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2/2005
Juni/Juli/
August
ZEITSCHRIFT DER AUSLÄNDERBEAUFTRAGTEN DES LANDES NIEDERSACHSEN
H 5957
MEHR
HEITEN
MINDER
HEITEN
Boxen, Breakdance, Boccia:
Es lebe der Sport!
Niedersachsen
Boxen, Breakdance, Boccia:
Es lebe der Sport!
Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
„Sport ist Mord“ lautet die bösartigste
Parole überzeugter Bewegungsmuffel
– aber die Mehrheit vernunftbegabter
Menschen weiß natürlich: Das Gegenteil ist der Fall.
Sport tut gut – und schon immer
waren Menschen sportlich aktiv.
Zum Glück – denn Sport hat beispielsweise eine nicht zu unterschätzende gesundheitsfördernde Funktion.
Und es gibt weitere gute Gründe
dafür, Sport zu treiben: Im Sport können wichtige Werte wie Fairness und
Solidarität erlernt und gelebt werden. Sport kann die Möglichkeit bieten, Frust und Aggression abzubauen.
Schließlich kann Sport die Integration von zugewanderten Menschen fördern. Er bietet ihnen eher als andere
gesellschaftliche Bereiche die Chance,
erfolgreich zu sein.
Doch sind die genannten Möglichkeiten, die der Sport bietet, keine
Selbstläufer. Nichts geschieht von allein, vieles bedarf der gezielten Förderung. Mitunter muss das bisherige
Sportangebot erweitert werden. Die im
Einwanderungsland oft geforderte „interkulturelle Öffnung“ verschiedener
Institutionen gilt auch für den Bereich
des Sports. Wer weiß, vielleicht erreicht
eine zur Zeit noch etwas fremd anmutende Disziplin wie „Bankdrücken“ im
Sportbereich eines Tages einen ähnlichen Stellenwert wie ihn die Pizza seit
langem auf der kulinarischen Hitliste
eingenommen hat.
Auf ein Wort
Integration mit „R“ wie Religion
von Gabriele Erpenbeck ............................................................................3
Thema
Gladiatorenspiele, Ritterturniere, Breitensport:
Sportgeschichte als Motivgeschichte
von Arnd Krüger ........................................................................................4
Mehr Sport gleich mehr Gesundheit? Gesundheitssport für alle
von Thomas Altgeld...................................................................................6
Miteinander, nebeneinander oder gegeneinander?
Im Verein ist Sport am schönsten
von Rocco Artale und Wolf-Rüdiger Umbach ..........................................9
Gewalt und Gewaltprävention im Sport
von Gunter A. Pilz ....................................................................................10
Breakdance, Hip-Hop, Boxen:
„Wer ein Meister werden will, muss wie ein Meister trainieren.“
von Fred Anders .......................................................................................12
Mädchen vor!
von Karin Solsky .......................................................................................14
Sportliche Vielfalt in Niedersachsen – eine kleine Auswahl ................16
Forum
Portrait: Güler Karpuz
von Marianne Winkler.............................................................................17
Mehr als ein Platz im Herzen
von Birgit Loff ..........................................................................................18
„Ladies on Tour“: Fahrrad fahren für Anfängerinnen
von Marianne Winkler und Marina Kormbaki .......................................20
Mehr als ein Kennen lernen
von Marina Kormbaki..............................................................................21
Materialien zum Schwerpunktthema ....................................................22
Nachrichten ..............................................................................................22
Impressum
Herausgeberin/Verlegerin (ViSdP) und Redaktionsanschrift:
Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport (MI) – Ausländerbeauftragte, Postfach 2 21, 30002 Hannover
Produktion: Liza Yavsan, Tel. (05 11) 1 20-48 65, E-Mail: [email protected]
Redaktion: Katerina M. Agsten, Gabriele Erpenbeck, Anette Hoppenrath, Dieter Schwulera, Marianne Winkler, Liza Yavsan
Titelfoto: Katerina M. Agsten
Gestaltung: set-up design.print.media, Hannover · Druck: Sponholtz Druckerei GmbH & Co. KG, Hemmingen · Vertrieb: Lettershop Brendler GmbH, Laatzen
Erscheinungsweise: jeweils Ende März, Juni, September, Dezember
Bezugspreis: Die Zeitschrift kann gegen einen Kostenbeitrag (Einzelexemplar 2 € inkl. Versandkosten) bezogen werden.
Nachdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin (wird gern erteilt). Alle Rechte vorbehalten.
© Die Ausländerbeauftragte des Landes Niedersachsen. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung der Herausgeberin und
der Redaktion wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Materialien übernimmt die Redaktion keine Haftung; im Falle eines Abdrucks kann
die Redaktion Kürzungen ohne Absprache vornehmen.
Betrifft wird auf chlorfrei gebleichtem Material gedruckt. ISSN 0941-6447
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BETRIFFT 2/2005
Auf ein Wort
Integration mit „R“ wie Religion
Spätestens seit der hitzigen
öffentlichen Debatte um das
Kopftuch ist jedem klar, dass
Religion im Integrationsprozess
eine – lange nicht beachtete –
nicht zu unterschätzende
Rolle spielt.
Die muttersprachliche religiöse Betreuung von z. B. Italienern, Spaniern, Griechen, Kroaten oder Serben hat eine
inzwischen 50jährige Tradition. Die
Geistlichen aus den Herkunftsländern
haben eine nicht unerhebliche Rolle im
Integrationsprozess ihrer Landsleute in
Deutschland gespielt. Gleichzeitig boten und bieten die Gemeinden mit ihren religiösen, kulturellen und sozialen
Angeboten ein Stück Heimat.
Eine weit verbreitete Meinung ist,
dass der Islam ein großes Integrationshemmnis darstelle. Muslime könnten
im Gegensatz zu anderen mit den Traditionen, Überzeugungen und Bräuchen des christlichen Abendlandes
einfach nicht zurechtkommen. Solche
und ähnliche Überzeugungen werden
gleichzeitig jeden Tag hunderttausendfach widerlegt und doch offensichtlich
immer wieder im Alltag bestätigt.
Zwangsheirat und „Ehrenmorde“
sind Themen, die die Gemüter im Augenblick sehr erregen. Dass auf Abwege geratene Traditionen die Rolle spielen und nicht religiöse Vorschriften,
gerät in Vergessenheit. Die bekannt gewordenen dramatischen und tragischen
Fälle sind jedoch nicht symptomatisch
für das Verhalten von Muslimen. Glücklicherweise! Die religiösen Bindungen
oder die starke Familienorientierung
werden oft als Ausdruck mangelnden
Interesses an Integration, Bildung oder
an ihrem Lebensumfeld gedeutet. Eine
umfassende Untersuchung des Bundesfamilienministeriums bei Mädchen und
Foto: Stiftung Mercator GmbH
jungen Frauen aus Migrantenfamilien
türkischer, griechischer, italienischer,
ehemals jugoslawischer Herkunft sowie
Aussiedlerinnen hat ergeben, dass Religiosität gruppenübergreifend als Voraussetzung für ihre Lebensbewältigung
gesehen wird. Der Glaube vermittelt in
besonders starkem Maße den Musliminnen Selbstvertrauen, er sorgt vor allem
bei den Orthodoxen dafür, dass sie sich
ihrer Herkunftskultur nahe fühlen, für
die Katholikinnen und Protestantinnen
sowie die Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften und selbst für Religionslose ist der Glaube in erster Linie
eine Hilfe, in schwierigen Situationen
nicht zu verzweifeln. Der Glaube stellt
sich als wichtiger Wert zur Gestaltung
des familiären Lebens, sofern Partnerwahl und Erziehung der Kinder betroffen sind, dar.
Die jungen Frauen haben sehr gute
Chancen ihre Zukunft selbstbestimmt
zu gestalten, wenn alle Integrationsmaßnahmen ihre religiösen Bindungen
akzeptieren. Das muss in Kindertagesstätten und Schulen beginnen und darf
bei der Bildungs- und Ausbildungsberatung nicht aufhören. Es gibt – soweit
die Musliminnen betroffen sind – inzwischen vermehrt Moscheegemeinden,
die Mädchen und junge Frauen ermutigen, in Ausbildungsberufe zu gehen,
die in ihrer Jugendarbeit die Mädchen
fördern und bestärken, damit sie in
dieser Gesellschaft bestehen können.
Dass sich mehr als 2/3 der in der Untersuchung des Bundesfamilienministeriums befragten Musliminnen mehr
Verständnis von Menschen gleicher Religion gegenüber der eigenen Haltung
zur Religion wünschen, weist auf ihre
Erfahrungen mit innermuslimischer Intoleranz hin. Sie jedoch pauschal als
Opfer der religiösen Prägung ihrer Familien zu sehen, führt in die Irre und
nicht zur Integration.
Gabriele Erpenbeck
BETRIFFT 2/2005
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Thema: Es lebe der Sport
Gladiatorenspiele, Ritterturniere, Breitensport:
Sportgeschichte als Mot
böötisch 570 v. Chr. Faustkämpfer; Quelle: Archiv
Niemand weiß so richtig,
wann und wie Leibesübungen
entstanden sind. Auch Tiere
freuen sich an ihren BewegunFoto: Agsten (2)
gen, zeigen Kunststücke vor,
demonstrieren ihre körperliche
Überlegenheit.
Wer in der Frühzeit des Menschen besonders gut laufen oder werfen konnte, hatte die besseren Chancen zu überleben.
Höhlenzeichnungen von Leibesübungen treibenden Menschen zeigen
uns, dass es auch hier sehr frühzeitig zu
besonderen Leistungen wie z. B. dem
Schwimmen kam.
Schon in den antiken Hochkulturen
in Ägypten und später in Griechenland
gab es eine durchorganisierte Körperkultur. Die Olympischen Spiele der Antike hatten in Olympia mehr als eintausend Jahre Bestand: Wir wissen zwar
nichts über die Bestleistungen der Athleten der Antike, aber die Namen der
Sieger der großen Wettkämpfe sind
überliefert und auch auf den Grabsteinen der berühmten Wagenlenker kann
man nachlesen, zu wie vielen Siegen sie
kamen. Mit eintausend Siegen gehörte
man zu den Großen, die besten kamen
auf über 4.000 Siege in den Circusspielen des alten Roms. Die Leibesübungen
der Antike waren jeweils mit einem unterschiedlichen Götterkult verbunden.
Die Olympischen Spiele fanden zu Ehren des Zeus statt.
Es kam zu einem regen Austausch
zwischen den Kulturen, weil man von
den Besten lernen wollte. Zu den Gladiatorenspielen gehörten Kämpfe mit
4
BETRIFFT 2/2005
unterschiedlichen Bewaffnungen, weil
die Römer wissen wollten, welche
Schwertlänge, Schildform und sonstigen Kampfmittel, die die eroberten
Völker verwendet hatten, in der Hand
eines Römers besonders erfolgreich
sein würden.
Mit der Einführung des Christentums im Abendland hörte man auf, die
Leibesübungen unmittelbar mit Götterdienst zu verbinden. Zwar wurden
Sportfeste noch immer in die Kirmes
und andere Kirchenfeste integriert,
aber niemand lief mehr, um den Göttern ein Opfer zu bringen, um dadurch
für Regen oder Fruchtbarkeit zu bitten.
Im Mittelalter wurden Leibesübungen – vor allem des Adels – Länder
übergreifend organisiert. Außerdem
wurden Regeln festgelegt. Die Punktwertungen der Ritterturniere ergaben
sich als Notwendigkeit, um den Turniersport vom tödlichen Zweikampf abzugrenzen. Im Schützenwesen wurden
die ersten Zielscheiben mit Punktwertungen aufgebaut, durch die man die
Ergebnisse quantifizieren konnte.
Zu Zeiten der Französischen Revolution ließen sich die Leibesübungen
quer durch Europa in vier große Motivgruppen einteilen:
• Ausgehend vor allem von England
gab es den Wettkampfsport. Es ging
um Sieg und Niederlage, um spezialisierte Spitzenleistungen, um Rekorde,
auf die Wetten abgeschlossen wurden.
• Die Ärzte forderten gemäßigte Leibesübungen für alle, um durch diesen
gemäßigten Sport, ohne Spezialisierung, Zivilisationsschäden vorzubeugen und die Grundlagen für ein langes
Leben zu schaffen.
• Im Kampf gegen Napoleon hatten
die Spanier die Guerilla erfunden. Der
deutsche Turnvater Jahn begründete
das Turnen in Deutschland mit der Vorbereitung des jungen Mannes auf den
Krieg. Frauenturnen gab es daher zunächst nicht.
• Schließlich forderten die verschiedenen Pädagogen ganz unterschiedliche
Formen von Leibesübungen, weil sich
durch diese Charakter ausbilden ließ
und das sich selbst Überwinden zur moralischen Erziehung des Menschen gehörte.
Im letzten Drittel des 19. Jahrhundert waren alle vier Motive in Deutschland angekommen und begannen sich
– vor allem durch immer mehr Vereinsgründungen – in ganz Deutschland zu
organisieren. Turn- und Sportvereine
gab es zunächst in den Städten, aber
auch schon vor dem 1. Weltkrieg hatte die Bewegung die kleinsten Dörfer
erreicht.
tivgeschichte
Gesellschaft selten ist. Vor allem können durch Sport Personen ganz unterschiedlicher sozialer Herkunft zusammengeführt werden, denn körperliche
Fähigkeiten haben nichts mit sozialer
oder ethnischer Herkunft zu tun.
Die größte freiwillige Integrationsleistung haben die Sportvereine gegen
Ende und nach dem 2. Weltkrieg bei
der Eingliederung der Ausgebombten,
der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge in ihre neue Heimat erzielt. Gerade
in Niedersachsen wurden hierbei große
Leistungen vollbracht. Die Studien zu
diesen Integrationsprozessen zeigen,
dass es aktive Sportlerinnen und Sportler am einfachsten haben, in Mannschaften integriert zu werden. Auch auf
einer mittleren technischen Ebene geht
es relativ schnell, dass Übungsleiter und
auch Abteilungsleiter dank ihrer speziellen Fähigkeiten integriert werden.
Die Eingliederung in Führungsämter in
Vereine dauert jedoch häufig eine ganze Generation.
Auch die Integration von Ausländern mit Hilfe des Sports hat eine lange Tradition. Als vor dem 1. Weltkrieg
das Ruhrgebiet vor allem mit der Hilfe von Arbeitern aus dem deutschen
Osten und Polen expandierte, schloss
sich diese Arbeitergeneration häufig
Sport- meistens Fußball-Vereinen an.
Es gab zwar auch einzelne rein polnische Vereine, die vor allem die Pflege
der heimatlichen Kultur in den Vordergrund stellten (schließlich gibt es auch
seit über 150 Jahre deutsche Turnvereine in den USA), aber das gemeinsame
Sporttreiben, die gemeinsamen sonntäglichen Spielbesuche, haben viel zur
Integration der „Ruhrgebietspolen“
beigetragen.
Mit der Arbeitsmigration in die
Bundesrepublik von den 1960er Jahren an, haben sich viele ausländische
Jugendliche deutschen Sportvereinen
angeschlossen. Allerdings wurden auch
vor allem türkische und jugoslawische
Sportvereine in Ballungszentren gegründet.
Mit der Grundsatzerklärung „Sport
mit ausländischen Mitbürgern“ hat be-
reits 1981 der Deutsche Sportbund seine
integrative Funktion hervorgehoben.
Am 4. Dezember 2004 hat die Mitgliederversammlung des DSB die Erklärung
„Sport und Zuwanderung“ verabschiedet und hierbei verdeutlicht, dass der
Sport ein großes gesellschaftspolitisches Potenzial hat – dass aber auch andere Faktoren hinzutreten müssen, um
dieses in der Gesellschaft zu nutzen.
In der heutigen Zeit, die durch starke Individualisierungstendenzen gekennzeichnet ist, stellen die noch immer expandierenden Sportvereine eine
der wenigen Möglichkeiten des „gesellschaftlichen Kitts“ dar. Durch die
nonverbale Bindungskraft des Sports
kann er auch Migranten erreichen, deren sprachliche Ausdrucksweisen ihnen
den Zugang zu anderen Formen des
Zusammen die Freizeit gestaltens noch
erschwert. Die UNO hat 2005 zum „Internationalen Jahr des Sports und der
Leibeserziehung“ ernannt. Aus diesem
Anlass sind erneut verschiedene Förderprogramme von Bund und Ländern
aufgelegt worden, um die Integration
durch Sport zu fördern.
Foto: CVJM Wolfsburg
Heute hat der Deutsche Sportbund
mit seinen Vereinen mehr als 26 Mio.
Mitglieder, die in über 86.000 Vereinen
organisiert sind. Der Sport stellt die
größte freiwillige Personenvereinigung
in Deutschland dar. Ca. 2 % des Bruttoinlandproduktes werden durch Sport
erwirtschaftet. Die vier Motive sind
noch immer vorhanden, auch wenn
sich im Laufe der Zeit die Gewichtung
in Anpassung an die politischen Systeme und gesellschaftliche Strömungen
verschoben hat.
Die Sportgruppen und Sportvereine
haben sich jedoch auch in anderen Bereichen als überaus wichtig erwiesen.
Die Turnvereine in Deutschland waren
die ersten demokratischen Einrichtungen im 19. Jahrhundert. Die Turnbrüder und später auch -schwestern verstanden sich als Gleiche unter Gleichen.
Auch nach dem 2. Weltkrieg gehörten
die Vereine zu den ersten freiwilligen
Personenzusammenschlüssen, in denen Demokratie wieder geübt werden
konnte.
Sportvereine erbringen erhebliche Integrationsleistungen als Vermittlungsinstanzen zwischen Individuum und
Gesellschaft. Sport verbindet – aber er
trennt auch. Die Identifikation mit dem
eigenen Verein kann dazu führen, dass
die Mitglieder und Fans anderer Vereine abgelehnt werden. So gehörten Zuschauerausschreitungen von Anfang
an zum Sport dazu. Gerade aber durch
den äußeren Druck wird innerhalb
des Vereins eine Gemeinschaft zusammengeschweißt, wie sie es sonst in der
Prof. Dr. Arnd Krüger
Geschäftsführender Direktor des Instituts für Sportwissenschaften der Universität Göttingen, Vorsitzender des
Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte Hoya e. V., ehemaliger Präsident der Europäischen Vereinigung für
Sportgeschichte
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Mehr Sport gleich mehr Gesundheit?
Gesundheitssport für alle
Gesundheit und Wohlbefinden
Bewegung bzw. sportliche Betätigung
haben umfassende Wirkungen auf das
menschliche Wohlbefinden und die Lebensqualität. Darüber hinaus können
sportliche Aktivitäten entscheidend
dazu beitragen, Risikofaktoren zu vermindern und damit Krankheiten vorzubeugen. Mehr Bewegung wird dabei
häufig mit (mehr) Sport treiben gleichgesetzt. In den letzten Jahren wurde
deshalb verstärkt der so genannte Gesundheitssport sowohl von Sportverbänden aber auch von Fitnessstudios,
freien Anbietern, Rehabilitationseinrichtungen und Krankenkassen weiterentwickelt.
sind wichtige Bestandteile des
menschlichen Lebens. Auf der
langen Liste, was Menschen für
ihre Gesundheit alles tun können, steht mehr Bewegung fast
Foto: Agsten (2)
an oberster Stelle.
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BETRIFFT 2/2005
Was ist
Gesundheitssport überhaupt?
Die „Kommission Gesundheit“ des
Deutschen Sportbundes hat 1993 folgende Definition von Gesundheitssport
vorgeschlagen: „Gesundheitssport ist
eine aktive, regelmäßige und systematische körperliche Belastung mit der
Absicht, Gesundheit in all ihren Aspekten, d. h. somatisch wie psychosozial, zu
fördern, zu erhalten oder wiederherzustellen“. Diese umfassende Definition berücksichtigt nicht nur die direkten körperlichen Wirkungen, sondern
nennt beispielsweise auch die Erhöhung
sozialer Kompetenzen im Rahmen von
Vereinssport durch das dort praktizierte Miteinander. Bös und Brehm (2003)
definieren insgesamt sechs Kernziele in
Bewegungs- und Gesundheitssportprogrammen:
• die Stärkung physischer Gesundheitsressourcen (Ausdauerfähigkeit, Kraftfähigkeit, Dehnfähigkeit, Koordinations- und Entspannungsfähigkeit)
• die Stärkung psychischer Ressourcen
(z. B. Stärkung von Kompetenzerwartungen oder Entwicklung eines positiven Selbst- und Körperkonzeptes)
• die Verminderung von Risikofaktoren
• die Bindung an gesundheitssportliche Aktivität
• Verbesserung der Bewegungsverhältnisse.
Auch der Gesundheitsbereich selbst
entdeckt den Gesundheitssport in dem
letzten Jahrzehnt gezielt. Je höher der
Stellenwert von Prävention und Gesundheitsförderung im Gesundheitswesen ist, desto häufiger werden im
Rahmen von Gesundheitsangeboten
der Krankenkassen und in Rehabilitationseinrichtungen gesundheitsfördernde Sportangebote vorgehalten. Die Bewegungsangebote machen etwa zwei
Drittel aller Gesundheitsförderungsangebote der Krankenkassen aus.
Der Sportbereich selbst ist durch
eine ungeheure Vielfalt von Angeboten
und Sportarten gekennzeichnet, Gesundheit ist dabei gerade in eher stark
leistungs- und wettkampfbezogenen
Sportarten kein primäres Ziel. Da nicht
jede Art und jedes Pensum von Sport
automatisch auch zu mehr Gesundheit
führt, wurde vom Deutschen Sportbund
in Zusammenarbeit mit der Bundesärztekammer das Gütesiegel „SPORT PRO
GESUNDHEIT“ entwickelt, das solche
Sportangebote in den Vereinen kennzeichnet, die eine hohe und gleich bleibende Qualität der Angebote mit dem
Fokus auf die präventive Wirkung von
Bewegung gewährleisten. Dabei finden sich beispielsweise Sportangebote
zur gezielten Stärkung des Herz-Kreislauf-Systems, des Muskel-Skelett-Systems oder auch Angebote zur Stressbewältigung. Die Teilnahme an den so
zertifizierten Programmen kann wiederum von Krankenkassen zumindest
anteilig finanziert werden oder spielt
auch eine Rolle bei den Bonusprogrammen der Kassen, durch die Versicherte
für besonders gesundheitsbewusstes
Verhalten belohnt werden.
Bewegungsmangel bei Kindern
als besondere Herausforderung des
Gesundheitssports
Kaum ein anderes gesundheitsbezogenes Thema aus dem Kinder- und
Jugendbereich wurde in den vergangenen Jahren mehr in der Öffentlichkeit diskutiert als das Übergewicht
von Kindern und Jugendlichen. Von
„fetten Kindern“ und „Minicouchpo-
tatoes“ ist da etwa die Rede. Nach Ergebnissen des MONICA-Projektes der
Weltgesundheitsorganisation wird in
Deutschland jedes 5. Kind und jeder 3.
Jugendliche als übergewichtig eingestuft. Übergewichtige Kinder und Jugendliche haben ein erhöhtes Risiko
für verschiedene Krankheiten, z. B. Störungen im Glukosestoffwechsel oder
erhöhten Blutdruck. Je älter das übergewichtige Kind ist und je länger das
Übergewicht besteht, desto größer ist
zudem das Risiko, auch als Erwachsener
übergewichtig zu sein (Alexy, 2003). Es
ist das am schnellsten wachsende Gesundheitsrisiko.
Übergewicht und Bewegungsmangel im Kindesalter sind zumeist eng mit
einander verknüpft. Dordel und Köster
haben bereits 1996 mit einer einfachen
Prüfaufgabe für Kinder im Alter von 7
bis 11 Jahren nachgewiesen, dass die
Sprungkraft der untersuchten Kinder
seit 1974 bei Jungen rund 13 Prozent
und bei den untersuchten Mädchen sogar um 24 Prozent nachgelassen hat.
Andere Untersuchungen zur körperlichen Fitness bestätigen einen Rückgang von Bewegung und damit von
Bewegungsfähigkeit bei Kindern und
Jugendlichen. So hat Bös belegt, dass
sich deutsche Kinder nur etwa eine
Stunde pro Tag bewegen (2003). Dabei
ist in keiner anderen Lebensphase Bewegung so wichtig wie in der frühen
Kindheit. Als Ursachen der Bewegungsarmut werden massive Veränderungen
in der Lebenswelt von Kindern diskutiert. Mann-Luoma u. a. fassen diese in
der sportwissenschaftlichen Literatur
diskutierten Ursachenbündel folgendermaßen zusammen:
„Der soziale Wandel äußert sich im
• Verschwinden freier Spiel- und Bewegungsräume. Sie werden durch institutionalisierte Spiel- und Sportghettos ersetzt,
• Verdrängen der Kinder von der Straße in die Häuser,
• vermehrten Autoverkehr, der die Anpassung von Menschen an Regeln erfordert,
• Siegeszug der elektronischen Medien, der Eigenaktivitäten einschränken kann“ (2002).
Der „Siegeszug der elektronischen Medien“ besteht aus Fernsehkonsum, der
Foto: Sport bei Eintracht Hildeheim (Diebetes-Sport)
Thema
bereits für Kinder im Alter bis zu drei
Jahre eine wichtige Rolle spielt, Computerspielen und Playstations, die
reale Bewegungs- und Erfahrungswelten durch virtuelle per Knopf bedienbare Scheinwelten ersetzen. Vielfältige Bewegungserlebnisse fördern
die sensomotorische Entwicklung, die
Einschränkung von Bewegung auf Fingerübungen schadet der physischen
und psychologischen Entwicklung der
Kinder. Bei Schuleingangsuntersuchungen häufen sich deshalb die Befunde
von „grobmotorischer Koordinationsschwäche“. In Köln beispielsweise lag
sie 1996 bereits bei 14,2 Prozent aller
Kinder (vgl. Mersemann 2000). Hinzu kommen fein- und visumotorische
Schwächen mit 8,6 Prozent und Sprachstörungen mit 11,4 Prozent.
Aufgrund dieser besorgniserregenden Entwicklungen wurde auf der 3.
Konferenz des Club of Cologne 2003
eine Konsensus-Erklärung zum Bewegungsmangel erarbeitet und verabschiedet, an der viele Sportwissenschaftler und -ärzte mitgewirkt haben.
In der Erklärung wird die Unverzichtbarkeit von Bewegung für die Entwicklung von Kindern bekräftigt. Bewegung ist Ausdruck von Vitalität, von
kindlicher Neugier und Lebensfreude.
Durch Bewegung bringen Kinder ihre
eigene Entwicklung voran. Man kann
sogar an ihren Bewegungen ablesen,
wie (gut) es ihnen geht. Kinder brauchen Bewegung, damit sie sich gesund
und leistungsfähig entwickeln. Bewe-
BETRIFFT 2/2005
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gung ist nicht nur unerlässlich für die
körperliche, sondern auch für die kognitive Entwicklung, weil sie die Lernbereitschaft und die Lernfähigkeit sowie
das psycho-soziale Wohlbefinden fördert. Mit ihren Bewegungen begreifen, erobern und erweitern Kinder ihre
(Nah-) Welt und erwerben gleichsam
Selbstkontrolle und Selbstachtung. Bewegungskönnen ist somit Voraussetzung, um an wertvollen Bereichen der
Kultur – insbesondere an den vielfältigen Formen des Sports – aktiv und gestalterisch teilhaben zu können. Die
Voraussetzungen dafür sind im Kindesalter zu schaffen.
Ebenfalls wird ein Maßnahmenkatalog vorgeschlagen, mit dem die negativen Folgen von Bewegungsmangel
im Kindesalter eingedämmt bzw. beseitigt werden sollen:
• Eltern aufklären und in die Verantwortung für einen vielgestaltigen
Bewegungsalltag ihrer Kinder einbinden,
• Kinderärzte und den öffentlichen Gesundheitsdienst als Anwälte für eine
bewegungsreiche Kindheit gewinnen,
• bei der Stadtplanung wohnungsnahe
Bewegungsräume stärker berücksichtigen,
• das (sport-) pädagogische Fachpersonal in Kindergärten und Schulen besser qualifizieren,
• die Sportvereine und Sportverbände
unterstützen, insbesondere solche
spezifischen Angebote ausbauen, die
für alle Kinder einladend und förderlich sind.
Und nicht zuletzt richtet sich der Appell auch an die Verantwortlichen in
der Schul- und Sportpolitik sowie in
der Gesundheits- und Verbraucherpo-
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BETRIFFT 2/2005
Zahlen vorliegen ist anzunehmen, dass
Menschen mit Migrationshintergrund
in den Gesundheitssportangeboten von
Sportvereinen und Krankenkassen unterrepräsentiert sind.
Dabei sind beispielsweise türkische
Mädchen im Durchschnitt übergewichtiger als ihre deutschen Altersgenossinnen und häufiger vom Sportunterricht
in der Schule befreit. Für diese Gruppen Angebote zu entwickeln, die für
die Kinder Bewegung attraktiv machen
und nicht mit bestimmten kulturellen Hintergründen kollidieren (indem
sie beispielsweise geschlechtshomogen angeboten werden) ist eine Herausforderung, der sich die Sportvereine, aber auch kommerziellen Anbieter
noch stellen müssen. Bislang gibt es nur
vereinzelte Modellprojekte in einigen
Großstädten für diese Zielgruppe. Für
die Gruppe der Aussiedler wurden zur
Förderung der Integration vom Bundesinnenministerium spezielle Modellprojekte aufgelegt. Ähnlich weit reichende
Modellprojekte für den Bereich des Gesundheitssports für Migranten fehlen
bislang, könnten aber eine dringliche
Aufgabe für die Ausgaben nach dem
im April 2005 im Bundestag beschlossenen Präventionsgesetz sein, über das
insgesamt 250 Millionen Euro Präventionsgelder der Sozialversicherungsträger neu organisiert werden.
litik, das Thema „Mehr Bewegung für
Kinder“ bei Beratungen und Entscheidungen angemessen zu berücksichtigen. Dieser Maßnahmenkatalog macht
deutlich, dass Gesundheitssport keine
reine Vereinsangelegenheit sein kann,
sondern insbesondere auch die Integration von mehr Bewegung in den
Alltag bedeutet. Nicht nur für den Bereich Kinder und Jugendliche stellen
sich hier besondere Herausforderungen, sondern auch für den zunehmenden Anteil von älteren Menschen in der
Gesellschaft müssen mehr angemessene Gesundheitssportangebote entwickelt werden. Seniorensport ist ein bislang eher vernachlässigtes Feld in der
Sportförderung und im Vereinsleben.
Aber der demografische Wandel und
der neue Stellenwert der Prävention im
Gesundheitswesen haben hier schon zu
einer ganzen Reihe interessanter Angebote geführt.
Wie nehmen Migrantinnen
und Migranten Gesundheitssportangebote an?
Zur Inanspruchnahme von Gesundheitssportangeboten generell liegen wenig
differenzierende Auswertungen vor.
Die Gesundheitsförderungsangebote
der gesetzlichen Krankenversicherer
werden jedoch von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen unterdurchschnittlich häufig wahrgenommen, wie
die Auswertungen des Medizinischen
Dienstes belegen (2003). Danach stellten Menschen, für die die damals noch
gültige Zuzahlungsbefreiung („Härtefallregelung“) galt, nur 3,9 % der Teilnehmerschaft der Gesundheitsförderungsangebote, während ihr Anteil
an der Anzahl der Gesamtversicherten
etwa doppelt so hoch war.
Auch was die Mitgliedschaft in
Sportvereinen anbelangt unterscheiden sich sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen signifikant von besser gestellten Bevölkerungsgruppen. Schmidt
u. a. haben 2003 in einer Repräsentativerhebung bei Kindern im Alter von 10
bis 14 Jahren nachgewiesen, dass Kinder
mit dem niedrigsten Sozialstatus in der
Untersuchungsgruppe vier mal häufiger angaben (mit 26,2 %), „nie in einem
Verein“ Mitglied gewesen zu sein wie
Kinder mit dem höchsten Sozialstatus
(mit 6,3 %). Auch wenn keine genauen
Thomas Altgeld
Landesvereinigung für Gesundheit
Niedersachsen e.V.
Tel.: 0511 3500052, E-Mail: thomas.
[email protected],
www.gesundheit-nds.de
Foto: Agsten
Foto: Archiv
Thema
Miteinander, nebeneinander oder gegeneinander?
USI Lupo Martini Wolfsburg
Versetzen wir uns in die Zeit Anfang
der 1960er Jahre: 6.000 junge italienische VW-Arbeiter lebten in Wolfsburg
dicht zusammen: In 58 zweigeschossigen Holzhäusern in Leichtbauweise.
In dieser Riesenwohnanlage „Berliner
Brücke“ entwickelte sich das Bedürfnis, die Freizeit selbst zu gestalten. Als
begeisterte italienische Fußballspieler
und Fußballfans wollten sie ihre Sportkultur auch in Wolfsburg pflegen – so
italienisch wie möglich.
Im Verein ist Sport
am schönsten
anderen Vereinen gespielt. Deutsch ist
ihre gemeinsame Sprache – und in der
Freizeit nach dem Spiel gibt es „Bier
und Bratwurst“.
Doch etwas typisch Italienisches hat
der Verein auch heute noch zu bieten: 1995 wurde das Angebot um eine
Sportart erweitert: Nun kann man in
Wolfsburg Boccia im Verein spielen.
grund den Weg in unsere Sportvereine
gefunden. Einige von ihnen gehören
zum niedersächsischen Leistungskader: Die Judoka Julia Matijass aus Osnabrück etwa hat eine Bronzemedaille
bei den Olympischen Spielen in Athen
2004 geholt. Michael Gratschow vom
Bundesstützpunkt Boxen in Gifhorn ist
aktueller Deutscher Meister und der
Tischtennis-Nachwuchsspieler Dimitrij
Ovtcharov sorgt auch bei internationalen Wettbewerben für Aufsehen“, erinnert Dr. Umbach.
„Wir wissen, dass es vielen Vereinen
in Niedersachsen gelungen ist, Migrantinnen und Migranten erfolgreich anzusprechen – sehr oft auch ohne unsere
Impulse. Die Gründung eigenethnischer
Sportvereine sehen wir deshalb weder
als Ausdruck des Scheiterns unserer Integrationsbemühungen noch als deren
Integrationsunwilligkeit“, versichert Dr.
Umbach. Der LSB werde sich auch in Zukunft für interkulturelle Begegnungen
im, mit und durch den Sport einsetzen.
Foto: IG Metall Wolfsburg
Rocco Artale
1. Vorsitzender USI Lupo Martini
Wolfsburg (USI = Unione Sportiva Italiana);
weitere Informationen:
www.lupomartini.de
LandesSportBund Niedersachsen e.V.
Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Umbach
Präsident des LandesSportBundes Niedersachsen e. V.
weitere Informationen:
www.lsb-niedersachsen.de
Foto: louis
1962 – kaum einer der in Wolfsburg
lebenden Italiener konnte deutsch –
überwanden sie in einem wahren Kraftakt nicht wenige bürokratische Hürden.
Der erste „ausländische“ Sportverein
in der Bundesrepublik wurde gegründet, der an auf Kreisebene ausgetragenen Fußballmeisterschaften teilnehmen durfte.
Durch den Verein Lupo Martini kam
mehr Leben in das Wolfsburger Fußballgeschehen. 1.000 Zuschauer bei
den Spielen waren keine Seltenheit.
Der Fußballplatz „Berliner Brücke“ war
für manchen Gegner und Schiedsrichter ein Alptraum. Das Sportgericht hatte einiges zu tun.
Das ist inzwischen Vergangenheit.
„Jetzt geht es in erster Linie um Sport,
nicht um ein Heimatgefühl“, bringt
Rocco Artale die aktuelle Situation auf
den Punkt. Der Verein hat sich längst
für andere Nationalitäten geöffnet,
wie beispielsweise ein Blick auf die 1.
Herrenmannschaft der aktuellen Saison
zeigt. Spieler, die heute zu Lupo Martini kommen, haben zuvor bereits in
„Mittendrin in unserer Gesellschaft“
lautet das Selbstverständnis des LSB. Im
Leitbild heißt es: „Wir wissen uns den
Zielgruppen in unserer Gesellschaft
verpflichtet, die die Freude am Sporttreiben für sich entdeckt haben oder
auf der Suche danach sind.“ Sport ist
für den LSB also keine Frage des Alters,
des Geschlechts oder der Nationalität.
„Seit 1989 sind wir z. B. beim BMIProjekt Sport für alle dabei, mit der
Klosterkammer Hannover haben wir
die integrativen Potenziale des Sports
mit den Projekten ‚Sport in sozialen
Brennpunkten‘ und ‚Soziales Lernen
im Sport‘ genutzt und die Sportjugend
engagiert sich im Projekt ‚Lebensweltbezogene Mädchenarbeit‘“, nennt LSBPräsident Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Umbach einige LSB-Aktivitäten und betont: „Der Sport betrachtet die unterschiedlichen Mitwirkungsformen von
Migrantinnen und Migranten in der
Sportorganisation – eigenethnische wie
gemischtethnische – gleichermaßen als
selbstverständlichen Ausdruck einer
multiethnischen Gesellschaft.“
„In den vergangenen Jahren haben
viele Menschen mit Migrationshinter-
BETRIFFT 2/2005
9
Thema
Gewalt und Gewaltprävention
Ist es um die Kultivierungsmöglichkeit menschlichen Handelns –
und damit auch um die Bedeutung des Sports für die Gewaltprävention – schlecht bestellt? Oder funktioniert Sport als Königsweg
zur Kultivierung menschlichen Verhaltens, als Schutzimpfung
gegen soziale Auffälligkeit und Jugendkriminalität?
Unreflektierte Hochgesänge auf die
bildende, erzieherische und präventive Bedeutung des Sports verdecken
die auch dem Sport immanenten Problemfelder der Gewalt, rücksichtslosen
Interessendurchsetzung und Gesundheitsgefährdung. Sie machen vergessen, worauf der Tübinger Sportpädagoge Ommo GRUPE hinweisen möchte,
wenn er zwischen Sportkultur und
„Kultur des Sports“ unterscheidet: dass
es auch im Sport zwei Seiten der Medaille gibt. Sportkultur meint die Wirklichkeit des Sports, wie er ist, in seinen
positiven wie negativen, in seinen kulturellen wie kultischen Ausformungen.
Kultur des Sports hingegen meint Werte und Ideen des Sports, die bewahrt,
befolgt und realisiert werden sollten.
Dazu gehören beispielsweise Fairness,
Ritterlichkeit und Solidarität. Hier –
und dies wird immer wieder übersehen, wenn die Kultivierungsmöglichkeiten menschlichen Verhaltens durch
den Sport hervorgehoben werden –
wird Kultur als Aufgabe, als Leitmotiv, als normative Setzung verstanden.
Sporttreiben ist nicht per se erzieherisches, soziales, faires und kameradschaftliches Handeln. Es ist vielmehr
Aufgabe des Sports, darauf hinzuwir-
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ken, dass diese im Sport angelegten
kulturellen Werte und Ideale realisiert
werden. Statt davon zu sprechen, dass
Sport verbinde, erziehe und – wie problemlos auch immer – integriere, müsste es besser und korrekter heißen: Sport
muss, Sport kann verbinden, erziehen
und integrieren. Der kulturelle Gehalt
des Sports muss immer wieder neu bewusst gemacht und an der Gestaltung
des Sports als Kultur muss bewusst gearbeitet werden.
Entsprechend kommen die Paderborner Sportwissenschaftler BRETTSCHNEIDER und KLEINE in ihrer viel
beachteten Studie „Jugendarbeit in
Sportvereinen: Anspruch und Wirklichkeit“ zu der realistischen Erkenntnis, dass sich die Wirkungen sportlicher
Aktivität nicht automatisch einstellen.
Weder die Förderung psychosozialer
Gesundheit, noch die Entwicklung motorischer Leistungsfähigkeit geschieht
nebenbei. Es bedarf einer spezifischen
Inszenierung des Sports, sowie entsprechender Kompetenzen und
Ressourcen auf Seiten derer,
die ihn anbieten und vermitteln.
Was heißt dies nun bezogen auf die präventiven Funktionen des Sports, auf die
Arbeit an der kulturellen Gestaltung des Sports?
Zunächst muss einmal von
Folgendem ausgegangen werden: Je mehr sportliches Handeln unter dem Primat des Erfolgs, des Gewinnens steht,
desto schwerer fällt es ihm, seine präventiven Funktionen und kulturellen
Gestaltungsmöglichkeiten zu entfalten. Anders ausgedrückt: der Sport
kann seine präventiven, erzieherischen
Funktionen am besten entfalten, wenn
das Erlebnis sportlichen Handelns wichtiger ist als das Ergebnis.
Auf Grund dieser Erkenntnis hat
der Niedersächsische Fußballverband
einen Fair Play Cup eingeführt. Dieser
Fair Play Cup ist an der spielerischen
Praxis orientiert und will durch prozesshaftes Lernen dem Fair Play im Jugendfußball zu mehr Beachtung verhelfen.
Dabei stehen ganz bewusst die Erziehung zum Fair Play und die aktive Mitgestaltung der Maßnahmen zu mehr
Fairness durch die Jugendlichen im
Vordergrund. Ziel ist, den Fair Play-Gedanken nachhaltig zu beeinflussen und
eine Bewusstseinsänderung in der Achtung des sportlichen Gegners zu erreichen. Erhebungen im Rahmen des Fair
Play Cups des Niedersächsischen Fußballverbandes belegen eindrucksvoll,
dass die Trainer vornehmlich das Fairnessverständnis aber auch bis zu einem
gewissen Grade das Fairnessverhalten
der jungen Fußballspieler positiv beeinflussen können. Die Trainer sind also
gefordert, durch ihr Vorbild und durch
ihre Maßnahmen das Fairplay mit Leben zu füllen.
Die im Fußball, im Sport ganz allgemein angelegten positiven sozialen
im Sport
gewaltpräventive Wirkungen erzielt,
kann Soziale Arbeit in den Sportvereinen geleistet werden.
Da sich Sport bestens zu einmaligen,
öffentlichkeitswirksamen Events eignet, sei aber auch angemerkt: Sport-,
körper- und bewegungsbezogene Soziale Arbeit darf nicht zu einem Event
verkommen. Sie ist kein einmaliger
Akt, sondern ein kontinuierlicher Prozess, eine dauerhafte Aufgabe, bei der
es um Nachhaltigkeit geht. Und: Wir
sind – wie im Positionspapier der Sportjugend Niedersachsen so treffend formuliert steht – „nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch
für das, was wir nicht tun“. Zu überlegen wäre, ob nicht Sportvereine, vor
allem in sozialen Brennpunkten mit einem Sportsozialarbeiter ausgestattet
werden bzw. auf einen entsprechend
ausgebildeten Streetworker im Sinne der aufsuchenden Jugendsozialarbeit zurückgreifen können sollten. Erste Erfahrungen mit einem speziell auf
Grund der zunehmenden interkulturellen Konflikte im Jugendfußball eingestellten Sozialarbeiter, der die Jugendund Übungsleiter, Betreuer und Trainer
der betroffenen Vereine berät und mit
den Jugendlichen arbeitet, zeigen, dass
dies eine die Vereine entlastende wichtige, ja fast unverzichtbare gewaltpräventive Maßnahme ist.
Prof. Dr. Gunter A. Pilz
Institut für Sportwissenschaft
Universität Hannover
Foto: Fanprojekt Hannover (3)
und kulturellen Werte müssen tagtäglich in der Vereinsarbeit durch entsprechende erzieherische Maßnahmen zur
Geltung gebracht werden. Dabei kann
es nicht nur darum gehen, durch Sanktionen und „Belehrungen“ junge Menschen auf den Pfad der Tugend zu führen, sondern es gilt die jugendlichen
Spieler aktiv an diesem Prozess zu beteiligen. Sehr gute Erfahrungen hat der
Niedersächsische Fußballverband mit so
genannten Selbstverpflichtungen gemacht. Hierbei werden Jugendmannschaften in Form einer Zukunftswerkstatt erst einmal aufgefordert alles zu
benennen, was sie am Fußball, beim
Spielen, beim Training stört. In einem
zweiten Schritt werden die genannten
Kritikpunkte positiv gewendet, um im
dritten Schritt Regeln zu formulieren,
die zu einer positiven Verhaltensveränderung führen sollen. Danach werden
die Regeln aussortiert, denen nicht alle
Mannschaftsmitglieder zustimmen. Mit
anderen Worten, nur die Regeln, denen
alle Mannschaftsmitglieder zustimmen,
kommen in die Selbstverpflichtungserklärung. Diese wird dann von allen
Spielern als verbindlich anerkannt und
unterschrieben. Erste Erfahrungen ma-
chen Mut auf diesem Weg fort zu fahren: Regeln, die selbst entwickelt und
für verbindlich erklärt wurden, werden
eher eingehalten. Mehr noch: die Spieler fühlen sich verpflichtet nicht nur ihr
eigenes Verhalten entsprechend der
vereinbarten Regeln zu kontrollieren,
sondern auch das der Mitspieler und
sogar des Trainers. Erziehung zum Fairplay ist also im Wettkampf und Erfolg
orientierten Sport keine Utopie, sondern durchaus ein lohnendes, ja unverzichtbares Handlungsziel.
Bezogen auf das Umfeld des Fußballsports, zeigen Fanausschreitungen,
dass es über den Sportverein hinausgehender Bemühungen bedarf, um
gewaltpräventiv zu wirken. Hier leistet das vom Niedersächsischen Innenministerium, vom Sozialministerium,
von Hannover 96 und von der Landeshauptstadt Hannover geförderte Fußballfanprojekt Hannover seit 20 Jahren
hervorragende Arbeit. Ähnlich wie bei
Auseinandersetzungen von jugendlichen Fußballspielern unterschiedlicher
ethnischer Herkunft zeigt sich, dass
der Sport, um präventiv und sozialerzieherisch zu wirken, der professionellen sozialpädagogischen Unterstützung bedarf. Für die Zukunft wird es
sehr darauf ankommen, dass auch im
Sport gewaltpräventive Netzwerke gebildet werden. In diesen Netzwerken
können Vertreterinnen und Vertreter
unterschiedlichster Institutionen kooperieren, die sich ihrer Vorbildfunktion und ihrer spezifischen Aufträge bewusst sind. Hier lassen sie ihr fachliches
Know-how einfließen bzw. können sie
die Netzwerkarbeit für ihre eigene Praxis nutzen. Allerdings bewirken Vernetzung und Zusammenarbeit allein noch
keine effektive Soziale Arbeit geschweige denn Gewaltprävention. Entscheidend ist, dass unterschiedliche Interessen offen gelegt, Gemeinsamkeiten
herausgearbeitet und Kompetenzen
geklärt und zum Inhalt der Zusammenarbeit gemacht werden. Die Entwicklung fachlich fundierter Konzepte für
den organisierten Sport sollte Ergebnis einer solchen Zusammenarbeit sein.
Nur unter diesen Voraussetzungen können Gewalt verstärkende Faktoren in
der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit von Sportvereinen abgebaut und
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Thema
Breakdance, Hip-Hop, Boxen:
„Wer ein Meister werden will,
muss wie ein Meister trainieren.“
Foto: Anders (2)
Wo sie auftreten, lassen sie ein begeistertes, staunendes Publikum zurück.
Die Tänzer wirbeln auf dem Kopf stehend unzählige Male im Kreis, verdrehen den Körper beim einarmigen Handstand wie ein Fragezeichen oder malen
mit den Beinen wilde Muster in die
Luft. „Für die Gruppe alles geben, bis
du keine Luft mehr kriegst – das ist es“,
beschreibt Arkadi seine Motivation bei
den Auftritten, wenn er bis zur völligen
Erschöpfung im rhythmischen Stakkato
der Musik tanzt und die Gedanken abschaltet. Akrobatische Elemente im Stile von Hochleistungssportlern sind aber
nur die eine Seite der Faszination, die
von den Belmer Breakdancern „4 One“
ausgeht. Dazu kommt die Anziehungskraft einer Jugendkultur, die ihr eigenes, selbstbestimmtes Regelwerk hat.
Der 5. Platz bei den Weltmeisterschaften unterstreicht die Professionalität,
mit der die Gruppe ihre Auftritte in den
letzten Jahren immer weiter perfektioniert hat. Angefangen hat alles mit ersten Akrobatikeinlagen in der Pause auf
dem Schulhof, die von Mitschülern begeistert beklatscht wurden. Doch mit
den ersten Erfolgen stiegen die Ansprüche. Regelmäßige Trainingsmöglichkeiten auch bei schlechtem Wetter waren
notwendig, um das Niveau zu steigern.
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Unterstützung erhielten die fünf
Belmer, die alle bereits Mitte der 1990er
Jahre mit ihren Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen sind, von Marion Freericks. Die
Präventionsfachkraft ist in Belm verantwortlich für das niedersächsische PRINTProgramm zur Prävention und Integration von Kindern und Jugendlichen in
sozialen Brennpunkten. Sie organisierte Trainingszeiten und Auftritte und
sponsorte auch ein trendiges Outfit.
Der ständige Kampf um Hallenzeiten
für die Gruppe ließ dann aber die Idee
aufkommen, eine intensivere Kooperation mit dem örtlichen Sportverein SV
Concordia Belm-Powe einzugehen, zumal auch der Baustein „Integration in
Vereine“ des PRINT-Programmes dafür
günstige Rahmenbedingungen darstellte. In zahlreichen Gesprächen zwischen
Vereinsführung und der Präventionsfachkraft wurden die Möglichkeiten
ausgelotet, ob und wie die sogenannte Trendsportart „Breakdance“ in den
Verein integriert werden kann. „Anfangs mussten einzelne Widerstände
überwunden werden“, berichtet Marion Freericks. Letztlich stärkten aber der
Ehrgeiz und die Leistungsbereitschaft
der jungen Tänzer die Vereinsführung
in ihrer Einschätzung, dass hier nicht
nur ein „Strohfeuer“ abgebrannt wird.
Die jungen Leute sollten durch die
Gründung einer neuen Abteilung Unterstützung erfahren. Die regelmäßigen Trainingszeiten sorgten fortan für
einen weiteren Schub im Leistungsvermögen der „4 One“. Durch die Teilnahme an großen Turnieren färbte das positive Image der Formation letztlich auf
den Verein ab. Auch wenn die Gruppe
innerhalb des Vereins wenig Kontakt
zu anderen Mitgliedern hat und zwischenzeitlich „Abnutzungserscheinungen“ im Verhältnis der Beteiligten untereinander zu beobachten waren, ist
die Entwicklung der Breakdancer ein
Beispiel für das Aufeinanderzugehen
von Migranten und Einheimischen in
Belm. Auf der einen Seite jugendliche
Zuwanderer, die in der neuen Heimat
auf der Suche sind nach einer Lebensperspektive und im Zusammenhalt in
der eigenen ethnischen Gruppe Sicherheit und Geborgenheit finden. Und auf
der anderen Seite der alteingesessene
Sportverein mit den klassischen Abteilungen wie Fußball, Handball oder Turnen.
Für Harald Schulte, 1. Vorsitzender
des SV Concordia Belm-Powe, prallen
hier längst nicht mehr zwei unvereinbare Positionen aufeinander. Er hat
schon früh die Integration von Aussiedlern in den Verein intensiv gefördert,
wohnen doch seit Anfang der 1990er
Jahre mehr als 2000 Deutschstämmige
aus Osteuropa in Belm, darunter knapp
die Hälfte in den Hochhäusern der ehemaligen Nato-Siedlung in Powe. Insbesondere durch die Anstellung eines russischsprachigen Sportlehrers ist es dem
Verein seitdem gelungen, zahlreiche
Zuwanderer in die verschiedenen Abteilungen zu integrieren. Neben den
Mannschaftssportarten, in denen Kinder und Jugendliche unterschiedlicher
Herkunft gemeinsam Siege und Niederlagen erleben, werden altersgerechte Fitnesskurse angeboten, an denen
auch erwachsene Migranten teilnehmen. Dass aber trotzdem noch nicht
alle Interessen insbesondere der jungen Neubürger abgedeckt sind, erfährt
Schulte besonders durch den Kontakt
mit der Präventionsfachkraft im PRINTProgramm.
Boxen zum Beispiel war so ein Thema, mit dem jugendliche Spätaussiedler sich an Marion Freericks gewandt
hatten, denn besonders in Kasachstan
haben Kampfsportarten eine große
Tradition. Boxen ist neben Ringen Nationalsport in dem Land, aus dem viele Aussiedler sich auf den Weg in eine
bessere Zukunft gemacht haben. „Die
Möglichkeit, Frust und Aggressionen
durch Sport abzubauen, ist gerade bei
benachteiligten Jugendlichen ein wich-
Trainingsbeteiligung unverändert hoch
bleiben, wird in Kürze Boxen als festes Angebot in den Verein integriert.
In Belm wäre das nur ein weiterer Baustein einer mittlerweile viereinhalbjährigen Erfolgsgeschichte von PRINT, die
mit Breakdance begann und mit Boxen
nun das jüngste Kapitel erlebt.
Ob die Integration einer Taek-WonDo- und einer Hip-Hop-Gruppe in den
Sportverein im Belmer Ortsteil Vehrte oder der Aufbau einer Bogensportgruppe im Schützenverein Powe – für
Marion Freericks war in der Vergangenheit letztlich die Orientierung an den
Interessen der Kinder und Jugendlichen
Garantie für eine große Resonanz auf
ihre Angebote. Die Herkunft der Teilnehmer spielt dabei keine Rolle mehr,
denn inzwischen mischen sich in fast
allen durch das PRINT-Programm initiierten Angeboten sowohl einheimische
Fred Anders
Quartiersmanager Soziale Stadt, Belm
Foto: Schwake, „Die Harke“
tiger Aspekt“, betont Frau Freericks.
Zudem sind für sie Angebote in Trendsportarten die beste Möglichkeit, um
Kinder und Jugendliche zu erreichen,
die in sogenannten sozialen Brennpunkten aufwachsen. Mit Renat Bekmagambetov hat sie mittlerweile einen Boxtrainer gefunden, der bei den
Jugendlichen großen Respekt genießt.
In kurzer Zeit ist es dem Bundesligaboxer gelungen, rund 20 Nachwuchskämpfer unterschiedlichster Herkunft
für das Boxen in Belm zu begeistern
und ihnen durch das regelmäßige Training eine sinnvolle Freizeitgestaltung
zu ermöglichen. „Wer ein Meister werden will, muss wie ein Meister trainieren“, hängt als Motto an der Spiegelwand in der Concordia-Sporthalle. Und
tatsächlich holen die Kämpfer hier bis
zur totalen Erschöpfung alles aus ihrem Körper heraus. Die getrockneten
Blutflecken auf dem Hallenboden sind
ein Indiz dafür, dass Sparringsgegner
sich nicht nur abtasten, sondern dass
auch zugelangt wird. „In Kasachstan
werden neue Boxer beim Training von
den besten Kämpfern im Ring erst einmal richtig verprügelt“, berichtet Bekmagambetov. „Erst wenn sie danach
noch wiederkommen, dürfen sie regelmäßig am Training teilnehmen“.
Diese harte Schule aus seinem Heimatland hat er zwar nicht mit übernommen, aber ihm ist es wichtig, dass die
Teilnehmer mit Disziplin und Ausdauer
ihre Ziele verfolgen. So ist für die endgültige Gründung einer Boxabteilung
eine bestimmte Mindestzahl von Teilnehmern notwendig. Inzwischen steht
die Zusage vom Sportverein. Sollte die
als auch zugewanderte Sportbegeisterte. „Bei Teilnehmern aus schwierigen
Familienverhältnissen sind durch den
regelmäßigen Sport Verhaltensauffälligkeiten zurückgegangen, sie sind aktiver in der Schule, das Selbstbewusstsein ist insgesamt stärker geworden“,
berichtet die Sozialpädagogin von den
bisherigen Erfahrungen. Insbesondere Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien hätten Vertrauen gefasst
und über die aufgebauten Kontakte
ein Zugehörigkeitsgefühl zum lokalen
Netzwerk entwickelt. Dass mehr Jungen als Mädchen in die Kurse kommen,
ist nicht immer nur durch den unterschiedlichen Bewegungsdrang der Geschlechter zu erklären. Zwar werden
gerade die Hip-Hop-Angebote gut angenommen, doch die Gruppe der Belmer Spätaussiedler-Mädchen aus den
freien Christengemeinden ist durch attraktive Trendsportangebote nicht zu
erreichen. Freericks: „Die strenge Erziehung und das starre Festhalten am traditionellen Rollenverständnis in den Familien macht Integration schwierig“.
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Thema
Mädchen vor!
Die Freizeitaktivitäten traditionell orientierter muslimischer
Mädchen konzentrieren sich
mehrheitlich im näheren sozialen Umfeld der Familie. Ein
wichtiger gemeinwesenorientierter Ort der Begegnung ist die
Moschee. Sie stellt gleichzeitig eine Lebenswelt dar, die das
Vertrauen der Eltern besitzt –
die Grundvoraussetzung dafür, dass sie die Teilnahme ihrer
Töchter an einem Sportangebot
erlauben. Und just an diesem
Punkt setzt die Idee an, innerhalb einer Moschee ein Mädchensportprojekt zu initiieren.
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BETRIFFT 2/2005
Seit Mitte des Jahres 2002 ist die Sportjugend Niedersachsen Trägerin in diesem vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und
Gesundheit geförderten Projekt. Für
und gemeinsam mit den Mädchen
werden hier körper-, bewegungs- und
sportbezogene Angebote entwickelt.
Dabei hat sich die Sportjugend Niedersachsen zum Ziel gesetzt, die Bewegungsinteressen muslimischer Mädchen und junger Frauen zu erkennen,
umzusetzen und ihnen somit zugleich
neue Perspektiven für sportliche Betätigung zu eröffnen. Außerdem sollen
Sportvereine für diese Zielgruppe sensibilisiert und dauerhafte Sportangebote etabliert werden.
Mädchensport in der Moschee
Es entstand das Mädchensportprojekt
in der Moschee Hannover Stiftstraße.
Durch das Angebot in Zusammenarbeit
mit der Moschee sollte die Akzeptanz
muslimischer Eltern gegenüber den Bewegungsinteressen ihrer Töchter erhöht werden.
Die Arbeit in dieser Moschee war
von Anfang an unproblematisch, zumal
für ihre Mitglieder die Kooperation mit
externen Organisationen kein neues
Terrain ist und auch sie sich für ihre Jugendlichen engagieren. Da ungefähr
60 Mädchen die Moschee regelmäßig
besuchen, war sie ein idealer Anknüpfungspunkt für das Angebot.
Eine Befragung der jungen Moscheebesucherinnen ergab, dass die
Zielgruppe ein generelles Interesse an
den verschiedensten Sport- und Bewegungsarten hatte. Den Mädchen war es
aber auch sehr wichtig, von einer Frau
trainiert zu werden. Ihre Nationalität
jedoch war für die meisten nicht von
Belang.
Interkulturalität kennzeichnet auch
das Kooperationsteam des Projektes.
Es setzt sich zusammen aus der Religionsbeauftragten und dem Vorsitzenden des Moscheevereins sowie einer diplomierten Sozialpädagogin der AWO.
Darüber hinaus lieferte der Sportverein
Pro-Judo die sportkonzeptionelle Beratung. Die Projektleitung obliegt der
Mädchenreferentin der Sportjugend
Niedersachsen und Trainerin ist eine
muslimische Gymnastiklehrerin.
Das Projekt startete Ende 2002 mit
zwei Gruppen; eine für 6- bis 11-jährige
und eine für 12- bis 18-jährige Mädchen.
Im Schnitt kommen seitdem samstags,
nach dem Koranunterricht, 12 Mädchen
pro Gruppe. Neben Aufwärmgymnastik und Selbstverteidigungstechniken
stehen Übungen zur Körperwahrnehmung im Vordergrund, wie beispielsweise fallen und rollen. Die Mädchen
lernen ihre anfängliche Unsicherheit zu
überwinden, ihre Bewegungsfähigkeit
und ihr Selbstbewusstsein steigen. Seit
etwa einem Jahr liegt der sportliche
Schwerpunkt je nach Altersklasse auf
Bewegungsspielen, Tänzen, Fitnesstraining zu Musik und Krafttraining.
Ein zentrales Anliegen lautet, Eltern
zur Förderung des Bewegungsinteresses ihrer Töchter zu motivieren. Bei
Müttern wie bei Vätern musste zu diesem Zweck Akzeptanz geschaffen werden. Maßgeblich waren hier die Türkischkenntnisse der Trainerin und die
offene Unterstützung des gesamten
„Lebensweltbezogene Mädchenarbeit“ –
ein Projekt rückt muslimische Mädchen in den Mittelpunkt
Foto: Landessportbund Niedersachsen (3)
Projekts von Autoritätspersonen wie
dem Vorbeter der Moschee.
In diesem Projekt wird Mädchen aus
traditionellen Familien die Möglichkeit
geboten, in vertrauten und „geschützten“ Räumlichkeiten Sport zu treiben
und ein positives Körperkonzept zu erlangen. Diese Erfahrung, so ihren Interessen nachgehen zu können und als
Gruppe direkt angesprochen zu werden, signalisiert ihnen, dass sie mit ihren Bedürfnissen ernst genommen werden. Dies steigert ihr Selbstbewusstsein
und unterstützt sie darin, mit ihren
muslimischen Wurzeln in Deutschland
zu leben.
Das Streetdance-Projekt im Jugendtreff Linden Nord – die „Puellas“
Im Jugendtreff Hannover/Linden-Nord
gibt es schon seit über zwei Jahren
eine Mädchengruppe, deren größter
Wunsch es war, Tanztraining zu bekommen. Ab und zu hatten sie die Gelegenheit an Wochenendworkshops, z. B. an
einem Cheerleader-Training, teilzunehmen, aber ein kontinuierliches Angebot
konnte sich der Jugendtreff nicht leisten. Im September 2002 jedoch startete
ein dreimonatiges Streetdance-Projekt,
hervorgegangen aus einer Kooperation der Sportjugend Niedersachsen mit
dem Jugendtreff. Streetdance ist eine
Mischung aus Jazzdance, Breakdance
und Aerobic, eine Bewegungsform, in
der Koordinations- und Konzentrationsvermögen gefördert wird. Das körperbezogene und persönlichkeitsbildende Bewegungsangebot trägt zu
einer positiven Identitätsentwicklung
und Gesundheitsförderung bei.
Mit dem Streetdance Projekt entstand
ein weiteres erfolgreiches Konzept in
Zusammenhang mit dem Förderprogramm „Lebensweltbezogene Mädchenarbeit“. In Linden-Nord wohnen
überdurchschnittlich viele Migrantenfamilien und so kommt das Gros der
BesucherInnen des Jugendtreffs aus
solchen Familien. Herkunftsland der Eltern beziehungsweise Großeltern ist in
den meisten Fällen die Türkei.
Das Training der Gruppe übernahm
eine junge muslimische Frau, die ein
mehrwöchiges Praktikum im Jugendtreff absolvierte und seit über sieben
Jahren Erfahrung im Streetdance hatte.
So konnte für die Gruppe, die überwiegend aus muslimischen Mädchen besteht, eine geeignete Trainerin gewonnen werden.
Den Beginn markierte ein Streetdance Wochenendworkshop, der auch
neue Mädchen zur Teilnahme motivierte. Der Wochenendworkshop bot
der neuen Gruppe die Gelegenheit sich
kennenzulernen und stärkte das Gruppengefühl. Die Mädchen besprachen
miteinander zu welchen Musikstücken
sie tanzen möchten. Die Trainerin gab
einige Tanzschritte vor, die geübt wurden. Man sah sich gemeinsam Tanzvideos an und entwickelte eigene Ideen
für Choreografien.
Nach dem Wochenende traf sich
die Gruppe dann einmal pro Woche;
vor Auftritten oder Wettbewerben
auch häufiger. Mittlerweile hat sie einen Namen, sie nennt sich „Puellas“, in
Anlehnung an das lateinische Wort für
„Mädchen“. Die zehn Mitglieder stammen aus fünf verschiedenen Herkunftsländern und ihr Engagement und Spaß
am Tanz sind immer noch so groß wie
am ersten Tag. Die „Puellas“ hatten
auch schon einige Auftritte. Bei ihrer
ersten Teilnahme an einem Tanzwettbewerb in Hameln belegten sie den
vierten Platz! Und damit nicht genug:
Im Sommer 2003 drehten die Mädchen
in Eigenregie den Kurzfilm: „Making
of Puellas“, der im Niedersächsischen
Nachwuchs-Filmfest Colours gezeigt
wurde. Die Mädchen erzählen in dem
Film aus ihren Lebenswelten, von Träumen und Zukunftswünschen und ihrer
Motivation zu tanzen.
Die „Puellas“ existieren derzeit als
selbst organisierte Gruppe weiter und
nehmen an Tanzwettbewerben teil. Sie
sind ein gutes Beispiel dafür, dass ein
gemeinsames Ziel kulturelle Grenzen
überwindet und persönliche Perspektiven weiterentwickelt.
Karin Solsky
Sportjugend Niedersachsen
Ferdinand-Wilhelm-Fricke-Weg 10
30169 Hannover
Tel: 0511 1268-256
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Thema
Sportliche Vielfalt in Niedersachsen –
eine kleine Auswahl
Marathon gegen Ausgrenzung
Nicht nur „Lola rennt“ – auch die AWO
rennt. Über 400 Aktive aus vielen Nationen liefen Anfang Mai 2005 zum siebten Mal in leuchtend orangefarbenen
Trikots mit der Aufschrift „AWO gegen
Ausgrenzung – Unsere Sprache ist Integration“. Sie setzten ein Zeichen für ein
gelingendes Zusammenleben von Minderheiten und Mehrheiten.
Information: Dirk von der Osten
Tel. 0511 8114-265
E-Mail: [email protected]
Fair Play! Das Projekt
„Konflikte im Jugendfußball“
Foto: CVJM Wolfsburg
Dass im Fußballsport oftmals Anlässe für handfeste Auseinandersetzungen gesehen werden, ist allgemein
bekannt. Das Projekt „Konflikte im Jugendfußball“ will solchen Situationen
durch die Begleitung des Trainingsbetriebes vorbeugen, es will einen konstruktiven Umgang mit Konflikten
vermitteln und die Rehabilitation von
straffälligen Sportlern forcieren. Dabei wird auf die Zusammenarbeit von
Sportverein, Schule und Sozialer Arbeit
sowie auch auf Konfliktberatung viel
Wert gelegt. Ziel ist es, ausländische Jugendliche und ihre Familien in die Vereine zu integrieren.
Information: Hasan Yilmaz
Tel. 0168 4050605
E-Mail: [email protected]
Olympischer Geist in Nienburg:
die „Weserlympix“
Jugendliche aller Nationalitäten aus
dem Landkreis Nienburg/Weser und
seinen Partnerstädten trafen sich vom
14.–16. Mai 2004 im Nienburger Stadion zu Sportwettkämpfen. Neben dem
Sportlichen wurde dort ein reichhaltiges Unterhaltungsprogramm mit Musik, Theater und zahlreichen kulturellen und sportlichen Vorführungen
geboten. Unter dem Motto „Lieber
Sport und Spaß – statt Frust und Hass“
galt es den interkulturellen Austausch
und die Vermittlung von Kulturkompetenz zu fördern.
Information: Horst Barthel
Tel. 05021 967-328
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BETRIFFT 2/2005
SRBIJA – Tanz und Lied auf serbisch
Originäre Trachten, vielschichtige Musik
und ein leidenschaftlicher Umgang mit
Folklore – das kennzeichnet die Volkstanzgruppe SRBIJA. Seit 1982 üben die
mehr als sechzig Kinder und Jugendlichen der Gruppe serbische Tänze professionell ein, spielen traditionelle
Lieder und treten sogar auf internationalem Parkett auf. Die Weitergabe des
serbischen Volksliedes und Tanzes ist
ihnen eine Herzensangelegenheit.
Information: Pfarrer Milan Pejic
Tel. 0511 3941924
E-Mail: [email protected]
Schwimmen für Muslime
Der Braunschweiger Schwimmverein
„Germania“ organisiert Schwimmangebote für muslimische Frauen und Männer. Besonderen Wünschen dieser Zielgruppe kommt man hier entgegen. So
wurde die Schwimmhalle, in der man
sich trifft, mit Jalousien ausgestattet
um einen Sichtschutz von außen zu gewährleisten. Das begehrte Angebot des
Vereins richtet sich sowohl an muslimische Nichtschwimmerinnen sowie auch
gesondert an muslimische Männer und
Frauen, die schwimmen können.
Information: Petra Weber
Schwimmverein „Germania“
Tel. 0531 81525
Hochschulsport für Flüchtlinge
Im Sommersemester 2003 führte das
studentische Projekt „Entwicklung von
Konzepten zur Öffnung von universitären Angeboten für Flüchtlinge“ der Carl
von Ossietzky Universität Oldenburg
eine Umfrage unter 80 Asylbewerbern
in der damaligen ZASt, jetzt: ZAAB Oldenburg, durch. Die Auswertung ergab
starkes Interesse an einer Teilnahme am
Hochschulsport. Speziell die Sportarten
Fußball und Basketball waren sehr gefragt. Nun mussten etliche bürokratische Hürden überwunden werden. Seit
dem Wintersemester 2004/05 ist es den
Flüchtlingen möglich, mittels Gasthörerausweis am Hochschulsport teilzunehmen.
Information: Carolin Heumann
E-Mail: [email protected]
Kreuzheben, Bankdrücken,
Kniebeugen – KraftdreikampfLeistungssport
Der SV Union Groß Ilsede rief Ende
2002 eine neue Abteilung ins Leben:
Kraftsport – auch „Powerlifting“ genannt. Diese Sparte übt besonderen
Reiz auf jugendliche Spätaussiedler
aus, zieht aber auch Libanon- und Türkeistämmige an. Etwa ein Drittel sind
Einheimische. Die in Sachen Integration
vorbildliche Abteilung hat schon viele
Wettbewerbe gewonnen. Sie richtete
Ende Mai 2005 die Deutschen Meisterschaften im Bankdrücken der Junioren
aus.
Information: Lutz Bertram
Tel. 05172 410374
E-Mail: [email protected]
Forum: Portrait
Güler Karpuz:
Mitten im Leben –
Zwischen Bürgerbüro und bürgerschaftlichem Engagement
Güler Karpuz packt mit an. Mal hilft sie,
Foto: privat
zusammen geklappte Rollstühle in einen DRKBus zu heben, mal baut sie Spielgeräte für
Kinder beim Sommerfest auf.
Güler Karpuz wurde 1975 in Peine geboren. Ihr Vater kam 1970 als türkischer
„Gastarbeiter“ in die norddeutsche
Stahlstadt, um hier im Walzwerk zu arbeiten. Ihre Mutter folgte 1972 mit zwei
kleinen Kindern. Die Familie bewohnte
in Peine eine Doppelhaushälfte in einer
Siedlung, in der Deutsche und Türken
lebten. „In meiner Kindheit dachte ich,
deutsche Männer tragen grundsätzlich ein geripptes Unterhemd und Trainingshosen, deutsche Frauen eine Kittelschürze“, erinnert sich Güler Karpuz
an ihre Nachbarn, mit deren Kindern sie
aufgewachsen ist. Von ihnen hat sie im
wahrsten Sinne des Wortes „spielend“
deutsch gelernt. Auch das Wort „Kanake“ gehörte dazu. Güler saß noch auf
dem Bobby-Car, als es hinter ihr hergerufen wurde.
Zu Hause wurde nur türkisch gesprochen, doch war es den Eltern immer wichtig, dass ihre Kinder Kontakt
zu Deutschen hatten und „draußen“
deutsch sprachen. Auf diese Weise
wuchs Güler zweisprachig auf – und
die Einschulung war kein Problem. Der
Wechsel zur Realschule klappte gut.
Später absolvierte sie mit Erfolg die
Höhere Handelsschule. Einen Ausbildungsplatz fand sie bei der Stadt Peine.
Nach der Ausbildung erhielt sie dort
einen Jahresvertrag. Kurz bevor dieser
zu Ende ging, bot sich ihr eine echte
Das nötige Training für kleinere und größere Kraftakte eignet sich
die junge Frau in einem Fitnessstudio an.
Chance: Sie konnte die frei gewordene Stelle im Vorzimmer des damaligen
Stadtbaurates besetzen. Diese Position
war für die sehr junge und noch unerfahrene Verwaltungsangestellte beruflich eine Herausforderung – und sozial ein Glücksfall. „Noch heute bin ich
dankbar dafür, dass ich Arthur Warstat
kennen gelernt habe“. Ihr Chef, ehrenamtlicher Vorsitzender des DRK Peine,
motivierte die junge Türkin, ins Deutsche Rote Kreuz einzutreten. Güler Karpuz wurde sofort Schriftführerin – und
arbeitet fortan ehrenamtlich in dieser
Funktion engagiert im Vorstand mit.
Sie ist seit einigen Jahren Mitorganisatorin der DRK-Aktivitäten im Peiner
Wohnheim für ausländische Flüchtlinge
und Spätaussiedler. Auch für das neueste DRK-Projekt, die Anbahnung einer
Partnerschaft mit dem Polnischen Roten Kreuz in der Stadt Jelina Gora (früher: Hirschberg), ist Güler Karpuz‘ Hilfe
unverzichtbar. Nach bereits erfolgtem
Transport von Rollstühlen nach Polen
organisiert sie eine Kleidersammlung
für ein Kinderheim. Und dass sie den
gesamten Schriftwechsel erledigt, versteht sich von selbst.
Im Rathaus der Stadt Peine ist Güler Karpuz-Paul, wie sie seit ihrer Eheschließung heißt, inzwischen fast schon
zu einer Institution geworden: Vor einigen Jahren ins damals neu eingerichtete Bürgerbüro gewechselt, ist sie
dort die Anlaufstation für Peiner Bürgerinnen und Bürger türkischer Herkunft. Sie wissen ihre Zweisprachigkeit
und ihre interkulturelle Kompetenz zu
schätzen und nehmen sie gern in Anspruch. Bevor ihr die mitunter intensive Beratung der „Landsleute“ zuviel
zu werden droht, ruft sie sich schnell
den Leitspruch ins Gedächtnis, mit dem
Mutter Karpuz ihre Tochter ausgestattet hat: „Tu allen etwas Gutes - sie beten für dich.“
„Also tu ich allen etwas Gutes“,
lacht Güler Karpuz-Paul – und strahlt
Fröhlichkeit und Tatendrang aus.
Marianne Winkler
Referentin im Büro der Ausländerbeauftragten
BETRIFFT 2/2005
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Forum
Prominente Adoptiveltern,
verwaiste Kinder nach Katastrophen: Mancher, der das liest,
will selbst ein Kind zu sich holen. Aber Auslandsadoptionen
sind heikler, als viele Menschen
wahrhaben wollen.
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BETRIFFT 2/2005
Manchmal steht das Telefon auf Marita Oeming-Schills Schreibtisch gar
nicht mehr still. Das war so nach Beckmanns Talkshow, als Bundeskanzler
Gerhard Schröder alle ermuntert hatte, „die Platz im Herzen und Platz zu
Hause haben“, ein Kind in ihre Familie aufzunehmen. Das war wieder so,
als die Berichte von der Flutwelle und
Zehntausenden elternlos gewordener
Kinder in Asien um die Welt gingen.
Bei der Adoptionsvermittlerin meldeten sich Dutzende von Menschen, die
„ganz unbürokratisch“, jedenfalls aber
möglichst rasch ein Waisenkind zu sich
holen wollten.
Das Gerücht, eine Auslandsadoption sei erheblich einfacher als die für
ein in Deutschland geborenes Kind, ist
nicht aus der Welt zu schaffen. Das ärgert Marita Oeming-Schill, denn „das
Gegenteil ist richtig, wenn es ohne
krumme Touren geschehen soll“. Eine
Weltkarte im Großformat hat sie mit
blauen Fähnchen gespickt. Überall dort
steckt ein Fähnchen, von wo sie bislang
Kinder nach Deutschland vermittelt
hat. Freiberuflich berät sie Eltern und
bereitet sie auf eine Auslandsadoption
vor, oder sie macht Mitarbeiter von Jugendämtern mit den besonderen Hürden einer Auslandsadoption vertraut.
Sie bahnt auch für Elternvereine Adoptionen an.
Die rührenden Geschichten vom
neuen Familienglück Prominenter in
der Regenbogenpresse oder die Bilder
vom Leid der Kinder nach Katastrophen
bringen Menschen dazu, sich rasch zu
entschließen und auf eine Adoption zu
drängen. Marita Oeming-Schill spürt,
ihre Anrufer meinen es ernst. Die meisten erwarten, „dass ich ihnen gleich für
den nächsten Tag einen Termin gebe,
damit sie sich vorstellen können“.
Kaum einer der spontanen Bewerber vermag sich aber vorzustellen, was
ein gerade erst durch ein Unglück traumatisiertes oder ein seit Jahren schon
in einem russischen oder rumänischen
Heim untergebrachtes Kind wirklich
braucht. Die wenigsten wollen hören,
dass es mehr ist als ein Platz im Herzen
und ein Platz zu Hause. Warum sollte es
Waisenkindern nach einer Katastrophe
Foto: Loff
Mehr als ein Platz im Herzen
nicht helfen, ihr Land zu verlassen? Die
Sozialarbeiterin versucht begreiflich zu
machen, dass der Wechsel für ein Kind
nicht allein einen Sprung über Kontinente hinweg bedeutet, sondern auch
einen Wirbel widerstreitender Gefühle.
Die neue Familie in Deutschland wird
glücklich sein über den Zuwachs, „aber
wo bleibt das Kind mit seinen furchtbaren Erlebnissen und seiner Trauer?“
Auslandsadoptionen sind so einfach
nicht einzufädeln. Zunächst bemüht sich
die Mutter zweier erwachsener Töchter
mit den Behörden im Ausland für ein
bestimmtes Kind die Familie zu finden,
die besonders gut zu ihm passen könnte. Auch die meisten Herkunftsländer
legen inzwischen Wert auf sorgfältige
Vermittlung. Ghana etwa besteht darauf, dass Adoptiveltern drei Monate
im Land mit dem Kind leben. Dann erst
lassen sie es ausreisen, falls alles klappt.
Brasilien pocht auf fünf Wochen Aufenthalt der Eltern. Thailändische und
peruanische Aufsichtsbehörden machen laufende Berichte der deutschen
Jugendämter zur Bedingung. Zusätzlich
erwarten sie, dass ihre Vertreter in regelmäßigen Abständen die Reise nach
Deutschland bezahlt bekommen, damit sie die Familien besuchen und sich
vom Wohl „ihrer“ Kinder überzeugen
können. Solche Fürsorge schätzt Marita
Oeming-Schill auch für die Zukunft als
großes Plus. Meistens im Alter zwischen
16 und 25 Jahren forschen die Heranwachsenden in ihren Heimatländern
nach ihren Angehörigen und begeben
sich auf die Suche nach ihren Wurzeln.
„Es tut ihnen dann gut, zu wissen: Beiden Ländern bin ich wichtig“.
mit einem falschen zwischen lauter
Menschen mit korrektem Schild. „Gleiches Recht für alle“ sollte das wohl heißen.
Falls es klappt, und die Adoptionsvermittlerin trifft etwa ein Kind, das sie
in einem Heim kennen gelernt hat, in
der neuen Familie wieder, aufgeweckt
und wie verwandelt, sind das Momente des Glücks. In Waisenhäusern in aller Welt erlebt sie, dass Kinder keine
eigenen Kleider besitzen, sondern sie
nach jeder Wäsche zugeteilt bekommen, dass sie in Etagenbetten schlafen,
nur einen Nagel in der Wand haben für
ihre Schultasche und keinen Platz für
ihr Spielzeug. In einem Heim in der Karibik war es selbstverständlich, dass die
Kinder ihr T-Shirt vor dem Essen ausziehen, damit sie es nicht bekleckern.
Die meisten Adoptiveltern kennen
solche Not und engagieren sich für die
Heime im Land ihrer Kinder. Manchmal
lassen sich Marita Oeming-Schills Anrufer für eine Patenschaft begeistern,
sei es für ein Kind oder ein Heim, auch
wenn sie ihnen keine Hoffnung machen kann auf eine Adoption.
Birgit Loff
Journalistin, Berlin
Foto: Agsten (3)
Wird sie ungeduldig, wenn sich Anrufer allzu forsch nach einer Adoption
erkundigen? Die Adoptionsvermittlerin schüttelt den Kopf. Bei unrealistischen Erwartungen verweist sie auf
Erfahrungen von Unicef, von terre des
hommes und der Kindernothilfe. Alle
drei Hilfsorganisationen haben lernen müssen: Überstürzte Adoptionen
nach einer Katastrophe sind der falsche
Weg. Vielmehr hilft es den verwaisten
Kindern, zunächst in vertrauter Umgebung zu bleiben und mit Gleichaltrigen
zusammen zu sein, die Ähnliches durchzumachen hatten.
Ohnehin lässt die Haager Konvention Auslandsadoptionen nur zu, wenn
sich in den Ländern selbst keine geeigneten Adoptionsbewerber oder Pflegeeltern finden. In Deutschland ist das
Abkommen seit 2002 in Kraft. Marita
Oeming-Schill sieht einen großen Fortschritt darin, dass die Haager Konvention erstmals auch im internationalen
Rahmen das Wohl der Kinder ausdrücklich über alle anderen Interessen stellt.
Als eine der Folgen müssen die privaten Elternvereine, die sich in Deutschland für Auslandsadoptionen einsetzen, jetzt in jedem einzelnen Fall die
entstandenen Kosten offen legen. So
hofft man, dem Handel mit Kindern
entgegenwirken zu können.
Über Flüge und Unterkünfte hinaus
sind die Kosten für eine Auslandsadoption oft erheblich. Häufig kann die Adoptionsvermittlerin die Summen nachvollziehen, etwa wenn in Indien 6.000
US-Dollar Heimkosten berechnet werden, weil Waisenhäuser keine staatliche Unterstützung erhalten. Auch wird
niemand die dicken Stapel erforderlicher Dokumente zum Nulltarif übersetzen. Mitunter hat Marita Oeming-Schill
es allerdings mit seltsamen Bräuchen
zu tun, wie in Russland, das die Haager
Konvention bislang nicht beachtet. Zusätzlich zu den üblichen Verwaltungskosten können in der Russischen Föderation glatt noch einmal 5.000, 6.000
US-Dollar Anwaltskosten anfallen. Energisch tippt sie mit dem Finger auf den
Tisch, als hätte sie so eine Kostenaufstellung vor sich liegen: „Eine enorme
Summe für dortige Verhältnisse, und
keiner weiß so recht, wofür“.
Falls es nicht klappt, aus welchen
Gründen auch immer, können Adoptionswillige oft nur schwer akzeptieren,
keine Aussicht zu haben auf ein Kind.
Neuerdings verweisen sie gern auf den
Bundeskanzler und seine Familie. Neulich saß in einem der Kurse für Adoptionsbewerber ein Mann mit dem Namensschild „Schröder“ am Revers, einer
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Forum
„Ladies on tour“:
Fahrrad fahren für Anfängerinnen
Mal ist „Joe Cocker on Tour“, mal sind die „Ladies on tour“:
In einem Projekt, dessen Bezeichnung an die Ankündigung großer
Stars erinnert, lernen Braunschweiger Migrantinnen Fahrrad fahren.
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BETRIFFT 2/2005
bei ihren ersten Fahrversuchen und unterstützten sich gegenseitig in ihrer gemeinsamen Zielsetzung. Sie erlernten
das Fahrrad fahren in ungezwungener,
entspannter Atmosphäre, waren stolz
auf ihre Erfolge und erlebten sehr viel
Spaß und Freude.
Das spricht sich herum – und so ist
es nicht weiter verwunderlich, dass es
schon wieder Interessierte für neue Kurse gibt. So werden künftig immer mehr
„Ladies on tour“ das Braunschweiger
Stadtbild und das der Umgebung beleben, während „Joe Cocker“ längst andernorts „on tour“ ist.
Marianne Winkler, Referentin und
Marina Kormbaki, Praktikantin
Büro der Ausländerbeauftragten
Informationen:
Doris Bonkowski / Michaela Knabe,
Stadt Braunschweig, Sozialreferat,
Büro für Migrationsfragen,
Tel. 0531 4707355
Helga Rake / Kathi Wegner
plankontor GmbH Braunschweig
Quartiersmanagement für das
Westliche Ringgebiet
Tel. 0531 2801573
Foto: plankontor GmbH (2)
Im Westlichen Ringgebiet Braunschweigs wohnen überdurchschnittlich
viele Migranten. Viele von ihnen haben
in ihren Herkunftsländern wegen der
geographischen Lage, aus finanziellen
oder kulturellen Gründen das Fahrrad
fahren nicht erlernen können. In der
neuen Heimat jedoch wäre diese Fähigkeit von Vorteil, da aufgrund eines
meistens geringen Einkommens Busund Bahnfahrkarten für Zugewanderte oftmals nicht erschwinglich sind. Das
Fahrrad fahren böte eine kostengünstige Alternative.
Hier setzt das Projekt „Ladies on
Tour“ an – unkompliziert und unbürokratisch. Das Quartiersmanagement
für das Westliche Ringgebiet plankontor GmbH führt in Zusammenarbeit
mit dem Büro für Migrationsfragen der
Stadt Braunschweig – unterstützt durch
den Allgemeinen Deutschen Fahrrad
Club (ADFC) und durch die Polizei – Kurse für Migrantinnen durch, die Fahrrad
fahren lernen wollen.
Dabei ist nicht nur willkommen, wer ein
Fahrrad besitzt; bei Bedarf werden die
„Drahtesel“ gestellt. Von der Schulung
des Gleichgewichtssinnes bis hin zum
einhändigen Fahren umfasst der Kurs
alle relevanten Aspekte des Radfahrens.
Mit Straßenverkehrsregeln werden die
Frauen von einem Verkehrssicherheitsberater der Polizei vertraut gemacht. In
dem Kurs treffen sich die lernbegeisterten Frauen zehnmal für zwei Stunden
in der Woche. Am Schluss des Kurses
steht ein Grillfest, zu dem auch die Kinder der Projektmitglieder mitgebracht
werden. Im offiziellen Rahmen werden
dort die Teilnahmebestätigungen und
Urkunden vergeben.
Nun können die Frauen ihre neue
Mobilität genießen. Nicht mehr auf das
unmittelbare Wohnumfeld angewiesen, erkunden sie neue Örtlichkeiten.
Sie erweitern ihren engen Bewegungsradius und entdecken ihnen bisher unbekannte Orte in Braunschweig und
Umgebung.
„Ladies on tour“ startete am 9. Juli
2003. Bisher haben vier Kurse stattgefunden, an denen in der Regel nicht
berufstätige Migrantinnen teilnahmen.
Sie kamen aus so unterschiedlichen
Ländern wie der Türkei, Bosnien, den
Philippinen, Ägypten, Syrien, Spanien. Sie knüpften in den Kursen schnell
Kontakte untereinander, halfen sich
Mehr als ein Kennen lernen
Erste gemeinsame Informationsveranstaltungen zum Integrationsauftrag des Zuwanderungsgesetzes
Das Zuwanderungsgesetz, das
zu Beginn dieses Jahres in Kraft
getreten ist, enthält Regelungen
für Integrationsmaßnahmen,
die insbesondere wichtig sind
für Neuzuwandernde. Kern der
staatlichen Angebote sind die
Integrationskurse zur Vermittlung von ausreichenden Sprachüber die Rechtsordnung, Kultur
und Geschichte Deutschlands.
Die neue Gesetzeslage führt zu Veränderungen und Unsicherheiten hinsichtlich der Zuständigkeiten und der
Umsetzung bei den um die Integration
bemühten Akteuren. Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport
hat deshalb zu Informationsveranstaltungen eingeladen. Neben der Klärung
von inhaltlichen Fragen zur Umsetzung
der Integrationskursverordnung stand
ein erstes Kennen lernen und der Austausch von ersten Erfahrungen im Vordergrund. Vertreten waren die Regionalkoordinatoren des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge, Sprachkursträger, Ausländerbehörden und andere mit Integration befasste kommunale
Stellen sowie die Migrationsberatung.
Die vom Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge eingesetzten Regionalkoordinatoren erläuterten die neuen Aufgaben. Sie wiesen nachdrücklich
Foto: Archiv
kenntnissen sowie von Wissen
auf die nötige Zusammenarbeit zwischen ihnen, den Ausländerbehörden
und den Sprachkursträgern hin. In Niedersachsen gibt es bereits gute Ansätze
hierzu durch die „Kooperative Migrationsarbeit in Niedersachsen“ (KMN), die
die kommunale und regionale Vernetzung der Dienste für Migranten erfolgreich vorangetrieben hat.
Die Sprachkursträger wiesen auf unterschiedliche Rahmenbedingungen für
Kursangebote in städtischen und ländlich geprägten Gebieten hin. Schwieriger als in Ballungszentren ist die Kursteilnehmergewinnung in der Fläche.
Überall jedoch ist die Zahl der Neuzuwanderer eher gering. Darin liegt die
Chance für bereits hier lebende Ausländerinnen und Ausländer, die noch
keine ausreichenden Deutschkenntnisse haben, an diesen Kursen teilzunehmen.
Die Ausländerbehörden erleben in
Folge des Zuwanderungsgesetzes die
wohl stärksten Veränderungen. Es wurde deutlich, dass von den Ausländerbehörden eine aktive Rolle als Initiator
und Vermittler von Integrationsmaßnahmen erwartet wird.
Die anschließenden Diskussionen
haben gezeigt: Alle an Integrationsarbeit Beteiligten sitzen im selben Boot.
Das notwendige neue Miteinander
muss in die Praxis umgesetzt werden,
damit der im Zuwanderungsgesetz enthaltene Integrationsansatz realisiert
werden kann.
Marina Kormbaki
Studentin und Praktikantin im Büro der
Ausländerbeauftragten
BETRIFFT 2/2005
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Materialien zum Schwerpunktthema
seither in Vergessenheit geriet, wird
hier erstmals ausführlich beschrieben.
Dabei thematisieren sie auch die Diskriminierung, der jüdische Fußballer
vielfach noch heute ausgesetzt sind.
Newsletter
„Integration durch Sport“
Alle zwei Monate werden über neueste Ereignisse, Projekte und Entwicklungen im Bereich Integrationsarbeit für
Aussiedler und Ausländer berichtet.
Weitere Informationen unter
www.integration-durch-sport.de
Lesetipps
Tatort Stadion. Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus im Fußball
Köln 2002, ISBN 3-89438-238-4
Das Buch bietet einen Einblick in die
Ausprägungen, die Nationalismus, Rassismus und Sexismus im Fußballmilieu
annehmen. Es begleitet die gleichnamige Wanderausstellung des Bündnisses Aktiver Fußballfans (BAFF). Die
Autoren, allesamt gute Kenner der
vielfältigen Fußballszene, verbinden
Detailkenntnisse und eigene Erfahrungen mit analytischen und erklärenden
Überlegungen. Sie bieten somit ein
Gegenstück zum salonfähigen Fußballbild der Kommerzindustrie.
PapyRossa Verlag, Luxemburger Str.
202, 50937 Köln, Tel. 0221 448545,
Fax 0221 444305, [email protected],
www.papyrossa.de
Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und
internationalen Fußball
Göttingen 2003, ISBN 3-89533-407-3
Jüdische Sportler und Mäzene spielten in den frühen Jahren des Fußballs
eine wesentliche Rolle – vor allem in
Deutschland, Österreich und Ungarn.
Jüdische Pioniere waren an prominenten Vereinsgründungen wie Bayern
München, Austria Wien oder Eintracht
Frankfurt beteiligt, jüdische Kicker verstärkten die deutsche Nationalmannschaft, jüdische Förderer trugen dazu
bei, den Fußball zur Massensportart zu
machen. Dieses Engagement, das ab
1933 ein gewaltsames Ende fand und
22
BETRIFFT 2/2005
BALLBESITZ IST DIEBSTAHL
Göttingen 2003, ISBN 3-89533-430-8
Wem gehört der Fußball? Präsentiert
die „schöne neue“ Fußballwelt wirklich noch echten Zuschauersport? Oder
hat da jemand klammheimlich den Ball
in seinen Besitz gebracht? Im Zeitalter
des kommerzialisierten Kicks kommen
die Fans immer seltener zu Wort. Herausgegeben vom bundesweiten Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF).
Beide Bücher zu beziehen bei:
Verlag Die Werkstatt GmbH, Lotzestr. 24a, 37083 Göttingen, Tel: 0551
7700557, Fax 051 7703412, info@
werkstatt-verlag.de, www.werkstattverlag.de
Mädchen und Sport
„Mädchensportmobil“
Ein Kommunikations- und Aktionsmobil für Mädchen und junge Frauen mit
Migrationshintergrund
Das Mädchensportmobil der Sportjugend Niedersachsen wird bei Sport-,
Schul- und Kulturfesten, Projekten,
Projektwochen und weiteren Veranstaltungen in Schulen und Kindergärten, Sportvereinen sowie in Freizeitund Jugendeinrichtungen eingesetzt.
Es enthält verschiedene Sportgeräte,
die sich an den Bedürfnissen der Zielgruppe orientieren.
Kontakt: Christiane Wiede, Tel. 0511
1268257, Fax 0511 1268242, cwiede@
lsb-niedersachsen.de, Sabine Tönnies,
Tel. 0511 1268249, Fax 0511 1268242,
[email protected]
Interessante Links
„www.integration-durch-sport.de“
ist ein Programm des Deutschen Sportbundes (DSB), das in der Umsetzung
an die Landesportbünde eigenverantwortlich angegliedert ist. Das zentrale
Ziel des Programms ist die Integration der Zuwanderer in die Aufnahmegesellschaft und in den organisierten
Sport. Das Programm wird vom Bundesministerium des Innern gefördert.
www.tatort-stadion.de
„Tatort Stadion“ wird organisiert vom
Fan-Netzwerk Bündnis Aktiver Fußballfans e. V. (BAFF) in Zusammenarbeit
mit der EU und Football Against Racism in Europe (FARE). Die Internetpräsenz enthält neben einem virtuellen
Rundgang durch die Ausstellung „Tatort Stadion“ vor allem einen Nachrichtendienst, der rassistische Übergriffe
aktuell dokumentiert. Ziel ist es, für
das Problem Rassismus und Diskriminierung in Stadien weiter zu sensibilisieren und dadurch rassistische und
rechtsextreme Strömungen in den Fankurven zu bekämpfen.
Bücher
„Ich gehe mit meinem Schatten“.
Frauen und Gewalt in verschiedenen
Kulturen
Stuttgart 2002, ISBN 3-937291-08-3
Wie gehen Frauen mit frauenspezifischer Gewalterfahrung um? Welche
Ressourcen können sie nutzen, welche
Möglichkeiten der Bewältigung in
rechtlicher, gesellschaftlicher, familiärer und psychischer Hinsicht haben sie?
In der Dokumentation zur Tagung des
Diak. Werkes vom 17. bis 19.3.04 sind
die Referate sowie die Ergebnisse der
Workshops, die von den Mitgliedern
des Arbeitskreises „Flüchtlingsfrauen“
gestaltet wurden, zusammengefasst.
Bestellung: Zentraler Vertrieb des Diakonisches Werkes der EKD, Karlsruher
Str. 11, 70771 Leinfelden-Echterdingen,
Tel. 0711 90216-50, Fax 0711 7977502,
[email protected]
Merhaba. Willkommen zum Arbeiten
in Deutschland. Die Geschichte der Migration türkischer Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Hildesheim
Hildesheim 2004
Der vorliegende, 40 Jahre umfassende Rückblick mit Erzählungen und
Berichten zeigt insbesondere den Weg
auf, den türkische Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer genommen haben,
um in der Fremde zu arbeiten und zu
leben.
AWO-Kreisverband Hildesheim-Alfeld
(Leine) e. V., Osterstr. 39 A, 31141 Hildesheim, Tel. 05121 17900-0, Fax 05121
17900-10, [email protected]
Nachrichten
Bei mir ist alles normal.
Fotoworkshops und Tafelfotos mit
Flüchtlingskindern
Frankfurt/M. 2004, ISBN 3-86099-800-5
Das Buch zeigt die Fotografie als Mittel, um Wahrnehmungen, Erinnerungen und Selbstwertgefühle von
Flüchtlingen zu stärken. Workshoperfahrungen werden in Fotos und Texten, Fragen, Antworten und Gedanken
der beteiligten Kinder u. a. aus Bosnien, Afghanistan, Tschetschenien und
Sahrauis, dokumentiert. Die Autorin
will den Kindern zeigen, wie sie ihre
Wünsche, Gefühle, Erinnerungen, was
sie lieben und hassen, festhalten können und ihnen einen Weg weisen, ihre
Erinnerungen selbst zu bestimmen und
dadurch den Alltag neu zu sehen.
Brandes & Apsel Verlag, Scheidswaldstr. 33, 60385 Frankfurt/M., Tel. 069
95730186, Fax 069 95730187, [email protected], www.brandes-apsel-verlag.de
Zeitschrift
Muslimische Frauen
Schwerpunktthema der Zeitschrift E +
Z, Ausgabe 3/05
Die Klischee-Vorstellungen in westlichen Industrieländern sind klar: Frauen
haben in muslimisch geprägten Kulturen keine Aussicht auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Doch
die dargestellten Lebensumstände von
Frauen aus Bangladesch, Nigeria, Algerien und der Türkei zeigen, dass es
Nischen gibt. Sie werden geschickt genutzt, oft leise und unauffällig.
InWEnt – Internationale Weiterbildung
und Entwicklung GmbH, Tulpenfeld 5,
53113 Bonn, Tel. 0228 2434-5, Fax 0228
2434-999, www.inwent.org
D-A-S-H setzt Aktionen und Kampagnen, Informationen und Sichtweisen
in Beziehung und bietet die Möglichkeit, diese auf verschiedenen Ebenen
und aus verschiedenen Perspektiven zu
reflektieren. D-A-S-H verbindet politisches Engagement und medienpädagogische Kompetenz in einem Projekt
im Netz und aus dem Netz heraus.
www.zenithonline.de
zenith – Zeitschrift für den Orient
Das vierteljährlich erscheinende Blatt
füllt die Lücke zwischen livestyle und
wissenschaftlichen Magazinen. Es widersetzt sich dem Trend der Pauschalisierung und berichtet über den Orient,
ohne die islamische Welt verzerrt darzustellen. Die Zeitschrift berichtet über
Neues und Aktuelles aus und über den
Orient, Nah- und Mittelost, Nordafrika, Kultur, Politik und Geschichte des
Islam. zenith vermeidet dabei die in
den deutschen Medien vorherrschende
Katastrophenberichterstattung.
Projekt
ALBuM – Arbeitsprozessintegriertes
Lernen und Beraten für und mit Migrantinnen und Migranten
ALBuM arbeitet in erster Linie mit und
für MigrantInnen und konzentriert
seine Angebote u. a. auf die Unterstützung im Arbeitsprozess, Aktivierung
von Qualifikationen sowie die Unterstützung von kleinen und mittleren
Unternehmen, die von MigrantInnen
geführt werden.
Kontakt: Volkshochschule Hannover,
Am Taubenfelde 4, 30159 Hannover,
Tel. 0511 168-44774, Fax 0511 16841527, [email protected], www.equal-album.de
Links
Filme
www.d-a-s-h.org
D-A-S-H richtet sich an junge Menschen, die für eine Gesellschaft frei von
Ausgrenzung und Rassismus eintreten. D-A-S-H unterstützt und vernetzt
Gruppen und Menschen, die aktiv sind
oder werden wollen. D-A-S-H vermittelt Kenntnisse und Ressourcen, die aktive Gruppen zu einem selbstständigen
und an eigene Bedürfnisse angepassten Umgang mit Medien befähigen.
INVISIBLE – Illegal in Europa
„European Docu Zone Award“, Internationales Dokumentarfilm-Festival
Leipzig, 2004
Der Film erzählt die bewegenden Geschichten von fünf Flüchtlingen, die
illegal in Europa leben. Über ein Jahr
hinweg begleitet er sie in Deutschland, Frankreich, Polen, Spanien, Holland und Nigeria. Er erzählt von ihren
Hoffnungen und Träumen, ihrer Suche
nach Glück, Liebe und Heimat und davon, was ihnen dabei widerfährt.
Basis-Film Verleih Berlin, Südendstr. 12,
12169 Berlin, Tel. 030 7935161, Fax 030
7911551, info@basisfilm.de, www.
basisfilm.de
Kebap Connection
Drehbuch: Fatih Akin, Ruth Toma, Jan
Berger, Anno Saul
Ibo, kreativ-chaotischer Hamburger
Türke und absoluter Bewunderer von
Bruce Lee, wünscht sich nichts mehr
im Leben, als den ersten deutschen
Kung Fu-Film zu drehen. Mit einem
Werbespot für die Dönerbude seines
Onkels wird er über Nacht zum heimlichen Star des Viertels und als neuer
Steven Spielberg gefeiert. Die Schwangerschaft seiner Freundin Titzi bringt
sein Leben dann aber gehörig durcheinander. Erst sieht Ibo bei seinem
Vater Mehmet die rote Karte, dann
fliegt er auch bei Titzi raus. Ibo bleiben
nur noch seine Kumpel und die Werbespots. Und das Gefühl, dass er sein
altes Leben wieder haben will – vor allem Titzi, aber auch den Vater und am
liebsten die ganze Familie …
„Plötzlich nicht mehr deutsch“
Fragen und Antworten – Flyer zu Staatsangehörigkeit/Einbürgerung
Nach dem zum 1. Januar 2000 in Kraft
getretenen Staatsangehörigkeitsgesetz
verlieren Deutsche ausländischer Abstammung, die sich nach der Einbürgerung wieder ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit beschaffen, automatisch
die deutsche Staatsangehörigkeit. Davon sind schätzungsweise 50.000 Eingebürgerte vorwiegend türkischer Herkunft betroffen. Meist ist ihnen nicht
bekannt, dass sie ihre deutsche Staatsangehörigkeit bereits verloren haben.
Klärung und Beratung sind dringend
erforderlich. – Nach Inkrafttreten des
neuen Zuwanderungsgesetzes zum 1.
Januar 2005 hat dieser Personenkreis
unter bestimmten Voraussetzungen
einen gesetzlichen Anspruch auf einen
Aufenthaltstitel, wenn dieser bis zum
30.6.2005 beantragt wird.
Das Bundesinnenministerium informiert darüber mit dem Flyer „Plötzlich
nicht mehr deutsch“ unter
www.bmi.bund.de.
BETRIFFT 2/2005
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Alexis
Giovanni
Dimitri
Ulla
Mei Ling
Paula
Petro
Ümüt
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