Der Zerfall der Sowjetunion

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Der Zerfall der Sowjetunion
Die Herausgeber:
Dr. Martin Malek, Studium von Politikwissenschaft, Publizistik/Kommunikationswissenschaft und Volkswirtschaft in Wien, 1991 Promotion. Seit 1997 wissenschaftlicher Mit­
arbeiter der Landesverteidigungsakademie in Wien.
Dr. Anna Schor-Tschudnowskaja, Diplom-Psychologin und Soziologin, 2010 Promotion an
der Universität Gießen. Derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department für
­Psychologie der Sigmund Freud-Privatuniversität in Wien.
Malek
Schor-Tschudnowskaja [Hrsg.]
Das Buch analysiert jene Prozesse, die 1991 zum Ende des Sowjetsystems und zur Auflösung
der UdSSR führten. Behandelt werden u.a. die Erosion der marxistisch-leninistischen
Staatsideologie, der Niedergang der Kommunistischen Partei, wirtschaftliche Faktoren,
Streitkräfte und Staatssicherheit, Nationalitätenfragen und die Souveränisierung der
Unionsrepubliken.
Der Zerfall der Sowjetunion
Martin Malek | Anna Schor-Tschudnowskaja [Hrsg.]
ISBN 978-3-8329-6320-0
BUC_Malek_6320-0.indd 1
Der Zerfall der Sowjetunion
Ursachen – Begleiterscheinungen – Hintergründe
Nomos
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Martin Malek | Anna Schor-Tschudnowskaja
Der Zerfall der Sowjetunion
Ursachen – Begleiterscheinungen – Hintergründe
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Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wissenschaft
und Forschung in Wien.
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8329-6320-0
1. Auflage 2013
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2013. Printed in Germany. Alle Rechte, auch
die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Inhalt
Vorwort
11
Stanislaw Schuschkewitsch
Das Ende des großen Experiments
Martin Malek und Anna Schor-Tschudnowskaja
Von der Reform zum Zerfall – Anmerkungen zu den
Ursachen des Endes der UdSSR
15
27
Martin Malek
T EIL I – Der Verfall der geistigen Fundamente des
Sowjetsystems. Analysen und persönliche Eindrücke
Das Ende der öffentlichen Sphäre als eine der Ursachen
für das Ende des sowjetischen „Sozialismus“
71
Viktor Voronkov
Macht und Ohnmacht der Ideologie – Anmerkungen zum
Zerfall der Sowjetunion
83
Fred S. Oldenburg
Die russischen Nationalisten und die Auflösung
der Sowjetunion
99
Franz Preissler
7
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Überschätzt? Der Beitrag der Intelligenzija
zur Auflösung der UdSSR
Regula Heusser-Markun
115
Über die Rolle der Dissidenten beim Fall des Sowjetregimes
131
Galina Ackerman
Journalismus in Zeiten des Umbruchs – Eindrücke einer
Auslandskorrespondentin vom Zerfall der UdSSR
141
Susanne Scholl
Ein junger österreichischer Diplomat erlebt den Untergang
der Sowjetunion
147
Georg Heindl
T EIL II – Institutionen und Dysfunktionalitäten
Die Entmachtung der KPdSU
Gerhard Simon
169
Der Machtverlust der Sowjetarmee als Zerfallsfaktor
187
Hannes Adomeit
Die Afghanistan-Intervention und der Zerfall der UdSSR
203
Dieter Kläy
Das Komitee für Staatssicherheit während des Zerfalls
der Sowjetunion
Matthias Uhl
8
215
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The life and death of the Soviet economic system
Julian Cooper
235
Die Auswirkungen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl
251
Kerstin S. Jobst
Ist die UdSSR an ihren Nationalitätenkonflikten gescheitert?
Rudolf A. Mark
269
Juristische Aspekte des Auflösungsprozesses der UdSSR
287
Carmen Schmidt
T EIL III – Unionsrepubliken und autonome
Verwaltungseinheiten
Die baltischen Staaten als Katalysatoren des Zerfalls der UdSSR
311
Egidijus Vareikis
Die Ukraine und die Desintegration der UdSSR
327
Olexij Haran und Dmytro Prokoptschuk
Die Moldau und der Zerfall der UdSSR
Anneli Ute Gabanyi
347
Georgien und der Zerfall der UdSSR
365
Alexander Rondeli
Armenien und der Zerfall der UdSSR
Tessa Hofmann
381
9
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Aserbaidschan, der Berg-Karabach-Konflikt und der
sowjetische Zerfallsprozess
Aser Babajew
Die Rolle der autonomen Republiken der RSFSR im
sowjetischen Zerfallsprozess
403
419
Valentin Michajlow
Tschetscheno-Inguschetien 1988–1991. Ein Beispiel für
den sowjetischen Zerfallsprozess an der Peripherie
445
Marjam Jandijewa
T EIL IV – Ausblick
Visionen einer imperialen Zukunft Russlands: Ein „neuer
Unionsstaat“, eine „Russländische Union“ oder eine
„Eurasische Union“?
465
Martin Malek
Abkürzungsverzeichnis
491
Die Herausgeber und Autoren
495
10
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Vorwort
Stanislaw Schuschkewitsch
Die Herausgeber, deren Publikationen zu sowjetischen und postsowjetischen
Angelegenheiten ich kenne, haben mich eingeladen, ein Vorwort zu diesem
Buch zu verfassen. Das hat mich dazu bewogen, die Lehren des Treffens im Dezember 1991 in der Staatsdatscha Wiskuly im Wald von Beloweschsk (Weißrussland) nochmals zu überdenken. Damals konstatierten der russländische Präsident Boris Jelzin, der ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk und ich als
Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets Weißrusslands (und damit
Staatsoberhaupt) offiziell, dass die Sowjetunion „ihre Existenz als Subjekt des
Völkerrechts und geopolitische Realität beendet“.
Bis zum Dezember 1991 hatten fast alle Unionsrepubliken der UdSSR Deklarationen über ihre Souveränität verabschiedet und den Wunsch ausgedrückt, unabhängige Staaten zu werden. Jelzin war am 12. Juni 1991 vom Volk zum Präsidenten Russlands gewählt worden und hatte so das moralische Recht erhalten, über
sich keinen Chef mehr zu haben – nämlich Michail Gorbatschow, der nicht in einer
Volkswahl, sondern vom sowjetischen Parlament, dem Kongress der Volksdeputierten, im März 1990 zum Präsidenten der UdSSR gemacht worden war. Die
ebenfalls von Gorbatschow geleitete Kommunistische Partei der Sowjetunion
(KPdSU) besaß im Kongress eine „kontrollierbare Mehrheit“, und daher wurde
Gorbatschow weniger gewählt denn von der Partei ernannt. Rein formaljuristisch
blieb die Unterordnung Jelzins unter Gorbatschow erhalten, und zur Erlangung des
vollen Rechts, Russland zu führen, musste sich Jelzin als Befürworter einer Unabhängigkeit der Unionsrepubliken der UdSSR positionieren, auch wenn das nicht
sein ureigenster Wunsch gewesen war. Die demokratischen Umgestaltungen fanden damals bei ihm immer Unterstützung; Surrogate wie eine Suche nach der
Wiederherstellung der Größe und „historischen Bestimmung“ Russlands, der „große Bruder“ der anderen Unionsrepubliken zu sein, lehnte er ab.
Krawtschuk und ich bemühten uns natürlich um eine Anerkennung der Unabhängigkeit der Ukraine und Weißrusslands durch Russland, die durch einen offiziellen internationalen Vertrag bestätigt wird, obwohl wir uns früher nicht dazu
hatten entschließen können, das offen zu sagen. Im Wald von Beloweschsk ergab
sich die Chance, diesen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen und in eine angemessene rechtliche Form zu kleiden.
Allen, die sich am 7. Dezember dort versammelt hatten, waren die grundsätzlichen Unzulänglichkeiten des Sowjetsystems bewusst. Wir – die Anführer Russ11
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lands, der Ukraine und Weißrusslands sowie einige andere Politiker und Experten – verstanden schließlich: Man muss das tun, was man nicht lassen darf. Die
sowjetische Norm des „demokratischen Zentralismus“, die unbedingte Unterstellung der Minderheit unter die Mehrheit, wurde durch die Suche nach Konsens
ersetzt. Vielen war klar, dass die UdSSR nach dem Putschversuch im August
1991 bereits zerfallen war, fürchteten sich jedoch davor, das auch auszusprechen.
Wir aber hatten genug Mut, die Dinge beim Namen zu nennen und ein entsprechendes völkerrechtliches Dokument, nämlich die Vereinbarung über die Schaffung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), zu unterzeichnen.
Dieses Dokument wurde in einer einzigen Nacht von Experten ausgearbeitet
und innerhalb von wenigen Stunden von den Staatsoberhäuptern der drei Republiken in seine endgültige Form gebracht; die Parlamente Russlands, der Ukraine
und Weißrusslands ratifizierten es innerhalb weniger Tage. Am 21. Dezember
1991 stießen in der kasachischen Hauptstadt Alma-Ata noch acht weitere Republiken der schon ehemaligen UdSSR dazu. Damit hatte sich der Konsens von drei
Staatsoberhäuptern zu einem Konsens von elf ausgeweitet. Die entschlossenen
und in ihrem Kern auf die Erhaltung des Friedens gerichteten Maßnahmen der
Anführer von elf neuen Staaten ließen Gorbatschow keine andere Wahl, als freiwillig auf den Posten des Präsidenten eines nicht mehr existierenden Staates zu
verzichten, und am 25. Dezember 1991 erklärte er seinen Rücktritt. Erstmals in
der Weltgeschichte war ein Imperium ohne Blutvergießen zerfallen – ein Imperium zudem, das mächtiger gewesen war als alle, die es zuvor gegeben hatte.
In den vergangenen über zwei Jahrzehnten ist der Ärger jener kaum abgeebbt,
die den Zerfall der UdSSR bedauern, obwohl deren Führung über sieben Jahrzehnte hinweg zahllose Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat; hier
sei nur an den stalinistischen Terror erinnert. Nicht wenige Nostalgiker bezeichnen den Zerfall der UdSSR als „Tragödie“ und als „Verbrechen gegen die brüderliche Einheit der Völker“, sie beklagen ein „verantwortungsloses Handeln der
neuen Führer“ der schon postsowjetischen Republiken.
Heute ist es erforderlich, nicht nur jene Vorgänge zu erkennen und zu analysieren, die im Zerfall der UdSSR kulminierten, sondern auch, sich jener Gründe
bewusst zu sein, die in vielen postsowjetischen Staaten zur Entstehung von
Pseudodemokratien geführt haben, die Rechte und Freiheiten des Menschen, darunter das Recht auf Eigentum und andere wichtige Eigenschaften kapitalistischer und wahrhaft demokratischer Länder, pervertieren.
Dank einer der Komplexität des Themas angemessenen Grundkonzeption und
der Auswahl von Autoren, die ihre Kompetenz bereits in zahlreichen Publikationen unter Beweis gestellt haben, liegt hiermit ein Sammelband vor, der es erlaubt, den Zerfall der UdSSR besser zu verstehen, aber auch Schlüsse für Gegenwart und Zukunft zu ziehen. Die Beiträge des Buches können als Ausgangspunkt für die Suche nach den Ursachen der systembedingten (und anderen) poli12
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tischen Defekte auch der postsowjetischen Republiken, der dort verbreiteten autoritären Herrschaftsformen und der faktischen Transformation der GUS in eine
„Gemeinschaft von Diktaturen“ dienen.
Das Werk ist zweifellos für einen breiten Leserkreis relevant – und eigentlich
auch für die sich kaum für Bücher interessierenden politischen Eliten der postsowjetischen Länder selbst: Es könnte ihnen theoretisch helfen, sich von den
Vorgaben und Werten der Erben jener zu verabschieden, die ihre Republiken
lange regiert haben und von deren „Vormundschaft“ sie sich de jure getrennt haben – dank der Beloweschsk-Abkommen.
Übersetzung aus dem Russischen: Martin Malek und Anna Schor-Tschudnowskaja
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