24 Stunden sind kein Arbeitstag
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24 Stunden sind kein Arbeitstag
Hinweise zu den Gesundheitsbelastungen im Rettungsdienst liefert auch die inqa-studie, die das Deutsche Rote Kreuz, Generalsekretariat Berlin, in Kooperation mit Wissenschaftlern gemacht hat. Es ist z. B. ermittelt worden, dass die Arbeit auf sogenannten Landwachen mit vergleichsweise wenig Einsätzen, gesundheitlich genauso belastend ist wie die Arbeit auf Stadtwachen (als Folge von z. B. zermürbenden Wartezeiten, geringere Routine). Also auch auf Landwachen sind lange Schichtzeiten nachweislich gesundheitsschädlich. Versicherungsschutz durch den AG bedeutet nicht Ausschluss des Regresses, insbesondere bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit. Vorsatz = Wissen der Rechtswidrigkeit! Es gibt eine weitere bemerkenswerte arbeitsmedizinische Erkenntnis: Nach einem 24-Std.-Dienst ist ein Arbeitnehmer vergleichbar einem Alkoholisierten mit einer BAK von mehr als 1,0 Promille Wir helfen unseren Kolleginnen und Kollegen! Interessenvertretungen (Betriebsräte, Personalräte, Mitarbeitervertretungen) dürfen keine Dienstpläne genehmigen, auf denen täglich mehr als 12 Stunden und mehr als 48 Stunden in der Woche im Durchschnitt geregelt werden sollen. Arbeitnehmer sollten keine opt-out-Regelungen unterschreiben! Bitte bedenke: Deine Arbeitskraft muss für dein ganzes Berufsleben reichen! Haftungsfragen ver.di hilft euch! Bitte nehmt Kontakt zur Gewerkschaft auf, damit ver.di im Falle rechtswidriger Arbeitszeiten für Abhilfe sorgt. Wir nehmen erforderlichenfalls auch Kontakt zu den Aufsichtsbehörden auf. Nach einer Studie der Karl-von-Ossietzky-Universität können folgende Steigerungen bei der Unfallhäufigkeit gegenüber 8h-Schicht abgeleitet werden: • Verdoppelung bei 12h-Schicht • Weitere Verdoppelung bei über 12h Schichtlängen von 9, 10 oder 12h haben mittel- und langfristig diese Folgen: • Überdurchschnittliche Ermüdung • Schläfrigkeit • Schlechte Leistungen • Erhöhtes Unfallrisiko Mitarbeiter im Gesundheitswesen haften gegenüber Patienten nach § 823 BGB für Schäden, die sie fahrlässig oder vorsätzlich verursachen. Medizinische Kunstfehler werfen künftig erst einmal die Frage nach der Dienstzeit der Verantwortlichen auf. 24 Stunden sind kein Arbeitstag . . . . . . auch nicht im Rettungsdienst! Beschäftigte im Rettungsdienst haben einen qualifizierten Beruf. Sie brauchen qualifizierte Arbeitszeiten! Wer also zu lange arbeitet gefährdet nicht nur die eigene Gesundheit, sondern läuft auch Gefahr Fehler zu machen und einen Unfall zu verursachen. Für die so entstehenden Sach- und Personenschäden kann der Rettungsdienstmitarbeiter möglicherweise in Regress genommen werden. Dies gilt auch für Betriebs- und Personalräte, die rechts- und tarifwidrige Dienstpläne genehmigen. Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen Eine Veröffentlichung von ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Fachbereich 3, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin, V. i. S. d. P.: Ellen Paschke Bearbeitung: Marion Leonhardt Gestaltung: Hauer+Ege GmbH, 70435 Stuttgart. W-2367-04-0307 24 Stunden sind kein Arbeitstag . . . auch nicht im Rettungsdienst! Das sind die Fakten: arbeitszeit (WAZ) beträgt auch dann 48 Stunden, der Ausgleichszeitraum darf bis zu 12 Monate betragen. ● Rechtliche Situation EU-Richtlinie Grundsätzlich gilt in der EU eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden. Dabei werden Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft zur Arbeitszeit gezählt. Die tägliche Ruhezeit beträgt mindestens 11 Stunden. Deutsches Arbeitszeitgesetz Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) wurde zuletzt am 1.1.2004 novelliert. Es war an die aktuelle EU-Richtlinie und auch an die EU-Rechtsprechung zur Arbeitszeit anzupassen. ● Die wichtigsten Änderungen im ArbZG sind u. a. ● ● ● ● §3 Im Grundsatz gilt der 8-Stunden-Tag. § 5 Abs. 3 Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft sind, auch ohne aktive Inanspruchnahme, keine Ruhezeiten, sondern Arbeitszeit. ● § 7 Abs. 1 Nr. 1a Die tägliche Höchstarbeitszeit beträgt bis zu 10 Stunden (vgl. § 3 ArbZG). ● § 7 Abs. 1 Nr. 4 Eine Verlängerung der Arbeitszeit über 10 Stunden je Werktag hinaus ist dann möglich, wenn dies durch einen Tarifvertrag vereinbart worden ist. Voraussetzung dafür: Die verlängerte regelmäßige Arbeitszeit muss zu einem erheblichen Teil Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst enthalten, außerdem sind Zeitausgleiche vorzunehmen. Die zulässige durchschnittliche Wochen- ● § 7 Abs. 2a Durch Tarifvertrag und schriftlicher widerruflicher Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers kann die Arbeitszeit auch ohne Zeitausgleich über 8 Stunden je Werktag hinaus verlängert werden, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt und durch besondere Regelungen sichergestellt wird, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird. Die Frist für den Widerruf beträgt sechs Monate. Nur bei Vorlage einer freiwilligen schriftlichen Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers ist eine Überschreitung der 48 Stunden/wöchentlich möglich. § 7 Abs. 9 Bei der Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit über 12 Stunden hinaus muss im unmittelbaren Anschluss an die Beendigung der Arbeitszeit eine Ruhezeit von mindestens 11 Stunden gewährt werden. § 15 Hier wird die Möglichkeit der Abweichung durch eine behördliche Genehmigung auf maximal 12 Stunden eingeräumt. § 15 Abs. 4 Es besteht eine Ausgleichspflicht auf 48 Stunden WAZ innerhalb von 6 Monaten bzw. 24 Kalenderwochen. § 16 Abs. 1 Es besteht die Verpflichtung des Arbeitgebers zum Führen eines Verzeichnisses der Arbeitnehmer, die in eine Verlängerung ohne Zeitausgleich eingewilligt haben. Das sind die Tarifverträge (TV): So viel weiß man zum Arbeits- und Gesundheitsschutz im Rettungsdienst DRK-TV alt (analog dazu DRK-Arbeitsbedingungen alt): Eine Arbeitszeitverlängerung in Stufen auf 45, 49 und 54 Stunden wöchentlich ist hier vorgesehen (§14 DRK), allerdings wegen EU-Recht und nationaler Rechtsprechung bei einer Verlängerung über 48 Stunden unwirksam. Überlange Schichten und Gefährdungen Lang andauernde Schichten und häufige Überstunden führen zu einer Erhöhung des Herzinfarktrisikos um den Faktor 7,3 ! TVöD: „Sonderregelung zu Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst und Leitstellen“: Eine Arbeitszeitverlängerung ist möglich auf 12 Stunden täglich (zzgl. 45 Min. Pause). Die Summe aus faktorisierten Bereitschaftszeiten und Vollarbeitszeit darf 38,5 Stunden nicht überschreiten, die Summe aus Vollarbeitszeiten und Bereitschaftszeiten darf 48 Stunden nicht überschreiten. DRK Reform-TV (analog dazu DRK-Arbeitsbedingungen neu): Eine Arbeitszeitverlängerung ist möglich auf 12 Stunden täglich und durchschnittlich 45 Stunden wöchentlich bei Arbeitsbereitschaft von mindestens 2 Stunden täglich, durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich bei Arbeitsbereitschaft von mindestens 3 Stunden täglich. Die Anwendung von § 7 Absatz 2 a ArbZG („Opt-Out“) ist ausdrücklich ausgeschlossen! Eine Kombination von Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst ist ausdrücklich ausgeschlossen! ver.di-Tarifverträge enthalten für den Bereich des Rettungsdienstes keine Regelungen, die eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit und der wöchentlichen Arbeitszeit über das sogenannte „opt-out“ (ArbzG § 7, Abs. 2a) ermöglichen! Diese gesundheitlichen Beschwerden kennen wir: Bei Wochenarbeitszeiten über 45 Stunden: ● 80 % klagen über Stress ● 32 % beklagen Nervosität ● 25 % leiden an psychischer Erschöpfung ● 18 % klagen über Magenschmerzen (ISO-Studie „Arbeitszeit ‘99“, 4000 Befragte) Arbeitszeit und Erholungsfähigkeit Dauer der wtl. Arbeitszeit > 40 h (37 %) 42–56 h (39 %) 60–100 h (24 %) Hohe psychische Belastungen 28% 55% 69% Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben 80% 56% 39% Erholungsfähigkeit 20% 37% 54% (BAuA-Studie zu Freelancer, 2000) In der Bundesrepublik wird selten das Rentenalter im aktiven Berufleben im Rettungsdienst erreicht. Deshalb haben wir im europäischen Vergleich einen geringen Altersdurchschnitt bei den Beschäftigten im Rettungsdienst. Ganz im Gegensatz zu Schweden und anderen skandinavischen Ländern. Das ist schließlich den Arbeitsbedingungen, also insbesondere den langen Arbeitszeiten bei uns, geschuldet.