Naturnahe Spielräume und Pausenhöfe in Schulen und
Transcrição
Naturnahe Spielräume und Pausenhöfe in Schulen und
Natur-Erlebnis-Räume Naturnahe Spielräume und Pausenhöfe in Schulen und Kindertageseinrichtungen Tipps zur Planung, Gestaltung, Umsetzung und zu sicherem Betrieb Seit Jahren befürwortet der Bayer. GUVV die naturnahe Gestaltung von Pausenhöfen und Naturerlebnisräumen. Bei der Zusammenarbeit mit den Beteiligten wurden bereits viele interessante und sichere Konzepte in die Praxis umgesetzt. Bei Besichtigungen und Bauberatungen zeigt sich, dass noch Informationsbedarf bei bedeutsamen Sicherheitsdetails besteht (siehe Bild 1 – ungesicherte Absturzstelle über einer Kriechröhre). Dieser Fachartikel soll zum einen Grundlagen, Anregungen und Hinweise geben naturnahe Spiel- und Pausenhofflächen zu schaffen, andererseits auch einen Überblick über die sicherheitsrelevanten Aspekte wie z. B. Fangstellen oder Fallräume geben. Grundsätzlich sollen die Nutzer (Kinder, Schüler, Jugendliche,...) Spaß und Freude haben und ausreichend sichere Spielmöglichkeiten vorfinden. Bei einer ausgefeilten, auf die Nutzer bezogene Planung, sind natürlich auch Belange des Trägers bzw. Betreibers zu berücksichtigen. Die Erfahrung zeigt, dass naturnahe Spielräume keinen erhöhten Wartungs- und Inspektionsumfang aufweisen müssen. In der Praxis häufig anzutreffende Denkweisen... Unsere Umwelt wird heutzutage oft technisch und für das tägliche, „praktische“ Leben gestaltet. Erwachsene gestalten Spiel-, Freizeit- und Erholungsflächen oft nach ihren Bedürfnissen, nach dem Motto: „quadratisch, praktisch, genial“. Das sieht man bei vielen Wohn- und Arbeitswelten. Die Versiegelung und Einengung von natürlichen Lebens- und Spielräu- 14 Natur & Garten April 2009 û û û û alle Fotos © Holger Baumann Bereits bei der Planung der Außenanlagen empfiehlt der Bayerische Gemeindeunfallversicherungsverband auf naturnahe Gestaltung zu achten. Alle Beteiligten profitieren davon. Gut durchdachte und geplante Außenspielbereiche und Pausenhöfe helfen Unfälle zu vermeiden. Bild 1: Spielplatzgerät / Kletterbaumstämme mit Hindernissen (Palisaden) im Fallraum! men beeinflussen die natürlichen Bewegungs- und Spielmöglichkeiten der Kinder. Geeignete und abwechslungsreiche Außenspielräume und Pausenhöfe fehlen häufig. Oftmals werden Außenspielflächen bewusst befestigt, geradlinig-technisch gestaltet und mit konventionellen Spielgeräten bestückt. Verantwortliche wie z.B. Sachkostenträger von Schulen und Kindertageseinrichtungen und Landschaftsplaner sehen dies wohl als optimale Gestaltung an. Hier sollte jedoch das Motto gelten „Der Wurm muss nicht dem Angler, sondern dem Fisch schmecken“. Für die Kinder ist ein abwechslungsreicher und möglichst natürlich angelegter Außenspielbereich interessant, pädagogisch sinnvoll und für wertvolle Erfahrungen bestens geeignet. So lassen sich beispielsweise auch Spielplatzgeräte (siehe Bild 3 - Kletterturm) und Sitzstufenanlagen aus Natursteinen (siehe Bild 7) ideal in die naturnahe Gestaltung integrieren. Aus dem UnfallgeschehenGefahrenbewusstsein schärfen Gut durchdachte naturnahe Spielräume helfen Unfälle zu vermeiden. Auch zunächst subjektiv gefährlich erscheinende Spielbereiche (siehe Bild 5 – mit Steinen gestaltete Hügellandschaft) können als „sicher“ eingestuft werden. Mögliche Risiken müssen durch die Kinder klar erkannt, richtig eingeschätzt und bewusst wahrgenommen werden können. Bedeutsam ist jedoch, dass Kinder vor Gefahren geschützt werden müssen, die sie nicht oder nur schwer erkennen und die zu schweren Unfällen mit bleibenden Körperschäden führen können. Dies sind z.B. sogenannte Fangstellen für Körperteile wie Kopf, Hände und Füße (siehe Bild 2 – Baumhaus: Gefährliche Kopffangstelle; und Bild 8 – Fußfangstelle). Durch Kordeln an der Kleidung, Halsketten oder Anhänger haben sich in der Vergangenheit bereits zahlreiche Strangulations-Unfälle ereignet. Insbesondere bei Einsitzteilen von Rutschen können sich Kordeln ein- Natur-Erlebnis-Räume Bild 2a/b: Baumhaus – Versteckte gefährliche Kopf-Fangstellen! Durch Prüfkörper festgestellt. û û Bild 3 (ganz rechts): Kletterturm (=Spielplatzgerät) – ideal in den natürlichen Baumbewuchs integriert. û û Bild 4: Kriechröhre – Begehbarer Bereich oberhalb des Ein-/Ausgangs hat keine Absturzsicherung; Scharfe Kanten an den Rohrenden runden oder fasen. Bild 5: Mit Steinen gestaltete Hügellandschaft – insbesondere auf max. Fallhöhen beachten (hier o.k.) Bild 6: Sitzstufenanlage: max. Fallhöhen beachten; hervorstehende Kanten runden oder fasen; Sicherung gegen Hineinlaufen von oben! Spaltbreite max. 3 cm – hier verfugt – o.k. Bild 7: Sitzstufenanlage aus Natursteinen – gut in das vorhandene Gelände (Erdwall) einfügt. Natur & Garten April 2009 15 Natur-Erlebnis-Räume fädeln und Kinder daran hängen bleiben. Werden Gefahrenstellen, wie z. B. mögliche Stolperstellen bei Steinanlagen, bewusst wahrgenommen, passen sich die Nutzer der erkennbaren Situation besser an. Wenn zudem einige grundlegende Sicherheitsaspekte berücksichtigt bzw. bestimmte Gefahrenstellen von vornherein verhindert werden, kommt es in der Praxis zu weniger Unfällen. Ein weiterer positiver Nebeneffekt ist, dass sowohl die Anwendung von Gewalt als auch die Anzahl an Konflikten zurückgeht. Zahlreiche Schulund Kita-Leitungen bestätigen dies. Naturnahe Spielräume haben auch aus pädagogischer Sichtweise viele positive Effekte – Gefahrenbewusstsein kann gelernt werden. Die Kombination aus Bewegung, Spiel und Natur fördert u.a. die Motorik, die kognitiven Fähigkeiten und somit die Ausgeglichenheit und Leistungsfähigkeit. Durch die intensive Identifikation mit den Außenanlagen gibt es deutlich weniger Probleme mit Vandalismus. Planung – Vorgehen Entscheidend ist es alle Beteiligten für eine naturnahe Spielraumgestaltung zu gewinnen. Bei Schulen und Kindertageseinrichtungen sollte die Initiative von der Leitung ausgehen und aktiv unterstützt werden. Um einen reibungslosen Projektablauf zu gewährleisten und alle Interessen zu berücksichtigen, hat es sich bewährt, bereits in der Planungsphase alle Beteiligten wie beispielsweise Bürgermeister, Baufachleute beim Sachkostenträger, Elternbeiräte, Eltern, Landschaftsarchitekten und externe Sponsoren einzubinden. Prinzip der Nutzerbeteiligung Um die Spielräume auch für die späteren Nutzer attraktiv zu machen, sind die Vorstellungen und Wünsche der Kinder bzw. Schüler mit zu berücksichtigen. In Schulen könnte dies beispielsweise im Rahmen einer Projekt-Woche oder separaten Befragung in der Klasse durchgeführt werden nach dem Motto: „Was wollt Ihr auf dem Pausenhof bzw. Außenspielbereich erleben?“. Dies stellt sicher, dass sich die Kinder/Schüler mit den Außenspielräumen identifizieren – „Das ist unser Spielplatz/Pausenhof“. 16 Natur & Garten April 2009 Checkliste - Was ist bei naturnahen Spielplätzen und Pausenhöfen zu beachten? § Sind alle wichtigen Personenkreise, wie z. B. Träger, Bauamt, Schule, Kindertageseinrichtung, Eltern, Nutzergruppen wie Kinder/Schüler ausreichend informiert und beteiligt? § Ist eine aktive Nutzerbeteiligung (insbes. Kinder, Schüler) gewährleistet? Werden diese bei der Umsetzung mit einbezogen? § Ist ein professioneller Landschaftsplaner mit der Planung und Koordinierung des Bauvorhabens beauftragt? § Ist ein Gesamtkonzept erstellt, bei dem der gesamte Außenbereich und ggf. spezielle örtliche Gegebenheiten, wie z. B. Geländeneigung, Raumangebot und vorhandene Spielplatzgeräte berücksichtigt wurden? § Werden die für den Träger Zuständigen, wie die „Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ oder andere Sicherheitsexperten (z.B. Sachkundige für Spielplatzgeräte) mit einbezogen? § Werden besondere Gefährdungen, wie z. B. Fangstellen, unsichere Selbstbauten und absturzgefährdete Bereiche) bereits bei der Planung vermieden? § Sind die grundlegenden Sicherheitsstandards, insbes. DIN EN 1176/-1177 und DIN 18034, beachtet? § Sind potenzielle Absturzstellen, wie z. B. bei Spieltürmen, Burganlagen und Sitzstufenanlagen gesichert? § Sind besondere Gefährdungen erkannt, vermieden bzw. Gefahrenstellen ausreichend gesichert? § Ist sichergestellt, dass keine Fangstellen, wie z. B. für Hand, Fuß oder Kopf vorhanden sind, an denen Kinder hängen bleiben können? § Sind keine Hindernisse in Fallbereichen (z.B. bei Spielplatzgeräten) vorhanden? § Ist der Untergrund ausreichend (z.B. ab Fallhöhen > 60 cm) stoßdämpfend ausgeführt? § Ist ausreichend geeignetes Fallschutzmaterial in der erforderlichen Schichtdicke vorhanden? § Wurden bei Spielbereichen Gefährdungen durch angrenzende Straßen bedacht und durch Absperrungen, tiefe und gut einsehbare Pflanzstreifen o. ä. gegen direktes Hineinlaufen gesichert? § Ist geklärt, wer für die regelmäßige Wartung und Inspektion (insbes. bei Spielplatzgeräten) zuständig ist? Steht fest, was realisiert werden soll, empfiehlt sich professionelle Unterstützung von erfahrenen Landschaftsarchitekten in Anspruch zu nehmen. Diese Experten entwickeln mit den Beteiligten/Nutzern ein auf die örtliche Situation abgestimmtes Gesamtkonzept und begleiten anschließend den weiteren Verlauf des Projekts bis zum erfolgreichen Abschluss. Sicherheitsaspekte – Beispiele aus der Praxis Auch bei naturnahen Spielräumen und Pausenhöfen müssen sicherheitstechnische Grundanforderungen berücksich- tigt werden. Darum ist es entscheidend bei der Planung auch immer Sicherheitsexperten, wie beispielsweise die „Fachkraft für Arbeitssicherheit“ des Trägers oder Sachkundige für Spielplatzgeräte (z. B. TÜV) mit einzubinden. Die sicherheitstechnischen Anforderungen der Normen für „Spielplatzgeräte“ (DIN EN 1176/1177) und für „Spielplätze und Freiräume zum spielen“ (DIN 18034) sind sinnvolle Orientierungshilfen bei der Planung von naturnahen Spielbereichen. Hierbei werden wertvolle Hinweise zu Fangstellen, Sicherheitsabständen, Fallräumen und zugelassenen Bodenmaterialien im Fallbereich gegeben. Natur-Erlebnis-Räume Beim Integrieren von Spielplatzgeräten (siehe Bild 1 – Kletterbaumstämme aus Robinie) sind unbedingt die Normen für Spielplatzgeräte (DIN EN 1176/-1177) zu beachten. Im vorliegenden Beispiel ist der erforderliche hindernisfreie Fallbereich bzw. Fallraum nicht eingehalten. Die Einfassung des Sandspielbereichs liegt hier im Fallbereich. Beim Sturz vom Spielplatzgerät können Kinder auf die Palisaden fallen und sich schwer verletzen. Die Palisaden müssen entfernt bzw. versetzt werden - der Fallraum ist mit zugelassenem, stoßdämpfenden Bodenmaterial aufzufüllen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass gründlich geplante und sicherheitsgerecht ausgeführte naturnahe Spielräume vielseitig und sinnvoll sind. Zudem lässt sich die Unfallhäufigkeit reduzieren. Holger Baumann Sicherheits-Check: Die wichtigsten Regeln für Natur-Spiel- und Erlebnis-Räume Allgemeine Anforderungen an naturnahe Spielräume Für Kinder nicht erkennbare Gefahrensituationen (z.B. Fangstellen, tiefe Gewässer) sind zu vermeiden oder zu sichern (z.B. Absturzstellen an Trockenmauern). Unerwartete Hindernisse in Kopfhöhe (Anstoßstellen) und im Gehbereich sind zu vermeiden. Fangstellen für Kopf, Hals, Fuß, Finger, Kleidung müssen vermieden werden (s. DIN EN 1176-1), z.B. § Unzulässige Fangstellen für den Kopf: Öffnungen zwischen 11 cm (in Kinderkrippen: zwischen 8,9 cm) und 23 cm § Unzulässige Fangstellen für die Füße: Spalten größer als 3 cm § Unzulässige Fangstellen für die Finger: Öffnungen zwischen 8 mm und 25 mm (untere Kante mehr als 100 cm über der Standfläche) Spielplatzgeräte und sonstige bespielbare Konstruktionen Werden Spielplatzgeräte oder sonstige für Kinder bespielbare Konstruktionen verwendet, sind sinngemäß die Normen für Spielplatzgeräte (DIN EN 1176 ff.) zu beachten. Dies betrifft neben der sicheren Konstruktion, der sicheren Aufstellung (z.B. hindernisfreie Fallbereiche u. stoßdämpfende Bodenmaterialien, siehe Kasten rechts) auf die regelmäßige Wartung und Inspektion. Besondere Gefährdungen für Krippenkinder sind zu vermeiden, z.B. durch Beschaffung von Spielplatzgeräten entsprechend DIN EN 1176 - 1 ohne deutsche A-Abweichung. Fallräume (= „Sicherheitsbereiche“) Für Fallhöhen von 0,6 bis 1,5 m beträgt der Fallraum 1,5 m. Ab Fallhöhen von 1,5 m muss der Fallraum nach folgender Formel berechnet werden: Fallraum = 2/3 der freien Fallhöhe + 0,5. Beispiele: Freie Fallhöhe (m) 1,50 Länge des Fallraums bzw. 1,50 der Aufprallfläche (m) 1,80 1,70 2,10 1,90 2,40 2,10 2,70 2,30 3,00 2,50 Zulässige Bodenmaterialien § Bis 0,6 m Fallhöhe* sind Böden aus Stein, Beton erlaubt, jedoch nicht empfehlenswert § Bis 1,0 m Fallhöhe* ist ungebundener Boden (Oberboden) zulässig § Bis 1,5 m Fallhöhe* kann Rasen verwendet werden (nur bei dauerhaft dichten, intakten Rasenflächen), sonst nur bis 1,0 m § Bis 3,0 m Fallhöhe* Bodenmaterialien mit besonderen stoßdämpfenden Eigenschaften * Die Fallhöhe am Spielgerät kann sein: § die Höhe der Standfläche (z.B. Podest) § die Höhe der Sitzfläche (z.B. Wippe, Schaukel) § die Griffhöhe (z.B. Reckstange) Zu den Bodenmaterialien mit besonderen stoßdämpfenden Eigenschaften zählen: § § § § § Holzschnitzel: 5 bis 30 mm Sand, gewaschen: 0,2 bis 2 mm Kies, rund und gewaschen: 2 bis 8 mm elastische, bzw. nachgiebige Beläge, geprüft nach DIN EN 1177 Rindenmulch: 20 bis 80 mm Die Schickdicke bei losen Bodenmaterialien ergibt sich bei Fallhöhen bis 2 m aus mindestens 20 cm und bei Fallhöhen bis 3 m aus mindestens 30 cm plus jeweils 10 cm Zuschlag für Wegspiel- und Verdichtungseffekte. Natur & Garten April 2009 17