Verfassungsrechtsausschüsse von BRAK und DAV auf Visite in

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Verfassungsrechtsausschüsse von BRAK und DAV auf Visite in
Verfassungsrechtsausschüsse von BRAK und DAV auf Visite in Karlsruhe
Von Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Bernhard Stüer, Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der
Bundesrechtsanwaltskammer (Münster/Osnabrück)
Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer 2/2006
Das Treffen in der Residenz des Rechts hat bereits Tradition. Schon zum 5. Mal waren die
Verfassungsrechtsausschüsse von BRAK und DAV beim BVerfG zu Besuch. Die beiden Ausschüsse
nehmen auf Anfrage des BVerfG zu allen wichtigen Verfassungsgerichtsverfahren der freien Berufe
(Anwälte und Notare, Architekten, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer), aber auch nicht selten zu
anderen kniffligen Verfassungsfragen, wie etwa des Krankenhausrechts, Stellung. „Die Erfahrungen
der Anwaltschaft sind für uns wichtig, weil wir auch die berufsrechtlichen Hintergründe und die
Folgen unserer Entscheidungen betrachten müssen“, machte BVerfG-Präsident Prof. Dr. Hans-Jürgen
Papier bereits zu Beginn des Meinungsaustausches deutlich. Dabei gehe es über die
verfassungsrechtliche Beurteilung hinaus vielfach auch um die berufspolitische Bewertung der beiden
großen Anwaltsorganisationen. Zugleich legte der Gerichtspräsident eine durchaus beachtliche Bilanz
über die Arbeit seines Hauses vor. Die Verfassungsbeschwerden sind zwar immer noch nur in seltenen
Fällen begründet. Aber die Zahlen erfolgreicher Beschwerden haben durchaus eine steigende Tendenz.
Auch Entscheidungen oberster Bundesgerichte sind etwas mehr als früher darunter. Der
Geschäftsanfall hat nach einem Anstieg im Jahre 2004 (möglicherweise eine Hartz-IV-Delle) wieder
das Niveau in den Vorjahren erreicht. Weit mehr als die Hälfte aller Verfahren werden bereits
innerhalb eines Jahres erledigt, mehr als zwei Jahre sind nur etwa gut 10 % aller Verfahren in
Karlsruhe anhängig, fasste der Chefpräsident die
Erfolgsbilanz seines Hauses zusammen
(www.bverfg.de, Jahresstatistik 2005).
„Wir arbeiten gern für das BVerfG“, brachten die beiden Ausschussvorsitzenden RA Dr. Christian
Kirchberg (BRAK, Karlsruhe) und RA Dr. Thomas Mayen (DAV, Bonn), der den DAVAusschussvorsitz unlängst von BGH-Anwalt Prof. Dr. Achim Krämer (Karlsruhe) übernommen hatte,
ihre Freude an der nicht selten harten, aber ebenso ertragreichen Arbeit an der Schnittstelle von
Verfassungsrecht und anwaltlicher Berufspolitik zum Ausdruck. Eines ist allerdings auch klar: Bei
einer immer heterogeneren Zusammensetzung der Anwaltschaft ist auch die anwaltliche
Interessenlage immer unterschiedlicher. „Den“ Anwalt gibt es nicht mehr, wie RA Dr. Christian
Bracher (Berlin/Bonn) und die Stuttgarter Anwälte Dr. Christofer Lenz, Prof. Dr. Michael Quaas und
Prof. Dr. Michael Uechtritz es geradezu mit einer Stimme formulierten (vgl. auch Kirchberg, BRAKMitteilungen 1/2006, 7). Da war sich die Runde, zu der seitens der BRAK der komplette
Verfassungsrechtsausschuss – mit Ausnahme des verhinderten Dr. Wolfgang Kuhla (Berlin) –
unterstützt durch BRAK-Geschäftsführer RA Frank Johnigk in Karlsruhe angetreten waren, auch
schnell einig.
Das BVerfG ist durchaus auch daran interessiert zu erfahren, wo es Unterschiede im Meinungsbild in
der Anwaltschaft gibt und wo sie der Schuh am meisten drückt, unterstrich auch Vizepräsident Prof.
Dr. Winfried Hassemer die Erwartungen des Gerichts. Papier ging sogar noch einen Schritt weiter. Er
könne sich gut vorstellen, dass auch ein Anwalt in dem aus zwei Senaten bestehenden 16-köpfigen
Richtergremium am BVerfG mitwirke. Dies sei angesichts der zahlenmäßig größten Gruppe der
Juristen in Deutschland eine durchaus nahe liegende Überlegung. Denn bisher ist die Anwaltschaft in
dem höchsten deutschen Gericht, das sich von Gesetzes wegen bereits aus 6 Bundesrichtern (§ 2 Abs.
3 BVerfGG) und im Übrigen zumeist aus Rechtswissenschaftlern speist (§ 3 Abs. 3 BVerfGG),
personell nicht vertreten. Auch bei der Auswahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter könne man sich
eine engere Kontaktnahme mit der Anwaltschaft vorstellen, so Bundesverfassungsrichterin Prof. Dr.
Gertrude Lübbe-Wolff. Bisher werden in den „Dritten Senat“ des BVerfG, der sich nicht erst durch die
Festschrift für Friedrich Gottlob Nagelmann – bereits seit der Gründung des Gerichts im September
1951 ein wissenschaftliches Urgestein und ein Mann der ersten Stunde – einen Namen gemacht hat,
zumeist junge Richter oder Angehörige der Verwaltungen berufen, die für zwei oder drei Jahre
abgeordnet werden. Eine berufliche Ringeltaube, gilt doch Karlsruhe als wichtigste Sprosse auf einer
dann zumeist unausweichlich steilen Karriereleiter, wie die Direktorin beim BVerfG Dr. Elke Luise
Barnstedt am Rande der offiziellen Beratungen erläuterte.
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Schon in seinem Eingangsstatement hatte der Präsident der Freiburger Rechtsanwaltskammer Dr.
Michael Krenzler, der in Vertretung von BRAK-Präsident Dr. Bernhard Dombek erschienen war, vor
dem fast vollständig versammelten Plenum des Gerichts wichtige berufspolitische Themenfelder
angeschnitten (BRAK-Mitteilungen 1/2006, 12). Bei einer zunehmenden Zahl von Anwälten wachse
die Sorge, dass die Qualität der anwaltlichen Rechtsberatung abnehme. Diese müsse aber im
Kerngeschäft der Anwaltschaft verbleiben und dürfe nicht weitgehend beliebig auch auf andere
Berufsgruppen verteilt werden. Die Vorstellung, es reiche bereits aus, wenn im Hintergrund irgendwo
ein Anwalt mitwirke, wie es im Rahmen der Beratungen zum Rechtsdienstleistungsgesetz überlegt
werde, lasse die Mitwirkung des Rechtsanwalts zur Beliebigkeit verkommen und öffne das Tor zu
einer unqualifizierten Rechtsberatung. Die Anwaltschaft wolle dem mit einer Qualitätsoffensive
begegnen, die auf Fachwissen, Spezialisierung und Praxis begleitende Fortbildung setzen. Nur so
könne es gelingen, dass die Bevölkerung auch in Zukunft eine niveauvolle Rechtsberatung erhalte und
dass das Recht in der öffentlichen Meinung nicht nur als störend und lästig empfunden werde, fügte
DAV-Präsident Hartmut Kilger (Tübingen) hinzu.
Vieles allerdings wird in der Anwaltschaft durchaus kontrovers betrachtet – vor allem die Frage, ob
die Amerikanisierung des deutschen Anwaltsmarkts mit der Bildung international tätiger
Anwaltsfirmen, der Aufweichung des Gebührenrechts und den erweiterten Werbemöglichkeiten noch
weiter voranschreiten soll. Denn die Anwälte haben durchaus handfeste Sorgen. Ihre Zahl ist auf fast
140.000 gestiegen und mit einem weiteren Ansteigen ihrer Zahl auf 200.000 noch in diesem Jahrzehnt
wird bereits spekuliert. Vorbei sind die Zeiten, in denen es noch mehr Taxen als Rechtsanwälte gab
und der Anwalt mit dem Bürgermeister, Arzt, Fabrikanten, Gutsbesitzer, Pfarrer oder Apotheker auf
einer gesellschaftlichen Stufe stand und durch den Kauf seiner Robe auch für sein Leben finanziell
ausgesorgt hatte. Zu Kaisers Zeiten teilten sich im Jahre 1880 noch mehr als 10.000 Einwohner einen
Anwalt. Und obwohl die jungen Studenten nicht erst in der Weimarer Zeit immer wieder vor einer
Anwaltsschwemme gewarnt wurden, sank die Anwaltsquote im Jahre 1928 mit ca. 4100 Einwohnern
je Anwalt nur auf etwas weniger als die Hälfte. Frauen, die ja auch nicht Papst oder Reichspräsident
werden konnten, waren im Dritten Reich übrigens nicht dabei. Sie wurden in dieser Zeit erst gar nicht
in die Anwaltsrolle eingetragen. Noch im Jahre 1970 waren in Westdeutschland weniger als 25.000
Anwälte zugelassen. Mit einem Anwalt auf weit weniger als 600 Einwohner nähert sich die
Bundesrepublik heute jedoch bereits bedenklich der Anwaltsdichte in den USA. Dort muss ein Anwalt
statistisch aus nur 250 Einwohnern seine Mandate generieren – keine leichte Aufgabe für die
allerdings findigen Paragrafenkenner, die sich bisweilen an unfallträchtigen Kreuzungen oder in
Krankenhäusern, Beerdigungsunternehmen, in Gefängnissen, Altersheimen oder im Umfeld von
Flugzeugabstürzen oder Chemieunfällen sowie neuen Flughafen- oder Autobahnprojekten nach Hilfe
suchenden Unfallopfern, Hinterbliebenen, Sterbenskranken oder Gegnern von Großprojekten auf die
Lauer legen. Sargtischler haben dabei erfahrungsgemäß wohl immer noch den besten Job. Denn bei
ihnen hat sich bisher dem Vernehmen nach wohl auch in Amerika noch keiner ihrer eigentlichen
Kunden beschwert.
Amerika ist eben ein großes Land – ein Land mit scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten – aber wohl
auch ein Land, in dem das Ansehen der Anwälte inzwischen noch deutlich hinter dem der
Müllkutscher rangiert. Da kann man nur von Glück sagen, wenn diese Epidemie die deutsche
Anwaltschaft nicht vollends erfasst, obwohl doch auch in der deutschen Gerichtsbarkeit bereits erste
Anzeichen dafür bekannt geworden sind. Nur die Notare sind offenbar gegen solche Praktiken von
Amts wegen gefeit, wie wir von Notar Dr. Heinrich Krautwig („Ein Landnotar“ in: 150 Jahre
Rheinisches Notariat, Festschrift der Rheinischen Notare, 1798 - 1948, Hrsg.: Rheinische
Notarkammern Köln und Düsseldorf, S. 56) wissen, der uns klar macht: „Dadurch unterscheidet sich
der Notar von allen anderen akademischen Berufen, dass wir am Wohlergehen, andere aber am
Unglück und der Schlechtigkeit der Menschen interessiert sind. Der Rechtsanwalt freut sich über
unübersichtliche Straßenkreuzungen, zerbrechende Ehen, Notzucht und Mord. Der Arzt lebt von
abgeschnittenen Beinen und faulenden Blinddärmen. Der Pastor hätte ohne die Sündhaftigkeit der
Menschen keine Existenzberechtigung. Nur wir Notare freuen uns und verdienen am meisten, wenn
alles gut geht: Wenn die Geschäfte blühen, die Felder fruchtbar sind, die Schlote rauchen. Wir
wünschen, dass jeder Mensch Millionär ist; dann sind wir es auch. Wir sind von Berufs wegen
Menschenfreunde.“ So sind sie eben, die Rheinischen Nurnotare.
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Aber zurück zu den Advokaten: Über die letzte Bastion, die sie von den Verhältnissen in Amerika
noch unterscheidet, wird das BVerfG voraussichtlich wohl noch in diesem Jahr entscheiden, berichtete
Bundesverfassungsrichter Dr. Reinhard Gaier in seinem Überblick über die Rechtsprechung zum
anwaltlichen Berufsrecht (BRAK-Mitteilungen 1/2006, 2). Denn während in Deutschland das
Erfolgshonorar bisher nur in den Wiedergutmachungsverfahren nach dem Zweiten Weltkrieg zulässig
war und damit kaum noch einem Anwalt aus eigener Erfahrung bekannt sein wird – der eine oder
andere Anwaltssohn soll in den 50er Jahren über die Erfolgshonorare seines Vaters mit Dollarscheinen
in der Hand eine üppige elektrische Modelleisenbahn finanziert haben – gehört das erfolgsabhängige
Honorar in vielen anderen Ländern zum anwaltlichen Tagesgeschäft. Auch wird das Gericht wohl bald
über zwei Verfassungsbeschwerden entscheiden, die sich gegen die Begrenzung der Streitwerte für
Anwaltsgebühren auf 30 Millionen Euro richten. Das Honorar müsse den hohen Haftungsrisiken
entsprechen, meinen die Beschwerdeführer. „Deren Sorgen möchte ich haben“, wird wohl so mancher
anwaltliche Vertreter seiner Zunft und vielleicht sogar der eine oder andere der hohen
Verfassungsrichter, die ja alle mit dem Eintritt in den Karlsruher Schlossbezirk das Gelübde der
ewigen Armut abgelegt zu haben scheinen, hinter vorgehaltener Hand zu solchen
Verfassungsbeschwerden sagen.
Aber die Verfahren in Karlsruhe sind auch ein Beleg dafür, dass das Bild des Anwalts heute im
Vergleich zu früher einfach bunter geworden ist – vielleicht kein schlechtes Omen dafür, dass die
Anwaltschaft trotz aller Unkenrufe auch die neuen Herausforderungen in einem veränderten
Anwaltsmarkt erfolgreich bestehen wird. Karlsruhe, das in seinen Mauern bereits im Jahre 1863 das
erste unabhängige deutsche Verwaltungsgericht beheimatete und das daher nicht erst seit der
Gründung des BGH im Jahre 1950 und der Errichtung des BVerfG im darauf folgenden Jahr
unangefochten als Domäne des Rechts gilt, wird – da war sich die erlauchte Runde auch bei den
anschließenden Tischgesprächen einig – bei diesen Entwicklungen gewiss ein gewichtiges Wort
mitsprechen.