Einleitung

Transcrição

Einleitung
Untot
Zombie
Film
Theorie
Herausgegeben von Michael Fürst / Florian Krautkrämer / Serjoscha Wiemer
Belleville
Die vorliegende Publikation wurde erst durch die freundliche und großzügige
Unterstützung durch die Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig
ermöglicht, wofür wir uns an dieser Stelle ganz herzlich bedanken möchten.
Inhalt
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Einleitung
I
Zwischen Kult und Kino:
Zur Geschichte des Zombiefilms
19
37
45
65
85
A Matter of Life and Death
Leben und Tod im Zombiefilm
Florian Krautkrämer
Der Gefangene von Dahomey
Ein kolonialer Zombie
Wolf Fuhrmann
Mit den Untoten leben
Sozietäten im Zombie-Invasionsfilm
Joachim Schätz
Leichen im Keller, Untote auf der Straße
Das Echo sozialer Traumata im Zombiefilm
Frank Neumann
Festschmaus für Fans
Der italienische Zombiefilm
Christian Maier
II
Fucking Dead:
Zombie und Gender
99
121
135
153
Zombies over the Rainbow
Konstruktionen von Geschlechtsidentität im schwulen Zombiefilm
Michael Fürst
Ein Ungeheuer zum Quadrat
Queer Betrachtungen über den Film Gay Zombie von Michael Simon
Alessandro Grilli
»Shame and Sorrow for the Family«
Rassen- und Sexualproblematik im klassischen Zombiefilm
Heike Klippel
»Adaequamus morte«
Geschlechteraspekte in Resident Evil
Annekatrin Bock, Holger Isermann, Thomas Knieper
III
Mehr Gehirn:
Theorien der Zombiefizierung
165
181
195
211
225
235
259
275
Parasiten und radikale Entsublimierung
in David Cronenbergs Shivers
Serjoscha Wiemer
Zombies unter Einfluss des Todestriebs
Michaela Wünsch
Willenloses ewiges Leben
Der Zombie als Figur des Exzesses und der Ausgrenzung
Anke Zechner
Das Ornament der Masse
Zu Chronotopie und Medialität im Zombiefilm
Arno Meteling
Uncanny Valley
Kleine Bildtheorie der Zombifikation
Markus Rautzenberg
Kino im Zeichen der Zombies
Untote Filmfiguren als Denkbilder in politischen Filmtheorien
Drehli Robnik
Virale Zombifizierung
»Who’s to say we’re not all zombies?«
Rolf F. Nohr
Psychopath_innen sind nichts anderes als kultivierte Zombies
Interview mit Mark Benecke
Thomas Knieper / Florian Krautkrämer
Anhang
289
293
299
304
Autor_innenverzeichnis
Filmindex
Abbildungsnachweis
Impressum
»They‘re us«, ließ schon George A. Romero die Kinozuschauer in Day of the
Dead (USA 1985) wissen: Zombies sind wie wir. Unser Wissenshunger und der
sprichwörtliche ›Appetit auf Gehirn‹ bei den oftmals etwas träge anmutenden untoten Wiedergängern deuten bereits auf eine Zone der Überschneidung hin, die in
den in diesem Band versammelten Aufsätzen,
Analysen und Theoriemodellen immer wieder
dezidiert in den Blick genommen wird. Etwa,
wenn Zombies andeutungsweise als Allegorien Einleitung
kapitalistischer Repressionsdynamiken oder
als Karikaturen entfesselter (Geld-)Gier gedeuMichael Fürst
tet werden.
Seit der Jahrhundertwende haben die ZomFlorian Krautkrämer
bies immer weitere Bereiche des Alltags erobert.
Serjoscha Wiemer
Auch als Metapher sind Zombies beständig in
Bewegung. Max Brooks bietet in seinem Zombie Survival Guide, einem allgemeinen ZombieRatgeber, konkrete Lebenshilfen im Umgang mit den Untoten: wie man sich bei
einer Zombie-Epidemie zu verhalten habe, welche Waffen in welcher Situation am
geeignetsten sind und welcher Unterschlupf wirklich Schutz bietet.1 Scott Kenemore hingegen empfiehlt, sich an den Zombies konkret ein Beispiel zu nehmen:
Wer im Alltag schlapp, müde und zu langsam für die täglichen Anforderungen
ist, findet im Zombie ein Vorbild, das, obwohl körperlich noch eingeschränkter,
langfristig aber dennoch meist erfolgreicher ist als man selbst.2
Während Kenemores Zombie-Ratgeber die fortwährende ökonomisch angepasste Selbstoptimierung als eine avancierte Variante der Selbst-Zombifizierung feiert,
gilt anderen der Zombie geradezu als utopischer Gegenentwurf zum kapitalistischen
Erfolg-, Gier- und Geiz-Individualismus. So zeigen sich beispielsweise in Romeros
Land of the Dead (USA 2005) erste Anzeichen eines kollektiven Aufbegehrens,
das Rückschlüsse auf Gedächtnis und Kommunikation zulässt. Die Vermutung
liegt nahe, dass die Lernfähigkeit der Zombie-Wesen bisher unterschätzt worden
ist und neue Formen des Widerstands entstehen könnten. Beispielsweise diskutierte
der Journalist Robert Kurz am 20. 3. 2008 in der Wochenzeitung »der Freitag«
unter der Überschrift »Sturmlauf gegen Mindestlohn« die Gründung einer »Zombie-Gewerkschaft« (sic!) als ersten Erfolg der »Prekarisierungs-Offensive« in der
Auseinandersetzung um ungeschützte und unterbezahlte Arbeitsverhältnisse.3 Es
scheint jedoch nicht ausgeschlossen, dass wir vor dem Beginn einer Entwicklung
stehen, in der sich das Bild des Zombies tiefgreifend zu wandeln beginnt. Vielleicht
könnten Zombies dann in Zukunft sogar zum Symbol für die Hoffnung auf ein
besseres, gerechteres und selbstbestimmtes Leben werden.
1
2
3
Max Brooks: Der Zombie Survival Guide, München: Wilhelm Goldmann 2004.
Scott Kenemore: The Zen of Zombie. Better Living through the Undead, New York: Skyhorse 2007.
http://www.freitag.de/2008/12/08120402.php (letzter Zugriff 20. 4. 2010).
7
Ein Blick zurück in die Kulturgeschichte zeigt, dass die untoten Wiedergänger
eine eigene Genealogie vorzuweisen haben, die von frühen religiösen Begräbniskulten, über eine ausgeprägte Präsenz als Phänomen der Fantastik in unterschiedlichen
Medienprodukten, bis hin zu zeitgenössischer philosophischer Theoriebildung reicht.
Der Zombie wird somit zu einer eigenständigen Gattung, die innerhalb realer soziokultureller Kontexte wie dem haitianischen Voodoo-Kult vorkommt, aber auch
ihren Weg in die Bild- und Textproduktion westlicher Kunst und Kultur gefunden
hat. Seine vielfältigen filmischen Erscheinungsformen und historischen Wandlungen,
denen sich dieser Band widmet, dienen dabei oftmals der metaphorischen beziehungsweise allegorischen Sinnkonstruktion.
Der Zombie-Mythos des Voodookultes haitianischer Ureinwohner berichtet davon, dass kräftige junge
Männer in der Blüte ihres Lebens
durch einen Zaubertrank, der ihre
Muskeln lähmt, in einen Scheintod
versetzt und anschließend lebendig
begraben werden. Dies nur, um
sie später wieder aus dem Grab zu
befreien und als willenlose ArbeitsNight of the Living Dead (USA 1968, George A. Romero) sklaven zu missbrauchen. Es ist vor
allem dieses Motiv, dieser Strang
einer Erzählung von den Untoten, das im Zwanzigsten Jahrhundert den Zombie
als Leinwandfigur populär werden lässt. Als einer der ersten einflussreichen Zombiefilme in diesem Sinne kann White Zombie (USA 1932, Victor Halperin) angesehen werden, der zahlreiche Nachfolger inspirierte. Bela Lugosi spielt hier einen
diabolischen Plantagenbesitzer, der die Eingeborenen mittels eines Zaubertranks
in einen Scheintod versetzt, um sie anschließend durch Drogen zu willfährigen
Arbeitssklavinn_en zu machen.
Eine entscheidende Wendung erfuhr der Zombiefilm mit George A. Romeros
Night of the Living Dead im Jahr 1968. Die Zombies sind hier zwar immer
noch willenlose, sich langsam bewegende, menschlich erscheinende Wesen, aber
im Gegensatz zum Voodoo-Zombie Halperins haben sie jetzt ein unstillbares Verlangen, ein Bedürfnis: Wie der Vampir stürzen sie sich auf die Lebenden, einerseits,
um sie zu verzehren, sich von ihnen zu ernähren, andererseits aber auch, um sich
zu vermehren, denn der bloße Biss eines Zombies infiziert die Gebissenen und
sorgt für die Transformation vom Menschlichen zum Monströsen. Auf diese Weise
gelingt es den Zombies aus einzelnen Wenigen eine entindividualisierte Masse entstehen zu lassen. Während ein einzelner Zombie relativ gefahrlos ist, stellt die
Masse hingegen eine geradezu apokalyptische Bedrohung dar, der zu entkommen
fast unmöglich erscheint. Im Anschluss an die Neuinterpretation der Zombiefigur
8
durch George A. Romero entwickelt sich der Zombiefilm schließlich in den 1970er
und 1980er Jahren zu einem ernst zu nehmenden Subgenre des Horrorfilms.
Bezüglich der Metaphorik hat die Figur des Zombies von der Voodoo-Exotik
zur Ikone des modernen Horrors eine Kehrtwende vollzogen. War der Zombie im
Voodookontext noch Symbol für geschundene und ausgebeutete Arbeiter_innen,
wurde er nach Romero und infolge postkolonialer Konflikte zur Allegorie auf
kapitalistische Repressionsdynamiken oder zur Karikatur entfesselter (Geld-)Gier.
Parallel dazu ist die Tendenz zu beobachten, das Auftauchen und das Verhalten von Zombies zunehmend in wissenschaftliche Diskurse einzubinden und so
einen rationalen Erklärungsrahmen zu konstruieren. Gerade in zeitgenössischen
Dawn of the Dead (USA 2004, Zack Snyder)
Narrationen über den Zombie ist seine Herkunft weniger oder gar nicht mehr
magisch, mythisch oder religiös motiviert. Die entscheidende Veränderung liegt
nunmehr darin, die Existenz von Zombies auf einen Krankheitserreger oder ähnliches zurückzuführen und ihre Vermehrung entsprechend als Virusinfektion zu
inszenieren, zumeist als Bedrohung von pandemischem Ausmaß. Das abweichende
Verhalten der Zombies wird dann als medizinisches oder ›biopolitisches‹ Problem
verstanden, ihre Verbreitung als Seuche interpretiert. Damit einher geht, dass den
Zombies, nachdem ihnen in den 1980er und 1990er Jahren nur mehr ein Nischendasein in Videotheken und billigen B-Produktionen beschieden war, in den letzten Jahren in unterschiedlichen Medien und Formaten mehr oder weniger plötzlich ein zunehmend größeres Interesse zuteil wird und sie ›neue Märkte‹ erobern.
Computerspiele wie Resident Evil, in denen man gegen Zombies kämpfen muss, die
Comic-Reihe The Walking Dead4 oder die Marvel-Zombies5 (beide Robert Kirkman),
Filme wie 28 Days Later (GB/Frankreich 2002, Danny Boyle), Les Revenants
(Frankreich 2004, Robin Campillo) oder Zombieland (USA 2009, Ruben Fleischer) sind nur einige Belege für das erfolgreiche ›Revival‹ dieser hartnäckigen
Untoten.
4
5
Robert Kirkman: The Walking Dead, Berkeley, California: Image Comics 2006.
Robert Kirkman: Marvel-Zombies, New York: Marvel Comics 2006.
9
In ihrer Gefährlichkeit und Monstrosität verweisen sie nicht nur auf den allgemeinen Schrecken vor dem Tod, vor Kannibalismus und Verwesung, sondern
darüber hinaus auf spezifische Ängste und aktuelle gesellschaftliche Probleme. Anders als die frühen Voodoo-Zombies sind die Untoten nun häufiger das Resultat
biologisch-medizinischer Experimente und der Skrupellosigkeit global agierender
Konzerne. Sie sind Überträger_innen von Viren oder tragen den Krieg gegen den
Terror in die abgeschotteten Kristallpaläste der Finanzmetropolen.
Tatsächlich sind allegorische Deutungen, Lesarten also, die Zombies als bildhafte Zeichen für etwas anderes nehmen, ein wichtiger Zugang, um das dauerhafte
und zuweilen äußerst hartnäckige Auftreten lebendiger Toter in den unterschiedlichen Medien zu verstehen. Jedoch ist bei aller allegorischen, symbolischen oder
metaphorischen Zombielektüre nicht zu übersehen, dass sich das Unbehagen, die
Irritation, der Horror und zuweilen auch die Komik, die sich in der medialen Konfrontation mit den Zombies zeigen können, nicht ins Reich der Zeichen auflösen,
bloß weil man die vermeintlichen Träger einer affektiven Resonanz auf einen eben
zeichenhaften Status zu reduzieren sucht.
Dieser Einsicht will der vorliegende Band Rechnung tragen, indem der Zombie
in seiner Bedeutungsvielfalt nicht nur als Stellvertreter, als Zeichen für etwas anderes, Abwesendes verhandelt werden soll. Es ist wichtig, auch den beunruhigenden,
mit dem Auftreten der Existenzform der Zombies und ihrer medialen Inszenierung
häufig verbundenen körperlichen Schauer in den Blick zu nehmen, das Überspringen somatischer Reaktionen von der Leinwand in die Eingeweide, begleitet mit
bekannten Symptomen wie plötzliches Zusammenzucken, beschleunigter Herzschlag,
erhöhte Schweißabsonderung, Klammergriff in den Kinosessel und so weiter. Solche
Effekte lassen sich nicht allein durch Verweis auf den Zeichenstatus untoter Wiedergänger und ihrer technischen Reproduzierbarkeit erklären.
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Der vorliegende Band versammelt erstmals Forschungsbeiträge aus dem deutschsprachigen Raum, die sich dem Phänomen des Zombies – insbesondere in seiner
Gestalt im Medium Film – aus unterschiedlichen Perspektiven nähern.
Die Beiträge des ersten Teils stellen die Figur des Zombies in einen filmhistorischen Kontext und nehmen, neben Analysen einzelner Filmbeispiele, auch ihre
Genese innerhalb der Entwicklung des Zombiefilms insgesamt in den Blick. Damit
bieten sie den Leser_innen Überblicksdarstellungen mit einer je spezifischen Fokussierung auf einen gesonderten Gegenstandsbereich. Gilt White Zombie allgemein als erster Zombiefilm der Filmgeschichte, kann der Filmwissenschaftler Wolfgang Fuhrmann zeigen, wie bereits im Zuge des ersten Weltkriegs Zombie-Motive
im kolonialistischen Diskurs manifest werden. In einem Stummfilm von 1918, der
letzten Produktion der Deutsche Kolonial-Filmgesellschaft DEUKO, begegnet uns
das Grundmotiv des Voodoo-Zombies. Ein Mann wird mittels eines Giftes in eine
Art Scheintod versetzt und anschließend für tot erklärt, nach seiner Beerdigung
aber wieder zum Leben erweckt. Besonderes Detail: Der ›Zombie‹ ist ein deutscher
Soldat, der des Nachts in ein feindliches Lager schleicht, um die dortigen französi-
schen Bewacher zu töten. Als Kolonialdrama wollte der Film während des Krieges
der Propaganda dienen und die Koloniallobby unterstützen.
In dem Beitrag »A Matter of Life and Death« zeichnet Florian Krautkrämer den
Wandel der Zombie-Figur in der Filmgeschichte vom Voodoo- zum Virus-Zombie
nach und arbeitet die wichtigen Unterschiede zwischen bloßen Wiedergängern
und Zombies heraus. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Zombie in seiner
Funktion als Spiegel: Was diese Figur innerhalb des Horrorgenres so interessant
macht, ist, dass sie weit weniger Unterschiede zu den sie bekämpfenden Menschen
aufweist als andere Monstren wie Vampire oder Werwölfe.
Dawn of the Dead (USA 2004, Zack Snyder)
Frank Neumann folgt in seinem Beitrag über die Geschichte des Zombiefilms
einem widerständigen Element innerhalb des Zombiemotivs, indem er die enge
Verbindung der untoten Wiedergänger mit den Gräuel des Krieges herausarbeitet.
Als beispielhaft für diese Tradition innerhalb der Kinogeschichte stellt er hierbei
J’Accuse von Abel Gance (F 1919/1938) heraus, ein Film, in dem Gance die Toten
des Ersten Weltkrieges von den Friedhöfen um Verdun auferstehen lässt, um den
Irrsinn und die Unmenschlichkeit des Krieges anzuprangern.
Einem Subgenre des modernen Zombiefilms, dem Zombie-Invasionsfilm, widmet sich Joachim Schätz in seiner Analyse und verhilft einer genretheoretischen
Perspektive zur Differenzierung, wenn er etwa auf die strukturellen Unterschiede
zwischen dem Zombie-Invasionsfilm und benachbarten Horrorgenres wie dem
Slasherfilm und dem Alien-Invasionsfilm hinweist. Das Hauptaugenmerk liegt
spannenderweise jedoch auf den Modellen von Kollektivität und Gemeinschaft, die
im Zombiefilm moderner Prägung einen privilegierten Aushandlungsort gefunden
haben. Kennzeichnend ist dabei die Gegenüberstellung einer anonymen, bedrohlichen Zombiemasse einerseits und einer Krisengemeinschaft der Überlebenden andererseits, einschließlich ihrer jeweiligen sozialen Mechanik und politisch-ökonomischen Metaphorik. Schätz siedelt seine Analyse dieser Modelle von Gemeinschaft
im Spannungsfeld zwischen der Normalisierung des Ausnahmezustands und der
Re-Justierung gouvernementaler Wertschöpfungslogiken an.
11
Als ein weiteres Subgenre, das den eingefleischten Fans bekannt sein dürfte,
gilt der italienische Zombiefilm, den Christian Maier in seinem Aufsatz behandelt.
Die betreffenden italienischen Filme der 1970er und 1980er Jahre gelten als die
brutalsten und blutigsten ihrer Art. Gerade anhand dieser Beispiele vermag Maier
aber auch zu zeigen, auf welche Art sich Genre-Regeln immer wieder verändern,
bis sich das jeweilige Erzähl- und Effektmodell selbst erschöpft hat und für einige
Jahre aus der Kinolandschaft verschwindet.
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Der zweite Teil des Bandes widmet sich unter dem Titel »Fucking Dead: Zombie
und Gender« einem bisher nur unzureichend beachteten Themenfeld: Der Figur
des Zombies in ihrer Funktion für die Thematisierung von Geschlechterverhältnissen. In jüngster Zeit wird der Zombie, der zuvor im populären Diskurs kaum als
geschlechtliches und sexuelles Wesen thematisiert wurde, mit neuen, auch erotisch
besetzten, Empfindungen, Affekten und Leidenschaften aufgeladen. Der feministisch und gendertheoretisch ausgerichtete Blick auf die Zombies, den die Beiträge
dieses zweiten Teils einnehmen, eröffnet hier neue Perspektiven. Eine bemerkenswerte Tendenz ist dabei die offensive Umdeutung des Zombies, um mit Mitteln
der Gegenkultur die heterosexuelle Matrix zu irritieren und in ihrer normativen
Funktion in Frage zu stellen.
Am Beispiel der beiden Klassiker des Genres I walked with a Zombie (USA
1943, Jacques Tourneur) und White Zombie deckt Heike Klippel die Problemfelder des Geschlechterkonflikts und des ethnischen Konflikts auf, die im Zombiefilm
des klassischen Hollywoodkinos eine enge Verflechtung eingehen und in den beiden Filmen auf unterschiedliche Weise verhandelt werden. Im Zentrum ihrer kritischen Analyse steht dabei die Aneignung einer als fremd stigmatisierten magischen
Macht durch eine selbst schon als degeneriert dargestellte weiße Männlichkeit, die
sich die schwarze Minderheit wie auch das Weibliche unterwirft. Die zum Zombie
gemachte Frau wird ihres Willens beraubt, um ihre Sexualität kontrollieren zu
können. Gleichzeitig aber ermögliche der Zustand des Untotseins einen freieren,
schamloseren Umgang mit dem eigenen Körper.
Ob und wie Bruce LaBruce und auch andere Regisseure schwuler Zombiefilme
mit Hilfe ironischer Brechungen und parodistischer Umkehrungen versuchen, die
gängige Lesart der Zombies zu irritieren, untersucht Michael Fürst in einem ausführlichen Beitrag in diesem Band. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Aneignung der Figur des Zombies zur Konstruktion schwuler Identitäten. So arbeitet etwa LaBruce in seinem Film Otto; or, up with dead people (Kanada/
Deutschland 2008) an Strategien der kritischen Aneignung des Zombiemotivs für
emanzipatorische Projekte. LaBruce drehte einen schwulen Zombie-Film mit expliziten Sexszenen und einer Film-im-Film-Erzählung über eine Filmemacherin, die
einen schwulen Zombie-Porno dreht.
Auch Alessandro Grilli setzt sich mit der Figur des schwulen Zombies auseinander und untersucht sie am Beispiel des Kurzfilms Gay Zombie (USA 2007, Michael Simon) in Hinblick auf die Dichotomie ›Norm/Andersartigkeit‹. Ihm geht es
um das dialektische Verhältnis dieser Kategorien zu einander und eine queere Lesart
des Films. Auf erhellende Weise zeigt Grilli an der Figur des schwulen Zombies
wie das Individuum einem indirekten Wirken gesellschaftlicher Unterdrückung
ausgeliefert ist. Zwei Momente sind hierfür grundlegend: Einerseits die performative Aufnahme des Subjekts in die Gemeinschaft, das heißt die unausgesprochene
Überzeugung des Subjekts, sich den gesellschaftlichen Normen selbsttätig zu unterwerfen, andererseits die scheinbare Akzeptanz des Anderen in der ›political correctness‹, die das Unbekannte gleichzeitig diskursiv auslöscht.
Holger Isermann, Anne-Kathrin Bock und Thomas Knieper untersuchen Geschlechteraspekte im Film Resident Evil (USA 2002, Paul W.S. Anderson). Ihr
Hauptaugenmerk liegt dabei auf den
Unterschieden in der Inszenierung
weiblicher und männlicher Zombies.
Es gelingt ihnen herauszuarbeiten,
inwieweit bestehende Dichotomien
von männlichen Kämpfer- und weiblichen Opfer-Stereotypen im genretypischen Zombiefilm dazu verwendet werden, selbst über den Zustand
der Zombifizierung hinaus bekannte
stereotype Rollenbilder und Klischees
von Männlichkeit und Weiblichkeit Night of the Living Dead (USA 1968, George A. Romero)
fortzuschreiben.
Ausgehend von konkreten Filmbeispielen untersuchen die Beiträge des dritten Teils
»Mehr Gehirn: Theorien der Zombifizierung« den Zombie als theoretische Figur
und entwickeln auf dieser Basis eigene Konzepte für ein allgemeineres Verständnis
dieses speziellen Monsters. So wirft Arno Meteling einen kulturwissenschaftlichen
Blick auf den Zombiefilm und arbeitet in Rückgriff auf Paul de Man, Walter
Benjamin und Roland Barthes die allegorische Bedeutung des Zombies als Figur
des ›Kampfes der Gattungen‹ heraus. In historischer Perspektive beginnt der Beitrag mit White Zombie und zeigt bis hin zu 28 Days Later den im Medium
Film stattfindenden Konflikt zwischen den Kategorien von beispielsweise ›schwarz/
weiß‹, ›beweglich/unbeweglich‹ oder ›lebendig/tot‹ – konfliktuöse Dichotomien,
die auf eindrückliche Weise im Zombiefilm letztlich sowohl in anthropologischer
wie auch in medialer Hinsicht im Bild des Schreckens zusammenfallen.
Anke Zechner gewinnt diesem Schrecken in ihrer Interpretation der Figur des
Zombies in den Filmen Day of the Dead (USA 1985, George A. Romero) und
Les Revenants (F 2004, Robin Campillo) neue, fast sympathische Züge ab.
Unter anderem mit Interpretationen von Giorgio Agamben und Steven Shaviro
weist sie auf ein Verhalten der Zombies hin, das sich als humaner erweist als dasjenige der ihnen gegenüberstehenden menschlichen Gesellschaft. Im Hinblick auf
das Kino als medialen Erfahrungsraum ergeben sich zudem auffällige Parallelen
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zwischen Filmzuschauer_innen und Zombies. Auch Michaela Wünsch gelangt in
ihrer Interpretation zu auffälligen Übereinstimmungen von Mensch und Zombie,
die sie im Zwang zur Wiederholung findet. Dieser ›Trieb‹ kulminiert im Bild der
Zombies im Einkaufszentrum in Romeros Dawn of the Dead (USA/I 1978),
in das die Zombies ebenso aus Gewohnheit zurückkehren, wie sie es als Menschen
zuvor schon taten.
Serjoscha Wiemer diskutiert in seinem Beitrag David Cronenbergs ersten kommerziell erfolgreichen Spielfilm Shivers (Kannada 1975). Dabei untersucht er
insbesondere die Aspekte von Kontrollverlust, Infizierung und Subversion vor dem
Hintergrund der Theorie einer repressiven Kultur, die in der Freud’schen Kulturtheorie aus dem fundamentalen Antagonismus von Eros und Thanatos abgeleitet wird. Wiemer interpretiert
Cronenbergs Shivers als filmische Reflexion über die Möglichkeit
oder Unmöglichkeit einer Utopie
›radikaler Entsublimierung‹, in welcher der Widerspruch zwischen Eros
und Todestrieb und gesellschaftliche
Triebunterdrückung insgesamt in
einer umfassenden ›Omnisexualität‹
Creatures from the Pink Lagoon (USA 2007, Chris Diani) aufgehoben wäre. Shivers bietet
demnach ein ›Happy End‹ als Kippfigur, einen (un)möglichen Ausblick auf eine Gesellschaft ohne Unterdrückung.
Welche Bedeutung könnte den Zombies zukommen, wenn man sie als ein Symbol im Rahmen einer größeren kulturellen ›Erzählung‹ versteht? Dieser Frage geht
Rolf F. Nohr in seinem Beitrag nach und begreift den Zombie als populärkulturelles Phänomen innerhalb eines umfassenden Narrativs über die virale Infiltration des Individuums wie der Gesellschaft. Den ›unsichtbaren Feind‹ zeichnet der
tödliche Angriff aus dem Inneren aus, welcher der Bedrohung durch eine äußere
Gefahr diametral gegenüber steht. Gerade der Zombie des 21. Jahrhunderts kann
als Verkörperung viraler Infiltration und als populärkulturelles narratives Muster
zur Einübung individueller wie gesellschaftlicher Selbstdisziplinierung verstanden
werden – zum Schutz vor der unsichtbaren Gefahr.
Der Medienphilosoph Markus Rautzenberg stellt den handgreiflichen Verkörperungen der Zombies eine bildtheoretische Analyse zur Seite, die ihren Ausgang
bei unheimlichen Bildern nimmt, die uns als Betrachtende zu irritieren vermögen,
insofern sie uns auf einen Bereich des Unentschiedenen zwischen lebendig und tot,
anwesend und abwesend stoßen. Ihm gelingt dadurch, unerwartete Übereinstimmungen zwischen Motiven bei Alfred Hitchcock – die un-tote Madeleine als weibliche Wiedergängerin in Vertigo (USA 1958) – und zeitgenössischen Computeranimationen aufzuzeigen, die, wie in Robert Zemeckis Polar Express (USA
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2004), die Grenzen zwischen realem und imaginärem, lebendigem und totem,
leibhaftigem und künstlichem Körper irritieren und dadurch den unheimlichen
Charakter von Bildlichkeit offenlegen können.
Einen faszinierenden Reigen der untoten Kinofiguren, bei dem Zombies sich
mit Frankenstein, Dracula und der Mumie die Bühne teilen, entwirft der Beitrag
von Drehli Robnik. Jedoch stellt Robnik diesen filmischen ›Monstern‹ und ihren
Darstellungen nicht vordergründig in ihrem Erscheinen auf der Leinwand nach,
sondern diskutiert vielmehr ihr Weiterleben in der Theorie. Das Medium Film
selbst nämlich wird immer wieder auf unterschiedliche Weise mit Mumie, Vampir
oder Frankenstein in Bezug gebracht – Untote fungieren regelmäßig als Denkbilder
Otto; or, Up with Dead People (D/Kanada 2008, Bruce LaBruce)
in (politischen) Filmtheorien und als allegorische Figurationen des Kinos. Welchen
Gebrauch die Theoretiker_innen von diesen Figuren machen, die zwischen Leben
und Tod stehen, führt Robnik eindrucksvoll unter anderem an den Theorien von
André Bazin, Thomas Elsaesser und Heide Schlüpmann vor.
Ein Interview mit dem Forensiker Mark Beneke bildet den Abschluss dieses
Bandes. Aus naturwissenschaftlicher Perspektive und vor dem Hintergrund jahrelanger Erfahrungen im Umgang mit realen Leichnahmen, gibt das Gespräch
Einblick in die Bedeutung von rational erklärbaren Prozessen bei der Verwesung
menschlicher Körper für die Entstehung gesellschaftlicher Zombie-Mythen
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