmezentrum (TRRC) gewährt, das vom UNHCR seit Oktober 2005 in Zusammenarbeit mit dem Lutherischen Weltbund geführt wird. Die indische Botschaft
in Kathmandu stellt den neuen Flüchtlingen ein spezielles Einreisedokument (SEP)
für Indien aus. Dort kümmert sich die tibetische Zentralverwaltung des Dalai
Lama um deren Ansiedlung und schickt sie in Schulen, Klöster oder tibetische
Flüchtlingssiedlungen in ganz Indien. Jedem neu angekommenen Flüchtling wird
eine Audienz beim Dalai Lama gewährt.
Lasten werden im Grenzgebiet zu Nepal einen Gebirgspfad hinab getragen. Die Strecke
verläuft entlang der tibetischen Fluchtrouten.
2002 gab es voneinander unabhängige Augenzeugenberichte westlicher Bergsteiger
über chinesische Grenzpolizei, die sowohl auf tibetische Flüchtlinge schoss, als
auch Flüchtlinge über den Nangpa-Pass bis auf nepalesisches Gebiet verfolgte. Die
nepalesische Polizei in Namche Bazaar, dem Haupthandelsort südlich des NangpaPasses, berichtete ICT, dass sie bei den Ermittlungen nach der Grenzübertretung
mindestens ein Dutzend Patronenhülsen auf der nepalesischen Seite des Passes
eingesammelt hätte. Die nepalesischen Behörden haben das Vorgehen der Chinesen
nicht öffentlich missbilligt.
Ein Amerikaner, der auf der Südseite des Nangpa-Passes lebt und arbeitet, und
der sich im Basislager am Cho Oyu aufgehalten hatte, sagte: „Sherpas und tibetische Händler aus den Grenzdörfern auf beiden Seiten des Passes haben die
Erlaubnis, frei zum Zwecke des Handels zu reisen, und diejenigen, die den NangpaPass regelmäßig überschreiten, berichten, dass es für die Bewaffnete Volkspolizei
nicht ungewöhnlich ist, Flüchtlinge bis nach Nepal zu verfolgen — aber nie so
weit bis zu den eigentlichen Sherpadörfern.“ Bei mindestens zwei Zwischenfällen
in den letzten Jahren feuerten chinesische Grenzpatrouillen auf westliche
Bergsteiger, auch wenn niemand dabei verletzt wurde.
28
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Die Regierung von Nepal erlaubt Tibetern, die vor dem 31. Dezember 1989 in Nepal
Zuflucht gesucht haben, sowie deren ordnungsgemäß registrierten Nachkommen,
in Nepal zu bleiben. Tibetische
Flüchtlinge, die nach diesem
Datum eingereist sind oder noch
in Nepal ankommen werden,
profitieren normalerweise von
einem informellen Abkommen
zwischen der Regierung von
Nepal und dem UNHCR, das
oftmals als ‘Gentlemen’s Agreement’ bezeichnet wird. Dieses
Abkommen setzt eine enge
Zusammenarbeit der nepalesischen Polizei mit Beamten des
UN-Hochkommissariats voraus,
damit eine sichere Durchreise der
tibetischen Flüchtlinge durch Nepal
nach Indien gewährleistet wird.
Eine Yakkarawane überquert eine lange
Tibeter, die vor 1989 in Nepal Hängebrücke in Khumbu, einige Kilometer von
Namche Bazaar, Nepal, entfernt. (Foto: ICT)
eingereist sind, sollten einen
„Flüchtlingsausweis“ (RC) bekommen, der ihnen erlaubt, in Nepal mit gewissen eingeschränkten Bürgerrechten und
limitierter Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes zu bleiben (Tibetern ist es
nicht gestattet, Sonderzonen wie z. B. die nepalesisch-tibetischen Grenzregionen zu
betreten) und einen gewissen Grad an Sicherheit im Falle von Bedrohung bietet.54
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29
Das Gentlemen’s Abkommen wird von den nepalesischen Behörden häufig nicht
angewandt. Dies führt zu Abschiebungen in den Grenzregionen sowie zur Festnahme von Flüchtlingen, die auf der Durchreise oder in Kathmandu angetroffen
wurden. Ihnen werden exorbitante Strafen für den ‘Verstoß’ gegen die nepalesischen
Einwanderungsgesetze auferlegt. Der bekannteste Vorfall war eine von der
Regierung gebilligte Abschiebung von 18 tibetischen Flüchtlingen, einschließlich
zehn Minderjähriger, die am 31. Mai 2003 den chinesischen Behörden in Kathmandu übergeben wurden. Von der Hauptstadt aus hat man sie mehrere Stunden
bis zur Grenzstadt Kodari transportiert und dann nach Tibet zurückgeschickt.
Einer aus der Gruppe dieser Tibeter, dem es später gelang, ins Exil zu fliehen,
berichtete ICT, dass sie alle schwer geschlagen wurden, als sie auf der tibetischen
Seite waren, und dass sie während der Haft Zwangsarbeit leisten mussten.5 Nach
dem Zwischenfall wuchsen Angst und Besorgnis unter den Neuankömmlingen
in Nepal.
Als eine Folge des Zwischenfalls vom Mai 2003 zog der USamerikanische Kongress einen
45%
30%
Gesetzentwurf zurück, der
Geistliche
Kinder und
Nepal zwei Jahre lang Zollfrei(darunter 3–4%
Schüler
heit und einen unbeschränkten
Nonnen)
Zugang zu US-amerikanischen
Märkten gewährt hätte. Im August 2003 übermittelte der
damalige nepalesische Außenminister Madhu Raman Acharya
den Wortlaut einer ‘neu ange5%
20%
passten Flüchtlingspolitik’ als
Nomaden und
Bauern
Anhang in einem Brief an die
Arbeitslose
Senatorin Dianne Feinstein. Es
bleibt unklar, ob diese Politik jemals umgesetzt wurde und sie muss vor allem in Nepal selbst bekannt werden,
über die Regierungskreise der USA hinaus.
FLÜCHTLINGE
Es wurden im TRRC im Jahr 2006 weniger Flüchtlinge registriert als noch in den
zwei vorhergehenden Jahren. Das TRRC verzeichnete etwas über 2.400 Personen,
ungefähr ein Drittel von ihnen waren Kinder unter 1556. Der Großteil kam, wie
gewöhnlich, in den Wintermonaten — im November waren es 300, die nach Nepal
reisten.
In den letzten fünf Jahren kamen Dreiviertel der Flüchtlinge aus den Regionen
von Kham und Amdo im östlichen Tibet (die jetzt zu den chinesischen Provinzen
Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan gehören). Generell scheint es für Tibeter,
die außerhalb der TAR leben, leichter zu sein Pässe zu erhalten, aber im Jahr
2006 musste man über Beziehungen und Geld verfügen, um an die Dokumente
zu kommen.
30
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DAS ABSCHIEBERISIKO
Im Jahr 2005 hat ICT über die
erhöhten Risiken für in Nepal
ankommende Tibeter berichtet,
nachdem das UNHCR keine
Beobachtungmissionen mehr in
die Grenznähe schicken durfte.
Im Jahr 2006 unternahm das
UNHCR vier Beobachtungsmissionen in heikle Grenzgebiete. Das
UNHCR führt diese Missionen
Die Thamserku-Gebirgskette (6.623 Meter)
aus, um sowohl die Abschiebung funkelt an einem kalten Morgen in der Sonne.
tibetischer Flüchtlinge zu verhin- Auf der rechten Seite auf dem Hang über
dern, als auch das nepalesische der Stadt befindet sich die Route zum
Sicherheitspersonal über die fi- Nangpa-Gletscher. (Foto: ICT)
nanziellen Mittel des UNHCR, mit
denen tibetischen Flüchtlingen eine Reise von der Grenze zum TRRC außerhalb
Kathmandus ermöglicht wird, zu unterrichten. Beamte des UNHCR, die die
Grenze in diesem Jahr besuchten, erklärten, dass die nepalesischen Bezirksverwaltungen zur Kenntnis genommen hätten, dass Nepal niemanden zurückweisen darf,
obwohl diese Bedenken über Schmuggelaktivitäten äußerten.
Nachdem im Jahr 2005 keine Missionen durchgeführt werden konnten und 2006 vier
Beobachtungsmissionen stattgefunden haben, ist nun unklar, ob das UNHCR seine
Missionen in den Grenzgebieten fortführen oder ob es sie wieder einstellen wird.
Grundsätzlich wird es immer schwieriger, in den Grenzregionen Informationen
über Abschiebungen zu erhalten. Oft wird über sie nicht berichtet und deshalb
sind sie in Kathmandu nicht bekannt. ICT hat am 17. Dezember 2006 einen Fall
beobachtet, bei dem sieben Tibeter in ein Grenzfahrzeug in der kleinen nepalesischen Stadt Tatopani, ungefähr 20 Minuten Fahrtzeit von der „Freundschaftsbrücke“, die die Grenze markiert, entfernt, geladen wurden. Der Laster wurde von
Sicherheitspersonal in Zivilkleidung, das von der tibetischen Seite der Grenze kam,
gefahren. Sie nahmen die Tibeter (vier Frauen und drei Männer) vor vielen
Augenzeugen mit über die Brücke auf die tibetische Seite. Eine Tibeterin soll unter
18 Jahre alt gewesen sein.
Ein tibetischer Kenner der Verhältnisse in Kathmandu meinte gegenüber ICT:
„Man glaubt nun, dass die nepalesische Zuwanderungsbehörde in Liping, Tatopani,
damit vollkommen einverstanden ist, dass Chinesen in nepalesisches Territorium
eindringen, um ihre eigenen Leute zurückzuholen. Es gibt scheinbar chinesische
Informanten auf der nepalesischen Seite, die die Grenzbeamten über Tibeter auf
nepalesischem Gebiet in Kenntnis setzen.“ Er sagte außerdem, dass inoffizielle
Abschiebungen wie diese öfter vorkommen, als darüber berichtet wird. Auch sei die
„Freundschaftsbrücke“ immer noch einer der gefährlichsten Punkte, an denen
Tibeter die Grenze nach Nepal überqueren können.
I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T
31
EINE BEDEUTENDE VERSCHLECHTERUNG: UPDATE ÜBER DIE
SCHLIESSUNG TIBETISCHER BÜROS IN KATHMANDU
Der wichtigste Umschwung in den letzten Jahren für die politische Situation der
Tibeter in Nepal kam im Januar 2005, mit der Aufforderung der nepalesischen
Regierung, das Büro des Repräsentanten des Dalai Lamas und das Tibetische
Wohlfahrtsbüro (TRWO) in Kathmandu zu schließen. Dieser Entschluss stand
offenbar in Zusammenhang mit Chinas Einfluss auf Nepal in Verbindung.
Diese Anweisungen kamen nur wenige Tage vor dem Putsch des Königs. Beide
Büros waren in Nepal mit dem Wissen der nepalesischen Regierung seit den 60er
Jahren tätig.
Im ganzen Jahr 2005 drängten Regierungen Nepal dazu, ein anderes tibetisches
Büro registrieren zu lassen, das mit dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge
zusammenarbeiten und sowohl den 2.500 tibetischen Flüchtlingen, die jedes Jahr
über Nepal fliehen, humanitäre Hilfe zukommen lassen, als auch den 20.000
in Nepal lebenden Tibetern soziale Dienste zur Verfügung stellen könne. Im
Oktober 2005 registrierte das nepalesische Innenministerium die „Bhota
Wohlfahrtsorganisation“, die von einem nepalesischen Bürger tibetischer Abstammung geleitet wird. Bemühungen des nepalesischen Außenministeriums, die
Registrierung der Einrichtung zu annullieren, dauerten bis 2006 an und bedingten
einen dauerhaft unsicheren Zustand hinsichtlich der Zukunft der Organisation,
die für das Wohl der Tibeter in Nepal sehr wichtig wäre.
Das tibetische Flüchtlingsaufnahmezentrum (TRRC) in Kathmandu, Nepal.
(Foto: Jonathan Green)
Ein kleines Touristenflugzeug hebt ab vom Flughafen Lukla, der auf 2.860 Meter im
östlichen Nepal liegt. Flüge werden oft annulliert, da sich die Wetterlage in der Gegend
schnell ändert. (Foto: ICT).
Trotz dieser Verschlechterung verlief die Durchreise von Flüchtlingen in Nepal
fast das ganze Jahr 2006 relativ reibungslos, bis die Regierung des Königs die
Ausstellung von Ausreisegenehmigungen stoppte. Während dieser Zeit war das
TRRC gezwungen, fast 1.000 Tibeter in einer Einrichtung unterzubringen, die
normalerweise nur 450 Personen aufnehmen kann.
Sonstige Risiken, denen sich die Tibeter ständig ausgesetzt sahen, waren Bedrohungen und Plünderungen durch maoistische oder bewaffnete nepalesische
Streitkräfte. Viele Tibeter, die durch die Grenzregionen reisten, wurden von nepalesischen Streitkräften während der Patrouillen in den Grenzgebieten aufgegriffen.
In solchen Fällen werden sie häufig bedroht, schlecht behandelt, ihres Geldes
und anderer Wertgegenstände beraubt und werden oft misshandelt. Im August
2006 wurde eine Gruppe von fünf Tibetern, einschließlich zweier Mönche nahe
Barabise von einem Polizeikontrollposten im Sindhupalchok-Distrikt nahe des
„China-Nepal Freundschaft Highway“ aufgegriffen. Man drohte ihnen mit der
Abschiebung, falls sie nicht 4.150 Yuan (US $ 535) zahlen würden.
I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T
33
KALACHAKRA-BELEHRUNG: MEHR TIBETER
NUTZTEN NEPAL ALS TRANSITLAND
Ende 2005 nahm die Zahl der Tibeter in Nepal zu. Sie kamen, um mit dem Dalai
Lama im Januar 2006 das buddhistische Kalachakra zu feiern. Tausende von ihnen,
einschließlich 7.000 Tibeter mit chinesischem Pass, reisten durch Nepal, um an
dieser wichtigen buddhistischen Zeremonie in Amravati im südindischen Staat
Andhra Pradesh teilzunehmen.
Mit dem Zustrom der Tibeter stellte die nepalesische Regierung im Oktober 2005
die Ausstellung von Reisedokumenten, die fest ansässige Tibeter und Flüchtlinge
aus Bhutan zum Verlassen des Landes benötigen, ein. Im November wurden auch
die Ausreisegenehmigungen für tibetische Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Indien waren, gestoppt. Dies führte dazu, dass Hunderte von Tibetern in Nepal festsaßen, das TRRC hoffnungslos überfüllt war und einige Tibeter in Nepal nicht
zum Kalachakra nach Indien reisen
konnten.
Die Wiederaufnahme der Ausstellung
von Reisedokumenten, die es ansässigen Tibetern erlaubt, das Land zu
verlassen, erfolgte erst im Mai 2006
und die Gewährung der Ausreiseerlaubnisse im Juni 2006.57
Ritueller Rundgang um die Stupa von
Amravati, Andhra Pradesh, Indien, wo der
Dalai Lama das Kalachakra im Januar 2006
abhielt. (Foto: Claudia Leisinger –
www.singer-leisinger.com)
34
Es ist bemerkenswert, dass eine wachsende Zahl von Tibetern, die einen
chinesischen Pass besitzen, im Jahr 2005
nach Nepal kam — was wahrscheinlich auf das Kalachakra zurückzuführen ist. Mehr als 8.000 Tibeter waren
im Besitz von chinesischen Pässen
und reisten, um den Segen des Dalai
Lama zu erhalten. Viele Tibeter mit
einem chinesischen Pass begaben sich
auf religiösen Pilgerreisen nach
Nepal oder Indien — die Stupas von
Swayambhunath und Boudhanath in
Kathmandu mit Namo Boudha, nahe
Kathmandu und Lumbini, dem
Geburtsort des Buddha, sind die am
meisten besuchten heiligen buddhistischen Orte in Nepal.58 In Indien
reisen viele tibetische Pilger nach
Sarnath in Uttar Pradesh, wo Buddha
seine erste Predigt hielt und nach Bodh
Gaya in Bihar, wo er die Erleuchtung
erlangt haben soll.
I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T
Tibeter beim Kalachakra im Januar 2006. Tausende Tibeter, davon ungefähr 7.000,
die einen chinesischen Pass haben, reisten durch Nepal um diese wichtige buddhistische
Zeremonie in Amaravati in Südindien im Staat Andhra Pradesh zu feiern. (Foto: ICT)
Wie dieser Bericht zeigt, ist einer der Hauptgründe für die Flucht ins Exil der
Wunsch, ihrem geistigen Führer, dem Dalai Lama nahe zu sein, der in Dharamsala, in Nordindien lebt. Das kann für die Tibeter auf der Rückkehr nach Tibet
allerdings Risiken bergen. Die tibetische Zentralverwaltung (CTA) verlangt von
Neuankömmlingen, dass sie einen indischen Visumstempel in ihren Pass eintragen
lassen oder über eine Einreisegenehmigung verfügen, die von der indischen
Botschaft in Kathmandu ausgestellt wird, wenn sie an einer Audienz mit
dem Dalai Lama teilnehmen. Die CTA versucht so, den Zustrom der Tibeter nach
Indien zu legalisieren und neuen Flüchtlingen zu helfen, eine Aufenthaltsgenehmigung in Indien zu erhalten. Dennoch kann ein indischer Visumstempel bei
der Rückkehr nach Tibet zu Schikane und eventuell zu Inhaftierung durch chinesische Sicherheitsbeamte führen. ICT sind Berichte von Tibetern bekannt, deren
Pässe nach ihrer Rückkehr von einer Indienreise beschlagnahmt wurden. Ein
Tibeter in Kathmandu erklärte ICT „Es ist ein besonderes Bedürfnis der Tibeter, die
ins Exil kommen, eine Pilgerreise zu unternehmen oder den Dalai Lama zu sehen.“
I N T E R N AT I O N A L C A M PA I G N F O R T I B E T
35
eine junge tibetische Gruppe von unter 16-Jährigen, aufgrund von Hinweisen durch
Spitzel aufgegriffen, noch bevor sie Nepal erreichte.
FOLGEN VON FESTNAHME UND INHAFTIERUNG
Tibeter waren Im Jahr 2006 ständig Gefahren auf der tibetischen Seite der Grenze
ausgesetzt, wenn sie bei ihrem Fluchtversuch festgenommen wurden oder das Land
illegal betreten hatten.59 Ein Tibeter Anfang Zwanzig aus Qinghai (aus dem
tibetischen Gebiet von Amdo), der im März im Exil ankam, sagte ICT, dass er bei
seinem ersten Fluchtversuch nahe der Grenze bei der tibetischen Stadt Dingri
gefangen genommen und zur Militärbaracke gebracht wurde, wo man ihn zwei Tage
lang festhielt. Er war dann vier Monate in einem Gefangenenlager, bis er nach
Zahlung einer Strafe von 1.200 Yuan (US $155) in seine Heimatstadt zurückkehren durfte.60 Eine Gruppe von Nonnen und Mönchen gab ICT Auskunft über
ihre Inhaftierung in Shigatse, nachdem sie nach einem Fluchtversuch festgenommen
worden waren. Sie berichteten, dass sie verprügelt und mit Elektroschlagstöcken
misshandelt wurden (siehe Bericht unten).
Spitzel, die über fliehende Tibeter informieren, scheinen auf beiden Seiten der
Grenze aktiv zu sein. Ein ICT-Beobachter in Nepal erklärt, dass die Tibeter genau
wissen, dass Spitzel auf der tibetischen Seite arbeiten. Oft sind es örtliche Nomaden
oder Farmer, die für ihre Dienste gut bezahlt werden.61 Im November 2006 wurde
Tibetische Flüchtlinge, die mit einem Rettungshubschrauber von Lukla nach Kathmandu
fliegen. (Foto: ICT)
Die Gefahren für Führer, die Tibeter über die Bergpässe führen, haben in den letzten Jahren zugenommen. Es werden längere Strafen für diejenigen verhängt, die
festgenommen werden. Razzien bei Führern wurden verstärkt, seit die Schüsse am
Nangpa-Pass am 30. September die internationale Aufmerksamkeit auf die
Gefahren der Flucht gelenkt haben.
Der Wert der Führer für Tibeter liegt in ihrem Wissen, wie man zum einen den chinesischen Sicherheitskräften und zum anderen der nepalesischen Polizei entkommt
(oder wie man mit letzteren verhandelt, um sicher Kathmandu zu erreichen).
Zudem führen sie die Gruppe über Bergpfade durch schwieriges Gelände. Das
Entgelt, das die tibetischen Führer erhalten, liegt bei US $ 80-350 pro Person. Das
entspricht oftmals einem Jahreslohn für einen Tibeter vom Land. Berichte aus
2006 lassen vermuten, dass dieser Lohn infolge der höheren Risiken der Reisen
ebenfalls gestiegen ist. Für Tibeter sind die Chancen, im TRRC in Kathmandu
sicher anzukommen, höher, wenn sie sich einer Gruppe mit Führer anschließen, als
einer Gruppe ohne Führer.
Eine Gruppe von mehr als 20 Tibetern, die ins Exil floh, wurde, nachdem man im
Oktober 2005 auf sie geschossen hatte, verprügelt und von Soldaten aus dem
Dingri-Bezirk festgenommen. Eine Nonne aus der Gruppe beschreibt nach einer
zweiten, geglückten Flucht ihren Leidensweg:
„Wir wurden einer nach dem anderen von den Soldaten gefesselt. Ich denke,
es waren ungefähr 20 von ihnen und es kamen noch mehr. Sie trugen alle Maschinengewehre und Funkgeräte.62 Da die Soldaten nicht genügend Seile hatten, fesselten
sie nur einige unserer Freunde und schafften uns dann alle zu einer Stelle, an der
ihre Wagen parkten. Wir wurden in die Wagen geladen und zum Armeelager gebracht.
Wir sahen unseren Führer und andere Mönche, wie sie später ins Gefängnis
abtransportiert wurden. Als die Soldaten versuchten, uns festzunehmen, wollten
die Mönche fliehen. Wir konnten sehen, dass sie im ganzen Gesicht Blutergüsse
aufgrund der Schläge hatten, die ihnen die Soldaten zugefügt hatten, als sie
festgenommen wurden. Wir wussten nicht, was mit unserem Führer danach
geschah. Wir konnten von der Stelle aus, an der wir verhaftet wurden, den NangpaPass sehen.
Wir Frauen wurden nicht so schlimm wie die Männer in unserer Gruppe verprügelt. Die Männer wurden sogar mit Elektroschockstöcken geschlagen. Weibliche
Inhaftierte wurden vorwiegend mit Gürteln geschlagen. Nach der Ankunft in der
Militärbasis wurden wir einer nach dem anderen verhört und alle Details wurden
aufgezeichnet. Sie fotografierten uns. Die Vernehmenden waren sowohl Tibeter
als auch Chinesen, allerdings waren die meisten Chinesen. Wir wurden gefragt,
warum wir versucht hatten, nach Indien zu fliehen. Wir sagten den Soldaten, dass wir
in Schulen gehen wollten, aber wir erwähnten nicht, dass wir Nonnen waren. Wir
hatten gehört, dass die Strafen für Nonnen und Mönche noch schlimmer waren.
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37
Vom Norden aus fotografiert
zeigt dieses Foto das Tal am
Lunag-Kangchung Pfad.
Gletscherspalten, gefrorene
Seen und Felsbrocken
erschweren die Wanderung
für tibetische Yakhändler
und Flüchtlinge.
(Foto: ICT)
Die Armee sagte, dass die chinesische Regierung Tausende von Schulen eingerichtet
hätte, und es deshalb nicht nötig sei, aus Tibet zu fliehen. Wir antworteten einfach,
dass wir Englisch lernen wollten. Wir wurden auch gefragt, ob wir Seine Heiligkeit,
den Dalai Lama sehen wollten. Am nächsten Tag wurden wir in das Gefängnis
des Dingri-Bezirks geschickt, wo wir 13 Tage fest saßen. Die Polizei des DingriBezirksgefängnisses nahm wieder alle unsere Daten auf und befragte einen nach
dem anderen. Die Polizei schlug uns, wenn sie mit unseren Antworten nicht
zufrieden war. Zweimal am Tag bekamen wir etwas zu essen, Frühstück und einen
kleinen Schöpfer Weizen, das Abendessen um 19 Uhr bestand aus einer kleinen
Schale Drehthuk (Reisbrei).
Unsere Gruppe wurde am gleichen Tag noch in das neue Gefängnis nach
Shigatse63 gebracht. Die Polizei lud uns auf schwere Militärfahrzeuge. Wir waren
alle gefesselt. Wir wurden für vier Monate ins Gefängnis gesteckt. Ungefähr 20
Gefangene waren in einer Zelle eingesperrt mit zwei chinesischen Polizisten, die
jede Zelle bewachten. Die meisten Gefangenen waren im Gefängnis, weil sie
versucht hatten, ins Exil zu fliehen oder weil sie zurück nach Tibet wollten. Wir
wurden vor allem in der ersten Woche nach unserer Ankunft verhört. Um 12 Uhr
Mittag bekamen wir als Frühstück einen kleinen Schöpfer voll Gerste und eine
Tasse schwarzen Tee. Eine kleine Schale Thukpa (Nudelsuppe) mit einer
Mischung aus ein wenig Spinat, Reis und Wasser wurde serviert. Es gab nicht
genug Decken und Matratzen für die Inhaftierten, wenn wir zu Bett gingen. Eine
sehr dünne Matratze und ein Betttuch [tibetisch: Tsuktu] mussten sich zwei
Inhaftierte teilen. Es herrschten eisige Temperaturen. Wir wurden wie Verbrecher
behandelt. Man bezeichnete uns als Separatismus-Anhänger. Die meisten von uns
mussten auf den Feldern arbeiten, sobald sie in den verschiedenen Grenzregionen
festgenommen wurden. Wir mussten ungefähr einen Monat lang Schlamm für das
Anpflanzen von Gemüse umgraben und planieren.
DIE ROUTEN
Es bestehen zwischen Tibet und Nepal enge historische und kulturelle Bindungen.
Nomaden, Pilger, aber auch Händler und Geschäftsleute tibetischer oder nepalesischer Herkunft überquerten seit dem achten Jahrhundert die Grenze in beide
Richtungen. Viele dieser alten Handelsrouten wie der Nangpa-Pass — fast 5.180
Meter über dem Meeresspiegel — werden immer noch von tibetischen Händlern
benutzt, die ihre Yakkarawanen nach Nepal treiben.
2006 begaben sich die meisten tibetischen Flüchtlinge auf die Reise, als die Berge
tief verschneit und die Gletscherregionen gefroren waren. Um ihre Fluchtabsichten
vor lokalen Behörden zu verschleiern, nehmen die Tibeter auf der Route nur wenig
Essen oder zusätzliche Kleidung mit. Unterkühlung, Schneeblindheit, Erfrierungen wie auch Verletzungen durch Ausrutscher auf dem Eis oder durch Stürze sind
an der Tagesordnung. Verletzungen können dazu führen, dass man vom Führer
zurückgelassen wird, dessen Hilfe unverzichtbar ist um die Grenzpatrouillen zu
umgehen. In den Sommermonaten kann sich der Schnee in Matsch verwandeln
und Nebel macht die Pfade und tödliche Abhänge unsichtbar.
Neu angekommene Flüchtlinge, die sich an einem Lagerfeuer ausruhen.
(Foto: Jonathan Green).
Nach vier Monaten Inhaftierung im neuen Gefängnis von Shigatse wurden vier
Polizisten (…) beauftragt, uns zum Gefängnis in unserer Präfektur zu begleiten. Wir
wurden dann in unser Bezirksgefängnis gebracht und nachdem ich nach vier Tagen
Haft 3.000 Yuan (US $ 387) Strafe bezahlt hatte, wieder entlassen. Meine Eltern
und ich erhielten ein Entlassungspapier und es wurde uns gesagt, dass bei einem
erneuten Fluchtversuch die Strafe höher ausfallen würde.“
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Ein Tibeter im tibetischen
Flüchtlingsaufnahmezentrum
zeigt seine erfrorenen Zehen
nach seiner Reise über den
Himalaja im Jahr 2005.
Im Jahr 2006 wurde über
ernsthafte Erfrierungen nicht
berichtet. (Foto: ICT)
Diese alte Route über den Nangpa-Pass verbindet die tibetische Stadt Dingri mit
Städten wie Namche Bazaar, Lukla und Jiri, die sich an den Ausläufern des
Himalajas befinden. Unter idealen Wetterbedingungen dauert die Wanderung von
Dingri zum Nangpa-Pass zwei bis drei Tage, mitunter aber auch fünf bis sogar
zehn Tage. Man braucht normalerweise zwei weitere Tage, um den vereisten
Nangpa-Pass zu überqueren und mindestens zwei bis drei Wochen, um Kathmandu zu Fuß zu erreichen.
Die Stadt Dram (chinesisch: Zhangmu, nepalesisch: Khasa) in 2.299 Metern Höhe
ist für viele indische und nepalesische Lastwagenfahrer das Tor nach Tibet. Oft
müssen sie tagelang warten, bis sie die Zollerklärung erhalten, um ihren Weg zu
ihren Bestimmungsorten fortsetzen zu können. Hier versuchen tibetische
Flüchtlinge über die China-Nepal „Freundschaftsbrücke“ nach Nepal zu gelangen.
Für tibetische Flüchtlinge ist es gefährlich, zu lange auf der nepalesischen Seite
der „Freundschaftsbrücke“ zu bleiben. Laut einer zuverlässigen Quelle werden die
Flüchtlinge wieder nach Tibet zurückgebracht, wenn die chinesische Polizei
erfährt, dass Fliehende auf der anderen Seite der Brücke Unterschlupf gefunden
haben. Zu Fuß dauert die Reise von Khasa auf der nepalesischen Seite nach
Kathmandu ungefähr eine Woche bis zehn Tage. Ein Bus fährt sechs bis sieben
Stunden durch die nepalesischen Grenzstädte Kodari, Tatopani und Barabise.
WARUM TIBETER TIBET VERLASSEN
Die Regierung der Volksrepublik China ist der Auffassung, dass wirtschaftliche
und soziale Veränderungen die Lebensbedingungen der Tibeter in Tibet verbessern
und deshalb die Loyalität gegenüber der Heimat größer werden sollte. Für Tausende
Tibeter sind diese „Verbesserungen“ immer noch Grund, das Land zu verlassen.
Viele Tibeter, die Tibet verlassen, um den Dalai Lama zu sehen oder um eine
Pilgerfahrt zu unternehmen und die später zurückkehren, sind auf dem Rückweg
Risiken ausgesetzt. Einige Tibeter entschließen sich zurückzukommen, nachdem
sie eine Ausbildung in einer Exilsschule genossen oder Verwandte besucht haben.
FLUCHTGRÜNDE (I): EINSCHRÄNKUNG DER RELIGIONSFREIHEIT
Im Jahr 2006 waren, wie in den vorhergehenden Jahren, die meisten tibetischen
Flüchtlinge Mönche und Nonnen, die in Tibet ihrer religiösen Berufung nicht
nachgehen konnten. In den letzten zehn Jahren führten mehr als 45% der tibetischen Flüchtlinge das Leben eines Geistlichen, davon waren ungefähr 3-4% Nonnen.
Mönche und Nonnen sind weiterhin das Ziel politischer Kampagnen, die darauf
Cham (klösterlicher) Tänzer, Kham, Tibet. Nach der Kulturrevolution bauten Tibeter
ihre Klöster und Tempel als Machtzentren der tibetischen Gemeinden wieder auf. Trotz
des Drucks, der von der chinesischen Politik ausgeübt wurde, halten die Tibeter auch
weiterhin ihr kulturelles und religiöses Erbe aufrecht, indem sie ihre Traditionen leben
wo immer es möglich ist. Dies geschieht im Besonderen in den östlichen Gegenden
von Kham und Amdo, außerhalb der Tibetischen Autonomen Region. (Foto: ICT)
Tibeter reisen auch durch die Himalajaregionen Mustang und Humla im westlichen Teil von Nepal. Einige Tibeter durchqueren Purang (Nep. Taklakot) und
folgen dem Humla Karnali Fluss, der in der Nähe des Berges Kailash (tib. Khang
Rinpoche) fließt. Kailash ist einer der heiligsten Berge Tibets, der nicht nur von den
Buddhisten, sondern auch von Hindus, Bonpos, Sikhs und Jains verehrt wird.
Da die meisten Tibeter in den Wintermonaten über den Nangpa-Pass nach Nepal
fliehen, sind Fälle von Tibetern, die unter extremen Erfrierungen leiden, nicht
ungewöhnlich. Manchmal müssen Zehen, Finger oder sogar Gliedmaßen
amputiert werden. Obwohl im Jahr 2006 die Klinik des TRRC über keine
nennenswerten Fälle extremer Erfrierungen berichtete, wurden viele Tibeter in
nepalesischen Krankenhäusern operiert. Tibeter scheinen immer häufiger auf ihrer
Reise nach Indien medizinische Behandlungen in Nepal in Anspruch zu nehmen,
die in Tibet nicht durchführbar beziehungsweise unbezahlbar wären. Die Anzahl
dieser Fälle ist allerdings immer noch sehr gering.
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ausgerichtet sind, die religiöse Ausbildung abzuwerten und den Einfluss der Klöster
auf die tibetischen Gemeinden zu beschränken. Die chinesische Regierung
kontrolliert religiöse Praktiken und die Gebetsstätten in tibetischen Gebieten auch
weiterhin sehr streng.64
Laut einer Mitteilung der Zeitung „La sa wan bao“ („Abendnachrichten“) in Lhasa
wurde tibetischen Mitgliedern der Kommunistischen Partei, Regierungsbeamten,
pensionierten ehemaligen Behördenmitarbeitern sowie allen Studenten im Dezember
2006 verboten, an einem wichtigen buddhistischen Feiertag teilzunehmen. Die
Stellungnahme, die am 12. Dezember 2006 veröffentlicht wurde, führt aus, dass eine
Teilnahme an religiösen Aktivitäten nicht erlaubt sei, da es für die Regierung und
die Partei notwendig sei, „die Ausbildung, die Führung und die Verwaltung der
breiten Masse und der Kader zu stärken.“ Aus diesem Grund war es für viele nicht
möglich an den Feierlichkeiten des „Gaden Ngachoe“ Festes teilzunehmen, mit dem
dem buddhistischen Lehrer Tsongkhapa gedacht werden sollte. Tsongkhapa hatte
im 14. Jahrhundert die Gelugpa Schule im tibetischen Buddhismus gegründet.65
Dieser Bericht belegt deutlich das Klima religiöser und politischer Repressionen,
unter denen Tibet unter der Führung des Parteisekretärs Zhang Qingli, der als
Hardliner in ideologischen Fragen bekannt ist, zu leiden hat. In diesem Jahr sorgte
Zhang Qingli für eine Intensivierung der „patriotischen Umerziehungkampagnen“
in tibetischen Klöstern und in der Gesellschaft.
Die zweite Hälfte des abgelaufenen Jahres zeichnete sich zudem durch gewachsene
Feindseligkeiten gegenüber dem Dalai Lama seitens tibetischer Politiker wie auch
des Parteichefs der TAR aus. Die Forderung an tibetische Regierungsbeamte in
Lhasa und anderen Regionen lange, handgeschriebene Diffamierungen ihres
religiösen Führers zu schreiben, sorgte für großen Unmut aus.
ICT berichtete über die Gefangennahme einiger tibetischer Mönche und Nonnen
aus politischen Gründen. Unter ihnen befand sich ein junger Mönch, der einer
Studentengruppe erklärte, dass Tibeter keine Meinungsfreiheit besäßen. Er wurde
aufgrund dieser Aussage zu vier Jahren Haft verurteilt und angeklagt „die
Gesellschaft sehr zu schädigen“. Der Tibeter, Gedun, früher ein Lehrer des traditionellen Klostertanzes (Cham) wurde mit einem weiteren Mönch namens Jamphel
Gyatso wegen „der Spaltung des Landes“ verurteilt, wie ICT von einer offiziellen
chinesischen Informationsquelle erfuhr. 66
FLUCHTGRÜNDE (II): CHINAS WIRTSCHAFTSPOLITIK
Pekings Strategie ökonomischer Entwicklung mit dem Titel „Entwicklung des
Westens“ (Chinesisch: ‘xibu da kaifa’67), verändert wohl das tibetische Leben und
die tibetische Landschaft mehr als jede andere politische Maßnahme. Pekings
Kampagne, die westlichen Regionen der Volksrepublik zu entwickeln, ist politisch
hoch angesiedelt und wurde vom damaligen Parteisekretär und Präsidenten Jiang
Zemin 1999 ins Leben gerufen. Dieses umfassende Projekt wirkt sich auf mehr
als 56% des Territoriums der Volksrepublik China und auf fast ein Viertel der riesigen
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Der neue Bahnhof in Lhasa, der am 1. Juli 2006 eröffnet wurde. Die Kosten der Bahnlinie
belaufen sich auf 4,1 Milliarden Dollar. Die chinesische Regierung behauptet, dass die
Verbindung helfen wird, Tibet zu modernisieren. Kritiker glauben, dass sie wahrscheinlich
Peking eher hilft, seine militärische und administrative Kontrolle in der Region zu
verbessern. Chinesische Wissenschaftler warnten, dass die globale Erwärmung einen
irreparablen Schaden der Gleise innerhalb von zehn Jahren verursachen kann. (Foto: ICT)
Bevölkerung aus, die auch Tibeter, uighurische Muslime und andere so genannte
‘nationale Minderheiten’ umfasst.
Die chinesischen Behörden behaupten, dass die Entwicklung der westlichen Regionen die Infrastruktur verbessert, den Umweltschutz verstärkt und Wissenschaft,
Technologie und Ausbildung voran bringt. Aber die Realität sieht anders aus. Die
Entwicklung des Westens spiegelt die Parteiagenda wider, Tibet zu kontrollieren
und die Regionen auf der Basis des chinesischen Städtebaumodells zu entwickeln,
das tibetische Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten nicht berücksichtigt. Es stellt
eine ernste Bedrohung für das Überleben und die Religion der Tibeter dar.
Während einige Tibeter zweifellos von den wirtschaftlichen Reformen profitiert
haben, sollte es jedoch klar sein, dass es sich hierbei um eine Minderheit handelt.
Am ersten Juli 2006 wurde die höchste Eisenbahn der Welt, die über das tibetische Plateau führt in Lhasa unter einem politisch zunehmend repressiven Klima
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eigenen Gemeinden ausgesetzt. Das veranlasst sie, sich um das Überleben der
eigenen Kultur und Identität zu sorgen. Viele von ihnen fliehen ins Ausland, weil
sie sich von ihrem Land verdrängt fühlen oder ihre Arbeit und ihren Lebensunterhalt verloren haben.
Eine ältere tibetische Frau in einer
Nomadensiedlung in Osttibet.
Tibetische Nomaden werden häufig
umgesiedelt und gezwungen,
ihre traditionelle Lebensweise
aufzugeben, während China
seine Kontrolle über die
Bevölkerung ausweitet.
eröffnet. Das Sicherheitspersonal in Lhasa wurde knapp, da die Regierung ihre
„patriotischen Erziehungskampagnen“ intensiviert und Tibets Parteichef Zhang
Qingli einen „Kampf bis zum Tod“ gegen den Dalai Lama und seine Unterstützer
angekündigt hatte.
Die Fertigstellung der 1.142 Kilometer langen Strecke von Golmud (Ge´ermu) in
der Qinhai Provinz nach Lhasa in der Tibetischen Autonomen Region , die trotz
hoher Kosten und technischer Schwierigkeiten durchgeführt wurde, spiegelt die
politischen und strategischen Ziele der Pekinger Führung wider. Von der Presse
als Kernstück von Chinas Kampagne, mit der sie die westlichen Regionen
entwickeln will, bezeichnet, verbindet die 4,1 Milliarden Dollar teure Bahnlinie
Lhasa mit Peking, und führt dabei über Shanghai, Chengdu und Guangzhou und
Xining. Sie bringt Peking sehr viel näher an das von Mao Zedong vor 40 Jahren
gesetzte Ziel, Tibet China China politisch und strategisch an China anzubinden.68
Vor der Eröffnung der Bahnlinie unternahmen einige tibetische Frauen den mutigen Schritt, gegen die Umsiedlung ihrer Häuser zu protestieren, die dem neuen
Bahnhof in Lhasa weichen mussten. Der Protest, der am Tor des Regierungsgebäudes der TAR stattfand, wurde von Frauen aus der Gegend von Liuwu (N´eu)
initiiert, einem Dorf, das zerstört wurde. Laut tibetischer Quellen „knieten die
Frauen auf dem Boden vor dem Büro der TAR und sagten in sehr bescheidenem
Ton, dass ihr Land genommen wurde und dass sie nun nichts mehr hätten.“ Die
Frauen wurden später von Sicherheitspersonal eingeschüchtert und dazu gebracht,
ihren Protest einzustellen.
Die ‘xibu da kaifa’ Kampagne stellt die Entwicklung des Verwaltungs- und
Militärapparats des Staates an die erste Stelle, um die Kontrolle über Tibet
aufrechtzuerhalten. So leiden die Tibeter immer noch unter wachsender Armut,
der Ungleichheit von Stadt und Land und der schlechtesten Ausbildung in der
Volksrepublik China. In den meisten Gebieten gibt es nur wenig oder gar keine
Gesundheitsfürsorge. Die Entwicklung des Westens wird von oben verordnet und
richtet sich nicht nach den Bedürfnissen der Lokalbevölkerung. Die Tibeter sehen
sich durch die Zahl der chinesischen Einwanderer, die nach Tibet kommt, einem
wachsenden Wettbewerb um Arbeitsplätze und einer Marginalisierung in ihren
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Laut Berichten des Radio Free Asia (RFA) und anderer Quellen gab es im Oktober
2006 einen seltenen Protest in Lhasa. Hunderte tibetische Studenten wehrten
sich gegen die offensichtliche Diskriminierung durch chinesische Behörden, die
Verwaltungsstellen ausgeschrieben hatten. Es war bei dem Protest, der mehrere
Tage anhielt und sich vor dem Regierungsgebäude der TAR abspielte, nicht von
Gewalt oder Verhaftungen die Rede. Der tibetische Dienst von RFA berichtete,
dass der Protest einer Überprüfung folgte, bei der 100 Stellen in der Verwaltung
besetzt werden sollten. Die Stellen wurden 98 Chinesen und zwei Tibetern
angeboten. Die Demonstrierenden waren Hochschulabgänger aus verschiedenen
Universitäten Chinas. Vielen war offensichtlich zugesagt worden, dass sie nach
ihrem Studium eine Arbeit bekämen.
Im letzten Jahrzehnt waren circa 20% der Tibeter, die ins Ausland gingen, Bauern
und 5% Nomaden oder arbeitslos. Diese Prozentzahl wird vermutlich steigen, wenn
Peking die Wirtschaftspolitik weiter verfolgt, die eine dramatische Auswirkung
auf die tibetische Landschaft und ihre Bevölkerung haben.
China will aus politischen Gründen Nomaden ansiedeln, um damit angeblich die
Wirtschaftlichkeit der Viehzucht zu verbessern und die Auswirkungen von
Naturkatastrophen auf das Leben tibetischer Viehhalter zu vermindern. Versteckte
Agenda hinter dieser Strategie ist, dass eine Bevölkerung mit einer festen Adresse
besser durch Verwaltung und Polizei kontrolliert werden kann. Für viele Nomaden
ist der Übergang zum Stadtleben schwierig. Oft werden sie in gesichtslosen
Häuserblocks an großen Straßen oder in neu geschaffenen Stadtgegenden
untergebracht und stehen vor dem Problem, ihren Lebensunterhalt komplett neu
bestreiten zu müssen. Das Aufzwingen chinesischer Stadt- und Industrialisierungsmodelle auf eine traditionelle Lebensweise führt laut Studien nomadischer Gemeinschaften, die in Osttibet durchgeführt wurden, zu einer steigenden Armut unter den
Nomaden und zu einer Verschlechterung der Weidelandschaft. ICT hat mit
Nomaden und Hirten gesprochen, die ins Exil flüchteten, weil sie aufgrund des
Verlustes ihrer Felder oder ihrer Lebensgrundlage durch die neuen wirtschaftlichen
Programme nicht mehr ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten.
FLUCHTGRÜNDE (III): AUSBILDUNG
Das Fehlen einer angemessenen Bildungspolitik zur Förderung und Unterstützung
der tibetischen Sprache führt zu immer größerer Frustration unter den Tibetern und
ist ein Hauptgrund, warum viele Kinder und Erwachsene Zuflucht in Indien
suchen. Wer nicht Chinesisch sprechen kann, ist im Nachteil, weil er auf dem
Arbeitsmarkt nicht mehr mithalten kann. Der nationale Lehrplan wird nur in den
Grundschulen in tibetischer Sprache gelehrt. Danach ist Tibetisch normalerweise
ein Wahlfach und alle anderen Fächer werden in Mandarin unterrichtet. Kinder, die
kein Chinesisch beherrschen, das sie für die anderen Unterrichtsfächer in höheren
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Ein Kinderbild aus dem Tibetischen Flüchtlingsaufnahmezentrum, das chinesische
Soldaten zeigt, die eine tibetische Familie schikanieren. Kinder, die ins Exil fliehen,
zeichnen häufig Bilder vom Alltagsleben in Tibet, auf denen die starke Militärpräsenz
in ihrer Heimat abgebildet ist. Die Rowell Stiftung unterstützt ein Kunstprojekt im
Aufnahmezentrum in Dharamsala, Indien, das den Kindern hilft, sich vom Trauma der
Reise ins Exil und der Trennung von ihren Eltern zu erholen. (Foto: Jonathan Green).
Klassen brauchen, fallen zurück und verlieren das Interesse an der Schule.
Wohlhabende tibetische Familien schicken ihre Kinder oft nach China, damit sie
dort ihre Sprachfähigkeiten verbessern und einen guten Abschluss an einer chinesischen Universität erhalten können. Familien mit einem niedrigeren Einkommen,
die sich die Schulgebühren nicht leisten können, beschließen oftmals ihre Kinder
ins Exil nach Indien zu schicken, weil sie dort eine tibetische Ausbildung erhalten
und in der Nähe des Dalai Lama sind.
FLUCHTGRÜNDE (IV): POLITISCHE REPRESSIONEN
Ehemalige politische Gefangene und solche, die der Staat im Visier hat, weil sie
nach chinesischem Behördenjargon „Separatisten“ sind (also angeblich versuchen,
Tibet von China abzuspalten), befinden sich ebenfalls unter denjenigen, die jedes
Jahr aus Tibet fliehen. Politischer Aktivismus und Pro-Unabhängigkeitsaktionen
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sind streng verboten und werden nach chinesischen Gesetzen schwer bestraft.
Ehemalige Häftlinge und politische Aktivisten haben große Schwierigkeiten sobald
sie entlassen werden. Nonnen und Mönchen ist es untersagt, in ihre Klöster zurückzukehren. Auch wenn viele versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen, sind die
Erfolgschancen rar und sie leiden unter ständiger Bewachung
und Bespitzelung. Unter denjenigen, die fliehen, sind auch
viele Tibeter, die einer Verhaftung aufgrund politischer Vergehen entkommen sind. Wenn sie
nach Tibet zurückkehrten, würden ihnen schwere Strafen drohen. 2006 konnten drei bekannte
ehemalige politische Gefangene
aus Tibet ausreisen — Nonnen,
die lange Strafen im berüchtigten
Drapchi Gefängnis bei Lhasa
verbüßt hatten. Es handelt sich
um Ngawang Rigdrol, die sechs
Jahre in Haft saß, Rigzin
Choekyi, die 12 Jahre Haft verbüßte und Lhundrub Zangmo, Chinesische Soldaten in Lhasa, 2006. (Foto: ICT)
die 9 Jahre in Haft saß. Die
letztgenannten waren zusammen mit Phuntsog Nyidron und Ngawang Sandrol
in der bekannten Gruppe der Nonnen, deren Haftstrafen verlängert wurden,
da sie insgeheim Gesänge über den Dalai Lama und die Zukunft Tibets auf eine
Kassette aufgenommen hatten, die aus dem Gefängnis geschmuggelt wurde und in
den Westen gelangte.70
2006 berichtete ICT von langen Haftstrafen, die verschiedenen Mönchen und
Nonnen aufgrund „Spaltung des Landes“ auferlegt wurden. Unter ihnen war auch
ein höhergestellter Mönch, Choeying Khedrub, der 2001 inhaftiert wurde und
eine lebenslange Haftstrafe verbüßt. Choeying Khedrub, der Anfang dreißig
ist, gehörte einer Gruppe von drei Mönchen und zwei Laien an, die wegen des
Druckens und Verteilens von prodemokratischen Flugblättern angeklagt wurden.71
Außerdem wurde der Westen auf das Schicksal eines jungen tibetischen Schriftstellers und Lehrers aufmerksam. Der 29-jährige Dolma Kyab schmuggelte einen
Brief aus dem Gefängnis, in dem er erklärt, dass er aufgrund eines unveröffentlichten Buchmanuskriptes eine 10-jährige Strafe verbüßen muss. Dolma Kyab,
der unter seinen Freunden für sein Engagement für die Umwelt Tibets bekannt ist,
wurde im März 2005 im Chusur (chinesisch: Qushui) Gefängnis südwestlich von
Lhasa inhaftiert, weil er angeblich „die Staatssicherheit gefährdet“.72
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ICT hat die folgenden Berichte über Fluchtgründe von Neuankömmlingen
zusammengetragen.
DIFFAMIERUNG DES DALAI LAMA
Ein Mönch Mitte zwanzig aus dem Gebiet
von Lhasa gab folgende Gründe für seine
Flucht aus Tibet an:
„In den späten 90er Jahren wurde ich
während einer patriotischen Erziehungskampagne aus meinem Kloster in Tibet
ausgeschlossen. Ich hatte dort über zehn
Jahre studiert. Ungefähr sieben Mitglieder eines Arbeitsteams und Beamte
des Bezirks und aus dem Gebiet von
Lhasa kamen in unser Kloster, um eine
‘patriotische Erziehungskampagne’ durchzuführen. Die Kampagne dauerte drei
Monate. Während dieser Zeit mussten
wir einige Texte mit hauptsächlich
politischem Inhalt lesen und auswendig
lernen. Zusammen mit zwei anderen
Freunden weigerte ich mich, Seine
Heiligkeit den Dalai Lama zu diffamieren. Wir machten den Beamten
klar, dass wir dem Kurs der „patriotischen
Erziehung“ folgen würden, aber unser
religiöses Fundament, den Lamaismus
nicht verraten könnten. Wir erklärten Personal des Büros für öffentliche
den Beamten, die die Erziehungskam- Sicherheit in Zivilkleidung (mit einer
pagne durchführten, dass bei einer Pistole) in einem tibetischen Kloster
Verleugnung unseres spirituellen Funda- während einer „patriotischen
mentes die Basis unseres Mönchseins in Umerziehungskampagne“. (Photo: ICT)
Frage gestellt würde und das Befolgen
des Buddha Dharma umsonst wäre. Deshalb sagten wir, dass wir abgesehen von der
Diffamierung Seiner Heiligkeit des Dalai Lama uns allen Regeln beugen und uns
an das Studienmaterial halten würden.
Allerdings sprechen die Beamten, wenn sie von ‘separatistischen Kräften’ oder
‘Separatismus’ reden, vom Dalai Lama. Sie betrachten den Dalai Lama als eine
Bedrohung für die Einheit des Staates. Es hat keinen Sinn Mönch zu werden,
wenn es keine Religionsfreiheit gibt oder die Freiheit, sich seine eigenen Religionsführer auszusuchen. Die chinesischen Beamten misstrauten unserer Arbeit
sehr. Wir durften die Bilder des Dalai Lama nicht behalten. Jede unserer Bewegungen wurde durch Informanten [im Kloster] beobachtet und jeder, der solches
Material hatte, wurde ins Gefängnis gesteckt und intensiv verhört.
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Nach meinem Rausschmiss aus dem Kloster war mein Leben nutzlos geworden. Ich
brauchte die Erlaubnis des Vorstehers der Stadtgemeinde, wenn ich von meinem
Haus in den nächsten Bezirk oder nach Lhasa gehen wollte. Ich konnte keine neue
Zulassung zu irgendeinem Kloster in Tibet bekommen. Ich blieb einfach zu Hause
und verbrachte meine Zeit mit Lesen von Büchern und religiösen Texten und
machte die Hausarbeit. Meine Eltern sind Bauern. Ich habe allerdings keine
Ahnung von der Arbeit auf dem Feld.
Das Leben war wirklich hart, da wir keine Meinungsfreiheit, keine Bewegungs- und
Religionsfreiheit genießen. Ich konnte mich nicht auf meine religiösen Texte
konzentrieren, weil ich immer Angst hatte und mich unsicher fühlte. Sogar meine
Familie unterstützte mich nicht mehr, nachdem ich aus dem Kloster vertrieben
worden war. Sie fürchteten, die chinesischen Beamten könnten etwas gegen sie
unternehmen, wenn sie erführen, dass sie mich unterstützen. So entschloss ich
mich, ins Exil zu gehen.“
DIFFAMIERUNG DES DALAI LAMA IN TIBETISCHEN SCHULEN
Ein Teenager aus Zentraltibet berichtet zum Thema Ausbildung:
„Ich wurde von meinen Eltern im Gebiet von Lhasa auf die Schule geschickt, aber
ich ging ins Exil, weil ich dort eine gute Ausbildung erhalte, die auch die tibetische
Sprache und Kultur umfasst und die Freiheit bietet, meinen Glauben an Seine
Heiligkeit den Dalai Lama auszudrücken. Die Schule, auf die ich [im Stadtgebiet
Lhasas] ging, war gut. Sie wurde von einem Beamten der tibetischen Regierung
geleitet und es gab dort viele Schüler aus ländlichen Gegenden und aus der Stadt.
Es wurde dort nur Chinesisch und Englisch unterrichtet und kein Tibetisch. Es gab
chinesische und tibetische Lehrer an der Schule. Normalerweise überprüften die
tibetischen Lehrer die Schüler, um zu sehen, ob sie ein Bild Seiner Heiligkeit des
Dalai Lama um den Hals trugen. Einmal gab es einen tibetischen Lehrer, der alle
Schüler überprüfte und ehrlich gesagt, hatten die meisten etwas um den Hals oder
ein Foto Seiner Heiligkeit des Dalai Lama bei sich. Der Lehrer fand heraus, dass
ein Schüler das Foto Seiner Heiligkeit bei sich trug und warf das Bild in die
Toilette. Daraufhin waren alle Schüler sehr aufgebracht.
Auch wurden die Schüler oft aufgefordert, Schmähbriefe an Seine Heiligkeit den
Dalai Lama zu schreiben. Letztes Jahr diskutierten die Schüler darüber und
beschlossen, keine Briefe zu verfassen. Aber dieses Jahr forderte die Schule wieder
auf, diese Briefe zu schreiben, und die Hälfte der Schüler, insbesondere Mädchen,
verfassten sie. Aber es gab auch Schüler wie mich, die sich weigerten. Es gab einen
chinesischen Lehrer, der mir befahl, einen solchen Brief zu schreiben. Er sagte:
„Du musst den Brief schreiben, sonst wirft dich die Schule raus“, und das in einem
sehr ärgerlichen und rauen Ton. Jetzt denke ich, dass ich nie mehr nach Tibet
zurückgehen werde.“
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VON EINER KELLNERIN ZUR NONNE
Eine 20-jährige tibetische Frau aus einer Bauernfamilie erklärte ICT, warum sie
ins Exil floh:
„In meiner Heimat gibt es sehr viele Jugendliche, die eine gute Ausbildung haben
möchten. Da allerdings die Gebühren für die Oberschule so hoch sind, dass sie sie
nicht bezahlen können, müssen sie die Schule verlassen. Wenn man es sich nicht
leisten kann, die Gebühren mit Geld zu bezahlen, ist es möglich, in Naturalien zu
bezahlen, indem man eine gewisse Menge Getreide abliefert. Dennoch gibt es
immer noch viele Kinder bei uns, die die Schulgebühren nicht bezahlen können.
Die Regierung von Shang [örtliche Gemeinde] sagt immer, dass die Eltern ihre
Kinder in die Schule schicken müssen, und dass sie bestraft würden, wenn sie es
nicht täten, aber dann werden die Kinder aus der Schule geworfen, wenn sie nicht
bezahlen können. Manche bleiben zu Hause und arbeiten auf den Feldern, während
andere in Orte wie Tsethang [Lhokha Präfektur. Chinesisch: Shannan in der TAR]
und Lhasa gehen, wo sie verschiedene Arbeiten annehmen. Wenn man, wie ich, ein
junges Mädchen ist, kann man einen Job als Bedienung in einem Restaurant finden
oder in einer Nangma Bar [Bar in einer tibetischen Stadt, in der Livemusik von
professionellen Musikern gespielt wird].73
Eine Yakkarawane macht über Kangchung
am Fuße des Nangpa-Gletschers eine Pause.
Mindestens fünf oder sechs Stunden trennen die
Yakhändler von Dzasampa, wo sie gewöhnlicherweise die Nacht verbringen, bevor sie den
Nangpa-Pass nach Tibet überqueren. (Foto: ICT)
50
Als meine Schwester und ich zur
Grundschule gingen, war es kein
Problem, das Schulgeld zu
bezahlen, aber als wir auf die
Mittelschule gingen, mussten
wir höhere Gebühren entrichten.
Meine Mutter ist allein erziehend und muss für unser Schulgeld und den Haushalt sorgen.
Als wir auf die Bezirksmittelschule gingen, war dies eine
harte Zeit für meine Mutter, weil
sie so viel bezahlen musste. Die
Gebühren für ein Schuljahr
betragen für die Bezirksmittelschule zwischen 350 und 400
Yuan (US $ 45-50), und manchmal musste meine Mutter
Getreide abliefern. Das machte
mich immer sehr traurig und ich
hatte Mitleid mit ihr. Obwohl
meine Mutter darauf bestand,
verließ ich die Mittelschule noch
vor meinem Abschluss.
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Da ich die Älteste in der Familie war, dachte ich, dass ich meiner Mutter helfen
könnte, etwas Geld für die Schulausbildung meiner Schwester zu verdienen. Zuerst
arbeitete ich in einer chinesischen Baufirma als Arbeiter, schleppte Ziegel und
Steine auf meinem Rücken und sie bezahlten mir 20 Yuan (US $ 2,58) am Tag.
Mein Essen musste ich allerdings selbst bezahlen. Als ich diesen Job bei einem
chinesischen Arbeitgeber bekam, war das ganz gut. Ich kann Chinesisch und der
chinesische Boss akzeptierte mich. Wenn man heute kein Chinesisch kann, ist es
unmöglich, Arbeit zu finden, selbst wenn man andere Fähigkeiten besitzt. Auch
wenn man einen Job hat, muss man die schwerste Arbeit verrichten und die Chinesen beschimpfen dich immer. Ich arbeitete drei Monate als Arbeiter für den
Chinesen und ging danach nach Tsethang und arbeitete in einem Restaurant als
Bedienung, was sehr anstrengend war. Ich musste das ganze Geschirr abwaschen.
Dann ging ich wieder nach Hause und teilte meiner Mutter mit, dass ich Nonne
im Shugseb Kloster werden wollte. Meine Mutter war damit einverstanden und
sagte, ich könne Nonne werden. Aber wenn man Nonne werden will, muss man
eine Menge an das Kloster bezahlen, wie Geld, Butter, Fleisch, Tsampa usw., sonst
wird man nicht aufgenommen. Es gibt auch Beschränkungen, was die Zahl der
Nonnen angeht, und man muss Beziehungen haben, um ins Kloster eintreten zu
können. Wir kannten aber niemand in der Regierung. Es ist so, als ob das Kloster
der Regierung gehören würde. Meine Mutter ging mehrmals zum Nonnenkloster
und zu den [örtliche Behörden], um für mich die Erlaubnis, Nonne zu werden, zu
erhalten. Am Ende sagte meine Mutter, dass es besser sei, nach Indien zu gehen und
dort Nonne zu werden.
Um das Geld für die Abreise zusammenzubekommen, arbeitete ich als Bedienung
in einer Nangma Bar, die Nyihoe Nangma [Sun shine Nangma] hieß. Ich mochte
diese Arbeit nicht wirklich, weil ich in der Nangma den Gästen Bier servieren
musste. Viele verschiedene Leute gehen in eine Nangma-Bar und wenn man dort
als Bedienung arbeitet, denken viele, die noch nie da waren, man sei eine Prostituierte. Deshalb sagte ich meiner Mutter, dass ich nicht mehr in der Nangma Bar
arbeiten wolle. Dann lernte meine Mutter zum Glück jemanden kennen, der auch
nach Indien gehen wollte. Deshalb kamen wir gemeinsam nach Indien und jetzt
gehe ich auf eine tibetische Übergangsschule. Obwohl ich hierher kam, um Nonne
zu werden, sagten sie mir im Auffangzentrum [in Dharamsala] ich solle zuerst zur
Schule gehen, als ich ihnen erzählt hatte, dass ich in ein Nonnenkloster gehen
wolle. So weiß ich nicht, was ich in Zukunft tun soll, und meine Mutter ist
vielleicht verärgert, weil ich jetzt wieder zur Schule gehe. Für mich gibt es keine
Wahl und ich kann es mir nicht leisten, wieder nach Tibet zu gehen, weil ich für
den Führer soviel bezahlt habe.“
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51
NEPALS SICH WANDELNDE ORDNUNG
UND CHINAS EINFLUSS AUF DIE NEUEN
VERHÄLTNISSE
Das Jahr 2006 begann mit prodemokratischen und antimonarchischen
Massenkundgebungen in den Straßen Kathmandus gegen den König Gyanendra,
der am 1. Februar 2005 die Macht ergriffen hatte. Wochen der Kundgebungen
und Massenstreiks in Kathmandu führten zu Gewaltausbrüchen, die zwölf Tote
und 100 Verletzte forderten. Am 24. April erklärte sich König Gyanendra bereit,
zurückzutreten und das nepalesische Parlament wieder einzusetzen, das nach vier
Jahren wieder tagen konnte. Grija Trasad Koirala wurde zum Premierminister
ernannt und im Rahmen des Sieben-Parteien-Bündnisses (SPA) begann er mit
den Maoisten (der Kommunistischen Partei Nepals) zu sprechen. Nach einem
formellen Friedensvertrag und einem Waffenstillstand wurde bis zum Ende des
Jahres 2006 versucht, die Maoisten in die neue nepalesische Regierung zu integrieren. Eine vorläufige Verfassung wurde im Dezember verabschiedet und Wahlen
werden vor Juni 2007 stattfinden.75
Die Veränderung der politischen Lage in Kathmandu brachte den ca. 20.000
ansässigen tibetischen Flüchtlingen, sowie den Tausenden, die durch das Land
nach Indien reisen, neue Möglichkeiten, aber auch größere Unsicherheiten.
Obwohl Nichteinmischung in die nationalen Angelegenheiten des anderen ein
offenes Grundprinzip der chinesisch-nepalesischen Beziehungen darstellen soll,
beeinflusst China Nepal in jeder Hinsicht außerordentlich, sowohl geopolitisch als
auch wirtschaftlich.
52
Volk entschieden hat und haben uns nie in die internen Angelegenheiten Nepals
eingemischt. Wir unterstützen Nepal in seinen Bemühungen die Souveränität, die
Unabhängigkeit und die territoriale Unversehrtheit zu erlangen.“ (Xinhua, 18.
März 2006)
Während viele Staaten Nepals sich auf die demokratische Zukunft nach der
Auflösung der Regierung des König Gyanendra im Jahr 2005 beziehungsweise auf
den Frieden nach den zahlreichen maoistischen Aufständen konzentrierten, sicherte
China laut dem nepalesischen Generalkonsul Paudyal in Lhasa „entschlossene
Unterstützung… unabhängig davon, wer die Macht hat“ zu. Paudyal empfahl
China nicht nur diese Vorgehensweise, sondern er nutzte auch die Gelegenheit
seine Meinung zur Religionsfreiheit in Tibet kundzutun, indem er sagte: „Ich habe
jeden Tag viele tausende Gläubige gesehen, die um den Potala Palast oder andere
Tempel in Lhasa kreisten. Jeder, der Lhasa besucht, kann diese Szene jeden Morgen
und Abend beobachten. Aus dieser Beobachtung kann ich leicht folgern, dass die
Bevölkerung ihre religiösen Aktivitäten ohne Probleme ausleben kann.“ (Xinhuanet,
6. Januar 2006).
Nachdem der König gezwungen war, seine Direktherrschaft im Oktober abzugeben,
stattete der Sonderberater für auswärtige Angelegenheiten des neuen nepalesischen
Premierminister, Dr. Suresh Chandra Chalise, dem Vizeminister des Auswärtigen
Amts der Kommunistischen Partei Chinas, Liu Hungcai, einen Höflichkeitsbesuch ab. Er bekräftigte, dass sich Nepals Einsatz für die Geschäfte mit China nicht
geändert habe und es den chinesischen Anspruch auf Tibet respektiere.
Nepal schränkte die ansässigen tibetischen Flüchtlingsgemeinden immer weiter in
ihrem Handlungsspielraum ein und verhinderte ein von den USA vorgeschlagenes
Wiederansiedlungsprogramm für tibetische Flüchtlinge. Im Juli 2006 traf sich der
chinesische Vizeminister für auswärtige Angelegenheiten, Wu Dawei, mit dem
nepalesischen Minister für auswärtige Angelegenheiten, KP Oli, in Kathmandu, um
über das von den USA vorgeschlagene Wiederansiedlungsprogramm für tibetische
Flüchtlinge zu sprechen. Laut Berichten bekräftigte Oli wiederholt, dass Nepal
bereits 1989 aufgehört hatte, Tibetern einen Flüchtlingsstatus zu gewähren.
Chinas extreme Sensibilität gegenüber allem, was Tibet betrifft, war auch weiterhin ein Kennzeichen der chinesisch-nepalesischen Beziehungen.76 Im Laufe des
Jahres besuchten mehrere hochrangige chinesische Delegationen Kathmandu. Unter
ihnen war im März auch Chinas Staatsratsmitglied Tan Jiaxuan und im Juli der stellvertretende Außenminister Wu Dawei.77 China signalisierte seine Wertschätzung
der Haltung Nepals „es den Tibetern nicht zu erlauben, an separatistischen
Aktionen teilzunehmen“ und es nicht „zu gestatten, dass Kräfte von außen solche
Aktionen auf dem Boden Nepals unterstützen“. Die Volksrepublik signalisierte
dies sowohl durch militärische und finanzielle Unterstützung, als auch durch Stellungnahmen chinesischer Delegationen.
Chinas Investitionen in die Infrastruktur Tibets, besonders die der Golmud-LhasaEisenbahnlinie, wurden von Nepal79 als vorteilhaft angesehen, und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind seit 2006 gewachsen.
Nepalesische Unternehmer haben über 8.2 Millionen Dollar in Lhasa investiert
und laut dem Direktor für Wirtschaft in der TAR, Zhao Li Fu, wachsen die
Geschäftsmöglichkeiten. Regionale Experten verkünden eine neue Ära des
chinesisch-nepalesischen Handels und der Diplomatie, die auf der wirtschaftliche
Entwicklung in den westlichen Gebieten Chinas basiert.
Im März erläuterte der nepalesische König dem chinesischen Staatsratsmitglied
Tan Jianxuan, dass „Nepal die Ein-China-Politik seiner Regierung unterstützt und
keine anti-chinesischen Aktivi-täten auf Nepals Territorium erlauben wird.“78 Tang
antwortete, „wir schätzen die Form der Entwicklung, für die sich das nepalesische
2006 schafften beide Länder die Visumpflicht für Bürger und deren Familienangehörigen, die Diplomatenpässe besitzen ab, wenn sie sich höchstens für 30 Tage
in dem Gebiet des anderen Staates aufhielten. Zudem konzentrierte sich China
weiterhin auf die Bewachung der tibetisch-nepalesischen Grenze.80
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Im November ging Liu Hongcai nach einem Treffen in Kathmandu mit Nepals
Minister für auswärtige Angelegenheiten, Oli, auf das von den USA vorgeschlagene
Wiederansiedlungsprogramm für tibetische Flüchtlinge ein. Er sagte: „China hat
ein großes Interesse an Tibet. Ausländische Kräfte versuchen eine Abspaltung
Tibets von China herbeizuführen, was für China nicht akzeptabel ist.“ (The
Himalayan Times, 24. November 2006)
EINE PERSÖNLICHE PILGERREISE
WIE EINE REISE EINBLICK IN DIE GEFÄHRLICHE FLUCHT GEWÄHRTE
Während eines ICT Besuches in Kathmandu 2006 bemerkte ICT Vizepräsidentin
Mary Beth Markey, dass die beunruhigendste Entwicklung die Angst unter vielen
in Kathmandu lebenden Tibetern sei. „Sie sprachen von Chinas Spuren, von
tibetischen Geschäftsleuten, die häufig von Maoisten erpresst würden, von einem
Warenlager einer tibetischen Teppichfabrik, das sich Maoisten angeeignet haben
und das nun als Gerichtshof benutzt wird, und von einer ineffektiven Regierung
und Polizei, die ihnen keinen oder nur wenig Schutz bietet. Sprich, die Mitglieder
der tibetischen Gemeinde sind in großer Sorge über ihre Zukunft in Nepal.“
Kurz nach den Schüssen am 30. September 2006 am Nangpa-Pass begab sich ein
westlicher Wissenschaftler und Buddhist auf die Reise von Kathmandu zu dem Pass,
an dem Kelsang Namtso gestorben war. Er berichtete ICT über seine Reise. Namen
wurden geändert.
„Ich unternahm diese Reise, um aus
erster Hand zu erfahren, was die Tibeter
durchmachen, wenn sie in der Hoffnung
auf Freiheit den ganzen Weg von zu
Hause über die Grenze im Himalajagebirge gehen. Nichts hatte mich auf die
immensen physischen und psychologischen Anstrengungen, denen ich auf
meiner Wanderung, die schließlich eine
Pilgerreise wurde, ausgesetzt war,
vorbereitet. Wahrscheinlich war es mehr
ein persönlicher Tribut und eine Hommage an jene Tibeter, die es gewagt
haben und immer noch wagen, ihr Leben
aufs Spiel zu setzen, um der chinesischen
Unterdrückung zu entfliehen und die
Grenze zu überqueren.
Tiefer Schnee und eisige Schluchten
umgeben die Gletscher auf dem Weg
zum Nangpa-Pass, besonders um
den Berg Cho Oyu. (Foto: ICT)
Begleitet von einem ehemaligen Yakhirten, der nun Bauer ist, brach ich auf
eine fünf Tage lange, schwere Reise auf, die mit einem Aufstieg von der Lukla
Landebahn (die sich ca. 45 Minuten Flugzeit von Kathmandu entfernt befindet)
begann und einen halben Tag in Anspruch nahm. Ich war bereits mehrmals in
Tibet, war aber niemals einer solch atemberaubenden Reihe von Gletschern und
dramatischen Mondlandschaften ausgesetzt gewesen. Unter der brennenden Sonne
und vom Wind gepeitscht legten wir eine Entfernung von nahezu 40 kilometer in
zweieinhalb Tagen zurück. Bei verschiedenen Gelegenheiten trafen wir auf kleine
Yakkarawanen von tibetischen Händlern und Hirten, die von Dingri und Pheruk
kamen und auf dem Weg zum Namche Bazaar waren, um ihre Waren auf dem
örtlichen Markt zu verkaufen.
Bei der Ankunft in Namche Bazaar legte ich eine Pause ein, um süßen Milchtee in
einem tibetischen Teeladen zu trinken. Ein junger Tibeter, armselig gekleidet und
leicht ausgemergelt, kam herein, um uns zu erzählen, dass eine Gruppe von
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Tibetern die Grenze am Tag zuvor
passiert hatte und gerade in der Stadt
angekommen war. Der Führer hatte
sie eine Meile vor dem Nangpa-Pass
sich selbst überlassen. Wir folgten
dem jungen Tibeter in ein Privathaus,
wo die Gruppe Unterschlupf gefunden hatte.81 Es gab zwei oder drei
Kinder und zwei Nonnen in der
Gruppe, alle aßen eine Packung
trockener Fertignudeln. Auch sie
waren wie die meisten Mitglieder der
Gruppe armselig ausgerüstet. Eines
der Kinder hatte einen kaputten
Schuh, und man konnte die dünnen
Socken sehen. Die meisten der
Tibeter kamen aus Amdo und nur ein
paar aus Kham.82 Das Durchschnittsalter war 18, und alle erzählten uns,
dass sie dem Dalai Lama treffen und in
Indien studieren wollten.
Obwohl zahlreiche Karawanen tibetischer
Yakherden jährlich die Grenze überqueren,
sehen sich Tibeter, die aus ihrem Land
fliehen, extremen Schwierigkeiten
ausgesetzt, wenn sie versuchen den Pass
zu überqueren. Häufig sind sie schlecht
ausgerüstet und sich der Härte des
Unterfangens nicht bewusst. (Foto: ICT)
Laut Abkommen zwischen China und Nepal wird es tibetischen Händlern erlaubt,
die Grenze zu überqueren um nach Namche Bazaar, das sich in der Khumbu Region in
Nepal befindet, zu reisen. Wöchentlich und häufig auch täglich findet ein tibetischer
Markt in Namche Bazaar statt, bei dem viele tibetische Händler ihre Produkte verkaufen
— sowohl tibetische Milchprodukte wie auch Kleidung und billige chinesische Ware,
die sie auf den Märkten von Shigatse und Lhasa in der TAR erworben haben.
(Foto: ICT)
Ich finde es kaum vorstellbar, dass Eltern
ihre Kinder auf eine so harte und
gefährliche Reise schicken, aber bald bemerkte ich, dass die Tibeter keine
Vorstellung von den Entfernungen, der
Dauer und den Bedingungen einer
solchen Reise haben. Noch schlimmer
ist, dass sie sich des Risikos, gefangen
zu werden und ihrer geringen Chancen
tatsächlich die andere Seite der Grenze
zu erreichen, nicht bewusst sind.
Später trafen wir eine alte Dame auf
ihrem Weg ins Exil. Obwohl die Tibeter
meist in Gruppen reisen, machen sich
doch manche allein auf den Weg. Armselig ausgerüstet und fast schneeblind
war die 72-jährige. Sie hatte sich alleine
auf den Weg gemacht, aber nach ein paar
Tagen Fußmarsch konnte sie sich einer
Gruppe von Händlern anschließen,
deren Ziel Khumbu war. Sie traf sie ein
paar Meilen hinter der chinesischen
Armeegarnison von Trakmar.83 Die alte
Frau sagte mir, dass es ihr Traum sei,
Seine Heiligkeit den Dalai Lama in
Indien zu treffen. Sie erklärte, dass sie in
Tibet keine Verwandten hätte und nur
den Wunsch hege, Seine Heiligkeit zu
sehen — danach könne sie in Frieden
sterben. Sie sagte mir, dass sie fürchterliche Kopfschmerzen und Schmerzen in
den Knien habe. Ich gab ihr ein paar
Tabletten Ibuprofen und Tylenol gegen
die Schmerzen, damit sie Namche
Bazaar erreichen konnte.
Viele Tibeter begeben sich mit zu wenig
Essen und mit dünner, unzureichender
Kleidung auf den gefährlichen Weg ins
Exil. Ein tibetisches Kind kam in Nepal
mit diesen Schuhen an, nachdem es
den Nangpa-Pass überquert hatte.
(Foto: Jonathan Green).
In der kleinen Stadt Kunde (3.790 Meter
hoch) im Norden von Namche Bazaar
befindet sich das Kunde Krankenhaus
(am oberen Ende links mit dem grauen
Blechdach). (Foto: ICT)
Je höher wir gingen, desto erstaunter war
ich, wie anstrengend die Wanderung war.
Sogar Yaks haben Schwierigkeiten,
diesen Pfad zu gehen. Als ich mich daran
gewöhnt hatte, fühlte ich die Hauptsymptome der Höhenkrankheit nicht
mehr so stark. Dennoch litt ich unter
Erschöpfung und Appetitlosigkeit. Ich
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möchte mir gar nicht vorstellen, wie die
schlecht ausgerüsteten Kinder mit ihren
dünnen Jacken und den Turnschuhen
hier wandern. Das Gebiet ist ständig von
dickem Eis bedeckt, und es gibt große
Gletscherspalten. Auf der Spitze des
Passes verbarg sich ein einzelner Mast
unter einer riesigen Masse tibetischer
Gebetsfahnen. Wir konnten von der
Spitze des Passes, der sich auf der
nepalesischen Seite befand, direkt nach
Tibet sehen.
Auf einer Höhe von 3.440 Metern ist Namche Bazaar das Tor zum Himalaja und der
höchste Handels- und Polizeikontrollpunkt in der Region Khumbus in Nepal. Nachdem
sie die Grenze am Nangpa-Pass überquert haben (5.741 Meter) verbringen Tibeter
normalerweise eine Nacht in Namche Bazaar auf ihrem Weg nach Kathmandu.
Hier haben sie die erste Gelegenheit, das TRRC zu kontaktieren und um Hilfe zu bitten.
(Foto: ICT)
Ich fühlte den unwiderstehlichen Drang,
die Stelle aufzusuchen, an der Kelsang
Namtso gestorben war; sozusagen als
eine persönliche Wallfahrt. Das war
natürlich riskant – selbst für einen Ausländer, obwohl mir wahrscheinlich
schlimmstenfalls eine Geldstrafe wegen
illegalen Grenzübertritts drohte. Es
dauerte eine weitere halbe Stunde, um
den Punkt auf der tibetischen Seite des
Passes zu erreichen. Mein Führer, der das
Gebiet sehr genau kannte, zeigte auf die
Stelle, an der Kelsang Namtso erschossen
wurde. Über dem Schnee war der
Abhang, von dem aus die Chinesen auf
die Tibeter gefeuert hatten, und hinter
der Moräne waren ein paar Zelte im
Basislager auf dem Berg Cho Oyu. Ich
ließ einen tibetischen Khata [weißer
Seidenschal] für sie im Schnee zurück.“
Das Foto, das einige Wochen nach dem
Vorfall vom 30. September aufgenommen
wurde, zeigt die steinige und eisige
Gegend, in der die 17-jährige Nonne
Kelsang Namtso erschossen wurde,
nachdem sie versucht hatte, die Grenze
zu erreichen. Diese Bild wurde in
Richtung des Basislagers am Cho Oyu
aufgenommen. (Foto: ICT)
erkannte, dass es keinen klar erkennbaren Pfad gab und sich der gesamte Weg über
Steine, Felsbrocken und Klippen schlängelt. Einmal musste ich einen kleinen Fluss
durchwaten, im nächsten Moment rutschte ich über einen Kiesabhang, und dann
wiederum erklomm ich einen gefährlichen Eishügel. Die tibetische Karawane war
vor mir, und es wurde mir klar, dass wir sie nicht einholen konnten. Sie machen
solche Reise zwei oder mehrmals im Jahr.
Wir brauchten fast drei Stunden, um den Nangpa-Pass bei eisigem Wind und
unter beißender Sonne von dem eisbedeckten Dzasampa aus zu erreichen [ein
großer Felsvorsprung auf dem Gletscher, auf dem die tibetischen Yakhirten und
Bergsteiger normalerweise kampen, bevor sie ihren Weg über den Pass fortsetzen],84 wo wir die Nacht zuvor kampiert hatten, nachdem wir drei Tage bis zur
Erschöpfung von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang marschiert waren. Ich
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AUDIENZ FÜR NEUANKÖMMLINGE
BEIM DALAI LAMA
Neuankömmlingen in Indien haben die Möglichkeit, eine Audienz beim Dalai
Lama zu erhalten. ICT war während einer dieser Audienzen im Dezember 2006
in Dharamsala beim Tsuglakhang Temple nahe der Residenz Seiner Heiligkeit
anwesend. Im Raum war es still, als der Dalai Lama sprach, aber einen Augenblick
lang hörte man ein unterdrücktes Schluchzen in der tibetischen Versammlung.
Dort waren auch in großer Zahl Mönche aus Tibet anwesend und einige von ihnen
planten, wieder nach Tibet zurückzukehren. Es folgt nun eine bearbeitete Version
der Ansprache des Dalai Lama an die Tibeter, übersetzt und paraphrasiert aus dem
Tibetischen. Es beginnt mit Bemerkungen, darüber, dass die Tibeter auf ihr spirituelles und kulturelles Erbe stolz sein sollten. Der Dalai Lama fuhr fort, der Gruppe
ein Treffen zu schildern, dass er mit Mao nach der chinesischen Invasion in den 50er
Jahren hatte:
„Ich traf Mao mehrere Male während meiner Besuche in China — einmal sagte er
mir, dass er die Chinesen nur deshalb nach Tibet geschickt hätte, um Tibet zu
entwickeln. Wenn das erreicht wäre, würden sie sich wieder zurückziehen. Vielleicht
scherzte Mao mit mir, vielleicht aber auch nicht. Ich erinnere mich an einen
Beamten, der immer über die Volksrepublik China sprach, und sagte, dass sie für
eine vereinte Volksrepublik stünde. Aber nun legen die Chinesen nicht wirklich
Wert auf die Einheit. Es scheint, dass sie mehr an der wirtschaftlichen Macht
interessiert sind. Obwohl die Partei kommunistisch ist, ist die Regierung in Wirklichkeit kapitalistisch. Früher hatten die Chinesen immer klare Ziele, sie wollten
eine klassenlose Gesellschaft sein. Aber das Ideal dieser revolutionären Gesellschaft
ist jetzt vollkommen verschwunden. Heute ist die Führung nur noch an der Macht
interessiert. Sie denken nicht wirklich langfristig an die Zukunft. Es scheint, dass
man heute keinen echten Kommunismus mehr in China antrifft.
Es kann sein, dass es in Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung für Tibeter
durchaus vorteilhaft sein könnte, wenn sie innerhalb der Volksrepublik blieben.
Wenn wir wirklich wirtschaftliche Entwicklung erhalten würden. Ein starkes Tibet
dürfte sowohl im Interesse Chinas als auch in unserem sein. Dann gäbe es Frieden
und Stabilität. Wenn jemand in seinem Inneren nicht glücklich ist, wird es schwierig
sein, echten Frieden zu finden. Es ist unsere Pflicht, eine sinnvolle Form der
Autonomie zu erreichen.
aber junge Menschen sollten sich mit dem Studium der Religion beschäftigen und
generell eine bessere Ausbildung erhalten. Es ist wichtig für euch, eure Intelligenz
einzusetzen, um eine bessere Ausbildung zu erhalten. Eine moderne Erziehung ist
wichtig und steht mit der tibetischen buddhistischen Kultur in engem Zusammenhang. Sie zu besitzen, ist von großer Bedeutung, da sie den Tibetern helfen
kann, die Probleme zu lösen, denen sie heute gegenüberstehen. Ohne eine moderne
Bildung und Wissenschaft ist es für Tibeter sehr schwierig, im Wettbewerb mit den
Chinesen zu konkurrieren. Seit wir in den 60er Jahren ins Exil gingen, wussten
wir um die Wichtigkeit einer guten modernen Bildung.
Man kann kein echter Tibeter sein,
wenn man die eigene tibetische Kultur,
die traditionellen tibetischen Werte
nicht versteht. Für die ältere Generation ist es wichtig, zu wissen, was mit
der Kultur geschieht. Besonders für
Tibeter die in ländlichen Gegenden
leben und Probleme in ihren Dörfern
haben. Langsam beginnt China [das
chinesische Volk] die [Bedeutung] der
Rechtsstaatlichkeit zu erkennen. Für
China, das sich der Weltgemeinschaft
angeschlossen hat, ist das sehr wichtig.
Ich traf [vor kurzem] drei Leute, die
aus Tibet kamen. Sie hatten mit den
[Behörden] Probleme. Das Rechtssystem erlaubt ihnen ihren Kummer
vorzutragen. Ihr solltet ausharren, was
immer für Schwierigkeiten es sein
mögen. Ob es die Sorge um die Umwelt
ist oder das Einrichten von Schulen,
immer gibt es eine Möglichkeit, seine
Beschwerden zu äußern.
Für die Mönche unter euch; wenn ihr
euch einem Kloster angeschlossen habt,
solltet ihr der Klosterdisziplin folgen
und fleißig lernen.“
Seine Heiligkeit der Dalai Lama wendet
sich an Neuankömmlinge im Dezember
2006 in Dharamsala, Indien.
(Foto: Tenzin Choejor, mit Dank an
das Privatbüro des Dalai Lama)
Wir müssen uns jetzt auf unser Leben im Exil einstellen. Wenn ihr nach Tibet
zurückkehrt, teilt mit euren tibetischen Kameraden das, was ihr gesehen habt. Teilt
euer Wissen aber nur mit denjenigen, denen ihr vertraut. Es ist wichtig, ehrlich
und aufrichtig zu sein. Es ist für euch wichtig zu wissen, was wir im Exil getan
haben. Wichtig ist zudem die Ausbildung. Klöster sind nicht unbedingt nötig —
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61
Empfehlungen an die USA, die EU und andere ausländische Regierungen:
1. Stellen Sie dem UNHCR weiterhin finanzielle Mittel für den Betrieb des TRRC
zur Verfügung.
EMPFEHLUNGEN
2. Protestieren Sie bei der nepalesischen Regierung wegen der Bemühungen, die
Zulassung der „Bhota Wohlfahrtsgesellschaft“ aufzuheben.
Empfehlungen an das UNHCR:
1. Entsenden Sie UNHCR-Schutzbeamte in die Grenzgebiete Nepals, um die
lokalen Behörden in der richtigen Behandlung von Flüchtlingen zu unterweisen,
die Einhaltung des Non-Refoulement-Prinzips zu überwachen und um bei
Abschiebung und/oder Missbräuchen einzugreifen. Führen Sie in Gebieten, in
denen ein Einsatz von UNHCR Mitarbeitern nicht möglich ist, regelmäßig
Kontrollmissionen durch.
2. Unterstützen Sie neu angekommene Flüchtlinge in den Grenzgebieten
unverzüglich und sichern sie ihren Weg zum TRRC.
3. Drängen Sie die nepalesische Regierung, das Non-Refoulement-Prinzip an der
Grenze einzuhalten, indem sie angemessene politische und administrative
Schritte unternimmt. Diese sollten schriftliche Anweisungen an alle Grenzpatrouillen und die Polizei sowie ein besonderes Training der nepalesischen Polizei,
Sicherheitskräfte und Einwanderungsbehörden über ein angemessenes Verfahren
und die internationalen Menschenrechtsstandards und Praktiken beinhalten.
4. Protestieren sie offiziell bei der Regierung in Nepal gegen alle Maßnahmen, die
die Registrierung des „Bhota Wohlfahrsbüros“ verhindern wollen.
Empfehlungen an die Regierung in Nepal:
1. Geben Sie allen tibetischen Flüchtlingen, die vor dem 31. Dezember 1989 in
Nepal eingereist sind sowie deren registrierten Nachkommen Flüchtlingsausweise
(Refugee Certificates, RC).
1. Führen Sie umgehend die Reiseerlaubnis für tibetische Flüchtlinge wieder ein.
2. Respektieren Sie das Schutzsystem für Flüchtlingen im Geiste der UN Konvention von 1951 und des dazugehörigen Protokolls von 1967 einschließlich des
Schutzes vor Refoulement.
3. Kooperieren Sie mit den Mitarbeitern des UNHCR in Kathmandu, den NGOs
und den ausländischen Regierungen, die eine Lösung der Tibet-Frage befürworten, bei der Unterstützung der Flüchtlinge.
3. Weisen Sie Menschenrechtsbeobachter in den Botschaften an, Neuankömmlinge aus Tibet über die Bedingungen in den Grenzregionen zu befragen.
4. Arbeiten Sie auf multilateraler Ebene, um die nepalesische Regierung dazu zu
bewegen, eine formell abgesicherte Politik zum Schutz von Flüchtlingen zu
verabschieden und arbeiten Sie mit dem UNHCR und NGOs bei Flüchtlingsproblemen zusammen, einschließlich der Ausbildung der Grenzpolizei und der
Beamten der Einwanderungsbehörden.
5. Drängen Sie die Regierung der Volksrepublik China, den Vorfall vom 30.
September 2006 zu untersuchen und einen umfassenden Bericht über die Anzahl
der festgenommenen Tibeter, insbesondere der Kinder, die vermutlich immer
noch inhaftiert sind, vorzulegen.
ANHANG I
Die offizielle chinesische Erklärung über die Schüsse am Nangpa-Pass:
Lhasa, 12. Oktober (Xinhua) – Fast 70 Personen haben versucht, illegal die Grenze
zwischen China und Nepal in der Autonomen Region Tibet am frühen Morgen des
30. September zu überqueren. Eine Person starb während eines Konflikts mit den
Grenzkontrollen, sagte ein Beamter der zuständigen Behörde des Gebiets am
Donnerstag.
Der Beamte sagte, dass eine kleine Einheit von chinesischen Grenzsoldaten die
‘Einschleicher’ fand und versuchte, sie zur Rückkehr in ihre Heimat zu überreden.
Aber die Grenzgänger weigerten sich und griffen die Soldaten an.
Unter diesen Umständen waren die „Grenzsoldaten gezwungen, sich selbst zu
verteidigen, und verletzten zwei der illegalen Grenzgänger“, heißt es in der Quelle.
Eine der verletzten Personen starb später im Krankenhaus aufgrund des Sauerstoffmangels in einer Höhe von 6.200 Metern, während die andere verletzte
Person im örtlichen Krankenhaus behandelt wurde.
Vorläufige Befragungen zeigten, dass es sich um einen groß angelegten und vorsätzlich geplanten Fall von illegaler Grenzüberschreitung handelte. Weitere Untersuchungen sind noch im Gange.
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ANHANG II
Aufgrund des Medieninteresses nach den Schüssen veröffentlichten mehrere Bergsteigermagazine Artikel, die sich mit ethischen Fragestellungen befassten, die sich
aus dem Vorfall am Nangpa-Pass ergeben hatten. Ein Editorial in der März 07 Ausgabe von „The Alpinist“ von Katie Ives berichtet von vielen, die nach den
Schüssen einfach weiter kletterten, und die „ein tiefes Empfinden der Dissonanz“
hervorriefen. Nach dem Zwischenfall hatte Farmer [Lee Farmer, aus Australien] nur
noch eins im Sinn, nämlich heil ins Lager zu kommen; dort angekommen,
versuchte er zu schlafen, doch das Bild des leblosen Körpers wollte ihm nicht aus
dem Kopf gehen. Der slowenische Alpinist Pavle Kozjek, der eine neue Route auf
dem Cho Oyu einen Tag nach dem Mord bestiegen hatte, war gewöhnt, sich auf
den Augenblick zu konzentrieren. Auf seinem Abstieg jedoch empfand er ein
‘neues, fremdes Gefühl’: Der Aufstieg war wie immer eine ‘Aufwertung des Lebens’.
Gleichzeitig hatte er das schlimmste Ereignis, das vorstellbar ist, mit angesehen –
die Ermordung eines unbewaffneten menschlichen Wesens“. Ives kommt zu dem
Schluss, dass der Tod von Kelsang Namtso „unsere Verpflichtung für unsere Mitmenschen symbolisiert. Ohne diese hinterlassen selbst die größten Heldentaten in
tollster Umgebung nichts als Leere und Dunkelheit in uns.“ (www.alpinist.com)
Die Nachrichten über die Schüsse am Nangpa-Pass wurden zuerst auf ExplorersWeb
(www.mounteverest.net) veröffentlicht. Diese Website ist nicht kommerziell ausgerichtet und publiziert Hinweise und Nachrichten über Bergsteigen, Ozeansegeln
und Polarreisen. Weiter unten befindet sich ein Bericht, der im Januar 2007 veröffentlicht wurde:
…Aber der Himalaja war auf uns noch nicht vorbereitet. Wir wussten von der
höchsten Bergkette der Welt nicht welch anderes moralisches Drama sie noch in
sich barg. Dieses Mal kam es in Form einer e-Mail vom Nachbargipfel des Everest am 2. Oktober zu uns. Die Mitteilung war so bewegend, dass wir beschlossen,
sie zu veröffentlichen, weil wir der Quelle, einem amerikanischen Berufsbergführer,
vertrauten.
64
Ein Tag verging, und eine nur allzu vertraute Stille umhüllte den Himalaja. In einer
e-Mail an ExWeb wurde am nächsten Tag darum gebeten, die „Story zurückzuziehen, weil einige professionelle Expeditionsleiter sagen, dass die Schüsse nicht
auf Flüchtlinge gerichtet waren, sondern auf Menschenhändler.“
Nirgendwo sonst erschienen Nachrichten über den Zwischenfall. China verneinte,
dass überhaupt etwas vorgefallen sei. Aber schließlich gab die Organisation International Campaign for Tibet einen vollständigen Bericht über das, was sich tatsächlich zugetragen hatte, heraus.
Eine sehr junge tibetische Nonne war von den chinesischen Grenzkontrollen auf
ihrem Weg ins Exil in Nepal erschossen worden. Von 70 Flüchtlingen, meist Kinder
und junge Mönche in den Dreißigern, konnten 43 den Gewehrsalven entfliehen,
aber über den Verbleib der restlichen 30, einschließlich der Kinder, ist nichts
bekannt.
Allmählich sickerten die Details durch. Die Organisation sprach mit einem britischen Bergführer und Polizeioffizier, der sagte, dass die Bergsteiger Augenzeugen
waren, als einer der Tibeter wieder aufstand, nachdem er gefallen war. Die
bedeutet, dass einer der beiden wahrscheinlich überlebt hatte. Der Führer erklärte
auch, dass wahrscheinlich bis zu 60 Bergsteiger im Basislager den Vorfall mit
eigenen Augen gesehen hatten. „Sie konnten sehen, wie die chinesischen Soldaten
in der Nähe des Basislagers knieten, zielten und dann schossen, immer und immer
wieder, und zwar auf eine Gruppe, die sich nicht verteidigen konnte,“ sagte er.
…Mit der wachsenden Zahl der Augenzeugenberichte machten die Chinesen eine
Kehrtwendung und verteidigten sich selbst: Die Flüchtlinge hätten sie angegriffen,
behaupteten sie.
Das Beste, was sich auf ExplorersWeb im Jahre 2006 ereignete.
„Wir brauchen Bilder“, schrieb ExplorersWeb in einem Aufruf an alle Bergsteiger.
„Es gibt dort eine Geschichte, die sich am 30. September und 1. Oktober ereignete
und bislang noch nicht berichtet wurde“ schrieb der Bergsteiger. „Sie ist tragisch,
sie ist tief bewegend und offensichtlich zu real für die Tibeter.“ Der Bergsteiger
berichtete, dass auf der mittleren Höhe des Cho Oyu Massivs eine Gruppe
Tibeter auf ihrem Weg über den Nangpa La Pass an der Grenze zu Nepal unter
Beschuss genommen wurde.
„Hi, ich heiße Pavle Kozjek, aus Slowenien und komme gerade vom Cho Oyu
zurück“ war eine Antwort am nächsten Tag. Unter Hunderten von Bergsteigern am
Cho Oyu, hatte Pavle als einziger einen weniger genutzten Weg genommen; er
nahm eine neue Route auf den 8.000er. Aber seine e-Mail handelte nicht davon.
„Ich habe ein paar Fotos vom 30.9, “ schrieb Pavle und fügte die Bilder im Anhang
dazu …
Mindestens einer der Flüchtlinge lag tot im Schnee und das Basislager wimmelte
nur so von chinesischer Armee nach den Schüssen. Dies war der einzige Bericht
über den Zwischenfall trotz hunderter von Bergsteigern mit Satellitentelefonen.
Ein anderer Bergsteiger, ein Arzt, hatte die Medien in seiner Heimat angerufen, die
entschlossen, dies nicht zu veröffentlichen. Die Nachricht erschien nur bei ExplorersWeb.
Wenigstens diesmal geschah der Tod einer jungen tibetischen Nonne nicht
unbemerkt – dafür sorgten die Bergsteiger.
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Das Beste, was in diesem Jahr auf ExplorersWeb bekannt wurde, war keine Heldentat, sondern die Wahrheit über den Nangpa La, die ans Licht kam.
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65
12
ENDNOTEN
1
Das Non-Refoulement Prinzip ist in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951
niedergelegt.
2
Verschiedene Augenzeugen geben eine unterschiedliche Anzahl von Tibetern an, die sie
vor der Schießerei erkannt hatten, aber die Mehrheit der Befragten berichtetet, dass es
20-30 Tibeter in der Gruppe waren, auf die geschossen wurde. Diese Tibeter waren
Teil einer größeren Gruppe von über 70 Flüchtlingen, die anscheinend den Pass in
zwei Gruppen überqueren wollten.
3
ICT-Interview mit Steve Lawes, einem britischen Polizisten. Ein amerikanischer Bergsteiger und Expeditionsleiter erklärte: „Es war deutlich erkennbar, dass einige Kinder
dabei waren – sie bewegten sich langsamer; uns war klar, dass sie bei einer Flucht
Schwierigkeiten haben würden.“
4
Angaben über den genauen Zeitpunkt des Vorfalls variieren. Beinahe alle Bergsteiger
sagten aus, dass die Sonne aufgegangen war und es ungefähr ‘Frühstückszeit’ war; einige
konzedierten, dass man in den Bergen leicht das Zeitgefühl verliert, und andere sagten,
dass ihre Uhren noch auf nepalesische Zeit oder eine andere eingestellt waren. Von
einem Bergsteiger wurden folgende GPS-Koordinaten festgehalten: N 28 07.821 und
E 086 35.988.
5
Angaben über die genaue Anzahl der Bergsteiger, Sherpas, Träger und Expeditionsmitglieder im vorgeschobenen Basislager zum Zeitpunkt der Schießerei variieren.
Mehrere der von ICT befragten Bergsteiger, die sich zu dieser Zeit im vorgeschobenen
Basislager aufhielten, litten unter der Höhenlage oder waren aus anderen Gründen
nicht bei der Gipfelbesteigung mitgegangen. Die Expeditionsmitglieder, die zu der Zeit
den Gipfel des Cho Oyu bestiegen, waren keine Augenzeugen der Schießerei, hörten
aber später davon. Zum Beispiel litt der rumänische Kameramann Sergiu Matei, der die
Schießerei filmte, an einem Lungenödem und musste deshalb wieder auf eine niedrigere
Höhe herabsteigen, nachdem er zuvor versucht hatte höher zu steigen. Dr. Ted
Esquerra von den Philippinen war im vorgeschobenen Basislager geblieben, um einen
kranken europäischen Bergsteiger zu pflegen.
6
Zu dem Zeitpunkt, als auf sie geschossen wurde, war die Gruppe Tibeter ungefähr 15
bis 20 Minuten Fussmarsch von der nepalesischen Grenze entfernt.
7
Andere Bergsteiger, darunter der dänische Arzt Pierre Maina, sahen Soldaten sowohl
in knieender als auch in stehender Position.
8
Ein europäischer Bergsteiger, der nicht genannt werden möchte, sagte aus: „Sie waren
stark verstreut, aber sie ordneten sich neu zu Gruppen. Ein Teil war entlang der Moränenseite verstreut und eine Gruppe war zur gleichen Zeit beim ABC [ Basislager].“
9
Die Tibeter aus der Gruppe bestätigen die Anwesenheit von mindestens fünf Soldaten
in der Nähe des vorgeschobenen Basislagers, die auf die Tibeter schossen. Ein Mönch
in der Gruppe sagte aus: „Ein paar aus unserer Gruppe sahen sieben Soldaten, aber ich
habe nur fünf gesehen.“
10
Sergiu Matei, der in der rumänischen Armee gedient hatte, sagte aus: „Ich habe ein
Foto von einem der chinesischen Soldaten, der Typ-81 in der Hand hält, genau wie
eine AK-47, der einzige Unterschied ist die Zielvorrichtung am hinteren Ende des
Waffenlaufs. Ein anderer hält eine andere Art von Kalashnikov, eine mit dem Lauf
unten.“
11
So Steve Lawes, britischer Polizeibeamter, im Gespräch mit ICT.
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Ein amerikanischer Bergsteiger merkte an: „Die [Soldaten] waren sehr jung, nicht sehr
erfahren, einige von ihnen nur ungefähr 19 oder 20 Jahre alt. Die meisten Bergsteiger
versuchten, Abstand zu halten, und die Stimmung war sehr angespannt.“
13
Bei der Frage, ob er von dem chinesischen Sicherheitspersonal gefilmt wurde, antwortete
einer der Bergsteiger ICT: „Nein, ich habe die gefilmt.“ Ein anderer Bergsteiger sagte
aus, dass sie die Bergsteiger im Zwischenbasislager weiter unten gefilmt haben, aber
nach seiner Kenntnis nicht im vorgeschobenen Basislager.
14
In der Bewaffneten Volkspolizei existieren zwei Kommandoketten. Die Bewaffnete
Polizei steht gleichzeitig unter dem Kommando des militärischen Zentralkommitees der
KPCh und des Staatsrats. Die Zentrale der Bewaffneten Volkspolizei fällt in die
direkte Zuständigkeit des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit unter Minister Zhou
Yongkang, einem ehemaligen Parteisekretär der Provinz Sichuan.
15
Sergiu Matei filmte den Vorfall etwas über 20 Minuten lang. Eine bearbeitete Version
seines Filmmaterials wurde in der ganzen Welt ausgestahlt von der Fernsehgesellschaft
ProTV in Bukarest, Rumänien, sowie von APTV. Er ist als Download auf der Internetseite www.youtube.com einzusehen.
16
Dem Befragten wurde maßgeblich von Sergiu Matei zur Flucht verholfen.
17
Derselbe junge Tibeter, der von Sergiu Matei gerettet wurde, sagte gegenüber ICT, dass
er auf dem Marsch auf sechs Kinder aufgepasst hätte, bevor die Schießerei begann, und
von der Gruppe getrennt wurde. „Diese Kinder hatten nichts zu Essen [dabei], so dass
wir sie die ganze Zeit versorgen mussten“, sagte er. „Sie hatten kein Tsampa (geröstetes
Gerstenmehl), das sie mitnehmen konnten. Sie hatten auch keine Schüsseln. Wir
mussten diesen Kindern Tee und Tsampa geben. Alle diese Kinder waren unter 12 Jahre
alt, sie waren noch klein.“ Der Befragte geht inzwischen in Indien zur Schule.
18
Eine Quelle besagt, dass sich die Strafe auf 500 Yuan (64 Dollar) belief.
19
Der dänische Arzt, Dr. Pierre Maina, der sich zum Zeitpunkt des Vorfalls im
vorgeschobenen Basislager aufhielt, wies auf die erhöhte Gefahr durch Verletzungen
in solcher Höhe hin: „Wenn man verletzt ist und Blut verliert, muss das Herz noch
mehr arbeiten und in dieser Höhenlage hat man sowieso eine erhöhte Herzfrequenz. Die
Schmerzen erhöhen die Belastung für Herz und Lungen und schwächen zusätzlich,
was das Gesundheitsrisiko durch die Verletzung erhöht.
20
Einer der Bergsteiger merkte an, dass man schon ‘Superman’ sein müsste, um in dieser
Höhe schnell laufen zu können.
21
Mehrere Bergsteiger beobachteten, dass die regulären Soldaten keine für das Terrain
passenden Stiefel .trugen, sondern weiße Tennisschuhe oder Turnschuhe, wie auf den
Bildern zu sehen.
22
Der britische Bergsteiger Steve Lawes berichtete das Gleiche.
23
Ein Bergsteiger erklärte ICT: „Es hätte mich nicht überrascht wenn es mehr [Opfer]
gegeben hätten, weil die Schüsse so lange abgefeuert wurden und die Tibeter einfache
Ziele waren, die sich nicht schnell genug bewegen konnten.“
24
Antwort an eine europäische Regierung im Dezember 2006 / Januar 2007.
25
Dr. Pierre Maina war einer der Bergsteiger, die Augenzeuge dieses Vorfalls wurden,
und Sergiu Matei war einer von mindestens zwei Augenzeugen, denen zufolge ungefähr drei Beamte nach der Schießerei die Leiche untersuchten.
26
Eine Aussage eines Bergsteigers gegenüber ICT war: „Ich hatte einfach nicht den Mut,
etwas zu tun, da die Soldaten noch in der Nähe waren.“ Ein anderer sagte: „Ich schäme
mich immer noch dafür, dass ich nichts unternommen habe.“
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67
27
Für die Beseitigung der Leiche der Nonne gibt es weniger Augenzeugen, da viele
der Bergsteiger, die die Schießerei beobachtet hatten, das vorgeschobene Basislager
verlassen hatten, um auf den Gipfel zu steigen. Einige berichteten, dass sie sich gefragt
hatten, nachdem sie Augenzeuge der Schießerei geworden waren, ob sie mit der
Bergbesteigung fortfahren oder nicht, aber wie ein Augenzeuge später gegenüber The
Alpinist Magazine (www.alpinist.com) aussagte, glaubten sie nicht, dass der Verzicht auf
den Aufstieg irgendeinen Sinn hätte, da Kelsang Namtso bereits tot war.
28
Der britische Bergsteiger, der die Fotos schoss, gab zu, dass ihn das Verhalten der
Beamten an dieser Stelle unerklärlich war: „Es sah aus, als ob er ein Sonnenbad nehmen
würde“, sagte er. „Unter den Umständen war es bizarr.“
29
Dr. Maina schränkte ein, dass es sich bei dem um die Nonne gewickelten Tuch nicht um
eine rote Decke gehandelt haben könnte – er hatte eine rote Farbe gesehen, erkennt aber
an, dass es auch eine Art Leichensack gewesen sein kein. Sergiu Matei erläuterte:
„Meiner Ansicht nach ist da untem im Gletscher ein großer Friedhof ohne Kreuze.
Tibeter fliehen seit 50 Jahren, und nicht immer beobachten Bergsteiger, was passiert.“
30
Die Nonne ist inzwischen im Exil, und diese Information erhielt ICT im Januar 2007.
31
Botanischer Name: cordyceps sinensis. Inzwischen ist das Sammeln von Raupenpilzen
eine wichtige Einnahmequelle geworden.
32
Im Januar 2002 musste der Dalai Lama eine größere religiöse Feierlichkeit im indischen
Bodh Gaya wegen Magenproblemen absagen. Die Nachricht verbreitete sich schnell
nach Tibet und Tibeter in der Gegend von Kardze waren so besorgt, dass sie die Gefahr
auf sich nahmen, religiöse Feierlichkeiten zu veranstalten, mit denen für die Gesundheit
des Dalai Lama gebetet werden sollte. Bewohner von mehr als 50 Dörfern kamen
daraufhin zusammen, um für den Dalai Lama zu beten. Filmaufnahmen hiervon wurden
kurze Zeit später heimlich unter der Bevölkerung weitergegeben. Im Zusammenhang
mit den Feierlichkeiten wurden mindestens 20 Personen in der Region festgenommen.
Weitere Informationen hierüber im ICT-Bericht „When Sky Fell to Earth: The New
Crackdown on Buddhism in Tibet“, 2004.
33
Anderen Aussagen zufolge bestand die Gruppe 77 aus Personen — eine genaue Anzahl
konnte nicht bestätigt werden, aber wahrscheinlich lag sie zwischen 73 und 77
34
Name geändert.
35
Fast alle Tibeter in der Gruppe, die von ICT befragt wurden, gaben an, dass die Führer
ihnen gesagt hätten, der Weg sei kürzer und dass sie weniger Lebensmittel mitnehmen
sollten, als sie später tatsächlich benötigten. Sie sagten auch, dass die Führer ihnen
gesagt hätten, dass die Gruppe kleiner wäre, als sie dann tatsächlich war.
36
Vorgeschobenes Basislager am Cho Oyu.
37
Andere Tibeter aus der Gruppe bestätigten, dass mindestens 20 Mitglieder der
ursprünglichen Gruppe von mehr als 70 Tibetern, die Lhasa zusammen verlassen hatten,
bereits fehlten, als die Schießerei begann.
38
Die Freundin der Nonnen berichtete ICT, dass sie sich vor Angst zuerst nicht bewegen
konnte: „Ich hatte solche Angst und weinte vor Angst. Meine Freundin schob mich
von hinten, also rannte ich.“
39
Es handelte sich um Kalsang Namgyal, den Bergsteiger nach der Schießerei mit einer
Wunde am Bein fotografierten, als er in Gewahrsam genommen wurde.
40
Es handelt sich um die Kinder, die von den chinesischen Soldaten in Gewahrsam
genommen wurden und von den ausländischen Bergsteigern am vorgeschobenen
Basislager am Cho Oyu gesehen wurden.
68
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41
Der Mönch identifizierte später beide Kinder auf einem der Fotos von den festgenommenen Kindern, die die Bergsteiger aufgenommen hatten.
42
Der Mönch bestätigt die Berichte der Nonnen, die Kelsang Namtsos Leiche sahen,
dass sie von links erschoßen wurde, durch seine Aussage: „Da waren fünf Nonnen, die
zusammen durch den Schnee liefen, und sie war in der Mitte der Reihe. Also kamen die
Schüsse von dieser Seite [zeigt auf seine linke Seite].“
43
Diese Zahl bezieht nicht die beiden Führer mit ein, die ebenfalls Nepal erreichten.
44
Die ganze Nangpa-Gruppe erhielt nach ihrer Ankunft in Indien eine Audienz beim
Dalai Lama in Dharamsala.
45
Im heutigen Tibet wird in den Grundschulen immer noch auf Tibetisch gelehrt, aber
ab der Mittelschule sprechen alle Chinesisch. Aus diesem Grund fallen Tibeter schnell
zurück. Häufig wollen Tibeter ihre Kinder auf chinesische Schulen schicken, damit sie
auf dem Arbeitsmarkt besser konkurrieren können. Aber auch die chinesische Ausbildung garantiert keine Arbeit, da es immer gebildetere Chinesen gibt und weil auf dem
chinesisch-dominierten Arbeitmarkt chinesesische Arbeitskräfte bevorzugt werden.
46
Die Webseite ExplorersWeb erklärte „Die Wahrheit über Nangpa-La“ zum „Best of
ExplorersWeb“ im Jahre 2006. Siehe Anhang II.
47
Der Ausrüster sagte gegenüber The Alpinist weiter: „Ich hoffe, dass Bergsteiger immer
ihre Stimme erheben werden, wenn etwas geschieht.“ (The Alpinist, Februar 2007)
48
Der amerikanische Bergsteiger und Dr. Teofredo T Esguerra, Arzt und stellvertretender
Expeditionsleiter von den Philippinen. Dr. Esguerra sagte gegenüber ICT, dass er
Augenzeuge der Schüsse wurde, da er im vorgeschobenen Basislager war und sich um
einen kranken spanischen Bergsteiger gekümmert hat. Er gab einer Zeitung von den
Philippinen ein ergreifendes Interview vom Cho Oyu ab.
49
Die tschechischen Bergsteiger fügten hinzu: „Der Vorfall war ein wichtiger Beleg für den
Status Quo in Sachen Menschenrechte in Tibet. Bedauerlicherweise töten sie Tibeter,
gerade wenn die Welt sich auf die Olympischen Spiele in China vorbereitet. Für mich
ist das ein unverzeihlicher Angriff auf indigene Völker, wenn die Welt doch den Frieden
zelebrieren sollte.“
50
Das Video war kurze Zeit später auf der Webseite „Youtube“ zu sehen. Das Magazin
„Foreign Policy“ bezog sich in seiner Januar/Februar-Ausgabe 2007 auf den sog.
„Youtube-Effekt“, der zu größerer Transparenz und Verantwortlichkeit von Regierungshandeln führen könne, da Ereignisse — wie der Nangpa-Vorfall — sofort einer breiten
Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden könnten.
51
Der Tibetologe der Columbia-Universität, Dr. Robert Barnett verglich diese Äußerung
mit der Position der chinesischen Behörden nach den Tötungen in Lhasa 1987 bei
einer Demonstration – bei der daran festgehalten wurde, dass die Polizei gar kein Feuer
eröffnet hätte. Dr. Barnett weist darauf hin, dass im Januar 1988 die chinesische
Regierung an die Vereinten Nationen schrieb, dass am 1. Oktober 1987 die tibetischen
Demonstranten „Waffen aus den Händen der Polizisten für Öffentliche Sicherheit
gerissen und in die Menge geschossen (hätten). In Folge wurden sechs Personen getötet.
Weder schossen die Polizisten für Öffentliche Sicherheit noch erwiderten sie das Feuer“
(Schreiben der Regierung der Volksrepublik Chinas an Professor Amos Wako, den
UN-Special Rapporteur for Summary and Arbitrary Executions, zitiert in:
E/CN.4/1988/22 (19. Januar 1988), Paragraph 82.) Diese Behauptung wurde durch
unabhängige Berichte sowie Fotos der chinesischen Polizei, als sie in die Menge feuert,
widerlegt. Später änderten die chinesischen Behörden ihre Position und gaben zu, dass
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69
die chinesische Polizei „gezwungen war….in die Luft zu feuern“. Tibeter sagten später
mit schwarzem Humor, dass die Kugeln von den Wolken abgeprallt sein müssen.
52
Im Januar 2007 schien es wahrscheinlich, dass die EU den Vorfall während der
nächsten Runde des Menschenrechtsdialogs mit China thematisieren würde.
53
Die Befragte konnte nicht genau bestimmen, wie lange die Schüsse andauerten. Sie
erinnerte sich daran, dass die Soldaten „grüne Uniformen“ trugen und dass „einer von
ihnen eine Pistole trug und ein anderer lange Arme hatte“. Ein Mönch der Gruppe, der
sich offenbar während der Schüsse verstecken konnte, wurde einige Tage später
gefunden und festgenommen. Als er inhaftiert wurde, konnte er nicht richtig gehen, da
er bei seinem Fluchtversuch hingefallen war und sich verletzt hatte. Weitere der mehr als
50 Personen aus der Gruppe, die versuchten zu fliehen, wurden später festgenommen.
Beide Nonnen erklärten, dass sie von den Schüssen geschockt waren, da sie von solchen
Ereignissen nie gehört hatten. Sie glaubten, dass auch die Größe der Gruppe mit den
Geschehnissen in Zusammenhang stand.
54
Laut UNHCR-Bericht für Nepal aus dem Jahr 2004 gab es 20.700 „persons of concern“
tibetischen Ursprungs im Land. Vergleiche: UNHCR Weltbericht 2004 — Nepal,
S. 2. Die elektronische Version kann unter folgendem Link eingesehen werden:
http://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/vtx/home/opendoc.pdf?tbl=PUBL&id=42ad4da
50&page=home.
55
Zum ICT Bericht über den Abschiebevorfall an der Grenze 2003 siehe „Gefährliche
Flucht 2003“, als Download verfügbar unter www.savetibet.de.
56
Bei dieser Gesamtzahl sind auch einige Passinhaber dabei.
57
Im Dezember 2006 änderten sich die indischen Ausreisebestimmungen. Es wird nicht
erwartet, dass diese Änderung Auswirkung auf die Durchreise der Tibeter durch Nepal
oder auf die Herausgabe von besonderen Einreisegenehmigungen (SEP) an Tibeter
hat. In den letzten Jahren reisten immer mehr Tibeter mit Familienangehörigen in
westlichen Ländern von Tibet durch Nepal und betraten Indien mit SEP. Sie waren
dann in der Lage, sich westliche Reisedokumente (oder ICRC Reisedokumente) in
Neu Delhi zu beschaffen, die für die Familienzusammenführung ausgestellt werden.
Auf der Grundlage der SEP (die beweisen, dass der Inhaber Indien legal betreten hat
und deshalb nicht wegen illegaler Einwanderung bestraft werden kann) wurden ihnen
dann von den indischen Behörden Ausreisegenehmigungen erteilt. Dies wird nicht
länger möglich sein — Tibeter müssen nun mit SEP nach Indien einreisen und sich
dann um ein Registrierungszertifikat bewerben, das ihnen den Aufenthalt in Indien
gestattet. Sobald sie dieses Dokument besitzen, können sie sich um einen indischen
‘Personalausweis’, das Reisedokument für Nichteinheimische, bewerben. Schließlich
können sie Indien mit dem Personalausweis verlassen — der keine Ausreisegenehmigung erforderlich macht. Der Zeitrahmen reicht von einem bis zu drei Jahren, im
Vergleich zu der nahezu sofortigen Ausreise wie derzeit gehandhabt. Laut UNHCR in
Kathmandu dauert die Familienzusammenführung über Indien nun länger, auch wenn
die neuen Regeln keine Gefahr für die Durchreise durch Nepal darstellen. Ein vom
tibetischen Kashag am 20. September 2006 herausgegebenes Statement erklärt die
Regeln folgendermaßen: „Da die Zahl solcher Personen [die einen Ausreiseantrag
gestellt haben] ständig zunimmt, war die Situation für die indische Regierung immer
schwieriger geworden. Sie ist der Meinung, dass einige Tibeter Indien als Ausreisemöglichkeit missbrauchten und setzte deshalb durch, dass solche Personen ab dem
31. Dezember 2006 keine Ausreise-genehmigungen mehr erhielten.“
70
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58
Dieser Trend setzte sich vermehrt fort, als China Nepal im Jahr 2002 zu einer Touristengegend erklärte.
59
Manchmal galt dies sogar für Tibeter mit amtlichen Papieren. Ein Tibeter, der im
Besitz einer amtlichen Reisegenehmigung von der chinesischen Botschaft in Indien
für einen Besuch bei seiner Familie in Tibet war, sagte gegenüber ICT, dass er bei seiner
Ankunft im Sommer 2006 in Gewahrsam genommen wurde und über Nacht in
Shigatse, der tibetischen Autonomen Region, festgehalten wurde. Danach durfte er zu
seiner Familie reisen — wurde aber wieder festgenommen und für drei Monate in
Gewahrsam genommen. Er sagte ICT, dass er geschlagen wurde, weil er sich weigerte,
bestimmte Fragen zu beantworten. Der Vernehmungsbeamte wollte wissen, wie oft er
den Dalai Lama gesehen habe und fragte ihn über Beamten der tibetischen
Exilregierungen aus.
60
Ihm wurde auch gesagt, dass ihm eine Gefängnisstrafe drohen würde, wenn er noch mal
versuchen würde, ins Exil zu fliehen.
61
Eine Summe von 100 Yuan (13 Dollar) wurden geboten einem Polizisten zu helfen,
einen fliehenden Tibeter zu fassen. Die selbe Quelle erklärte, dass Menschen die das als
Vollzeitjob machen 3000 Yuan (387 Dollar) im Monat verdienen, auch wenn das nicht
bewiesen werden konnte.
62
Wahrscheinlich handelt es sich um Angriffsgewehre, Kopien der AK-47, mit einer
automatischen Feuerfunktion.
63
Das Gefängnis, in dem die Nonnen und Mönche festgehalten wurden, war wahrscheinlich das so genannte ‘Snowland New Reception Center’, das 2003 in Shigatse speziell
für Tibeter angelegt wurde, die bei Fluchtversuchen gefangen genommen wurden oder
illegal aus Nepal oder Indien zurückkehrten.
64
Für weitere Informationen zum Thema religiöse Unterdrückung siehe ICT Bericht
‘When Sky Fell on Earth‘, als Download verfügbar auf der ICT Homepage unter
http://www.savetibet.org/documents/document.php?id=37
65
Siehe ICT Bericht: Chinesische Behörden verbieten Teilnahme an buddhistischen
Feierlichkeiten unter http://www.savetibet.org/de/news/news.php?id=297.
66
Siehe ICT Bericht: „Mönche inhaftiert — sie verurteilten mangelnde Meinungsfreiheit.“ Unter: http://www.savetibet.org/de/news/news.php?id=287
67
‘Xibu da kaifa’ wird am häufigsten als ‘Große Entwicklung des Westen’ übersetzt. Die
korrektere Übersetzung des Wortes ‘kaifa’ aus dem Chinesischen wäre jedoch ‘Ausbeutung’.
68
Siehe: ICT Bericht: Einweihung der neuen Bahnlinie nach Lhasa-Peking verschärft
politische Repression in Tibet. Unter: http://www.savetibet.org/de/news/news.php?id=251.
69
Siehe: Jahresbericht 2006 der Congressional-Executive Commission on China, den
man unter www.cecc.gov herunterladen kann.
70
Vgl. ICT Bericht: Zwei der „Singenden Nonne fliehen ins Exil.“ http://www.savetibet.org/de/news/news.php?id=278
71
Vgl.: ICT Bericht „Lange Haftstrafen für tibetische politische Gefangene“
http://www.savetibet.org/de/news/news.php?id=278
72
Siehe: ICT Bericht:Tibetischer Intellektueller wegen Buchmanuskript über Geschichte und
Kultur zu zehn Jahren Haft verurteilt. http://www.savetibet.org/de/news/news.php?id=262.
73
‘Nangma’ ist ein Genre von tibetischen Liedern aus der Region Lhasa, die von folgenden Instrumenten begleitet werden: Gitarre (Dranyen), Flöte (Lingbu), Fiedel (Piwang)
und Hackbrett (Yangchin).
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74
Andere tibetische Frauen, die als Nonne ins Exil gingen oder mit dem Ziel, Nonne zu
werden, teilen diese Erfahrung.
75
Im November 2006 verständigten sich die nepalesische Armee und die Maoisten auf
eine Waffenruhe, mit dem jede Seite einen Grossteil der Waffen niederlegte und seine
Truppen unter Aufsicht der Vereinten Nationen auf einige wenige Kasernen reduzierte.
Human Rights Watch begrüßte neben anderen am 21. November diesen Beschluß,
der, falls er durchgesetzt würde, einen Krieg beenden könnte, der circa 13.000 Menschen
seit seinem Beginn 1996 in den Tod riss. Zudem wies die Organisation darauf hin, dass
ein Ende der Straflosigkeit ganz oben auf der politischen Agenda stehen müsse.
76
Ein westlicher Regierungsbeamter in Kathmandu sagte Mitarbeitern von ICT im
Oktober, dass China Nepal vor allem im punkto Tibet beeinflusse.
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Der letzte Besuch war jener der dritten offiziellen chinesischen Delegation innerhalb von
vier Monaten, der sowohl von der indischen als auch von der nepalesischen Presse
aufgenommen wurde.
78
Während des Jahres bekräftigten die nepalesischen Behörden, dass sie China in Tibet
oder Taiwanrelevanten Fragestellungen unterstützen werden. (Nepalnews, 17. März 2006).
79
Der chinesische Botschafter in Nepal, Sun Heping erklärte bei einem Treffen in Kathmandu am 14. Juli 2006, dass die Eisenbahn eine „historische Gelegenheit“ darstelle, den
weiteren Handel zwischen Nepal und China voranzutreiben. (Kathmandu Post, 14. Juli
2006). Die Zeitung schrieb: „Bei dieser Gelegenheit erbat Madan Regmi, der
Vorsitzende des Chinazentrums von der chinesischen Regierung, die Eisenbahnli-nie
bis zur nepalesischen Grenze zu erweitern.“
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Laut der Nepalnews.com vom 20. März 06 wurden in der zweiten Aprilwoche die
Grenzen noch einmal neu vermessen. Die Agentur berichtete: „China und Nepal teilen
sich eine 14.000 km lange Grenze mit 79 Grenzsteinen. Beide Länder ließen in den
Jahren 1978 und 1988 ihre Grenzen auf der Grundlage des Grenzabkommens von
1961 nach messen.“
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Ein informelles Netzwerk von Tibetern in der Grenzregion unterstützt Tibeter, die
über Namche Bazaar ins Exil fliehen wollen, indem sie sie mit wichtigen Lebensmitteln, Unterschlupf und Weganweisungen versorgen, bevor sie nach Kathmandu und
zum TRRC weiterreisen.
82
Die östlichen tibetischen Gebiete sind jetzt in die chinesischen Provinzen Qinghai,
Sichuan, Gansu und Yunnan eingegliedert.
83
Eine der wichtigsten PAP-Grenzkontrollstationen bei Tragmar, ungefähr 25 km
nordwestlich von Nangpa La. Tibetische Flüchtlinge überqueren die Gegend von
Tragmar-Nangpa La (2-3 Tagesmärsche) in der Regel nachts, um die Grenzpatrouillen
zu vermeiden. Normalerweise haben sie bereits zwischen vier Tagesmärschen bis zu
einer Woche hinter sich, bevor sie die Tragmar Region erreichen. 2002 installierte
die Tragmar Patrouillenstation Flutlichter, um das Gebiet während Patrouillen des
Sicherheitspersonals zu beleuchten.
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Die Gegend befindet einige Meilen südlich vom Nangpa-Pass auf der nepalesischen
Seite der Grenze.
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