Alte Kaserne neu genutzt

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Alte Kaserne neu genutzt
Landwirtschaftliches Wochenblatt
Alte Kaserne neu genutzt
Wertvollen Acker schonen und gleichzeitig Gewerbefläche und Arbeitsplätze
schaffen – nach dieser Devise entwickelt die Stadt Coesfeld die ehemalige
Freiherr-vom-Stein-Kaserne zum „Industriepark Nord.Westfalen“.
AKTUELLES
anbau zukaufen. Der andere Rohstoff, die Gülle, kommt ebenfalls
aus der Nachbarschaft und wird
über eine separate Zufahrt im Park
angeliefert.
Den Strom speist die GmbH ins öffentliche Netz, die Abwärme wird
über Wärmeleitungen an die Firmen im Park verkauft. „Die Möglichkeit, die Abwärme direkt vor
Ort zu vermarkten, war für uns ein
wesentlicher Grund, in die Gemeinschaftsanlage zu investieren“,
erzählt Welter.
12,6 Mio. € investiert
Unternehmer
und Stadt arbeiten
Hand in Hand
(von links):
Heinz Öhmann,
Martin Welter,
SEG-Mitarbeiterin
Annette Görlich,
August Krampe
und Christoph
Rawert.
W
ir waren am Anfang schon
skeptisch“, erzählt Heinz
Öhmann. Der Bürgermeister der Stadt Coesfeld (37 000 Einwohner) und viele Ratsmitglieder
wussten nicht, ob die Kommune
das Kasernengelände kaufen sollte.
Ende 2004 hatte die Bundeswehr
beschlossen, den Standort aufzugeben. Ende 2008 zogen die letzten
der insgesamt 2000 Soldaten des
früheren Instandsetzungsbataillons
ab. Sie hinterließen knapp 60 ha
mit bis zu 80 Gebäuden und Hallen,
Exerzierplatz, Sportplatz sowie einer Schießanlage. Der Standort
liegt 4 km südlich von Coesfeld in
der Bauerschaft Flamschen, er kann
ohne Ortsdurchfahrten von den
Autobahnen 31 und 43 angefahren
werden.
Kaserne steht leer …
Im März 2008 beschloss die Stadt,
das Kasernengelände für 1,3 Mio. €
von der Bundesanstalt für Immobilienangelegenheiten (BImA) zu
kaufen und zu einem Industriepark
zu entwickeln. Im Vorfeld hatte ein
Gutachter berechnet, was es kosten
würde, wenn die Stadt ein bestehendes Gewerbegebiet am Stadtrand erweitern würde. „Bei diesem
Abwägungsprozess haben wir auch
die Interessen unserer Landwirte
berücksichtigt. Warum sollten wir
erneut guten Acker beanspruchen,
wenn an anderer Stelle im Stadtgebiet eine Kaserne leer steht?“, erinnert sich Öhmann.
Heute zeigt sich, dass die Stadt einen Volltreffer gelandet hat. Seit
Ende 2008 haben sich elf Unterneh-
men im Industriepark angesiedelt,
sie haben 170 Arbeitsplätze geschaffen. Weitere drei Unternehmen stehen kurz vor dem Abschluss der
Grundstücksverträge mit der Stadtentwicklungsgesellschaft
(SEG),
eine 100%ige Tochter der Stadt.
Fahrzeugbauer Krampe
August Krampe, 52, ist im Herbst
2009 als erster Unternehmer von
Lette in den Industriepark umgesiedelt. Krampe suchte damals händeringend ein mindestens 2,5 ha großes Grundstück zwecks Erweiterung, doch in der Region war nichts
zu finden. Zeitgleich liefen die Diskussionen um das Kasernengelände. Der mutige Unternehmer fackelte nicht lange und kaufte 10 ha mit
diversen Hallen, zum Teil mit 5-tKränen ausgerüstet, direkt von der
BImA. „Der Kaufpreis war schon
eine Hausnummer“, erzählt Krampe lachend, „doch wer als Unternehmer kein Risiko wagt, der ist
kein Unternehmer.“
Mit 100 Beschäftigten erzielt Krampe einen Umsatz von 23 Mio. €/
Jahr. Täglich montieren seine Arbeiter sieben bis neun kleinere und
große Muldenkipper, die er in die
ganze Welt exportiert. 26 000 m2
überdachte Hallenfläche bieten prima Arbeitsbedingungen. Der Unternehmer nennt einen weiteren Vorteil des Standortes: „Wir können
24 Stunden am Tag mit der Flex
oder dem Bohrhammer arbeiten
und kein Nachbar regt sich auf. Früher in Lette“, scherzt der dreifache
Familienvater, „hat es in der Kirche
schon mal leicht gerochen, wenn
bei unserer Lackiererei am Bahnhof
die Türen offen standen.“
Biogasanlage BeCoe GmbH
Seit November 2011 erzeugt die
BeCoe GmbH & Co. KG im Industriepark aus Mais und Gülle Strom
und Wärme. Hinter der Gesellschaft stehen die Landwirte Martin
Welter, Christoph Rawert und
Dr. Michael Rawert-Messing. Die
GmbH hat über 4 Mio. € in Fermenter, Silos und Technik investiert.
Ein Blockheizkraftwerk (BHKW,
526 kWel) steht an der Biogasanlage, ein weiteres Satelliten-BHKW
(400 kWel) erzeugt Strom und Wärme direkt beim Autoklavenhersteller und Anlagenbauer Scholz Maschinenbau in Coesfeld.
Für ihre Anlage benötigen die
Landwirte etwa 300 ha Mais pro
Jahr, den sie zum Teil per Vertrags-
Die Stadt Coesfeld wird 12,6 Mio. €
in den Industriepark investieren.
Exerzierplatz, nicht nutzbare Gebäude, einige Straßen und Leitungen mussten zurückgebaut werden,
weitere Rückbauten, etwa die
Schießanlage, stehen noch an. Auf
der anderen Seite wird modernisiert, zum Beispiel wird eine leistungsfähige Datenübertragung via
Glasfaser für die Grundstücke vorbereitet.
Ein Hingucker: Der Ausgleich für
die Eingriffe wird zentral auf dem
Gelände nach einem mit dem Naturschutz abgestimmten Konzept
erbracht. Zwei Backsteingebäude
wurden stillgelegt und teils zugemauert, damit Fledermäuse und andere Arten in den Räumen ideale
Lebensbedingungen vorfinden.
Nach Abzug der Fördermittel
(2,4 Mio. €) und geschätzten Grundstückserlösen von 6,9 Mio. € verbleiben etwa 3,4 Mio. € Eigenanteil
für die Stadt. Die Gewerbeflächen
im Park kosten voll erschlossen
25 €/m2. Öhmann hält das finanzielle Risiko der Stadt für überschaubar. „Die Flächenreserve im Park
dürfte mindestens noch 15 bis
20 Jahre reichen.“
Grundsätzlich empfange die Stadt
jeden Investor mit offenen Armen,
betont der Bürgermeister, doch
langfristig verfolge man ein klares
Ziel. „Wir wollen den Standort
Coesfeld als Cluster der Ernährungswirtschaft ausbauen und zukunftsfähige Arbeitsplätze in der
Region schaffen.“
Armin Asbrand
Artenschutz einmal anders: In diesem zugemauerten Backsteingebäude im
Industriepark nisten Fledermäuse und andere bedrohte Arten. Fotos: Asbrand
22 / 2012
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