Materialsammlung - Theater Marburg
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Materialsammlung - Theater Marburg
fünf Studien zu Theodor Fontanes "Effi Briest" von Max Liebermann (um 1926) Effi Briest Materialsammlung Spielzeit 2010/11 Inhalt1 1. Porträt: Theodor Fontane von Harald Rossa S. 2 2. Effi Briest S. 4 3. Figurenübersicht S. 5 3.a Charakteristiken S. 5 4. Aspekte aus der Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts 4.a Soziale Identitäten im deutschen Bürgertum des 19. Jahrhunderts von Denisza Szenczi S. 7 4.b Die bürgerliche Familie S. 11 5. Frauenbilder im 19. und 21. Jahrhundert 5.a Bürgerlicher Moralcodex und Frauenbild von Roger Stein S. 13 5.b Zur Stellung der Frau im 19. Jahrhundert von Inge Weber-Kellermann S. 16 5.c Zwangsheirat i. Zwangsheirat: Im Namen der Ehre von Constanze von Bullion S. 17 ii. Deutscher Bundesrat: Zwangsheirat künftig strafbar S. 18 6. "Es rauscht und rauscht immer, aber es ist kein richtiges Leben." Zur Topographie des Fremden in Fontanes „Effi Briest“ von M. Andermatt S. 19 7. Zweikampf S. 23 8. Biographie Theodor Fontanes S. 25 9. Verfilmungen von „Effi Briest“ S. 28 10. Sekundärliteratur / Weblinks S. 29 „Liebe kommt zuerst, aber gleich dahinter kommt [sic] Glanz und Ehre, und dann kommt Zerstreuung – ja Zerstreuung, immer was Neues, immer was, daß ich lachen oder weinen muß. Was ich nicht aushalten kann, ist Langeweile.“ 1 Einige der Quelltexte sind gekürzt wiedergeben. 1. Porträt: Theodor Fontane Der Autor war mehr als ein Heimatdichter der Mark Brandenburg Die Mark Brandenburg war sein Thema. Aber auch die Kriege seiner Zeit. Er schuf Gedichte, Novellen und Romane, die weit über Preußen hinaus bis heute Beachtung finden. Heinrich Theodor Fontane war gelernter Apotheker. Er wirkte als Journalist, Dichter und Schriftsteller. Vor allem Motive seiner Märkischen Heimat prägen sein Werk, und er gilt als der wichtigste Schriftsteller aus der Mark Brandenburg und, neben Friedrich Hebbel, Theodor Storm, Gottfried Keller und Adalbert Stifter, als bedeutender Vertreter des poetischen Realismus in Deutschland. Das Leben von Theodor Fontane Theodor Fontane wurde am 30. Dezember 1819 als Sohn des Apothekers Louis Henry Fontane in Neuruppin geboren. Die Vorfahren seines Vaters waren Hugenotten. Theodor Fontane lebte bis zu seinem 7. Lebensjahr in Neuruppin. Sein Vater musste seine Apotheken wegen Spielschulden verkaufen. Er erwarb dann in Swinemünde eine kleinere Apotheke. Von 1832 bis 1833 besuchte Theodor Fontane das Gymnasium in Neuruppin. Danach ging er an die Gewerbeschule in Berlin. Im Jahre 1836 brach er die Ausbildung an der Gewerbeschule ab und begann eine Ausbildung zum Apotheker. Nach Abschluss seiner Lehre trat Fontane im Herbst 1840 eine Stelle als Apothekergehilfe in Burg bei Magdeburg an. 1839 veröffentlichte er seine erste Novelle „Geschwisterliebe“, und es entstanden die ersten Gedichte. Nach einer schweren Erkrankung arbeitete er wieder als Gehilfe in Apotheken. Zunächst in Leipzig, danach in Dresden und dann in der väterlichen Apotheke in Letschin. Der Tunnel 1843 wurde er Mitglied des literarischen Vereins „Tunnel über der Spree“. Ab April 1844 bis zum März 1845 leistete er seinen Militärdienst. In dieser Zeit war er erstmals für 14 Tage in England. Im Laufe des Jahres 1845 ging er nach Berlin an die Polnische Apotheke. Am 8. Dezember 1845 verlobte er sich mit Emilie Rouanet-Kummer. Im März 1847 erhielt Fontane seine Approbation. Das bewegte Jahr 1848 sah Theodor Fontane als Revolutionär auf den Barrikaden. Er veröffentlichte relativ radikale Texte. Es folgte eine Anstellung im Krankenhaus Bethanien in Berlin-Kreuzberg. Seit September 1849 lebte Theodor Fontane als Freier Schriftsteller. Es veröffentlichte politische Texte in der Dresdner Zeitung und sein erstes Buch „Männer und Helden – Acht Preußenlieder.1850 heiratete er Emilie Rouanet-Kummer. Das Paar zog nach Berlin. Er fuhr im Juli 1850 nach Schleswig-Holstein, um in die Befreiungsarmee einzutreten und dem Kriegsschauplatz der Schleswig-Holsteinischen Erhebung zu erleben. Ab 1851 war er bei der „Centralstelle für Preßangelegenheiten“ angestellt und berichtete für diese aus London. Zunächst 1852 vorübergehend und ständig von 1855 bis 1859. Reiseliteratur Die Ablösung von Friedrich Wilhelm IV. durch die Regentschaft von Wilhelm I. brachte die Hoffnung auf liberalere Verhältnisse in Preußen mit sich. Fontane kehrte nach Berlin zurück. Er fand zunächst keine Anstellung und widmete sich nun der Reiseliteratur. Die erlebte in der Mitte des 19. Jahrhunderts einen regelrechten Boom, denn Reisen war teuer und nur für wenige real erschwinglich. Werke, die über Reisen in exotische Gegenden und über die dort lauernden Gefahren berichteten, fanden reichlich Zuspruch. In ersten Artikeln widmet sich Fontane seiner Heimatstadt Neuruppin. „Der Tempelgarten“ erscheint in der Neuen Preußischen Zeitung. Aus Reiseberichten, verbunden mit Geschichte und Geschichten, entstand 1861 das Werk „Grafschaft Ruppin“. Das war der Einstieg in seine Sammlung der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Zu diesem Werk gehören noch weitere drei Bände sowie ein zu Lebzeiten unveröffentlicht gebliebener Teil. Das Wanderungswerk bildet die Grundlage für das spätere epische Schaffen Fontanes. 1860 trat er in die Redaktion der „Neuen Preußischen Zeitung“ ein, die allgemein als „Kreuzzeitung“ betitelt wurde. Bis 1870 war er für diese Zeitung tätig. 1864 reiste Fontane nach Kopenhagen und Husum und berichtete von dort über den Deutsch-Dänischen Krieg. Im Herbst 1866 unternahm er Reisen zu den Schauplätzen des Krieges zwischen Preußen und Österreich. Ab 1870 arbeitete Fontane als Theaterkritiker. Im Deutsch-Französischen Krieg hat er den Kriegsschauplatz Paris besucht. Dort war er kurzzeitig unter Spionageverdacht in Haft. Zwischen 1874 und 1876 reiste Theodor Fontane mit seiner Frau nach Österreich, Italien und in die Schweiz. Danach gab er seine Tätigkeit für Zeitungen auf. Er wollte wieder als freier Schriftsteller leben. Bis 1892 entstanden viele Werke. Dann ereilte ihn ein Gehirnschlag. Auf Rat seiner Ärzte schrieb er seine Kindheitserinnerungen auf und erholte sich. Weitere Romane, darunter „Effi Briest“ und das autobiographische Werk „Von Zwanzig bis Dreißig“ konnte er noch verfassen. 1894 wird ihm die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität verliehen. Theodor Fontane starb am 20. September 1898 in Berlin. Er wurde auf dem Friedhof der Französischen Gemeinde zu Berlin beigesetzt. 10.04.2008 Harald Rossa Quelle: http://romantik-biedermeier-poetischer-realismus.suite101.de/article.cfm/das_leben_von_theodor_fontane 2. Effi Briest Noch als junges Mädchen wechselt Effi Briest durch eine Hochzeit mit dem Landrat Geert von Instetten in gehobene gesellschaftliche Kreise. Aus dem lebendigen Kind wird schnell eine lebenshungrige Frau. Sie hasst Langeweile, sucht Abwechslung, die sie nicht bei ihrem karrierebewussten Ehemann finden kann und beginnt eine Affäre mit Major von Crampas, einem Freund ihres Mannes. Jahre später kommt diese Beziehung ans Licht, fordert Konsequenzen und lässt Effi zum Opfer der Konventionen werden. Dass Effi schließlich den Tod findet, fungierte zu Zeiten des Autors gleichsam als Anklage gegen die Gesellschaft, während Else von Ardenne, die Fontane als historische Vorlage diente, nach der Scheidung ihr Leben selbst in die Hand genommen hat und erst im hohen Alter verstarb. 3. Figurenübersicht: 3.a Charakteristiken: Effi verlebt bis zu ihrem siebzehnten Lebensjahr eine glückliche und behütete Kindheit in Hohen-Cremmen. Als der um 20 Jahre älteren Baron Geert von Instetten um ihre Hand anhält, willigt sie auf Anraten der Eltern ein. Bald schon erlebt sie, dass die Ehe mit Instetten und die neue Umgebung in Kessin 2 ihr unerwartete Einschränkungen abverlangt: „Es brach über sie herein, und sie fühlte, dass sie wie eine Gefangene sei und nicht mehr heraus könne. Sie litt schwer darunter und wollte sich befreien. Aber wiewohl sie starker Empfindungen fähig war, so war sie doch keine starke Natur.“3 In einem Brief an ihre Eltern tritt das Gefühl von Einsamkeit unvermittelt zu Tage: „[I]ch fühle mich doch ein wenig einsam und bangte nach Euch. [I]ch kann das Gefühl des Alleinseins nicht ganz loswerden. [D]enn das Haus, das wir bewohnen, ist…ist ein Spukhaus […] er wäre außer sich, wenn er erführe, dass ich Dir das geschrieben.“4 Sie fühlt sich von Instetten alleingelassen, „[…]..., weil ihr, wenn auch unklar, dabei zum Bewusstsein kam, was ihr in ihrer Ehe eigentlich fehlt: Huldigungen, Anregungen, kleine Aufmerksamkeiten. Instetten war lieb und gut, aber ein Liebhaber war er nicht.“ 5 Ein solcher Courmacher begegnet ihr in dem verheirateten Bezirkskommandanten von Crampas, den sie nach ihrer Rückkehr kennenlernt. Bald treffen sie sich heimlich und Effi erlebt mit ihm die lang ersehnte Zerstreuung. Das Lügen und Vertuschen aber bleiben ihr zuwider, sie belasten sie mehr als der Ehebruch selbst. Als Instetten schließlich nach Berlin versetzt wird, reagiert Effi überglücklich. Sie erkennt darin ihre Möglichkeit, sich von Crampas zu lösen. Es folgen Jahre der Ruhe und Harmonie zwischen Effi und Instetten, Annie wächst heran und es gelingt Effi nahezu, Crampas zu vergessen. Bis seine Briefe auftauchen, Instetten die Scheidung verlangt und das Kind zugesprochen bekommt. So bleibt ihr nur Roswitha, ihre treue Dienerin, erhalten. Einmal gelingt es ihr, durch ein Schreiben an die Frau des Ministers ihre Tochter zu sehen, das Treffen endet jedoch in einem Fiasko: „[D]as, das ist zuviel! Denn das hier, mit dem Kind, dass bist nicht du, Gott, der mich strafen will, das ist er, bloß er! […] ´O gewiss, wenn ich darf. ´ Du brauchst nicht zu dürfen; ich will euch nicht mehr, ich hass´ euch, auch mein eigen Kind. Was zu viel ist, ist zu viel!“ 6 Infolgedessen verschlechtert sich ihr gesundheitlicher Zustand. Veranlasst durch den Doktor, der an ihre Eltern appelliert, kehrt sie nach Hohen-Cremmen zurück. Ihr bleiben einige unbeschwerte Monate bevor sie schließlich verstirbt. Baron Geert von Instetten, in seiner Heimat Kessin ein angesehener Mann von hohem Rang (Landrat) mit einer Vorliebe für Wagner 7, verband in seiner Jugend eine tiefe Zuneigung mit Effis Mutter Luise. Fontane deutet an, dass die Verehrung nicht einseitig blieb. Jahre später kehrt er zurück und hält um die Hand ihrer Tochter Effi an, die Verbindung wird geschlossen. Nach der Hochzeit zieht das Paar nach Kessin. Bald schon tritt Instettens Arbeit in den Vordergrund und ihm entgeht, dass Effi unter Einsamkeit leidet und seine zärtliche Zuwendung vermisst: „[…] Nur einen Kuss könntest du mir geben. Aber daran denkst du nicht. Auf dem ganzen weiten Weg nicht gerührt, frostig wie ein Schneemann. […]“. Darauf Instetten: „Lass, ich werde mich schon bessern […]“ 8 Effis Albträumen begegnet Instetten indes geradeheraus, indem er sie gemahnt: „ich bin ein Mann im Dienst, ich kann zum Fürsten oder auch zur Fürstin nicht sagen: Durchlaucht, ich kann nicht kommen, meine Frau ist so allein, oder meine Frau fürchtet sich. Wenn ich das sagte, würden wir in einem ziemlich komischen Licht dastehen.“9 [es folgen: Theaterspiel, Effis Verbindung mit Crampas] Schließlich erhält Instetten eine 2 3 4 5 6 7 8 9 Kessiner Kreise: Vermutlich nach dem kleinen Ort Kessin südlich von Rostock benannt, der sich in manchen Details mit Fontanes Erinnerungen an Swinemünde deckt, wo er von 1827 bis 1832 seine Kindheit verbrachte. Vgl. Fontane, Wort- und Sacherläuterungen, S. 385. Fontane, Theodor; Effi Briest. Wien 1951, Gildenbibliothek der Weltliteratur, S.173. ebd., S.100 f. ebd., S.104. ebd., S. 281 f. „Zuletzt sprach er [Instetten] von den Wahlen, und daß es ein Glück sei, einem Kreis vorzustehen, in dem es noch Respekt gäbe. War er damit durch, so bat er Effi, daß sie was spiele, aus Lohengrin oder aus der Walküre, denn er war ein Wagnerschwärmer. Was ihn zu diesem hinübergeführt hatte, war ungewiß; einige sagten, seine Nerven, denn so nüchtern er schien, eigentlich war er nervös; andere schoben es auf Wagners Stellung zur Judenfrage.“ (Fontane, Effi Briest, 13. Kapitel) Weiß, Bühnenfassung, S. 10. Weiß, Bühnenfassung, S. 12. Und Effi beklagt sich während eines Streites mit Instetten: „[…] Aber du sagst mir bloß, dass du nicht Lust hättest, dich lächerlich zu machen, nicht vor dem Fürsten und auch nicht vor der Stadt. Das ist ein geringer Trost. Ich finde es wenig, und umso weniger, als du dir schließlich auch noch widersprichst und nicht bloß persönlich an diese Dinge zu glauben scheinst, sondern auch noch einen adligen Spukstolz von mir forderst.“ (S. 11) Anstellung als Ministerialrat und das Paar siedelt nach Berlin über. Als Effi für einige Zeit auf einer Kur weilt, fallen Instetten zufällig Crampas’ alte Briefe an Effi in die Hände. Instetten, „unglücklich [...] und unendlich gekränkt, schändlich hintergangen“10, fordert Crampas zum Duell: „Weil es trotzdem sein muß. Ich habe es mir hin und her überlegt. Man ist nicht bloß ein einzelner Mensch, man gehört einem Ganzen an, und auf das Ganze haben wir beständig Rücksicht zu nehmen, wir sind durchaus abhängig von ihm. [...] Also noch einmal, nichts von Haß oder dergleichen, und um eines Glückes willen, das mir genommen wurde, mag ich nicht Blut an den Händen haben; aber jenes, wenn sie wollen, uns tyrannisierende Gesellschafts-Etwas, das fragt nicht nach Charme und nicht nach Liebe und nicht nach Verjährung. Ich habe keine Wahl.“ 11 Crampas stirbt, Instetten lässt sich von seiner Frau scheiden und bekommt die gemeinsame Tochter Annie zugesprochen. „[Er] fuhr [...] über seine Stirn und empfand schmerzlich, dass es ein Glück gebe, dass er es gehabt, aber dass er es nicht mehr habe und nicht mehr haben könne. […] Es quält mich seit Jahr und Tag schon, und ich möchte aus dieser ganzen Geschichte heraus; nichts gefällt mir mehr; je mehr man mich auszeichnet, je mehr fühle ich, dass dies alles nichts ist. Mein Leben ist verpfuscht, […].“ 12 Effis Eltern, Luise und Briest genannt, umsorgen Effi mit elterlicher Liebe. Als sie jedoch vom Ehebruch ihrer Tochter unterrichtet werden, stellen sie die gesellschaftlichen Konventionen über ihre Liebe zu Effi, wie aus Luises Brief hervorgeht: „[…] Und das traurigste für uns und für Dich – auch das elterliche Haus wird Dir verschlossen sein; wir können Dir keinen stillen Platz in Hohen-Cremmen anbieten, keine Zuflucht in unserem Hause, denn es hieße das, dies Haus von aller Welt abschließen, und das zu tun sind wir entschieden nicht geneigt.[…]“13 Erst der Appell des Doktors an Effis Eltern erwirkt, dass Briest die Konventionen zurückweist: „Ach Luise, […] komme mir nicht mit ´Gesellschaft´ […] Ich werde ganz einfach telegraphieren: ´Effi, komm`.“ 14 Darauf, dass sich ihr Leben ändern wird, wenn Briest seinen Entschluss geltend macht, erwidert er kurz entschlossen: „Ich kann´s aushalten. […] Und der Rotwein schmeckt mir noch. Und wenn ich das Kind erst wieder im Hause habe, dann schmeckt er mir noch besser… und nun will ich das Telegramm schicken.“ 15 Eine kritische Haltung stellt sich schließlich auch bei Luise ein, nachdem die Tochter verstorben ist: „Ob wir nicht doch vielleicht schuld sind? […] Ob wir sie nicht anders in Zucht hätten nehmen müssen? Gerade wir. […] Und dann, Briest, so leid es mir tut…deine beständigen Zweideutigkeiten … und zuletzt, womit ich mich selbst anklage, denn ich will nicht schuldlos ausgehen in dieser Sache, ob sie nicht doch vielleicht zu jung war?“ 16 Major Crampas, ehemaliger Kamerad Instettens, wird neuer Bezirkskommandant in Kessin, als Effi aus Hohen-Cremmen zurückkehrt. Der schneidige Offizier gilt als ‚Damenmann’, der, obgleich verheiratet, anderen Frauen nachstellt. Trotz ihrer Bemühungen und Widerstände lässt sich Effi schließlich auf eine Verbindung ein. Als er von Instetten zum Duell gefordert wird, ringt er für einen kurzen Moment um Beherrschung, begegnet dann aber unumwunden seinem Schicksal: „[Er] wurde totenblass und rang nach Fassung, und um seine Mundwinkel sah ich ein Zittern. Aber all das dauerte nur einen Augenblick, dann hatte er sich wieder gefasst, und von da ab war alles an ihm wehmütige Resignation.“ 17 Als er im Duell stürzt, scheint es, als wolle er sich zuletzt mit Instetten versöhnen. Noch bevor er um Verzeihung bitten kann, ereilt ihn der Tod. 10 11 12 13 14 15 16 17 Fontane: Effi Briest, Suhrkamp, S. 269. Fontane, Effi Briest, Suhrkamp, S. 270 f. Fontane: Effi Briest, Suhrkamp, S. 328 f. Fontane, Gildenbibliothek der Weltliteratur, S. 261. ebd., S. 284. ebd., S. 284. ebd., S. 303. ebd., S. 245. Roswitha, eine katholische Haushälterin, begegnet Effi erstmalig, als die junge Frau während ihrer Schwanger-schaft einen Spaziergang über den Kessiner Friedhof unternimmt: „Effi erkannte sie sofort wieder und war in ihrem Herzen bewegt, die gute, treue Person“. 18 Roswitha fürchtet nun, nach dem Tod ihrer ehemaligen Dienstherrin, keine Anstellung zu finden. Durch Effi schöpft sie Hoffnung. Und als Rollo, der Hund Effis, ihr seinen Kopf auf die Knie legt, gerät sie regelrecht in Aufruhr: „Gott, das bedeutet mir was. Das ist ja ’ne Kreatur, die mich leiden kann, die mich freundlich ansieht und ihren Kopf auf meine Knie legt. Gott, das ist lange her, daß ich so was gehabt habe.“19 Effi, die eine aufrichtige Zuneigung für Roswitha empfindet, nimmt sie als Kindermädchen bei sich auf und Roswitha erweist sich im Hause Instettens als treue Dienerin, die „dem Herzen Effis [...] ganz so nahe stand [...] die ganz selbstsuchtslose und unendlich gutmütige Roswitha [...]“ 20 und der jungen Frau auch nach der Scheidung ohne Zögern zur Seite steht. Marietta Tripelli, Anfang der Dreißig, […] hatte bis zu dem Momente der Vorstellung den Sofaehrenplatz innegehabt. Nach der Vorstellung aber sagte sie, während sie auf einen in der Nähe stehenden Stuhl mit hoher Lehne zuschritt: »Ich bitte Sie nunmehro, gnäd'ge Frau, die Bürden und Fährlichkeiten Ihres Amtes auf sich nehmen zu wollen. Denn von 'Fährlichkeiten'« – und sie wies auf das Sofa – »wird sich in diesem Falle wohl sprechen lassen. [...] Dieses Sofa nämlich, dessen Geburt um wenigstens fünfzig Jahre zurückliegt, ist noch nach einem altmodischen Versenkungsprinzip gebaut, und wer sich ihm anvertraut, ohne vorher einen Kissenturm untergeschoben zu haben, sinkt ins Bodenlose, jedenfalls aber gerade tief genug, um die Knie wie ein Monument aufragen zu lassen.« All dies wurde seitens der Trippelli mit ebensoviel Bonhomie wie Sicherheit hingesprochen, in einem Ton, der ausdrücken sollte: »Du bist die Baronin Innstetten, ich bin die Trippelli.« [...] Daß Marietta Lieder von anfechtbarem Inhalt wählen würde, war nicht anzunehmen, und selbst wenn dies sein sollte, so war ihre Vortragskunst so groß, daß der Inhalt dadurch geadelt wurde. [...] »Ich bin«, fuhr die Trippelli fort, »aus einer sehr aufgeklärten Familie (bloß mit Mutter war es immer nicht so recht), und doch sagte mir mein Vater, als das mit dem Psychographen aufkam: 'Höre, Marie, das ist was.' Und er hat Recht gehabt, es ist auch was damit. Überhaupt, man ist links und rechts umlauert, hinten und vorn. Sie [an Effi gerichtet] werden das noch kennenlernen.«21 18 19 20 21 Fontane: Effi Briest, Suhrkamp, S. 127. Fontane: Effi Briest, Suhrkamp, S. 129. Fontane: Effi Briest, Suhrkamp, S. 236. Fontane, Effi Briest, Elftes Kapitel. 4. Aspekte aus der Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts 4.a Soziale Identitäten im deutschen Bürgertum des 19. Jahrhunderts von Denisza Szenczi [...] Was ist Bürgertum und wer kann als Bürger bezeichnet werden? Laut Lexikon ist ein Bürger jemand, der zu einer gehobenen Schicht der Gesellschaft gehört, aber nicht adelig ist. Am Anfang des 19. Jahrhunderts gab es, begünstigt durch Aufklärung und industrielle Revolution, einen gesellschaftlichen Wandel, einen Übergang von der adeligen Feudalgesellschaft zu einer marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft. Die Privilegien des Adels wurden abgeschafft, seit 1807 war es auch Bauern und Bürgern möglich, eigenen Grundbesitz zu erwerben. Das Bürgertum begann sich zu emanzipieren und wollte seinen Einflussbereich erweitern. Die bürgerliche Gesellschaft verstand sich als eine auf den Prinzipien persönlicher Freiheit und formaler Gleichheit beruhende Leistungsgesellschaft. Wir sprechen im Zusammenhang mit Bürgertum oft von Besitz- und Bildungsbürgertum. Besitzbürger waren solche, die in der Wirtschaft tätig waren (v. a. im Bereich der Konsumgüterproduktion), Unternehmen gründeten, Geschäfte leiteten. Sie verfügten über das Kapital, das ihnen gesellschaftliches Ansehen schuf. Zum Bildungsbürgertum gehörten dagegen höhere Beamte, Hochschul- und Gymnasiallehrer, Richter, Ärzte, Rechtsanwälte, aber auch Künstler und Schriftsteller. Sie standen zunächst dem kapitalistischem Lebensstil kritisch gegenüber, waren aber hilflos gegen ihn. Adelige hatten weiterhin Schlüsselpositionen in Militär und Politik. Politischer Aufstieg war demzufolge dem besitzenden und gebildeten Bürger nur möglich, indem er sich an der adligen Lebensweise orientierte. Einheirat in arme Adelsfamilien war [...] ein bewährtes Mittel, um in die elitäre Adelsschicht zu gelangen. Die bürgerliche Gesellschaft hatte [...] aktive, gebildete Bürger hervorzubringen, deren Tätigkeiten die Macht des Staates im Bereich der Wirtschaft verstärkten. Die bürgerliche Klasse war im 19. Jahrhundert "in weiten Bereichen von Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur prägend und federführend."(1) Für das Bürgertum ist noch eines charakteristisch, das es von anderen sozialen Klassen unterschied: die ausgeprägte Differenz zwischen Frauen und Männern, zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit.(2) Die Geschlechtertrennung lag v. a. im wirtschaftlichen Bereich (bürgerlichen Frauen war es meistens versagt, für ihren Lebensunterhalt selbst tätig zu sein), denn Frauen waren von der Arbeitswelt grundsätzlich ausgeschlossen, und damit wurde auch ihre ökonomische Abhängigkeit vom Mann festgeschrieben. Frevert hat darauf hingewiesen, dass "die durch die Arbeitsverhältnisse bedingte Distanz der Geschlechter und ihre Zuständigkeit für grundlegend verschiedene Aufgaben materieller bzw. sozialer Reproduktion [...] zur Ausbildung stabiler, relativ starr fixierter Geschlechteridentitäten führten"(3) führten. Für das Bürgertum ist [zudem] die Trennung von Familie und Öffentlichkeit charakteristisch, die als Voraussetzung für die Stabilität der bürgerlichen Gesellschaft betrachtet wurde. [Bei] Öffentlichkeit ist in erster Linie an Politik zu denken, denn das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert einer tiefgreifenden Politisierung. Die politischen Reformen des frühen 19. Jahrhunderts führten dazu, dass Politik nicht mehr Angelegenheit des Adels war, der Staatsbürger konnte an den öffentlichen Angelegenheiten teilnehmen. Die Öffnung des politischen Raums ging einher mit sozialer Bedeutungssteigerung. Im Verlauf der Demokratisierung erhielten immer größere Gruppen der Bevölkerung politische Rechte, nicht aber Frauen. Je mehr die öffentliche Sphäre an Bedeutung gewann, desto mehr wurden Frauen auf den privaten Bereich verwiesen. Das war auch der entscheidende Faktor, der zur Herausbildung zweier grundsätzlich verschiedener Geschlechteridentitäten führte. Worin bestand also die männliche Identität? Bürgerliche Männer widmeten sich vor allem ihren Geschäften. Sie waren als Hausväter das Haupt der häuslichen Gemeinschaft (dies war auch im Allgemeinen Landrecht für preußische Staaten festgehalten). Das bürgerliche Pflicht- und Arbeitsethos entfernte viele Männer von ihrer Familie. Ein arbeitsames Leben führten aber nicht nur Kaufleute, Bankiers und Industrielle, sondern war auch in bildungsbürgerlichen Kreisen üblich.(4) Neben dem Beruf gab es für bürgerliche Männer auch vielseitige öffentlich-politische Ehren-Ämter, die sie bekleideten. Außerdem spielten bestimmte männliche Geselligkeitsformen eine wichtige Rolle, wie z.B. Clubs und verschiedene Vereine.(5) Von diesen waren Frauen selbstverständlich ausgeschlossen, und sie trugen [überdies] dazu bei, dass Männer [zunehmend] wenig[er] Zeit im Familienkreis verbrachten. Die Identität der Männer wurde also durch die Arbeit bestimmt, die sie für das eigene wie für das Wohl der Gemeinschaft verrichteten. [...] Es gibt Belege dafür, dass Männer die Defizite der "Männerwelt" durchaus gekannt haben. Sie drückten in Briefen und Tagebucheintragungen ihr Unbehagen an der bürgerlich-männlichen Existenz aus. Sie waren sich der Einseitigkeit ihrer Daseinsweise bewusst und projizierten auf Frauen, wonach sie sich sehnten.(6) Frauen gehörten einer anderen Welt an als Männer: der Welt der Liebe und Familie, der Welt der Kultur.(7) Die Frauen des gebildeten und wohlhabenden Bürgertums hatten mit den Geschäften und Beschäftigungen ihrer Ehemänner [im Wesentlichen] nicht[s] zu tun. Sie [übernahmen] andere Aufgaben: [S]ie sollten ihren Haushalt reibungslos organisieren, die Kinder standesgemäß erziehen und ihre Gatten in der Öffentlichkeit elegant repräsentieren.(8) Frauen stellten ein anderes Lebensprinzip dar, weshalb sie auch anders erzogen und gebildet werden sollten als Männer.(9) Gerade weil Frauen mit Politik nicht in Berührung kamen, konnten sie sich der Kultur zuwenden, wie Frevert betont: "Indem sie [die Frauen] von der männlichen Sphäre des Erwerbs und der Politik ferngehalten wurden, waren sie nicht nur frei von den Beschränkungen dieser Sphäre, sondern auch frei für allgemein-menschliche Interessen und universelle Bildung."(10) Bei der Erziehung der Mädchen legte man tatsächlich großen Wert auf die Vermittlung solcher Fähigkeiten: die Bildung umfasste musikalische Kenntnisse, literarische Belesenheit, gute Manieren, jedoch keine Fachausbildung, die Mädchen weiterhin verwehrt blieb. Gefühlswärme und Naivität waren die Eigenschaften, die Männer in erster Linie von ihren Frauen erwarteten. Man muss [indes] hinzufügen, dass mit wachsendem Wohlstand und steigender Urbanisation auch andere Erwartungen an Bedeutung gewannen: z.B. waren kommunikative Fähigkeiten, umfassende Bildung, ästhetischer Geschmack statt schlichter und wenig geistreicher Persönlichkeit gefragt.(11) Viele Frauen der höheren Schichten des Bürgertums waren sogar Mittelpunkt kulturell-geselliger Zirkel (literarischer Salons etc.). Obwohl Frauen v. a. in der privaten Sphäre tätig waren, trifft man sie immer wieder auch bei karitativen Tätigkeiten (außerdem war dies die einzige akzeptierte Form öffentlicher Tätigkeit für sie). Sie unterstützten arme Familien, gründeten Heime u.a. für Kranke, alleinstehende Mütter und versorgten arme Leute mit Speisen[, indem sie] als Hausfrauen [häufig] mit Frauen aus dem Volke in Berührung [kamen]: mit Dienstmädchen, Ammen, Wäscherinnen.(12) Da Frauen der Arbeitswelt ferngehalten wurden, fehlte es ihnen an Selbstbewusstsein, das im Bürgertum durch Betonung persönlicher Leistungen und Verdienste gewonnen wurde, und sie konnten daher keine den Männern analoge soziale Identität ausbilden.(13) Sexualität und Ehe in der bürgerlichen Gesellschaft Dass man Sexualität zuerst mit Frauen verknüpft, ist ein charakteristisches Merkmal bürgerlichen Denkens. Da die Bindung der Frau an Haushalt und Familie (an den privaten Bereich also) immer wieder mit deren Geschlechtscharakter erklärt wurde, erscheint es [...] wichtig, einiges über Sexualität und die Wichtigkeit der Ehe im bürgerlichen Zeitalter zu sagen. Schon im 18. Jhd. begann sich eine neue Form des Denkens über Sexualität herauszubilden. Sexualität wurde allmählich ein isolierter Bereich, während sie früher in ein Gesamtgefüge des menschlichen Lebens eingebettet war. Sexualität wurde einem höheren Zweck unterordnet, nämlich der Zeugung von Kindern. Die heterosexuelle Aktivität gehörte im 19. Jhd. zwar der Privatsphäre an, aus der sich der Staat langsam zurückzog, doch [sei] hinzugefügt, dass die Bürger selbst die Verhaltensnormen wählten, die dem Staat zugutekamen. In Deutschland dachten v. a. Pädagogen, ausgehend von Rousseaus Ideen, über Sexualität nach. Rousseau definierte die Pflichten der Frauen und betonte ihre Männerbezogenheit. Nach seinen Ansichten war es notwendig, weibliche Sexualität zu kontrollieren, was bedeutete, Frauen politisch und sozial zu unterwerfen. Sexualität wurde auch benutzt, die bestehenden Gesellschaftsordnungen zu erklären. Sexualität wurde also nicht nur geschlechtsspezifisch konstruiert, sondern sie war selbst – wie es Harnisch, auf Foucault hinweisend, schreibt – ein soziokulturelles Konstrukt.(14) Man betrachtete Frauen als asexuell und verband mit ihnen Tugend, Moral und Sauberkeit sowie die Ideologie von Mutterschaft. Außerdem sollten Frauen männliche Sexualität "in die Grenzen bürgerlicher Anständigkeit zwingen."(15) Männliche sexuelle Begierde wurde dagegen als natürlich betrachtet. Die Mediziner stimmten seit dem 19. Jhd. darin überein, dass "weibliche Sexualität passiv ist im Gegensatz zu der aktiven des Mannes, dass der weibliche Sexualtrieb schwächer ist als der des Mannes."(16) Harnisch weist auch darauf hin, dass weibliche Sexualität im Sinne von Triebhaftigkeit auf nicht-bürgerliche Frauen der unteren sozialen Schichten verschoben wurde: "Die Asexualität der bürgerlichen Frau [...] stand nicht allein im Kontrast mit der Prostituierten, sondern mit allen Frauen der unteren Schichten, die der bürgerlichen Ideologie von Respektabilität nicht entsprachen."(17) Mit der auffallenden Ehe- und Familienzentrierung dieser Epoche hat sich die historische Forschung zwar seit langem auseinandergesetzt, aber bis heute keine eindeutige Antwort gefunden. Eines ist sicher: Familie und Ehe bildeten die Grundpfeiler dieser Gesellschaft. Die Familie war die zentrale Institution der bürgerlichen Gesellschaft, hier war auch die Ungleichheit der Geschlechter begründet. Die Ehe war das rechtliche Mittel zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, ihre Aufgabe war es, den Verführungen des Fleisches entgegenzuwirken.(18) Sexuelle Beziehungen und Mutterschaft wurden daher nur in der Ehe sanktioniert, außerhalb der Ehe aber geächtet und unter bestimmten Bedingungen sogar unter Strafe gestellt. Das Haupt in der Ehe und somit auch in der Familie war der Mann. Er erwirtschaftete den Lebensunterhalt, hatte die alleinige Verfügungsgewalt über das Familienvermögen, er entschied über die Ausbildung der Kinder, hatte mithin fast absolute Macht in der Familie. Die Frau dagegen war in der Ehe untergeordnet. [Ebenso häufig] kam [es] vor, dass Ehen nicht auf gegenseitiger Liebe beruhten, sondern der finanziellen Absicherung der bürgerlichen Frau dienten. Bemerkenswert ist [überdies] der große Altersunterschied zwischen den Eheleuten, was damals keine Besonderheit war. Im Gegenteil: "in einer wohlangesehenen Ehe hatte der Mann bedeutend älter zu sein als seine Frau."(19) [E]inige Bemerkungen zur Erziehung und Vorbereitung von Mädchen auf die Heirat: Da Körperlichkeit und Sinnlichkeit Tabu waren, wurden die Mädchen in sexuellen Fragen sehr oft im Unklaren gelassen. Sie hatten dann märchenhafte Vorstellungen von Liebe und Ehe, die sie v. a. aus ihren Lektüren ableiteten. Die Folge: ´[S]ie waren oft enttäuscht, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie keine Möglichkeit zum Vergleichen hatten. Ihr Heiratskapital lag doch in ihrer "Tugendhaftigkeit" (d.h. Jungfräulichkeit), die durch einen vorehelichen Geschlechtsverkehr unwiederbringlich verspielt wurde.(20) Wie das Hausen ausdrückt: "ihre Sehnsucht sollte sich in dem einen und einzigen Ehemann erfüllen oder auch nicht."(21) Junge Männer dagegen durften Erfahrungen sammeln und behielten dennoch gute Heiratschancen. [So] dass Frauen auch in diesem Punkte benachteiligt waren. [...] [A]uch die Ehre war geschlechtsspezifisch konstruiert. Es gab [...] männliche und weibliche Ehre. Frevert hebt hervor, dass die ehemalige Auffassung von Ehre dem heutigen Menschen fremd erscheinen mag. [...] (23) Frevert ist [...] der Meinung, dass die Art und Weise, wie "die bürgerliche Gesellschaft jener Zeit mit der Geschlechterfrage umging, wie sie die Differenz [...] zwischen Weiblichem und Männlichem dachte, prägte und begründete, [...] auch und gerade auf dem 'Feld der Ehre' entschieden worden"(24) ist. Worin bestand also die Ehre des Einzelnen? Ehre war in erster Linie ein soziales Konstrukt und keine persönliche Eigenschaft.(25) Sie hing einerseits davon ab, welcher Klasse und andererseits (uzw. im zunehmenden Maße) welchem Geschlecht man angehörte. "Die Ehre einer Frau, so die allgemeine Ansicht, beruhte auf ihrer 'geschlechtlichen Integrität', auf ihrem Verzicht auf vor- und außereheliche sexuelle Beziehungen. Die Ehre eines Mannes dagegen schöpfte aus anderen Quellen: aus seinen beruflichen Erfolgen und Leistungen, aus seiner Rolle als ein mit politischen Rechten ausgezeichneter Hausvater und Staatsbürger."(26) Es war also die breite Vorstellung, dass Frauen keine eigene Ehre hätten, weil sie nicht anerkannte (d.h. mit politischen Rechten versehene) Mitglieder der Gesellschaft waren. Sie hatten lediglich Teil an der Ehre ihrer Ehemänner bzw. Väter. Das war ein zentrales Element weiblicher Identität und beeinflusste [...] stark das Selbstbild der Frauen. Zieht man noch in Betracht, dass eine Frau die Ehrenkränkungen, die ihrem Mann galten, nicht auf sich beziehen durfte, während der Mann durch eine seiner Frau zugefügte Ehrverletzung sich beleidigt fühlen durfte(27), so ist leichter zu verstehen, welche entmündigte Position die Frauen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft einnahmen. [...] ANMERKUNGEN: (1) Frevert, Ute: "Mann und Weib, und Weib und Mann". Geschlechter-Differenzen in der Moderne, München: Beck, 1995, (Beck`sche Reihe Bd.1100) S. 135./(2) Vgl. ebd., S. 140 f./(3) ebd., S. 140. (4) Vgl. ebd., S. 147./ (5) Vgl. ebd., S. 162./(6) Vgl. ebd., S. 154./(7) Vgl. ebd., S. 157./(8) Vgl. ebd., S. 150./(9) Vgl. ebd., S. 157./(10) ebd., S. 149./ (11) Vgl., ebd., S. 158./(12) Vgl. ebd., S. 163 f./(13) Vgl. ebd., S. 165./(14) Vgl.: Harnisch, Antje: Keller, Raabe, Fontane. Geschlecht, Sexualität und Familie im bürgerlichen Realismus , Frankfurt/Main u.a.: Peter Lang 1994, (Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Bd.46), S. 10. 15) ebd., S. 12./(16) ebd., S. 13./(17) ebd., S. 14./(18) Vgl.: Müller-Seidel, Walter: Theodor Fontane. Soziale Romankunst in Deutschland , Stuttgart: Metzler 1975, S. 332./(19) Hausen, Karin: "»...eine Ulme für das schwanke Efeu«". Ehepaare im deutschen Bildungsbürgertum. Ideale und Wirklichkeiten im späten 18. und 19. Jhd. In: Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jhd ., 12 Beiträge, Göttingen: V&R 1988 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Bd.77), S. 96./(20) Vgl. ebd., S. 98 f./(21) ebd., S. 99./(23) Vgl. ebd., S. 167./(24) ebd., S. 168./(25) Vgl. ebd., S. 188./(26) ebd., S. 188./(27) Vgl. ebd., S. 193. LITERATUR: 1. Frevert, Ute: "Mann und Weib, und Weib und Mann". Geschlechter-Differenzen in der Moderne, München: Beck, 1995, (Beck`sche Reihe Bd.1100) S. 135./ 2. Harnisch, Antje: Keller, Raabe, Fontane. Geschlecht, Sexualität und Familie im bürgerlichen Realismus , Frankfurt/Main u.a.: Peter Lang 1994, (Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Bd.46), S. 10./ 3. Hausen, Karin: "»...eine Ulme für das schwanke Efeu«". Ehepaare im deutschen Bildungsbürgertum. Ideale und Wirklichkeiten im späten 18. und 19. Jhd., In: Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jhd ., 12 Beiträge, Göttingen: V&R 1988 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Bd.77)./ 4. Müller-Seidel, Walter: Theodor Fontane. Soziale Romankunst in Deutschland, Stuttgart: Metzler 1975. Quelle: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_13/szenczi15.htm (gekürzte Fassung) 4.b Die bürgerliche Familie Im 18. Jahrhundert begann sich das städtische Bürgertum als eigene soziale Klasse zu etablieren. Dieser Schicht wurden nicht nur Kaufleute, Bankiers und kapitalistische Unternehmer zugerechnet, sondern auch Beamte, Lehrer, Richter und Künstler. Obwohl sie eine recht heterogene Gruppe bildeten hatten sie eines gemeinsam: Sie trennten ihren Wohn- und Lebensbereich von ihrem Arbeitsplatz ab. Diese Trennung von Privatsphäre und Arbeitswelt (mit all ihren mittelbaren und unmittelbaren Folgeerscheinungen) ist der wesentlichste Schritt zur „Überwindung“ des bäuerlichen Familienmodells. Der zweite Schritt (der aber nur vor dem Hintergrund des ersten möglich ist) ist die weitgehende Ausgrenzung der Frauen von der Erwerbsarbeit. Die Gemeinschaft des „ganzen Hauses“ war jetzt nur mehr in Teilen der Gesellschaft von Bedeutung, und es zeigte sich, daß man nach einer neuen Definition des Familienbegriffes suchen mußte. Sieder verweist auf das Allgemeine Preußische Landrecht, das zwar Eltern und Kinder als „eigentliche häusliche Gemeinschaft“ bezeichnet, gleichzeitig jedoch betont, daß auch das Gesinde mit zur „häuslichen Gesellschaft“ gezählt werden müsse. Hier begann sich also bereits eine Trennung der Hausgemeinschaft in „Familie“ und „familienfremde Personen“ abzuzeichnen. [Das] Bürgertum [leitet] seine Privilegien weder aus Vorrechten der Geburt (wie der Adel) noch aus solchen des ererbten Besitzes (wie die Bauernschaft), sondern aus wirtschaftlichen und intellektuellen Leistungen ab. Das führte bald zu einer selbstbewußten Abgrenzung zu anderen Ständen. Zwar neigte das „Stadtpatriziat“ dazu den Lebensstil des Adels nachzuahmen, doch das mittlere Bürgertum kreierte einen eigenen Lebensstil, der sich nicht nur aus ökonomischen Notwendigkeiten ergab, sonder auch von ideologischen und asketisch-religiösen Bewegungen gestützt wurde. Den zentralen Ort dieser neuen Lebensweise bildete das privatisierte und intimisierte Familienleben. Dieser neue Binnenraum, der sich aus der Trennung von „Öffentlichkeit“ und „Privatheit“ ergab, sollte durch die Sentimentalisierung der Beziehungen ausgefüllt werden. Wie auf den nächsten Seiten gezeigt wird, hatte das eine Neudefinition der Geschlechtsrollen, eine Pädagogisierung des Umgangs mit den Kindern, ja sogar einen neuen Typus bürgerlicher Kindheit zur Folge. Mit der Grundstruktur der Familie änderten sich auch die Kriterien für Partnerwahl und Heirat (im gelebten Alltag, aber mehr noch in den normativen Erwartungen). In der bäuerlichen Welt war die Ehe primär eine Frage der Existenzsicherung. Das Bürgertum (das unter veränderten sozialen und ökonomischen Bedingungen lebte) begann wirtschaftliche Vernunft und Partnerwahl (schrittweise) zu entkoppeln. Das Ideal der Liebesheirat hat hier seine Wurzeln, wobei man nicht vergessen darf, daß es sich wohl mehr um eine „vernünftige“ und „tugendhafte“ als um eine romantische oder gar schwärmerische Liebe handelte. Jedenfalls trugen die veränderten Rahmenbedingungen dazu bei, daß man dem bürgerlichen Ehe- und Familienideal sehr hohe Erwartungen entgegenbrachte. Man erhoffte sich von seinem zukünftigen Partner als Persönlichkeit akzeptiert und geliebt zu werden. Aber auch die Erotik wurde in das Modell (wahrscheinlich weniger in die Realität) der bürgerlichen Liebesheirat integriert. Dem Anspruch nach wurde die Sinnlichkeit (so unaussprechbar und verschämt sie auch blieb) zu einem Teil der ehelichen Liebe. Im Alltag spielten materielle Überlegungen weiterhin eine wichtige (wenn auch nicht die einzige) Rolle. Speziell bei der Verheiratung ihrer Kinder waren Bürgerliche auf die Möglichkeit eines gesellschaftlichen Aufstiegs oder zumindest auf die Wahrung des sozialen Standards bedacht. Von größter Bedeutung für die bürgerliche Ehe war jedoch, wie bereits erwähnt, die Trennung von Arbeitswelt und Familie und die damit verbundene Beschränkung der Frau auf den häuslichen Sektor. Hatten Mann und Frau in der vorindustriellen Gesellschaft den ganzen Tag mit- bzw. nebeneinander verbracht, so war jetzt eine Entzweiung des Ehepaares während des Arbeitstages die Regel. Dies galt es im Privatbereich auszugleichen. So entstand der Anspruch auf geistige Gemeinsamkeiten der Ehegatten und Interesse füreinander. Man wünschte sich den Austausch von Erfahrungen und die kultivierte Konversation. Vor diesem Hintergrund erscheint es einleuchtend, daß das Individuum in seiner Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit im Vergleich zur sozialen Rolle, die es einnahm, an Bedeutung gewann. Wenn ein Bauer seine Frau verlor, dann war es für ihn angebracht erneut zu heiraten, da die Stelle der Bäuerin besetzt und ihre Aufgaben erfüllt werden mußten. Der Bürger verlor in seiner Frau nicht nur jemanden, der seinen Haushalt führte, sondern jemanden, von dem er (geistige und körperliche) Nähe, Vertrautheit und Liebe erwartete, und eine solche Person war nicht so einfach zu ersetzen. Obgleich nun das einzelne Individuum aus dem Schatten seiner sozialen Position herauszutreten begann, bedeutete das speziell für die Frauen eigentlich keine Aufwertung und keine Erweiterung ihres Handlungsspielraumes. Die reale Differenzierung der Geschlechtsrollen (dem Mann die Geschäftswelt, der Frau das Heim) hatte auch ideologische Folgen. Den Geschlechtern wurden feste Charaktereigenschaften zugeschrieben, welche die tatsächlichen sozialen Gegebenheiten (nachträglich) untermauerten. Der Gelderwerb, das öffentliche Leben, die Bereitschaft es mit den Widrigkeiten des Schicksals aufzunehmen, das alles wurde genauso als „typisch männlich“ erachtet, wie man Frauen als dafür ungeeignet betrachtete. Auf die Fähigkeit zum Gelderwerb (und auf ihre „Lebenserfahrung“, die auf eine meist erhebliche Altersdifferenz zurückging) gründeten die Männer ihre eheliche Machtstellung. Sieder schreibt: „Der Autoritätsanspruch des Mannes wurde durch seine aushäusige Erwerbsarbeit, durch seine berufliche Qualifikation - die Voraussetzung seines Erfolges - sachlich begründet. Die Arbeit im Hause, erstmals mit der Arbeit der Frau identisch geworden, (...) wurde in einer Gesellschaft, deren Entwicklungsmerkmale in der zunehmenden Rechenhaftigkeit, der Gewinnmaximierung, etc. bestanden, immer geringer bewertet. Damit blieb die traditionelle Unterordnung der Frau unter den Mann erhalten.“ Mit den Prozessen der Individualisierung und Intimisierung wurde auch die Einstellung den Kindern gegenüber entscheidend verändert. Obwohl die bürgerliche Familie als jener Ort zu verstehen ist, an dem man seinen Gefühlen am ehesten Ausdruck verleihen konnte, waren die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern nicht sehr emotional. Im Gegensatz zu ländlichen Gepflogenheiten, wurden die Kinder (ähnlich wie die Frauen) aus der Arbeitswelt des Vaters, ja aus der Welt der Erwachsenen ausgeschlossen. Von harter körperlicher Arbeit waren sie so befreit, die Beziehung zu den Eltern bekam jedoch eine ganz neue Qualität. Hatte man Kinder früher als kleine, quasi „unfertige“ Erwachsene betrachtet (und behandelt), so wurde die Kindheit jetzt als eigenständige Lebensphase begriffen. Im Weltbild des Bürgertums, das die menschliche Persönlichkeit als wandelbar und gestaltbar ansah, wurde das kleine Kind zum „unbeschriebenen Blatt, auf das mit Sorgfalt und Nachdruck die Spuren der Erziehung gezeichnet werden sollten.“ Ziel der Erziehung war es einen vernünftigen und normgeleiteten Menschen zu schaffen, der die bürgerlichen Werte verinnerlicht hatte. Denn er sollte später, im Gegensatz zu einem Individuum der vorindustriellen Gesellschaft, das durch seine lebenslange Einbindung in seine Familie ständig kontrolliert und sanktioniert wurde, alleine und selbständig seine Entscheidungen treffen. Dementsprechend traten abstrakte Werte wie Wahrheitsliebe oder Standhaftigkeit in den Mittelpunkt der Erziehung. Wenn man berücksichtigt, welche Methoden zeitgenössische Pädagogen zur Erreichung dieser Ziele empfohlen haben, so ist man geneigt daran zu zweifeln, daß diese „bürgerliche Kindheit“ von den Betroffenen als segensreiche Zeit empfunden wurde. Bemerkenswert ist, daß die oben bereits dargestellte Trennung zwischen den Geschlechtern schon bei der Erziehung mit aller Konsequenz verfolgt wurde. Außer dem Schreiben und dem Lesen wurde vielen Mädchen Klavierspielen, Tanzen, Religion oder Handarbeiten gelehrt. Naturwissenschaftliche oder technische Fächer fehlten völlig. Während die Mädchen im Haus unter Aufsicht der Mutter (oder eines Hauslehrers) ausgebildet wurden, besuchten Knaben oft öffentliche Schulen oder Internate. Ihre Ausbildung war berufsbezogen und hart (zumal sie meist schon mit sieben Jahren das Elternhaus verließen). In vielen Kaufmannsfamilien war es üblich die Söhne (nach der Schule und Lehre) in eine Art Volontariat zu geben, damit sie dort zusätzliche Erfahrungen für das spätere Berufsleben sammeln konnten. Was immer schon als geschlechtsspezifische Eigenschaften von Mann und Frau behauptet wurde, wurde durch diese Ausbildung konsequent und zielgerichtet hergestellt. Im 19. Jahrhundert lösen die Handelskapitalisten, Industriellen und Bankiers die Angehörigen der mittelständischen Berufe als Leitfiguren des bürgerlichen Lebens ab. Die Glorifizierung des Privatlebens stand in krassem Widerspruch zur Realität des entwickelten Industriekapitalismus. Der Bürger sah sich mit einer Welt konfrontiert, die zunehmend unpersönlicher wurde und sich ökonomisch, politisch, sozial und technologisch mit unglaublichem Tempo veränderte. Je mehr sich im öffentlichen Leben kühle Berechnung und Zweckrationalität durchsetzten, desto größer wurden die Ansprüche an das Gefühlsleben in Ehe und Familie. Kombiniert man diese Ansprüche mit der Aufrechterhaltung der traditionellen sexuellen „Rechte“ der Männer, so führt einen das direkt zum Modell der bürgerlichen Doppelmoral, das besagt, daß eine Frau unberührt in die Ehe zu gehen habe, während der Mann sexuell erfahren sein sollte. Es ist offensichtlich, daß das Idealbild der bürgerlichen Familie in immer krasseren Gegensatz zur Realität geriet und daß die Bemühungen diese Widersprüche abzubauen meist zu Lasten der Frauen gingen. Dieser Zustand war unmöglich aufrecht zu erhalten, ohne politischen Widerstand zu provozieren. „Das bürgerliche Familienmodell produzierte seine Antithese: die bürgerlich-feministische Kritik an der Einschließung der Frauen und den Kampf der ersten Frauenrechtlerinnen für gesellschaftliche und politische Partizipation.“ Quelle: http://www.kfunigraz.ac.at/~gomilsch/publi/dipl/dipl7.html 5. Frauenbilder im 19. und 21. Jahrhundert 5.a Bürgerlicher Moralcodex und Frauenbild von Roger Stein Das gesellschaftliche Bild der Frau erlebte vom 17. bis ins 19. Jahrhundert einen fundamentalen Wandel, im Zuge dessen die Frau aus der öffentlichen Gesellschaft gänzlich verbannt wurde, während der Mann gerade durch seine auf den gesellschaftlichen Aufbau ausgerichtete Tätigkeit definiert wurde: "Das Weib hat die Bestimmung der Mutterschaft, der Ernährung [...], der Pflege und Behütung des Kindes, der Sorge für dessen gesunde, körperliche Entwicklung und für die Erziehung der geistigen und sittlichen Anlagen. [...] Für diese erhabene Bestimmung des Weibes natürlich und seelisch ausgerüstet; alle seine leiblichen und seelischen Anlagen und Neigungen beziehen sich auf dieses Verhältnis der Mutter zum Kinde [...] Der Mann hat andere Ziele und Pflichten, deshalb auch andere Anlagen; des Weibes Leben ist die Familie, des Mannes Leben ist die Welt." Für den bürgerlichen Mann traten nun Attribute wie Intelligenz, Tüchtigkeit, Unternehmergeist in den Vordergrund. Der Frau hingegen wurde Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Dankbarkeit, Hingabe, Liebenswürdigkeit, Bescheidenheit, Demut, Keuschheit, Selbstaufopferung und bedingungslose Treue ihrem Gatten gegenüber zugeschrieben. Seit dem 18. Jahrhundert hatte sich zudem eine Trennung von Arbeits- und Wohnbereich vollzogen: Der Arbeitsbereich der Männer war nicht mehr die Werkstätte im eigenen Haus, sondern meistens ein mehr oder wenig entfernter Betrieb. Als Folge vollzog sich eine starke Privatisierung des Wohnbereichs. Der Frau fiel nun die Rolle zu, dem Mann, der müde von der entfernten Arbeit nach Hause kam, ein wohliges häusliches Refugium zu bieten, doch damit, dass sie die Arbeit des Mannes nicht mehr aktiv unterstützen konnte, war die Frau gleichzeitig aus dem öffentlichen Teil des bürgerlichen Daseins ausgeschlossen und in den Privatbereich verbannt. Die Verbannung aus dem öffentlichen Leben erfolgte auf breiter Ebene: Ulrike Döcker zeigt in ihrer Arbeit "Die Ordnung der bürgerlichen Welt", von den sexualpessimistischen und antiemanzipatorischen Rousseauisten ausgehend – insbesondere auch bei Adolph Knigge –, wie die in der Spätaufklärung einsetzende Rationalisierung der Weiblichkeit gleichzeitig einhergeht mit der Entsinnlichung der Frau. Im Zuge dieser Entwicklung wurden die Frauen – auch die gebildeten! –, die noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Salons verkehrten und damit am intellektuellen Geistesleben teilgenommen hatten, mehr und mehr aus dem öffentlichen Leben verbannt: "Die bürgerlich-männlichen Aufklärer stilisierten die gelehrte und erotische Salonière bald zur femme terrible, zur Antipodin einer mulier domestica. Die Geschlechterethik der Spätaufklärung rückte vom Bild der kreatürlich-sinnlichen Frau (Eva) ab, das dem weiblichen Prinzip in früheren Jahrhunderten immanent gewesen war, und entsexualisierte das Weibliche. Eine entsexualisierte und säkularisierte weibliche Moral konnte, um ihre bedrohlichen Aspekte verringert, für die Versittlichung der Gesellschaft besser in Dienst genommen werden. In zahlreichen pädagogischen Schriften begannen die Aufklärer eine spezifische weibliche Ausbildung zu propagieren, die auf praktische Vernunft und moralische Integrität zielte." Ebenso wie aus dem geistigen Leben wurden Frauen aus den politischen Bereichen ausgeschlossen und besonders seit der Revolution von 1848 systematisch verbannt. Aufgeschlossene Frauen hatten sich noch vor 1848 in politischen und demokratischen Frauenvereinen organisiert und waren auch – insbesondere in Wien – an den Barrikadenkämpfen der Revolution beteiligt. Mit der Niederschlagung der Revolution von 1848 werden jedoch gleichzeitig alle Ansätze einer beginnenden Frauenbewegung zunichte gemacht und 1850 wird das „Preussische Vereinsgesetz“ erlassen, das Frauen grundsätzlich die Teilnahme an politischen Versammlungen untersagt. Peter Gay zeigt in seiner Untersuchung "Erziehung der Sinne", in der er besonders die Sexualität und die Geschlechterbeziehung Mann-Frau im bürgerlichen Jahrhundert untersucht, eindrücklich, dass die Definition der Weiblichkeit und der Rolle der Frau eng verknüpft ist mit der gesamten bürgerlichen Selbstdefinition, insbesondere weil die Definition der weiblichen Sexualität auch als Fundament für die Definition der Ehe gilt. Um die neue – privat abgeschirmte – Rollenzuweisung der Frau zu rechtfertigen und zu untermauern, entbrannten im 19. Jahrhundert heftige Diskussionen rund um den Streitpunkt ‚Frau’. Wohl in keinem anderen Jahrhundert wurde sie mit solcher Heftigkeit geführt wie im 19. Peter Gay formuliert treffend: "Dem bürgerlichen Jahrhundert wurde das Weib zum Problem." Um die neue gesellschaftliche Stellung der Frau zu zementieren, wurden alle erdenklichen Argumentationsmuster aus Biologie, Moral und Philosophie herbeigezogen. Durch die zunehmend antimetaphysische Haltung der neuen Gesellschaftsentwicklung und den Drang zum Empirismus begann man sich in erster Linie auf die ‚Fakten’ der Naturwissenschaften zu stützen. Doch an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hatte in der Kategorisierung der Geschlechter Mann-Frau eine grundlegende Änderung stattgefunden. War im 18. Jahrhundert die Stellung der Frau und ihre Rolle in der Gesellschaft noch aus kosmologischen und gesellschaftlichen Argumentationen heraus begründet worden, so begann man im 19. Jahrhundert auf der rein biologischen Ebene zu argumentieren. Thomas Laqueur spricht im Hinblick auf die gesellschaftliche Inszenierung der Weiblichkeit im 18. und 19. Jahrhundert von der Wandlung vom ‚Ein-Geschlechts-Modell’ zum ‚Zwei-Geschlechts-Modell’. Nach dem ‚Ein-Geschlechts-Modell’ – so Laqueur – wurde die Lage der Geschlechtsteile als komplementär angesehen und die Vagina wurde als nach innen gelegter Penis definiert. Die Hierarchisierung wurde zwar anhand des vom männlichen Penis Abweichenden vorgenommen, doch stand noch nicht der wertende Unterschied im Vordergrund: "Ein Mann oder eine Frau zu sein, hiess während eines Gutteils des 17. Jahrhunderts eine soziale Stellung innezuhaben und eine kulturelle Rolle zu übernehmen; nicht jedoch, organisch das eine oder das andere zweier Geschlechter zu sein." Mit der bürgerlichen Gesellschaft beginnt sich nach Laqueur im 18. Jahrhundert ein ‚Zwei-Geschlechter-Modell’ zu entwickeln, demzufolge Frau und Mann biologisch völlig different sind, was sich – daraus ableitbar – auch geistig ausdrückt. Der Frau wurde durch ihre biologische Beschaffenheit die Rolle an der Seite des Mannes und – als geistig nicht so entwicklungsfähig wie der Mann – an Heim und Herd zugewiesen. Hierin leistete schon JeanJacques Rousseau in „Emile – oder über die Erziehung“ Vorschub: "Sie [= die Frauen] müssen viel lernen, aber nur das, was zu wissen ihnen gemäss ist [...] So muss sich die ganze Erziehung der Frauen im Hinblick auf die Männer vollziehen. Ihnen gefallen, ihnen nützlich sein [...], für sie sorgen, sie beraten, sie trösten, ihnen ein angenehmes und süsses Dasein bereiten: Das sind die Pflichten der Frauen zu allen Zeiten, das ist es, was man sie von Kindheit an lehren muss." Einmal mehr erklärt auch Laqueur – wie schon Peter Gay – die Problematik der Geschlechterdefinition und die weibliche Rollenzuweisung in der durch die Aufklärung veränderten Gesellschaft und ihrer zahlreichen Angstreaktionen: "Der Kontext für die Artikulierung zweier inkommensurabler Geschlechter war jedoch weder eine Theorie des Wissens noch Zuwachs an wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der Kontext war die Politik. In der gewaltig ausgeweiteten Öffentlichkeit des 18. und vor allem des postrevolutionären 19. Jahrhunderts gab es endlose neue Auseinandersetzungen um Macht und Rang: zwischen und unter Männern und Frauen, zwischen und unter Feministinnen und Antifeministen. Als aus vielerlei Gründen eine präexistente transzendentale Ordnung oder das seit unvordenklichen Zeiten Gültige zur immer weniger plausiblen Rechtfertigung für soziale Beziehungen wurde, verschob sich das Schlachtfeld für Geschlechterrollen zur Natur hin, zum biologischen Geschlecht. Unterschiedliche Sexualanatomie wurde herangezogen, um Aussagen jeglicher Art in einer Vielzahl spezifischer sozialer, ökonomischer, politischer, kultureller oder erotischer Kontexte zu untermauern oder abzuweisen." Auf die zahlreichen philosophischen, medizinischen und moralischen, wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Arbeiten des 19. Jahrhunderts, die sich mit der Sexualität der Frau beschäftigen, kann hier nicht einzeln eingegangen werden. Peter Gay liefert aber im Kapitel „Das problematische Geschlecht“ einen guten Überblick über die Entwicklung dieser heftigen Diskussion. Von der bürgerlichen Ehe-Frau wurde absolute Treue gefordert und im Kampf um die Rechtfertigung dieser Treue wurde auf medizinischer und philosophischer Ebene in heftigem Disput, der selbstverständlich nur von Männern geführt wurde, darum gerungen, ihr die Lust am sexuellen Akt abzusprechen. Den wenigen aufgeschlossenen Befürwortern des weiblichen Lustempfindens standen zahlreiche griesgrämige Stimmen entgegen, die der ‚gesunden’ und ‚anständigen’ Frau jegliche natürliche erotische Neigung untersagten und ihre Existenz negierten. Manche Stimmen gingen sogar soweit zu behaupten, die ‚gute’ Frau lasse den Geschlechtsakt nur über sich ergehen; es sei ihr eigentlich etwas Unangenehmes und sie tue es nur, um ihrem Mann Freude zu bereiten. Vor dem Hintergrund dieser Gesellschaftszwänge, in denen das Sprechen über Sexualität besonders der Frau ohnehin streng verboten war, erscheinen Dirnenlieder, in denen Frauen ihre Lust an der Sexualität offen ausdrücken, revolutionär – wenn auch als männliche Wunschvorstellung (Man denke hier zum Beispiel an Wedekinds Ilse). Während also von der Frau ‚unabdingbare Treue’ gefordert wurde und die ‚gesunde’ Frau keinen sexuellen Trieb empfinden – und schon gar nicht ausleben durfte! –, wurde mit den gleichen Argumentationsmustern der außereheliche Geschlechtsverkehr der Männer gerechtfertigt. Hier ein Zitat aus der berühmten „Psychopathia Sexualis“ von Dr. Richard Freiherr von Krafft-Ebing, die Mitte der 1880er Jahre erschienen ist und häufig neuaufgelegt wurde – wir zitieren nach der 80. Auflage: "Ist es [das Weib] geistig normal entwickelt und wohlerzogen, so ist sein sinnliches Verlangen ein geringes. Wäre dem nicht so, so müsste die ganze Welt ein Bordell und Ehe und Familie undenkbar sein. Jedenfalls sind der Mann, welcher das Weib flieht, und das Weib, welches dem Geschlechtsgenuss nachgeht, abnorme Erscheinungen." Krafft-Ebings konservative Sexualmoral war in den Boheme-Kreisen wohl bekannt und gehörte in den Komplex der antibürgerlichen Feindbilder. Auch Wedekind hatte sich in seinen Pariser Jahren sehr eingehend mit Krafft-Ebings Sexualtheorie auseinandergesetzt. Dies wird deshalb für uns wesentlich, weil sich – insbesondere bei Wedekind – zeigt, dass seine Dirnendarstellungen alles andere als zufällige erotische männliche Wunschvorstellungen sind, sondern als Figuren aktiv im Hinblick auf die Diskussion um Weiblichkeit und Sexualität hin konzipiert sind. Der unmoralische, männliche Don Juan-Typ wurde nach bürgerlicher Sexualmoral stillschweigend gebilligt, doch die Frau hatte die Moralität zu hüten: Mann und Frau wurden also auch auf moralischer Ebene mit unterschiedlicher Strenge betrachtet, wobei der Frau die unangenehme Rolle zufiel, die Moral zu wahren, während die sinnliche Unmoralität des Mannes als von Natur aus gegeben hingenommen wurde. Für die bürgerliche Tochter galt ihre Jungfräulichkeit als wesentlichstes Kapital, um in eine standesgleiche oder höhere Ehe zu treten. Für die jungen Ehemänner hingegen wurde allgemein vorausgesetzt, dass sie mit genügend sexuellen Kenntnissen in den Ehebund eintraten und bereits über reiche Erfahrungen verfügten – es wurde ihnen sogar nahegelegt, sich vor der Ehe auszutoben, wobei auch das ‚Austoben’ während der Ehe in stillschweigender Übereinkunft geduldet wurde, doch mit der Auflage, nicht allzu sehr damit aufzufallen. Diesen Aspekt und die damit verbundene ungerechte Situation der bürgerlichen Ehefrauen hat besonders Christiane Koch untersucht in ihrer Dissertation „Wenn die Hochzeitsglocken läuten...“. Sie zeigt darüber hinaus, dass besonders die Dienstmädchen prädestinierte Opfer ihrer bürgerlichen Hausherren und deren Söhne waren, da bei ihnen die Ansteckungsgefahr mit Geschlechtskrankheiten besonders gering schien. […] Freud sah in vielen seiner Patienten und insbesondere den Patientinnen den Beweis, dass die bürgerliche Moral den Sexualtrieb über alle Massen gezügelt hatte, und erklärte auch, dass gerade diese auferlegte Sexualmoral nicht funktionieren könne: "Die für den Mann in unserer Gesellschaft geltende doppelte Sexualmoral ist das beste Eingeständnis, dass die Gesellschaft selbst, welche die Vorschriften erlassen hat, nicht an deren Durchführbarkeit glaubt." Die sexuelle Ventilfunktion, die dem Mann in der Form der Prostitution zugestanden wurde, gab es bei der Frau nicht. Sie hatte treu zu sein. Anstelle des Sexualtriebs sprach man ihr dafür umso mehr die Liebe zu den Kindern und zu ihrem Mann zu – als Ersatz sozusagen. Dass die Treue der Frau im Gegensatz zur Treue des Mannes unabdingbar war, führt Karin Lützen auf Folgendes zurück: "Für das Bürgertum als Gesellschaftsklasse war das Recht auf Privateigentum ein wichtiger Punkt, und für die Männer war es deshalb eine wichtige Forderung, dass die Kinder, die ihr Erbe weiterführen sollten, auch tatsächlich ihre eigenen waren. Die Tugend ihrer Gattin war dabei eine unerlässliche Bedingung..." Wenn eine Frau untreu war, wurde sie sofort aus der ‚ehrbaren’ Gesellschaft ausgestoßen, aber ihre Untreue fiel auch auf den Mann zurück und gab ihn der allgemeinen Lächerlichkeit preis. Unter dem Motto des Verdrängens legte sich im bürgerlichen 19. Jahrhundert systematisch der Mantel des Schweigens über den gesamten Bereich der Sexualität. Stefan Zweig schreibt rückblickend in seiner „Welt von gestern“: "War die Sexualität schon nicht aus der Welt zu schaffen, so sollte sie wenigstens innerhalb ihrer Welt der Sitte nicht sichtbar sein. Es wurde also die stillschweigende Vereinbarung getroffen, den ganzen ärgerlichen Komplex weder in der Schule noch in der Familie noch in der Öffentlichkeit zu erörtern und alles zu unterdrücken, was an sein Vorhandensein erinnern könnte." Im Zuge dieser Verdrängung begann man auch sprachlich die weibliche Sexualität und Körperlichkeit zu sublimieren. Eine Dame hatte nun plötzlich keine Schenkel und keine Waden mehr, sondern nur noch ‚Beine’, Brust und Busen hießen nun ‚Hals’, der Bauch beschränkte sich auf ‚Magen’ und wenn eine Frau dann endlich auf dem Weg zur Idealfrau als Mutter war, nannte man das nicht mehr schwanger sondern ‚guter Hoffnung’ oder ‚in anderen Umständen’. Ulrike Döcker weist anhand der Manierenliteratur des 19. Jahrhunderts nach, dass aus dem sittlichbürgerlichen Denken der Körper der Frau praktisch gänzlich verschwindet. Sie wird zur körperlosen Heiligen. Gehen die Benimm-Bücher sehr wohl auf die gezogenen körperlichen Gesten und Bewegungen der Männer ein und geben Ratschläge, wie der Mann von Welt Beine, Arme und Hände zu bewegen hat, wird auf die körperliche Gestik der Frau viel weniger eingegangen als auf die der Männer. (Das Übereinanderschlagen der Beine oder das Anlehnen sowohl im Sitzen als auch im Stehen ist strengstens untersagt.) Die Manierenliteratur charakterisiert zwar immer wieder die Frau als "Seele" geselliger Zusammenkünfte und Feste und als "Seele" des Hauses, doch bekommt sie in allen Beschreibungen keinen physisch manifesten Körper: "Charakterisierungen wie ‚seine liebliche Haltung', ‚sein feines, zartes Gesicht' oder sanfte Hände spiegeln nur innere Vorgänge und werden als Schablonen verwendet, ohne ihr körperliche Präsenz zu verleihen. Nur die Buhlerin und die Kokotte besitzen in den Anfeindungen der Literaten [hier im Zusammenhang: die Literaten der Manierenliteratur] einen sinnlichen Körper – er aber ist irritierend und bedrohlich, ein Werkzeug des Teufels. Die bürgerliche Frau hingegen wird mit einem Engel verglichen. Diese Metapher definiert die Art, wie bürgerliche Frauen ihren Körper tragen und bewegen sollen: quasi körperlos, alle Aufmerksamkeit auf die Seele lenkend." Döcker resümiert: "Leiblichkeit ist in der Manierenliteratur um 1900 etwas Bedrohliches, das aus den Gedanken, Gefühlen und Texten verdrängt werden muss. Die Angst vor dem erotischen und sinnlichen Körper wird zwar nie thematisiert, geschweige denn in Frage gestellt, doch sie kommt implizit zum Ausdruck, wenn es darum geht, über etwas zu sprechen, das nicht benannt werden darf. Wo Kleidungsstücke den Körper bedecken, sitzt das Unaussprechliche und Private." Wie wir noch sehen werden, dient gerade das Dirnenlied den Literaten und den Bohemiens als Plattform, dieses ‚Unaussprechliche’ auszusprechen. Bei Döcker ist bereits das Stichwort ‚Engel’ gefallen: Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der zum Idealbild der bürgerlichen Frau als entsexualisierte körperlose, aber liebende Mutter gehörte, war die christliche Frömmigkeit. Das Christentum galt als der Inbegriff von Reinheit, Wahrheit und Liebe. Diese Tugenden waren zugleich aber auch der Inbegriff der idealen bürgerlichen Weiblichkeit, weshalb auch angenommen wurde, dass Frauen die Frömmigkeit leichter fiele als Männern: "Die weiblichen Tugenden – Untertänigkeit und Selbstaufopferung – waren die Vorraussetzungen für die hingebungsvolle Frömmigkeit. Frauen bekamen damit gewissermassen das Patent für das Christentum, indem sie das Verbindungsglied zwischen den Männern und dem Lieben Gott wurden." Auf diese Weise kam das bürgerliche Frauenideal als fromme Mutter sehr nahe an eine Heilige heran. Die Heilige ist jedoch immer dienend. Sie steht der Gottheit nahe, ist jedoch dieser unterstellt. Dies wird deshalb für uns wichtig, weil wir gerade in den literarischen Antiidealfiguren der ‚Femmes fatales’ Frauen antreffen, die selbst götterähnliche Züge annehmen, also nicht mehr unterstellt sind, sondern zu selbsthandelnden oder selbstgetriebenen Wesen werden und als aktive dämonische Göttinnen auftreten. Quelle: http://www.dirnenlied.de/page20/page23/page23.html 5.b Zur Stellung der Frau im 19. Jahrhundert von Inge Weber-Kellermann [...] So verherrlicht Riehl[1] den patriarchal-autoritären Haus- und Familiensinn der „guten alten Zeit“. Er verherrlicht „die soziale Ungleichheit als Naturgesetz“, stellt die These von der natürlichen Ungleichheit auf, die seit der Bibel durch die Ungleichheit von Mann und Weib konstituiert sei. Die natürliche Verschiedenheit der Geschlechter verursacht nach Riehl deren soziale Ungleichheit und damit die politische, sodass diese also letzten Endes ewig, naturbedingt und deshalb gerechtfertigt sei. Als kulturhistorischen Beleg für solche Thesen zitiert er einen Pakt, nach dem zwei Gemeinden der hessischen Wetterau noch im 16. Jahrhundert handelten: Wenn nämlich dort eine Frau ihren Mann geschlagen hatte, dann brachen die Nachbarn dem Manne, der sich solches hatte gefallen lassen, die First über dem Dache ab und die Mannschaft des Nachbardorfes kam mit einem Esel, auf dem die Frau festgebunden und im Dorfe herumgeführt wurde, damit die Männer nach Gottes Gebot Herren bleiben und die Oberhand behalten sollen! Und nur durch Spenden einer Ohm Bier konnte sich das straffällige Ehepaar loskaufen. Prügelte das Weib den Mann, so war damit – meint Riehl – eine offene Empörung gegen ein Naturgesetz der Gesellschaft verkündet und die Gemeinden als soziale Körperschaften traten zusammen, um diese Empörung niederzuschlagen. [...] Es formte sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ein in zunehmendem Maße stabilisiertes und schließlich erstarrtes Bild der bürgerlichen Kleinfamilie, in der die Rollenverteilung in einer Art und Weise äußerlich fixiert wurde, wie es bis dahin nur in der höfischen Etikette üblich gewesen war. Das Image altdeutscher Biederkeit, das sich in der „altdeutschen“ Möbelmode, dem Kunst- und Kunstgewerbegeschmack auffällig kundtat, hatte aber seine verborgene und zu verbergende Rückseite. Es war das Zeitalter der doppelten Moral, des geheimen Bordells, der kostspieligen pornografischen Luxusausgaben. „Auch Scheidungen galten als unehrenhaft. Die Scheidung Cosima von Bülows (1869) und ihre Wiederverheiratung (1870) mit Richard Wagner wurde in den Kreisen des Bürgertums als ein besonderer Skandal empfunden, wie überhaupt Künstlerkreise, zumal Schauspielerkreise, zusammen mit Kellnerinnen und Buffetmädchen wegen ihrer lockeren Moral als „Halbwelt“ galten.“ Über diese Dinge ist viel geschrieben worden und die sozialkritische schöne Literatur – von Thoma über Sternheim zu Musil, Schnitzler u. v. a. m. – lebte von solch ergiebigem und eindrucksvollem Stoff. Es kann hier keine erschöpfende Antwort auf die Frage nach dem Warum der moralisch schillernden und auf den äußeren Schein hin orientierten Bürgergesellschaft gegeben werden. Von der biedermeierlichen Idylle und sozialen Harmonie, in der die geistreiche und gebildete Frau mit ihren Lesezirkeln und Künstlerkorrespondenzen doch immerhin einen ehrenvollen Platz eingenommen hatte, war man zu Ende des Jahrhunderts weit entfernt. Die partnerschaftliche Einstellung auf Gegenseitigkeit, vorgeformt durch die Ideen der Französischen Revolution, war längst wieder einer strengen Rollenverteilung im Sinne patriarchalen Autoritäts- und Abhängigkeitsdenkens gewichen, gestärkt durch das monarchische Leitbild. Dabei hatte im bürgerlichen Familienverband der paternistische Machtbereich noch eine außerordentliche Steigerung erfahren: Die häusliche Erziehungsgewalt des Vaters, überhöht fast in die Rolle des gottväterlich-absoluten Herrn mit rigoroser Gehorsamsforderung, dehnte sich auch auf die Mutter aus, die Hausfrau, die als Familienmutter nie zuvor eine so untergeordnete und unselbstständige Stellung innerhalb der Familie innegehabt hat wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. [...] [1] Wilhelm Heinrich Riehl, führender Sozialforscher des 19. Jahrhunderts, auf den sich Weber-Kellermann hier beruft. Quelle: www.jakschnet.at/Deutsch/Literatur/Stellung_Frau_19.Jh.doc 5.c Zwangsheirat i. Zwangsheirat: Im Namen der Ehre von Constanze von Bullion, Berlin Eine 15-Jährige soll in Berlin zwangsverheiratet, eine 14-Jährige für 15.500 Euro Brautgeld verkauft worden sein. Der Staat reagiert – und will Strafgesetze verschärfen. Fatima M. soll jetzt also sehr verliebt sein in diesen jungen Mann, von dem sie vor kurzem noch gesagt hat, sie kenne ihn nicht und wolle ihn nicht heiraten. Fatima M. möchte jetzt auch unbedingt zu ihm nach Berlin ziehen, obwohl sie erst 15 Jahre alt ist, in Hamburg bei ihren Eltern gelebt hat und aufs Gymnasium gegangen ist. Schon möglich, dass alles nur ein Missverständnis war, dass die Schülerin nur auf sich aufmerksam machen wollte, als sie ihrem Klassenlehrer in Hamburg per Internet einen Hilferuf schickte, in dem stand: "Ich komm hier nicht weg, ich werde eingesperrt." Einen Tag später schickt das Mädchen einem Freund mehrere Notrufe aufs Handy. Man habe sie nach Berlin verschleppt zu einer fremden Familie. Die Polizei wird aktiv, weil es so aussieht, als werde da ein Mädchen von seiner serbischen Familie zwangsverheiratet. Ein Sonderkommando holt Fatima M. in Berlin aus der Wohnung, in der sie mit ihrem Jahre älteren "Bräutigam" Nebosja R. und seinen Eltern wohnen soll. Nach mehreren Gesprächen mit der Polizei und dem Hamburger Jugendamt, zu denen die Mutter das Mädchen bringt, versichert es, weder zwangsverheiratet noch vergewaltigt worden zu sein. Man glaubt ihm, muss ihm glauben, es will zurück nach Berlin. Angeblich hat die Vermählung schon stattgefunden, samt Hochzeitsnacht und Prosit auf das blutige Leintuch. Schon möglich, dass Fatima M. sich mit ihren Hilferufen nur wichtig machen wollte. Möglich auch, dass sie lieber mit Nebosja R. lebt als gar nicht mehr. Eine Geschichte ist das, die es einem schwer macht, nicht anzunehmen, dass da ein Mädchen versucht hat, einer Zwangsheirat zu entkommen, aber im letzten Moment nicht die Kraft aufgebracht hat, die eigenen Eltern vor der gesamten Familie zu blamieren und abzutauchen – um dann allein dazustehen. In Hamburg ermittelt jetzt der Staatsanwalt, und auch in Berlin schlägt der Fall Wellen. Hier wurde kürzlich schon eine Ehe bekannt, bei der ein 14 Jahre altes kurdisches Mädchen von ihren Eltern für 15500 Euro Brautgeld weitergereicht worden war wie ein Möbelstück. Die Behörden haben das weder verhindern noch bestrafen können. Jetzt ist sie schwanger und wieder bei den Eltern. Ihr Mann soll sie verprügelt haben. Dass die Justiz oft wenig ausrichtet gegen patriarchalische Familien will die Politik ändern. Im Februar hat der Bundesrat einem Gesetzesentwurf zugestimmt, der das Erzwingen einer Ehe zum eigenen Straftatbestand machen soll. Bisher wird dies als besonders schwere Nötigung mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft, künftig sollen es bis zu zehn Jahre sein. Familienministerin Kristina Schröder sagte am Donnerstag der Zeitung B.Z., sie sei zuversichtlich "dass wir nach jahrelanger Diskussion das Strafgesetz entsprechend ändern werden". Die Regelungen seien "noch nicht stark genug". Der grüne Bundestagsabgeordnete Memet Kiliç widersprach. "Wenn die Politik von der eigenen Unzulänglichkeit ablenken möchte, neigt sie in der Regel dazu, an den Strafgesetzen zu schrauben", erklärte er. Sinnvoller sei es, auf Opferverbände zu hören und die Schutzprogramme zu verstärken. Von den Eltern abgeschoben Myria Böhmecke leitet bei der Organisation Terre des Femmes Berlin das Referat, das sich mit Gewalt im Namen der Ehre befasst. Zwischen 150 und 200 Mädchen melden sich jedes Jahr hier, weil sie gegen ihren Willen verheiratet oder ins Ausland verschleppt werden sollen. "In den meisten Fällen wurde bereits massive Gewalt angewandt", sagt Böhmecke. "Wir kriegen oft Hilferufe von Minderjährigen und stellen dann fest, dass sie wankelmütig werden. Sie sind abhängig von ihren Eltern, sie lieben sie und wollen ihnen keine Schande antun." Oft reißt der Kontakt plötzlich ab. In der Mehrheit der Fälle haben die Eltern dann nicht nachgegeben, sondern der Tochter das Handy abgenommen, den Zugang zum Internet versperrt oder sie ins Flugzeug gesteckt, nimmt Myria Böhmecke an. Ist das Mädchen im Ausland, kann die deutsche Justiz nichts mehr ausrichten. Das wäre womöglich anders, wenn die Zwangsehe als eigener Straftatbestand ernster genommen würde und zum Katalog der Strafen gehörte, die international verfolgt werden, meint sie. "Das hätte eine Signalwirkung." Dringlicher noch aber sei es, Schülerinnen aufzuklären, was bevorstehen kann, wenn sie sich am Ende solcher Konflikte fügen. "Vielen ist gar nicht bewusst, dass eine Zwangsverheiratung oft einhergeht mit massiver Gewalt." (SZ vom 07.05.2010) Quelle: http://www.sueddeutsche.de/panorama/463/510581/text/ ii. Deutscher Bundesrat: Zwangsheirat künftig strafbar Der Bundesrat hat beschlossen, den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Zwangsheirat und zum besseren Opferschutz erneut und unverändert in den Bundestag einzubringen. Dies geschah auf Antrag der Länder Baden-Württemberg und Hessen. Der Entwurf sieht unter anderem vor, einen neuen Tatbestand der Zwangsheirat in das Strafgesetzbuch einzuführen. Danach macht sich strafbar, wer eine andere Person mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe nötigt oder diese Person durch Ausnutzung einer Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit zur Eingehung der Ehe bringt. Den Tätern droht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Für minderschwere Fälle sind drei Monate bis zu fünf Jahre vorgesehen. Zur Verbesserung des Opferschutzes sind mehrere Änderungen im Zivilrecht vorgesehen. So wird die Antragsfrist für die Aufhebung einer durch widerrechtliche Drohung geschlossene Ehe von einem auf drei Jahre verlängert werden. Auch sind Änderungen im Unterhaltsanspruch und im Ehegattenerbrecht geplant. Der Gesetzesentwurf wird der Bundesregierung zugeleitet, die ihn innerhalb von sechs Wochen – mit ihrer Einschätzung - wiederum an den Bundestag weiterleiten muss. Pressemitteilung des Bundesrates vom 12.02.210, http://www. strafrecht- online. de/ 6. "Es rauscht und rauscht immer, aber es ist kein richtiges Leben." Zur Topographie des Fremden in Fontanes „Effi Briest“ von M. Andermatt Als Theodor Fontane am 28. Juli 1890 dem Verleger Adolf Kröner den Roman 'Effi Briest' ankündigte, tat er dies im Wesentlichen über die Topographie. Er schrieb: [Der Roman] spielt im ersten Drittel auf einem havelländischen adligen Gut, im zweiten Drittel in einem kleinen pommerschen Badeort in der Nähe von Varzin und im letzten Drittel in Berlin. (HFA IV, 4, S. 55) Im vollendeten Roman spielen die genannten Handlungsschauplätze schließlich eine zentrale Rolle. Wie sehr sie dies tun, wird [deutlich], wenn man sich eine Effi Briest ohne Hohen-Cremmen und ohne Kessin vorzustellen versucht. Die Forschung ist sich deswegen einig, daß die Raumgestaltung für 'Effi Briest' ein "konstitutives Element" bildet. Der Roman 'Effi Briest' erzählt bekanntlich eine "Ehebruchsgeschichte" und handelt in der Bismarck-Zeit. Im "europäischen Kontext des für diese Epoche […] typischen Ehebruchromans" verkörpern Ehe und Karriere die Ordnung von Gesetz, Tugend und Konvention der bürgerlichen Gesellschaft. Fontane hat in einem Brief an Friedrich Stephany darauf hingewiesen, daß für ihn Skandale, wie er sie in der Effi Briest schildert, immer über eine politische oder kulturkritische Dimension verfügen: Die Details [solcher Skandalfälle] sind mir ganz gleichgültig – Liebesgeschichten, in ihrer schauderösen Ähnlichkeit, haben was Langweiliges –, aber der Gesellschaftszustand, das Sittenbildliche, das versteckt und gefährlich Politische, das diese Dinge haben […], das ist es, was mich so sehr daran interessiert. Ich werde im Folgenden zeigen, daß Fontane in 'Effi Briest' mittels der Raumgestaltung eine Topographie des Fremden entwirft, die mit dem Verlauf und den Krisen der dargestellten Ehe korrespondiert. Der Roman projiziert die Ehekonflikte des Paares Effi-Innstetten auf den dargestellten Raum. Er tut dies über den Gegensatz von 'Natur' und 'Kultur', der als kulturgeschichtliches Ordnungs- und Denkmuster die Geschlechterrollen gleichermaßen wie die Topographie strukturiert. In diesem Vorgehen gerät Fontane der Romanraum zum "Ort der Zivilisationsarbeit". Und eben darin gelangt jenes "versteckt und gefährlich Politische" zum Ausdruck, das Fontane so sehr interessierte. Ort des Fremden im Roman ist in erster Linie Kessin. Bereits die erste Thematisierung des Ortes im Gespräch zwischen Effi und ihren Hohen-Cremmner Freundinnen legt diese Fremdheit fest, indem sie Kessin als das Unbekannte und Ferne einführt. "Was ist Kessin? Ich kenne hier kein Kessin." sagt eines der Mädchen, und Effi erklärt: "Nein, hier in unserer Gegend liegt es nicht; es liegt eine hübsche Strecke von hier fort in Pommern, in Hinterpommern sogar […]." (HFA I, 4, S. 13) Diese Fremdheit Kessins korrespondiert von Anfang an mit Innstetten, der im selben Gespräch als Landrat des Kessiner Kreises vorgestellt wird und von dessen Name Effis Freundinnen befremdet feststellen: "So heißt doch hier kein Mensch." (HFA I, 4, S. 12) Zugleich ist dieses Ferne und Unbekannte von Kessin und Innstetten, und zwar ebenfalls von Anfang an, mit Entsagung, Leid und Morbidität verbunden, denn Kessin erscheint im Gespräch der Mädchen gewissermaßen als Innstettens Exil, in das er sich nach enttäuschter Liebe zurückgezogen habe. Nicht gerade das Leben genommen, erklärt wiederum Effi, habe er sich, aber "ein bißchen war es doch so was" (HFA I, 4, S. 13), nämlich: " […] er mochte […] nicht länger hier in der Nähe bleiben […] fing an, Juristerei zu studieren, [saß] bei seinen Akten, […] und so kam es denn, daß er Landrat wurde, Landrat im Kessiner Kreis." (HFA I, 4, S. 13) Die Fremdheit von Innstetten und Kessin resultiert an dieser Stelle deutlich aus der kindlichen Betrachtungsweise der Mädchen. Es ist ein Spezifikum von Fontanes Raumgestaltung, daß die Handlungsschauplätze in perspektivischer Brechung zur Darstellung gelangen. Der Raum kann zwar durchaus auktorial aus der Sicht des Erzählers in Erscheinung treten, aber häufig wird er, wie hier zwischen Effi und ihren Freundinnen, gesprächsweise zwischen den Figuren entwickelt. Fontane erreicht damit eine Dynamisierung des Raumes, "denn die verschiedenen figuralen Raumentwürfe treten nicht nur untereinander in eine dialogische Beziehung, sondern sie messen sich auch am Erzählerraum, wobei sowohl Kongruenz als auch Kontraste entstehen können". Fontanes Raum repräsentiert mithin keine eindeutig feststehende Größe. In der Entstehung und im Nebeneinander verschiedener Raumbilder thematisiert sich das Aufeinanderstoßen unterschiedlicher Wahrnehmungsweisen und Denkmuster. Kessin ist fremd vorerst nur insofern, als damit die kindliche Perspektive von Effi und ihren Freundinnen zum Ausdruck kommt. Erstmals Widerspruch erwächst dieser Perspektive in der Figur von Effis Mutter. Als Effi, nun mit Innstetten verlobt, kurz vor ihrem Hochzeitstag ihrer Mutter gegenüber "Kessin als einen albsibirischen Ort" ausphantasiert, "wo Eis und Schnee nie recht aufhörten" (HFA I, 4, S. 28), und sich, weil sie ja nun "so hoch nördlich" (HFA I, 4, S. 28) käme, "einen Pelz" (HFA I, 4, S. 28) wünscht, beginnt sich Frau von Briest Effis "merkwürdiger Vorstellung von Hinterpommern" (HFA I, 4, S. 27) allmählich zu widersetzen. "Aber Effi, Kind, das ist doch alles bloß leere Torheit." (HFA I, 4, S. 28) sagt sie. Und etwas später, als sich Effi für Kessin noch einen "japanischen Bettschirm" (HFA I, 4, S. 30) wünscht, mit "schwarzen und goldenen Vögeln darauf, alle mit einem langen Kranichschnabel… Und dann vielleicht auch noch eine Ampel für unser Schlafzimmer, mit rotem Schein." (HFA I, 4, S. 30) entgegnet Frau von Briest ihrer Tochter: "Du bist eine phantastische kleine Person […]. […] Es kommt dir vor wie ein Märchen, und du möchtest eine Prinzessin sein." (HFA I, 4,S. 30) Sie erklärt dann aber Effi: "Du bist ein Kind. Schön und poetisch. Das sind so Vorstellungen. Die Wirklichkeit ist anders […]." (HFA I, 4, S. 30f.) Dieses Gespräch ist seinem Inhalt und seinem Verlauf nach für die Entwicklung der Topographie des Fremden in 'Effi Briest' paradigmatisch. In ihm ist angedeutet und vorweggenommen, was Fontane über weite Passagen des Romans genauer ausführen wird: Effi und ihre Raumvorstellungen erweisen sich als kindlich oder poetisch und werden von ihrer Umgebung als der Wirklichkeit unangemessen zurückgewiesen. Ist es vorerst Effis Mutter, die den Gegenpart einnimmt, so ist es nachher Effis Gatte Innstetten und dann auch ihr Liebhaber Crampas. Effis Kessin nimmt dabei als fremder Raum grundsätzlich zwei Erscheinungsformen an. Es repräsentiert einerseits, wie das oben über das Element des WinterlichNördlichen angedeutet ist, einen Raum der Ödnis und der Angst und andererseits, dafür steht das poetischexotische Element, einen Raum der Sehnsucht und des Glücks. Zwischen diesen beiden Raumvorstellungen schwankt Effi für längere Zeit. Kessin macht als Raum der Fremde dabei markante Veränderungen durch. Insgesamt bildet es einen Kommentar zur Befindlichkeit Effis in ihrer Ehe. Denn Kessin ist in Fontanes Roman vor allem der Ort, an dem für Effi der Ehealltag beginnt. Die Fremdheit Kessins steht deshalb für die Fremdheit, die Effi gegenüber Innstetten und der Ehe empfindet. Effi hat mit Baron von Innstetten einen "Mann von Charakter, von Stellung und guten Sitten" (HFA I, 4, S. 18) geheiratet, nach Frau von Briest einen "Karrieremacher" (HFA I, 4, S. 40). Innstetten ist aber nicht nur "ein Mann von Prinzipien" oder "von Grundsätzen" (HFA I, 4, S. 35), sondern darüber hinaus auch ein "schöner Mann" (HFA I, 4, S. 34), mit dem Effi "Staat machen kann" (HFA I, 4, S.34) und der überall "in Gunst" (HFA I, 4, S. 69) steht. Da man an höchster Stelle für Innstetten "eine Vorliebe" (HFA I, 4, S. 68) hat – "Bismarck", heißt es, "halte große Stücke von ihm und auch der Kaiser" (HFA I, 4, S. 13) – ist sein Karriereerfolg so gut wie sicher. Insgesamt repräsentiert Innstetten die Position von "Haltung und Klugheit" (HFA I, 4, S. 69) oder in den Worten Luise von Briests: er hält "in allem das richtige Maß" (HFA I, 4, S. 34). Es erstaunt nicht, daß im Roman zur Charakterisierung der Ehe zwischen Effi und Innstetten sehr bald schon der Begriff der "Musterehe" (HFA I, 4, S. 32) fällt. Man muß ihn wörtlich nehmen, obwohl oder gerade weil diese Ehe schließlich scheitert. Fontane inszeniert mit dem Paar Effi-Innstetten das Muster einer preußischdeutschen Standesehe und verteilt dabei paradigmatisch die Rollen. Innstetten repräsentiert als Karrierist in seinen eben genannten Eigenschaften ein Männlichkeitsmuster, das für Vernunft, Fortschritt und den Prozeß der Zivilisation steht. Norbert Elias hat dieses Muster als die "Verhöflichung des Kriegers" beschrieben; er versteht darunter das Folgende: Überlegung, Berechnung auf längere Sicht, Selbstbeherrschung, genaueste Regelung der eigenen Affekte, Kenntnis der Menschen und des gesamten Terrains werden zu unerlässlichen Voraussetzungen jedes sozialen Erfolgs. Indem Effi die Ehe mit Baron von Innstetten eingeht, begibt sie sich in den Bannkreis dieser Werte, in deren Zentrum – wieder mit Norbert Elias gesprochen – eine "mehr oder weniger automatische Selbstüberwachung" und die "Unterordnung kurzfristiger Regungen unter das Gebot einer gewohnheitsmäßigen Langsicht" stehen. Selbstkontrolle und Verzicht werden zum Motor für Fortschritt und Karriere. Max Weber hatte diese Verhaltensdisposition in der protestantischen Ethik verortet. Paradigmatisch ist Fontanes Rollenverteilung auch in der Konzeption der Figur Effi, denn diese repräsentiert in ihrer von der Forschung vielfach besprochenen Kind- und Naturhaftigkeit das Weiblichkeitsmuster, das Innstettens Position komplementär entspricht: Effi steht für das 'Andere' der Vernunft. Inhaltlich ist dieses Andere der Leib, die Phantasie, das Begehren, die Gefühle – all das, was sich die abendländische Zivilisation als 'Natur' jenseits von 'Vernunft' und 'Kultur' denkt. Bezeichnenderweise lehnt Effi als "Naturkind" (HFA I, 4, S. 37) deshalb ab, was ihr die Mutter als "Musterehe" (HFA I, 4, S. 32) in Aussicht stellt. Effi ist vielmehr für Folgendes: "Ich bin … nun, ich bin für gleich und gleich und natürlich auch für Zärtlichkeit und Liebe. […] aber gleich hinterher kommt Glanz und Ehre, und dann kommt Zerstreuung – ja, Zerstreuung, immer was Neues, immer was, daß ich lachen oder weinen muß. Was ich nicht aushalten kann, ist Langeweile." (HFA I, 4, S. 32) Hier formuliert sich das Gegenteil von dem, was Disziplin, Kontrolle und zivilisatorische Vernunft zuläßt. Widersprüchlichkeit, ständiger Wechsel und der Wunsch nach unmittelbarer Glücksbefriedigung charakterisieren Effis Haltung genauso wie ihre jugendlichnaturhafte Wildheit, die leitmotivisch den Roman durchzieht. Während Innstetten für das vernünftige Maß und die Ordnung der zivilisierten Welt steht, repräsentiert Fontane in der siebzehnjährigen Kindfrau Effi, dem "Naturkind" (HFA I, 4, S. 37), eine kaum domestizierte Naturhaftigkeit. Effi selber bringt die Sache auf den Punkt, denn zu den vielfach gerühmten Grundsätzen Innstettens sagt sie kurzerhand: "Ach, und ich … ich habe keine." (HFA I, 4, S. 35) Mit ihrer Heirat verläßt Effi den Raum ihrer Kindheit, der im Roman im Schauplatz Hohen-Cremmen repräsentiert ist. Das sonnige Hohen-Cremmen mit seiner paradiesgartenhaften Natur und der Abgeschlossenheit der hufeisenförmigen Hausanlage bildet eine Art zeitentrücktes Reservat. Die "Sonnenuhr" (HFA I, 4, S. 7), die im Zentrum dieser Topographie steht, deutet dies – gemäß dem bekannten Sprichwort – an: sie zählt die heitern Stunden nur. Hohen-Cremmen figuriert klar als Effis eigentlicher Ort, als "ihre Heimstätte" (HFA I, 4, S. 214), von der sie selbst sagt: "hier ist meine Stelle" (HFA I, 4, S. 283), und bildet damit deutlich den Gegenpol zum Fremdraum Kessin. Der Wechsel zwischen Hohen-Cremmen und Kessin erfolgt in der Topographie des Romans mittels der Hochzeitsreise über Italien. Von diesem Italien erfährt man neben verschiedenen Städtenamen indes fast nur, daß Innstetten Effi alle berühmten Galerien und Bauwerke vorführt. "Er weiß übrigens alles so gut, daß er nicht einmal nachzuschlagen braucht" (HFA I, 4, S. 41), schreibt Effi ihren Eltern nach Hohen-Cremmen und etwas später auch: "das lange Stehen vor den Bildern strengt mich an. Aber es muß ja sein." (HFA I, 4, S. 41). Innstetten gestaltet die Hochzeitsreise als Bildungsreise und versucht dabei Effi in die Geschichte der Kunst und Kultur einfzuführen. Damit erscheint er erstmals deutlich als Erzieher seiner Frau. Er führt sie in eine kulturelle Ordnung ein, über die er souverän verfügt, von der Effi dagegen als "Naturkind" kaum etwas zu wissen scheint und für die sie sich offensichtlich auch nicht besonders interessiert. Das Verhältnis von Erzieher und Schülerin entspricht genau der über den Kultur-Natur-Gegensatz strukturierten Paarbeziehung. Pointiert gesagt: Innstetten versucht als Mann des zivilisatorischen Maßes und der Ordnung seine Frau anzuleiten, sich aus ihrem Naturzustand zu erheben. Briest kommentiert das Geschehen zu Hause mit der Feststellung: "Das ist eben das, was man sich verheiraten nennt." Und seine Frau reagiert mit: "Also jetzt gibst du das zu. Mir gegenüber hast du’s immer bestritten, immer bestritten, daß die Frau in einer Zwangslage sei." (HFA I, 4, S. 42) Im Gegensatz zu Briest, der sich mit seiner beliebten Formulierung "Das ist wirklich ein zu weites Feld." (HFA I, 4, S. 42) allen weiteren Überlegungen zu diesem Thema entzieht, beginnt nun Fontane erzählend das "weite Feld" des Kultur-Natur-Konflikts zu vermessen und schildert die Ankunft und den Beginn des Ehealltags in Kessin. Waren es auf der Hochzeitsreise die kulturgeschichtlich relevanten Bilder und Bauwerke, in deren Ordnung Innstetten Effi einzuführen versuchte, so ist es nun die gesellschaftliche Ordnung von Kessin. Die Fahrt des Paares in der offenen Kutsche vom Bahnhof Klein-Tantow bis zur landrätlichen Wohnung setzt den ehelichen Bildungsprozeß fort und gerät schließlich für Effi zur Fahrt auf der Geisterbahn. Effi hat kaum Zeit, ihre Eindrücke von der neuen Umgebung zu formulieren, und schon kommt das Gespräch auf den fatalen Chinesen, der später Effi als Spuk verfolgen wird und den Fontane bekanntlich einen "Drehpunkt für die ganze Geschichte" genannt hatte. Die Dynamik des Geschehens folgt dabei einer Gesetzmäßigkeit, welche ganz dem Kultur-Natur-Gegensatz verpflichtet ist und auf der Topographie des Fremden basiert. Effi nämlich findet vorerst all das Fremde, das sie nun sieht und das ihr Innstetten erläutert, "entzückend" (HFA I, 4, S. 45). Den Wirt Golchowski, an dem man vorbeifährt, bewundert sie als "Starost[en]" (HFA I, 4, S. 44) und Kessin und seine Bewohner hält sie "für eine ganz neue Welt" (HFA I, 4, S. 45) und "Allerlei Exotisches" (HFA I, 4, S. 45). Effi wiederholt hier ihre poetisierende Sicht auf das Fremde, wie wir sie aus dem Gespräch mit ihrer Mutter kennen, und versucht auf diese Weise eine Welt erstehen zu lassen, die ihren Wünschen und Sehnsüchten entspricht. Sie übergeht dabei konstant Innstettens belehrenden Diskurs, aus dem ein sehr viel nüchterneres, ja geradezu deprimierendes Bild von Kessin als Provinznest entsteht. Als Effi davon zu sprechen beginnt, daß man in Kessin wohl gar "einen Neger oder einen Türken, oder vielleicht sogar einen Chinesen" (HFA I, 4, S. 45) habe, nimmt Innstetten Effis Worte schließlich auf und entgegnet: "Auch einen Chinesen. Wie gut du raten kannst. Es ist möglich, daß wir wirklich noch einen haben, aber jedenfalls haben wir einen gehabt; jetzt ist er tot und auf einem kleinen eingegitterten Stück Erde begraben, dicht neben dem Kirchhof. Wenn du nicht furchtsam bist, will ich dir bei Gelegenheit mal sein Grab zeigen; es liegt zwischen den Dünen, bloß Strandhafer drum rum und dann und wann ein paar Immortellen, und immer hört man das Meer. Es ist sehr schön und sehr schauerlich." (HFA I, 4, S. 45f.) Absicht oder Ungeschick: Innstetten wendet Effis Exotik aus dem Lebensfrohen ins Morbide. Tod, Gefängnis, Furcht und Ödnis kennzeichnen dieses andere Bild von Kessin, alles Werte, die Effis Angstbild von der Fremde, das sie schon zuvor an Exil, Abgeschiedenheit und Kälte band, bestätigen und bestärken. Innstettens Erziehung seiner Frau, sein Versuch, sie in die zivilisatorische Ordnung überzuführen, beginnt spätestens an dieser Stelle des Romans sich als fragwürdig zu erweisen. Kultivation scheint hier nicht ins Leben zu führen, sondern vielmehr zu Vernichtung, Sinn-Entleerung und Tod. Ein zentrales Bild für diesen Vorgang ist die Kälte. Sie beginnt die Topographie von Kessin jahreszeitlich als Winter mit Schnee und Eis zu bestimmen und charakterisiert damit das Vorankommen von Effis Abtötung und Zivilisierung. Daß Effi Innstetten dabei einmal als "frostig wie einen Schneemann" (HFA I, 4, S. 67) empfindet, gehört genauso in diesen Zusammenhang wie das seltsame Gerücht, das Fontane die Kessiner über Innstetten verbreiten läßt; diese erzählen sich nämlich, "Innstetten würde als Führer einer Gesandtschaft nach Marokko gehen, und zwar mit Geschenken, unter denen […] vor allem auch eine große Eismaschine sei." (HFA I, 4, S. 173) Innstetten als Kolonisator mit der Eismaschine: Der Verlauf der Handlung bestätigt dieses Bild nachdrücklich. Vor allem gerät, weil Innstetten seine Kultivationsbemühungen mit zweifelhaftem Erfolg fortsetzt, das landrätliche Haus Effi zum "Spukhaus" (HFA I, 4, S. 100). Dies geschieht allerdings weniger dadurch, daß Innstetten – wie Crampas Effi später weismacht – den Spuk für seine Frau "aus Berechnung" (HFA I, 4, S. 134) inszeniert. Kessin wird Effi unheimlich und schauerlich vielmehr deshalb, weil der Prozeß ihrer Zivilisation die Wunschbilder vom glücklichen Leben zunehmend zu Angstbildern entstellt. Der "Angstapparat" (HFA I, 4, S. 134), der dies bewirkt, resultiert nicht aus Innstettens "Kalkül" (HFA I, 4, S. 134), sondern folgt gesetzmäßig der Logik des Zivilisationsprozesses. Denn der Spuk mit dem Chinesen erweist sich in kulturtheoretischem Zusammenhang deutlich als jene Wiederkehr des Verdrängten, als die Sigmund Freud das Unheimliche beschrieben hat. Die zivilisatorische Disziplinierung beseitigt nach Freud die verbotenen Wünsche nicht einfach, sondern verdrängt sie ins Unbewußte. Das Unheimliche, sagt Freud, "ist nichts Neues oder Fremdes, sondern etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm nur durch den Prozeß der Verdrängung entfremdet worden ist". Bei Effi ist der Chinese die Wiederkehr ihres verdrängten Verlangens nach Glück, Liebe, Vergnügen und Unterhaltung. Man sieht das deutlich daran, daß Effi die Geräusche aus dem oberen Stockwerk des Kessiner Hauses, die sie nachts ängstigen, anfangs nicht mit dem toten Chinesen verbindet, sondern mit langen "Schleppenkleidern" (HFA I, 4, S. 53) und der Vorstellung, "als tanze man oben, aber ganz leise" (HFA I, 4, S. 53). Erst nachdem Innstetten dann Effi die ihr unbekannten Hausräume zeigt und sich dieser Fremdraum – exemplarisch für Innstettens zivilisatorisches Wirken – "unter seiner Führung" (HFA I, 4, S. 59) als "öde", "ärmlich" und weitgehend "leer" (HFA I, 4, S. 61) erweist, tritt der tote Chinese an die Stelle der enttäuschten Hoffnung von Fest, Ball und Tanz. Das Wunschbild der poetisch-märchenhaften Fremde entstellt sich auf diese Weise über den Vorgang der Zurückweisung, Umwertung, Verdrängung und Wiederkehr zum Angstbild morbider Exotik. Die Topographie des Kessiner Hauses bereitet diese Entstellung des Glücks zum Unheimlichen vielfach vor. So ist Effi am Abend ihrer Ankunft in dem "einfachen, etwas altmodischen Fachwerkhause" (HFA I, 4, S. 48) vorerst "wie gebannt von allem, was sie sah, und dabei geblendet von der Fülle von Licht" (HFA I, 4, S. 50). Sie realisiert dabei Fremdheit als einen Raum des "viel, viel andere[n] und zum Teil sehr Sonderbare[n]" (HFA I, 4, S. 50). Wieder ist es Innstetten, der seine Frau mit Erklärungen zum Verständnis anleitet. Was an der Flurdecke aufgehängt ist, sind "ein junges Krokodil" (HFA I, 4, S. 50) und "ein Haifisch" (HFA I, 4, S. 50) und – wie Effi selber erkennt "ein Schiff mit vollen Segeln, hohem Hinterdeck und Kanonenluken" (HFA I, 4, S. 50). Das "Sonderbare" kommt an sich schon in die Nähe des Unheimlichen. Darüber hinaus aber repräsentiert diese Flurausstattung, die im übrigen wie die "Geschichte von dem Chinesen" (HFA I, 4, S. 48) auf den früheren Hausbesitzer und Seefahrer Thomsen zurückgeht, gleichsam in Modellform das Szenario von gewaltsamer Kolonisation und Naturbezwingung. Der Haifisch und das junge Krokodil sind die Siegestrophäen der Aneignung, die der Seefahrer, um die erfolgreiche Naturbeherrschung zu dokumentieren, von seinen Eroberungszügen mit nach Hause bringt. Da Innstetten indes in seiner Ehe ein Kolonisator der Natur ist wie Thomson als "Chinafahrer" (HFA I, 4, S. 84), sieht Effi an der Flurdecke in entstellter Form vorweggenommen, was ihr selber widerfahren wird. Die aufgehängten, ausgestopften Meerestiere sind wie der etwas spätere Spuk Zeichen einer kolonisierten und zum Tod entstellten Fremde. Es wären hier weitere Bilder entstellter Fremde oder der Wiederkehr des Verdrängten zu besprechen[, etwa] Effis Gespräch mit Crampas über die versunkene Stadt Vineta, in dem sich der Sehnsuchtsraum zu Heines "Seegespenst", einer "Hinrichtung" und dem mexikanischen Kriegsgott "Vitzliputzli" (vgl. HFA I, 4, S. 136–138) entstellt, oder [...] Effis Urlaub mit Innstetten auf Rügen, wo sich das anfangs als mediterran empfundene Saßnitz über die Entdeckung des Nachbardorfes Crampas und der "Opfersteine" (HFA I, 4, S. 211) zu einem "Sorrent, als ob es sterben wollte" (HFA I, 4, S. 212), verwandelt. Schließlich verliert selbst Hohen-Cremmen bei Effis Besuch nach der Urlaubsreise seine sonnige Natur und entstellt sich als nächtlich-morbider Raum – "ungerufen" (HFA I, 4, S. 218), wie es heißt – zum deprimierenden Doppelbild Kessins. Auch der "Schloon" (HFA I, 4, S. 159), jenes im Sommer bedeutungslose Rinnsal, das im Winter plötzlich den Boden unterspült und einen wahren "Sog" (HFA I, 4, S. 159) entwickelt, wäre natürlich in diesem Zusammenhang zu besprechen. Aber darauf kann ich hier leider ebenso wenig [...] eingehen, wie auf die Veränderung der Kessiner Topographie bei Effis Ausritten mit Crampas, wo sich mit Dünen, Strand und Meer vorübergehend eine Landschaft in Szene setzt, die Effi weitgehend entspricht und ihr deshalb weniger fremd ist. Daß sich Effi in Kessin dann aber erneut fremd und gar "wie eine Gefangene" (HFA I, 4, S. 169) fühlt, liegt an der Trostlosigkeit ihrer Ehebruchsituation und zeigt, daß ihr Sehnsuchtsbild der Fremde endlich zerstört und vom "Komödienspiel" (HFA I, 4, S. 169) eines öden Provinzalltags ersetzt ist. Die usurpatorische Entwertung des Fremden, in die die kolonisatorischen Bemühungen von Innstetten und Crampas schließlich münden, ist topographisch eindrücklich in dem Satz repräsentiert, den Effi kurz vor dem Umzug nach Berlin äußert: "Es rauscht und rauscht immer, aber es ist kein richtiges Leben." (HFA I, 4, S. 187) In Berlin wird Effi dann mit dem Auffinden der Crampasschen Liebesbriefe von der entstellten Sehnsucht ein letztes Mal eingeholt. Die Entdeckung ihres längst vergangenen Verhältnisses macht Effi unverhofft zur "ausgestoßenen" (HFA I, 4, S. 254) Ehebrecherin, und so führt sie – fast schon am Ziel von Karriere und Erfolg – inmitten Berlins das Leben gleichsam einer lebendig Begrabenen. Nach dem provinziellen Kessin wird Effi damit die preußischdeutsche Kapitale in potenzierter Form zur trostlosen Fremde. Das Fremde in Fontanes Effi Briest – so läßt sich zusammenfassend formulieren – steht letztlich für den preußisch-deutschen Ehealltag, wie er sich dem Blick des Anderen der Vernunft darbietet. Effis Blick auf Innstetten und Kessin läßt den Normalfall einer preußisch-deutschen Beamtenkarriere verfremdend als exotische oder morbide Fremde aufscheinen. Es erweist sich dann aber, daß das scheinbar so fremde Kessin Berlin in vielem doch sehr ähnlich ist. Kessin ist Berlin im Zustand entstellter Ähnlichkeit. Insgesamt läßt Fontane in der Gestaltung seiner Topographie zivilisationskritisch aufscheinen, was Horkheimer und Adorno in ihrer 'Dialektik der Aufklärung' an die Adresse der Aufklärer formulieren: Es widerfährt ihnen, was dem triumphierenden Gedanken seit je geschehen ist. Tritt er willentlich aus seinem kritischen Element heraus als bloßes Mittel in den Dienst eines Bestehenden, so treibt er wider Willen dazu, das Positive, das er sich erwählte, in ein Negatives, Zerstörerisches zu verwandeln. In: Theodor Fontane. Am Ende des Jahrhunderts. Im Auftrag des Theodor-Fontane-Archivs hrsg. von Hanna Delf von Wolzogen in Zusammenarbeit mit Helmut Nürnberger. Bd. 3: Geschichte – Vergessen – Großstadt – Moderne. Würzburg 2000, S. 189-199. [Anmerkungen und Nachweise der zitierten Literatur in der genannten Publikation.] 7. Zweikampf (Duell, lat. duellum, von duo, zwei), der zwischen zwei Personen nach herkömmlichen Regeln verabredete Kampf mit gleichen tödlichen Waffen zur Austragung eines Ehrenhandels. Man unterscheidet Z. im engern Sinn, d. h. das Duell nach vorgängiger förmlicher Vereinbarung (duellum praemeditatum), das Renkontre (Begegnungszweikampf, duellum subitaneum), Z. auf der Stelle mit beiderseitiger Zustimmung, und die Attacke (Überfall), ein Z. zwar auf der Stelle, doch so, daß der eine Teil vom andern mit Waffen angegriffen und zur Verteidigung aufgefordert wird. Die Attacke ist an und für sich kein Z., wird es aber dadurch, daß sich der Angegriffene auf diesen Kampf einläßt. Derjenige der beiden Duellanten, welcher dem andern den Z. anträgt oder antragen läßt, ihn herausfordert oder herausfordern läßt, mit ihm »kontrahiert«, heißt der Ausforderer (Provokant); derjenige, der zum Z. aufgefordert wird, der Geforderte (Provokat). Nebenpersonen sind: die beiden Sekundanten, welche die Vermittler zwischen den Gegnern machen, die Wahl und Gleichheit der Waffen, Zeit und Ort des Duells verabreden, auf dem Kampfplatz selbst den Raum, auf welchem gekämpft werden soll (Mensur), bestimmen und darauf sehen, daß der Z. in der gehörigen Weise vollzogen werde. Dazu kommen noch, wenigstens beim Studentenduell, der Kartellträger, d. h. die Mittelsperson, welche die Ausforderung bewirkt, die Zeugen, welche die Waffen vor Beginn des Duells und zwischen den einzelnen Gängen halten und in den gehörigen Stand setzen, auch das Sitzen eines Hiebes oder Stoßes, oder das Geschehen eines Nachstoßes bezeugen u. dgl., und der Schiedszeuge oder Unparteiische, welcher dabei über etwaige Streitigkeiten entscheidet. Ein Arzt (in der Studentensprache »Paukdoktor« genannt) ist gewöhnlich anwesend, um die nötige ärztliche Hilfe zu leisten. Das Duell auf den Hieb geschieht bei Studenten mit Schlägern oder Säbeln, bei Offizieren mit der bei ihrer Truppe üblichen Waffe. Die Sekundanten stehen dabei zur linken Seite ihrer Freunde und sind mit Degen oder Rapieren versehen, mit denen sie nach manchen Duellherkommen gefährliche Hiebe nach der linken Seite des Freundes parieren können. Der Z. auf den Stich erfolgt in der Regel mit dreischneidigem Stoßdegen, bei geschärftem Grad mit sogen. Parisiens mit kleinern Stichblättern. Der Z. auf den Schuß geschieht mit Pistolen und entweder a tempo, d. h. so, daß die Duellanten, auf der gewöhnlich 15 Schritt betragenden Mensur stehend, nach dem Kommando eines der Sekundanten gleichzeitig schießen, oder nach Ziel, wobei der Geforderte den ersten Schuß hat, dann aber einige Minuten auf der Mensur so lange bleiben muß, bis der andre geschossen hat. Beim »Schießen über den Mantel oder das Tuch« (Schnupftuch) wird die Mensur durch die gegenüberstehenden Zipfel eines Mantels oder Tuchs bestimmt. Die Barrieren beim Schießen über den Mantel oder das Tuch (Schießen mit Avancieren) werden so gemacht, daß, wenn jeder Duellant an der seinigen steht, beide fünf Schritt voneinander entfernt sind. Beim Z. mit Pistolen sehen die Sekundanten darauf, daß ordentlich geladen wird; zum Schießen kommandiert der Sekundant des Beleidigten durch ein Zeichen oder durch Worte. Beim »Schießen aus dem Sack« sind beide Pistolen in einem Sack, jedoch nur eine geladen. Der Fordernde zieht eine davon heraus, und beide drücken zugleich los. Das sogen. amerikanische Duell, welches in neuerer Zeit aufgekommen ist, besteht darin, daß die beiden Gegner durch das Los bestimmen, wem von ihnen die Ehrenverpflichtung zufällt, sich binnen einer bestimmten Frist selbst zu töten. Das amerikanische Duell ist also kein Z. und daher auch nicht nach den über den Z. bestehenden Rechtsvorschriften zu behandeln. Im allgemeinen bestimmt gewöhnlich der Fordernde die Waffe, muß aber auch gefährlichere Waffen annehmen. Nach dem Z. hat der Fordernde zu erklären, ob seine Ehre gesühnt sei und das Duell aufhören soll (Satisfaktion nehmen). Sind bei Studentenduellen 12 (oder auch 24) Gänge gemacht, so ist der Z. zu Ende; doch endet auf manchen Universitäten eine gültige Wunde stets das Duell. Nach Beendigung des neunten Ganges kann auch, ohne daß eine Verwundung vorgefallen ist, Satisfaktion genommen werden. Eine verschärfte Forderung liegt vor, wenn »bis zur Abfuhr« kontrahiert ist, d. h. wenn so lange gefochten werden soll, bis ein Duellant kampfunfähig ist. Der Z. war schon dem Altertum nicht fremd. Es treten uns z. B. Fälle entgegen, in denen langwierige Kriege, entscheidungslos hin- und herschwankende Schlachten etc. durch ein Einzelgefecht der Feldherren beendet wurden. Von einem Z. im heutigen Sinn, d. h. als Mittel, eine Privatbeleidigung oder Ehrenverletzung auszugleichen, wußten aber die alten Völker nichts. Als solches wurzelt das Duell geschichtlich in dem germanischen Gottesurteil des gerichtlichen Zweikampfes (s. Ordalien). Freilich zeigte der mittelalterliche Z. noch nicht alle ausgebildeten Formen des spätern Duells, die sich erst in Spanien entwickelten; aber den Ordalien, Fehden, Renkontres lag bereits das Prinzip zu Grunde, sich eine persönliche Genugthuung für eine erlittene Rechtsverletzung zu verschaffen. Dem Umstand, daß gewisse Klassen der bürgerlichen Gesellschaft (Adel, Offiziere, höhere Beamte, Studenten) eine besondere Standesehre für sich in Anspruch nehmen, ist es zuzuschreiben, daß sich die Sitte, nach andern die Unsitte, des Zweikampfes bis auf die Gegenwart erhalten hat. Zur Wahrung dieser Standesehre in den Augen der Standesgenossen ist die Forderung persönlicher Genugthuung notwendig, wofern diese besondere Ehre angetastet wird. Auf diese tief eingewurzelte Anschauungsweise nimmt die Gesetzgebung Rücksicht, indem sie auf die vollendete oder versuchte Tötung oder Körperverletzung im Z. nicht die allgemeinen strafrechtlichen Bestimmungen anwendet, vielmehr das Duell wesentlich aus dem Gesichtspunkt eines eigenmächtigen Eingriffs in die staatliche Rechtsordnung straft. Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich (§ 201 ff.) unterscheidet zwischen einfachem und schwerem Z. Das einfache (regelrechte) Duell ist mit Beginn des Kampfes vollendet und wird ohne Rücksicht auf einen Erfolg mit Festungshaft von drei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht. Eine bei regelrechtem Z. zugefügte Körperverletzung wird nicht besonders bestraft; die Tötung des Gegners dagegen ist mit Festungshaft nicht unter drei, bez. nicht unter zwei Jahren bedroht, je nachdem vereinbart war oder nicht, daß das Duell den Tod des einen von beiden Duellanten herbeiführen solle. Beim schweren Z., d. h. wenn das Duell ohne Sekundanten stattgefunden hat, kann die vereinbarte Strafe um die Hälfte, jedoch nicht über zehn Jahre erhöht werden. Wenn die Tötung oder eine Körperverletzung mittels vorsätzlicher Übertretung der vereinbarten oder hergebrachten Kampfregeln bewirkt worden ist, so greifen die allgemeinen Vorschriften über das Verbrechen der Tötung oder Körperverletzung Platz. Hinsichtlich der mitwirkenden Personen gelten zwar die allgemeinen Bestimmungen über Mitthäter, Anstifter und Gehilfen; es sind jedoch die Sekundanten, die zugezogenen Zeugen, Ärzte und Wundärzte straflos, ebenso die Kartellträger, wenn sie ernstlich bemüht waren, den Z. zu verhindern. Wer einen andern zum Z. mit einem Dritten absichtlich, insonderheit durch Bezeigung oder Androhung von Verachtung anreizt, wird, falls das Duell stattgefunden hat, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Auch die Herausforderung zum Z. mit tödlichen Waffen sowie die Annahme einer solchen Herausforderung ist mit Strafe und zwar mit Festungshaft bis zu sechs Monaten bedroht, welche bis zu drei Jahren steigen kann, wenn bei der Herausforderung die Absicht, daß einer von beiden Teilen das Leben verlieren soll, entweder ausgesprochen ist, oder aus der gewählten Art des Duells erhellt. Die Kartellträger, sofern sie nicht, wie oben erwähnt, bemüht waren, den Z. zu verhindern, werden mit Festung bis zu sechs Monaten bestraft. Wird das Duell vor Beginn freiwillig aufgegeben, so fällt die Strafe der Herausforderung, der Annahme derselben und die der Kartellträger weg. Nach dem österreichischen Strafgesetzbuch (§ 158 ff.) wird der Z. in dem Fall, daß keine Verwundung stattgefunden hat, mit Kerker von sechs Monaten bis zu einem Jahr, im Fall einer Verwundung mit Kerker von 1–5 , bei sehr schwerer Verletzung mit schwerem Kerker von 5–10 und im Fall des Todes von 10–20 Jahren bestraft. Das deutsche Militärstrafgesetzbuch (§ 112) enthält bezüglich des Zweikampfes nur die Bestimmung, daß derjenige, welcher einen Vorgesetzten oder einen im Dienstrang Höhern aus dienstlicher Veranlassung zum Z. herausfordert, mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr und, wenn der Z. vollzogen wird, nicht unter drei Jahren bestraft werden soll. Zugleich ist auf Dienstentlassung zu erkennen. Den Vorgesetzten, welcher die Herausforderung annimmt oder den Z. vollzieht, treffen dieselben Strafen. Im Übrigen gelten in dieser Hinsicht für Militärs die Vorschriften des allgemeinen Strafgesetzbuchs. Hiernach sind also auch die Duelle der Offiziere strafbar, womit allerdings die in der deutschen Armee herrschende Auffassung, daß trotz der Ehrengerichte (s. d.) ein Z. unter Umständen für den Offizier aus dienstlichen Rücksichten geboten, und daß eine Ablehnung des Duells die Entlassung aus der Armee nach sich ziehen müsse, im Widerspruch steht. In der englischen Armee ist der Z. namentlich auf Betreiben des Prinzen Albert und des Herzogs von Wellington abgeschafft worden. Die sogen. Studentenpaukereien, bei welchen gewisse Schutzvorrichtungen bestehen, wurden früher auf den deutschen Universitäten nur im Disziplinarweg geahndet. Das Reichsgericht hat jedoch auf Studentenmensuren mit scharfen Waffen die Vorschriften des Strafgesetzbuchs für anwendbar erklärt. Vgl. »Die konventionellen Gebräuche beim Z.« (2. Aufl., Berl. 1885); Châtauvillard, Duellkodex (deutsch, Karlsr. 1888); Gneist, Der Z. und die germanische Ehre (Berl. 1848); Hälschner, Über das Duell (Elberf. 1868); Du Verger de St.-Thomas, Du duel, histoire, législation, etc. (Par. 1879); Keyserling, Erörterungen über das Duell (Dorp. 1883); Puglia, Del duello (Tur. 1885); Truman, The field of honour (New York 1885, geschichtlich); Gelli, Il duello nella storia della giurisprudenza (Flor. 1886); Thümmel, Der gerichtliche Z. und das heutige Duell (Hamb. 1887); Ofenheim, Das Wesen des Duells (Wien 1888); Kohut, Buch berühmter Duelle (Berl. 1888). Quelle: http://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=117146#Zweikampf, siehe auch: http://www.bgbedia.de/zweikampf/ 8. Biographie Theodor Fontanes (*30.12.1819 in Neuruppin, † 20.09.1898 in Berlin) 1819 in Neuruppin (nördlich von Berlin) geboren 1827 zieht die Familie nach Swinemünde 1832 besucht er die Quarta die Gymnasiums in Neuruppin und ab 1833 die Gewerbeschule K.F. Klödens in Berlin. 1836 beginnt er eine Lehre als Apotheker. 1839 „Geschwisterliebe“ 1840 Apothekergehilfe, Gedichte im „Berliner Figaro“, Roman „Du hast Recht getan“ und Epos „Heinrichts IV. erste Liebe“ (beide nicht erhalten) 1842/43 Gedichte und Korrespondenzen in dem Unterhaltungsblatt „Die Eisenbahn“. ab 1843 Gedichte im „Morgenblatt“ 1843 Defektar in der väterlichen Apotheke in Letschin 1844 als Gast ("Lafontaine") Mitglied in dem Berliner Literarischen Sonntagsverein „Tunnel über der Spree“, dem Paul Heyse und Theodor Storm angehören, im September Aufnahme in den „Tunnel“, Beginn des Militärjahres, erste Reise nach England 1845 (Dezember) Verlobung mit Emilie Rouanet-Kummer 1847 Approbation als Apotheker erster Klasse; Trennung der Eltern ohne Scheidung 1848 Teilnahme an den Barrikadenkämpfen am 18. März, Beiträge im radikaldemokratischen Blatt „Berliner Zeitung – Halle"; als Mitarbeiter der „Dresdner Zeitung" nahm er an der Opposition gegen die preußische Reaktion teil („Die Wiedergeburt des Polizeistaates“), (September) Anstellung im Krankenhaus Bethanien 1849 Ende der Tätigkeit in Bethanien, Korrespondent des „Dresdner Zeitung“ (bis April 1850) 1850 „Männer und Helden“; „Von der schönen Rosamunde“, Eintritt ins „Literarische Kabinett“, am 16. Oktober heiratet er Emilie Rouanet-Kummer 1851 „Gedichte“, im August wird Sohn George Emile geboren 1852 „Deutsches Dichter-Album, hrsg. von Theodor Fontane“, 23. April – 25. September Aufenthalt in London 1853 „Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848“ 1854 „Ein Sommer in London“; „Argo“; „Belletristisches Jahrbuch, hrsg. von Theodor Fontane und Fr. Kugler“. 1855–59 freier Korrespondent in London 1856 am 3. November wird Sohn Theodor geboren 1858 Reise mit Lepel nach Schottland 1859 Rückkehr nach Berlin, Beginn der „Wanderungen“ 1860 „Aus England“; „Jenseits des Tweed“, am 21. März wird Tochter Martha (Mete) geboren 1860–1870 Mitarbeiter der konservativen „Kreuz-Zeitung"; zugleich kulturgeschichtliche Reiseliteratur, ("Wanderungen durch die Mark Brandenburg"). 1861 „Balladen“ 1862 „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ (Bis 1882 vier Bände) 1864 am 5. Februar wird Sohn Friedrich geboren, Reisen nach Schleswig-Holstein und Dänemark (Kriegsberichterstatter) 1865 (26. August – 21. September) Reise an den Rhein und in die Schweiz 1866 „Der Schleswig-Holsteinische Krieg im Jahre 1864“, Reisen auf die böhmischen und süddeutschen Kriegsschauplätze: „Reisebriefe vom Kriegsschauplatz“ im Deckerschen „Fremdenblatt“ 1867 (Oktober) Tod des Vaters 1869 (Dezember) Tod der Mutter 1870 Bruch mit der „Kreuzzeitung“, Theaterrezensent der „Vossischen Zeitung“; Verteidiger des Naturalismus (Ibsen, Hauptmann) als Fortentwicklung des Realismus, 5. Oktober Festnahme in Domrémy, Internierung auf der Île d’Oleron, (Dezember) Rückkehr nach Berlin, „Der deutsche Krieg von 1866“ (Bd. 2: 1871), 1871 „Osterreise“ nach Frankreich; „Kriegsgefangen“; „Aus den Tagen der Occupation“ 1872 Umzug in die Potsdamer Straße 134 c, Fontanes letzte Wohnung 1873 „Der Krieg gegen Frankreich 1870–1871“ (Bd. 2 in zwei Halbbänden 1875/76) Italienreise mit Emilie über Verona, Venedig, Florenz, Rom, Neapel, Capri, Sorrent, Salerno, Rom, Florenz, Piacenca, Verona. 1875 „Gedichte. 2., vermehrte Auflage“, Reise in die Schweiz und nach Oberitalien. Heimkehr über Wien 1876 (März) ständiger Sekretär der Akademie der Künste in Berlin. Ende Mai Rücktrittsgesuch, August Entlassung 1878 „Vor dem Sturm“ 1880 „Grete Minde“ 1881 „Ellernklipp“ 1882 „L’Adultera“ (benannt nach Tintorettos Gemälde "Die Ehebrecherin"), Fontanes erster Berliner Gesellschaftsroman; „Spreeland“, der letzte Band der „Wanderungen“ 1883 „Schach von Wutenow“. Zola-Studien. 1884 „Graf Petöfy“. Beginn der Korrespondenz mit Georg Friedlaender 1885 „Christian Friedrich Scherenberg und das litterarische Berlin von 1840 bis 1860“ „Unterm Birnbaum“ 1887 „Cecile“, 24. September Tod des Sohnes George 1888 „Irrungen, Wirrungen“. Friedrich Fontane gründet eigenen Verlag 1889 „Fünf Schlösser“; „Gedichte. 3., vermehrte Auflage“. 1890 „Stine“, wichtige Theaterkritiken für die naturalistische Bewegung 1890/91 erste Gesamtausgabe der erzählenden Werke in zwölf Bänden. 1891 „Quitt“ 1891 Schiller-Preis 1892 „Gedichte. 4., vermehrte Auflage“; „Unwiderbringlich“, schwere Erkrankung 1893 „Frau Jenny Treibel oder ‘Wo sich Herz zum Herzen find’t’“ 1894 „Von [,] vor und nach der Reise“; „Meine Kinderjahre“, 8. November Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin auf Vorschlag Erich Schmidts und Theodor Mommsens 1895 Beginn der Arbeit an der „Stechlin“, erster überlieferter Brief an James Morris 1896 „Effi Briest“; Die Poggenpuhls“. 1897 „Der Stechlin“ 1898 „Gedichte. 5., vermehrte Auflage“, „Von Zwanzig bis Dreißig“, am 20. September stirbt Fontane in Berlin 9. Verfilmungen von „Effi Briest“ Der Schritt vom Wege, Deutschland 1939, 97 Minuten Regie: Gustaf Gründgens Darsteller: Marianne Hoppe (Effi), Karl Ludwig Diehl (Innstetten), Paul Hartmann (Crampas), Paul Bildt (Briest), Käthe Haack (Frau von Briest), Max Gülstorff (Gieshübler), Hans Leibelt (Wüllersdorf), Elisabeth Flickenschildt (Tripelli), Renée Stobrawa (Roswitha) Rosen im Herbst BRD 1955, 103 Minuten Regie: Rudolf Jugert Darsteller: Ruth Leuwerik (Effi), Bernhard Wicki (Innstetten), Carl Raddatz (Crampas), Paul Hartmann (Briest), Lil Dagover (Frau von Briest), Günther Lüders (Gieshübler), Hans Cossy (Wüllersdorf), Lola Müthel (Tripelli), Lotte Brackebusch (Roswitha), Margot Trooger (Johanna) Effi Briest, DDR 1968, 120 Minuten Regie: Wolfgang Luderer Darsteller: Angelica Domröse (Effi), Horst Schulze (Innstetten), Dietrich Körner (Crampas), Gerhard Bienert (Briest), Inge Keller (Frau von Briest), Walter Lendrich (Gieshübler), Adolf Peter Hoffmann (Wüllersdorf), Marianne Wünscher (Tripelli), Lissy Tempelhof (Roswitha), Krista Siegrid Lau (Johanna), Lisa Macheiner (Ministerin) Fontane Effi Briest, BRD 1974, 140 Minuten Regie: Rainer Werner Fassbinder Darsteller: Hanna Schygulla (Effi), Wolfgang Schenk (Innstetten), Ulli Lommel (Crampas), Herbert Steinmetz (Briest), Lilo Pempeit (Frau von Briest), Hark Bohm (Gieshübler), KarlHeinz Böhm (Wüllersdorf), Barbara Valentin (Tripelli), Ursula Strätz (Roswitha), Irm Hermann (Johanna) Effi Briest, Deutschland 12. Februar 2009, 117 Minuten Regie: Hermine Huntgeburth Darsteller: Julia Jentsch (Effi), Sebastian Koch (Innstetten), Mišel Matičević (Crampas), Juliane Köhler (Frau von Briest), Thomas Thieme (Briest), Barbara Auer (Johanna), Margarita Broich (Roswitha), Rüdiger Vogler (Gieshübler) 10. Sekundärliteratur: • • • • • • • • • • • • • • • • • Gnüg, Hiltrud: Der erotische Roman, Von der Renaissance bis zur Gegenwart. Philipp Reclam jun., Stuttgart 2002. Josef Peter Stern: Effi Briest / Madame Bovary / Anna Karenina. In: Modern Language Review 52 (1957), S. 363–375. Peter Demetz: Formen des Realismus: Theodor Fontane. Kritische Untersuchungen. Hanser, München 1964. Dietrich Weber: „Effi Briest“ - „Auch wie ein Schicksal“. Über den Andeutungsstil bei Fontane. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts NF (1966), S. 457–474. Richard Brinkmann: Theodor Fontane. Über die Verbindlichkeit des Unverbindlichen. Pieper, München 1967. Ingrid Mittenzwei: Die Sprache als Thema. Untersuchungen zu Fontanes Gesellschaftsromanen. Gehlen, Bad Homburg/Berlin/Zürich 1970. Walter Schafarschik (Hg.): Theodor Fontane. Effi Briest. Erläuterungen und Dokumente. Reclam, Stuttgart 1972. Lutz Röhrich: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Herder, Freiburg/Basel/Wien 1973. Cordula Kahrmann: Idyll im Roman: Theodor Fontane. Fink, München 1973. Carl Liesenhoff: Fontane und das literarische Leben seiner Zeit. Bouvier, Bonn 1976. Anselm Salzer u. Eduard v. Tunk: Theodor Fontane. In: Dies., Illustrierte Geschichte der Deutschen Literatur, Band IV (Vom Realismus zum Naturalismus), Naumann & Göbel, Köln (1984). S. 227–232. Elsbeth Hamann: Theodor Fontane, Effi Briest. Interpretation. 4. Auflage, Oldenbourg, München 2001. Norbert Berger: Stundenblätter Fontane „Effi Briest“. Klett, Stuttgart 2004. Manfred Mitter: Theodor Fontane, Effi Briest, Interpretationsimpulse. Merkur, Rinteln. Textheft. Heide Rohse: Arme Effi – Widersprüche geschlechtlicher Identität in Fontanes „Effi Briest“ . In: Heide Rohse: Unsichtbare Tränen. Effi Briest – Oblomow – Anton Reiser – Passion Christi. Psychoanalytische Literaturinterpretationen zu Theodor Fontane, Iwan A. Gontscharow, Karl Philipp Moritz und Neuem Testament. Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, S. 17–31. Die deutsche Literatur in Text und Darstellung: Bürgerlicher Realismus, herausgegeben von Andreas Huyssen, Band 11, Philipp Reclam jun., bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1999. Soweit nicht in dieser Liste angegeben, finden sich weiterführende Literaturangaben zudem jeweils im Anhang zu den Sekundärtexten innerhalb dieser Materialsammlung. Weblinks: http://www.kerber-net.de/literatur/deutsch/prosa/fontane/briest.htm http://www.kerber-net.de/literatur/deutsch/prosa/fontane/briest/rolle_status_fol.htm http://www.deutsch-online.net/effis-kessin/ http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Theodor_Fontane.html http://www.uni-bielefeld.de/lili/personen/seiler/drucke/effi/gesellschaft.html http://www.literatur-wissen.net/effi-briest-fontane.html erstellt von Eva Bormann, Dramaturgie Junges Theater Marburg, Mai 2010