Eine haarige Sache oder Über die Möglichkeiten das Recht an den

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Eine haarige Sache oder Über die Möglichkeiten das Recht an den
Humboldt - Universität zu Berlin
Rechtswissenschaften / VL „Recht und Geschlecht“ SoSe 2003
Prof. Dr. Susanne Baer
Kommentar: Ein schönes Essay, das durch Überschriften usw. gewonnen hätte.
Zudem müssten Sie auf eindeutige Quellenangaben achten. Jedenfalls aber 1,7
Essay zum Thema
Eine haarige Sache
oder
Über die Möglichkeiten das Recht an den Haaren
herbeizuziehen
vorgelegt von Danilo Vetter
Abbildung 1: An den Haaren herbeiziehen.
Burgherrenstraße 3
12101 Berlin
[email protected]
2. Semester
Gender Studies und
Bibliothekswissenschaft
Tag der Einreichung: 16.07.2003
1
Slowenisches Bienenstockbrettchen von 1886.
1
Im Folgenden werde ich der Frage nachgehen, wie sich die Betrachtung der Preise
für Dienstleistungen im Friseurgewerbe mit der Forderung nach Gleichheit, im
Sinne einer gleichen Behandlung, der Geschlechter verbinden lassen.
Dass Haare eine große Bedeutung im kulturellen Leben spielen, wird unter anderem deutlich, wenn der Umfang der Einträge im Lexikon der sprichwörtlichen
Redewendungen zum Thema Haar betrachtet wird.2 Aber auch in aktuell laufenden Veranstaltungen, wie der Ausstellung „Phänomen Haar“ des Deutschen
Technikmuseums, wird das Haar „als Indiz für die Persönlichkeit, als Gegenstand
für die Wissenschaft, als Stoff für Trends und als Phänomen“3 thematisiert.
Als ein spektakuläres Beispiel dafür, dass die Auseinandersetzung mit dem
„Phänomen Haar“4 auch im Recht stattfindet, möchte ich an die Unterlassungsklage des amtierenden Bundeskanzlers erinnern, die er auf Grund der Behauptung
einer Image-Beraterin, dass seine Haare getönt seien, erwirkt hatte.5
Dieser Fall soll aber nicht im Vordergrund meiner Abhandlung stehen, vielmehr
versuche ich zu hinterfragen, ob sich die Preispolitik der FriseurInnen in Deutschland nicht im Widerspruch zur derzeitigen europäischen Rechtssetzung befindet.
In einer Erhebung zum Friseurhandel in der EU wurde herausgearbeitet, dass
Frauen pro Besuch mehr Geld für die Dienstleistungen bei FriseurInnen zahlen
müssen als Männer.6 Der europäische Durchschnittspreis eines FriseurInnenbesuchs „liegt zwischen 20 Euro (Frauen, Italien) und 40 Euro (Frauen, Schweiz),
sowie zwischen 11 Euro (Männer, Belgien) und 25 Euro (Männer, Schweiz)“7. In
der Bundesrepublik Deutschland (BRD) beträgt dieser Preisunterschied durchschnittlich 10,70 Euro, dabei wird Männern im Durchschnitt ein Betrag in Höhe
von 14,70 Euro und Frauen in Höhe von 25,40 Euro in Rechnung gestellt.8
Um mir über diese Preisdifferenz einen genauen Überblick zu verschaffen, trat
ich mit einigen Friseurinnungen der Bundesländer sowie der bundesdeutschen
Friseurinnung und zehn zufällig ausgewählten FriseurInnen in Kontakt. Diese bat
ich in einer Mail mir mitzuteilen, worin der verlangte Preisunterschied begründet
sei. Bisher9 erhielt ich noch keine Auskünfte zu meiner Anfrage.
Meine erste Vermutung war, dass diese Preisdifferenz ein Relikt einer seit geraumer Zeit bestehenden Zuschreibung von Haarlänge bzw. –kürze an ein bestimmtes Geschlecht ist. So schreibt zum Beispiel PAULUS in seinem ersten Korintherbrief: „Oder lehrt euch auch nicht die Natur, daß es einem Manne eine
2
Lexikon der Sprichwörter
Zöllner, Abini unzureichende Angabe, nicht im Lit.Vz.
4
Titel der Ausstellung im Deutschen Technik Museum
5
vgl. rhetorik.ch aktuell
6
Peters, Majorlein; Van der Valk, Pim; S. 18
7
ebd.; S. 18
8
vgl. Peters, Majorlein; Van der Valk, Pim; S. 19
9
bis zum 15.07.2003
3
2
Unehre ist, so er das Haar langwachsen läßt, und dem Weibe eine Ehre, so sie
langes Haar hat? Das Haar ist ihr zur Decke gegeben.“10
Dass diese Zuschreibung (lange Haare = Frauen; kurze Haare = Männer) nicht
mehr aufrecht zu erhalten ist, lässt sich bei der Betrachtung der Frauenfrisuren,
wo sich ein Trend weg von der „pflegeintensiven Langhaarfrisur hin zur pflegeleichten Kurzhaarfrisur“11 durchgesetzt hat, aufzeigen. Bei der Fragestellung
nach der Ursache der Preisdifferenzen fand ich in einigen Preislisten für Männer
und Frauen gleiche Preise ausgewiesen. So verlangt beispielsweise der Friseursalon Biosthetik Salon Bremer für Kopfhaut- und Haarschaftsbehandlung bei Männern und Frauen den gleichen Preis.12 Unterschiede fanden sich vor allem in den
Kosten zum Haarschnitt sowie zur –wäsche.13 Den Ansatz, dass die Ursache der
Preisdifferenz im Arbeitsumfang der Friseurinnen begründet liegt, brauchte ich
nicht weiter zu verfolgen, da eine Zuschreibung von Haarlängen an ein bestimmtes Geschlecht, wie ich bereits dargelegt habe, obsolet ist und eine Preisangabe in
diesem Fall an die Haarlänge bzw. -fülle gebunden worden wäre.
Der These einer Verbindung zwischen einer lang nachwirkenden Zuschreibung
von Haarlängen und den derzeitigen Preisentwicklungen werde ich im Folgenden
nicht nachgehen, vielmehr wollte ich andeuten, dass die Art und Weise, das Haar
zu tragen, immer im Kontext mit kulturellen und sozialen Umständen zu sehen ist.
Eine andere Begründung für die differente Preisberechnung liegt eventuell in
der Häufigkeit des FriseurInnenbesuches.14 In der Studie von Peters und Van der
Valk wird gezeigt, dass „überall [...] Frauen stärker als Männer dazu [neigen15],
ihr Haar von einem professionellen Friseur schneiden zu lassen“16. Frauen stellen
also für das FriseurInnenhandwerk die Hauptabnehmerinnen Ihrer Dienstleistungen und somit eine wichtige Einnahmequelle dar.
Wenn aber „die Unterschiede in den Preisen nicht die Unterschiede in den Produktionskosten widerspiegeln“17, liegt eine klare Form von “Preisdiskriminierung“18 vor. Diese Preisdiskriminierung auf Grund von „Merkmalen der Nachfrager“19, (hier dem Geschlecht), wird in der Volkswirtschaft als die häufigste
Form der Preisdiskriminierung aufgeführt20 und als „Preisdiskriminierung dritten
Grades“21 definiert. LORENZ geht sogar davon aus, dass „in aller Regel [...] der
10
vgl. Die Luther-Bibel; 1. Kor. 11, 10-16
Microsoft Encarta Enzyklopädie Professional 2003
Preisliste des Biosthetik Salon Bremer
13
vgl. Preisliste des Biosthetik Salon Bremer
14
Die aber ebenfalls nicht losgelöst von kulturellen, religiösen, sozialen Zuschreibungen an das Geschlecht zu denken ist.
15
Ich denke, dass es sich nicht um eine Neigung, sondern um einen Teil der oben genannten Zuschreibungen sowie um
gesellschaftlicher Erwartungshaltung handelt.
16
Peters, Majorlein; Van der Valk; S. 18
17
Lorenz, W.
18
ebd.
19
ebd.
20
Lorenz, W.
21
ebd.
11
12
3
Gewinn sinken“22 würde, wenn im Falle der „Diskriminierung dritten Grades“
ein einheitlicher Marktpreis für beide Märkte (Männer- und Frauenmarkt) eingeführt würde.
Für mich tritt, wenn sich die bisher dargelegten Annahmen als richtig erweisen,
die Frage auf, wie dieser Diskriminierung begegnet werden kann. Da dieser Fall
in Europa23 und vermutlich auch in einigen Ländern außerhalb Europas auftritt,
versuche ich darzulegen, welche Mittel zur Beseitigung der Diskriminierung die
internationale bzw. europäische Rechtssetzung in diesem Fall bereitstellt.
In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (CGEU) wurde die Forderung nach Sicherstellung der Gleichheit von Männern und Frauen in allen Bereichen verankert.24 Des weiteren wird dort eine Diskriminierung auf Grund des
Geschlechts verboten25, ein Verbot, dass sich auch im Hinblick auf die Diskriminierung von Frauen im CEDAW26-Übereinkommen wieder findet, das für die
Bundesrepublik Deutschland (BRD) 1985 in Kraft getreten ist. Hier verpflichten
sich die Vertragsstaaten, gegen jede Form der Diskriminierung der Frau aktiv zu
wirken27, wobei das Diskriminierungsverbot auf den „politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen oder jedem sonstigen Bereich“28
anwendbar ist. Folglich wirkt dieses Verbot auch im Fall von ungleicher Preisberechnung auf Grundlage des Geschlechts im FriseurInnenhandwerk.
Das durch die BRD 2002 ratifizierte Fakultativprotokoll (FP) zum CEDAWÜbereinkommen bietet die Möglichkeit, nach Erschöpfung der innerstaatlichen
Rechtsbehelfe29, eine Mitteilung bzw. Beschwerde an den CEDAW-Ausschuss
einzureichen. Diese Beschwerde kann auch im Namen von Betroffenen geführt
werden, d.h. die Opfer der Diskriminierung müssen nicht direkt in Aktion treten.30
Nach Überprüfung der Mitteilung kann der Ausschuss gegenüber dem Vertragsland eine Empfehlung aussprechen sowie eine Stellungnahme zum Sachverhalt
einfordern.31 So äußerte sich der Ausschuss (2000), nach Prüfung des Berichts der
BRD, besorgt über die fehlenden Initiativen, die bestehenden Ungleichbehandlungen vor allem im privaten Sektor zu beseitigen.32 Verbunden mit dieser Feststellung wurde der Staat aufgefordert, „gesetzgeberische und regulierende Maßnah-
22
ebd.
Peters, Majorlein; Van der Valk, S. 18
24
Art. 23 CGEU
25
Art. 21 Abs. 1 CGEU
26
Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Woman (CEDAW)
27
Art. 2 CEDAW
28
Art. 1 CEDAW
29
Art. 4 FP
30
Wolprecht, Karola
31
Art. 7 FP
32
vgl. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau; Punkt 26
23
4
men zum Schutz der Frauen vor allen Formen der Diskriminierung im privaten
Sektor auszuweiten“.33
Auch in der europäischen Rechtssetzung finden sich Möglichkeiten, der dargestellten Preisdiskriminierung zu begegnen. So verbietet die Richtlinie (RL)
2002/43/EG die unmittelbare Diskriminierung, die vorliegt, wenn „eine Person
aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“34. Diese Form der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts liegt
im beschriebenen Sachverhalt vor.
In der RL „zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft“ wird auf die Wichtigkeit hingewiesen, die einem Verbot der Diskriminierung beim „Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen“35 zukommt. Ein prägnanter Punkt dieser
RL ist die Klärung der im Artikel 8 geregelten Beweislast, so liegt es hier beim
„Beklagten[...] zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat.“36 Diese Form der Beweislastregelung, die sich ebenfalls
in der RL „zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der
Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf“ im Artikel 1037 finden lässt, also
bereits in einer RL, die zur Beseitigung von Diskriminierung auf Grund des Geschlechts verabschiedet wurde, bietet einen neuen Spielraum, um unter anderem
gegen die „Diskriminierung dritten Grades“38 vorzugehen.
So kann die obige Darstellung (siehe Abb. I) als eine programmatische Aufforderung verstanden werden, mit Hilfe bestehender europäischer Richtlinien, der
CGEU sowie dem CEDAW-Übereinkommen den diskriminierenden Friseurpreis
an den „Haaren zu packen“ und durch Nutzung europäischer Rechtssetzung diese
Diskriminierung - gleichsam einem Haar aus der Suppe - zu entfernen39. Dabei
dürfen rechtliche Schritte nicht vor dem ‚Goldenen Kalb’, einer angenommenen
‚freien’ Wirtschaft halt machen, da wirtschaftliches Handeln, meiner Meinung
nach, in keinem Sinne als ‚frei’ verstanden werden darf, wenn innerhalb dieses
Handelns Menschen auf Grund des Geschlechts oder anderer Kategorien, wie Behinderung, Ethnizität, Alter,..., diskriminiert werden. Dieses wäre dann auch im
Sinne des CEDAW- Ausschusses, der ja die Ausweitung der Gleichstellung auch
bzw. gerade im privaten Sektor fordert.40
33
Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau; Punkt 27
Art. 2 Abs. I a RL 2000/78/EG
35
Art. 3 Abs. I h RL 2000/43/EG
36
Art. 8 Abs. I RL 2000/43/EG
37
Art. 10 Abs. I RL 2000/78/EG
38
Lorenz, W.
39
Vielleicht kann es Aufgabe eines Projekttutoriums in den Gender Studies sein, sich mit dieser „Haarentfernung“ zu
befassen und diese unter Umständen zu forcieren.
40
Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau; Punkt 27
34
5
in der Kürze
unklar
Quellen
Literatur und Zeitungen
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrgs.): Das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau.
Berlin 2002.
Zöllner, Abini: Der Haar-TÜV: Das Deutsche Technickmuseum beschäftigt sich mit dem
„Phänomen Haar“ In: Berliner Zeitung (155) vom 07.07.2003; S. 11.
elektronische Quellen
Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau: Prüfung der Berichte der Vertragsstaaten: Deutschland: Kombinierter zweiter und dritter und vierter periodischer Bericht. 02.02.2000:
http://www.diplo.de/www/de/infoservice/download/pdf/mr/commcedaw.pdf
(Zugriff 01.07.2003 um 21.06 Uhr).
Encarta Enzyklopädie Professional 2003.
Lorenz, W.: Monopolistische Preisdifferenzierung:
http://www.mikrooekonomie.de/mp/wm/mpwmmomp.htm (Zugriff am 11.07.2003 um
14.11 Uhr).
Luther-Bibel: Digitale Bibliothek Band 29: Berlin 2000.
Peters, Majorlein; Van der Valk, Pim: Der Friseurhandel in der EU, Norwegen und der
Schweiz; Zoetmeer 1999:
http://www.union-network.org/unihairbeauty.nsf/0/88dc8fdb4fe6bf46c1256bec002ea038/
$FILE/final%20final%20de.pdf (Zugriff am 08.07.2003 um 19.34 Uhr).
Preisliste des Biosthetik Salon Bremer:
http://www.salonbremer.de/Das_Team/Der_Salon/News/Preisliste/preisliste.html (Zugriff
am 08.07.2003 um 19.29 Uhr).
Richtlinie RL 2000/78/EG:
http://europa.eu.int/comm/employment_social/news/2001/jul/directive78ec_de.pdf
(Zugriff am 08.07.2003 um 20.12)
Richtlinie RL/2000/43/EG:
http://europa.eu.int/comm/employment_social/news/2002/jan/2000-43_de.pdf
(Zugriff
am 08.07. 2003 um 19.34)
rhetorik.ch aktuell:
http://www.rhetorik.ch/Aktuell/Aktuell_Apr_14_2002.html (Zugriff am 11.07.2003 um
12.02 Uhr)
Röhrich, Lutz: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten: Digitale Bibliothek Band 42. Berlin
2000
Wolprecht, Karola: Frauenrechte und Völkerrecht: Die Convention on the Elimination of All
Forms of Diskrimination Against Woman:
http://www.gleichberechtigung-goes-online.de/pdf/ced_2.pdf (Zugriff am 01.07.2003 um
21.30)
Abbildungen
Abbildung I
An den Haaren herbeiziehen: Slowenisches Bienenstockbrettchen von 1886. In: Röhrich,
Lutz: Lexikon der sprich wörtlichen Redensarten: „Haar“, Digitale Bibliothek Band 42.
Berlin 2000.
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