urkraft - Ueberreuter Sachbuch

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urkraft - Ueberreuter Sachbuch
Sex
URKRAFT
Anhand von Beispielen aus der Praxis, sexueller Witze und
Fantasien wirft das Autorenteam einen Blick auf die menschliche Natur, den viele als Provokation erleben werden. Eine
Besonderheit des Buches ist der duale Aufbau: Alle Fragen
werden aus der Frauen- und Männerperspektive behandelt.
Sie halten somit zwei Bücher in einem in Händen, was die
Möglichkeit eröffnet, die Geheimnisse des jeweils anderen
Geschlechts zu lüften.
© Fanny Hoffmann
Prof. Dr. Gerti Senger ist
Psychotherapeutin, Klinische
Psychologin in freier Praxis und
Vortragende an der Universität
Wien. Autorin zahlreicher
Bücher und der wöchentlichen
Kolumne „Lust & Liebe“ in
der Kronen Zeitung.
2009 wurde sie mit dem
Sachbuchpreis „Buchliebling“
ausgezeichnet.
Gerti Senger | Walter Hoffmann
© ORF
S
exualität ist mehr als nur Geschlechtsverkehr. Sie ist
die elementare „Urkraft“, die unser Leben bestimmt –
mehr als wir alle ahnen und uns eingestehen. Gerti
Senger und Walter Hoffmann beweisen mit diesem Buch:
Sex ist der Treibstoff der Seele. Auf einer aufregenden Expedition durch die Höhenflüge und Abgründe der menschlichen Sexualität öffnen sie verschlossene Türen zu bislang
verbotenen Zimmern.
Gerti Senger | Walter Hoffmann
URKRAFT
Sex
Beim Alltagssex leben wir nur einen
Bruchteil dessen aus, was in unseren
geheimsten sexuellen Vorstellungen
existiert. Dieses intime Wissen ist so
schambesetzt, dass wir es vor anderen
und vor uns selbst verbergen. Doch
kaum werden die Einschränkungen, denen der Sexualtrieb im Alltag unterworfen ist, verringert oder aufgehoben,
zeigen sich die verdrängten Begierden.
Einerseits offenbart sich unter bestimmten Voraussetzungen die dunkle
Seite der Sexualität, andererseits haben wir einer angemessenen Triebhemmung, also einer gezähmten Form
der Urkraft Sexualität, sogar unsere
Kultur zu verdanken. Die großartigsten
geistigen, künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen des Menschen
sind auf eine Sublimierung, eine Triebverfeinerung, zurückzuführen. Darüber hinaus ist Sexualität auch im Alltag
jene An-Triebskraft, die unser Denken
und Handeln aus dem Unbewussten
beeinflusst.
WIE SEXUALITÄT UNSER LEBEN LENKT
ISBN 978-3-8000-7536-2
9 783800 075362
£ 21,95 [D/A]
Dr. Walter Hoffmann, geboren
1953 in Wien, ist Psychoanalytiker. Leiter des Instituts für
Angewandte Tiefenpsychologie
in Wien (www.ifat.at). Autor
mehrerer erfolgreicher Sachbücher (als Alleinautor und auch
gemeinsam mit Gerti Senger).
www.ueberreuter.at
SENGER_SCHUTZUMSCHLAG_RZ.indd 1
27.02.12 16:19
Gerti Senger |Walter Hoffmann
URKRAFT
Sex
Wie Sexualität unser Leben lenkt
Die weibliche Perspektive
3
Das säurefreie und alterungsbeständige Papier EOS liefert Salzer, St. Pölten
(hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff aus nachhaltiger Forstwirtschaft).
ISBN 978-3-8000-7536-2
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Covergestaltung: Thomas Esterer, www.bueroesterer.com
Coverfoto: iStockphoto.com / Greg Gerber
Copyright © 2012 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien
Gedruckt in Österreich
7654321
Ueberreuter im Internet: www.ueberreuter.at
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Gerti Senger, Walter Hoffmann: Urkraft Sex
Inhalt
7…Urkraft Sexualität
13…die weibliche Perspektive
14…Die Macht der Anziehung
16…Eros in der Bibel
19…Es lebe der kleine Unterschied
22…Das weibliche Dilemma
25…Die erste Liebe einer Frau
28…Warum Frauen von Männern abhängig sind
32…Das orale Paradies
34…Mutter und Tochter – eine unglückliche Liebe
38…Die Angst vor der Hingabe
43…Herrschen und beherrscht werden
46…Frauen, die beim Sex nicht abschalten können
47…Nicht loslassen können
49…Das lustfeindliche Gewissen
51…Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt
53…Die dunkle Seite der sexuellen Kraft
57…Die Lust zu quälen
59…Das sadomasochistische Ritual
61…Spiel mit mir Katz und Maus
62…Die Macht der Verführung
64…Die »kastrierte« Frau
66…Spieglein, Spieglein an der Wand …
68…Das verhängnisvolle Dreieck
71…Der Unterschied ist groß
73…Die phallische Frau
74…Haare auf den Zähnen
77…Ruckediguh, ruckediguh, Blut ist im Schuh
80…Die Lust an der Rache
Die weibliche Perspektive
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81…Verliebt, verführt, vernichtet
89…Triumph des erotischen Kapitals
94…Täuschung macht Männer treu
99…Das höchste der Gefühle
105…die Männliche Perspektive
106…Die wichtigste Sache der Welt
108…Von der Polygamie zur Monogamie
118…Sexualität ist mehr als Blümchensex
120…Wünsche – Treibstoff für die Seele
127…Dunkle Begierden
129…Die Lust der frühen Kinderjahre
145…Die Macht der Fantasie
147…Urmutter, Heilige und Hure
156…Der tyrannische Vatergott
163…Die Wiege der Eifersucht
166…Fight or get fucked
176…Der vergewaltigte Mann
179…Das Inzesttabu
182…Göttin und Hexe
187…Fritzl, Priklopil & Co
197…Perversion und Missbrauch
210…Die gestörte Kraft
213…Der Mensch denkt, Sex lenkt
223…Anmerkungen
Gerti Senger, Walter Hoffmann: Urkraft Sex
Urkraft Sexualität
Kaum fällt irgendwo das Drei-Buchstaben-Wörtchen »Sex«, verändert
sich die Gesprächsatmosphäre. Die einen reagieren mit Erstarrung, die
anderen mit einem Witz, manche betont lässig. Egal, ob Frau, Mann,
homo-, bi- oder transsexuell, egal, ob jemand viel, wenig oder nie Sex
hat – Sexualität betrifft jeden. Sexualität ist keine Eigenschaft wie zum
Beispiel Pünktlichkeit. Jeder Mensch ist »sexuell«, weil er von seinem
Geschlecht geprägt und von Natur aus »triebhaft« ist: Eine aus dem Inneren wirkende, treibende Kraft, die ohne bewussten Willen entsteht,
aktiviert aufgrund äußerer Reize – etwa durch den Anblick von Catherina Zeta-Jones, George Clooney oder durch bloße Fantasien – einen
sexuellen Impuls. Instinktgesteuerte Tiere können nicht durch Fantasien sexuell stimuliert werden.
Das Triebhafte der Sexualität zwingt aber niemanden dazu, sich
mit dem nächstbesten Geschlechtspartner, der nächstbesten Geschlechtspartnerin zu paaren. Im Gegensatz zum Tier, das auf sexuelle
Regungen nur mit angeborenen Verhaltensweisen, eben »instinktiv«,
reagiert, haben Menschen vielfache sexuelle Betätigungsmöglichkeiten. Eine sexuelle Triebregung kann zur Selbstbefriedigung, zur Kontaktaufnahme mit einem begehrten Wesen, zu einem bezahlten Geschlechtsverkehr oder zu einem erotischen Gedicht führen. Egal, was
Sie tun, Sie werden dazu »getrieben«, etwas zu unternehmen, damit es
zu einer Spannungsminderung kommt. Wie der Selbsterhaltungstrieb,
zu dem der Nahrungstrieb zählt, bestimmt auch der Sexualtrieb das
allgemeine Verhalten: Hunger und Liebe sind die Urkräfte des Lebens.
Unabhängig davon, ob Sexualität befriedigt wird oder unbefriedigt bleibt, ist sie nicht nur ein Motor des menschlichen Verhaltens,
Urkraft Sexualität
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sondern auch der Antrieb zur Kultur. In grauer Vorzeit vergewaltigte
der Mann die körperlich schwächere Frau; heute beherrscht der Mann
seinen Trieb, obwohl er körperlich immer noch stärker ist als die Frau.
Diese »Triebmodellierung« entwickelte sich über viele Jahrtausende
und führte zu moralischen Normen und zur Gewissensbildung, die
heute unser Zusammenleben regeln. Zwischen der derben Vergewaltigung und einem Triebaufschub, der sich in einem vertrauensvollen Dialog, einem romantischen Abendessen, einem zärtlichen Vorspiel oder
in Verführungsritualen äußert, liegen unsere Kultur und die Entwicklung des Motivationssystems im Gehirn: Die lustvollen Komponenten
der Sexualfunktion erhöhen Leistung, Kreativität, Hormonproduktion
und Gesundheit; diese Vitalität verstärkt wiederum die Sexualsignale
eines Menschen; und darauf reagieren Frauen und Männer ihrerseits
mit gesteigertem sexuellem Interesse. So behält die Urkraft Sexualität
über lange Zeit ihre Stärke.
Sexuelle Signalwirkungen, Lustgefühle, Orgasmus – vielleicht alles
nur ein Trick der Natur, denn Wohltuendes wird wiederholt. Häufiger
Sex wiederum optimiert die Vermehrungschancen des Individuums.
Sorgen darum müssen wir uns jedenfalls nicht machen. Laut WHO
kommt es auf unserem Planteten täglich zu schätzungsweise hundert
Millionen Sexualakten. Und noch nie gab es so viel Sex wie heute – in
den Medien, im Internet und im Kopf. Welche bizarren Vergnügungen
sind noch nicht beschrieben? Wie oft, wann und wo sollte kopuliert
werden? Was ist zu viel? Was zu wenig?
Übermäßige sexuelle Triebhemmung kann zu destruktiven Verhaltensweisen und seelischen Erkrankungen führen. Aber eine gewisse
Triebeinschränkung ist die Voraussetzung für den Bestand menschlicher Kultur. Würden wir unsere sexuellen Bedürfnisse jederzeit und
uneingeschränkt ausleben und alle Triebenergien zur Gänze in hemmungslosen sexuellen Aktivitäten verpulvern, gäbe es keine Kultur.
Viele große Künstler und Wissenschaftler waren ihr Leben lang
oder zumindest zeitweise sexuell unbefriedigte Menschen, die ihre
Triebenergie in Kunst oder Wissenschaft investierten. Letztendlich
sind es die ungelebten Triebe, die zu Fortschritt und zu kulturellen und
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Gerti Senger, Walter Hoffmann: Urkraft Sex
wissenschaftlichen Leistungen führen. Ein Teil der Urkraft Sexualität
wird sublimiert, auf kulturelle Ziele verschoben; so kann Exhibitionismus (Lust am Zeigen) durch Triebverfeinerung große Schauspielkunst
hervorbringen oder ungezügelte voyeuristische Veranlagung (Lust am
Schauen) Erfolge als Fotograf, Maler oder Röntgenologe begründen.
In den ersten Lebensjahren gleicht die Urkraft Sexualität noch einem brodelnden Vulkan. Explosionsartige Ausbrüche sind vorprogrammiert, Triebdurchbrüche bei Kleinkindern stehen auf der Tagesordnung. Im Laufe des Sozialisierungsprozesses wird die Urkraft
gezähmt und den Spielregeln der jeweiligen Gesellschaft angepasst.
Misslingt die Domestizierung des Sexualtriebes, kann es auch in späteren Jahren jederzeit zum »Vulkanausbruch« kommen.
In der Pubertät und in den Jahren danach erreichen die Triebstürme ihren Höhepunkt. Die Sturzflut führt häufig zu Überschwemmungen. Um vor der eigenen Triebhaftigkeit Schutz zu finden, flüchten
sich die einen schon früh in sichere Beziehungen, andere stoßen sich
auf der Wildbahn des Lebens noch ihre Hörner ab. Nach der Sturmund-Drang-Zeit beruhigt sich die Lage für gewöhnlich und die Fluten
münden in geordnetere Bahnen. Jetzt stehen Paarbildung und Fortpflanzung auf dem Programm. Die meisten Menschen bedauern das
Nachlassen der Leidenschaft in längeren Beziehungen und würden die
Gefühle der anfänglichen Verliebtheit gern ein Leben lang aufrechterhalten. Aus evolutionärer Sicht macht das aber keinen Sinn, da die
Verliebtheit vor allem der Paarbildung dient. Danach würde sie die
Betreuung des Nachwuchses erschweren, weil Verliebte bekanntlich
nur Augen füreinander haben und die Anwesenheit eines Dritten als
Störung erleben.
Nicht alle Menschen erreichen ein Stadium der Liebes- und Beziehungsfähigkeit. So gibt es auch viele Steppenwölfe, die, getrieben von
ihrer Sexualität, fremde Reviere durchstreifen und dafür sorgen, dass
das Liebesleben auch für die Revierinhaber nicht zu langweilig wird.
Sobald die Kinderbetreuung in den Hintergrund tritt, macht sich
die Urkraft Sexualität wieder stärker bemerkbar. Bei vielen Paaren
werden die Karten früher oder später neu gemischt. Für die Hälfte der
Urkraft Sexualität
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verheirateten Frauen und Männer bedeutet das Scheidung und Neustart.
Vollendet der Lebenskreis allmählich seine Bahn, wird auch das
Feuer der Sexualität immer schwächer. Das Nachlassen der sexuellen
Kraft im Alter lässt den Menschen zur Ruhe kommen und erleichtert
angesichts des herannahenden Abschieds das Loslassen. Die milden
Strahlen der Abendsonne lassen die Realität in einem weicheren Licht
erscheinen und erlauben eine abgeklärtere, oft auch versöhnlichere
Sicht auf das Leben, während im Hintergrund das Ticken der Uhr immer lauter wird: Mit jedem Pulsschlag nähern wir uns dem undurchdringlichen Schleier des Todes, der unerbittlichen Grenze zum Nichtsein.
Jeder Blick in den Spiegel konfrontiert uns mit dem bevorstehenden Untergang. Viele Menschen ertragen den Anblick ihres welken,
faltigen Gesichts nicht und stemmen sich mit Unterstützung der AntiAging-Industrie gegen den Verfall. Aber mit welchem Erfolg? Zum
Schluss siegt doch die Natur.
Wer glaubt, im Leben etwas versäumt zu haben, setzt oft noch zu
einer verzweifelten Aufholjagd an. Vor allem Männer versuchen, mithilfe der Pharmakologie die sexuelle Potenz bis ins hohe Alter zu erhalten. Aber der Verlust der Lust lässt sich auch mit Medikamenten
nicht aufhalten. Aus evolutionärer Sicht hat die Urkraft Sexualität nach
Erlöschen der Fortpflanzungsfähigkeit ihre Funktion verloren. Menschen, die sich auch mit dieser letzten Kastration, die ihnen das Leben
zumutet, abfinden, werden ihren Lebensabend friedvoller und in größerer Würde beschließen.
Wie wichtig die Anerkennung der eigenen Begrenztheit und die
Aufgabe von infantilen Größenvorstellungen gerade im Bereich der
Sexualität sind, können wir in unseren Praxen und im ifat1 immer
wieder feststellen. Seit über 30 Jahren behandeln wir in diesem Institut auch Frauen und Männer, deren seelische Probleme auf ungelöste
Triebkonflikte zurückgehen. Die zahlreichen Fallgeschichten im Buch
sind unserem psychotherapeutischen Alltag entnommen. Selbstverständlich haben wir die Identität dieser Personen durch Änderung des
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Gerti Senger, Walter Hoffmann: Urkraft Sex
Namens, des Berufes und einiger Details so geschützt, dass ein Wiedererkennen unmöglich ist.
Im Gegensatz zu anderen Büchern zu diesem Thema haben wir
versucht, die Urkraft Sexualität und ihre Auswirkungen auf die Umwelt aus zwei unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Während
Dr. Gerti Senger die weibliche Sexualität aus der Sicht der Frau darstellt, analysiert Dr. Walter Hoffmann die männliche Sexualität aus der
Perspektive des Mannes.
Wien, im Februar 2012
Gerti Senger, Walter Hoffmann
Urkraft Sexualität
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Gerti Senger, Walter Hoffmann: Urkraft Sex
Die
WEIBLICHE
Perspektive
Gerti Senger
Walter Hoffmann
Die weibliche Perspektive
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Die Macht der Anziehung
Da steht er – ein Mann mit einer Erektion. Wie ein Denkmal der Lust
ragt der erigierte Penis in die Luft. Fleisch gewordene, sexuelle Kraft.
Daneben eine Frau. Verborgen hinter einem dunklen oder hellen
Vlies, ruht ihr Geschlecht in sich. Ihre sexuelle Kraft sticht nicht ins
Auge. Dennoch gibt es sie. Ihre unsichtbare, magische Wirkung befiehlt sogar über den strammen Phallus …
Wissenschaftler aller Fächer arbeiten sich seit Jahrzehnten an der
Frage ab, was den Menschen eigentlich antreibt. Durch die vielfältigen
Ergebnisse zieht sich eine grundlegende Antwort: Die sexuelle Kraft ist
die elementarste Triebkraft des Menschen. So erhabene Phänomene wie
Verliebtheit, sexueller Genuss oder Anziehungskraft sind nichts anderes
als Tricks der Natur, die im Laufe der Evolution entstanden sind.
In der Physik wurde die Gravitation, die »Anziehungskraft« zugunsten der stärkeren Kräfte – zum Beispiel starke und schwache der
Kernkraft und des Elektromagnetismus –, lange Zeit vernachlässigt.
Trotzdem hat die Anziehungskraft die stärkste Wirkung. Immerhin
verdankt ihr unser Universum seinen Zusammenhalt. Womöglich
wird die Anziehungskraft irgendwann einmal sogar für dessen Ende
verantwortlich sein.
Nicht nur die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich
der Wirkmacht der physikalischen Kräfte, auch die sexuellen Kräfte
von Frau und Mann werden falsch eingeschätzt.
Der impulsiven, drängenden sexuellen Kraft des Mannes steht die
anziehende, aufnehmende Kraft der Frau gegenüber. Wie in der Physik ist diese Kraft auch in der Sexualität vermeintlich die schwächere.
Tatsächlich ist die sexuelle Kraft der Frau gewaltig in ihren Auswirkungen. Wie den »schwarzen Löchern« des Weltalls entkommt ihr nichts,
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Gerti Senger, Walter Hoffmann: Urkraft Sex
was einmal in ihren Anziehungsbereich geraten ist. Die Weltliteratur
ist voll von Beispielen, in welche Abgründe Männer stürzen, wenn ihr
Begehren nach einer Frau unerfüllt bleibt, oder zu welchen Höhen sie
aufsteigen, um es doch zu entfachen oder wenn ihr Verlangen gestillt
wird.
Lilian Rotter, eine Psychoanalytikerin aus der Schule Sándor Ferenczis, sprach schon 1932 von einer »magischen Macht«, die Frauen auf
Männer ausüben: Frauen können allein durch ihr »da sein« den Penis
eines Mannes bewegen. Was der Mann selbst vielleicht nicht vermag,
nämlich sein Geschlechtsteil anschwellen zu lassen, schafft die Frau
durch einen Blick oder eine Geste. Obwohl der Penis zum Körper des
Mannes gehört, fällt die Frau einen Urteilsspruch über ihn – »Stehen
oder Nichtstehen«. Sie muss nicht einmal persönlich anwesend sein.
Oft genügt die Fantasie über eine Frau und schon reagiert das »beste
Stück« des Mannes.
Bereits kleine Mädchen spüren, dass sie diese magische Macht
besitzen. Die süße Prinzessin an Papas Hand, die Schülerin neben
dem gleichaltrigen Klassenkameraden, das Lehrmädchen gegenüber
seinem Vorgesetzten – sie alle ahnen oder wissen: Das Leuchten der
Augen dieses Mannes, sein lauteres Sprechen, sein Lachen und seine
Erektion habe ich bewirkt.
Diese unheimliche Verführungsmacht der Frau taucht in Märchen
und Mythen immer wieder auf. Nixen, Feen, Hexen, Sirenen und dämonische Weiber symbolisieren die sexuelle Kraft der Frau.
Vielleicht denken Sie jetzt, dass die sexuelle Kraft der Frau nur ihre
Schönheit sei. Natürlich ist das Äußere einer Frau für ihr Selbstwertgefühl und ihre Wirkung auf andere nicht unwesentlich. Das hat nicht
zuletzt damit zu tun, dass Frauen im Gegensatz zu Männern eben kein
sichtbares Lustorgan haben, das sie in der psychosexuellen Entwicklung narzisstisch besetzen können. Die narzisstische Selbstbestätigung
der Frau bezieht sich daher auf den Körper als Gesamtes und auf den
Reiz, der von ihm ausgeht.
Trotzdem lässt sich die sexuelle Kraft der Frau nicht auf ein gefälliges Äußeres reduzieren.
Die weibliche Perspektive
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Sex
URKRAFT
Anhand von Beispielen aus der Praxis, sexueller Witze und
Fantasien wirft das Autorenteam einen Blick auf die menschliche Natur, den viele als Provokation erleben werden. Eine
Besonderheit des Buches ist der duale Aufbau: Alle Fragen
werden aus der Frauen- und Männerperspektive behandelt.
Sie halten somit zwei Bücher in einem in Händen, was die
Möglichkeit eröffnet, die Geheimnisse des jeweils anderen
Geschlechts zu lüften.
© Fanny Hoffmann
Prof. Dr. Gerti Senger ist
Psychotherapeutin, Klinische
Psychologin in freier Praxis und
Vortragende an der Universität
Wien. Autorin zahlreicher
Bücher und der wöchentlichen
Kolumne „Lust & Liebe“ in
der Kronen Zeitung.
2009 wurde sie mit dem
Sachbuchpreis „Buchliebling“
ausgezeichnet.
Gerti Senger | Walter Hoffmann
© ORF
S
exualität ist mehr als nur Geschlechtsverkehr. Sie ist
die elementare „Urkraft“, die unser Leben bestimmt –
mehr als wir alle ahnen und uns eingestehen. Gerti
Senger und Walter Hoffmann beweisen mit diesem Buch:
Sex ist der Treibstoff der Seele. Auf einer aufregenden Expedition durch die Höhenflüge und Abgründe der menschlichen Sexualität öffnen sie verschlossene Türen zu bislang
verbotenen Zimmern.
Gerti Senger | Walter Hoffmann
URKRAFT
Sex
Beim Alltagssex leben wir nur einen
Bruchteil dessen aus, was in unseren
geheimsten sexuellen Vorstellungen
existiert. Dieses intime Wissen ist so
schambesetzt, dass wir es vor anderen
und vor uns selbst verbergen. Doch
kaum werden die Einschränkungen, denen der Sexualtrieb im Alltag unterworfen ist, verringert oder aufgehoben,
zeigen sich die verdrängten Begierden.
Einerseits offenbart sich unter bestimmten Voraussetzungen die dunkle
Seite der Sexualität, andererseits haben wir einer angemessenen Triebhemmung, also einer gezähmten Form
der Urkraft Sexualität, sogar unsere
Kultur zu verdanken. Die großartigsten
geistigen, künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen des Menschen
sind auf eine Sublimierung, eine Triebverfeinerung, zurückzuführen. Darüber hinaus ist Sexualität auch im Alltag
jene An-Triebskraft, die unser Denken
und Handeln aus dem Unbewussten
beeinflusst.
WIE SEXUALITÄT UNSER LEBEN LENKT
ISBN 978-3-8000-7536-2
9 783800 075362
£ 21,95 [D/A]
Dr. Walter Hoffmann, geboren
1953 in Wien, ist Psychoanalytiker. Leiter des Instituts für
Angewandte Tiefenpsychologie
in Wien (www.ifat.at). Autor
mehrerer erfolgreicher Sachbücher (als Alleinautor und auch
gemeinsam mit Gerti Senger).
www.ueberreuter.at
SENGER_SCHUTZUMSCHLAG_RZ.indd 1
27.02.12 16:19