Sweers: Musik

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Sweers: Musik
Ungarn ist ein beliebtes Reiseland. Prospekte werben vor allem mit Bildern von
der Pussta, dem Plattensee und auch Bildern von Tänzerinnen in ihren FolkloreKostümen. Vielleicht verbindet der eine
oder die andere auch Operetten wie Der
Zigeunerbaron oder Die Czárdásfürstin
mit Ungarn – welche die typischen musikalischen Bilder der Region gut auf den
Punkt bringen: Zigeunerromantik und
wirbelnde Geigenklänge. Das ist auch
nicht falsch – Roma-Ensembles stellen
seit Jahrhunderten die zentralen professionellen Musikergruppen der ungarischen Städte. Ungarns Kultur ist jedoch
noch wesentlich vielschichtiger. Die folgenden Arbeitsblätter sollen die SchülerInnen mit einigen wichtigen Formen und
Namen vertraut machen.
Einstimmung
1996 kam der mit neun Oscars ausgezeichnete Film Der englische Patient in
die Kinos. In einer Schlüsselszene des
Films spielt der ungarische Graf László
Almásy seiner Geliebten Katharine das
ungarische Lied Szerelem, Szerelem vor.
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Katharine verwechselt es jedoch – nicht
ohne Grund – mit einem arabischen
Stück.
Szerelem, Szerelem hat auf den ersten
Blick nur wenig mit den wirbelnden Tanzmelodien zu tun, die man normalerweise
mit ungarischer Musik verbindet. Dieser
Gesang ist jedoch genauso typisch für
Ungarn wie die Musik der Roma-Streicherensembles.
Die SchülerInnen sollen sich das Stück
zu Beginn zunächst ohne weitere Hintergrundinformationen anhören und einige
Eindrücke nennen (HB 18). Woher könnte
das Lied stammen? Die vielen kleinen
Verzierungen und die Melodie scheinen
tatsächlich auf den arabischen Raum
hinzudeuten – auch die metallisch-nasale Stimme und die Sprache scheinen
nicht wirklich europäisch zu sein. Erst
danach sollte die Auflösung gegeben
und das Stück nochmals gehört werden.
Hintergrundinformationen
Ungarn
Nach dieser Einstimmung soll nun das
Arbeitsblatt „Ungarn“ (S. 52) gelesen
werden. Dieses einführende Material soll
helfen, die SchülerInnen mit einigen geografischen, historischen und kulturellen
Hintergründen vertraut zu machen. Hilfreich ist dabei ein Atlas.
Verbunkos und Czárdás: zwei
zentrale Formen kennen lernen
Verbunkos und Czárdás sind die zentralen ungarischen Tanz- und Musikformen.
Die SchülerInnen sollen nun versuchen,
aus den beiden Hörbeispielen (HB
19/20) etwa die Instrumentierung herauszuhören: Bei dem Verbunkos-Beispiel – hier eine langsamere Variante –
hört man nicht nur Geigen und Kontrabass, sondern auch Zimbal und Tárogató.
Bei dem Czárdás-Beispiel (sprich: „Tschardasch“) sind Geige, Kontrabass und
Hackbrett zu hören. Charakteristisch ist
hier die Folge aus verschiedenen Melodien, die ineinander übergehen.
Die SchülerInnen sollten sich aber auch
mit dem Hintergrund der Musik auseinandersetzen (s. Arbeitsblatt „Ungarische Musik“, S. 53). Gerade beim Verbunkos taucht die Frage auf, weshalb
klasse musik
Musik-Welt: Ungarn
Der englische Patient
Musik-Welt:
Ungarn
Auf den Spuren Béla Bartóks und
des englischen Patienten
Britta Sweers
diese Musik so verführerisch sein konnte. Gibt es heute vielleicht ähnliche Beispiele?
Auf den Spuren Béla Bartóks
Rätsel lösen
und Lied einstudieren
Material-Kompass
Arbeitsblätter
„Ungarn“ – S. 52
„Ungarische Musik“ – S. 53
„Rätseln und singen“ – S. 54
Hörbeispiele
▲
▲ ▲
▲ ▲
Als Abrundung – oder Hausaufgabe –
kann dann mithilfe der Arbeitsbögen das
Rätsel auf dem Arbeitsblatt (S. 54) gelöst
werden. Ergänzend kann auch das kleine
Lied Sonne sank, Mond steigt empor einstudiert werden. Die Taktwechsel und etwas ungewohnten Betonungen sind sehr
typisch für die Musik. Die liegenden
(Bordun-)Klänge unterhalb der Stimme
können entweder gesungen oder mit einem Melodieinstrument oder auch Xylofon angespielt werden. Diese langgezogenen Töne sind typisch für den Dudelsack, der in vielen ländlichen Traditionen
im Gebrauch war.
▲ ▲ ▲
HB 18: Márta Sebestyén: Szerelem,
Szerelem – Ausschnitt
HB 19: Hungarian Verbunk – Ausschnitt
HB 20: Béla Bártók: Dunátúli friss
csárdások – Ausschnitt
HB 21: Jocul Barbatesc
HB 22: Béla Bártók: Violin-Duo Nr. 32,
„Tanz aus Maramures“
usikpaedagogik-online.de
▲
Béla Bartók zählt zu den wichtigsten
Komponisten des 20. Jahrhunderts. Weniger bekannt ist, dass er auch einer der
zentralen frühen Musikethnologen war,
der sehr viele Lieder in Ungarn, Rumänien und der Slowakei dokumentiert hat.
Die SchülerInnen sollen über eine Originalaufnahme aus Rumänien mit dazu
gehöriger Bearbeitung einen Einblick in
Bartóks kompositorische Werkstatt erhalten. In der Originalaufnahme (HB 21)
hört man zwei Mädchen singen. Auffallend ist, wie präzise Bartók nicht nur die
Melodien, sondern auch die rhythmischen Feinheiten in seiner Übertragung
verarbeitet hat – in unserem Beispiel das
Violin-Duo Nr. 32 („Tanz aus Maramures“, HB 22). Die SchülerInnen sollen
auch hier das Material nach dem Gehör
erschließen.
Zusätzlich könnte an dieser Stelle eine
Einheit über die Musik Béla Bartóks fol-
gen – etwa über die Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta.
Der Film Der englische Patient beruht auf dem gleichnamigen Roman
von Michael Ondaatje. Hauptfigur
ist der ungarische Graf Lázló Almásy, der im Zweiten Weltkrieg schwer
verwundet von der Krankenschwester Hana gepflegt wird. Wie Regisseur Anthony Minghella betonte,
spielt der Film immer wieder mit versteckten Identitäten. So weiß Hana
nicht, woher der Patient stammt.
In Rückblenden enthüllt sich jedoch
nach und nach sein Leben. Almásy
hatte in der Westsahara unter anderem eine Forschungsexpedition geleitet. In einer zentralen Szene des
Films spielt er in der ägyptischen
Hauptstadt Kairo seiner Geliebten
Katharine ein Stück – Szerelem, Szerelem („Liebe, Liebe“) – auf seinem
Plattenspieler vor. Katharine findet
die Melodie schön und fragt Almásy,
ob es eine arabische Melodie sei. Es
ist jedoch ein Lied aus seiner ungarischen Heimat – Musik, die nicht
wirklich europäisch zu sein scheint.
Arbeitsblätter als PDF-Datei
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klasse musik 2/2007
Musik-Welt: Ungarn
Arbeitsblatt: Ungarn
Ungarn
Wer sind die Ungarn?
Ungarns Landschaft wird stark von der großen Steppe namens Pussta und dem riesigen, flachen Plattensee (übrigens dem größten See Mitteleuropas) geprägt, wobei es
auch gebirgigere Regionen gibt. Die Hauptstadt Budapest liegt an der Donau, dem
größten Fluss des Landes. Ein Großteil der Bevölkerung lebt jedoch auf dem Land.
Wie es scheint, sind die Vorfahren der Ungarn vor mindestens 4000 Jahren aus der
Wolga-Ural-Region nach Zentraleuropa gekommen. Die ungarische Sprache hat keine Gemeinsamkeiten mit den anderen europäischen Sprachen und ist eher mit dem
Finnischen und Estnischen verwandt.
Vielfältige Traditionen
Die etwa 10 Millionen Einwohner setzen sich zusammen aus etwa 90 Prozent Ungarn
und 4 Prozent Roma. Dazu kommen diverse Minderheiten wie Deutsche, Rumänen oder
Serben. Die kulturelle Vielschichtigkeit Ungarns ist in der Geschichte begründet. So
kam das Land 1526 für 150 Jahre unter türkische Herrschaft, was die fremdartig wirkenden Melodien erklären könnte. Die Region war später auch Teil von Österreich-Ungarn,
das von den Habsburgern regiert wurde. In dieser Zeit entstanden viele der heute bekannten Tanzformen. Auch in Transsylvanien – das bei uns ja eher als Heimat des Vampirs Dracula bekannt ist – und der Südslowakei leben ungarische Minderheiten, die
noch immer alte Musiktraditionen pflegen.
Zigeunerromantik
Gerade durch Komponisten wie Franz Liszt oder Johannes Brahms wurde die ungarische Musik zum Inbegriff der Zigeunerromantik. Auch die Operettenwelt hat diese
Thematik mit Stoffen wie Der Zigeunerbaron immer wieder aufgegriffen. Die Roma
leben seit dem 14. Jahrhundert in Ungarn. Seit dem 18. Jahrhundert stellten sie die
zentralen Musikergruppen, die in den Städten aktiv waren. Sie spielten mit ihren
Ensembles zu Hochzeiten, unterhielten aber auch mit Verbunkos- und (später)
Czárdás-Tänzen in Wirtshäusern. Die Roma waren deshalb die am leichtesten zugänglichen Volksmusikkünstler für Besucher und wurden dadurch zum Inbegriff
der gesamten ungarischen Musik.
Moderne Folkmusik
Der beste Ort, um moderne ungarische Folkmusik zu erleben, ist Budapest. Zentral ist das Táncház („tan-schass“), was sich wörtlich als „Tanzhaus“ übersetzen
lässt. Diese Bezeichnung entstand in Anlehnung an die dörflichen Tanzhäuser.
Man findet hier eine Mischung aus Tanzveranstaltungen und Liederabenden. Die
Atmosphäre ist sehr unkompliziert und die Zuhörer sind mit der Musik vertraut.
Die Táncház-Bewegung entstand in den 1970er-Jahren als Gegenbewegung zu den
großen staatlichen Folklore-Ensembles. Viele Musiker benutzen nicht nur Archivaufnahmen, sondern sammeln selbst Material.
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Musik-Welt: Ungarn
Arbeitsblatt: Ungarische Musik
Ungarische Musik
Der Verbunkos
Der Verbunkos ist ein Werbe-Tanz, mit dem junge Männer in den Militärdienst gelockt
wurden. Er sollte die Illusion eines sorglosen Lebens vermitteln und war offenkundig
(auch in Verbindung mit Alkohol) als Werbung sehr erfolgreich. Der Verbunkos ist eine
stark rhythmische Musik. Er besteht aus einem langsamen Tanz, auf den ein sehr
schneller folgt. Die Schritte stammen von protzigen Männer-Tänzen (etwa Schweinehirten-Tänzen) aus den Dörfern. Typische Ensembles bestehen aus Melodiegeige, begleitender Geige (für die Akkorde), Kontrabass und hackbrettartigem Zimbal. Das Zimbal
wird mit Schlägeln gespielt. Häufig war auch ein klarinettenähnliches Instrument namens Tárogató zu hören.
Der Czárdás
Aus dem Verbunkos entwickelte sich im 19. Jahrhundert der Czárdás-Tanz, der bis in die
Gegenwart hinein überall zu hören ist. In der Operettenwelt ist diese Musik mit Emmerich Kálmáns Czárdásfürstin verewigt worden. Er kann langsam sein, aber auch wirbelnd
oder springend und wird oft sehr virtuos gespielt.
Auf den Spuren des Komponisten Béla Bartók
Béla Bartók (1881-1945) zählt zu den wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Zu
seinen zentralen Werken gehören etwa die Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und
Celesta (1936) – aber auch Der Mikrokosmos, aus dem sehr viele KlavierschülerInnen mindestens einmal irgendein Stück gespielt haben.
Auf der Suche nach der „ungarischen“ Musik
Mit der Begeisterung für Verbunkos- und Czárdás-Tänze war lange übersehen worden,
dass es neben der Musik der Roma auch noch andere Traditionen gab – so etwa unter der
ungarischen Bauernbevölkerung. Nicht zuletzt durch die Sammeltätigkeit Béla Bartóks
Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese Musik stärker wahrgenommen. Bartók war auf seinen vielen Reisen mit einem Fonografen unterwegs (einem frühen Aufnahmegerät). Insgesamt sammelte Bartók so u. a. 2700 Melodien aus Ungarn, 3500 rumänische Melodien
und 3000 Melodien aus der Slowakei.
Die ungarische Musik in Bartóks Werken
Bartók verarbeitete die ungarische Musik sehr unterschiedlich. Er übertrug zunächst die
aufgenommenen Melodien nach nur ein- oder zweimaligem Anhören in Notenschrift. Häufig arrangierte er das Material für klassische Instrumente. Dabei versuchte er, so dicht wie
möglich am Vorbild zu bleiben, arbeitete also auch rhythmische Feinheiten und Verzierungen mit ein. Bártók hat viele dieser Elemente in seine modernen Kompositionen übernommen: Melodien, ungerade Rhythmen und besondere Tonleitern.
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klasse musik 2/2007
Musik-Welt: Ungarn
Arbeitsblatt: Rätseln und singen
Rätseln und singen
1
Ungarischer Komponist (Nachname)
2
Fluss, der durch Ungarn fließt
2
3
Wirbelnder ungarischer Tanz
3
4
Moderne Folk-Bewegung
(auch Bezeichnung für Tanzhaus)
5
Steppe in Ungarn
6
Wichtiges Melodieinstrument
7
Tanz, um Rekruten anzuwerben
8
Region in Rumänien, in der viele
Ungarn leben (auch Heimat von
Dracula)
1
4
5
6
7
8
Die markierten Felder ergeben
eine europäische Hauptstadt.
Sonne sank, Mond steigt empor
Text und Musik aus Ungarn
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44 1.
2.
3.
Son - ne sank, Mond
Mensch al - lein treibt
Wer gibt, Mensch, dir
steigt em - por,
oh - ne Ruh.
Zaum und Ziel?
Him - mel hält
lau Off - nes Tor, wer
Wann wirst, Herz, du
schend sein Ohr.
schließt es zu?
wie - der
still?
.
.
3 4 .
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.
.
44
Wald und Fel-der schwei-gen, schla-fen Reh und Ra - be.
Im - mer fah - ren Wa - gen
ziel-los durch die Näch - te.
Nacht,-breit dei-nen Man - tel
wie - der auf uns nie - der,
Gott hält Nacht schir Müs - sen mit
fort,
mach uns still, wie
mend da - vor.
ich und du.
Gott es will.
.
.
54