Leben und Wirken von Dr. Josef Müller - Hanns-Seidel
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Leben und Wirken von Dr. Josef Müller - Hanns-Seidel
Josef Müller (1898 –1979) Josef Müller, als sechstes Kind einer oberfränkischen Kleinbauernfamilie geboren, wurde in das erzbischöfliche Knabenseminar Ottonianum aufgenommen und konnte in Bamberg das Gymnasium besuchen. Auch als Schüler musste er zu seinem Lebensunterhalt beitragen; er arbeitete in den Ferien als Tagelöhner und karrte mit einem Ochsenfuhrwerk Mist, was ihm seinen lebenslang mit Stolz getragenen Spitznamen „Ochsensepp“ einbrachte. Seine Schulausbildung wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen. Im November 1916 als Soldat eingezogen kämpfte Müller 1917/18 beim Bayerischen Minenwerfer-Bataillon IX an der Westfront. Nach seiner Entlassung 1919 holte er das Abitur nach und nahm in München das Studium der Soziologie, Nationalökonomie und Staatswissenschaften auf. Nach Promotion und Ablegung der großen juristischen Staatsprüfung eröffnete er 1927 in München eine Anwaltskanzlei und spezialisierte sich vornehmlich auf Wirtschaftsangelegenheiten. 1939, kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, stellte sich Josef Müller, der intensive Kontakte zu kirchlichen Kreisen und zum Vatikan unterhielt, der deutschen Militäropposition gegen Hitler zur Verfügung. Er wurde zur Tarnung im November 1939 als Oberleutnant eingezogen und in der Münchner Zweigstelle des von Wilhelm Canaris geleiteten Amtes Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht eingesetzt. Im Auftrag der militärischen Widerstandsgruppe um Generaloberst Ludwig Beck, Hans Oster, Wilhelm Canaris und Hans von Dohnanyi reiste er mehrmals nach Rom, um die Bereitschaft des Papstes zu erkunden, für die Opposition eine Vermittlertätigkeit zur Einleitung von Friedensverhandlungen mit den Westmächten Frankreich und Großbritannien zu übernehmen. Am 5. April 1943 wurde er verhaftet. Trotz Freispruchs vom Vorwurf des Hoch- und Landesverrats, der Wehrkraftzersetzung, militärischen Ungehorsams, Vergehens gegen das Heimtückegesetz u.a. blieb er weiter im Untersuchungsgefängnis der Wehrmacht in Berlin eingesperrt. Am 26. September 1944 überführte man Müller ins Gestapogefängnis in der Prinz-Albrechtstraße in Berlin, am 7. Februar 1945 wurde er in das Konzentrationslager Buchenwald verlegt, am 2. April in das KZ Flossenbürg und am 17. April in das KZ Dachau. Zusammen mit 138 weiteren „prominenten“ SSGeiseln wurde er am 26. April von Dachau nach Niederdorf (Südtirol) transportiert, wo die Gefangenen am 30. April von einer Einheit der deutschen Wehrmacht aus den Händen der SS-Wachen befreit wurden. Am 4. Mai übernahmen schließlich amerikanische Truppen die Gefangenen und brachten sie in zwei Transporten am 8. und 10. Mai nach Capri. Die Erfahrungen aus Kirchenkampf, aus Widerstand und Verfolgung sowie die hoffnungslos erscheinende geistige und materielle Notlage im besiegten Deutschland bildeten für Josef Müller den Antrieb, mit Kraft und Optimismus und unter bewusster Berufung auf das christliche Sittengesetz sich dem demokratischen Neuaufbau Bayerns und Deutschlands zu widmen. Unmittelbar nach seiner Heimkehr verfolgte er, in Zusammenarbeit mit Adam Stegerwald, das Konzept einer überkonfessionellen christlichen Volkspartei, die der Grundidee einer Zusammenarbeit katholischer und evangelischer Christen verpflichtet bewusst mit den politischen Traditionen der Weimarer Republik brechen wollte. Schon im Juli einigte sich Müller mit Stegerwald auf die Gründung einer interkonfessionellen „überzeugenden Mehrheitspartei“. In den Leben und Wirken von Dr. Josef Müller – www.hss.de/mediathek/josef-mueller.html 1 Sommer- und Herbstmonaten folgten zahlreiche Besprechungen und Sitzungen, häufig in Müllers Münchner Wohnung in der Gedonstraße 4. Am 17. Dezember wurde Müller zum Vorsitzenden des Vorläufigen Landesausschusses der CSU, am 8. Januar 1946, als die CSU landesweit lizenziert wurde, zum vorläufigen Landesvorsitzenden gewählt. Die endgültige Bestätigung erfuhr Müller am 31. März 1946 durch den Vorläufigen Landesausschuss. Schon in der Gründungsphase wurde deutlich, dass die Ideen Josef Müllers von einer interkonfessionellen fortschrittlichen Sammlungspartei nicht den Vorstellungen aller Gründungsmitglieder entsprachen. Heftige Richtungskämpfe und persönliche Auseinandersetzungen in der Debatte um Programm und Satzung der Partei waren die Folge. So dachten die fest in der BVP-Tradition verwurzelten, stark föderalistisch orientierten, vor allem im katholischen Altbayern verbreiteten Kreise um Fritz Schäffer, Anton Pfeiffer und Alois Hundhammer eher an eine Wiederbelebung der Bayerischen Volkspartei. Zwischen evangelischen und katholischen Mitgliedern herrschte ein Klima des Misstrauens. Der „Bauernflügel“ kritisierte zunehmend die Lage der Landwirtschaft und die Politik im Frankfurter Wirtschaftsrat. Das Erstarken der Bayernpartei seit 1948 verschärfte die innerparteilichen Konflikte. Die Landesversammlung der CSU in Straubing vom 27.-29. Mai 1949 versagte Josef Müller schließlich die Wiederwahl zum Parteivorsitzenden. Er wurde abgelöst von Ministerpräsident Hans Ehard, der sich als Mittler zwischen den sich befehdenden Parteiflügeln um einen Ausgleich bemühte, was weitgehend aber erst dessen Nachfolger Hanns Seidel gelang. Bis zum Zusammenschluss der CDU auf Bundesebene im Oktober 1950 in Goslar gehörte Müller dem Vorstand der im August 1946 gegründeten "Arbeitsgemeinschaft der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union Deutschlands" an. Seine „reichstreue“, auf die Einheit Deutschlands zielende Politik kollidierte mit den auf die bayerische Eigenständigkeit pochenden Kräften, ein zunächst beabsichtigter Anschluss der CSU als bayerischer Landesverband einer „Reichsunion“ wurde aber auch von Müller schon bald aufgegeben. Die CSU in Bayern behielt auch nach dem bundesweiten Zusammenschluss ihre Selbstständigkeit, arbeitete aber auf Bundesebene in enger Fraktionsgemeinschaft mit der CDU zusammen. Von Anfang an betätigte sich der CSU-Landesvorsitzende Josef Müller auch auf der parlamentarischen Ebene, zunächst als Mitglied des Bayerischen Beratenden Landesausschusses und der am 30. Juni 1946 gewählten Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung. Im Dezember 1946 wurde er als Abgeordneter der Stimmkreise Fürth und Schwabach für die CSU in den Bayerischen Landtag gewählt, scheiterte jedoch bei der erwarteten Wahl zum Ministerpräsidenten am 21. Dezember 1946 an der innerparteilichen Opposition. 1950 unterlag er im Stimmkreis München II dem SPD-Kandidaten Waldemar von Knoeringen, gelangte aber über die Liste des Wahlkreises Oberbayern in den Landtag. 1954 konnte er schließlich im Stimmkreis III als erster CSU-Abgeordneter ein Direktmandat in München gewinnen, das er bis 1962 innehatte. Als im September 1947 die SPD in Bayern die Koalition aufkündigte, berief Ministerpräsident Hans Ehard Josef Müller als Justizminister in sein Kabinett. Im Zusammenhang mit Prüfungen von Vorgängen im Landesentschädigungsamt durch einen Untersuchungsausschuss des Landtags wurden auch Vorwürfe gegen Josef Leben und Wirken von Dr. Josef Müller – www.hss.de/mediathek/josef-mueller.html 2 Müller erhoben. Im Zuge der Auerbach-Affäre sah er sich gezwungen, am 26. Mai 1952 vom Amt des Justizministers zurückzutreten. Um nach der Wahl von Hans Ehard zum Parteivorsitzenden 1949 den verlorenen Einfluss in der Parteiorganisation zurückzugewinnen, strebte Josef Müller den Vorsitz des CSU-Bezirksverbandes München an und wurde am 22. März 1951 gewählt. Am 27. März 1960 kandidierte er bei der Münchner Oberbürgermeisterwahl für die CSU, unterlag Hans-Jochen Vogel (SPD) aber deutlich. Als zwei Jahre später sein Landtagsmandat endete, zog sich Müller aus der Politik zurück und arbeitete wieder als Anwalt. In den letzten Jahren seines Lebens widmete sich Josef Müller der Abfassung seiner Lebenserinnerungen „Bis zur letzten Konsequenz“. Den Widerstand gegen Hitler sah er als den wichtigsten Abschnitt seines Lebens, mit der Schilderung seiner persönlichen Erlebnisse wollte er den ihn aufs äußerste empörenden Angriffen auf Papst Pius XII. entgegentreten. Josef Müller starb am 12. September 1979 81jährig in München. Leben und Wirken von Dr. Josef Müller – www.hss.de/mediathek/josef-mueller.html 3