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BBSR-Berichte KOMPAKT Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik 6 / 2010 Die Laufende Raumbeobachtung des BBSR wurde in den 1980er Jahren eingerichtet, um die Lebensverhältnisse in Deutschland und ihre Veränderungen im Zeitverlauf zu untersuchen. Die Kontinuität der beobachteten Merkmale ist dafür wesentliche Bedingung und Kennzeichen der Laufenden Raumbeobachtung. Seit der Deutschen Einheit gab es in Ostdeutschland bereits zahlreiche Gebietsreformen. Wenn sich der Zuschnitt etwa von Gemeinden, Gemeindeverbänden oder Kreisen ändert, hat dies Folgen für die Raumbeobachtung. Auch andere Institutionen stehen bei der Analyse von Entwicklungen vor dem Problem der Gebietsbrüche. Zeit also, der Frage der Gebietsreformen eine eigene Veröffentlichung zu widmen, zumal es sich abzeichnet, dass auch in Westdeutschland nicht nur über Funktional-, sondern auch über Territorialreformen nachgedacht wird. In dem hier vorliegenden Heft der Reihe BBSR Berichte-KOMPAKT möchten wir daher die Reformen seit 1990 darstellen und die Probleme für die kontinuierliche Raumbeobachtung sowie den Lösungsweg des BBSR aufzeigen. Um ein Verständnis für die Zusammen- hänge der politisch motivierten Reformen und der statistischen Schwierigkeiten zu wecken, werden wir zunächst auf die Hintergründe und die verschiedenen Ebenen von Gebietsreformen eingehen. Gebietsreformen als Teil einer administrativen Neuausrichtung Eine Gebietsreform wird auch als „(kommunale) Neugliederung“ bezeichnet. Sie beschreibt eine territoriale Verwaltungsreform, die zur Bildung anderer, meist größerer Verwaltungseinheiten führt (wikipedia.de). Gebietsreformen werden selten isoliert, meist zusammen mit Funktionalreformen umgesetzt. Diese verteilen die Aufgaben zwischen Staat und Kommune oder zwischen Kommune und Kommunalverband neu. Gebietsreformen sollen die erhofften Effekte der Funktional reformen unterstützen bzw. verstärken. Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Mit Funktional- und Gebietsreformen sollen die Landes- und Kommunalverwaltungen verschlankt und Aufgaben effizienter erledigt werden – was die öffentlichen Haushalte entlastet. Den Funktionalreformen geht eine Aufgabenkritik voraus, die zu einer Umverteilung oder auch Auslagerung von kommunalen Aufgaben auf überkommunale Ebenen oder die private Wirtschaft führt. Bei der Gebietsreform steht die Straffung der Verwaltungsstrukturen durch Zusammenlegung von Gebietseinheiten im Vordergrund. Ziele von Gebietsreformen sind dabei: Die Größe der administrativen Einheiten so zu gestalten, dass in ihnen ein Gleichgewicht zwischen Effizienz und Bürgernähe entsteht (Behördenspiegel 2007). Die Verwaltungsstrukturen innerhalb des Landes und zwischen den Ländern sowie zwischen Ost- und Westdeutschland anzugleichen. 2 Größere Einheiten vor allem der Kreisebene zu schaffen. Diese sollen so in die Lage versetzt werden, Aufgaben einer übergeordneten Ebene (z. B. Landesebene) zu übernehmen. Denn in stark kleinteilig strukturierten Verwaltungen führt die Aufgabenverteilung zu Reibungs- und somit zu Wohlfahrtsverlusten, welche durch Zusammenlegung von administrativen Einheiten zumindest z. T. wieder minimiert werden können (Seitz 2007, Tarkan 2009, Frost 2005). Mit der Vergrößerung einer regionalen Ebene eine weitere regionale Zwischenebene überflüssig zu machen und diese Zwischenebene einzusparen. Beispiel sind Regional- bzw. Großkreise, welche die Funktion der Regierungsbezirke mit übernehmen (Bullerjahn 2005, Hamburger Abendblatt 2006, Bayerische Staatskanzlei, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein). Personal abzubauen und sonstige Verwaltungskosten zu senken (Seitz 2007, Mecking und Oebecke 2009, Bullerjahn und andere 2005). Bestehende Kooperationen in einer gemeinsamen Verwaltung zu verstärken und zu verstetigen (Blume und Blume 2007, Müller und Trute 1996). Stadt-Umland-Effekte zu internalisieren bzw. zu minimieren. Im Zuge von Suburbanisierung wandern (finanzstärkere) Bevölkerungsteile und Unternehmen aus der Stadt in angrenzende Gemeinden, während die Stadt jedoch immer noch wichtige Infrastrukturen für den weiteren Verflechtungsbereich zur Verfügung stellt. Diese Verschiebun- BBSR-Berichte KOMPAKT 6 / 2010 gen zwischen wirtschaftlicher Nutznießung und finanzieller Belastung zwischen Stadt und Umland soll durch die Fusion derselben korrigiert bzw. minimiert werden (Müller und Trute 1996). Die Konkurrenz zwischen kleinen Verwaltungseinheiten im globalen Wettbewerb zu minimieren und durch die Vergrößerung dieser für die Globalisierung besser zu rüsten (Deutscher Landkreistag 2006, Bullerjahn und andere 2005). Viele Städte und Gemeinden stehen 2010 vor ihrem höchsten Defizit seit der Gründung der Bundesrepublik (Welt Online 2010). Die Wirtschaftskrise und die Notwendigkeit, Ausgaben zu senken, befeuern die Diskussion um Gebietsreformen. Viele Kommunen und Regionen Ostdeutschlands verlieren Einwohner. Die demographische Entwicklung ist hier die stärkste Antriebsfeder für die jüngeren Gebietsreformen im Osten. Bei sinkenden Bevölkerungszahlen führt nur eine Vergrößerung der Gemeinden und Kreise zu den als Ziel definierten, zwischen fiskalischer Effizienz und bürgerschaftlicher Suffizienz ausgewogenen Verwaltungsstrukturen (Lachmann 2005). Inwiefern diese Ziele durch Gebietsreformen tatsächlich erreicht werden können, ist jedoch umstritten: Kritik an Gebietsreformen Laut Deutschem Landkreistag (2006) konnten bisher weder Einsparungen noch bessere Verwaltungsleistungen als Ergebnis von Gebietsreformen nachgewiesen werden. Seitz (2007) dagegen hat erhebliche Kostenersparnisse für Kreisstrukturreformen in verschiedenen Bundesländern errechnet (Seitz 2005 und 2008). Kosteneinsparungen durch Personalabbau können sich dabei jedoch über einen längeren Zeitraum ziehen und die Erwartungen an eine rasche Entlastung der Haushalte dämpfen (Lachmann 2005). Welches ist unter fiskalischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten die optimale Gemeindegröße? Verlässliche Kriterien dafür gibt es nicht (Lachmann 2005, Zulauf 2003, Tarkan 2009). Es ist zudem bisher nicht klar, inwieweit die Effekte eintreten oder nachhaltig sind. Denn bisher konnte weder nachgeweisen werden, dass die Größe einer Verwaltungseinheit deren Output verbessert, noch ist andererseits sicher, wann die stetig abnehmenden Bevölkerungszahlen insbesondere in Ostdeutschland auch diese vermeintlichen Mindestgrößen wieder unterschreiten (Deutscher Landkreistag 2006, Bullerjahn 2005). Besonders für Landkreise gilt daher, dass Mindestgrößen eher als politisch gesetzte Größen verstanden Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik werden. Ohne die Berücksichtigung des siedlungsstrukturellen Kontextes, ob es sich um eher ländlich oder eher städtisch strukturierte Regionen handelt, wird auch der Sinn einer reinen Größenangleichung der Kreise innerhalb und zwischen den Bundesländern als Argument für Gebietsreformen bezweifelt (Deutscher Landkreistag 2006). Auch ob Gebietsreformen bestehende Kooperationen zwischen den Kommunen verstärken, ist umstritten. Böhm (2002) betont die Bereitschaft zur Zusammenarbeit als Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Bearbeitung eines Problems z. B. zu einer nachhaltigen Regionalentwicklung. Er verneint die Frage, ob mögliche Gebietsreformen die Regionalentwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit fördern. Diese könne durch eine Territorialreform gar gebremst werden. Ebenso kommt Hesse (2005) bei der Betrachtung von StadtUmland-Problemen zu dem Ergebnis, dass Stadt-Umland-Beziehungen besonders dann Nutzen bringen, wenn die Kooperationskultur ausgeprägt ist, die sozioökonomischen und demographischen Rahmenbedingungen stimmen, Netzwerke institutionalisiert sind. Hesse zufolge können andere Formen der Kooperation unter den jeweils gegebenen Bedingungen sinnvoller sein als Gebietsreform. Blume und Blume (2007) haben die Reformen der 1970er Jahre in Westdeutschland untersucht. Sie ziehen den Schluss, dass eine strikte Eingemeindung von Umlandgemeinden in die Stadt bei monozentrischen Städteregionen deutlich positivere wirtschaftliche Effekte erzielt als lose Kooperationsformen. Müller und Trute (1996, S. 371) betonen, dass die Eingemeindung Stadt-Umland-Probleme nur dann lösen kann, wenn der vollständige Verflechtungsbereich erfasst wird. Dies führe wiederum zu einer Überforderung der Verwaltung durch die schiere Größe der entstehenden Kernstadt. Die Eingemeindungen, wie sie in ostdeutschen Kreisstädten erfolgt sind, sind daher eher auf politische Entscheidungen zurückzuführen, und deren Effekte werden nur unzureichend durch Wirtschaftlichkeitsprüfungen belegt. Besonders kritisch werden Gebietsreformen vor dem Hintergrund der Demokratietheorie bewertet. Die kommunale Selbstverwaltung wird in Artikel 28 GG und in den meisten Landesverfassungen geschützt. Gerade der Verlust von Selbstverwaltung und kommunaler Eigenständigkeit löst Bürgerproteste aus. Eine ehemals eigenständige Ortschaft geht in einer größeren Stadt oder Gemeinde auf; das Misstrauen der Bürger in die Verteilungsgerechtigkeit der Finanzmittel und der Wirtschaftsförderung innerhalb der neuformierten Kommune/Verwaltungseinheit wächst (Gemeindetag Brandenburg 2001). Jahre- und jahr- zehntelange Prozesse verschiedener Gebietskörperschaften vor dem Verwaltungs- und Verfassungsgericht zeugen von an Bürgerprotesten gescheiterten Gebietsreformen, die z.T. zu einer Wiedererlangung der Eigenständigkeit per Gerichts beschluss führen (Mecking und Oebecke 2009). Häufig wird konstatiert, dass bei Zusammenlegung von Gemeinden oder Kreisen die Motivation der Bürger abnähme, sich für die Belange des eigenen Ortes einzusetzen. Auch könnten einige Probleme dezentral besser gelöst werden als in einer gemeinsamen Verwaltung (Mecking und Oebbecke 2009). Der Einspruch des Oberverwaltungsgerichtes gegen die geplante Kreisreform und Schaffung von Regionalkreisen in Mecklenburg-Vorpommern gründet sich vor allem auf das Argument des sinkenden bürgerschaftlichen-demokratischen Engagements (Frost 2005, F.A.Z. 2007). In Analogie zu einer dänischen Studie (Inderigs- og Sundhedsministiet 2004) verneint Seitz (2007) jedoch diesen Zusammenhang, weil hierfür bisher keine empirischen Belege gefunden werden konnten. Unterschiedliche Ebenen von Territorialreformen Gebietsreformen können sich auf alle Ebenen innerhalb des Staatsgebietes beziehen. Nach der Neuerrichtung der fünf ostdeutschen Bundesländer hat es zwar keine Länderreform gegeben, sie steht jedoch immer wieder auf der Agenda. So wird regelmäßig über die Neufassung eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg diskutiert (taz 2005). Und auch in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen werden die Vorbehalte gegen eine Fusion mit Schleswig-Holstein und Niedersachsen geringer (Wittmark 2005). Denn die Situation der Stadtstaaten ist gegenüber den anderen Großstädten mit ihren Stadt-Umland-Problemen bzw. -Beziehungen eine besondere, da diese nicht nur Stadt-, sondern auch Ländergrenzen überschreiten. Dementsprechend nährt sich hieraus am ehesten die Idee einer Länderreform. Beflügelt wird die Diskussion durch die aktuelle Finanzkrise und die Idee, durch Verringerung der Länderzahl Kosten zu senken (Focus 2009). Die Abschaffung der Mittelbereiche bzw. Regierungsbezirke ist dagegen in verschiedenen Ländern erfolgt bzw. wird geprüft. Die bisherigen Aufgaben der Regierungsbezirke werden teils auf das Land, teils auf die Kreise verlagert. In BadenWürttemberg hat sich das Land gegen die Abschaffung der Regierungsbezirke entschieden und eine Funktionalreform beschlossen. Diese sieht vor, den Verwaltungsaufbau zu straffen und Zuständigkeiten zu bündeln. Die Landesregierung erwartet bis 2011 eine 20%ige Effizienzrendite (Staatsministerium Baden-Württemberg 2010). 6 / 2010 BBSR-Berichte KOMPAKT 3 Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik In den 1979er Jahren gab es in Westdeutschland umfangreiche Reformen der Stadt- und Landkreise, in Ostdeutschland nach der deutschen Einheit bis Mitte der 1990er Jahre und erneut nach 2000. Wenn das Ziel lautet, die Bevölkerungszahl in den Kreisen zu erhöhen, führt dies in Ostdeutschland wegen der dortigen geringeren Einwohnerdichte automatisch zu einer Ausdehnung der Kreise in der Fläche. Mindestgrößen unter Beachtung weiterer Kriterien spielen beim Zuschnitt der neuen Kreise eine gewisse Rolle: Die Enquete-Kommission für Mecklenburg-Vorpommern empfiehlt eine Mindestgröße der Kreise von 175 000 Einwohnern. Einheitsgemeinden sollen dem Gremium zufolge mindestens 500 Einwohner haben und Verwaltungsgemeinschaften 8 000 Einwohner. Zudem soll eine Verwaltungsgemeinschaft maximal zehn Gemeinden umfassen (Landtag Mecklenburg-Vorpommern 2008). Im jüngsten Gesetzesentwurf zu den Sächsischen Kreisreformen wurden auf Grund der geänderten Rahmenbedingungen die Regelmindestgrößen der Landkreise von 125 000 im Jahr 1994/95 auf nunmehr 200 000 Einwohner erhöht (Sächsische Staatskanzlei 2008). In Sachsen-Anhalt werden Kreisgrößen von mindestens 150 000 Einwohnern als erstrebenswert angesehen. Diese sollten nur dann unterschritten werden, wenn die Einwohnerdichte unter 50 pro Quadratkilometer liegt, um hier eine unzumutbare Ausdehnung in die Fläche zu begrenzen (Landtag Sachsen-Anhalt 2004). Umfangreiche Reformen von Kreisen und Gemeinden „Verwaltungsorganisatorisch sind die Landkreise kommunale Gebietskörperschaften mit gemeindeverbandlichen Funk tionen und zugleich untere staatliche Verwaltungsbehörden“ (Deutscher Landkreistag 2006, S. 5). Daraus leitet sich die kommunale Selbstverwaltung der Landkreise in Analogie zu den Gemeinden ab. Die Landkreise übernehmen für die Gemeinden die Funktionen, die diese wegen zu geringer Größe bzw. Finanzkraft nicht selbst wahrnehmen können oder die von überkommunaler Tragweite sind. Die Größenstruktur der 4 BBSR-Berichte KOMPAKT 6 / 2010 Gemeinde- und Kreisebene hängen eng zusammen. Kreisreformen werden häufig durch Gemeindereformen begleitet bzw. durch diese vorbereitet. Auch auf die Kreisreform folgende Gemeindereformen waren in der Vergangenheit zu beobachten. Die stärksten Veränderungen und meisten Reformen gibt es auf kommunaler Ebene. Auch hier stehen die Vergrößerung der Gebietskörperschaften und dadurch bessere sowie effizientere Verwaltungsleistungen im Vordergrund der Reformbestrebungen. Zum Teil werden bei der Durchführung der Gemeindereformen die Strukturen von Verwaltungsgemeinschaften in einer Einheitsgemeinde vollendet. Aber auch die Verwaltungsgemeinschaften als solche sind Gegenstand von Reformen. Mindestgrößen können wie bei den Kreisen auch als eine Richtungsvorgabe von Reformen verstanden werden. In Rheinland-Pfalz sehen Gesetzentwürfe die Schaffung von Verbandsgemeinden mit mindestens 12 500, in Ausnahmefällen von 10 000 Einwohnern bis spätestens 2014 vor (Hesse 2010). Tabelle 1 zeigt, dass sich die Strukturen von Kreisen und Gemeinden mit Blick auf die Kriterien Fläche und Bevölkerungszahl erheblich unterscheiden. Auch die erwähnten Mindestgrößen werden in den betreffenden Bundesländern nicht oder noch nicht durchgängig erreicht. Die Gebietsreformen zwischen 1990 und 2009 betreffen in erster Linie Ostdeutschland (Tabelle 2, Karte 1). Da sich die gesamtdeutsche Laufende Raumbeobachtung auf die Zeit nach 1990 stützt, werden diese im folgenden Kapitel näher beschrieben. Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Tabelle 1 Unterschiedliche Gemeinde- und Kreisstrukturen in den Bundesländern Gemeinden Bevölkerung Fläche [ha] Bundesländer (ohne Stadtstaaten) Anzahl Mittel Maximum Schleswig-Holstein 1 118 5 2 540 237 579 45 1 413 21 420 Niedersachsen 1 047 297 7 761 519 619 31 4 549 37 176 396 4 179 45286 995 420 2 050 8 608 40 516 658 14 237 664 838 405 4 910 24 831 Nordrhein-Westfalen Hessen 430 Minimum Mittel Maximum Minimum Rheinland-Pfalz 2 306 8 1 747 197 623 39 861 13 972 Baden-Württemberg 1 103 102 9 755 600 068 180 3 241 20 735 Bayern 2 099 246 6 089 1 326 807 139 3 361 31 040 52 6 351 19 814 176 749 761 4 940 16 707 Brandenburg 419 378 6 020 152 966 280 7 036 41 720 Mecklenburg-Vorpommern 817 117 2 037 201 096 207 2 838 19 956 Sachsen 488 406 8 592 515 469 358 3 774 32 831 Sachsen-Anhalt 836 77 2 849 233 013 43 2 446 42 291 Thüringen 951 39 2 385 203 333 134 1 701 26 909 Saarland Gemeindeverbände und Einheitsgemeinden Bundesländer (ohne Stadtstaaten) Bevölkerung Anzahl Minimum Fläche [ha] Mittel Maximum Mittel Maximum Schleswig-Holstein 170 333 16 871 237 579 Minimum 271 9 294 59 444 Niedersachsen 450 496 18 612 519 619 31 10 584 56 103 8 608 40 516 4 179 45 286 995 420 2 050 430 658 14 237 664 838 405 4 910 24 831 203 5 745 19 844 197 623 900 9 777 46 519 448 205 24 048 600 068 534 7 980 33 939 1 414 871 9 125 1 326 807 182 4 990 31 040 52 6 351 19 814 176 749 761 4 940 16 707 Brandenburg 200 3 121 12 612 152 966 460 14 740 41 720 Mecklenburg-Vorpommern 119 2 545 13 986 201 096 822 19 484 57 022 Sachsen 330 2 106 12 705 515 469 455 5 582 32 831 Sachsen-Anhalt 130 680 18 322 233 013 906 15 729 53 042 Thüringen 237 1 533 9 569 203 333 568 6 824 26 909 Nordrhein-Westfalen 396 Hessen Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Bayern Saarland Stadt- und Landkreise Bevölkerung Bundesländer (ohne Stadtstaaten) Anzahl Schleswig-Holstein 15 Fläche [ha] Minimum Mittel Maximum Minimum Mittel Maximum 77 100 188 951 301 518 5 674 105 328 218 633 Niedersachsen 46 49 965 172 766 1 129 797 6 236 103 536 288 180 Nordrhein-Westfalen 53 112 679 338 360 995 420 5 141 64 318 195 907 Hessen 26 98 092 233 266 664 838 4 489 81 210 184 843 Rheinland-Pfalz 36 34 525 111 899 212 102 4 259 55 132 162 609 Baden-Württemberg 44 54 777 244 307 600 068 9 803 81 253 186 083 Bayern 96 38 771 130 414 1 326 807 3 571 73 491 197 179 6 91 925 171 721 335 669 24 925 42 811 55 510 Brandenburg 18 61 286 140 139 204 277 14 778 163 783 305 821 Mecklenburg-Vorpommern 18 44 730 92 464 201 096 3 902 128 813 251 740 Sachsen 13 211 356 322 523 515 469 22 085 141 688 239 065 Sachsen-Anhalt 14 88 693 170 134 237 653 13 502 146 054 242 305 Thüringen 23 40 173 98 598 203 333 8 419 70 314 130 485 Saarland Quelle: Laufende Raumbeobachtung des BBSR 6 / 2010 BBSR-Berichte KOMPAKT 5 6 BBSR-Berichte KOMPAKT 6 / 2010 2 100 Bayern 1 626 1 364 1 705 Sachsen Sachsen-Anhalt Thüringen –18 –11 –3 –3 –1 –1 1 1991 Quelle: Laufende Raumbeobachtung des BBSR 16 193 1 124 Mecklenburg-Vorpommern Bundesgebiet 1 793 1 Brandenburg Berlin 52 1 112 Baden-Württemberg Saarland 2 304 429 Hessen Rheinland-Pfalz 396 2 1 053 1 1 131 1990 Nordrhein-Westfalen Bremen Niedersachsen Hamburg Schleswig-Holstein Bundesland Anzahl Gemeinden Tabelle 2 Zahl der Gemeinden 1990 und 2009 – 66 – 33 –17 –9 –28 20 1 1992 –263 –76 –14 –50 –11 –113 1 1993 – 964 – 344 –26 – 596 –4 5 1 1994 –182 –62 –5 –109 –1 –4 –1 1995 –65 –36 –29 1996 –328 –90 –4 –47 –8 –180 1 1997 –35 –4 –2 –27 –2 1998 –343 –35 –6 –234 –59 –10 1 1999 –17 –1 –1 –10 –5 2000 –422 –17 –5 –11 –382 –1 –6 2001 –268 –10 –37 –4 –10 –206 –1 2002 –519 –1 –38 –10 –15 –450 –1 –4 2003 –199 –8 –79 –6 –91 –15 –1 1 2004 Gemeindereformen, Veränderung Anzahl der Gemeinden –90 –62 –5 –22 –1 2005 –28 –6 –14 –4 –2 –1 –1 2006 –50 –24 –15 –8 –1 –1 –1 2007 –36 –9 –15 –6 –1 –5 2008 –234 –8 –176 –8 –31 –1 –7 –3 2009 2 306 1 103 2 099 2 –9 –1 488 836 951 –1 138 –528 –754 12 066 817 –307 –4 127 419 –1 374 1 52 430 396 2 1 047 1 –6 1 118 –13 1 2009 1990– 2009 Anzahl Gemeinden Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Die Gebietsreformen in Ostdeutschland nach 1990 Das Gebiet der ehemaligen DDR erhielt nach der Wiedervereinigung Verwaltungsstrukturen nach westlichem Vorbild. Die dabei übernommenen, teils neu gebildeten Gemeinden und Kreise wurden immer wieder reformiert. Die Zahl der Gemeinden in Ostdeutschland wurde in den letzten zwanzig Jahren mehr als halbiert. Sie schrumpfte von 7 613 auf derzeit 3 512 Gemeinden. Am stärksten haben bisher Brandenburg und Sachsen ihre Gemeinden reformiert und die Anzahl der Gemeinden auf nahezu ein Viertel reduziert. Nach der wohl stärksten Reformwelle 2001 bis 2003 in Brandenburg ist dort der Prozess beendet. In Sachsen fanden die meisten Gemeindereformen 1994/95 und 1999 statt. In der Zwischenzeit gab es immer wieder einzelne Gemeindezusammenschlüsse. 1994/95 wurden auch in Thüringen die meisten Gemeinden zusammengefasst, in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt fanden zwar auch zu Beginn der 90er Jahre Reformen statt, sie erreichten ihren Höhepunkt jedoch erst im Jahr 2000. In beiden Ländern waren die Gemeindereformen bisher eher moderat: So wurde die ursprüngliche Zahl der Gemeinden nur um ein Viertel in MecklenburgVorpommern und ein Drittel in Sachsen-Anhalt reduziert. Selbst wenn man die Bevölkerungsverluste der letzten zwanzig Jahre berücksichtigt, wirken sich die Reformen erheblich auf die durchschnittliche Größe und Struktur der Gemeinden (Tabelle 3) aus. Die Gemeinden sind größer geworden – sowohl in Bezug auf Ausdehnung (Radius) als auch auf die Einwohnerzahl. Sie sind jedoch nicht zwangsläufig homogener Tabelle 3 Charakteristik der Gemeinden und ihre Veränderung von 1990 bis 2008* in Ostdeutschland Einwohnerdichte der Gemeinden 1990 Mittelwert Bundesland 1995 Standardabw. Mittelwert E./km² 2000 Standardabw. Mittelwert E./km² 2005 Standardabw. Mittelwert E./km² 2008 Standardabw. Mittelwert E./km² Standardabw. E./km² Brandenburg 67,4 149,5 66,2 142,8 73,4 148,2 117,2 232,4 116,7 239,4 Mecklenb.-Vorpommern 56,3 128,9 54,4 110,1 57,8 104,9 59,0 108,3 57,4 107,4 180,3 291,8 213,2 278,9 213,9 235,9 204,7 230,7 198,6 225,7 97,8 218,5 92,7 151,4 93,1 137,4 86,3 125,0 80,7 117,8 106,0 183,5 101,8 127,0 104,8 114,5 100,7 109,1 96,9 106,4 Sachsen Sachsen-Anhalt Thüringen Größe der Gemeinden (Bevölkerung) 1995 1990 Mittelwert Bundesland Standardabw. Mittelwert E./km² 2000 Standardabw. Mittelwert E./km² 2005 Standardabw. Mittelwert E./km² 2008 Standardabw. Mittelwert E./km² Standardabw. E./km² Brandenburg 1 438 6 440 1 499 6 429 1 765 6 459 6 094 11 995 6 006 Mecklenb.-Vorpommern 1 712 9 637 1 690 8 977 1 776 8 310 2 006 8 792 1 963 12 006 8 800 Sachsen 2 930 19 823 5 316 25 255 8 135 32 158 8 315 33 532 8 453 34 905 Sachsen-Anhalt 2 107 12 408 2 108 11 731 2 029 10 505 2 339 11 278 2 354 11 523 Thüringen 1 532 7 607 2 124 9 032 2 391 9 209 2 339 9 179 2 365 9 312 Größe der Gemeinden (Radius) 1995 1990 Mittelwert Bundesland Standardabw. Mittelwert km 2000 Standardabw. Mittelwert km 2005 Standardabw. Mittelwert km 2008 Standardabw. Mittelwert km Standardabw. km Brandenburg 2,15 0,74 2,20 0,84 2,32 0,99 4,29 1,98 4,29 1,99 Mecklenb.-Vorpommern 2,45 0,81 2,50 0,78 2,58 0,86 2,78 0,98 2,78 0,98 Sachsen 1,78 0,66 2,41 1,00 3,10 1,09 3,19 1,10 3,24 1,14 Sachsen-Anhalt 2,07 0,73 2,10 0,78 2,10 0,79 2,26 1,03 2,29 1,09 Thüringen 1,64 0,59 1,90 0,88 2,02 0,99 2,03 1,01 2,06 1,06 *) für 2009 liegen noch keine entsprechenden Daten zur Bevölkerung vor Quelle: Laufende Raumbeobachtung des BBSR 6 / 2010 BBSR-Berichte KOMPAKT 7 Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Karte 1 Gebietsreformen mit Auswirkungen auf die Kreisgrenzen 1995 bis 2000 1990 bis 1995 Hamburg Hamburg Berlin © BBR Bonn 2010 © BBR Bonn 2010 Berlin 2006 bis 2008 2000 bis 2005 Hamburg Hamburg Berlin © BBR Bonn 2010 © BBR Bonn 2010 Berlin Gebietsreformen 1990 bis 2009, die sich auf die Kreisgrenzen auswirken 1990: Eingemeindungen nach Berlin 1993: Gemeinde- und Kreisreformen in Brandenburg, Umgemeindungen von Mecklenburg-Vorpommern nach Niedersachsen 1994: Gemeinde- und Kreisreformen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen (unvollständig), Sachsen-Anhalt und Thüringen 1995: Fortsetzung der Gemeinde- und Kreisreformen in Sachsen 2001: Bildung Region Hannover, Eingemeinungen nach Magdeburg 2003: Eingemeindungen in kreisfreie Städte in Brandenburg 2005: Gemeindereformen in Sachsen und Sachsen-Anhalt Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR 8 BBSR-Berichte KOMPAKT 6 / 2010 1996: Gemeindereformen und Eingemeindungen in kreisfreie Städte in Sachsen 1997: Eingemeindungen in kreisfreie Städte in Sachsen und Thüringen 1999: Fortsetzung Eingemeindungen in kreisfreie Städte in Sachsen 2007: Gemeinde- und Kreisreformen in Sachsen-Anhalt 2008: Gemeinde- und Kreisreformen in Sachsen 2009: Bildung Städteregion Aachen* * zur besseren Darstellung ist nur ein Ausschnitt gewählt, der die Reform der Städteregion Aachen nicht umfasst Geometrische Grundlage: BKG, BBSR Gemeinden und Kreise, 31.12.2008 Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik geworden: Die Standardabweichung von Radius und Einwohnerzahl hat überwiegend zugenommen. Im Mittel hat die Zusammenlegung von Gemeinden auch die durchschnittliche Einwohnerdichte erhöht. Auch hier ist die Variation zwischen weniger und stärker verdichteten Gemeinden nahezu gleich geblieben bzw. gestiegen. Ein Teil dieser Gemeindereformen berührt auch die Kreisgrenzen, vor allem die Eingemeindungen in die kreisfreien Städte, z. B. 1990 in Berlin und 1996 bis 2003 in den übrigen fünf ostdeutschen Bundesländern. Daneben gab es zwischen 1993 und 1995 auch echte Kreisreformen in Ostdeutschland. Weitere Gebietsreformen auf Kreisebene folgten 2007 in Sachsen-Anhalt und 2008 in Sachsen (siehe Karte 1). Tabelle 4 Kreisreformen in Ostdeutschland – Anzahl der Städte und Landkreise 1990 2000 2009 Bundesland Stadtkreise Landkreise Stadtkreise Landkreise Stadtkreise Landkreise Brandenburg 6 38 4 14 4 14 Mecklenburg-Vorpommern 6 31 6 12 6 12 Sachsen 6 48 7 22 3 10 Sachsen-Anhalt 3 37 3 21 3 11 Thüringen Summe 5 35 6 17 6 17 26 189 26 86 22 64 Quelle: Laufende Raumbeobachtung des BBSR Tabelle 5 Charakteristik der Stadt- und Landkreise und ihre Veränderung von 1990 bis 2008* in Ostdeutschland Einwohnerdichte der Stadt- und Landkreise 1990 Mittelwert Bundesland 1995 Standardabw. Mittelwert E./km² 2000 Standardabw. Mittelwert E./km² 2005 Standardabw. Mittelwert E./km² 2008 Standardabw. Mittelwert E./km² Standardabw. E./km² Brandenburg 218,5 458,1 228,4 330,3 216,4 302,1 183,0 219,1 181,1 220,4 Mecklenb.-Vorpommern 260,8 489,6 437,7 578,2 399,5 521,0 385,3 504,4 381,4 501,4 Sachsen 437,4 719,6 561,4 751,8 403,0 427,1 389,1 428,8 475,5 583,4 Sachsen-Anhalt 230,8 425,9 282,3 472,1 259,7 410,9 241,4 390,2 308,2 497,0 Thüringen 301,0 473,3 270,5 273,4 266,6 258,5 259,5 259,8 254,6 260,4 Größe der Stadt- und Landkreise (Bevölkerung) 1990 Mittelwert Bundesland 1995 Standardabw. Mittelwert E./km² 2000 Standardabw. Mittelwert E./km² 2005 Standardabw. Mittelwert E./km² 2008 Standardabw. Mittelwert E./km² Standardabw. E./km² Brandenburg 58 598 30 074 141 225 30 815 144 553 40 033 142 194 42 627 140 139 44 105 Mecklenb.-Vorpommern 51 999 40 307 101 282 38 637 98 650 35 757 94 848 36 005 92 464 36 162 Sachsen 88 228 90 839 157 450 99 117 152 606 101 435 147 371 105 539 322 523 97 348 Sachsen-Anhalt 71 849 57 675 114 122 54 188 108 974 46 411 102 905 45 811 170 134 53 566 Thüringen 65 283 35 589 113 808 38 892 105 707 35 749 101 503 35 458 98 598 35 212 Größe der Stadt- und Landkreise (Radius) 1990 Mittelwert Bundesland 1995 Standardabw. Mittelwert km 2000 Standardabw. Mittelwert km 2005 Standardabw. Mittelwert km 2008 Standardabw. Mittelwert km Standardabw. km Brandenburg 13,96 3,95 21,34 8,35 21,34 8,36 21,44 8,06 21,45 8,06 Mecklenb.-Vorpommern 13,57 4,36 17,92 9,68 17,92 9,68 17,93 9,68 17,93 9,68 Sachsen 10,09 2,52 13,26 5,20 13,45 4,69 13,45 4,69 20,24 6,68 Sachsen-Anhalt 12,46 2,91 15,55 5,55 15,55 5,55 15,57 5,49 20,40 7,26 Thüringen 10,96 3,08 14,54 4,86 14,13 5,04 14,13 5,04 14,13 5,04 *) für 2009 liegen noch keine entsprechenden Daten zur Bevölkerung vor Quelle: Laufende Raumbeobachtung des BBSR 6 / 2010 BBSR-Berichte KOMPAKT 9 Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Insbesondere nach der ersten Welle der Kreisreformen bis 1995/96 hat sich die Zahl der Landkreise mehr als halbiert und in Sachsen und Sachsen-Anhalt noch einmal auf die Hälfte der dann gültigen Kreise reduziert (Tab. 4). Analog zu den Gemeindereformen bedeutet die Reduzierung der Stadt- und Landkreise nicht automatisch, dass diese homogener werden (Tab. 5). Nach wie vor ist die Spannweite der Kreisstrukturen bezogen auf Größe (gemessen an der Bevölkerungszahl und radialer Ausdehnung) innerhalb sowie zwischen den Bundesländern groß. Das Problem der Gebietsbrüche in der kontinuierlichen Raumbeobachtung Ohne die Zielkonformität oder die sozioökonomischen Effekte der durchgeführten Reformen weiter bewerten zu wollen, sind die Gebietsreformen für die kontinuierliche Analyse der Standort- und Lebensbedingungen, der Raumbeobachtung, bedeutsam. Wenn wir regionale Entwicklungen im Zeitverlauf betrachten, müssen wir die Gebietsveränderungen berücksichtigen. Abbildung 1 zeigt am Beispiel der Veränderungen des Gebietszuschnitts der Stadt Dresden, wie verzerrend die Aussagen allein zur Bevölkerungsentwicklung sind, wenn die Stadt in den zu den einzelnen Zeitpunkten jeweils gültigen Abbildung 1 Dresdens Bevölkerungsentwicklung mit und ohne Korrektur des Gebietsstandes 550 in 1000 Eingemeindungen 1999 Eingemeindungen 1997 6 1990 in % 1995 2000 jährliche Entwicklungsrate 4 2 2005 2008 Eingemeindungen 1999 Eingemeindungen 1997 0 -2 1990 1995 2000 2005 2008 Entwicklungsverlauf ohne Korrektur der Gebietsstandes Entwicklungsverlauf mit Korrektur der Gebietsstandes Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR 10 Die in der amtlichen Statistik für Regionalinformationen zuständigen statistischen Landesämter sind leider nicht in der Lage, alle Regionaldaten auf diesen notwendigen vereinheitlichten aktuellen Gebietsstand rückzurechnen. Lange Zeit wurde das Problem von der amtlichen Statistik selbst nicht wahrgenommen, um mit entsprechenden Instrumenten reagieren zu können. So sah sich das BBSR bereits frühzeitig dazu gezwungen, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem vereinheitlichte, gebietsbereinigte Zeitreihen aufgebaut werden können (Blach und Jonetzko 1999). Erschwerend für dieses Vorhaben kommt hinzu, dass nach der Wiedervereinigung die amtliche Statistik in Ostdeutschland nur allmählich das Gesamtangebot aller gemeinsam vereinbarter Regionaldaten (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2010) bereitstellen konnte. Mit Ausnahme einiger zentraler demographischer Merkmale startet das kontinuier liche, gesamtdeutsche Datenangebot erst ab Mitte der 1990er Jahre. Insbesondere das kleinräumige Datenangebot auf Ebene der Gemeinden umfasst nur einen Bruchteil der Merkmale der Kreisstatistiken und beginnt für wichtige sozioökonomische Daten erst ab 1997/98 oder noch später. absolute Entwicklung 500 450 administrativen Grenzen betrachtet würde. Bevölkerungsentwicklungen, also jährliche Veränderungsraten, sind nur sinnvoll darstellbar, wenn der Einfluss des Gebietszuschnitts herausgerechnet bzw. die Stadt zu allen Zeitpunkten in den aktuellen Grenzen betrachtet wird. Dies gilt natürlich nicht nur für die demographischen Merkmale, sondern für alle regionalisierten Daten. Daher werden in der Laufenden Raumbeobachtung des BBSR alle regionalen Daten auf den letztgültigen Gebietsstand umgerechnet und vorgehalten. © BBSR Bonn 2010 BBSR-Berichte KOMPAKT 6 / 2010 Damit erschwert die unzureichende Verfügbarkeit der Daten die Realisierung eines Umrechnungsverfahrens für alle regionalstatistischen Merkmale im BBSR. Im Wesentlichen beschränken sich die ausreichend lange verfügbaren und möglichst kleinräumigen Informationen auf die Merkmale Gesamtbevölkerung und Katasterfläche, seit 1995 zusätzlich auf die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die Reformen der Gemeinden und Kreise verlaufen nicht ausschließlich über die Zusammenfassung kompletter Gebietseinheiten. Selbst auf Ebene der Gemeinden gibt es Aufsplittungen oder Auflösungen von Gebietseinheiten, die dann auf unterschiedliche neue Gemeinden aufgeteilt werden. Insofern führt selbst auf der Gemeindeebene jedes Umrechnungsverfahren nicht an einer Schätzung vorbei, wobei das Problem hier im Vergleich zur Kreisebene eher gering ist, sieht man von den zahlreichen Teilausgliederungen zur Bereinigung von Grenzverläufen und Enklaven ab. Es gibt zwar sehr viele Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Teilumgliederungen, deren Fläche und Bevölkerungszahlen sind jedoch vernachlässigenswert. Das zeigen Vergleichsrechnungen für das Jahr 1997 in Sachsen: Teilausgliederungen und Umgliederungen im Gesamtvolumen aller von Reformen betroffenen Teilgebiete betrafen nur 4 % der Fläche und 1 % der Bevölkerung. Auf Sachsen insgesamt bezogen, machen sie nur 1 % der Fläche und nur 0,5 % der Bevölkerung aus. Um hier das Verfahren nicht unnötig komplizierter zu machen, werden diese Teilausgliederungen beim Umrechnungsfaktor im BBSR vernachlässigt und nur die Reformen berücksichtigt, die ganze Gemeinden auflösen oder umgliedern. Umrechnungsverfahren des BBSR Basis für die Umschätzungen der Gebietsstände ist die jährliche Neuzuordnung der Gemeinden. Das BBSR stützt sich hier auf die Namens- und Grenzänderungslisten des Statistischen Bundesamtes (Statistische Bundesamt 2010) und der Online-Veröffentlichungen der Statistischen Landesämter (Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, Thüringer Landesamt für Statistik). Auch das Wikipedia-Portal beinhaltet umfangreiche Einzelinformationen zu den deutschen Gemeinden und ihrer territorialen Entwicklung (www.wikipedia.de). Entstanden ist so eine Matrix, in der die Entwicklung jeder zum 1.1.1990 existierenden Gemeinde in der Bundesrepublik Deutschland bis heute verfolgt werden kann. Enthalten sind neben der amtlichen achtstelligen Gemeindekennziffer und dem Gemeindenamen die Fläche und Bevölkerung jeweils zum Stichtag 31.12. des Jahres und der Monat der statistischen Wirksamkeit der betreffenden Gemeindereform. Für die Raumbeobachtung ist das Datum der statistischen Wirksamkeit wichtiger als das der juristischen, da an jene die Datenbereitstellung anknüpft. Eine mögliche Diskrepanz zwischen beiden Wirksamkeitszeitpunkten hat sich bisher nur bei dem Zusammenschluss der Gemeinden Sassen-Trantow in MecklenburgVorpommern ergeben. Dieser trat juristisch zum 31.12.2004 in Kraft, statistisch jedoch wurde dieser erst zum 1.1.2005 wirksam. Von den oben dargelegten Sonderfällen abgesehen, sind Umrechnungen der Daten auf Ebene der Gemeinden recht problemlos möglich. Die hier erstellten Zeitreihen sind daher ohne größere Schätzfehler valide, da sie sich zu 98 % auf den Zusammenschluss ganzer Gemeinden beziehen. Der Datenbestand des BBSR beinhaltet auf der Ebene der Gemeinden vor allem sozioökonomische Daten der amtlichen Statistik und weiterer privater wie öffentlicher Anbieter – etwa der Gesellschaft für Konsumgüterforschung (GfK) oder des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Einige Probleme oder Abweichungen durch Gemeindereformen kann es bei ökologischen Daten und Flächennutzungsdaten geben. Sind diese nicht auf die administrative Einheit bezogen, sondern liegen vielmehr als Geobasisdatum vor, so stehen mittlerweile leistungsstarke GIS-Instrumente bereit, die eine entsprechende Behandlung durch Verschneidung ermöglichen. Gleiches gilt für die zunehmende Verfügbarkeit von standortbezogenen Informationen. Da dieser Bereich der Regionalinformationen noch relativ jung ist, gibt es wegen des geringen (für Zeitreihen nutzbaren) Datenbestandes auch noch wenig Erfahrung mit der Zeitreihenbildung mittels GIS im BBSR. Größer werden die Schätzfehler, wenn es sich um amtliche Daten oder Informationen auf Kreisbasis handelt. Liegt die Zuordnung der Gemeinden zwischen zwei verschiedenen Gebietsständen fest, so ist implizit auch die Zuordnung der Kreise zu diesen beiden Gebietsständen bekannt, da der amtliche Gemeindeschlüssel die Kreiszuggehörigkeit beinhaltet. Wird ein Altkreis vollständig in einen neuen Kreis überführt, so gibt es keinerlei Schätzfehler, da hier die Ursprungsdaten verlustfrei aggregiert werden können. Sind die Gemeinden eines Altkreises jedoch in unterschiedliche neue Kreise eingegliedert worden, dann dient ihr Bevölkerungs-, Flächen- oder Beschäftigtenanteil am Altkreis, ermittelt über die betreffenden Gemeinden, als Umrechnungsfaktor für die Basisdaten. Die Berechnungen belegen, dass die meisten sozioökonomischen Daten sehr gut mit dem bevölkerungsproportionalen Gewichtungsfaktor umgeschätzt und anschließend auf die neue Kreisstruktur aggregiert werden können. Mit dem flächenproportionalen Faktor werden dagegen am besten Daten der Flächennutzung umgeschätzt, sofern es sich nicht um die siedlungsrelevante Fläche handelt. Gleiches gilt für Daten der Agrarstatistik sowie eher flächenbezogene Umweltdaten. Für Wirtschaftsdaten bietet sich die beschäftigtenproportionale Umschätzung an. Als Beispiel für eine typische BBSR-Umstiegsreferenz sind in der Tabelle 6 die Kreise Sachsen-Anhalts vor und nach der letzten Kreisreform 2007 mit den drei Umsteigeschlüsseln dargestellt. Es wird allein an der Ähnlichkeit des bevölkerungsund des beschäftigtenproportionalen Schlüssels ersichtlich, wie wenig sich die Ergebnisse zwischen diesen beiden Faktoren unterscheiden. Anders ausgedrückt: Auch Daten zur Wirtschaft können meist gut bevölkerungsproportional umgeschätzt werden. 6 / 2010 BBSR-Berichte KOMPAKT 11 Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Tabelle 6 Umrechnungsschlüssel für die Kreise in Sachsen-Anhalt zur letzten Kreisreform in 2007 Kreise, Gebietsstand 31.12.2006 Umsteigeschlüssel flächenproportional bevölkerungsproportional proportional sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Kennziffer Name Dessau, Kreisfreie Stadt 1,000 1,000 1,000 15001000 Dessau-Roßlau, Kreisfreie Stadt Anhalt-Zerbst 0,055 0,203 0,139 15001000 Dessau-Roßlau, Kreisfreie Stadt 15202000 Halle (Saale), Kreisfreie Stadt 1,000 1,000 1,000 15002000 Halle (Saale), Kreisfreie Stadt 15303000 Magdeburg, Kreisfreie Stadt 1,000 1,000 1,000 15003000 Magdeburg, Kreisfreie Stadt 15370000 Altmarkkreis Salzwedel 1,000 1,000 1,000 15081000 Altmarkkreis Salzwedel 15151000 Anhalt-Zerbst 0,413 0,366 0,480 15082000 Anhalt-Bitterfeld 15154000 Bitterfeld 1,000 1,000 1,000 15082000 Anhalt-Bitterfeld 15159000 Köthen 1,000 1,000 1,000 15082000 Anhalt-Bitterfeld 15355000 Bördekreis 1,000 1,000 1,000 15083000 Börde 15362000 Ohrekreis 1,000 1,000 1,000 15083000 Börde 15256000 Burgenlandkreis 1,000 1,000 1,000 15084000 Burgenlandkreis 15268000 Weißenfels 1,000 1,000 1,000 15084000 Burgenlandkreis 15352000 Aschersleben-Staßfurt 0,157 0,066 0,071 15085000 Harz 15357000 Halberstadt 1,000 1,000 1,000 15085000 Harz 15364000 Quedlinburg 1,000 1,000 1,000 15085000 Harz 15369000 Wernigerode 1,000 1,000 1,000 15085000 Harz 15151000 Anhalt-Zerbst 0,160 0,076 0,034 15086000 Jerichower Land 15358000 Jerichower Land 1,000 1,000 1,000 15086000 Jerichower Land 15260000 Mansfelder Land 1,000 1,000 1,000 15087000 Mansfeld-Südharz 15266000 Sangerhausen 1,000 1,000 1,000 15087000 Mansfeld-Südharz 15261000 Merseburg-Querfurt 1,000 1,000 1,000 15088000 Saalekreis 15265000 Saalkreis 1,000 1,000 1,000 15088000 Saalekreis 15153000 Bernburg 1,000 1,000 1,000 15089000 Salzlandkreis 15352000 Aschersleben-Staßfurt 0,843 0,934 0,929 15089000 Salzlandkreis 15367000 Schönebeck 1,000 1,000 1,000 15089000 Salzlandkreis 15363000 Stendal 1,000 1,000 1,000 15090000 Standal 15151000 Anhalt-Zerbst 0,372 0,355 0,347 15091000 Wittenberg 15171000 Wittenberg 1,000 1,000 1,000 15091000 Wittenberg Kennziffer Name 15101000 15151000 Güte der Umschätzung Die Güte der Umschätzung direkt zu prüfen, ist nicht möglich. Dazu bedürfte es von der amtlichen Statistik rückgerechneter Daten, die mit den vom BBSR per Umrechnungsverfahren ermittelten Ergebnissen verglichen werden könnten. Doch bis auf die Gesamtzahl der Bevölkerung konnten genau diese Rückrechnungen von der amtlichen Statistik nicht geleistet werden. Eine indirekte Methode zur Überprüfung und zur Wahl des besten Umsteigers – also Bevölkerung, Fläche oder Beschäftigung – bietet die Korrelation zwischen Merkmal und Umrechnungsgröße, z. B. zwischen Bevölkerungszahl und Zahl der Haushalte, zwischen Fläche und landwirtschaftlicher Nutzfläche usw. Je höher die Korrelation, desto geringer der Schätzfehler (Blach und Jonetzko 1999). 12 Kreise, Gebietsstand 31.12.2007 BBSR-Berichte KOMPAKT 6 / 2010 Der bevölkerungs- und der beschäftigungsproportionale Umstiegsschlüssel sind sich ähnlicher als der flächenproportionale. Bevölkerung und Beschäftigung hängen also stärker miteinander zusammen als Bevölkerung und Fläche oder Beschäftigung und Fläche. In Tabelle 7 sind die Arbeitslosenquoten für die sachsen-anhaltinischen Kreise auf dem neuesten Gebietsstand ermittelt, wobei die Werte für die Jahre 2005 und 2006 umgerechnet werden mussten. Die mit allen drei Schlüsseln durchgeführte Umschätzung als Beispiel für den Effekt und die Güte des gewählten Schlüssels zeigt nur geringe Unterschiede im Wert des Indikators Arbeitslosenquote. Bei beschäftigungs- und bevölkerungsproportionaler Umschätzung unterscheiden sie sich stets nur auf der zweiten Nachkommastelle. Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Tabelle 7 Arbeitslosenquoten 2005 bis 2008 in den Kreisen Sachsen-Anhalt auf dem aktuellen Gebietsstand 2008 Kreise, Gebietsstand 31.12.2008 Kennziffer Name 2005, umgeschätzt (%) 2006, umgeschätzt (%) flächenbevölkerungs- beschäftigungsproportional proportional proportional flächenproportional bevölkerungsproportional beschäftigungsproportional 2007 (%) 2008 (%) 15001000 Dessau-Roßlau, Kreisfreie Stadt 20,08 20,18 20,14 18,72 18,65 18,68 16,98 16,10 15002000 Halle (Saale), Kreisfreie Stadt 21,48 21,48 21,48 18,09 18,09 18,09 17,96 16,30 15003000 Magdeburg, Kreisfreie Stadt 21,26 21,26 21,26 20,42 20,42 20,42 16,99 15081000 Altmarkkreis Salzwedel 19,40 19,40 19,40 18,48 18,48 18,48 17,09 16,40 15082000 Anhalt-Bitterfeld 22,84 22,88 22,80 20,42 20,46 20,37 18,82 10,40 15083000 Börde 16,83 16,83 16,83 15,53 15,53 15,53 12,28 18,00 15084000 Burgenlandkreis 24,60 24,60 24,60 23,30 23,30 23,30 20,48 15085000 Harz 20,91 20,76 20,77 19,10 18,90 18,91 16,16 19,50 15086000 Jerichower Land 18,62 18,49 18,42 17,99 17,99 17,98 14,93 13,90 15087000 Mansfeld-Südharz 26,49 26,49 26,49 25,41 25,41 25,41 22,38 15,30 15088000 Saalekreis 20,39 20,39 20,39 17,15 17,15 17,15 15,66 15089000 Salzlandkreis 23,39 23,46 23,45 21,32 21,46 21,46 18,15 15090000 Standal 24,98 24,98 24,98 23,61 23,61 23,61 21,09 15091000 Wittenberg 21,27 21,27 21,27 19,79 19,80 19,81 15,99 15,00 14,70 14,60 12,80 17,90 13,60 Kreise, die lediglich zusammengefasst wurden oder gänzlich unverändert geblieben sind Kreise, in denen auf Grund von Kreisaufgliederungen umgeschätzt werden muss Quelle: IAB, Laufende Raumbeobachtung des BBSR Das BBSR nutzt die kleinräumigen Informationen der amtlichen Statistik, um daraus Indikatoren zu bilden. Mithilfe der Indikatoren kann die Regionalentwicklung analysiert und die Entwicklung regionaler Disparitäten beobachtet werden. Indikatoren sind damit Maßzahlen, die mittels einer Berechnungsvorschrift ein Datum immer in Bezug zu (mindestens) einem anderen Datum stellen. Erst hieraus kann die für den interregionalen Vergleich wichtige Information dargestellt werden. Das BBSR erhebt und verbreitet keine Absolutdaten; diese sind ausschließlich über die Statistischen Landesämter zu beziehen. Wie am Beispiel der Arbeitslosenquoten zu sehen, weichen die Indikatorwerten wegen der Unterschiede im Umstiegsschlüssel kaum voneinander ab. Obwohl keine direkte Bezifferung des Schätzfehlers möglich ist, ist davon auszugehen, dass er unterhalb der Fehlerschwelle amtlicher Daten durch Registerfehler liegt. Nach Michel (2004) und nach Hahlen (2006) sind die Registerfehler in kleinen Gemeinden deutlich geringer als in größeren Ge- meinden. Für Regionalindikatoren dürfen wir daher nicht von einer absoluten Genauigkeit des Wertes ausgehen, sondern müssen mit einer gewissen Ungenauigkeit durch Registerfehler kalkulieren, die auch schon vor dem Umschätzen der Ursprungsdaten besteht. Wegen der überwiegend bevölkerungsproportionalen Umverteilung der Datenwerte wird auch der Registerfehler übertragen, jedoch nicht zwangsweise vergrößert. Dies gilt insbesondere für die Aktualisierung des Gebietsstandes, in dem zumeist mehrere kleine Gebietseinheiten zu Größeren zusammengefasst werden. Allein durch die Zusammenfassung werden einige Fehler der prozentualen Umverteilung bereits marginalisiert. Anders verhält es sich mit der Umrechnung aktueller Daten auf ältere Gebietsstände. Dies ist theoretisch auf Basis der Referenzmatrix möglich, aber wegen der Disaggregation von großen auf mehrere kleinere Gebietseinheiten weniger ratsam. 6 / 2010 BBSR-Berichte KOMPAKT 13 Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Weitere Anwendungsbereiche und Sonderfälle Zeitreihen im BBSR Die Reformen berühren nicht nur die räumlichen Ebenen, auf denen sie durchgeführt werden, also die Gemeinden und Kreise, sondern auch alle daraus abgeleiteten Raumgliederungen und Raumtypisierungen. Erfolgt vorher keine Umrechnung, sind auch Informationen auf Ebene der Raumordnungsregionen, der siedlungsstrukturellen Gebietstypen oder der Stadtund Gemeindetypen für zwei verschiedene Zeitpunkte nicht vergleichbar, wenn dazwischen Territorialreformen liegen. Zusätzlich verändern sich durch Gebietsreformen Zuschnitt und Strukturmerkmale der abgeleiteten Analyseraster, so dass diese mitunter überarbeitet werden müssen (BBSR 2009). Zeitreihen und Zeitvergleiche sind auf allen von Gemeinden und Kreisen abgeleiteten Analyserastern nur möglich, wenn die Ursprungsdaten vorab einer Anpassung des Gebietsstandes nach dem oben beschriebenen Verfahren unterzogen und auf dem aktuellen Gebietsstand errechnet wurden. Die Laufende Raumbeobachtung des BBSR ist nicht nur eine der umfangreichsten bundesweiten Datensammlungen raumrelevanter Informationen, sondern ist auch die einzige Quelle in ihrer Art, die systematisch das Problem der Gebietsreformen berücksichtigt. Mit jeder Gebietsreform wird im BBSR der komplette Bestand an gesamtdeutschen Daten der Laufenden Raumbeobachtung umgerechnet bzw. umgeschätzt. Für Daten der Gemeindeebene ist eine jährliche Umrechnung notwendig; für Daten der Kreisebene ist eine Umrechnung nur nach Reformen mit Einfluss auf diese Ebene vorzunehmen, was jedoch in fast jedem oder jedem zweiten Jahr seit 1993 erforderlich wurde (siehe Karte 1). Wo die Reformen den Stadtvergleich tangieren, gibt es gewisse Probleme. Dies betrifft zum einen die Innerstädtische Raumbeobachtung des BBSR. Für diese liefern derzeit 50 Großstädte jährlich etwa 100 Variablen auf Ebene ihrer statistischen Bezirke. Im Falle von Eingemeindungen können für die Stadtrand-Lage nicht die Daten der früher außerhalb liegenden Gemeinden nachgehalten werden. Deshalb werden bei Zeitreihendarstellungen entsprechende Änderungen als Fußnote aufgeführt. Im anderen Fall betrifft es die Regionalkreise, die zu einer Zusammenführung von kreisfreier Stadt und Umlandkreis geführt haben. So sind mittlerweile Aachen, Hannover und Saar brücken auf der Kreisebene als Großstädte nicht von ihrem Umland trennbar und mit anderen Großstädten vergleichbar. Das Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung Niedersachsen führt daher den Datenkatalog der Kreisstatistik auch für die Stadt Hannover getrennt und bietet diese Informationen auch auf Anfrage an. Weil aber einerseits andere Datenanbieter diese Sonderstellung z. B. von Aachen und Hannover nicht entsprechend würdigen, und andererseits mit weiteren Entwicklungen in Richtung Regionalkreise/Städteregionen zu rechnen ist, sollte die Regionalstatistik dieses Problem stärker in den Blick nehmen (Eichhorn 2010). Für die Indikatoren der Raumbeobachtung können wir daher festhalten, dass das Umschätzen der Regionaldaten auf einen aktuellen Gebietsstand eine notwendige und zudem hinreichend genaue Methode ist, um Zeitvergleiche und Zeitreihen zu generieren. Im Idealfall werden dabei die Daten von der kleinstmöglichen regionalen Ebene ausgehend auf den neuen Gebietsstand umgerechnet. 14 BBSR-Berichte KOMPAKT 6 / 2010 Die Zeitreihen des BBSR bereichern das Datenangebot, da sie über den einfachen Vergleich zweier Zeitpunkte Aussagen über Trends, die Bildung gleitender Mittel und Zeitreiheninformationen für jede Gemeinde bzw. jeden Kreis ermöglichen. Seit drei Jahren bietet das BBSR auch Zeitreihen auf der jährlich erscheinenden CD-ROM „INKAR – Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung“ an, so dass diese auch für externe Nutzer zur Verfügung stehen. Die diesjährige Ausgabe INKAR 2010 enthält für rund 120 der knapp 500 Indikatoren Zeitreihen von 1995 bis 2008, die sich auf den aktuellen Gebietsstand beziehen. Mit dem Aufbau der gesamtdeutschen Datenbank seit der Wiedervereinigung rückten die westdeutschen Gemeindeund Kreisdaten älteren Datums zunächst in den Hintergrund der Betrachtung. Würden diese Daten einbezogen, könnten zumindest für Westdeutschland lange, teilweise über einen 40-Jahres-Zeitraum laufende Reihen aufgebaut werden. Nach den letzten Kreisreformen Ende der 1970er Jahre hat es in Westdeutschland bis zum Jahr 2000 keine Kreisreformen gegeben. Die Daten vor 1980 wurden nach dem Rechtsnachfolgeprinzip bereits damals auf die 327 Stadt- und Landkreise übertragen, so dass sie bereits in der erforderlichen Kreisstruktur vorliegen. Ausnahme ist nur die Zusammenfassung von acht Gemeinden aus Mecklenburg-Vorpommern zum Amt Neuhaus und die Umgemeindung nach Lüneburg in Niedersachsen in 1993. Für den Landkreis Lüneburg wird es daher für alle Daten einen gewissen Sprung in der Zeitreihe vor und nach 1993 geben, der allerdings nur 0,2 % der Kreisfläche und 4 % der Gesamtbevölkerung ausmacht. Am Beispiel der Arbeitslosenquote auf Kreisebene wollen wir kurz erläutern, welche Analysemöglichkeiten und zusätzlichen Informationen Zeitreihen bieten. Das Zusammenspiel von Zeit und Raum bzw. regionalem Kontext ist dabei hohe Anforde- Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Karte 2 Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den Stadt- und Landkreisen Deutschlands Entwicklung der Arbeitslosigkeit Jahre höchster Arbeitslosigkeit Hamburg Hamburg Berlin Berlin Köln Köln Frankfurt/M. 100 km © BBR Bonn 2010 München © BBR Bonn 2010 Frankfurt/M. München 100 km Entwicklung der Arbeitslosenquote 1995 bis 2008 in %-Punkten Zeitraum der höchsten Arbeitslosigkeit in der Region zwischen 1995 und 2008 bis unter -3,0 zwischen 1995 und 1997 -3,0 bis unter -1,5 zwischen 1998 und 2000 -1,5 bis unter 0 zwischen 2001 und 2004 0 bis unter 1,5 1,5 nach 2004 und mehr Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR rung an das Anaylseinstrument. Auf Grundlage der folgenden Abbildungen und Karten wollen wir diese Fragen umreißen: Die linke Hälfte der Karte 2 zeigt die übliche Entwicklungs messung über zwei Zeitpunkte, hier die Veränderung der Arbeitslosenquote 2008 gegenüber 1995 in Prozentpunkten. Der Zeitpunktvergleich kann dabei die Schwankungen innerhalb des Zeitraumes nicht abbilden. Die rechte Kartenhälfte legt nahe, dass sich die Regionen in ihrer Entwicklung unterscheiden müssen, da das jeweilige Maximum der Arbeitslosigkeit in verschiedenen Jahren auftritt. Abbildung 2 zeigt, dass sich die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in einzelnen Kreisen in Ost- und Westdeutschland deutlich vom Durchschnitt abhebt. Die einzelnen Kreiskurven zeichnen zwar alle den gesamtwirtschaftlichen Konjunkturverlauf nach, haben jedoch unterschiedlich starke Auf- und Abwärtstrends. Geometrische Grundlage: BKG, BBR Kreise, 31.12.2008 Abbildung 2 Entwicklungsverläufe regionaler Arbeitslosigkeit Arbeitslosenquote in % 21 18 15 Ostdeutschland 12 Bad Doberan Mülheim a.d. Ruhr 9 Hildburghausen Hersfeld-Rotenburg Westdeutschland 6 1996 1998 2000 2002 Datenbasis: Arbeitslosenstatistik der BA, Laufende Raumbeobachtung des BBSR 6 / 2010 2004 2006 2008 © BBR Bonn 2010 BBSR-Berichte KOMPAKT 15 Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Karte 3 Trends der Arbeitslosigkeit in den Stadt- und Landkreisen Deutschlands Karte Karte 3: Trends 3: Trends derder Arbeitslosigkeit Arbeitslosigkeit in den in den StadtStadtundund Landkreisen Landkreisen Deutschlands Deutschlands Regionaler Regionaler Trend Trend Trend Trend “konjunkturbereinigt” “konjunkturbereinigt” Hamburg Hamburg Hamburg Hamburg BerlinBerlin BerlinBerlin Köln Köln Köln Köln München München 100 km 100 km Standardisierter Standardisierter Koeffizient Koeffizient der der Regressionsgeraden Regressionsgeraden durch durch die Arbeitslosenquoten die Arbeitslosenquoten 19951995 bis 2008 bis 2008 Standardisierter Standardisierter Koeffizient Koeffizient der der Regressionsgeraden Regressionsgeraden durch durch die um die die um die bundesweite bundesweite Entwicklung Entwicklung bereinigten bereinigten Arbeitslosenquoten Arbeitslosenquoten 19951995 bis 2008 bis 2008 bis unter bis unter -0,6 -0,6 bis unter bis unter -0,6 -0,6 -0,6 -0,6 bis unter bis unter -0,4 -0,4 -0,6 -0,6 bis unter bis unter -0,4 -0,4 -0,4 -0,4 bis unter bis unter 0 -0,4 -0,4 bis unter bis unter 0 0 0 bis 0 unter bis unter0,4 0,4 0 0,4 0,4 und und mehrmehr Datenbasis: Datenbasis: Laufende Laufende Raumbeobachtung Raumbeobachtung des BBSR des BBSR Trendkurven zu ermitteln ist eine Möglicheit, alle Zeitpunkte in die Entwicklungsbetrachtung einzubeziehen. In Abbildung 3 und Karte 3 haben wir mittels Regressionsschätzung die Trends für Bund, Ost- und Westdeutschland sowie jeden Stadt- und Landkreis ermittelt. In Ostdeutschland haben die Arbeitslosenquoten in den Jahren 2007 und 2008 in etwa wieder das Niveau von 1995/96 erreicht. In den meisten Regionen sind sie leicht darunter gesunken. In den meisten Kreisen ist die Arbeitslosigkeit also deutlich gesunken, obwohl in den Jahren dazwischen die Quoten mit gewissen Schwankungen deutlich höher lagen. In Westdeutschland dagegen gibt es ebenfalls Steigerungen und Abnahmen im gesamten Zeitraum, diese schwanken jedoch stärker um ein Mittelmaß. Seit 2005 befinden sich die Arbeitslosenquoten wieder beim (konjunkturellen) Abstieg. 0 bis 0 unter bis unter0,4 0,4 0,4 0,4 und und mehrmehr Geometrische Geometrische Grundlage: Grundlage: BKG,BKG, BBR BBR Kreise, Kreise, 31.12.2008 31.12.2008 Abbildung 3 Trends der Arbeitslosigkeit Arbeitslosenquote in % 21 18 15 12 9 6 1996 1998 Arbeitslosenquote in % 2000 2002 2004 2006 2008 Trend 1995 bis 2008 Ostdeutschland Westdeutschland Bund insgesamt Datenbasis: Arbeitslosenstatistik der BA, Laufende Raumbeobachtung des BBSR 16 © BBR Bonn 2010 © BBR Bonn 2010 100 km 100 km © BBR Bonn 2010 München München © BBR Bonn 2010 Frankfurt/M. Frankfurt/M. Frankfurt/M. Frankfurt/M. BBSR-Berichte KOMPAKT 6 / 2010 © BBR Bonn 2010 Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Gegenüber der einfachen Zeitpunktmessung weist die Trendkarte jedoch leichte Differenzen in der Aussage auf, welche Kreise eine starke oder leichtere positive bzw. negative Entwicklung aufweisen (siehe Karte 3 links). Schleswig-Holstein hat in 2007 ein Gutachten erstellen und verschiedene Optionen zur Reform des Landesgebiets prüfen lassen. Geprüft wird die Bildung von vier Großkreisen (Ministerpräsident von Schleswig-Holstein) Rechnet man den allgemeinen Entwicklungsverlauf heraus und reduziert die regionale Entwicklung auf das gegenüber dem Gesamtdurchschnitt über- oder unterdurchschnittliche Niveau, so ergeben sich stärkere Cluster hoher Zunahme und starker Abnahme. Rheinland-Pfalz hat seine Bürger in die Planung der Kommunal- und Verwaltungsreformen einbezogen. Die Reformen sehen auch Fusionen von Gebietskörperschaften vor und sollen bis zur Kommunalwahl 2014 abgeschlossen sein (Staatskanzlei Rheinland-Pfalz 2010). Resümee und Ausblick Gebietsreformen rücken in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise verstärkt ins Blickfeld der Politik. Sie verspricht sich von der Zusammenfassung von Gemeinden, Kreisen, Regierungsbezirken und Ländern eine finanzielle Entlastung durch Straffung und Effizienzsteigerung der öffentlichen Verwaltung. Der demographische Wandel und der Wettbewerbsdruck als Effekt der Globalisierung beflügeln die Bestrebungen zu möglichst wenigen und unter (finanz-)wirtschaftlichen Gesichtspunkten möglichst optimal großen Kommunen und Regionen. Gebietsreformen waren und sind daher politisch gesteuerte Entwicklungen, auf welche die Raumbeobachtung mit entsprechend angepassten Informationen reagieren muss. Das BBSR hat diese Herausforderung angenommen und ein Verfahren entwickelt, mit dem die Nachzeichnung der Gebietsstandsänderungen und der Anpassung der Daten hinreichend genau möglich ist. Auch in naher Zukunft bleibt das Thema der Gebietsreformen aktuell: Das BBSR hat mit seinem Verfahren eine einfache, praktikable und unter Qualitätsgesichtspunkten gute Basis geschaffen, Regionalinformationen an die sich ändernden administrativen Gebietskulissen stetig anzupassen. Dieses Verfahren lässt sich für die kommenden und zu erwartenden Gebietsreformen direkt fortschreiben. Gemäß der dem BBSR aufgetragenen Berichtspflichten stellen wir diese Informationen auch externen Nutzern zur Verfügung: in Form von fertigen Zeitreihen auf der CD-ROM „INKAR – Indikatoren zur Stadt- und Regionalentwicklung in Deutschland und Europa“, in Form von Zeitreihen-Diagrammen und Zeitvergleichen in verschiedenen Veröffentlichungen und unter www.raumbeobachtung.de, auf Anfrage spezifische Umstiegsschlüssel ab 1990 in Form von Tabellen. Umstiegsschlüssel können dabei generiert werden für die Gemeinden, Kreise, Raumordnungsregionen und siedlungsstrukturelle Gebietstypen. Nach der im Jahr 2008 gescheiterten Kreisreform in Mecklenburg-Vorpommern liegt ein neuer Vorschlag vor, der in 2011 umgesetzt werden soll. Er sieht vor, die sechs Stadt- und zwölf Landkreise in zwei kreisfreie Städte und sechs Landkreise zusammenzufassen (Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern). 6 / 2010 BBSR-Berichte KOMPAKT 17 Gebietsreformen – politische Entscheidungen und Folgen für die Statistik Literatur Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.): Verwaltung 21. www.bayern.de/ jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Zensus/State Verwaltung-21-.483/index.htm mentHintergrund,property=file.pdf, Zugriff: 27.5.2010 Blach, Antonia und Jacek Jonetzko: Die Gebietsreform der neuen Haase, Claus: StädteRegion Aachen – Im Westen tut sich was. Länder: Folgen für die Laufende Raumbeobachtung des BBR. In: Demo. H. 6. 2005, S. 13 Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.) Arbeitspapiere 5 Bonn 1999 Hamburger Abendblatt: Niedersachsen löste seine Regierungsbezirke auf. www.abendblatt.de. 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Kurzfassung einer neuen Studie des BBSR BBSR-Berichte KOMPAKT 4/2010, Hrsg.: BBSR Download: www.bbsr.bund.de à Veröffentlichungen à BBSR-Berichte KOMPAKT Antonia Milbert [email protected] Redaktion Christian Schlag Satz und Gestaltung Marion Kickartz Druck Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Bestellungen [email protected] Sicherung der Daseinsvorsorge und Zentrale-Orte-Konzepte – gesellschaftspolitische Ziele und räumliche Organisation in der Diskussion BMVBS-Online-Publikation 12/2010 Hrsg.: BMVBS, 2010 Download: www.bbsr.bund.de à Veröffentlichungen des BMVBS à BMVBS-Online-Publikationen INKAR – Indikatoren, Karten und Graphiken zur Raumund Stadtentwicklung in Deutschland und Europa CD-ROM, Hrsg.: BBSR, Bonn 2009 Preis: 45 Euro (zzgl. Versandkosten) Zu beziehen bei: [email protected] Die BBSR-Berichte KOMPAKT erscheinen in unregelmäßiger Folge. Interessenten erhalten sie kostenlos. ISSN 1867-0547 (Printversion) ISBN 978-3-87994-391-3 6 / 2010 BBSR-Berichte KOMPAKT Bonn Juli 2010