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INTERJULI
01 I 2015
Rezensionen
Primärliteratur
Joe Roth (Prod.)/Robert Stromberg
(Regie). MALEFICENT: DIE DUNK‐
LE FEE. Disney, 2014. DVD. 93 Min.
Angelina Jolie wird in Maleficent zur
dunklen Fee und liefert ganz neue
Perspektiven auf den tradierten Mär‐
chenstoff von Dornröschen, der hier
im pompösen und aktualisierten Ge‐
wand einen Medienwechsel zum
abendfüllenden Fantasyspielfilm
durchläuft.
„Erzählen wir eine alte Geschichte
doch einmal neu und sehen, ob ihr
nicht überrascht sein werdet“ – mit
dieser programmatischen Anrede
führt bereits die weibliche Erzähl‐
stimme aus dem Off in den Film ein
und lässt direkt darauf die im kulturel‐
len Märchengedächtnis fest verankerte
Eröffnungsformel „Es war einmal ...“
folgen. Die inhaltliche Ausrichtung auf
einen bekannten Märchenstoff wird
von Beginn an bewusst und konse‐
quent als narratives Mittel eingesetzt
und spielt mit dem Vorwissen des Zu‐
schauers aus dem Märchenfundus.
Gleichzeitig wird aber auch auf die
Aktualisierung und die Umformung
des bereits bekannten Inhalts hinge‐
wiesen. Dieses Spannungsfeld aus
Altem und Neuem, das in Maleficent
vor allem Figuren und Handlungs‐
strukturen aus Dornröschen aufgreift
und mit Elementen des Fantasyfilms
amalgamiert, ist zentraler erzähleri‐
scher Faktor und wird eben auch
meta‐reflexiv durch die Erzählerin
verhandelt. Die Adaption des Mär‐
chenstoffs geht hier mit Umdeutun‐
gen, Ergänzungen und neuen Lesebe‐
nen einher und der weitere Hand‐
lungsverlauf wird immer wieder von
der Erzählerin aus dem Off begleitet.
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REZENSIONEN/REVIEWS
Diese reflektiert und kommentiert das
Geschehen und schließt am Schluss
geschickt den narrativen Kreis – der
hier aber nicht verraten werden soll.
Ins Zentrum der Erzählung rückt
die Fee Maleficent und damit unge‐
wöhnlicherweise eine aus dem Prätext
als uneingeschränkt böse gezeichnete
Figur. Der Film greift diese Zuschrei‐
bung auf, entwickelt jedoch eine rei‐
che Hintergrundgeschichte und liefert
eine glaubwürdige Psychologisierung,
die erklärt, warum die dreizehnte Fee
das Kind mit einem Fluch belegt hat.
Dabei wird der Lebensweg von Male‐
ficent, beginnend in ihrer Kindheit,
chronologisch verfolgt und somit der
Grund für ihre Wut nachgezeichnet.
Als junge Fee lernt sie den gleichaltri‐
gen Menschenjungen Stefan kennen
und sie verlieben sich. Ihre Wege tren‐
nen sich jedoch und sie treffen sich
erst wieder, als Stefan sie aufsucht
und mithilfe einer List Maleficents
Flügel amputiert. Als Belohnung wird
er dafür vom sterbenden König zu sei‐
nem Nachfolger ernannt. Maleficent
rächt sich für diesen Verrat, als Stefans
Tochter geboren wird und sie das
Mädchen Aurora (auch der Name ist
nicht zufällig gewählt – die Namen
entsprechen dem Disneyfilm Sleeping
Beauty von 1959) verflucht: An ihrem
sechzehnten Geburtstag soll sie sich
an einer Spindel stechen und in ewigen
Schlaf verfallen; es sei denn, sie wird
von der wahren Liebe geküsst. Aus
Sorge um seine Tochter verbannt Ste‐
fan Aurora in das Gebiet des Wald‐
moores, wo sie in Abgeschiedenheit
ohne Kontakt zur Außenwelt auf‐
wächst (Anleihen aus Rapunzel sind
nicht zu übersehen) und allein von
drei Feen versorgt wird.
In diesem hermetisch abgeschirm‐
ten Schutzraum entwickelt sich
schrittweise auch ein liebevoller Kon‐
takt zwischen Aurora und Maleficent,
die schon bald die Verfluchung bereut
und Aurora davor bewahren will. Alle
Versuche schlagen jedoch fehl, es
kommt zu einem großen Finale im
Schloss am Vorabend zu Auroras sech‐
zehntem Geburtstag. Dabei fehlt
weder das Motiv des Spinnrades noch
ein epischer Kampf zwischen Gut und
Böse – wobei hier die holzschnittartige
Rollenverteilung des Märchentextes
umgekehrt bzw. differenzierter wird
und Maleficent zur Figuration des
Guten avanciert. Entsprechend der
Anlage als Fantasymärchen gibt es
auch hier ein Happy End und eine er‐
folgreiche Wiedervereinigung der Fa‐
milie, jedoch mit einem innovativen
Kniff.
Auf erzählerischer Ebene wird ein
spannungsvoller Kreis geschlagen,
der viele ausgelegte narrative Fäden
miteinander verbindet, eine komplexe
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Story um die dunkle Fee Maleficent
entwirft und dabei viele weitere Mär‐
chenmotive einbettet. Begleitet wird
dies von opulenten Bildern, die alle
Möglichkeiten der Tricktechnik nut‐
zen, eine plastische Märchenwelt
zeigen und den Film zu einem
sehenswerten und unterhaltsamen
Gesamtwerk werden lassen.
Anna Stemmann
Jesse Andrews/Ruth Keen. ICH UND
EARL UND DAS STERBENDE
MÄDCHEN. Heyne fliegt, 2013. 304 S.
Jesse Andrews’ Debütroman behan‐
delt, wie der Titel bereits andeutet,
die Themen Krankheit und Tod und
so liegt ein Vergleich mit John
Greens Das Schicksal ist ein mieser
Verräter nahe. Die beiden Werke
unterscheiden sich jedoch deut‐
lich, denn Andrews bricht mit der
Tradition vieler Jugendbücher und
lässt seinen Protagonisten Greg Gai‐
nes keine romantische Liebesge‐
schichte erleben. Hochemotionale
Gefühlsbekundungen sind nicht Teil
des Romans, doch dafür behandelt
Andrews die Themen Freundschaft,
Selbstfindung, Tod und den Umgang
damit auf sehr ehrliche Art und
Weise.
Ich‐Erzähler Greg ist ein etwas
pummeliger Junge, der sein letztes
Jahr an der Benson High absolviert,
wo er, auf eigenen Wunsch hin, keiner
Clique angehört, um jeglichen Streite‐
reien aus dem Weg zu gehen. Gregs
einziger Freund ist Earl Jackson, der
aus völlig anderen sozialen und fami‐
liären Verhältnissen kommt: Er hat
mehrere Stiefbrüder, seine Mutter ist
eine Alkoholikerin, die ihre Kinder
völlig vernachlässigt. Im Gegensatz zu
Greg besucht Earl Aufbaukurse an der
High School und lebt in einer drecki‐
gen Bruchbude, wo es zwischen ihm
und seinen Brüdern häufig zu Streit
und Schlägereien kommt. Die humo‐
ristische Darstellung der Ereignisse in
Earls Zuhause nimmt der Gewalt
jedoch ihre Brutalität:
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Ursache: Hohe Luftfeuchtigkeit.
Wirkung: Felix fügt Devins Ge‐
sicht mit Derricks Stirn Schaden
zu. Ursache: Draußen singt ein
Vogel. Wirkung: Brandon […]
REZENSIONEN/REVIEWS
tritt wahllos in anderer Leute
Hoden. (166)
Obwohl Earls Verhältnisse problema‐
tisch sind, werden sie vom Autor nicht
weiter thematisiert, was die Gewalt,
die in Earls Zuhause herrscht, ver‐
harmlost. Nicht selten sind er und
seine Brüder damit für die Komik im
Roman verantwortlich.
Trotzdem finden Greg und Earl
etwas, das sie mit sonst keinem
Gleichaltrigen teilen können: ihre Lei‐
denschaft für Filme und fürs Filmema‐
chen. Das Ganze beginnt mit dem
Film Aguirre, der Zorn Gottes (1972)
von Regisseur Werner Herzog und mit
Klaus Kinski in der Hauptrolle. „Ver‐
störend und schrecklich und unglaub‐
lich. [...] es war komisch, es war grau‐
sig“ (87), so beschreibt Greg den Film.
Von nun an schauen die beiden ge‐
meinsam DVDs und versuchen, die
Filme, unter anderem Casablanca und
The Manchurian Candidate, mit ihren
begrenzten Mitteln nachzudrehen. Al‐
lerdings sind die Jungen der Meinung,
ihre Filme seien viel zu schlecht, um
sie jemals jemandem zu zeigen.
Für Greg läuft alles so, wie er es
sich wünscht, bis er sich, nach aktiver
Intervention seiner Mutter, mit der an
Leukämie erkrankten Rachel anfreun‐
det. Während eines aus Versehen
durch Haschkekse verursachten Dro‐
genrausches erzählt Earl Rachel von
den Filmen und überredet Greg dazu,
sie ihr zu zeigen. Rachel ist begeistert
und die Filme werden zu den wenigen
Quellen von Trost, die ihr während
ihrem Krankenhausaufenthalt bleiben.
Ein weiterer Trostspender ist Greg,
der sich bei jedem Besuch vornimmt,
Rachel zum Lachen zu bringen. Die
ständigen Besuche und das schlechte
Gewissen, das er hat, wenn er es mal
nicht zu ihr schafft, sorgen für immer
schlechtere Noten in der Schule. Auch
Rachels Zustand verschlechtert sich
weiter, bis sie die Chemotherapie ab‐
bricht und nach Hause fährt. Da wird
klar: Rachel wird sterben; sie hat den
Kampf aufgegeben. Auf Rachels Rat,
Filmwissenschaften zu studieren, rea‐
giert Greg gereizt. Sein niedriges
Selbstwertgefühl erlaubt es ihm nicht,
ihre Komplimente für sein Talent an‐
zunehmen. Das führt zu einem Streit
zwischen Greg und Earl, die alle Ko‐
pien ihrer Filme zerstören und sich da‐
nach entscheiden, gemeinsam einen
allerletzten Film zu drehen: Rachel, der
Film – ein Zusammenschnitt von mi‐
serablem Filmmaterial aus verschiede‐
nen gescheiterten Versionen, darunter
eine Sockenpuppenversion und eine
Stop‐Motion‐Animation.
Das Ende kommt recht abrupt und
ohne überschwängliche Gefühlsaus‐
brüche oder idealistisches Happy End:
Rachel stirbt im Krankenhaus und
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Greg ist zwar unendlich traurig, er‐
kennt aber recht schnell, dass es ihm
irgendwann wieder besser gehen
wird. Der Autor schafft es, diese Wahr‐
heit zu vermitteln, ohne seinen Erzäh‐
ler abgebrüht wirken zu lassen. Die
einfache Tatsache, dass ihm etwas
Freude bereiten kann, z.B. ein Eis, das
seine Mutter ihm kauft, lässt Greg er‐
kennen, dass er Rachels Verlust ver‐
kraften wird. Er und Earl gehen nach
ihrem Schulabschluss getrennte Wege,
nicht zuletzt, weil Earl sich kein Stu‐
dium leisten kann. Erst nach Rachels
Tod erkennt Greg ihre Einzigartigkeit,
seinen Verlust und wie er damit leben
kann. Als er sie kurz vor ihrem Tod im
Krankenhaus beobachtet, sieht Greg,
dass es niemals wieder jemanden geben
wird, der genau so ist wie Rachel:
denn Gregs Geschichte handelt auch
vom Abschied, zum Beispiel von Earl.
Erzählperspektive und Form sind
ebenfalls besonders: Der gesamte
Roman ist von Greg für das Auswahl‐
komitee der Pittsburgh University ge‐
schrieben. Sehr oft spricht er den Leser
direkt an; fordert ihn auf, das „ätzende“
(28) Buch wegzulegen. Manchmal gibt
die Erzählstimme vor, während des
Schreibens eine Pause zu machen, z.B.
um sich Popcorn zu holen. Am meisten
glänzt der Roman durch seinen Humor.
Der Autor hat seinem Erzähler eine fri‐
sche, freche und sehr direkte, manch‐
mal fast plumpe Ausdrucksweise gege‐
ben, welche den Leser sicher häufig
zum Lachen bringen wird.
Sezen Üstündag
Xavier Koller. DIE SCHWARZEN
BRÜDER. Studiocanal, 2012. DVD.
99 Min.
Es war das letzte Mal, dass es
jemanden mit diesen Augen
und diesen Ohren […] geben
würde, mit dieser Art, sich
in ein schallendes Gelächter
hineinzusteigern. (279)
Die Antwort darauf, wie er weiterle‐
ben kann und wie es ihm wieder bes‐
ser gehen wird, ist simpel: Greg wird
einfach weiterleben und irgendwann
wird ihn etwas wieder glücklich ma‐
chen. Jesse Andrews’ Roman setzt sich
aber nicht nur in der Art und Weise
seiner Darstellung des Todes und des
Abschieds von anderen Werken ab,
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REZENSIONEN/REVIEWS
Der Film Die schwarzen Brüder ba‐
siert auf dem gleichnamigen Ju‐
gendroman, verfasst von Ehepaar
Lisa Tetzner und Kurt Held. Das
Buch ist 1940/41 in zwei Bänden er‐
schienen und gibt seitdem vor allem
für Bühne und Film einen ergiebi‐
gen Stoff ab. Beruhend auf tatsäch‐
lichen Begebenheiten, die die Au‐
torin in Dorfchroniken des Schwei‐
zer Kantons Tessin gefunden hat,
lässt sich die Authentizität der Ereig‐
nisse leicht nachvollziehen und so
ergibt sich ein stimmiges Bild der
Schornsteinfegerkinder des 19.
Jahrhunderts.
Die Handlung des Films ist auch
ohne vorausgegangene Lektüre der
Romanvorlage gut verständlich: Die
Mutter einer armen Bauersfamilie in
der italienischsprachigen Südschweiz
verletzt sich beim Sturz von einem
Felsvorsprung und bedarf dringend
ärztlicher Versorgung. Plötzlich
taucht der allein durch seine äußere
Erscheinung negativ konnotierte An‐
tonio Luini (Moritz Bleibtreu) am
Krankenbett auf und bietet dem Vater
einen Handel an. Für vierzig Franken
soll der Sohn Giorgio (Fynn Henkel)
ein halbes Jahr als Schornsteinfeger
arbeiten; von dem Geld könne man
sich einen Arzt leisten. Fortan folgen
wir dem Jungen auf seinem Weg nach
Mailand und sehen, wie er dort
meistbietend an Meister Battista Rossi
(Waldemar Kobus) verkauft wird und
sich nicht nur mit den neuen familiä‐
ren Lebensumständen, sondern auch
mit den Gefahren in den Kamin‐
schächten arrangieren muss. Dabei
schließt er schnell Freundschaft mit
anderen Leidensgenossen und ge‐
meinsam liefern sie sich als die
„schwarzen Brüder“ Straßenschlach‐
ten mit einer anderen Kinderbande,
den „Wölfen“. Schlussendlich über‐
winden sie ihre Feindschaft und
lehnen sich vereint gegen den Kinder‐
händler Luini auf. Mithilfe einer List
gelingt es ihnen, ihm das Handwerk
zu legen.
Die Motive erinnern deutlich an
Dickens’sche Werke wie Oliver Twist
oder David Copperfield; auf der Straße
lebende Jugendbanden, soziale Unge‐
rechtigkeit und die Benachteiligung
von Kindern bestimmen den Plot. Die
Konflikte um Familie, Armut und trü‐
gerischen Handel sind einfach kon‐
struiert. Zudem wird hier zunehmend
der Fokus auf Freundschaft und Zu‐
sammenhalt gelegt. In ihrer mikrokos‐
mischen Gemeinschaft stehen die
Kinder füreinander ein und halten
unter allen Umständen zusammen.
Dies wird besonders beim Tod des
Anführers Alfredo (Oliver Ewy) deut‐
lich, wenn die Jungen ihr ganzes ange‐
spartes Geld für eine anständige
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Beisetzung zusammenlegen und sogar
die Wölfe respektvoll ihre Hüte zie‐
hen. Hier zeigt sich die in sich ge‐
schlossene Welt der Kinder, in der
nach eigenen Werten und Prinzipien
gehandelt wird. Solche Elemente kön‐
nen für die Zielgruppe als pädago‐
gisch besonders wertvoll angesehen
werden, da hier der Wert einer Peer‐
group kontinuierlich hervorgehoben
wird. Mit weiteren Themen wie Tod,
Trauer und der ersten Liebe wird sehr
einfühlsam umgegangen und dabei
stets der Fokus auf die Empfindungen
der jungen Protagonisten gelegt.
Charakterliche Eigenschaften wer‐
den bei den zentralen Figuren durch
das äußere Erscheinungsbild ver‐
stärkt. Antonio Luini trägt stets Filz‐
hut, einen schwarzen Umhang und
jede Menge Schmutz am Leib. Sein
Gesicht wird rechtsseitig von einer
gut sichtbaren Narbe durchzogen
und Moritz Bleibtreu hat in jeder
Szene ein gehässiges Lachen auf den
Lippen. Kontrastiert wird dies exem‐
plarisch durch des Meisters Tochter
Angeletta (Ruby O. Fee), die als ein‐
ziges Mädchen der Bande stets in
weiße, fließende Kleider gehüllt ist
und somit als unschuldige Seele in‐
szeniert wird. Unterstrichen wird ihre
engelhafte Rolle auch durch ihren
sprechenden Namen, einem gängigen
Stilmittel in Kinderfilmen.
Ein humoristisches Intermezzo
bietet immer wieder die Frau des
Meisters, da sie vor allem durch ihr
überzeichnetes, fast schon karikaturi‐
stisches Spiel auffällt. Ganz offensicht‐
lich verwöhnt und bevorzugt sie ihren
eigenen Sohn, während Giorgio und
Angeletta vernachlässigt und für nie‐
dere Arbeiten eingesetzt werden.
Auch begrüßt sie jeden neuen Küchen‐
besucher mit einem Schlag der Brat‐
pfanne auf den Kopf, was an Slap‐
stick‐Motive klassischer Komiker erin‐
nert. Auf auditiver Ebene wird hier
passend dazu noch ein überdeutlicher
Gong eingespielt, was gerade ein
junges Publikum schnell amüsiert.
Auch filmästhetisch gesehen emp‐
fiehlt sich Die schwarzen Brüder sehr
für ein jüngeres Publikum, was vor
allem bei Einstellungen im Kamin her‐
auskommt. In den dunklen Schächten
wird immer wieder zwischen einer
nahen und einer Point‐of‐View Ein‐
stellung hin und her geschnitten, so
dass bisweilen der Seheindruck eines
Videospiels entsteht. Dadurch wird
ein subjektiver Eindruck von Giorgios
Arbeit als Kaminfeger vermittelt und
der Zuschauer hat die Gelegenheit,
sich ganz in die klaustrophobische
Enge hineinzuversetzen. Auf dem
Dach angekommen wird dieses Gefühl
schließlich mit einer langen, hellen
Einstellung aufgelöst. Unterstrichen
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wird dieser Aufbruch der Beengtheit
zusätzlich durch einen Zoom aus dem
Bildkader heraus. Auf der auditiven
Ebene wird durch einen komödienar‐
tigen, fast schon stummfilmhaften
Score die Handlung motivisch unter‐
stützt und linear fortgeführt. So folgt
man dem Plot sehr leicht und die Ton‐
spur sorgt zudem noch für einen un‐
terhaltsamen Tenor.
Der Film erhält durch weite Ein‐
stellungen zudem eine schöne Rah‐
mung. Die Exposition endet mit einem
weiten Topshot, der den Protagoni‐
sten an einem Fluss entlangrennend
zeigt, was seine unbedingte Einsam‐
keit und Isolation nach dem Besuch
Luinis sehr gut deutlich macht. Ebenso
endet der Epilog wenn Giorgio ge‐
meinsam mit Angeletta nach Hause zu‐
rückkehrt und die beiden auch hier
wieder in einer weiten Einstellung ge‐
zeigt werden, diesmal allerdings in
einer leichten Untersicht, was den po‐
sitiven Ausgang der Geschichte bekräf‐
tigt und auf eine progressive Zukunft
hinweist. So wird filmisch geendet wie
begonnen wurde und durch die Wahl
des Kamerawinkels wird eine eindeu‐
tige Interpretation der Ereignistenden‐
zen abgegeben.
Die schwarzen Brüder ist ein schöner
Jugendfilm, der perfekt auf die Be‐
dürfnisse des jungen Publikums zuge‐
schnitten ist. Man findet stilistische
Elemente aus Bildungsromanen wie
Krabat, Oliver Twist oder Harry Potter,
eingeflochten in auf Tatsachen beru‐
henden Aufzeichnungen über die
Leiden der Kaminfegerkinder. Die
deutsche Produktion überzeugt mit
aufwendig inszenierten Szenenbildern
und einfallsreichen Dialogen. Kein
Handlungsstrang überfordert oder
löst einen Konflikt vorschnell auf, son‐
dern es gelingt, einen konstanten
Anspruch aufrechtzuerhalten, der
vom Grundschulalter bis in die späten
Jugendjahre zu begeistern vermag.
Sarah Beicht
Josh Boone (dir.). T H E FA U LT I N
O U R S TA R S . 20th Century Fox,
2014. DVD. 126 min.
Josh Boone’s adaptation of John
Green’s bestselling young a novel
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successfully makes use of cinematic
elements to enhance the story while
staying true to its famous literary
source.
Hazel Grace Lancaster (Shailene
Woodley) is obsessed with An Imperial
Affliction, a book told by first‐person
narrator and cancer patient Anna.
When Anna dies, the story ends. Just
like that. In the middle of a sentence.
Hazel is desperate to know whether
Anna’s family leads a happy life after
Anna has died. All attempts, however,
to reach Peter Van Houten (Willem
Dafoe), the author, have failed. The
reason for Hazel’s need for answers is
simple: She has thyroid cancer that has
spread into her lungs and although she
is relatively stable, it is inevitable that
she will not survive the cancer. Anna’s
story is, to a certain extent, Hazel’s
own story, and if Anna’s family
managed okay, maybe so will Hazel’s.
One thing Hazel deeply dislikes is
the cancer support group. It is there,
however, that she meets Augustus Wa‐
ters (Ansel Elgort), a charming young
man who had osteosarcoma and has
lost his right leg but is in remission
now. Augustus does not hold back
with his affection for Hazel and be‐
comes her partner in their search for
Peter Van Houten and reassurance in
the experience that short lives can be
meaningful.
There are many things that con‐
tribute to this film being one of the
best young adult movies of the past
and probably the next years. Promi‐
nent among them is the way it uses
cinematic elements while fully re‐
specting its literary source. One of the
most productive additions is the
soundtrack. In many scenes, the movie
omits dialogue and prominently fea‐
tures a song, thus taking note of ado‐
lescents’ emotional attachment to
music and at the same time creating an
atmosphere of intensified feelings.
Much of the story’s atmosphere gains
gravity due to, firstly, the contrast be‐
tween life‐confirming pop song excite‐
ment and the outlook that Hazel’s
adolescence is not made of firsts but
singularities and, secondly, the pain of
suffering, amplified by the power of
music. “Pain demands to be felt” is
one of the most prominent quotes
from An Imperial Affliction. It draws at‐
tention to the necessity to acknowl‐
edge emotions. One might very well
adjust this idea to the movie itself: it
demands to be felt.
Although the fundamental discus‐
sion the story engages in certainly
makes this movie relevant for teen‐
agers and adults alike, the focus on the
sentimental clearly wants to capture
the distinctiveness of the adolescent
vantage point. Young people, the
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movie implies, who have to think
about what to write into each other’s
eulogies, inquire about the meaning of
life more urgently than adults.
On a philosophical level, The Fault
in Our Stars explores what it means for
young people to be terminally ill.
Hazel and Gus serve as two different
poles, and the movie can unfold its
philosophical superstructure between
them. Gus’s biggest fear is oblivion
but he believes in the possibility of im‐
mortality through heroism, while
Hazel thinks that oblivion is inevitable
and there is no point to existence.
In the movie’s most brilliant scene,
Augustus and Hazel visit the Anne
Frank house and Hazel has to climb
the steep steps to Anne’s hiding place.
Her lungs make it hard for her to
breathe. Still, she makes it to the top
room, where quotes by Anne Frank
are read over the loudspeaker:
At such moments, I can’t think
about the misery, but about the
beauty that still remains. Try to re‐
capture the happiness within
yourself.
Here, in remembrance of Anne Frank,
Hazel gives in to her feelings and
finally kisses Gus. It is in scenes like
this that the movie transcends the
frame of the love story and turns into
a philosophical inquiry into mortality
and giving meaning to life. The lovers
demonstrate a principle: There is
beauty in the present and value in cel‐
ebrating existence. Even a short life
can be a significant, good life. There is
only one way to deal with the void
Gus is afraid of, and that is leading a
life that finds meaning in the relation‐
ships we have now, with each other.
The movie pits this form of present
against Augustus’s dreams of entering
a collective memory that somehow
will grant him eternity. It also prompts
Hazel to see that although there might
be no point to existence, there can
certainly be joy in it.
Among the vast number of young
adult movies being released at the
moment, The Fault in Our Stars is
certainly one of the most accom‐
plished and intelligent. Cynics, how‐
ever, should probably refrain from
watching it.
Anika Ullmann
Werner H ahn/H ans S teinmeier.
L U C Y, D I E K I L L E R M ÜC K E . ca.
55 min.
„Hinaus in die Welt!“ – dieses Credo
der Kindertheatertrilogie um Lucy,
die Killermücke, hat sich im Rahmen
des Bundeswettbewerbs „Kommuna‐
ler Klimaschutz 2014“ wirkungsvoll
realisiert. Dort wurden die Stücke in
der Kategorie „Klimaschutz zum Mit‐
machen“ aus 56 ganz verschiedenen
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Einsendungen ausgewählt und mit
30.000 Euro Preisgeld prämiert. Be‐
sonders bemerkenswert erscheint die
dadurch zum Ausdruck gebrachte
Anerkennung von Kindertheater als
Möglichkeit der Auseinandersetzung
– nicht nur mit kanonisierten Klassi‐
kern, sondern auch und gerade mit
aktuellen Diskursen.
„In den Theaterstücken um Lucy,
die Killermücke erleben die Kinder, was
sie tun können, um die Welt ein klein
wenig besser zu machen. Idealerweise
kommen sie anders aus dem Theater
heraus, als sie hineingegangen sind.“1
So beschreibt Kinder‐/Jugendtheater‐
leiter und Autor Werner Hahn, wo‐
rauf seine zwischen 2010 und 2014
realisierte Lucy‐Trilogie abzielt. Die
Intention, globalen Zukunftsheraus‐
forderungen ausgerechnet im Kinder‐
theater einen Raum zu geben, in
dem sie spielerisch verhandelt statt
betroffen problematisiert werden,
kommt in den drei Stücken auf unter‐
schiedliche Weise zum Ausdruck und
fungiert gleichzeitig als Bindeglied
zwischen Lucy, die Killermücke, Lucy
und der Hungerbauch und Lucy und der
Wasserschaden.
Dass sich aus dem Erstling zum
Thema Klimawandel die Folgewerke
zu Welthunger und Wasserknappheit
ergeben haben, die theaterspezifische
Auseinandersetzung mit existentiellen
Ressourcenfragen also vom Projekt
zum Konzept avanciert ist, erscheint
zwar als logische Konsequenz der
komplexen Krisenzusammenhänge,
mit Blick auf die Kindertheaterland‐
schaft ist dies aber trotzdem – oder
gerade deshalb – ein Alleinstellungs‐
merkmal. Denn obwohl Richard La‐
mers konstatiert, „,richtiges‘ Klima‐
theater gibt es vor allem für Kinder“2,
und obwohl sich Initiativen wie das
Umwelttheater UNVERPACKT der
Vermittlung von Umweltproblemen
verschrieben haben und das renom‐
mierte GRIPS Theater mit Durst eben‐
falls ein beeindruckendes Stück zur
globalen Wasserproblematik vorwei‐
sen kann, unterscheidet sich Hahns
Werk von thematisch ähnlichen Ein‐
zelproduktionen durch die systema‐
tisch aufeinander aufbauende Weiter‐
entwicklung von Problemfeldern,
Handlungsräumen und Figuren. Die
dadurch geschaffene Vielfalt an Wie‐
dererkennungseffekten und Identifi‐
kationsangeboten eröffnet Rezipienten
ab dem Vorschulalter differenzierte
Perspektiven auf bislang unhinterfragte
Zusammenhänge.
Zentraler Sympathieträger ist die
afrikanische Killermücke Lucy, die
sich im ersten Stück aufgrund des
Klimawandels versehentlich nach
Deutschland verflogen hat, im zweiten
Stück aufgrund der Hungerkrise in
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REZENSIONEN/REVIEWS
Afrika bewusst nach Deutschland zu‐
rückkehrt und im dritten Stück ge‐
meinsam mit ihren aus Deutschland
angereisten Freunden versucht, das
durch Großkonzerne verursachte Was‐
serproblem in ihrer Heimat zu lösen.
Vom unwissenden Opfer wandelt
Lucy sich also im Laufe der Trilogie
zum „Motor der Veränderung“3, bleibt
in ihren charakteristischen Figuren‐
merkmalen aber konstant und damit
sich und ihren Fans treu. Insbesondere
in ihrer Neugierde, Unbeirrbarkeit
und Penetranz werden typisch kindli‐
che Eigenschaften aufgegriffen und
überspitzt, sodass bekannte Grund‐
muster immer wieder in karikierter
Form Eingang in die Bühnenhandlung
finden.
Ergänzend dazu repräsentiert Pro‐
tagonistin Sarah die Alltagserfahrungen
eines in Deutschland im gutbürgerlichen
Milieu aufwachsenden Mädchens, das
im Gegensatz zu ihren verschwen‐
derischen und konsumorientierten
Eltern den Sinn für das Wesentliche
noch nicht ganz verloren hat. Ähnlich
wie Lucy durchläuft auch sie inner‐
halb der Trilogie einen Reifeprozess
vom unbedarften, empathischen Kind
hin zur ambitionierten Weltverbesse‐
rin, der von den Rezipienten schritt‐
weise nachvollzogen werden kann.
Insbesondere ihre direkten und ziel‐
gerichteten Fragen lassen sie zur Stell‐
vertreterin des Publikums werden, die
die auf der Bühne offen gelegten Para‐
doxien auf den Punkt bringt und ihnen
auf den Grund zu gehen versucht.
Neben Lucy und Sarah gehören Sa‐
rahs Nachbar Professor Wunderlich
und dessen afrikanischer Assistent
Ben zum festen Figurenarsenal aller
drei Stücke. Mit seinen grundlegend
anderen Lebenserfahrungen bildet Ben
einen Gegenpol zu Sarah, wodurch
wechselseitige Perspektivenreflexionen
angeregt und ausgestaltet werden.
Vom eher unreflektiert reproduzieren‐
den Schüler wird Ben zunächst zum
Hilfe suchenden Opfer der Hunger‐
krise, schließlich aber zum selbstbe‐
wussten jungen Mann, der auch
Risiken eingeht, um Gerechtigkeit zu
erkämpfen.
Professor Wunderlich ist als For‐
scher und einziger erwachsener Prota‐
gonist Adressat für alle aufkommen‐
den Fragen, der immer neue Wege fin‐
det, sein Wissen den sowohl fiktions‐
internen als auch fiktionsexternen
Zuhörern anschaulich nahe zu brin‐
gen. Erscheint er im ersten Stück
als verschrobener Außenseiter, der
mithilfe des von ihm entwickelten
Öko‐Klimamats globale Probleme im
eigenen Garten lösen möchte, tritt er
im zweiten Stück als krisenbewusster
Wissenschaftler auf, der mit einem
emotional aufrüttelnden Rollenspiel
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die globale Hungerproblematik in sei‐
nen Garten holt, und avanciert im drit‐
ten Stück schließlich zum aktiven
Multiplikator, der in die Welt hinaus
geht, um sie mit seinen Erkenntnissen
zu verändern.
Dass die Rezipienten Teil dieser fa‐
cettenreichen Figurenentwicklungen
werden, statt sie nur zu beobachten,
liegt vor allem an der identitätsstiften‐
den Konzeption der Charaktere und
ihrer theaterspezifischen Inszenierung.
Die Einbindung des Publikums durch
direkte Ansprache, provokative Fra‐
gen sowie durch Vermittlung von Wis‐
sensvorsprung oder die Heraus‐
forderung aller Sinne durch im Raum
versprühtes Insektenspray, sich über‐
lagernden, schrillen Sound sowie Re‐
genschauer heben die Trennung
zwischen Bühne und Zuschauerraum
auf und setzen damit die omnipräsen‐
ten Auswirkungen der Umweltkrise
auch strukturell um. In allen drei Tei‐
len von zentraler Bedeutung ist dabei
die Musik, die immer wieder entschei‐
dend dazu beiträgt, Handlung und Fi‐
guren voranzu‐ bringen, Gefühle zu
transportieren, Konflikte zuzuspitzen
und zentrale Aussagen in Form von
„Ohrwürmern“ zu festigen.
Indem Erwachsene im familiären,
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Kontext als unreflektierte Weltzer‐
störer entlarvt und Kinder in ihrem
Potential als nachhaltigkeitsbewusste
Weltretter ernst genommen und bestärkt
werden, rücken tradierte Rollenmus‐
ter und vermeintliche Selbstverständ‐
lichkeiten als Resultate obsolet wer‐
dender Wertesysteme in den Fokus.
Die wiederkehrende Aufforderung
„Hinaus in die Welt“ umfasst dem‐
nach sowohl äußere als auch innere
Bewegungen, die in den Stücken um
die Killermücke Lucy authentisch und
überzeugend als Ausgangspunkt für
anstehende Transformationsprozesse
erlebbar gemacht werden.
Elisabeth Hollerweger
ANMERKUNGEN
1
Werner Hahn bei der Rede zur Premiere von
Lucy und der Wasserschaden am 9.2.2014 in Hagen.
2
Lamers, Richard: „Vorhang auf für den Klima‐
wandel!“ September 2009. http://www.goethe.de/
ges/umw/prj/kuk/the/kun/de5029084.htm [13.11.2014].
3
Dramaturgin Miriam Michel zitiert nach Hie‐
ber, Eva: „Lucy und der Wasserschaden premiert
im Theater Hagen.“ In: WAZ, 13.02.2014. Abruf‐
bar unter: http://www.derwesten.de/staedte/
hagen/lucy‐und‐der‐wasserschaden‐premiert‐
im‐theater‐hagen‐id8986532.html [13.11.2014].
Anthony McCarten und Paul Gra‐
ham Brown. S U P E R H E R O . Wies‐
baden: Felix Bloch Erben, 2014.
Matthias Grön und Markolf Nau‐
joks. S U P E R H E R O . Oldenburgi‐
sches Staatstheater, 2013.
„Das Leben ist eine Geschlechts‐
krankheit: Es wird durch Sex verbrei‐
tet und am Ende stirbt man daran.“
126
REZENSIONEN/REVIEWS
14 Jahre alt und an Leukämie erkrankt,
fragt sich Donald Delpe, was er noch
erleben will, bevor er stirbt. Zum er‐
sten und vielleicht einzigen Mal Sex
haben steht zuoberst auf seiner
Liste. Die Romanvorlage Superhero
von Anthony McCarten inspirierte
im letzten Jahr gleich zwei Bühnen‐
bearbeitungen für Jugendliche: ein
Musical, das im Hessischen Staats‐
theater in Wiesbaden uraufgeführt
wurde (Buch von Anthony McCar‐
ten, Musik und Liedtexte von Paul
Graham Brown, übersetzt von Nina
Schneider) und ein Theaterstück
mit Premiere in Oldenburg, das nun
am Mainzer Staatstheater zu sehen
ist (Inszenierung: Markolf Naujoks,
Dramaturgie: Matthias Grön).
In der Theateraufführung von
Naujoks und Grön treten zunächst
projizierte Comiczeichnungen in den
Vordergrund: Vor schwarzer Bühne
leuchten die Farben des Comicprota‐
gonisten Miracle Man. Im Stück sind
diese Zeichnungen Donalds jugendli‐
che Versuche, künstlerisch mit seinem
Schicksal umzugehen: Im Stil der Mar‐
vel‐Comics zeichnet er einen Super‐
helden, der immer wieder stirbt und
sich zum Leben zurück erweckt.
Die Comics sind Grundlage sehr gut
gewählter theatraler Inszenierungsmo‐
mente: Hörspielähnlich werden sie von
den Akteuren musikalisch und sprach‐
lich vertont und gewinnen dadurch die
nötige Eindringlichkeit, wenn sie die
Erkenntnisse über Donalds Ängste
durchblicken lassen, die sein abwei‐
sendes Äußeres verheimlicht. Bis auf
Donald wechseln alle Akteure mehr‐
fach die Rollen. Als Mutter, Vater, Bru‐
der, Freunde, Freundin, Erzähler und
Psychotherapeut zeigen sie – oft nur
durch kleine Änderungen im Requisit
und große Änderungen in Habitus und
Duktus markiert – wie Do‐
nalds Umfeld mit seiner
Krankheit umgeht. Hier‐
zu bedienen sich alle Dar‐
steller auch großen musika‐
lischen Talents: Im fliegen‐
den Wechsel spielen sie
Klavier, Saxophon, Gitarre
und singen solistisch bis
vierstimmig.
Trotz der ernsten Grund‐
Comic trifft Realität. In Mainz interagiert Donald mit seinen
thematik und des Einsatzes
Comic‐Charakteren.
127
INTERJULI
01 I 2015
einleitenden Satz einer Stimme aus dem
Off, ein Geräusch und einen Lichtwech‐
sel mit Freeze und Spot comichaft vor‐
gestellt, viele Elemente des Stücks
erscheinen wie ein Film. Seine Haltung:
Es ist wissenschaftlich erwiesen,
dass eine Therapie keinen Einfluss
auf die Überlebenschancen von
Krebspatienten hat. […] Das ein‐
zige, was anscheinend hilft, was
Leben rettet – das ist Freude,
simple Lebensfreude.
„Wicked Games“, „Survivor“ und „The
Wanderer“: Neuarrangierte Rock/Pop‐
stücke bereichern das Theaterstück.
berührender Musik wirkt das Theater‐
stück an keiner Stelle rührselig, son‐
dern – auch durch die vielen
Brechungen – durchgehend frisch. Be‐
sonders Donalds spröder Humor sorgt
für Lacher. Auch in Momenten, in
denen die Krankheit im Vordergrund
steht, kommen den Zuschauern nicht
die Tränen. Zu nachdenklich stimmen
Momente wie der, in dem die Erzähler
Donald mit Post‐Its bekleben, die mit
Wörtern wie Milz, Lymphknoten,
Angst, Übelkeit, Schwindel oder
Gewebe beschriftet sind.
Neben Donald ist Dr. Adrian King
die zentrale Figur des Stücks. Wie alle
anderen Charaktere wird er durch einen
Daher bemüht er sich, Donalds
Wunsch nach der ersten sexuellen Er‐
fahrung zu erfüllen und stellt damit
sogar seine moralische Integrität und
seine Approbation aufs Spiel
Das Bühnenbild unterstützt die
Aufführung mit polyfunktionalen Ele‐
menten, die immer neue Spielorte her‐
vorbringen. Während der schwarze
Bühnenraum mit schwarzem Kasten
zunächst nur Projektionsfläche für Co‐
mics bietet, macht ein Geländer die
128
Durch Freeze und Off‐Stimme kommen comic‐
artige Elemente in die Bühnenfassung.
REZENSIONEN/REVIEWS
Oberseite des Kastens zur Autobahn‐
brücke, von der sich Donald stürzen
will. Durch zunächst unsichtbare Tü‐
ren, die den Kasten an einzelnen, spä‐
ter an mehreren Stellen öffnen und
den Blick auf innere Lichtstimmungen
freigeben, entstehen ein Krankenzim‐
mer, eine Disco, ein Bordell, eine Toi‐
lette und ein Museumsschrein. Aus
dem Innern des Kastens hört der Zu‐
schauer Donalds Schläge gegen die
Wände, seine Schreie und sieht flak‐
kerndes Licht: So trägt das Bühnenbild
zur Darstellung einer Panikattacke bei.
Auch in der Wiesbadener Musical‐
produktion kommt dem Bühnenbild
eine bedeutende Rolle zu: Die Büh‐
nenteile sind verschieb‐ und hebbar,
können als Zugrampe heruntergelas‐
sen werden. Die projizierten Zeich‐
nungen wirken hier kindlicher, die
Farben etwas gedeckter, dafür wird
mit zusätzlichen Effekten gearbeitet:
Durch halbtransparente Projektions‐
flächen kann auch vor und hinter der
Projektion noch gespielt und getanzt
werden, was teilweise mitreißende Ef‐
fekte produziert, zum Beispiel als Mi‐
raculousman (so heißt der Comic‐
held hier) frontal vom über‐lebensgro‐
ßen LKW überfahren wird. An einzel‐
nen Stellen wird das Bild durch diesen
Effekt aber auch überladen. Die
Entscheidung, die Comiccharaktere
durch Darsteller zu verkörpern, rückt
die Comicwelt näher an Donalds
eigene Welt heran.
Miraculousman und Nursey: Im Musical sind
die Comicfiguren aus Fleisch und Blut.
Während die Theaterproduktion
sprachlich einiges zu bieten hat (hier
wird sehr authentisch gelogen, ge‐
stammelt, improvisiert und derb ge‐
flucht) nutzt das Musical eher
gemäßigte Sprache. Trotz Rapgesangs
und sichtbarer Wut des Donald‐Dar‐
stellers über sein Schicksal legen fast
durchgehend ausformulierte Sätze mit
gezügeltem Vokabular eine Bremse
ein, was oft den Eindruck eines Textes
ergibt, den Erwachsene Jugendlichen
in den Mund gelegt haben. So zum
Beispiel auch, wenn Donald sich dar‐
über beschwert, dass sein Comic an
den Psychologen King weitergegeben
wurde: „Sie hatten kein Recht!“.
(Kleinere) dramaturgische Lücken
weisen allerdings beide Bühnenadap‐
tionen auf: Während im Theaterstück
129
INTERJULI
01 I 2015
nicht deutlich herauskommt, dass es
Donald schwer fällt, Füße zu zeichnen
(für den Twist am Stückende eine
nicht unerhebliche Information), ver‐
blasst im Musical die Szene, in der Do‐
nald seiner Flamme Shelly ungefragt
auf die Toilette folgt ‒ eine sehr mar‐
kante Stelle, auf die noch mehrfach re‐
feriert wird; so bleiben die An‐
spielungen dem Zuschauer allerdings
ein Rätsel.
Insgesamt gibt es in der Wiesbade‐
ner Inszenierung mehr Hintergrund‐
handlung, die aber nicht immer nötig
wäre und dafür sorgt, dass das Musical
mit 150 Minuten Spielzeit in zwei
Akten deutlich länger ist als die Thea‐
teraufführung, welche einaktig in 90
Minuten über die Bühne geht. Die Ne‐
bencharaktere treten im Musical deut‐
licher in den Vordergrund, obwohl sie
weniger charakterliche Facetten zeigen.
Besonders traurig sind im Musical
die Szenen, in denen Donalds Krank‐
heit zurückkommt und schließlich
Ein erster und leter Joint sorgt für einen
(un)vergesslichen Vater‐Sohn‐Moment.
Vor der Pause: Ob der echte Donald Ensemble‐
tanz für seine Geschichte gemocht häe?
siegt. Am Ende des ersten Aktes hat
der Zuschauer erstmals den Eindruck,
dass Donald sein Leben genießt. In
einer Popnummer, in der Choreogra‐
phie und Musik an ein in die 90er‐
Jahre versetztes Grease‐Jugendgefühl
erinnert, tanzt er mit den Freunden,
taut auf, nähert sich Shelly an. Der
plötzliche Wechsel zur Krankenhaus‐
situation wirkt ironisch und schmerz‐
voll. Ebenso berührend: Das große
Musicalfinale mit allen Ensemblemit‐
gliedern und der Reprise des Songs
„Ich steh noch ganz am Anfang“, zu
dessen Klängen Donald und sein Co‐
micheld die Rampe hinauf in Zeitlupe
in den Tod gehen.
In beiden Bühnenadoptionen wird
klar: Der Stoff aus dem Roman von
McCarten ist eine fantastische Vorlage
für die Bühne. Die Story um den
14‐jährigen Donald ist spannend,
schmerzhaft, lustig, hart und tritt –
130
REZENSIONEN/REVIEWS
nicht nur bei 14‐Jährigen – eine La‐
wine von Gedanken über das Leben
und Sterben los. Und sie bietet Raum
für ein großes Spektrum von Inszenie‐
rungsideen, die sich in beiden Adap‐
tionen – jedoch stärker im Theater‐
stück – finden. Die Mainzer Auffüh‐
rung nimmt den jüngeren Zuschauer
insgesamt ernster, indem sie ihn
sprachlich und visuell nicht schont,
ihm mehr Raum für die eigene Phan‐
tasie lässt; dafür spart sie ihm einige
der Erwachsenensorgen, denen im
Musical eine größere Bedeutung zu‐
kommt. Obwohl Musik von Haus aus
mit Musical verwoben ist, erscheint
die musikalische Illustrierung auch in
der Theaterversion dramaturgisch in‐
teressanter eingesetzt. Mit den ganz
großen Balladen kann das Musical al‐
lerdings auch die traurigen Momente
voll ausspielen, das Theaterstück holt
den Humor häufiger und stärker wie‐
der zurück und bleibt damit leichter.
McCarten und Brown haben ein soli‐
des Musical geschrieben, Naujoks und
Grön ein Theaterstück, das man – egal
ob 14 oder 84 – unbedingt gesehen
haben muss.
Mareike Hachemer
Albert Barillé (Regie). E S WA R
EINMAL … DER MENSCH. Blu‐
ray‐Komplettbox: Studio Hamburg
Enterprises, 2014.
„Unseren Kindern den Wunsch nach
Wissen vermitteln und ihre Neu‐
gierde wecken“ war das Ziel von Al‐
bert Barillé, als er 1978 die Trick‐
filmserie Es war einmal ... der Mensch
erschuf. Barillé war sowohl Autor,
Regisseur als auch Produzent der
französischen Serie, die 1980 erst‐
mals im deutschen Fernsehen aus‐
gestrahlt worden ist. Alle 26 Folgen
wurden nun in einer restaurierten
Fassung von Studio Hamburg Enter‐
prises in einer Blu‐ray‐Box veröffent‐
licht. Auf den drei Blu‐rays sind
neben der deutschen auch die fran‐
zösische und englische Sprachfas‐
sung enthalten. Extras gibt es außer
einem umfangreichen Booklet, das
interessante Informationen über die
Entstehung der Serie und die Ent‐
wicklung der von Jean Barbaud ge‐
schaffenen Figuren bereithält, leider
keine.
131
INTERJULI
01 I 2015
Gemeinsam mit dem Protagoni‐
sten Maestro – einem bärtigen weisen
Mann – begibt sich der Zuschauer auf
eine Zeitreise durch die Geschichte
der Menschheit. Die einzelnen Folgen
beschäftigen sich mit wichtigen Epo‐
chen, Ereignissen, Herrschern und
Persönlichkeiten. Angefangen bei der
Entstehung der Erde geht es über die
Neandertaler weiter zu den Griechen
und Römern bis hin zu den Wikingern
und anderen historischen Ereignissen.
Im Vorspann jeder Folge sind die
Entstehung der Erde und die Entwick‐
lung der Menschheit im Zeitraffer zu
sehen. Aus einem Affen wird ein Nean‐
dertaler, aus dem schließlich Adam
entsteht. Adam ist eine weitere Haupt‐
figur der Serie. Wie der Affe bewegt
sich Adam auf der Stelle, wobei sich die
Hintergründe und seine Kleidung je
nach Epoche ändern. Er passt sich also
seinem geschichtlichen Umfeld an. Da‐
durch bietet der Vorspann einen guten
Vorausblick auf die Handlung der ein‐
zelnen Folgen. Unterstützt wird der
Vorspann durch das einprägsame Ti‐
tellied „Tausend Jahre sind ein Tag“
von Udo Jürgens, was auf die Kürze
der Folgen zutrifft: Jede Folge dauert
rund 25 Minuten und fasst meist meh‐
rere Hundert Jahre Geschichte zusam‐
men. Memory, ein sprechender
rechteckiger Klotz mit Augen und
Armen, zeigt dabei am oberen linken
Bildschirmrand immer mal wieder die
aktuelle Jahreszahl an, zu der das je‐
weilige Ereignis stattfindet. So auch in
der Folge „Das Zeitalter des Perikles“.
Diese beginnt 1450 v. Chr., thematisiert
aber zum Beispiel ebenso das Jahr 429
v. Chr. Es werden wichtige Themen
wie Sklavenhaltung in der Antike, grie‐
chische Götter, die Konflikte mit
Sparta, die olympischen Spiele und der
Bau der Akropolis angesprochen. Be‐
deutende Persönlichkeiten wie Peri‐
kles, Sophokles, Sokrates und Aris‐
toteles kommen ebenfalls zur Sprache.
Protagonist Maestro kennt sowohl ver‐
gangene Geschehnisse als auch zu‐
künftige. So weiß er schon, dass es in
der Zukunft römische und arabische
Ziffern geben wird und man eine
Sonnenuhr dann nicht mehr mit dem
griechischen Alphabet versehen wird.
Neben Maestro spielt Adam eine
tragende Rolle. Er verkörpert einen
prototypischen Griechen der damali‐
gen Zeit, der u.a. das Orakel zur
Hochzeit mit seiner Angebeteten be‐
fragt und die olympischen Spiele be‐
sucht. Seine Angebetete wird von Eva
dargestellt. Adam zur Seite steht stets
sein schwerfälliger Freund Jumbo,
über dessen Tollpatschigkeit man als
Zuschauer oft schmunzeln muss.
Maestro, Jumbo, Adam und Eva sind
freundliche und gut gelaunte Figuren.
Im Gegensatz dazu stehen Ekel und
132
REZENSIONEN/REVIEWS
Klotz, die Antagonisten der Serie.
Beide haben einen mürrischen Ge‐
sichtsausdruck und eine rote Nase.
Damit kann man sie sofort als Böse‐
wichte identifizieren. Gut und Böse
sind also an Mimik und Aussehen der
Figuren erkennbar. Eva, Adam,
Jumbo, Klotz und Ekel sind Charak‐
tere, die in der Serie immer wieder
auftauchen und den verschiedenen
Rollen angepasst werden. Maestro ist
nicht nur ein alter Gelehrter, sondern
gleichzeitig der allwissende Erzähler
jeder Folge. In der deutschen Sprach‐
fassung wurde Maestro von dem
österreichischen Schauspieler Josef
Meinrad synchronisiert. In den Folgen
wird oft so verfahren, dass nur die
Voice‐Over‐Stimme zu hören ist, der
Erzähler also nicht zu sehen ist. Das
Gesagte wird dann durch passende
Filmbilder veranschaulicht. In „Das
Zeitalter des Perikles“ berichtet der Er‐
zähler beispielsweise von Perikles
Tod. Dazu wird illustrierend gezeigt,
wie eine Statue von Perikles zerbricht.
Allerdings gibt es dazwischen immer
wieder Szenen, in denen der Erzähler
nicht zu Wort kommt und nur die
handelnden Figuren zu sehen sind,
die miteinander in Dialog treten. Die
Überleitungen zwischen filmischer
Handlung und Erzähler sind fließend.
So sieht man zum Beispiel Eva, die
aus Zorn die Lieblingsvase ihres
Mannes zerbricht. Der Erzähler kommt
daraufhin auf das Scherbengericht zu
sprechen. Wichtige Gegenstände, die
besondere Aufmerksamkeit erhalten
sollen, werden herangezoomt. Die
verwendete Hintergrundmusik bietet
eine passende Untermalung der ein‐
zelnen Szenen, denn sie ist optimal
auf die filmische Handlung abge‐
stimmt. Durch Landschaft, Gebäude
und Kleidung der Figuren kann man
sich gut in die jeweilige Epoche
hineinversetzen.
Es war einmal … der Mensch vermit‐
telt gekonnt Wissen, denn die Serie ist
äußerst informativ und humorvoll zu‐
gleich. Auch wenn die einzelnen Fol‐
gen noch etwas ausführlicher und
Dialoge und Handlungen detaillierter
sein könnten, macht es einfach Spaß,
zuzuschauen. Dies ist insbesondere
den sympathischen Figuren zu ver‐
danken, die den Charme der Serie aus‐
machen. Lediglich die Stimme des
Erzählers ist vielleicht nicht mehr so
zeitgemäß, da sie sehr altmodisch
klingt. Das tut der Qualität insgesamt
aber keinen Abbruch, denn die Serie
spricht nicht nur Kinder und Jugend‐
liche an, sondern ist ebenso für
Erwachsene empfehlenswert. Auch
sie können hier noch etwas lernen und
selbst wieder ein wenig zum
wissbegierigen Kind werden.
133
Sabrina Holitzner
INTERJULI
01 I 2015
Marie‐Aude Murail. D A S G A N Z
UND GAR UNBEDEUTENDE
LEBEN DER CHARITY TIDD‐
L E R . Aus dem Französischen von
Tobias Scheffel. Mit farbigen Bildern
von Philippe Dumas. Frankfurt am
Main: Fischer, 2011. 571 S.
Charity Tiddler, vielseitig begabte
Naturliebhaberin, Tierpflegerin, Ham‐
let‐Kennerin und Kaninchenzeichne‐
rin, fürchtet sich nicht vor der vikto‐
rianischen Öffentlichkeit. „Da es
meine Bücher sind, die im Schaufen‐
ster ausgestellt werden, und nicht ich,
hoffe ich, dass ich weiterhin ein be‐
scheidenes und verborgenes Leben
führen kann“ (376), sagt sie zu Alfred
King, der als Leiter des Londoner Ver‐
lags King and Co gewillt ist, ihr erstes
Bilderbuch zu veröffentlichen.
Weit schwerer tut sich die junge
Frau damit, das Ende ihrer Geschichte
gemäß konservativer Verlagspolitik zu
ändern – und ihren Helden, das freche
Kaninchen Peter, das sich an den Ka‐
rotten des Nachbargartens gütlich tut,
mit Bauchweh zu bestrafen, anstatt es‐
über die rigide Kinderbuchmoral der
Zeit triumphieren zu lassen. Zwar ver‐
spürt Charity durchaus eine gewisse
„Lust zu rebellieren“. Weil sie sich
aber von dem mit ihrem Buch verdien‐
ten Geld zumindest ein bisschen Au‐
tonomie von den sie am Gängelband
haltenden Eltern erkaufen will, willigt
sie ein: „[F]ür die Summe von zwanzig
Pfund überließ ich Peter dem Bauch‐
weh und meine Autorenrechte dem
Verlagshaus King and Co“ (377). Dem
Verlegersohn erzählt sie später, sie
folge in ihrer künstlerischen Karriere
weniger der Verlagsregel, Kindern
„das Geschmackvolle, Gute und Ge‐
rechte“ nahezubringen, denn jener
von PSP –„Pfund, Shilling, Penny“
(427). Und rückt damit die schon von
Virginia Woolf konturierte Situation
von im 19. Jahrhundert schreibenden
Frauen in ein ironisch gebrochenes,
aber nicht minder scharfes Licht.
Pragmatisch, spitzzüngig, selbst‐
kritisch: Von der ersten Seite an ist es
Charitys eigensinniger und in all seinen
Facetten ausgeleuchteter Charakter, der
Marie‐Aude Murails 571 Seiten schwe‐
ren, detailreichen historischen Roman
trägt. Anders als den Kinderbüchern
134
REZENSIONEN/REVIEWS
rund um Peter Rabbit und all die an‐
deren Tiere, die Charity von Kind auf
in der Einsamkeit ihres nur von Kin‐
dermädchen und Gouvernante aufge‐
suchten Zimmers pflegt, aufzieht und
bisweilen aus Versehen tötet, ehe sie
ihnen ein literarisches Leben verleiht,
fehlt es dem Roman nämlich an zwei
für ein Jugendbuch fast zwingenden
Komponenten: an Handlung und an
Spannung.
Charitys Leben als Einzelkind der
wohlhabenden oberen Mittelschicht
Ende des 19. Jahrhunderts verläuft iso‐
liert und nahezu ereignislos; die Ent‐
deckung und Entfaltung ihrer zahl‐
reichen ungewöhnlichen Talente und
Interessen sind auf Handlungsebene
nahezu einziges Movens der an Bea‐
trix Potter angelehnten fiktiven Bio‐
graphie, die von Charitys fünftem bis
zu ihrem 27. Lebensjahr reicht. „Ich
hätte einen höchst annehmbaren klei‐
nen Jungen abgegeben, aber ich war
ein hoffnungsloses Mädchen“, konsta‐
tiert Charity, nachdem ihr als Zehn‐
jährige endgültig klar geworden ist,
dass ihr Interesse „eher der Anzahl
der Haare der Prozessionsraupe“ als
dem Klavierspiel gilt. Letzteres
betreibt sie mit der Hingabe „einer
Spieldose“; Französisch lernt sie „ohne
Mühe und ohne Vergnügen“; und
in den Tanzstunden ist sie „flink,
aber ohne jede Anmut“ (46). Umso
begeisterter aquarelliert sie Pilze, In‐
sekten und Fossilien, übt sich wie Jac‐
queline Kellys etwas später geborene
Titelheldin aus dem Roman Calpurnias
(r)evolutionäre Entdeckungen (Hanser
2013) in den naturwissenschaftlichen
Techniken des Beobachtens, Doku‐
mentierens und Sammelns, notiert
sich ihre Überlegungen in ein wis‐
senschaftliches Tagebuch, liest Dar‐
win, deklamiert Shakespeare und
begeistert sich fürs Theater.
Doch während der Klappentext
von einer Heldin spricht, die „sich
emanzipiert und sich Unabhängigkeit
erkämpft“, sind Charitys Handlungen
insgesamt wenig revolutionär: Murail
zeichnet sie konsequent als Kind ihrer
Zeit, das sich in den meisten Fällen
durchaus an die Konventionen hält,
weil es sich der Sanktionen für abwei‐
chendes weibliches Verhalten nur
allzu bewusst ist. Diese werden an der
wegen einer angeblichen Liebelei mit
dem Deutschlehrer aus dem Haus ge‐
jagten Gouvernante, der unglücklich
schwangeren 19‐jährigen Dienstbotin
und dem in einer Irrenanstalt dahin‐
vegetierenden ehemaligen Kinder‐
mädchen denn auch drastisch
veranschaulicht. Ähnlich wie Kellys
Calpurnia gelangt Charity zu einer
realistischen Einschätzung ihrer Mög‐
lichkeiten und Spielräume – ohne die
Grundregeln ihrer Gesellschaft jemals
135
INTERJULI
01 I 2015
ernsthaft zu verletzen, erkämpft sie
sich durch ihre Arbeit, zu der sie
sich immer wieder unter schwersten
Anstrengungen motivieren muss,
ein kleines Stück Freiheit und
Selbstbestimmung.
Revolutionär und dramatisch ist
das nicht. Dafür umso konsequenter.
Frei von jeglicher Nostalgie zeichnet
Murail ein dichtes Zeitgemälde, das
durch Charitys lakonisch‐ironische Er‐
zählweise noch an Tiefe gewinnt und
die Konventionen und Zwänge der
Zeit, aber auch die gesellschaftspoliti‐
schen Diskussionen um Frauenrechte,
angemessenen „Lebenswandel“ und
künstlerische Freiheit scharf hervor‐
treten lässt. Das mit liebevoll ausge‐
malten Bildern, viel schwarzem
Humor, brillant skizzierten Charakte‐
ren und pointierten Dialogen im dra‐
matischen Modus aufwartet. Aus
diesen Zutaten ist ein Werk entstan‐
den, das seiner Protagonistin in
puncto Originalität und Eigensinn in
nichts nachsteht – das seine Anhän‐
gerschaft aber vermutlich eher in
einem erwachsenen denn in einem
jugendlichen Publikum finden dürfte.
Manuela Kalbermatten
Guillermo Del Toro (Prod.) and Jorge
Gutiérrez (Dir.). THE BOOK OF
LIFE. 20th Century Fox, 2014. DVD.
95 mins.
It is rare that films for young people
by Latina/o directors make it to the
big screen in U.S. or European the‐
aters. The Book of Life, a 3D com‐
puter‐animated film from Mexican
director Jorge Gutiérrez, and Mexi‐
can producer, Guillermo Del Toro,
breaks that longstanding trend. A vi‐
brant and visually stunning film, The
Book of Life takes us on an action‐
and romance‐packed journey into the
world of Mexican mythology and
folklore.
The film begins as Mary Beth
(Christina Applegate), a museum tour
guide, narrates this “story within a
story” to a rebellious group of pre‐
sumably white school children, to
which she gives secret access to The
Book of Life, a book that holds all of
the world’s stories. Entranced by the
136
REZENSIONEN/REVIEWS
characters of Mexican folklore, the
children quickly morph from a spit‐
ball‐tossing group of ne’er‐do‐wells
into a captive audience. Mary Beth
proceeds to tell the children the book’s
“greatest story”, which transports us
to colonial Mexico, specifically to the
village of San Ángel on the holiday
Día de los Muertos (Day of the Dead).
In San Ángel, we encounter three
children, María (Zoe Saldana), Manolo
(Diego Luna) and Joaquín (Channing
Tatum), playing in the village ceme‐
tery during the Day of the Dead festiv‐
ities. As they play, the spirits La
Muerte (Kate del Castillo), ruler of the
Land of the Remembered, and Xibalba
(Ron Perlman), ruler of the Land of the
Forgotten, bet on which of the two
boys will marry the indomitable
María. La Muerte bets on the sensitive,
guitar‐playing Manolo, while Xibalba
bets on the “manly”, fake‐musta‐
chioed Joaquín. The wager is that if La
Muerte wins, Xibalba must cease medd‐
ling in the affairs of the realm of the
living, and if Xibalba wins, La Muerte
must swap places with him and be‐
come ruler of the Land of the Forgot‐
ten. La Muerte is unaware that Xibal‐
ba tips the scales in his favor by slip‐
ping the Medal of Eternal Life to
Joaquín, which gives the young boy a
distinct advantage over his would‐be
challengers in years to come.
Soon after the Day of the Dead,
María, Manolo, and Joaquín release a
group of animals awaiting slaughter
to run wild through the village. Infu‐
riated, María’s father, General Posada,
sends María away to a convent in
Spain to learn how to “behave like a
real lady”. It is not until many years
later that María, now a young woman,
returns to San Ángel. While she was
gone, Manolo has become a reluctant
bullfighter in fulfillment of his father’s
wishes and his family’s legacy, despite
his true passion for music. Joaquín, en‐
dowed with the Medal of Eternal Life,
has become a revered hero and has
subsequently won General Posada’s
favor as protector of the village and as
a future husband for María.
María is not swayed by Joaquín’s
marriage proposal, and the film’s love
triangle is fully realized when Manolo
serenades María and professes his love
to her. The plot takes a Romeo and Juliet‐
esque turn when Xibalba releases a
snake that bites María while she and
Manolo are together. Thinking that the
snakebite has killed her, Manolo agrees
to be bitten by the snake so that he can
be with María in the realm of the dead.
However, the snakebite María receives
merely puts her in a coma, while
Manolo’s snakebite kills him. With
Manolo dead, Xibalba declares victory
over La Muerte—as there is no longer
137
INTERJULI
01 I 2015
any possibility for the young man to
marry María—and banishes her to the
Land of the Forgotten.
Manolo’s death brings us to the
Land of the Remembered, which
Xibalba has taken control of since he
won his bet with La Muerte. After re‐
uniting with a long line of his de‐
ceased family members, including his
mother, Manolo and his family are de‐
termined to appeal to La Muerte in
the Land of the Forgotten and inform
her of Xibalba’s cheating. The group
overcomes a number of challenges to
find The Candlemaker (Ice Cube),
overseer of the realm of the living and
keeper of The Book of Life, who gives
them access to the Land of the Forgot‐
ten. There they meet La Muerte and
expose Xibalba’s lies. Manolo and his
family are eventually granted their
lives by Xibalba. The group returns to
San Angel to help defend the village
against an attack that disrupts María’s
and Joaquín’s wedding. Xibalba and
La Muerte reconcile, and María and
Manolo wed. As the film closes, Mary
Beth, the museum tour guide, and a
museum guard bid the school chil‐
dren farewell. As their school bus
pulls away, guard and tour guide re‐
veal themselves as La Muerte and
Xibalba, and the Candlemaker en‐
courages us to write our own life
stories.
In addition to being a celebration of
Mexican folklore and magical realism,
and a reminder of our own mortality,
The Book of Life subtly attempts to resist
gender stereotypes. For example,
María and La Muerte are depicted as
strong‐willed and “feisty” women,
who try to resist societal expectations of
women to “behave”. Similarly, Manolo
pushes back against his father’s defini‐
tion of what it means to be a “Sánchez
man” and bullfighter, as he pursues his
passion for music. Throughout the film,
we see the guitar that María gave
Manolo before she left for Spain in‐
scribed with the words, “Always play
from the heart”. In the end, Manolo
finds that he can follow his heart and
still earn his family’s love and respect.
Beyond its subtle attempts to resist
gender stereotypes, the film reinforces
cliché notions of love and marriage.
Aside from their having been child‐
hood friends, there is really no strong
case presented as to why María should
fall in love with either Manolo or
Joaquín so quickly. While María re‐
sists Joaquín’s notion of marriage as a
woman’s servitude to a man in return
for his protection, the film both touts
and relies on marriage as an ultimate
expression of love and a goal to which
we should aspire. Perhaps we can
seek some solace in knowing that
María and Manolo married for love,
138
REZENSIONEN/REVIEWS
even if their love story does not seem
substantial.
From a production standpoint, The
Book of Life walks the line between indie
film and mainstream blockbuster, by
employing both well‐known and lesser‐
known actors from both Latina/o and
non‐Latina/o backgrounds. Its sound‐
track (Gustavo Santaolalla) seems to fol‐
low the lead of the hugely successful
Shrek films, by mixing original music
with reimagined pop‐songs. However,
this hybrid of music styles feels forced
and detracts from the texture of the
film. While it could be argued that this
hybrid approach to the soundtrack is an
attempt to modernize Mexican folklore
and help younger viewers better relate
to the film, the vibrant 3D Mexican
folk art‐inspired visuals and expres‐
sive, marionette‐like characters more
effectively serve that purpose.
Despite its overly subtle attempts at
resisting gender stereotypes, its cliché
love story, and soundtrack that often
feels out of place, The Book of Life depicts
a world that allows the growing popu‐
lation of Mexican‐American children to
celebrate the artistry of Mexican culture,
hear dialogue peppered with Spanish
words, and see Mexico as front and cen‐
ter in mainstream film. It also invites
children from non‐Mexican back‐
grounds to immerse themselves in a new
and exciting world that celebrates the
importance of family and revives Mexi‐
can folklore in a way that is accessible to
younger audiences. We should look for‐
ward to future films by Mr. Gutiérrez,
and hope that The Book of Life has opened
the door for other Latina/o filmmakers to
make their mark on U.S. and European
film markets for children and adults alike.
Kristin M. Larsen
Sekundärliteratur
Hannah Köpper und Sacha Szabo
(Hg.). P L AY M O B I L ® D U R C H ‐
LEUCHTET: WISSENSCHAFT‐
L I C H E A N A LY S E N U N D D I A ‐
G N O S E N D E S W E LT B E K A N N ‐
TEN SPIELZEUGS. Marburg: Tec‐
tum, 2014 (Studien zur Unterhal‐
tungswissenschaft 7). 160 S.
2014 feierte Playmobil, die bunte Mi‐
niaturplastikwelt der Zirndorfer
Firma geobra Brandstätter, den 40.
Geburtstag. Im Jubiläumsjahr er‐
schien der nun vorliegende Band, der
wohl die erste wissenschaftlich ori‐
entierte Aufsatzsammlung zu Play‐
mobil in deutscher Sprache darstellt.
139
INTERJULI
01 I 2015
Insofern erfüllt der 160 Seiten
schmale Band ein Desiderat.
Die kurzen Aufsätze (10–20 Seiten)
werden von Interviews und farbigen,
die Themen des Buches reflektieren‐
den Cartoons (von www.figurbetont.de)
aufgelockert – eine nette Idee, die
manchem Sammelband guttäte. Inter‐
viewt wurden die geobra‐Geschäfts‐
führerin, des Weiteren ein „neun‐
jähriges Mädchen aus Zweibrücken“,
ein „Forenbetreiber für Playmobil‐
sammler und ‐spieler“, ein „(ehema‐
lige[r]) Sammler und Playmobil‐
Begeisterte[r] aus Saarbrücken“ sowie
zwei Museumsverantwortliche (vom
archäologischen Landesmuseum in
Konstanz, das jeweils zur Weihnachts‐
zeit eine Ausstellung mit Playmobilfi‐
guren illustriert, und vom Jungen
Museum Speyer, wo die Jubiläums‐
ausstellung stattfand). Die Interviews
erscheinen als ‚Zusatzmaterial’ neben
den Aufsätzen, ohne aber selbst zum
Untersuchungsgegenstand zu wer‐
den; ebenso ist im Anhang die Play‐
mobil‐Patentschrift kommentarlos
abgedruckt. Im Folgenden werden
nur die wissenschaftlichen Aufsätze,
die aus verschiedenen Disziplinen
stammen, berücksichtigt.
Ein kurzer Überblick der Heraus‐
geberschaft über die Firmengeschichte
und die Entwicklung von Playmobil
eröffnet den Band. Anschließend fo‐
kussiert Anselm Geserer sozusagen
auf die ‚Grundlage‘ des Gegenstands,
den Aspekt des (Kinder‐)Spiels. Er
setzt Playmobil in Beziehung zu ein‐
schlägigen Theoretikern wie Piaget
und Mead für das kindliche Spiel,
Caillois und Huizinga für die Katego‐
risierung des Spiels. Playmobil als Rol‐
lenspiel ist mit den Begriffen Caillois’
vor allem als Mimikry zu klassifizie‐
ren und gilt als grundsätzlich fiktives
Spiel als nicht‐geregelte Spielform.
Hannah Köpper legt dar, wie das
Playmobil‐Programm durch seine
stete Ausdifferenzierung Modernisie‐
rungsprozesse widerspiegelt, nament‐
lich Individualisierung, Differen‐
zierung und Pluralisierung von Le‐
bensstilen. Dabei ist Differenzierung
Playmobil als Systemspielzeug imma‐
nent, dies führe aber auch zu einer Be‐
schränkung: Indem die einzelnen
140
REZENSIONEN/REVIEWS
Figuren durch ihre Gestaltung auf
eine Funktion festgelegt würden und
somit nicht mehr austauschbar seien,
erführen sie eine „Entzauberung“ (44)
und Kontingenz. Katharina Zeppe‐
zauer‐Wachauer verfolgt ein erstes
Mal die Entwicklung der Mittelalter‐
Spielwelt. Obschon eine „erstaunliche
realitätsnahe Umsetzung“, wird v. a.
auch durch Umgebungselemente das
Mittelalter geradezu inszeniert. Auch
sie erkennt in der wachsenden Detail‐
verliebtheit zwar ein „verbessertes Ge‐
schichtsverständnis“, aber auch ein
„Imaginationshemmnis“ (61). Bestand
das Mittelalter zunächst aus eher bür‐
gerlichen Szenen, ging man später
zum Ritterleben über, bevor ab Mitte
der 90er‐Jahre fantastische Elemente
hinzukamen.
Yvonne Niekrenz geht es um
körpersoziologische Fragestellungen.
Durch die ‚Evolution‘ der Figürchen
zu immer detaillierteren Körpern
(Busen, Schmerbäuche, Frisuren etc.)
würden diese „immer mehr Stellver‐
treter realer Körper“ (76). Obwohl
die Figürchen im (anthropologisch‐
soziologischen) Sinne Plessners kei‐
nen Körper haben, da ihnen Be‐
wusstsein fehlt, vermitteln sie ein
menschliches Körperbild, während
das Kind im Spiel die eigene Bewe‐
gungsfähigkeit trainiert und zuneh‐
mend erkennt, wie eingeschränkt die
Playmobil‐Bewegungsmöglichkeiten
(Stehen, Sitzen, Greifen etc.) sind.
In einem eher humoristisch zu nen‐
nenden Essay spekuliert Sacha Szabo,
warum Playmobilfiguren keine Nase
haben. Ausgangspunkt ist die Umdre‐
hung des anthropozentrischen Blicks,
die das Objekt als Aktanten (nach La‐
tour) begreift. Die Nasenlosigkeit sieht
Szabo letztlich in Zusammenhang
damit, dass die Figuren keine Ge‐
schlechtsorgane hätten. Da sie tech‐
nisch (re‐)produziert würden („Wie
aber entstanden nun die Playmobil‐
kinder? Die Antwort ist ganz einfach
und doch kompliziert: durch Spritz‐
guss“ (93)), wären Geschlechtsorgane
auch überflüssig. Insofern seien die
Plastikfiguren der „menschlichen Re‐
produktion überlegen“, da sie viel we‐
niger Zeit brauchten, um sich weltweit
zu verbreiten (94).
Manuel Lorenz untersucht ein
zweites Mal das „playmobile Mittelal‐
ter“. Er arbeitet anhand verschiedener
Themenkomplexe heraus, was für ein
Mittelalterbild entworfen wird. Be‐
merkenswerterweise fehlt die Geist‐
lichkeit völlig (die in anderen Spiel‐
welten durchaus vertreten ist); die
Vielfalt der Produktpalette bleibt „epi‐
sodenhaft“ (106). Einzige Konstante
ist die Burg, zunächst als Teil des
Stadtlebens, dann als Teil zweier
Kampfparteien, was der Maxime
141
INTERJULI
01 I 2015
„keine Gewalt‐ und Horrorszenarien“
des Erfinders Hans Beck widerspricht.
Darijana Hahn erweitert den Ge‐
genstandsbereich, indem sie Playmo‐
bil als Illustrationsobjekt betrachtet.
Ihre zahlreichen Beispiele zeigen:
„Playmobilfiguren kommen universal
zum Einsatz“ (124). Warum das so ist,
illustriert sie mit Aussagen diverser
Gesprächspartner. Letztlich gibt es
zwei Erklärungen: Zum einen ist die
Spielzeugwelt positiv besetzt und
man kann fast alles damit nachstellen,
zum andern lässt sich diese Beliebt‐
heit als Zeichen einer „Infantilisie‐
rung“ der überalterten Gesellschaft
(128) interpretieren. Abschließend be‐
trachtet nochmals Sacha Szabo die
Entwicklung der Frauenfigürchen, in
der er Parallelen zur kindlichen Gen‐
dersozialisation erkennt. Playmobil
scheint dabei dem Trend zu folgen:
Prinzessinnen für Mädchen (rosa ver‐
packte Mädchensets gibt es seit ca.
1990) – Krieger für Jungs. Die ersten
Frauenfiguren entsprachen eher un‐
tergeordneten, oft häuslichen Rollen‐
bildern. Seither hat klar eine
Emanzipation stattgefunden, doch
bleibt ein traditionelles Familienbild
dominant.
Die Beiträge sind durchwegs infor‐
mativ und mehrheitlich schlüssig, bie‐
ten teils interessante, teils jedoch eher
belanglose Ansätze. Dazu ist freilich
zu bemerken, dass die Reihe „Unter‐
haltungswissenschaft“ ein besonderes
Ziel verfolgt: Sie will, wie der Home‐
page des von den Herausgebern be‐
triebenen (selbsternannten) „Instituts
für Theoriekultur“ zu entnehmen ist
(www.institut‐theoriekultur.de, Abruf
16. 9. 2014), nicht nur Wissenschaft von
der Unterhaltung, sondern auch Wis‐
senschaft als Unterhaltung sein. Diese
soll – gemäß Beschreibung der Reihe
im Verlagsprogramm (Tectum Wis‐
senschaft, Frühjahr 2014, 12) – ein „Ge‐
genentwurf zur ‚ernsten‘ Wissen‐
schaft“ sein und Spaß machen, laut
Homepage aber trotzdem den „An‐
sprüchen an eine solide und seriöse
Wissenschaft“ genügen.
Einer Publikation mit diesem Ziel
kann man durch eine wissenschaftlich
orientierte Lektüre wohl nicht ganz ge‐
recht werden. Tatsächlich habe ich
mich bei der Lektüre eben jener ‚erns‐
ten‘ Wissenschaft schon besser unter‐
halten gefühlt als bei diesem Band. Die
wissenschaftliche Leserin vermag der
Band unterm Strich nicht restlos zu be‐
friedigen: Wohl auch wegen der Text‐
kürze gibt es einige Oberflächlich‐,
Widersprüchlich‐ und Ungenauigkei‐
ten zu konstatieren. Gewisse Annah‐
men scheinen an mehreren Stellen auf,
ohne je hinterfragt zu werden. So
werden mehrfach Kundenwünsche als
Begründung angeführt, was aber
142
REZENSIONEN/REVIEWS
jeweils sehr diffus bleibt. Ebenfalls ist
mehrfach ein Bedauern auszumachen,
die im Lauf der Zeit zunehmende De‐
tailliertheit beschränke die spieleri‐
sche Fantasie, ohne dass je vertiefter
darauf eingegangen würde. Wenn an
mehreren Stellen ohne nähere Erläute‐
rung behauptet wird, die ersten
(männlichen) Figürchen seien „ge‐
schlechtsneutral“ (13, ähnlich z. B. 44,
138) gewesen, so ist das ärgerlich bis
empörend, da damit die letzten Jahr‐
zehnte Genderforschung schlicht
ignoriert werden. Aus wissenschaftli‐
cher Sicht ist es zudem eine Unart, bei
Theorietexten nirgends das Erster‐
scheinungsjahr anzugeben. Hier wäre
wohl seitens des Verlags ein strenge‐
res Regime angebracht (und ein zu‐
sätzlicher, stilsicherer Lektorats‐ bzw.
Korrektoratsdurchgang hätte auch
nicht geschadet).
Eine Hinweisseite zu Beginn des
Playmobil‐Bandes beschreibt das Un‐
ternehmen „Institut für Theoriekul‐
tur“ als „Theoriedienstleister“, der
„Phänomene und Artefakte der sozia‐
len Wirklichkeit“ behandle. Indem ein
Gegenstand „aus Expertensicht“ be‐
schrieben werde, werde diesem „eine
kulturelle Tiefe verliehen“ (7). Ent‐
sprechend betonen mehrere Beiträge,
dass Playmobil „nicht nur ein Spiel‐
zeug“, sondern „Spiegelbild der Ge‐
sellschaft“ (46) bzw. gesellschaftlicher
Prozesse und Diskurse sei – was für
Kulturwissenschaftler kaum überra‐
schend sein dürfte. (Vor diesem Hin‐
tergrund fragt sich, ob es Zufall ist,
dass gerade die Mittelalterwelt, die als
historische wohl am deutlichsten
einen didaktischen Anspruch hat, als
einzige Spielwelt separat betrachtet
und gleich mit zwei Aufsätzen be‐
dacht wird.) Auf der genannten
Homepage wird ersichtlich, dass dies
letztlich das Verkaufsargument ist:
Angeboten wird nämlich Wissen‐
schaft als unkonventionelle Werbung
(„unabhängige Wissenschaft ist die
beste Image PR [sic!]. Ihr Produkt
wird plötzlich für das Feuilleton und
den Kulturteil interessant“). Dies wirft
die Frage auf, ob Playmobil den Band
finanziell unterstützt hat – deklariert
wird jedenfalls nichts dergleichen,
verdankt wird nur die Unterstützung
bei Problemen. Dass die wissenschaft‐
liche Beschäftigung einem Gegen‐
stand zu einer Ansehenssteigerung
verhelfen kann, ist nicht zu leugnen,
jenem Gegenstand aber durch die wis‐
senschaftliche Auseinandersetzung
eine „kulturelle Tiefe“ erst „verleihen“
zu wollen, ist aber doch erstens frag‐
würdig und hat Playmobil zweitens
nicht nötig.
Ein Geschäftsmodell, das die
philosophischen Fächer privatwirt‐
schaftlich zu nutzen vermag, und ein
143
INTERJULI
01 I 2015
Playmobilbuch möchte man eigentlich
loben. Doch ist zumindest das vorlie‐
gende Buchprodukt aus wissenschaft‐
licher Perspektive keine überzeugende
Visitenkarte. Mit diesem Band jeden‐
falls wird Playmobil, trotz einiger inter‐
essanter Ansätze, entgegen dem Titel
keineswegs durch‐, sondern allenfalls
beleuchtet. Zu hoffen bleibt, dass dies
den Anfangspunkt einer vertieften wis‐
senschaftlichen Auseinandersetzung
mit Playmobil markiert.
Aleta‐Amirée von Holzen
Emer O’Sullivan/Dietmar Rösler.
KINDER‐ UND JUGENDLITE‐
R ATUR IM FREMDSPRACH‐
ENUNTERRICHT.
Tübingen:
Stauffenburg, 2013. 229 S.
Mit dem in der Reihe „Stauffenburg
Einführungen“ erschienenen Basis‐
werk zum Einsatz von Kinder‐ und
Jugendliteratur (KJL) im Fremdspra‐
chenunterricht (FU) legen O’Sullivan
und Rösler einen soliden Grundstein
für eine weitere Annäherung von KJL
und Fremdsprachendidaktik. In einer
gelungenen Mischung aus Theorie
und Praxis versuchen sie nicht nur,
(zukünftigen) Lehrenden und deren
Ausbildenden die Aueinanderset‐
zung mit KJL im FU schmackhaft zu
machen, sondern zeigen auch gekonnt
praktische Möglichkeiten auf, mit
deren Hilfe sich KJL‐Texte didaktisch
aufbereiten lassen.
Das Einführungswerk lässt sich
grob in drei Teile untergliedern: Die
ersten drei Kapiteln befassen sich mit
dem theoretischen und definitorischen
Rahmen von KJL im FU. In Kapitel
eins („Lesen“) werden dabei vor allem
psycholinguistische Erkenntnisse zum
(fremdsprachlichen) Leseprozess und
der Lesesozialisation aufbereitet und
die Interaktion zwischen z.B. Ge‐
schlecht und Lesen, von Motivation
und Kompetenz sowie der Bedeutung
von Peers beleuchtet. Kapitel zwei
(„Kinder‐ und Jugendliteratur“) bietet
einen konzisen Einblick in die KJL‐
Forschung, dessen recht grundlegen‐
der Charakter gut auf die Zielgruppe
abgestimmt ist. Insbesondere die um‐
fangreichen, erläuterten Literatur‐
und Linktipps zur KJL‐Forschung
sind hier positiv hervorzuheben. Dass
144
REZENSIONEN/REVIEWS
fremdsprachige
Fachzeitschriften
nicht aufgeführt sind, wird mit dem
Verweis auf die extensive Online‐
sammlung der IRSCL wettgemacht
(www.irscl.com/journals.html). Kapi‐
tel drei („Warum überhaupt Literatur?
Und welche Texte?“) befasst sich mit
der vor allem innerhalb verschiedener
fremdsprachendidaktischer Strömun‐
gen heiß diskutierten Frage nach der
Sinnfälligkeit des Einbezugs von (All‐
gemein‐)Literatur in den FU (gerade
der Drittsprachen) und erläutert
schlüssig, wenn auch etwas knapp und
theoretisch nicht immer unterfüttert,
welche Vorteile der Einsatz von Litera‐
tur beim (Fremd‐)Spracherwerb hat.
Wie aus den Titel der drei einlei‐
tenden Kapitel schon ersichtlich wird,
setzt Kinder‐ und Jugendliteratur im
Fremdprachenunterricht sehr niedrig‐
schwellig an. Dies ist dem Reihenfor‐
mat („Stauffenburg Einführungen“)
zwar prinzipiell sicher angemessen;
da aber davon ausgegangen werden
kann, dass sich LeserInnen vor allem
aus dem Bereich der im FU Tätigen re‐
krutieren, hätten einzelne Aspekte wie
z.B. die Einführung in lesetheoretische
Zusammenhänge durchaus knapper
ausfallen dürfen, zumal sie tatsächlich
nur einführenden Charakter haben
und wenig in die (theoretische) Tiefe
gehen. Bedauerlicherweise ist auch die
hier zitierte Sekundärliteratur älteren
Datums. Besonders die beiden Studien
zur Lesesozialisation aus dem Jahr 1993,
die jedoch nur einen Seitenarm der Dis‐
kussion beleuchten und nicht texttra‐
gend sind, wären sinnvollerweise
durch neuere Forschung ersetzt wor‐
den. Deutlich besser ist der Spagat
zwischen Einführungstext und theore‐
tischer Ausführung im verständlichen,
gleichzeitig aber nicht komplexitäts‐
reduzierenden Kapitel zwei zur KJL
gelungen.
Kapitel vier bis sieben bilden einen
zweiten Teil der Auseinandersetzung
mit KJL im FU, indem sie im weitesten
Sinne Fragen der Textauswahl behan‐
deln. Kapitel vier („Original oder di‐
daktische Adaption?“) befasst sich
dabei mit der grundlegenden Frage
nach der didaktischen Bearbeitung
der ausgewählten Texte. Ein Manko
des Buches, auf das später noch zu‐
rückgekommen wird, tritt hier bereits
zu Tage: Die zum Teil heftig geführte
Diskussion um die Frage der Werk‐
treue bzw. Verwendung wird zwar
schlüssig und informiert wiedergege‐
ben, die praktische Konsequenz dar‐
aus bleibt jedoch recht vage. So
konstatieren Autor und Autorin:
145
Wenn es [Adaptionen] gelingt,
deren Qualität annähernd beizu‐
behalten, dann ist es wohl sinnvol‐
ler, statt der Frage nach dem „Ob“,
vor allem die nach dem „Was“ und
INTERJULI
01 I 2015
„Für wen“ zu stellen, nach dem
lernern‐ und lernzielabhängigen
Einsatz von Adaptionen: Für wel‐
che Gruppe von Lernenden mit
welchen Sprachlernvoraussetzun‐
gen, auf welchem Sprachstand, mit
welchen Lernzielen usw. ist wel‐
che Fassung welcher Texte die
angemessene Herausforderung? (60),
geben jedoch keine konkreten Hand‐
lungsanleitungen zum Umgang bzw.
der möglichen praktischen Lösung
dieser Fragen, die sicherlich hilfreich
gewesen wären. Besser gelöst ist diese
Problematik im nächsten Kapitel
(„Ganzschrift oder Textarbeit mit Aus‐
schnitten?“), in dem die theoretischen
Auseinandersetzung mit der Diskus‐
sion durch eine Auswahl an Praxisbei‐
spielen z.B. zum angeleiteten Lesen
von Maikäfer flieg! (Christine Nöstlin‐
ger) und weitere didaktische Annähe‐
rungen ergänzt wird. Ähnlich praxis‐
orientiert geht Kapitel sechs („Das
Alter der Lernenden und die Adressie‐
rung der Texte“) vor, das nicht nur die
verschiedenen Arten der Adressie‐
rung von KJL aufzeigt, sondern die
Unterscheidung zwischen Kinderlite‐
ratur und Jugendliteratur auch dahin‐
gehend vorantreibt, als sie diesen unter‐
schiedliche didaktische Impulse und
Impeta anheimstellt. Auch die Überle‐
gungen zum Einsatz von Kinderlitera‐
tur in der Erwachsenenbildung sind,
obwohl sie viele RezipientInnen des
Buches wahrscheinlich nicht direkt be‐
treffen mögen, durchgehend interes‐
sant und fundiert belegt. Im Kapitel
sieben („Hybride Texte im Fremdspra‐
chenunterricht“) liegt der Fokus auf
zwei für den FU besonders relevanten
Textsorten, nämlich dem Bilderbuch
und der zweisprachigen Literatur, für
die Autor und Autorin nicht nur in
akademischer Hinsicht ausgewiesene
ExpertInnen sind (vgl. ihre kinder‐
und jugendliterarischen Publikatio‐
nen, u.a. I like you – und du?, 1983,
Mensch, be careful!, 1986, oder Switch –
wer ist hier wer?, 2008).
Kapitel acht bis zwölf befassen sich
schließlich explizit mit methodischen
und unterichtsorganisatorischen Fra‐
gestellungen. Kapitel acht („Methodi‐
sche Überlegungen“) führt dabei kurz
in drei unterschiedliche Ansätze der
Literaturdidaktik ein (handlungs‐ und
produktionsorientierte Literaturdi‐
daktik, multiliteracy und visual literacy
sowie performatives Lernen), die je‐
weils mit möglichen Aufgaben im FU
illustriert werden. Kapitel neun zu
„Kinder‐ und Jugendliteratur und die
Fertigkeiten“ konzentriert sich nicht
nur auf das im – in der KJL häufig
anzutreffenden – Medienverbund ge‐
förderte Medienverstehen, sondern
führt außerdem in die Themen Lese‐
verstehen und den Zusammenhang
zwischen Hören, Sprechen und
146
REZENSIONEN/REVIEWS
Schreiben, die jeweils wiederum mit
praktischen Ideen für den FU angerei‐
chert sind. Zwei speziellen Aspekten
von Literatur im FU, nämlich der
Spracharbeit und der Landeskunde,
widmet sich Kapitel zehn, in dem die
mögliche gewinnbringende Rolle der
KJL bei grammatikalischen und
sprachbasierten Herausforderungen
und landeskundlichen Themen her‐
ausgearbeitet wird. Kapitel elf („Kin‐
der‐ und Jugendliteratur in Projekten
und im fächerübergreifenden Unter‐
richt“) erläutert, geleitet von einem
praxisbezogenen Theorieverständnis,
inwiefern sich KJL besonders für eben
diese Unterrichtsformen eignet. Das
Buch endet etwas abrupt nach Kapitel
zwölf zur „Kinder‐ und Jugendlitera‐
tur in der Lehrerfortbildung“; ein zu‐
sammenfassendes und/oder Ausblick
gebendes Kapitel fehlt leider. Auch
das letzte Kapitel selbst ist etwas kurz
geraten, was insbesondere in Anbe‐
tracht der Schwierigkeiten von KJL‐
Forschung, innerhalb der akade‐
mischen Welt Fuß zu fassen und somit
auch im fremdsprachendidaktischen
Zusammenhang Einfluss geltend zu
machen, bedauerlich ist.
Laufende Verweise auf in nachfüh‐
renden Kapiteln behandelte Themen
erwecken zwar zum Teil den Eindruck,
noch nicht wirklich im Lehrbuch
angekommen zu sein, sind aber sehr
hilfreich für das strukturierte Lesen
und spätere Nachschlagen. Insgesamt
zeichnet sich das Buch durch eine im
Verlauf zunehmende Praxisorientie‐
rung aus. Es ist dabei vor allem dort
stark, wo es mit Beispielen aus der
Praxis angereichert ist, z.B. im Kapitel
zur Multimedialität und natürlich ins‐
besondere im Kapitel über die metho‐
dischen Möglichkeiten, die die Ein‐
beziehung von KJL in den FU bietet.
Im Umkehrschluss wäre allerdings
auch ein stärkerer Praxisbezug (oder
alternativ eine stärkere theoretische
Fokussierung) in den einleitenden Ka‐
piteln wünschenswert gewesen. Ein
Beispiel für die sich aus der scheinbaren
Unentschlossenheit in der theoreti‐
schen und/oder praktischen Ausle‐
gung dieser Kapitel ergebenden
Unschärfe bieten die Kriterien zur
Textauswahl (Kapitel 3.2, 47–58). Ei‐
nerseits erfüllen diese ein wichtiges
Desiderat, gleichzeitig bleiben sie je‐
doch recht abstrakt und theoretisch,
insbesondere wenn man davon aus‐
geht, dass die Zielgruppe aus Lesen‐
den besteht, die wenig Erfahrungen
mit KJL haben und dementsprechend
überfordert von der Textauswahl sein
könnten. So verbleibt gerade zu Be‐
ginn vieles im Grenzbereich zwischen
Theorie und Praxis. Besonders über‐
zeugend ist das Buch deshalb auch
immer dann, wenn gezielt didaktische
147
INTERJULI
01 I 2015
Vorschläge aufbereitet werden, so wie
bei den Darstellungen von Unterrichts‐
modellen zu ausgewählten Ganz‐
schriften in Kapitel fünf und den
Kapiteln neun bis elf, die dezidiert pra‐
xisrelevant sind. Mit Kinder‐ und Ju‐
gendliteratur im Fremsprachenunterricht
ist O’Sullivan und Rösler insgesamt
eine fundierte und umfassende Ein‐
führung zum Einsatz von KJL im FU
geglückt, die hoffentlich viele ebenso
engagierte LeserInnen finden wird.
Marion Rana
Caroline Roeder (Hg.). TOPOGRA‐
PHIEN DER KINDHEIT: LITERARI‐
SCHE, MEDIALE UND INTERDIS‐
ZIPLINÄRE PERSPEKTIVEN AUF
ORTS‐ UND RAUMKONSTRUKTIO‐
NEN. Bielefeld: transcript, 2014. 398 S.
Im Zuge des spatial turns wurden li‐
terarische Orte und Räume zum viel
beachteten Gegenstand, die nicht nur
bloße Handlungskulisse, sondern
mit sozialen, kulturellen und diskur‐
siven Einschreibungen verbunden
sind. Der von Caroline Roeder her‐
ausgegebene Band legt den Grund‐
stein für eine fundierte Erforschung
der KJL aus topographischer Perspek‐
tive, denn die enge Verschränkung
von Kindheit und Jugend mit spezi‐
fischen Raumkonstruktionen wurde
bisher wenig beachtet und wird nun
erstmals umfassend untersucht.
In ihrer konzisen Einleitung steckt
Caroline Roeder stimmungsvoll die
theoretischen Koordinaten des Bandes
ab, diskutiert knapp und bündig die
aktuelle, aber sehr vielfältige For‐
schungslage zum spatial turn und stellt
die einzelnen Beiträge, die es sich zur
Aufgabe gemacht haben, „die Räume
von Kindheit und Jugend neu zu ver‐
messen“ (16) vor. Dies, das sei vor‐
weggenommen, gelingt dem Band auf
sehr überzeugende Weise. Die zwan‐
zig fachwissenschaftlichen Artikel
werden dabei ergänzt um eine litera‐
rische Erinnerung an Kindheitsräume
von Jenny Erpenbeck und ein Künst‐
lergespräch Christine Treschs mit
Peter Bichsel über das „Ausprobieren,
wie es wäre, wenn es nicht so wäre,
wie es ist“ (271).
148
REZENSIONEN/REVIEWS
Die Beiträge sind in drei sinnvolle
Abschnitte gegliedert, die sich ver‐
schiedenen Schwerpunkten widmen,
dabei aber vielfältige Bezüge herstellen
und Perspektiven eröffnen: „Erinnerte
Kindheiten“, „Handlungsräume der
Kindheit“ und „Imaginationswelten
der Kindheit“. Sichtbar wird bereits
darin, wie eng Aspekte des Raumes
bzw. der Raumkonstruktion mit ande‐
ren Diskursen verschränkt sind und
auf welchen vielseitigen Schnittstellen
sich Fragen nach dem Raum bewegen.
Diese Beobachtung untermauern die
Beiträge weiter, die sowohl historische
Dimensionen und diachrone Entwick‐
lungslinien nachzeichnen als auch ak‐
tuelle Phänomene beleuchten, dabei
erinnerungskulturelle Perspektiven er‐
öffnen, interkulturelle Vergleiche zie‐
hen und nach der Wirkmacht von
Raum, Medialität und Gender fragen.
Burkhardt Lindner zeigt in seinem
anschaulichen Beitrag, wie sich die
erinnerungstheoretischen Analysen
Freuds in Walter Benjamins Berliner
Kindheit um Neunzehnhundert nieder‐
schlagen und als poetologische und
narrative Reflexionen über Kindheit
gelesen werden können, die eng mit
topographischen Dimensionen ver‐
schaltet sind. Carsten Gansel be‐
handelt ebenfalls die Frage nach
dem erzählerischen Modus erinnerter
Kindheit(en) und stellt erneut sein
umfassendes Modell zur Einteilung
dieser verschiedenen narrativen Kon‐
struktionen vor. Wünschenswert wäre
eine deutlichere Fokussierung auf
räumliche Aspekte gewesen, die hier
zugunsten der Gedächtnistheorie aus‐
gespart wurden. Dass die Symbiose
beider Ansätze fruchtbar sein kann,
bleibt so nur zu erahnen, deutet sich
in Jenny Erpenbecks Beitrag aber per‐
manent an, wenn sie das Spannungs‐
feld von Erinnerung und Raum
thematisiert:
Es waren Orte, die Landschaften
waren, mitten in der Stadt. Spät erst
habe ich verstanden, dass auch das,
was meinem kindlichen Blick ver‐
traut war, in Wahrheit eine zer‐
störte andere Zeit war, die der
neuen im Hals steckt, bevor sie end‐
lich ausgespuckt werden kann. (34)
Den medialen Aspekt erinnerter
Kindheit(slandschaften) reflektieren
die beiden letzten Beiträge der ersten
Sektion. Barbara Piatti diskutiert das
Potenzial literaturkartographischer
Verfahren für die Textanalyse und
stellt insbesondere die Funktion soge‐
nannter „projizierter Orte“ heraus.
Die ausdrückliche Medialität von er‐
innerten Kindheiten beleuchtet Ingrid
Tomkowiak und zeigt, wie sich diese
vor allem mit Lektüreerinnerungen
analogisieren, wenn Text‐, Bild,
Film‐ und/oder Musikfragmente im
Beispiel von Umberto Ecos Die
149
INTERJULI
01 I 2015
geheimnisvolle Flamme der Königin Loana
zu einem virtuellen Kindheitsraum
verschmelzen.
Explizite Handlungsräume der
Kindheit analysieren die Artikel des
zweiten Kapitels „Himmel & Hölle“,
die von einem bebilderten Essay von
Hubert Sowa eingeleitet werden und
zunächst verschiedene Kindheitsorte,
vom Schulhof bis zum Baumhaus – im
doppelten Sinne des Wortes – zeigen.
Caroline Merkel vermisst die Vorstadt
als spezifische topographische Kon‐
stante des Erzählens von Jugend und
stellt sehr überzeugend heraus, wie
dieser vermeintlich uniforme und
nicht‐identitätsstiftende Raum über
verschiedene Textverfahren und Prak‐
tiken der Bewegung von jugendlichen
Akteuren angeeignet und mit eigener
Geschichte befüllt wird.
Der räumliche Fokus verengt sich
im Beitrag von Heidi Lexe und fokus‐
siert auf hervorragende Art und Weise
die Mikroebene des Kinderzimmers.
Die damit einhergehenden narrativen
Strategien der Territorialisierung – die
von Lexe in verschiedene Konzepte
der Topographieforschung eingebettet
werden – zeigen, dass mit dem Kin‐
derzimmer verschiedene Schwellen‐
übertritte verbunden sind und die Zu‐
und Ausgänge Entwicklungen spie‐
geln, aber auch die Verbindung zur
Familie unterstreichen und spätestens
in der Jugend mit ausdrücklichen
Ablösungsprozessen einhergehen.
Einem virtuellen Raum der Kind‐
heit widmet sich Matthis Kepser, der
anhand einer umfassenden Genealo‐
gie des Computer‐ und Videospiels
die vielschichtigen topographischen
und topologischen Ebenen des Gegen‐
stands andeutet und zu Recht für eine
weitere und umfassendere Untersu‐
chung plädiert, die diese Erkenntnisse
auch für didaktische Überlegungen
fruchtbar macht. Solchen explizit päd‐
agogisch‐didaktischen Raumprakti‐
ken gehen die drei folgenden Beiträge
nach: Nikola von Merveldt diskutiert
die philanthropische Anschauungs‐
pädagogik, die eng mit spezifischen
Erziehungsräumen verschaltet ist.
Den Spezialraum des Kindergartens
vermisst Roswitha Staege im Hinblick
auf Ordnungen und raumbezogene
Praktiken und Rüdiger Vogt unter‐
sucht in einer doppelten Perspektive –
linguistisch und literaturwissenschaft‐
lich – den sozialen und hierarchischen
Raum der Schule.
Den Abschluss des Kapitels bilden
zwei Beiträge, die sich den interkultu‐
rellen Implikationen von Räumen
widmen: Jan Hollm verfolgt die Frage,
wie der große internationale Erfolg
englischsprachiger KJL zu erklären
sei, und macht dafür spezielle topo‐
graphisch‐narrative Dimensionen aus,
150
REZENSIONEN/REVIEWS
die als Folie für Exotik und Fremdheit
gelesen werden können. Hybride
(inter)kulturelle Identitäten und deren
narrative Realisierung untersucht Ju‐
dita Kanjo und zeigt an verschiedenen
Beispielen, dass insbesondere Kind‐
heit und kindliche Protagonisten
häufig für gelungene kulturelle
Austauschprozesse idealisiert werden.
Die dritte und letzte Sektion wendet
sich verschiedenen imaginären Kind‐
heitswelten zu, die dabei nicht nur Di‐
mensionen der Fantastik streifen,
sondern auch realistisches Erzählen
und verschiedene Textverfahren der
Weltenerzeugung beleuchten. Zum
Auftakt analysiert Monika Schmitz‐
Emans das enge Verhältnis von Kind‐
heit, Orten und Autobiographie im
Werk von Jean Paul, das sich im perma‐
nenten Spannungsfeld von Mikro‐ und
Makrowelten bewegt. Als ein zentrales
Moment macht sie dabei die Prozesse
der Selbstbespiegelung vom Großen im
Kleinen aus, was sich sowohl in
der histoire als auch im discours auf
verschiedenen Ebene nachweisen lässt.
Den künstlerisch‐praktischen Erin‐
nerungsarbeiten an Kindheit widmet
sich Gundel Mattenklott, die in einem
ersten Schritt die Funktion kindlicher
Spiel‐ und Imaginationsräume ver‐
misst. Davon ausgehend stellt sie
Arbeiten von Studierenden vor, die
sich an verschiedenen Stufen von
Topographien der Erinnerung reflexiv
abarbeiten und sowohl die zentra‐
le Funktion von kindlichen Spielräu‐
men zeigen als auch die Prozesse von
Erinnerungsleistungen reflektieren.
Ulf Abraham widmet sich Raum‐
konzepten fantastischer KJL und
kommt zu den wenig überraschenden
Ergebnissen, die die symbolische Auf‐
ladung, die Bewegung durch und die
Verhandlung von Räumen als Spiegel
und Ventil kindlicher und jugendli‐
cher Entwicklungsprozesse festma‐
chen. Stefan Tetzlaff kann hingegen
sehr überzeugend zeigen, wie Fou‐
caults Konzept der Heterotopie als li‐
terarisches Textverfahren in den
Romanen Zoë Jennys zum Einsatz
kommt und welche Funktionen
damit einhergehen. Der heterotope
Raum zeigt sich hier als Versuch, ro‐
mantische Raumlogiken und Textu‐
ren aufzugreifen, die sich aber im rea‐
listischen Setting als nicht tragfähig
erweisen und das Vorhaben, eine
Heterotopie im Normalraum zu
installieren, scheitern lassen.
Dem Glück im Überfluss geht Ute
Dettmar nach und untersucht in ihrem
dichten und anschaulichen Beitrag das
Motiv des Schlaraffenlandes in seinen
kinderliterarischen Formen aus einer
diachronen Perspektive. Die mit dem
Raum des Schlaraffenlandes verbun‐
denen sozio‐kulturellen Implikationen
151
INTERJULI
01 I 2015
werden in die jeweiligen historischen
Kontexte eingebettet und verbunden
mit einem Blick auf die verschiedenen
Fortschreibungen, die detailliert bis zu
Walter Moers Blaubär‐Roman verfolgt
werden. Gabriele von Glasenapp un‐
tersucht die Raumfunktionen von „fer‐
nen Orten“ in der Jugendliteratur an
drei Beispielen aus verschiedenen Zeit‐
räumen. Dabei kann sie einleuchtend
sowohl die topographischen Konstruk‐
tionen und ihre Analogien und Diffe‐
renzen in einer diachronen Perspektive
nachzeichnen als auch die damit ein‐
hergehenden Konzepte von Jugend
darlegen. Den Abschluss des Bandes
bildet der Beitrag von Toni Tholen, der
sich ebenfalls der Phase der Jugend
widmet und dabei insbesondere auf
den aktuellen Adoleszenzroman fokus‐
siert. In der Verbindung zu „üblen
Orten“ werden dabei verschiedene ge‐
schlechtlich codierte Prozesse der Be‐
wegung in und Auseinandersetzung
mit Raum sichtbar, die einen wesentli‐
chen Teil der Subjektivierung und
Identitätsentwicklung ausmachen.
Der vorliegende Band leistet somit
einen wichtigen und fundierten Bei‐
trag zur Erforschung der KJL aus topo‐
graphischer Perspektive und spannt ein
weites Panorama an Einschreibungen,
Diskursen und Motiven, die mit Raum
verbunden sind, auf. Wie bereits die
Überschriften und der Titel andeuten,
liegt der deutliche Schwerpunkt der
Untersuchungen jedoch auf den Beset‐
zungen und Formen von Kindheitsräu‐
men. Daran anknüpfende Forschung
könnte nun vor allem auch die Bedeu‐
tungen, Funktionen und Verbindun‐
gen von der räumlichen Dimension
und Konstruktionen von Jugend be‐
leuchten – wie es in einigen Beiträgen
auch schon anklingt. Insgesamt wird
aber sichtbar, wie ergiebig die Ausein‐
andersetzung mit und die Untersu‐
chung von Raum in der KJL sein kann,
und der Band liefert somit hoffentlich
neue Impulse für weitere Analysen.
Anna Stemmann
Wickham Clayton/Sarah Harman
(eds.). Screening Twilight: Critical Ap‐
proaches to a Cinematic Phenomenon.
London: I.B. Tauris, 2014.
152
REZENSIONEN/REVIEWS
Those who pick up Clayton and Har‐
man’s 215+ page anthology might be
somewhat bewildered. Those who
like to start at the end might raise an
eyebrow at the dustcover endorse‐
ments, which were both penned by
Harman and Clayton’s own col‐
leagues. Those starting at the begin‐
ning might be struck by the
surprisingly defensive tone of the in‐
troductory sections. From the fore‐
word by Natalie Wilson (‘Seduced by
Twilight’, 2011) to the introduction it‐
self, the authors go out of their way
to show that Twilight is a phenome‐
non worthy of analysis. We learn of
brown paper bags used to disguise
editions of Breaking Dawn, of secret
movie nights held away from the
prying eyes and ridiculing sneers of
the department. And so the authors
have set out to make a point: that
analysing Twilight is nothing to be
ashamed of. Though considering
their own departments’ praises and
the growing mounds of secondary
Twilight literature, one might won‐
der whether this was a point that
truly needed making.
Regardless of the editors’ position,
Screening Twilight’s fifteen articles are
well worth reading in their own right.
The first section on ‘Genre and Recep‐
tion’ opens with an essay by Francesca
Haig (11–25). While she shares the
editors’ defensive tone (the aforemen‐
tioned paper bag was hers), Haig also
explains the phenomenon of “snark”,
an often‐overlooked area of fandom
which unites criticism and devotion,
in this case to Twilight, and which
allows for a mode of expression for
critical fans.
Those still wondering about the de‐
gree of defensiveness in the texts are not
the only ones who may find Mark Jan‐
covich’s article (26–39) illuminating, in
which he deals with the barely sublimi‐
nal chauvinism evident in the British
media’s reaction to the Twilight film
saga. Having read Jancovich’s analysis
of the underlying gender bias that in‐
forms the various criticisms, one might
at least understand how those interested
in the series might be on the defensive.
After these first two articles, Nia
Edwards‐Behi’s contribution (40–48)
poses something of a disappointment.
Her analysis of Twilight reception on
horror film websites such as bloody‐
disgusting.com seems both formulaic
and unsatisfying. While it is not hard
to accept her thesis that there is a con‐
nection between masculine stereotyp‐
ical thinking in the horror genre and
the antagonism its fans direct at Twi‐
light, her analysis remains somewhat
superficial and extremely short.
Screening Twilight editor Sarah Har‐
man’s own article (49–56) is similarly
153
INTERJULI
01 I 2015
brief, but more concise. She draws a
line between the hysterical con‐
sumerism of Twilight and its deriva‐
tives as well as its critical and often
misogynistic derision by the media,
and forerunner‐phenomena such as
the Beatles hype of the 1960s. Harman
attributes this to capitalist con‐
sumerism by which women are re‐
quired to adapt and distinguish
themselves within modern society.
While the first section deals with
Twilight’s reception within a patriar‐
chal system, the second section on
‘Creating and Subverting the Generic
Myth’ examines Twilight’s textual
roots: Judith Kohlenberger (59–73)
analyses the parallels between Twi‐
light and 19th century sentimental
women’s fiction. From her article we
learn that Stephenie Meyer and her
19th century counterparts share not
only a narrative structure, but were
also the focus of similar chauvinist
criticism. Caroline Ruddell (74–85)
meanwhile explores the similarities
between Twilight and fairy‐tales, as
well as its use of ambivalent Gothic el‐
ements. Comparing it to other modern
fairy‐tale adaptations (such as Carter’s
Company of Wolves, 1979), she shows
how Twilight takes on a clearly gender‐
affirming role and lacks the subver‐
siveness of its modern fairy‐tale
brethren.
In the last genre‐themed analysis,
volume editor Wickham Clayton (86–
94) dissects the cinematic rendition of
Edward’s absence in Jeff Weitz’ film
adaptation of New Moon. Clayton re‐
mains the only author in the volume
to specifically analyse cinematic
means of narration, and therefore
might be worth reading just on ac‐
count of that; however, his results are
equally interesting, especially regard‐
ing his insights into Bella’s character.
Conservative readers looking for
“traditional” readings amongst the
sections on media reception and genre
analyses will be happy to find that
part three, ‘Sexual Dysfunction and
Sexuality’ offers just that: Ruth O’Don‐
nell (97–113) opens the section with a
refreshingly psychoanalytical reading
of Twilight’s orality. Her findings are
likely to convince even non‐Freudians,
and her reading of Bella’s maternal is‐
sues is both harmonious and disturb‐
ing in the way that only psycho‐
analysis can be. Marion Rana’s article
(114–127) explores the driving force
between the Twilight protagonists’ ab‐
stinence and their suppressed desire.
Rana aligns this grey area of sexual
tension between Edward and Bella not
only with known SM dynamics, but
also with the teenage angst which Twi‐
light’s target demographic is all too fa‐
miliar with, and thus lays a finger on
154
REZENSIONEN/REVIEWS
the key dynamic of Twilight’s narrative
and selling power.
Mark R. Adams (128–136) seam‐
lessly continues Rana’s analysis of this
masochistic subcurrent in the Twilight
romance by analysing the ambiguous
straits of deviancy and conservative
sexual power structures, which Bella
and Edward navigate. Adams points
out that the text’s underlying
masochistic power structures might be
neither empowering nor disenfran‐
chising, but are inherently ambivalent.
From sexuality, the volume moves
on to politics: In part four, ‘The Poli‐
tics of Pallor’, Simon Bacon (139–150)
argues that the Cullens’ representa‐
tion of a white upper‐class family in
fact represents a subversion of that
said ideal. While this in itself is con‐
vincing, Bacon’s article omits whether
this is an intentional pastiche (which,
considering Meyer’s background,
would require some explanation), and
if not, what kind of subversion we are
dealing with exactly.
Ewan Kirkland’s analysis (151–163)
is more specific; Kirkland delineates
how the vampire has moved from
being a minority like the pseudo‐Jew‐
ish Dracula to becoming Blade and
Twilight’s modern “white” vampire
who is a member of the privileged
white upper class. For Kirkland, this
representation is so similar to its
model that it reflects the latter’s weak‐
nesses right down to sexual insecurity
and (self)control, indeed “queerness”,
which to Kirkland are all symptomatic
of the white condition.
This „queerness“ in Twilight’s sub‐
text is subjected to further analysis by
Justin Hunt (164–170), whose results
are particularly interesting for their
focus on the olfactory. For Hunt, Bella’s
scent is both medium and symbol of
her boundary crossings, between vam‐
pires and werewolves, sexual order
and “queerness”. Scent thus goes be‐
yond being a metaphor for attractive‐
ness and enticement to becoming a
challenge to existing structures.
While the previous sections (media
reception, genre, sexuality and norma‐
tivity) are general staples of media
studies, the final section, ‘Deviating
Fandom and Rewriting the Text’, pres‐
ents an excursion into the realm of fan‐
fiction. Brigid Cherry (174–186)
presents the results from the inter‐
views she conducted with authors of
AH (all‐human) fanfiction, who trans‐
late characters from the fantastical Twi‐
light universe into mundane settings.
This adaptation allows the authors to
take control of the protagonists by hav‐
ing them face real‐world problems,
which the authors themselves are
familiar with – thus adding to the
empowering function of fanfiction.
155
INTERJULI
01 I 2015
In the volume’s last article (187–204),
Bethan Jones casts light upon the recon‐
structive power of fanfiction, which al‐
lows female authors to transcend the
gender norms of patriarchal structures
by writing otherwise heterosexual char‐
acters into homosexual (“slash”) rela‐
tionships. In the case of Twilight – if we
follow Jones’ reasoning – this allows for
a particularly feminine reconstruction
and subversion of Stephenie Meyer’s
more conservative subtext.
If it was ever necessary to prove the
legitimacy of Twilight‐studies, Screen‐
ing Twilight does just that. Covering a
wide range of academic fields from es‐
tablished areas of study to relative
newcomers, the anthology shows that
Twilight provides rich findings for al‐
most any interest. What the collection
does not provide, despite its title, is ac‐
tual cinematic analysis, with Clayton’s
article being the only exception. Nev‐
ertheless, from a literary and culture
studies viewpoint, the articles make
excellent material for Twilight scholars.
Editors and authors alike have done a
great job at compiling and cross‐refer‐
encing the articles so that they often
continue and extend each other’s in‐
quiries, making for pleasurable as well
as informative reading.
In fact, one of the few things worth
skipping in the volume is the tone of
injured pride that resounds within the
opening chapters and some of the ar‐
ticles. The idea that Twilight studies
are an academic pariah is laughable,
especially considering that most of the
authors in the volume have written on
Twilight in other publications. Maybe
this is simply rhetorical attention‐
seeking. Maybe it also stems from per‐
sonal interests under incessant attack
in the public forum. In either case, the
attempts at heroising Twilight scholar‐
ship are as unnecessary as they are
ironic given their subject of expertise:
Just as the saga heroises Bella’s devo‐
tion to Edward, some of the writers
seem to be trying to make their devo‐
tion to Twilight into an act of defiance.
Whereas, regardless of whether we
agree with them or not, we can be
quite sure that neither ever needed
defending in the first place.
Daniel Scott
Marian Thérèse Keyes/Áine McGilli‐
cuddy (eds.). POLITICS AND IDE‐
OLOGY IN CHILDREN’S LITE‐
RATURE. Dublin: Fourt Courts
Press, 2014. 191 pp.
Politics and Ideology in Children’s
Literature, edited by Marian Thérèse
Keyes and Áine McGillicuddy, is the
seventh volume in the Studies in
Children’s Literature series from
Four Courts Press. The chapters
within this volume are divided into
156
REZENSIONEN/REVIEWS
four sections: ideology and subver‐
sion; utopias and dystopias; experi‐
ences of war and exile; and gender
politics. Subversion and ideology are
the two main themes that run through‐
out these individual sections. A range
of theoretical approaches and genres
are considered. There are contribu‐
tions from established and emerging
scholars from the international
children’s literature community.
The editors begin the volume with a
concise introduction to the adult/child
power dichotomy that is embedded in
children’s literature, drawing on
scholars such as Jacqueline Rose, Perry
Nodelman, and Kimberly Reynolds.
Keyes and McGillicuddy argue that an
examination of ideology and subver‐
sion in children’s fiction is essential,
especially because children’s literature
has the potential to subvert or
promote particular political or
ideological messages and it can
transmit cultural or social val‐
ues, often at critical junctures in
history or in different social or
geographical contexts. (12)
Each of the chapters in this volume
successfully illustrates the power of
children’s texts to engage in such
discussions.
Beginning with an explication of
the adult/child reader power dynamic
the authors set the stage for the chap‐
ters that follow. It is clear from the out‐
set that the main goal of this volume is
to highlight the various ways in which
politics and ideology shape the con‐
struction of children’s literature, both
implicitly and explicitly, and how
“adult ideologies can imbue children’s
with powerful philosophical mindsets”
(19). Missing from their introduction,
I felt, was a more explicit statement of
how this volume contributes to a gap
in the literature that already exists on
politically charged ideologies in chil‐
dren’s literature. While I do think their
contribution is unique, a more explicit
indication of where the editors envis‐
age their volume as sitting within the
current children’s literature criticism
would have been helpful.
Clémentine Beauvais’ opening
chapter convincingly argues that
157
INTERJULI
01 I 2015
politically transformative picture‐
books require a certain analytical
framework. She argues that children’s
texts promote political action on a mi‐
crocosmic or macrocosmic level, de‐
pending on the scope of change that is
encouraged by the work and/or en‐
acted by the narrator. Using two polit‐
ically charged picturebooks she
illustrates this framework using a
close textual analysis. The Spanish pic‐
turebook Y yo qué puedo hacer? (trans‐
lated as ‘And what can I do?’)
encourages change on a microcosmic
level; the narrator is an existentialist
individual who is concerned with the
tensions between meaning and mean‐
inglessness. The child reader is thus
left with the idea that “in order to act
authentically, [one] has to build one‐
self and one’s values from nothing”
and that “this is no guarantee of ever
finding an ultimate meaning in these
relationships” (25). At the other end of
the spectrum, Beauvais places the
French picturebook Révolution, which
promotes action on a macrocosmic
level (such as the city or the nation).
Eithne O’Connell’s chapter on eco‐
criticism, ecopedagogy, and Beatrix
Potter differs greatly from Beauvais’
approach, not only thematically, but
also methodologically. While Beau‐
vais’ chapter provides a close analysis
of two picturebooks to situate her
thesis, O’Connell provides the reader
with a more theoretical overview of
the role of ecocriticism and ecopeda‐
gogy to the study of children’s texts.
This is not to say that Beauvais’ chap‐
ter is not strongly grounded in criti‐
cism — it clearly is. While O’Connell
uses Potter’s texts and biographical
details to ground her discussion of
these approaches, her chapter takes a
wider approach than Beauvais’ analy‐
sis. As I read this edited volume in the
order that the chapters appear, it was
refreshing to have a mix of text‐based
and theory‐driven contributions. O’Con‐
nell provides an overview of ecocriti‐
cism as a literary theory, drawing on
key theorists and movements. To illus‐
trate first‐wave and second‐wave
ecocriticism, she pauses briefly to con‐
sider Potter’s texts in light of these
shifts in thinking. Although O’Con‐
nell’s overview of ecocriticism was
succinct and clear, especially for a
reader with no previous engagement
with this theory, her section on ecope‐
dagogy (specifically ecocomposition
and ecofeminism) is a unique contri‐
bution. Various children’s literature
scholars have written about ecocritical
approaches to children’s literature,
while ecopedagogy is underrepre‐
sented. O’Connell provides a detailed,
engaging overview of these areas of
focus, drawing specifically on Greta
158
REZENSIONEN/REVIEWS
Gaard’s six boundary conditions for
an ecopedagogical analysis of chil‐
dren’s environmental literature.
Gaard’s framework works exception‐
ally well alongside O’Connell’s analy‐
sis of Potter’s work. It is interesting
for the reader to then arrive at Victoria
de Rijke’s chapter on fairy tales,
where Foucault’s The Birth of Biopoli‐
tics is applied to animal characters.
This richly theoretical subsection is
concluded with Olga Springer’s chap‐
ter on ideology and subversion in
Edward Lear’s limericks, drawing
on Bakhtin’s conceptualization of the
carnivalesque.
The second subsection in this vol‐
ume focuses on dystopias in utopias in
young adult fiction. Anne Marie Her‐
ron traces the work of Irish author
Eilís Dillon, whose texts focus on
themes such as Irish citizenship, na‐
tionalism, and young people. Herron’s
chapter provides an overview of Dil‐
lon’s texts, commenting on the ways in
which culture and tradition are trans‐
mitted to young readers (particularly
Irish readers) through fiction. Yet
again, there is a very natural progres‐
sion from Herron’s chapter into the
following chapter, written by Ciara Ní
Bhroin. Similar themes are in focus —
national identity, migration, and
home‐coming, Ireland — but Bhroin
provides a closer textual analysis,
which works well alongside Herron’s
broader approach. The chapters are
similar, however, in that both Herron
and Bhroin provide significant con‐
textual information about the author,
which helps to situate the discus‐
sions of national identity and migra‐
tion. Bhroin makes an interesting
connection between author O. R.
Melling’s textual construction of mi‐
gration and her own ties to Canada
and Ireland.
Susan Tan’s analysis of Susanne
Collins’ The Hunger Games dystopian
trilogy focuses on the ways in which
these texts allude to historical events
that take place in the United States.
She argues that dystopian texts, such
as The Hunger Games, “point to the
need to interrogate contemporary vi‐
sions of ourselves — contemporary
narratives of action, history, and
space” (102). Such texts exist to “pre‐
sent readers with a vision of past and
future selves, refusing to forget or
gloss over the evils that dwell in
American history” (2014, 103). Tan’s
chapter complements the themes pre‐
sented in the previous two chapters,
but her focus on contemporary texts,
in a dystopian, contemporary Ameri‐
can setting, adds a particularly rich
new thread to the overarching theme
of nation and ideology presented in
the previous two chapters.
159
INTERJULI
01 I 2015
Tan’s focus on war and nation
leads well into the final subsection of
this volume, ‘war and exile’. Elizabeth
Galway’s opening chapter considers
the construction of the child in First
World War children’s literature.
Drawing on First World War Ameri‐
can and British periodicals for young
readers, she focuses on three different
representations of the child: the sol‐
dier, the victim, and the peacemaker.
In each example, the child and child‐
hood is represented in complex ways.
As such, Galway argues that the child
reader is presented with “representa‐
tions of the child figure that extended
far beyond simple notions of child‐
hood innocence or obedience” (114).
In doing so, children are envisaged as
having the power to “change the po‐
litical landscape” (ibid.). The final two
chapters on war and exile focus on fas‐
cist Italian children’s literature, and
Nazi Germany. As in the previous two
subsections, there is a diverse range of
texts, contexts, and constructions of
childhood that are presented to the
reader. While Galway’s text incorpo‐
rates an analysis of periodicals for
young readers, D’Eath’s texts focuses
on children’s propoganda novels that
illustrate particular social, political,
and historical contexts of the 1930s.
McGillicuddy’s chapter focuses on Ju‐
dith Kerr’s autobiography that recalls
her experiences as a Jewish child
refugee. Although similar themes
run consistently throughout these
chapters, various text‐types and per‐
spectives are approached, providing
the reader with a wide‐angled,
rich overview of war and exile in
children’s fiction.
Touching on nineteenth‐century
publications, a 2009 adaptation of
Bluebeard, and contemporary vampire
literature, the contributors to the final
subsection of this volume reflect on
the theme of gender politics from a va‐
riety of perspectives. Marian Thérèse
Keyes’ essay focuses on the paratex‐
tual elements of Anna Maria Fielding
Hall’s publications, such as the bind‐
ings, frontispieces, and title‐page vi‐
gnettes, and publishers’ advertise‐
ments. Drawing on Gerard Genette’s
theorization of paratextual analysis,
Keyes argues that Hall’s use of the vi‐
sual and verbal components of her
texts inevitably worked to “persuade,
inform and entertain” (156) her read‐
ership. In focusing on the visual text,
Keyes’ chapter aligns with the asser‐
tions made by other contributors
within this volume, namely Beauvais
and Galway. The final two chapters of
this volume focus on violence, abuse,
and rape. Marion Rana’s concluding
chapter provides a succinct, clearly‐
structured analysis of various rape
160
REZENSIONEN/REVIEWS
myths that are presented in contempo‐
rary young adult fiction, such as
Twilligt and Vampire diaries. Rana ar‐
gues that these rape myths are em‐
ployed to, in many ways, justify sexual
violence, and to perpetuate tradi‐
tional, sexualized gender roles. She sit‐
uates and structures her thesis within
a wider deconstruction of rape and
sexual violence, as defined by Martha
R. Burt. Rana’s chapter, in focusing on
contemporary texts and current issues
(gender, the representation and sexual
exploitation of women, etc.), was an
excellent chapter to end the volume
with.
As a reader, I appreciated the vol‐
ume’s organization: there was a clear
line of argument that held the five sec‐
tions together cohesively. Although
the individual authors varied exten‐
sively in their use of text‐types and
theoretical approaches, it was clear
that the editors successfully found
ways of drawing the themes together.
What impressed me were the number
and variety of voices and text‐types
that converged. Its multicultural,
global approach made it particularly
unique. Various theoretical ap‐
proaches were employed, enabling the
reader to question the intersections be‐
tween childhood, politics, ideology,
and texts from a range of interesting
and challenging perspectives. I would
recommend this text to literary schol‐
ars, particularly those who are inter‐
ested in national identity, construc‐
tions of childhood, or contemporary
issues in children’s and young adult
fiction. With that said, the range of
genres, text‐types, and issues covered
in this volume makes it accessible
and of interest to a multidisciplinary
readership.
Erin Spring
161

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