Living. Die GESIBA - Beiträge zur Stadt
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Living. Die GESIBA - Beiträge zur Stadt
Living. Die GESIBA - Beiträge zur Stadt- und Wohnkultur Gasometer Simmering, Guglgasse, 1110 Wien, 1999-2001 Architektur: Manfred Wehdorn, Wilhelm Holzbauer, Coop Himmelb(l)au, Jean Nouvel Aus Zylindern gezaubert - die neue Stadt Die vier Backstein-Zylinder am Rande von Simmering stehen als industriegeschichtliches Gegenstück zu den Ringstraßenbauten für die Genese der Weltstadt Wien. Im Stil der Industriearchitektur der späten Gründerzeit erbaut, wurden sie lediglich als ästhetische Hülle eines technischen Bauwerks konzipiert, ohne tragende Funktion für die eisernen Behälterglocken im Innern. Dass der Volksmund sich irrte, als er mit dem Begriff für die Messeinrichtung das Behältnis bezeichnete, ist nicht weiter verwunderlich. Immerhin war das Gaswerk Wien-Simmering, als es 1896 bis 1899 gebaut wurde, das erste kommunale Gaswerk in Österreich und zugleich das erste Großgaswerk auf dem europäischen Kontinent. Und mit seiner Größe - 72 Meter Höhe und 65 Meter Durchmesser - sprengte es damals jeden für ein Bauwerk vorstellbaren Maßstab. Mit der Umstellung vom Stadtgas zum günstigeren Erdgas wurde die Anlage 1986 stillgelegt, 87 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme. Das Bundesdenkmalamt hatte sie bereits fünf Jahre zuvor vorsorglich unter Schutz gestellt. Was aber sollte geschehen mit diesem Kulturdenkmal in der Peripherie? Ihre ästhetische Wirkung bezogen die Gasometer ja vor allem aus ihrer Monumentalität und aus der Leere des Innenraums, der nur über die spärlichen Öffnungen in der Außenhülle und über eine Laterne in der blechgedeckten Kuppel Tageslicht erhielt. Würden diese Qualitäten nicht zwangsläufig verlorengehen, wenn man mehr als nur die sporadischen Abendveranstaltungen oder Ausstellungen wollte? Nachdem andere Nutzungsvarianten an Wirtschaftlichkeitsüberlegungen gescheitert waren, besann man sich auf die große Wohnbau-Tradition Wiens. Nach einem Bauträgerwettbewerb im Jahre 1995 erhielten Jean Nouvel, Coop Himmelblau, Manfred Wehdorn und Wilhelm Holzbauer zusammen mit ihren jeweiligen Errichtergesellschaften die Planungsaufträge. Sie sollten ein lebensfähiges Stadtviertel aus den Zylindern zaubern: mit rund 600 Wohnungen, einem Studentenheim, einem städtischen Archiv, zahlreichen Büroflächen, einer Veranstaltungshalle für 4000 Personen, 900 Tiefgaragenplätzen sowie einer mehrgeschossigen Einkaufsmall, die alle vier Gasometer miteinander verbindet. Keine leichte Aufgabe, nicht für die Planer und auch nicht für die Vermarkter dieses größten Bauvorhabens Mitteleuropas. Also wurden sämtliche Register gezogen, damit der Kraftakt gelingen möge. Die öffentliche Hand verlängerte die Linie 3 der U-Bahn bis nach Simmering. Sie löste damit eine Initialzündung für den Aufschwung eines ganzen neuen Stadtgebiets aus, zu dem neben den Gasometern auch der ehemalige Schlachthof St. Marx, der „Erdberger Mais“ und die brachliegenden Aspang-Gründe gehören. Die neue „Gasometer-City“ bekommt eine eigene U-Bahn-Station. Sie liegt in direkter Verlängerung der Einkaufstraße und soll den ungewöhnlichen Komplex an die „normale“ Stadt andocken. Zum nahegelegenen Prater baute die Stadt Wien einen neuen Fußgängersteg. Sie investierte 720 Millionen Schilling Wohnbauförderung. Für den Umbau der Industriedenkmäler musste zuerst die Zustimmung der Denkmalschützer gewonnen werden. Man einigte sich auf ein Bündel von Maßnahmen, die alle einen größeren Lichteinfall in das Innere der Zylinder zum Ziel hatten und doch die wesentlichen Merkmale ihrer äußeren Erscheinung intakt lassen sollten: die Blecheindeckung der Kuppel wird zwar entfernt, das gitterartige Tragwerk mit der Laterne aber nach sorgfältiger Restaurierung wieder aufgesetzt; zusätzliche Belichtungsöffnungen werden im Bereich vorgegebener baulicher Vertiefungen im Mauerwerk vorgenommen; schließlich werden vertikale Schlitze entlang der strebepfeilerartigen Lisenen eingeschnitten - der wahrscheinlich schmerzhafteste Eingriff in den historischen Baukörper. Die Architekten haben ganz unterschiedliche Lösungen innerhalb des engen Spielraums von Kreisform und knapper Belichtung gefunden. Die Nutzungsverteilung orientiert sich aber bei allen grundsätzlich an der vorgegebenen, vertikalen Zonierung des ehemaligen Gasbehälters: Ein zwölf Meter hoher Ring aus Ziegelmauerwerk über einem 1,7 Meter dicken, nach oben bombierten Betonfundament diente als Wasserbassin. Umschlossen wird er von einem charakteristischen Böschungskegel. In diesem Bereich befinden sich die Geschäftsstraße und die Veranstaltungshalle, die jeweils über eine Glaslinse Zenithallicht erhalten. Die Büros und die Wohnungen liegen darüber, im eigentlichen Behältergebäude, in dem früher die 33 Meter hohe Behälterglocke an vertikalen Gitterständern lief. Darüber liegt die Dachkuppel. Nur der Gasometer D von Wilhelm Holzbauer durchbricht dieses Schema. Die Wohnungen sind hier in drei Flügeln um einen Erschließungskern angeordnet, sodass die Bewohner Aussicht auf die denkmalgeschützte Innenfassade und die kulissenartig gerahmte Landschaft haben. Die Balkone und Loggien der Mietwohnungen in den fünf Hauptgeschossen richten sich auf je einen der drei begrünten Innenhöfe. Unter dem Gitterwerk der Kuppel befinden sich auf drei Dachterrassen- Geschossen Eigentumswohnungen, welche einen spektakulären Ausblick auf die (Stadt-) Landschaft genießen. Holzbauer „besiedelt“ damit den Dachraum weitgehender als die andern Architekten. Eine weitere Besonderheit des Gasometer D sind die drei Archivebenen des Wiener Stadt- und Landesarchivs. Mit ihnen konnte eine Nutzung gefunden werden, die mit dem historischen Zweck als Lagerstätte korrespondiert. In der Verlängerung der Gasometer- Achse entsteht außerdem ein Kindergarten, ebenfalls von Holzbauer geplant. Der Gasometer D mit seinen 141 Wohnungen wurde von der GESIBA errichtet. Manfred Wehdorn spielte, als Denkmalpfleger für das ganze Vorhaben und als Architekt des Gasometer C, eine Doppelrolle in der Planung - ähnlich wie beim fast gleichzeitig fertiggestellten MuseumsQuartier in den ehemaligen Hofstallungen. Sein „Haus im Haus“ Konzept verfolgt die Absicht, möglichst behutsam in die alte Substanz einzugreifen. Die sechs Wohngeschosse sind vertikal durch vier Stiegenhäuser und zwei Freibereiche in sechs Segmente gegliedert, die sich um einen Innenhof gruppieren. Durch eine Terrassierung erreicht er die Verjüngung der Innenkante nach oben. LaubengangErschließung und Maisonette-Typen sind weitere Mittel, um das Ensemble zum Licht hin zu öffnen. Sein Entwurf bringt das Kuppeltragwerk und das „Glasauge“ über den beiden Einkaufsebenen gut zur Geltung. Sichtbarer Ausdruck der Planung nach ökologischen Prinzipien ist die Bepflanzung des Hofraums und der Terrassen. Wehdorns weiß verputzter und zerklüfteter Turm erinnert an eine mediterrane Feriensiedlung. Die 92 geförderten Eigentumswohnungen in Gasometer C wurden je zur Hälfte von der GESIBA und von der SEG errichtet. Coop Himmelblau schneiden einen trichterförmigen Innenhof in den Gebäudekörper, den sie zuvor in die Hülle von Gasometer B eingefügt haben. Der nördlich vorgesetzten Anbau gibt einen deutlichen Hinweis auf die Okkupation der ehemaligen Gaslager. Das wie ein Schild geformte Objekt ist an den Ecken glücklicherweise leicht abgerundet. In der Mitte ist es leicht eingeknickt, sodass sein oberer Teil bedrohlich überhängt. Die schalenförmige Veranstaltungshalle im Sockelbereich „schwebt“ schalldicht im Raum. Im Projekt des französischen Architekten Jean Nouvel soll der Neubau mit dem Genius des Ortes in einen fruchtbaren Dialog treten. Seine neun Türme in Gasometer A sind leicht und luftig wirkende Stahlkonstruktionen. In den Zwischenräumen kommt der Kontrast zur Gasometerhülle schön zur Geltung durch die schimmernden Blechverkleidungen, in denen sich das Sonnenlicht und die Farbe der Mauern spiegeln. Ein willkommener Nebeneffekt ist die Steigerung des Lichteinfalls. Nouvels Wohnungen sind zum Atrium hin zudem vollständig verglast. Die Laubengänge zur Erschließung befinden sich zwischen der historischen Umfassungsmauer und den neuen Bauteilen, was den Bewohner die gegensätzlichen Qualitäten von neuer und alter Konstruktion besonders intensiv wahrnehmen läßt. Das außergewöhnliche Engagement der Stadt Wien und der Investoren bei den Gasometern muss im Zusammenhang mit der Entwicklung des gesamten umliegenden Gebiets hin zu Dienstleistungen und Wohnen gesehen werden. Projekte wie der gegenüberliegende Bürokomplex „Adler und Ameise“ oder das über eine verglaste Brücke direkt zu erreichende Unterhaltungs- und Freizeitzentrum „Pleasuredome“, leisten den Gasometern bereits Gesellschaft. Weitere werden folgen. Wohnen und Remise Ottakring, Maroltingergasse 47-53, 1160 Wien, 1996-2001 Architektur: Ernst Michael Kopper Wohnen über der Remise Die Straßenbahnremise Ottakring war in einem so schlechten Zustand, dass ein Neubau unvermeidlich wurde. Angesichts ihrer Lage - vorteilhafte Erschließung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Nachbarschaft zu den Naherholungsgebieten Schmelz und Wilhelminenberg - sollte hier erstmals für Wien eine Remise mit einer Wohnanlage überbaut werden. Auf der Grundlage dieser Rahmenbedingungen lud die Stadt Wien fünf Architektenteams zu einem Gutachterverfahren. Gewinner Ernst Michael Kopper (mit Croce und Klug) passte seinen Entwurf besonders gut in die städtebauliche Struktur des Standorts ein: Zur Stadt hin setzte er einen kraftvollen „Riegel“, dahinter öffnet sich die Bebauung mit vier Einzelbaukörpern zum parkartigen Gegenüber. Damit verdeutlicht er die städtebauliche „Schnittstelle“ des zweihundert mal siebzig Meter messenden Areals zwischen dicht bebauter Kernzone der Stadt und den sanft ansteigenden Hängen des Wienerwalds, die hier mit den zwischen 1891 und 1913 entstandenen Pavillons des Wilhelminenspitals bebaut sind. Am Joachimsthaler Platz sind alle Elemente dieser hybriden Anlage versammelt: die Remise mit ihrer dunkel gerahmten Toreinfahrt für die Straßenbahnwagen; das stelzenartig auf sie aufgesetzte „Schlössl“ - so genannt wegen seiner Reihe von expressiv hervortretenden, halbrunden Stiegenaufgängen; zum Platz vorgeschoben der Büroturm der Straßenbahn-Betriebe - der Abschluss des „Riegels“ -; die Seitenansicht eines der vier Einzelblöcke. Eine mit Lärmschutzgläsern geschlossene Fuge zwischen den Baukörpern erlaubt von hier aus einen Einblick in den begrünten Innenhof, der auf dem Hallendach der Remise angelegt wurde. Der Blick auf den Querschnitt durch das Gebäude verrät schließlich ein weiteres Element: die Einstellhalle für die Autos der Bewohner, welche noch unter der Strassenbahn-Garage angelegt wurde! Der rund 5000 m2 große Hof mit seinen Spielfeldern und Spazierwegen sollte von Anfang an nicht nur den Bewohnern der Wohnanlage vorbehalten bleiben, sondern auch für ihre Nachbarn zugänglich sein. An der eben beschriebenen Stirnseite des Komplexes gibt es deshalb eine schmale Kaskadentreppe, welche zum Hof hinauf führt. Am anderen Ende des Hofs wird man über eine Rampe sanft wieder auf das Straßenniveau hinab geleitet. Weil der attraktive Außenraum auch weniger erwünschte Besucher anzog, musste der Zugang allerdings bereits nach kurzer Zeit wieder etwas erschwert werden. Der Block auf der gegenüberliegende Seite der Rampenanlage gehört ebenfalls noch zum Ensemble. Er komplettiert den großen Hofraum und bildet mit einem Altbestand zwei weitere, kleinere Innenhöfe. Die 269 geförderten Mietwohnungen verteilen sich auf vier unterschiedliche Typen mit Wohnungsgrößen zwischen 50 und 115 m2. Ein großer Teil sind Maisonetten und sämtliche Wohnungen verfügen entweder über eine Loggia, einen Balkon oder eine Dachterrasse. Im „Schlössl“ befinden sich ausschließlich Maisonette-Wohnungen. Sie werden über einen Laubengang erschlossen, ebenso die Wohnungen im langen Baukörper an der Maroltingergasse und jene an der Montleartgasse. Im Erdgeschoss der Anlage gibt es eine Trafik, eine Apotheke und seit kurzem ein Reisebüro. Auf eine Sauna - eigentlich Standard bei Neubauten der GESIBA - wurde verzichtet, weil sich die Bewohner in einer Umfrage dagegen ausgesprochen hatten. Eine Besonderheit ist das Behindertenzentrum. Die sechs Behinderten - Wohngemeinschaften werden vom Verein Jugend am Werk betreut. Das Projekt „Wohnanlage und Remise“ überzeugt insgesamt sowohl auf städtebaulicher und typologischer Ebene als auch in seiner architektonischen Ausgestaltung. Die vergleichsweise günstigen Wohnungen haben durchwegs eine hohe Wohnqualität. Lediglich jene an der Maroltingergasse dürften unter der nicht unerheblichen Lärmbelastung durch den Verkehr leiden. Vom Rangieren der Strassenbahnwagen unter ihren Füßen hingegen bekommen sie nichts mit, außer vielleicht, wenn ein Schaffner wieder einmal spätabends besonders „schwungvoll“ in seine neue Remise einfährt... Arik-Brauer-Haus, Gumpendorferstraße 134-136, 1060 Wien, 1991-1994 Architektur: Peter Pelikan Ein Lied, ein Bild, ein Haus Die anläßlich der Dachgleiche am 3. April 1993 veröffentlichte Erklärung Arik Brauers schließt mit den Worten: „Ich denke, daß mir im Laufe der Arbeit noch mancherlei einfallen wird, das den Menschen Freude macht und nicht viel kostet.“ Sein Haus mit 33 Wohnungen und drei Geschäftslokalen unterscheidet sich tatsächlich vom üblichen Wiener Wohnungsbau. Einige Architekturkritiker hat es zu verärgerten Polemiken veranlasst. Und die Steuermittel, die hier für künstlerischen Schmuck eingesetzt wurden, dürfen jene, deren künstlerische Beiträge sonst mit weit geringeren Honoraren abgegolten werden oder jene, die sich täglich mit den strengen Kostenbeschränkungen des geförderten Wohnungsbaus herumschlagen, sicher zu Recht hinterfragen. Taugen Künstlerhäuser wie jenes von Brauer oder wie das noch radikalere Hundertwasserhaus überhaupt als Gegenentwurf zu einer „Architektur des rechten Winkels“ oder antworten sie nicht eher den naiven Sehnsüchten weiter Bevölkerungskreise? Die teils erbittert geführten Auseinandersetzungen hierüber sind nun schon einige Jahre alt, die Wogen abgeebbt und weitere, von Wiener Bürgermeistern initiierte Künstlerhäuser im Moment nicht in Sicht. Lassen wir also diese Diskussion beiseite und wenden wir uns den „inneren“ Qualitäten dieses Hauses zu. Mit seinem Entwurf versuchte Brauer, bildende Kunst und Architektur harmonisch zu vereinen. Die bewegte Hausfront ist an den ebenen Stellen mit zwei durchgehenden, aus Einzelfliesen zusammengesetzten Bildern belegt. Sie symbolisieren auf insgesamt 150 m2 das Ringen um die Harmonie mit der Natur. Man fühlt sich an die mit Azulejos verkleideten Häuser in Portugal oder Spanien erinnert oder an manche unserer mit Wandmalereien verzierten Häuser aus dem Mittelalter. Auch die übrigen Fenster wurden mit Wandmalereien individuell ausgezeichnet. Die drei Eingänge sollten ursprünglich mit plastisch geformten Atlanten überwölbt werden, die allerdings weniger expressiv ausgeführt wurden. Barocke Giebel krönen die Oberkante des Baus. Sie lassen die äußerst bewegte „Dachlandschaft“ erahnen. Brauers künstlerisches Programm erfasst auch das Treppenhaus und sogar die Wohnungen. Die zweifarbigen Terrazzoböden im Stiegenhaus, die Hinterglasmalereien auf den Stiegenhausfenstern und den Oberlichten der Wohnungseingangstüren und schließlich die Fliesenbilder in jedem Badezimmer erzählen von einer Welt, die der Künstler auch in seinen Wiener Liedern besungen hat. Auf Schritt und Tritt spürt man die große Bedeutung, die der Künstler den Gemeinschaftsräumen zumißt. Gänge und Hof sollen großzügig dimensioniert sein und zu Kommunikationszentren werden. Aquarien in der Eingangshalle und kleine Gärten auf den Gängen übernehmen die Aufgabe der Zinshaus-Bassena aus Brauers Kindheit. Im Hof sollten ursprünglich ein kleiner Teich, ein Rodelhügel und sogar ein Kleintierstall die Bewohner zu gemeinsamen Aktivitäten anregen. Nur das kleine Biotop ist von diesem Zusatzangebot an die Bewohner übriggeblieben, anderes scheiterte an den Gesetzen des Mietwohnungswesens. Wohnhausanlage Hettenkofergasse 14-16, 1160 Wien, 1992-1995 Architektur: Ernst Michael Kopper und Carlheinz Bihlmeier Expressive Ecken für die Blockrandzone Die „Schmelz“ war bis zur Anlage eines Truppenübungsplatzes Mitte des 19. Jahrhunderts einfach nur eine „Gstettn“. Als die militärische Nutzung nach dem 1. Weltkrieg obsolet geworden war, wurde das Gebiet größtenteils zu Sportanlagen und Schrebergärten umgebaut. Der nördliche Teil zwischen Gablenzgasse und Thaliastraße wurde von der Gemeinde Neulerchenfeld (heute Ottakring) gekauft, parzelliert und sodann als eines der letzten Gebiete Ottakrings verbaut. Die Straßen laufen hier alle parallel und die dazwischen liegenden Wohnhäuser sind alle gleich groß. Auf einem ehemaligen Betriebsgelände zwischen dieser „Rasterstadt“ und der Verkehrsachse, die seit 1898 von der Vorortelinie und seit 1999 zusätzlich von der U3 gebildet wird, liegt die Wohnhausanlage Hettenkofergasse. Die benachbarte, fast zur selben Zeit renovierte und umgenutzte Brotfabrik erinnert noch an die betriebliche Vergangenheit des Areals. Zusammen mit der Wohnhausanlage und einer Hauptschule bildet sie einen heterogenen und doch kompakten Blockrand. Die Architekten haben dem bis zu acht Stockwerken hohen Gebäude mit seinen 200 Wohnungen durch die Ausbildung der Gebäudeecken und die Gliederung der Fassaden ein eigenes Gesicht gegeben. Das gilt besonders für die abgerundete Südwestecke und auch für die konkav ausgehöhlte Nordwestecke. Ihre Prägnanz wird noch verschärft durch plastisch hervorspringende Reihen von Balkonen, welche jeweils von einer über sieben Stockwerke reichenden Säule gehalten werden. Der ziemlich lange Trakt an der Hettenkofergasse ist in seiner Mitte durch ein zurückversetztes Stiegenhaus horizontal geteilt, zwei weitere Stiegenhäuser trennen ihn in ähnlicher Weise von den Eckrisaliten. Auf halber Höhe in den Gebäudekörper eingeschnittene Balkone bilden eine vergleichbare Zäsur in der Vertikalen. Eine Feinteilung erfolgt durch die leicht hervortretenden Pfeiler und die dazwischen liegenden Felder mit Fenstertüren, Oberlichtbändern und pastellfarbig verfliesten Wandflächen. In dieser Fassade zeichnet sich einerseits das konstruktive System deutlich ab, andererseits ist ihre Gestaltung stark von der Nutzung bestimmt. Ganz anders gestaltet sind die Seitentrakte. Ihre verputzten Lochfassaden, lehnen sich eher unauffällig an den Bestand an. Hofseitig wird unterschieden in Lochfassaden nach Norden und in weitgehend aufgelöste Süd- bzw. Westfassaden mit Loggien und Balkonen. Die Anlage wechselt also bei grundsätzlich analoger innerer Struktur der drei Trakte (Mittelgangerschließung) je nach Orientierung und Umfeld ihr Gesicht. Interessant ist die räumlich außergewöhnliche Ausbildung der Dachmaisonetten, welche im Schnitt erkennbar wird: Zwei unterschiedlich hohe Dachfirste sind durch eine schräge Dachfläche miteinander verbunden, beide Stockwerke verfügen über vorgelagerte Terrassen. Möglich wurde diese für einen Geschosswohnungsbau unkonventionelle Lösung dank den für die Hettenkofergasse und die Kopp- bzw. Hasnerstrasse unterschiedlichen Bestimmungen über die zulässige Gebäudehöhe. Wohnanlage Pilotengasse 49, 1220 Wien, 1995 Architektur: Gottfried Fickl, Carlheinz Bihlmeier Farbenfrohe Siedlung im Grünen Nein, hier geht es nicht um jene berühmte Siedlung der Herren Herzog&DeMeuron, Steidle und Krischanitz, mit ihren wie Eisenbahnwaggons in einem Rangierfeld angeordneten Reihenhäusern. Unser Beispiel befindet sich etwa 100 Meter weiter westlich, Richtung Flugfeld Aspern, welches der Straße zu ihrem Namen verholfen hat. Die Lage und die polychrome Farbgebung dürften zusammen mit der etwa identischen Größe die einzigen gemeinsamen Merkmale der beiden Anlagen sein. Dort sind die Baukörper in einem strengen System linearer Baukörper um eine fiktive Mitte gereiht und erhalten dadurch ihren Zusammenhalt. Hier wird dieser hergestellt über eine gemeinsame Wegachse, welche die verschiedenen Elemente der Komposition zusammenhält: Jeweils acht Wohneinheiten sind zu einem Baukörper zusammengefasst. Zusammen formen sie eine lange Zeile, welche das Rückgrat der Wohnanlage bildet und sie gegen außen abschirmt. Typologisch leicht verändert aufgebaute Einheiten stehen quer dazu. Die Zeile mutiert im hinteren Bereich der Anlage zum Blockrand und ändert auch ihr Aussehen. Die zwei ganz unterschiedlichen Gruppen von Haustypen treffen am Kinderspielplatz aufeinander, der gleichzeitig den Schwerpunkt der Anlage bildet. Fast ist man versucht, von zwei verschiedenen Siedlungen zu sprechen, die lediglich durch eine gemeinsame Farbgebung zusammengehalten werden. Die Reihenhäuser im vorderen Abschnitt enthalten jeweils zwei mal zwei Wohnungen mit Garten und darüber Maisonetten, die über einen durchgehenden Laubengang im ersten Stock erschlossen werden. Die straßenseitig angelegten Wohnungs- und die HausEingänge sind beide gleich gestaltet. Bei den Erdgeschoss-Wohnungen handelt es sich eigentlich um einen Hoftyp: Küche und WC sind beidseits des Vorraums angeordnet. Von diesem gelangt man in das Wohn-Ess-Zimmer, welches zusammen mit den beiden gegenüberliegenden Schlafzimmern einen kleinen Hof umschließt. Am Verbindungsgang zwischen gemeinschaftlichem und intimem Bereich liegen das Badezimmer und ein Abstellraum. Ein kleiner Holzschuppen für Gartengerät und individuell gestaltete Hecken schützen den Garten vor Einblicken vom vorbeiführenden Fußweg. In den MaisonnetteWohnungen ist die Küche in das Wohn-Ess-Zimmer integriert. Die vorgelagerte, großzügige Terrasse wird von einem Abstellraum zusätzlich räumlich gefasst - wiederum eine Art Hof. Im darüberliegenden Stockwerk befinden sich die zwei Schlafzimmer und das Badezimmer. Die Baukörper sind kubisch gestaltet und wirken schnörkellos nüchtern. Die Farbgebung unterstützt den Eindruck der Fügung einzelner Volumen. An den Fassaden ist die innere Organisation klar ablesbar. In ihrer Einfachheit erinnern diese Bauten an die SiedlungsArchitektur von Adolf Loos oder Josef Frank, dem ein Block weiter eine Straße gewidmet ist. Mit den Bauten im hinteren Teil der Anlage haben sie eigentlich nur die Farbgebung gemein. Hier gibt es Geschosswohnungen mit gedeckten Sitzplätzen, Beton-Blumenkisten vor den Terrassen oder Dachgaupen in den Satteldächern. Sanierung Palais Grassalkovics, Obere Augartenstraße 40, 1020 Wien, 1991 Architektur: Hannes Lintl Das 1789 errichtete Palais Grassalkovics ist das einzige der zahlreichen barocken Lustschlösser der Leopoldstadt, das erhalten geblieben ist. Und auch dieses Juwel schien verloren. Einige Quellen bezeichnen Isidor Canevale, den Schöpfer des gegenüberliegenden Hauptportals zum Augarten, als seinen Architekten. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um den Umbau eines bescheidenen Vorgängerbaus handelt, der „Behausung samt Garten“ eines Bierwirts, wie das Grundbuch vermerkt. Sein Käufer, der ungarische Graf Anton I. Grassalkovics, ließ ihn von Franz Duschinger zum standesgemäßen Palast umbauen. Auch heute noch ist an der Straßenseite das Familienwappen erkennbar, in dessen Zentrum die Buchstaben M. T. stehen - die Initialen von Kaiserin Maria Theresia, der Gönnerin der Familie. 1975 erwarb die Gemeinde Wien das vollkommen heruntergekommene Objekt, um es durch eine Generalsanierung vor der Demolierung zu retten. Nur die 1958 vom Bundesdenkmalamt sanierte straßenseitige Fassade ließ damals noch die einstige barocke Pracht erkennen. Der Rest des Gebäudes - Fassaden, Dach, Stiegen und Säulen zeigte bereits deutliche Spuren des Verfalls. Die erwarteten hohen Kosten der Sanierung lösten eine längere Diskussion über die zukünftige Nutzung aus. Erst 1987 wurde das Gebäude an die im Besitz der Stadt befindliche GESIBA verkauft, nachdem unter anderem Pläne für ein Museum an den Kosten gescheitert waren. Die GESIBA revitalisierte das historische Palais und errichtete anstelle des nicht denkmalgeschützten Gartentraktes Terrassenwohnungen. Als idealer Mieter wurde der Wiener Fremdenverkehrsverband gefunden, der seit 1991 im ehemaligen Adelspalast logiert. Die Sanierung ging weit über eine einfache Renovierung hinaus und stellte die im Allgemeinen mit dem Bau von Wohnungen beschäftigte Gemeinnützige Siedlungs- und Baugesellschaft vor eine unübliche Aufgabe. So mussten die Einfahrt, die Prunkstiege und die Fassaden in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden. Der Portikus auf der Straßenseite samt dem Balkon, die früheren Umbauten zum Opfer gefallen waren, wurden sogar gänzlich rekonstruiert. Allein die kunsthandwerklichen Arbeiten kosteten rund fünf Millionen Schilling. Der im ersten Stockwerk über der Einfahrt gelegene Festsaal aber auch die angrenzenden Räume mit ihren wertvollen Parkettböden, aufwendigen Stukkaturdecken und großzügigen Fensteröffnungen erstrahlen in ihrer ursprünglichen, feudalen Pracht. Besonders eindrücklich ist auch die mächtige Stiege im rechten Trakt. Wie ärmlich wirkt dagegen das neu hinzugefügte Treppenhaus im gegenüberliegenden Flügel. Und auch bei den übrigen Räumen musste offensichtlich eisern gespart werden. Die Kunststeinböden und die stählernen Türrahmen in den oberen Stockwerken stehen jedenfalls in auffälligem Kontrast zu den edlen Materialien und der handwerklichen Vollendung des historischen Modells. Von außen ist davon allerdings nichts sichtbar. Nur die hinzugefügten Dachgaupen auf der Gartenseite verweisen auf die neue Nutzung. Wohnanlage Benjowskigasse 61 + 90, 1210 Wien, 1991-1992 Architektur: Udo Schrittwieser Traditionelles Bauen zeichnet sich aus durch die Permanenz seiner Erscheinungsformen. War ein geeigneter Bautyp für eine bestimmte Lebens- oder Wirtschaftsform einmal gefunden, dann konnte er beliebig oft wiederholt werden. Die Moderne fand Gefallen an diesem Prinzip und übernahm es in ihr Repertoire. Die Postmoderne setzte die tradierten Gestaltungselemente freier bzw. beliebiger ein. Typologisch und formal noch nahe an Beispielen „einfacher“ Architektur liegt die Wohnanlage Benjowskigasse. Das gilt für die einzelnen Einheiten als auch für das städtebauliche Muster ihrer Fügung. Die Eingänge werden mit kleinen Mosaiken minimal variiert und manche Häuser treten aus der Reihe, ansonsten wird der gleiche Typ 27 mal wiederholt: Wohnzimmer und Küche im Erdgeschoss, schmale Treppe quer zur Längsachse, drei Zimmer mit Bad im Obergeschoss. Die Gärten sind immer so breit wie eine Einheit, aber unterschiedlich lang. Wohnhaus Karmarschgasse 58, 1100 Wien, 1998-1999 Architektur: Eigenplanung GESIBA Stadterneuerung in Favoriten, das heißt meistens: den Blockrand schließen, der durch den Abbruch eines Zins- oder Handwerkerhauses eine Lücke bekommen hat - in diesem Fall mit achtzehn geförderten Hauptmietwohnungen mit Eigentumsoption. Eine gänzlich unspektakuläre Aufgabe also. An der Karmarschgasse wurde sie sympathisch gelöst, wenn auch mit Anklängen an die längst verflossen geglaubte Postmoderne. Das Treppenhaus öffnet sich, anders als beim klassischen Blockrand-Typ, zur Straße. Seine zwei Säulen im Eingangsbereich, der darauf aufgesetzte, rot verputzte „Schild“ und die teils aufgelöste Attika setzen einen unübersehbaren Akzent in einem Meer der Gleichförmigkeit. Der postmodern-symmetrische Aufbau der Fassade macht aber auch Sinn als Antwort auf den „Ehrenhof“ der Wohnhausanlage vis-à-vis. Wohnungen im EG mit Garten, alle andern - außer die Garçonnièren - mit Loggien oder Balkonen; Niedrigenergiestandard. Laxenburger Straße 70-72, 1100 Wien,1998-2000 Architektur: Carlheinz Bihlmeier Wirklich Ruhe finden die Bewohner der 117 Wohnungen des Laxenburger Hofs nur im Garten des großzügigen Innenhofs. Zur stark befahrenen Verkehrsachse sind die beiden Gebäudeteile an der Angeligasse und an der Inzersdorfer Straße gänzlich fensterlos, die Wohnungen des Mittel-Trakts direkt an der Laxenburger Straße werden durch einen Laubengang vom Lärm abgeschirmt. Die wuchtig wirkende Anlage weist insgesamt eine klare Gliederung auf und entspricht in ihrer Maßstäblichkeit der vierspurigen Straße und dem benachbarten Parkplatz eines Einkaufszentrums. Generalunternehmer Porr erstellte das Gebäude, wie oft im Wohnungsbau dieser Größenordnung üblich, in Ortbeton und Beton-Fertigteilen mit außenliegendem Vollwärmeschutz - das geht schnell, ist billig und genügt den Anforderungen an ein Niedrigenergiehaus. So können die Mieten und die Betriebskosten niedrig gehalten werden. Wohnanlage Felix Slavik-Straße 10, 1210 Wien Architektur: Requat - Reinthaller - Traxler, Peter Brunner Die Anlage ist Teil eines Stadtentwicklungsprogramms, welches in den 90er Jahren westlich der Brünnerstraße, am Südrand von Stammersdorf verwirklicht wurde. Der viergeschossige Blockrand mit zurückgestaffelter Attika umfasst den Wohnhof zangenartig, auf einer Seite ist er teilweise zur benachbarten Zeile geöffnet. Ein Fussweg durchquert ihn in Längsrichtung. Etwa auf halber Strecke öffnet er sich zu einem Kinderspielplatz, der somit das Zentrum der Anlage bildet. Gleich daneben befindet sich ein vier-gruppiges Kindertagesheim. Jede der insgesamt 157 Wohnungen - darunter auch vier für Behinderte - besitzt eine Loggia, einen Balkon oder eine Terrasse, den Erdgeschosswohnungen sind Mietergärten mit Pergola vorgesetzt. Ein kleiner Holzverschlag für Gartengeräte bzw. eine Hecke bieten Sichtschutz zum Weg. Auffallendstes Merkmal der Fassaden sind die dreiecks-förmig hervorstehenden Balkone und die Pflanzenspaliere. Wohnanlage Weinwurmweg 1, 1220 Wien Architektur: Harry Glück, Erwin Christoph, Peter Brunner Die nahegelegene alte Donau mit ihren Strandbädern, Spazierwegen und Gaststätten ist ein beliebtes Naherholungsgebiet. Hier stehen auch viele der anfänglich nur periodisch genutzten Kleinhäuser. Ihre Besitzer oder Pächter haben sie, nach und nach und meist in Eigenleistung, zu „richtigen“ Häusern adaptiert; die Übergänge vom Gartenhaus zum Wohnhaus sind oft fließend. Die 63 Reihenhäuser am Weinwurmweg haben, ähnlich wie ihre „Vorbilder“ im Schrebergarten oder am Strand, ein minimiertes Raumangebot und stets einen eigenen Garten. Sie sind aber alle streng entweder Nordost-Südwest oder Nordwest-Südost orientiert und zu kleinen Gruppen zusammengefasst. Ihre äußere Erscheinung - schmucklose Putzfassaden und Flachdächer - ist auf das Wesentliche reduziert, fast wie bei Wohnwagen oder Wohncontainern. Hier verbringt man einen großen Teil des Jahres draußen, das Innere der Wohnung ist mehr temporäres Behältnis.