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fußball
Der ganz
normale Wahnsinn
Am 31. August ist Judgement Day auf dem Transfermarkt. Das
Sportmagazin heftete sich beim Schlusssprint vor Ladenschluss
an die Fersen von Spielervermittler Max Hagmayr. Die ganze
Wahrheit über den Janko-Deal, Hoffers Gezicke und das irre
­Treiben am Calcio Mercato.
Text tom hofer
D
28Sportmagazin 09_2012
MARC JANKO n Nach nur sieben Monaten kehrte der
ÖFB-Striker Porto den Rücken. Bei seinem neuen Klub
Trabzonspor war er nicht der Wunschstürmer Nr. 1.
zweitägigen Verhandlungen in Istanbul und drei Tagen Prag
war fast alles auf Schiene. „Letztlich ist der Transfer gescheitert, weil die Begehrlichkeiten bestimmter Personen zu groß
waren“, ist Hagmayr zerknirscht. „Also ist der Präsident von
Trabzon mit dem Privatjet nach Salzburg weitergeflogen und
hat sich dort mit Janko, der Nummer 2 auf der Prioritätenliste,
getroffen. Wobei ich nach wie vor der Meinung bin, dass der
Marc dort nicht glücklich werden wird.“ Ein klassischer Fall
von „Außer Spesen nix gewesen“ für einen Berater. Ärgerlich.
„Dann fährst du mit dem Auto drei Stunden heim und hast das
Geschäft nicht gemacht. Und eigentlich solltest du in Kaiserslautern, Frankfurt oder Mailand beim Mercato sein.“ Mamma
mia, der Calcio Mercato! Den Abstecher zum verrückten Kicker-Schlussverkauf made in Italy hat sich Hagmayr dieses
Mal erspart, weil sich AS Roma schon am Tag zuvor nicht mit
seinem vielversprechenden 16-jährigen ungarischen Nachwuchsspieler einigen konnte – „sonst hätte ich heute nach
­Italien fahren müssen“. Jahr für Jahr treffen sich Klubvertreter
und Spielervermittler in der heißten Transferphase im Jänner
Fotos: Bildagentur Zolles/Furtner (gr.), GEPA-Pictures.com/Cityfiles (kl.)
er 31. August beginnt für Max Hagmayr nach
mickrigen vier Stunden Schlaf um 7 Uhr früh
mit einem Anruf aus der Türkei. Ein türkischer
Kollege sucht einen Stürmer für Eskisehrispor.
„Mich rufen immer wieder andere Berater an
und fragen, ob ich helfen kann.“ Manchmal seien die letzten 24 Stunden vor Transferschluss die pure Hölle, sagt
Hagmayr. Neben Jürgen Werner, seinem ehemaligen Teamkollegen bei VÖEST Linz, ist der 56-Jährige der mächtigste
heimische Spielerberater. Heuer ist business as usual angesagt. Während des kurzfristig eingeschobenen Zweieinhalb­
stunden-Talks mit dem Sportmagazin am Wiener Naschmarkt
läutet Hagmayrs iPhone lediglich 19-mal. Das ist zirka alle
acht Minuten einmal.
In seinem Lieblingslokal Umar hängt an der Wand hinter
Hagmayr ein Che-Guevara-Poster. Glatter Etikettenschwindel,
denn hier werden sehr oft Geschäfte gemacht. Am Ende unseres Gesprächs ist auch der Wechsel von Lukas Kragl vom
LASK zu Austria Lustenau erledigt. Aber nur, weil Hagmayr
die Hälfte der Ablösesumme aus der eigenen Tasche blecht.
Auch das kommt vor und lässt sich heutzutage unkompliziert
per Smartphone managen. 2007 saß er mit Hertha-Sport­
direktor Dieter Hoeneß hier, um den Deal mit Veli Kavlak perfekt zu machen. Fisch und Wein mundeten, Spieler, Klub und
Berater waren sich über den Wechsel schnell einig, nur Rapid
bockte. Dreieinhalb Jahre später vermittelte Hagmayr Kavlak
in die Türkei. Dorthin hat er beste Kontakte. Dennoch musste
er diesen Sommer drei Tage vor Ladenschluss eine herbe
­Niederlage einstecken. Nutznießer war Marc Janko. Eigentlich
war Hagmayrs Klient Leo Kweuke das Objekt der Begierde
von Trabzonspor. Der Kameruner ist ein ähnlicher Schrank wie
der ÖFB-Striker und bei Sparta Prag unter Vertrag. Nach
„Ich bin nach wie vor der
Meinung, dass der Marc
bei Trabzonspor nicht
glücklich werden wird.“
Max Hagmayr über den Wechsel von Marc Janko in die Türkei
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„Wenn ein Spieler im Ausland
auf der Bank sitzt, ist er immer
noch stärker als einer, der gegen
Mattersburg oder Kapfenberg
drei Tore schießt.“
und August in den Mailänder Hotels zum großen Poker. Hagmayr: „Früher hatten die Vereine Zimmer gemietet, da hast du
dich dann aufs Bett gesetzt und verhandelt. Heute spielt sich
alles in der Lobby ab.“ Am Stichtag 31.8. ist um Punkt 19 Uhr
finito: „Bis dahin müssen alle Verträge in der Koje des Verbandes abgestempelt sein.“ Manchmal geht sich der Wettlauf mit
der Zeit haarscharf aus. Beim Wechsel des Ex-Kapfenbergers
Robert Gucher von Frosinone zum FC Genua waren es dreißig
Sekunden bis zur Deadline. Hagmayr: „Genuas Sportdirektor
hatte Hotelverbot, deshalb hab ich auf dem Parkplatz mit ihm
verhandelt.“ Eine andere italienische Eigenart: Viele Spieler
gehören zu je 50 Prozent zwei Vereinen gleichzeitig – bei einem ist er offiziell unter Vertrag, der andere ist stiller Teilhaber.
Hagmayr: „Nach einem Jahr wird entschieden, wer den Spieler kriegt. Können sich die Klubs nicht einigen, gibt jeder sein
Angebot in einem Kuvert ab, das bessere gewinnt.“
B
eim Stichwort Italien schreit Hagmayrs Handy wie
bestellt Alarm. Ein Napoli-Scout will wissen, wohin
das Toto-Cup-Match Österreich gegen Kroatien,
das in Zell am Ziller steigen sollte, verlegt wurde.
Kurzer Gegencheck, schnell ist klar – das Spiel
steigt am Kunstrasen in Mayrhofen. „Wo waren wir? Ach ja,
Italien.“ Jimmy Hoffer, noch bis 2014 im Besitz von Napoli,
soll bei der Verlängerung des Leihvertrags mit Frankfurt herumgezickt haben, hat man aus Insiderkreisen gehört. „Nein,
die Situation war schwer“, wiegelt Hagmayr ab, „Jimmy hat
sich weiterentwickelt, auch als Mensch, ist jetzt reifer und
­verantwortungsbewusster.“ Sogar Interesse aus Japan soll
es gegeben haben. Fernost? Vorerst kein Thema, sagt sein
Berater: „Er soll seinen Weg zuerst in Europa machen.“ Den
Einwand, dass Hoffer in Frankfurt nur Teilzeitarbeiter ist, lässt
Hagmayr nicht gelten: „Wenn ein Spieler im Ausland auf der
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Bank sitzt, ist er immer noch stärker als einer, der gegen Kapfenberg oder Mattersburg drei Tore schießt. Ich bin der Letzte,
der sagt, unsere Liga ist schlecht, aber wenn du hier 15 Saisontore machst, zählt das international gar nichts.“ Generell
sei es nicht leicht mit heimischen Kickern, gesteht Hagmayr:
„Wenn du als Berater mit einem Österreicher arbeitest, hast
du es doppelt so schwer, als wenn du mit einem Slowaken,
Deutschen oder Italiener daherkommst.“ Dass wenigstens
­Rapid den Sprung in die Europa League geschafft hat, sei
Balsam für die gesamte rotweißrote Branche.
Didi Kühbauers im Sportmagazin (Ausgabe Juli/August
2012) geäußerte Befürchtung, dass die Budgets der heimischen Klubs mittlerweile auf dem Niveau der dritten deutschen Liga angekommen seien, widerspricht Hagmayr:
„Das seh ich nicht so. Bei uns wird auch im Vergleich zu
Deutschlands zweiter Liga immer noch sehr gut bezahlt. Die
Fixgehälter dort von 7000 bis 15.000 Euro brutto im Monat
sind anders zu bewerten, als wenn ein Spieler das bei uns
verdient. In Deutschland gibt’s kein 13. und 14. Gehalt,
Wohnung und Auto sind meistens selber zu zahlen und die
Punkteprämien sind auch anders gestaffelt. Ich hatte einen
Spieler, der jetzt bei Rapid ist, dem hat Greuther Fürth
13.000 Euro Fixum angeboten. Doch er hat gemeint: ‚Was
soll ich in der zweiten Liga? In Österreich kann ich viel mehr
verdienen.‘“ Hochtalentierten rät Hagmayr zum raschen Abgang: „Wäre Alaba mit 16 hiergeblieben, wäre er zwar sicher
auch ein überragender Spieler geworden, aber würden ihn
jetzt die Bayern holen oder hätten Man United und Barcelona
Interesse an ihm? Nein!“ Der 17-jährige Austroalbaner Sinat
Bytyqi, den Hagmayr von der Admira-Akademie zu Englands
Champ Manchester City vermittelte, bastelt gerade auf der
Insel an einer Karriere à la Alaba. Hagmayr: „Ich treib niemanden ins Ausland, aber wenn ich bei einem Jungen Potenzial
seh, dass er sich durchsetzen kann, und er auch von der
Persönlichkeit so weit ist, empfehle ich den Wechsel.
­Entscheiden tun aber die Eltern.“
Hagmayrs Jackpot diesen Sommer war Gordon Schildenfeld. Den ehemaligen Abwehrchef von Sturm transferierte er
Fotos: Bildagentur Zolles/Furtner (l.), GEPA-Pictures.com/Witters (r.)
jimmy hoffer n Die Ferrari-Phase ist passé. „Jimmy ist
ein anderer Mensch geworden: reifer, verantwortungs­
bewusster – auch als Spieler“, verspricht Hagmayr.
fußball
„Ich hatte in all den Jahren am
1. September noch nie einen
­arbeitslosen Klienten. Darauf bin
ich stolz.“
javi martinez n Der Preis des Bilbao-Boys war heiß.
„Wenn Bayern 40 Millionen für einen Spieler zahlt, ist er das
wert. Vielleicht steigt ja sein Marktwert in München noch.“
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och der Job ist nicht jedermanns Sache. Zwischen 80.000 und 100.000 Kilometer im Jahr
sitzt Hagmayr hinterm Lenkrad, dazu kommen in
etwa ebenso viele Meilen im Flieger: „Das ist kein
Job, wenn du Familie hast.“ Hagmayr hat eine
Frau und zwei Kinder. „Der Widerstand wird immer größer“,
schmunzelt der Oberösterreicher. Vielleicht ist das der Hauptgrund dafür, warum es kaum Frauen in der Branche gibt.
­Weniger als vier Prozent der offiziell registrierten Berater sind
weiblich. Ehemalige Profis sind nur bedingt geeignet. „Ein
Spieler hat mich einmal drei Tage on Tour begleitet. Der ist
nachher aus dem Auto gestiegen und hat gemeint, ihm tut
­alles weh. Es ist schwer, geeignete Mitarbeiter zu finden,
­Ex-Fußballer wissen ja nicht, was arbeiten heißt.“ Dreizehn
Jahre auf Achse haben auch bei Hagmayr Spuren hinterlassen:
Viermal in den letzten fünf Jahren schrillten die Alarmsirenen
in voller Lautstärke. „Einmal bin ich in Melk von der Autobahn
ins Krankenhaus eingeliefert worden, einmal mitten in der
Nacht in Linz, einmal in Mailand und einmal in Rom – jedes
Mal hab ich geglaubt, ich krieg einen Herzinfarkt. Daher hab
ich jetzt beschlossen: Ich möchte weiterleben! Die Kinder
brauchen ihren Vater“, sagt Hagmayr unplugged. Drei Wochen
halten in der Regel die guten Vorsätze, weniger Gas zu geben,
dann rennt er wieder im Hamsterradl: „Für den Winter hab ich
schon sechs Transfers im Kopf, die ich unbedingt machen
möchte.“ Bis dahin heißt es alte Kontakte pflegen, neue Kunden akquirieren und die lang ersehnte Ayurveda-Kur in Sri
Lanka soll sich auch endlich ausgehen. Als Belohnung, dass
er den ganz normalen Wahnsinn wieder einmal heil überstanden hat: „Ich hatte in all den Jahren am 1. September noch
nie einen arbeitslosen Klienten. Darauf bin ich stolz.“
Fotos: Bildagentur Zolles/Furtner (l.), Reuters/Dalder (r.)
um 1,3 Millionen Euro Ablöse von Frankfurt zu Dinamo Moskau. Keine einfache Übung, nicht nur, weil an den Transferrechten des Kroaten angeblich gleich mehrere Landsleute
­beteiligt sind. „Russland ist immer schwierig.“ Warum? „Keine
Details.“ Peanuts im Vergleich zu den astronomischen 40 Mil­
lionen, die Bayern für Bilbao-Boy Javi Martinez springen ließ.
„Was soll an diesem Preis übertrieben sein?“, empört sich
Hagmayr. „Ein Spieler ist genau das wert, was ein Verein für
ihn bezahlt, so ist das Geschäft. Ich hab gelernt, es so sachlich und nüchtern zu sehen.“ Derart hohe Ausstiegsklauseln
wie im Fall Martinez sind in Spanien gang und gäbe. Barcelona
hat für Messi unpackbare 250 Mille festgelegt. Die Summen
sollen in erster Linie eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Interessenten haben. Allerdings: „Man darf nicht vergessen, dass die Klauseln ja nur mit Zustimmung des Spielers in
den Vertrag geschrieben werden.“ Den Umstand, dass mittlerweile so viele billige Spanier in der heimischen Liga kicken,
findet Hagmayr erschütternd: „Die meisten kommen aus der
dritten oder vierten Liga, das kann für unser Renommee nicht
gut sein. Okay, sie spielen um ganz wenig Geld, weil in Spa­
nien unterhalb der Primera Division niemand mehr Kohle hat.
Es bedeutet aber auch, für jeden österreichischen Spieler ist
es schwieriger geworden, nach Spanien zu kommen.“ Wobei
ja gar keiner mehr das Zeug dazu hätte. „Einen Hans Krankl
müsste man normal auf einen goldenen Sockel heben, wenn
man bedenkt, dass er spanischer Schützenkönig war.“ Typen
wie der Goleador, Polster, Prohaska oder Pezzey würden heute unendlich viel Geld verdienen, ist sich Hagmayr sicher.
Apropos: Erstaunlich, dass die Bayern die Provision für
den Martinez-Manager ohne Murren bezahlt haben. Noch vor
einem Jahr hatte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge getobt, für die Honorare der Berater sollten künftig gefälligst die Spieler selbst aufkommen. „Unlogisch ist die Forde-
rung ja nicht“, gesteht Hagmayr, „das System hat sich halt so
eingebürgert und wird nur schwer zu ändern sein. Klubs und
Spieler brauchen uns, wir sind in Wahrheit das notwendige
Übel.“ Maximal 14 Prozent Provision (von der Brutto-Jahresgage) sind laut offizieller Verordnung erlaubt, üblich sind 8 bis
12, dazu kommt meistens ein Anteil an der Ablösesumme.

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