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das buch der guertel.indd - Trachten Informationszentrum
Alexander Wandinger, Jana Cerno, Christian Aichner
Das Buch der Gürtel
Trachten-Informationszentrum des Bezirks Oberbayern
Das Buch eurer Vergangenheit, Menschen, ist nur ein Traumbuch,
das das Widerspiel der Zukunft bedeutet.
Jean Paul
Alexander Wandinger
Gürte mich, oh Herr
Zur Kulturgeschichte eines archetypischen Kleidungsstücks
Herrn Dr. Ewald Martin
in Freundschaft
Joachim Schuster war ein wandernder Riemergeselle. Seine Profession war die Herstellung von Geschirren für Zugtiere, Riemen aller Art und speziell die Fertigung von Schmuckgürteln. Er führte auf seinen Reisen von
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1836 bis 1870 ein persönliches Wanderbuch mit sich, das seine Reisen und die unterschiedlichen Arbeitsplätze dokumentiert. Das unscheinbare Büchlein hat sich in dem braun marmorierten Schutzumschlag über die Generationen erhalten. Es ist ein Glücksfund und in seiner Weise einzigartig.
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Das Wanderbuch des Joachim Schuster versetzt uns in eine Zeit, in der die Lebensumstände unserer Vorfahren gänzlich andere waren als die unseren. Die freie Berufswahl war so wenig ein Thema wie die individuelle Lebensführung
an sich. Das familiäre Umfeld, in das ein Mensch
hineingeboren wurde, bestimmte einen großen
Teil seiner Zukunft. Tradierte gesellschaftliche
Rollen, politische Konstellationen und gesetzliche Bestimmungen lenkten das Leben in vorgegebene Bahnen, unterbrochen allenfalls durch
die Militärzeit, berufliche Stellenwechsel, Krankheit, Krieg oder Naturkatastrophen.
Für Joachim
Schuster lag es nahe, nach seiner Riemerlehre
für Jahre auf die Wanderschaft zu gehen. Denn
als nachgeborener Sohn des Riemermeisters
Jakob Schuster mußte er seinen Lebensunterhalt
in alleiniger Verantwortung verdienen. Das
Elternhaus in Traunstein übernahm sein Bruder
Thaddäus Schuster, der uns im Wanderbuch als
einer der Arbeitgeber des wandernden Gesellen
wiederbegegnet. Die große Reise seines Lebens,
die Joachim mit 18 Jahren begann, ist durch
Magistrate, Landgerichte und Polizeibehörden
dokumentiert. Die bayerischen und österreichischen Beamten schrieben dem Gesellen ihre
Bemerkungen anhand der Zeugnisse, die der
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jeweilige Meister ausgestellt hatte, in sein
Wanderbuch. Diese Eintragungen machten die
Wanderbücher der Dienstboten und Handwerker zu einer Art Reisepaß, der Auskunft über
Herkommen, Arbeitsstellen und persönliches
Betragen gab. Hintergrund für die stark reglementierte und überwachte Migration dieser
Bevölkerungsgruppen war die Furcht der Obrigkeit vor einem allzu freien Lebenswandel. Die
Wanderung wurde als potentielle Bedrohung
der bürgerlich-gesellschaftlichen Ordnung empfunden – sie hätte auch der Ausgangspunkt
für eine Karriere als Landstreicher oder Vagabund sein können.
Im Oktober 1836 beginnt
Joachim Schuster seine Wanderung und reist
über die Zollstation Saalbrücke nach Salzburg,
dann nach Neumarkt im Flachgau am Wallersee, weiter nach Wels und Vöcklabruck. Erst
nach drei Jahren kehrt er erstmals wieder über
Gmunden nach Hause zurück.
Viele der historischen Gürtel, die Riemer wie Joachim Schuster
gefertigt haben, sind bis in unsere Zeit erhalten
geblieben. Es handelt sich um handwerkliche
Meisterleistungen, die uns die Bedeutung des
Sich-Gürtens vor Augen führen.
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Der Gürtel repräsentiert eine Urform der
menschlichen Kleidungskultur mit unverkennbar
archetypischen Zügen. Seine ringförmig umschließende Gestalt – die er mit Krone, Ring,
Hals- und Armreif gemein hat – ist ein Urbild.
Ein archetypisches Symbol löst Grundassoziationen aus, die sich über die Zeiten in
verschiedenen Kulturen ähneln und zu Elementarbegriffen verdichten. Der Kreis – und
dazu wird der Gürtel in geschlossenem
Zustand – ist ein Symbol der Ganzheit oder des
Selbst. Wo das Motiv des Kreises auftaucht,
ob in Träumen, religiösen Darstellungen oder
in der Kleidung, weist es auf einen Aspekt des
Lebens hin – die ursprüngliche Einheit. Gleichzeitig ist der Ring eine geschützte Zone. So
steht auch Goethes Faust im Kreis, um vor übernatürlichen Mächten gefeit zu sein. Dort kann
er ohne Gefahr den Zaubertrank der Hexe trinken, der ihm jugendliche Stärke verleiht.
Wir können uns heute kaum noch in solche
Vorstellungen hineinversetzen, weil die moderne
Rationalität vieles entzaubert hat. Magische
Kreise und Zaubergürtel existieren noch in Märchen und Sagen, kaum mehr als lebendige
Wirklichkeit.
Das Umlegen des Gürtels nur als
praktische Handlung zu interpretieren, greift
dennoch zu kurz. Die immer gleiche, ritualisierte Geste, die ihn schließt, macht den Gürtel
zu dem Ring, worin der Mensch im Mittelpunkt
steht. Das Verbinden zweier Enden zum Kreis
entspricht der alchemistischen coniunctio
oppositorum, der Verbindung des Polaren. Das
Bild des Ouroboros, einer sich in den Schwanz
beißenden Schlange oder auch eines Drachens,
ist hierfür eine grandiose Metapher. Der
tiefere Sinn der Alchemie spiegelt sich im Umlegen und Schließen des Gürtels. In einer
Welt, die aus gegensätzlichen Prinzipien wie
Mann und Frau, Geburt und Tod, Liebe
und Haß, Tag und Nacht oder heiß und kalt
besteht, ist das Verbinden eine nachgerade
göttliche Handlung. Der gegürtete Mensch steht
im Mittelpunkt eines Kreises und ist somit –
zumindest im übertragenen Sinn – ganz und
heil. In der Alchemie fungiert der Kreis, der
einen Punkt umschließt, als Piktogramm für das
Metall Gold, das in der Tradition der hermetischen Wissenschaft mit der Sonne als göttlichem Prinzip in Zusammenhang gebracht wird.
Die Vertreibung von Adam und Eva aus
dem Paradies ist das Bild der Entzweiung –
also des nicht mehr Eins-Seins mit Gott. Der
erste Versuch der beiden, sich nach dem
großen Krach mit Gott und der Vertreibung
aus dem Garten Eden nicht nackt und bloß –
also ungeschützt – vorzukommen, bestand der
Bibel zufolge im Bedecken ihrer »Blöße« mit
Feigenblättern. Ich möchte nicht soweit gehen,
zu behaupten, daß die Genesis umgedeutet
oder die Modegeschichte vom Anfang der
Menschheit an umgeschrieben werden müßte.
Aber ich bin überzeugt, daß nach dem
Sündenfall und der folgenden Scham über die
eigene Nacktheit die Feigenblätter nicht
auf Dauer mit den Händen oder gar durch den
Heiligen Geist gehalten wurden. Adam und Eva
taten vielmehr das, was einige indigene Bevölkerungsgruppen in Südamerika, Afrika und
Australien heute noch tun: Sie banden sich – als
erste vestimentäre Tat der Menschheit – eine
Eingetragen in das Wanderbuch
Register sub Nr. ……Folio…..
Wanderbuch
/: 32 Blätter enthalten:/
Für Schuster Joachim……
von Traunstein königl Landge=
richts Traunstein……........im
Isar……...Kreise gebürtig ein
Riemer……Sohn von Profession
ein Riemer…geboren im Jahre
1818 den Sechzehenten August
Größe. 5´ 3´´ -,,……................
Gesicht. rund…….................
Augen. schwarz……..............
Nase. klein…….....................
Mund. breiten…….................
Haare. dunklbraun…….........
Sonstige Zeichen. Keine……..
Dessen Unterschrift
Joachim Schuster
Schnur oder ein Band um die Hüften. Daran
lassen sich Blätter – gerne auch Feigenblätter –
oder Tücher und Fransen befestigen. Diese
für unsere Begriffe höchst unzulängliche Tracht
steht tatsächlich für eine vollkommene Bekleidung. Der hochzivilisierte Mensch hat den
sogenannten Wilden bis ins 20. Jahrhundert
hinein oft als nackten Eingeborenen dargestellt
und charakterisiert. Viele pseudowissenschaftliche Bildbände kolportieren diese
Betrachtungsweise. Sogar die Missionare unterschiedlicher Konfessionen hatten nichts
Eiligeres zu tun, als sich in die modischen Belange der Heiden einzumischen, und ihnen
die vermeintliche Nacktheit zu nehmen. In
Wirklichkeit waren die mit europäischer
Kleidung beschenkten »Wilden« nicht nackt.
Sie wären es nur ohne die unauffällige Hüftschnur, die sie trugen, gewesen.
In unserem
Kulturkreis kennen wir das schützende Eingebundensein beispielhaft in Gestalt des
»Fatschenkindes«. Noch bis um 1900 ist das feste
Umbinden von Babys, das Einfatschen, üblich:
Die Kinder wurden, beginnend unmittelbar
nach der Geburt, etwa ein Jahr lang mit einem
Stoffband – der Fatsche – umwickelt. Mit
diesem Brauch war der Glaube verbunden, daß
sich der wachsende Körper nur auf diese Weise
gerade und nicht krumm entwickeln würde.
Den tieferen, nicht nur symbolischen Grund des
Wickelns, das wir bis in die Antike zurückverfolgen können, bildet wohl die Verlängerung
des geschützten Zustands im Mutterleib –
gewissermaßen ein verzögertes »auf die Welt
Kommen«.
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Der Mensch begreift sich ursprünglich als Teil der beseelten Natur mitsamt
ihren numinosen Kräften. Um möglichen Gefahren und Schrecknissen zu begegnen,
umgibt er sich mit einem schützenden Ring.
Das kann eine Dornenhecke, ein Steinkreis,
eine Stadtmauer und im übertragenen Sinn ein
Gürtel sein. Die Situation des Umgebenseins kehrt der Mensch später um und zäunt als
zweiten Schritt das Unfaßbare ein – und
sich selbst damit aus. Gottheiten oder wilde
Tiere werden fürderhin in Form von Tempeln
und Gehegen eingegrenzt. Sehr anschaulich
stellt sich diese Entwicklung in der Mutation
vom Jäger und Sammler zum heutigen
Zoobesucher dar. Kulturgeschichtlich gehören
Gürtel zur erstgenannten Bewußtseinsstufe,
die wir über die Jahrtausende bis heute in uns
weitergetragen haben.
Über einen so langen
Zeitraum entstanden unzählige Varianten von
Gürteln, die sich in Material, Form, Verzierung und Anspruch zum Teil erheblich unterscheiden. Von der einfachen Hüftschnur
reicht das Spektrum über mehrgängige Perlengürtel aus Afrika und prachtvolle Silberarbeiten
aus dem Kaukasus bis zum Nietengürtel der
Punkmode. In Japan gibt es sogar eigene Lehrbücher für das korrekte Binden der komplizierten Obi-Schleifen zum Kimono.
A
uch in Bayern, Österreich und Südtirol
hat sich eine einzigartige Gürtelkultur entwickelt. Das Trachten-Informationszentrum des
Bezirks Oberbayern hütet einen Gürtelschatz,
der in seiner Qualität und Vielfalt einmalig ist.
Das vorliegende Buch dokumentiert
einen Teil dieser Sammlung – angereichert
mit ausgewählten Leihgaben aus privatem
und öffentlichem Besitz. Der Bestand des
Trachten-Informationszentrums stammt fast
zur Gänze aus der Sammlung von Dr. Ewald
Martin, dem Autor des Grundlagenwerks
»Mannsgurten«.
Die Frauen- und Männergürtel
unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht:
Männergürtel bestehen immer aus Leder – das
vom Rind, Hund, Pferd oder der Ziege stammen
kann – und einer Metallschließe. Frauengürtel
können auch ganz aus Metall gefertigt sein.
Bis auf wenige Ausnahmen, die wie die Männergürtel eng anliegen, werden Frauengürtel schräg
zur Seite oder nach vorne hängend getragen.
Männergürtel dienen bis ins frühe 17. Jahrhundert primär zum Mitführen bzw. Tragen von
Beuteln, Messern oder Dolchen. Diese Funktion
tritt danach immer mehr in den Hintergrund,
und um 1750 sind Männergürtel modisch
bloß noch von marginaler Bedeutung. Nur im
Militärwesen und in Form des Kavalierdegens
spielt die Waffe, die am Gürtel hängt, weiterhin
eine wichtige Rolle und lebt in der Dienstpistole
am Gürtel in unserer Zeit weiter. Die Frauen
tradieren dagegen ohne zeitlichen Bruch eine
Sitte, die weit hinter das Mittelalter zurückreicht. Diese zeigt sich besonders augenfällig im
Tragen von Schlüsseln, Feuerschlägern, Messern
und anderen Accessoires am meist reich
verzierten Gürtel. Frauengürtel sind weit stärker
Traditionen und Überlieferungen verpflichtet
als die Männergürtel, die im 17. und 18. Jahrhundert nicht nur ihre überlieferte Funktion
einbüßen, sondern zeitweise fast gar keine Rolle
mehr spielen.
Absolut rätselhaft ist vor diesem
Hintergrund die Tatsache, daß der Gürtel um
1750 wie aus dem Nichts in der bäuerlichbürgerlichen Männerkleidung wieder erscheint,
ohne auf Vorbilder aus der Mode des Adels
oder der bürgerlichen Oberschicht zurückzugreifen. Im Regelfall steht das bäuerliche
und bürgerliche Gewand in einer klaren Beziehung zur Gewandung der Oberschicht.
Meist deutlich vereinfacht und zeitlich verzögert
werden modische Elemente als abgesunkenes
Kulturgut übernommen und entsprechend
verändert. Das gilt sowohl für die allgemeine
Mode als auch für die Trachtenkleidung. Die
»Mannsgurten« bilden, ohne daß wir dafür über
eine zufriedenstellende historische Erklärung
verfügten, eine Ausnahme von der Regel. Um
so mehr erstaunt die handwerklich brillante
Ausführung der Artefakte und eine regionaltypische Gestaltung, die Trachtencharakter besitzt.
T
racht ist ein eigenständiger Komplex
in der allgemeinen Mode und lebt von der Vorstellung, daß Kleidung und Accessoires unter
anderem mit Tradition, Identität und Regionalität verbunden sind. Viele Jahrhunderte lang
bedeutet Tracht primär das Getragene allgemein – die Bekleidung. Darüber hinaus verweist
der Begriff auf den Kleidungskodex einer
bestimmten sozialen Gruppe. Bis in die Mitte
des 18. Jahrhunderts ist die Tracht – quer
durch alle gesellschaftlichen Schichten – auch ein
Kennzeichen der jeweiligen Standeszugehörigkeit. Ob Patrizierin, Pfarrer, Magd oder Bauer,
jeder trägt eine Kleidung, die seine Stellung
innerhalb der Gesellschaft dokumentiert.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
erfährt der Begriff Tracht einen Bedeutungswandel. Er wird neben der regionalen
Zuordnung zunehmend auf das bäuerliche
Bekleidungsverhalten eingegrenzt. Dabei
schwingt gleichzeitig eine Kategorisierung der
Gesellschaft in oberschichtliche Elitenkultur
und Volkskultur mit. Diese Einteilung verschleiert die Tatsache, daß sich zu jeder Zeit
unterschiedliche Eigenkulturen innerhalb
der Stände, Klassen oder Schichten herausgebildet haben. Das trifft auch auf das Landleben
des späten 18. und des 19. Jahrhunderts zu
und führt zu einem Spektrum divergierender,
wenngleich oft sehr vager Vorstellungen
darüber, was Tracht ist. Der Begriff löst eine
Reihe von Assoziationen aus, die unser Bild
des in Tracht gekleideten Menschen prägen.
Einige der gängigen Klischees zielen auf ganz
bestimmte Kleidungsstücke wie die Lederhose,
das Dirndl oder eben den Gürtel. Die zu
Weltruhm gelangten Sängergruppen aus dem
Zillertal im 19. Jahrhundert sind so wenig
ohne Ranzen vorstellbar wie der ausstaffierte
Salontiroler in Wien oder Berlin. Die Flößer
aus dem Isarwinkel präsentieren sich um 1900
ungeniert in den Joppen und Ranzen ihrer
Großväter. So befördern sie die Vorstellung
einer eigenständigen historischen Flößertracht,
zu der auch der Geldgürtel gehört. In Wirklichkeit tragen sie eine bäuerliche Mode aus der
Zeit um 1850.
Ebenfalls um die Jahrhundertwende lassen sich Brauchtumsgruppen in wild
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zusammengewürfelten Trachten ablichten.
So werden zum Beispiel geschichtliche
Ereignisse wie Bauernaufstände samt den
vermeintlich zugehörigen Waffen theatralisch nachgestellt. Als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, vermengt
sich dabei Klischeehaftes mit authentischer
Tradition. Ein zinngenagelter Gürtel mit
Doppeladlermotiv aus der Zeit um 1760 wird
bedenkenlos mit Gehrock und Weste der
Zeit um 1860 kombiniert. Nicht einmal daran,
daß der Doppeladler auf dem Kopf steht,
schien sich jemand zu stören. Auf einem allegorischen Gemälde um 1870 gehen ein
bäuerliches Kostüm und der bürgerliche Frauengürtel des 18. Jahrhunderts stillvergnügt eine
Verbindung mit Versatzstücken anderer
Epochen ein. Liaisons solcher Art befriedigen
zwar – sonst fänden sie keine Resonanz – vorhandene Sehnsüchte und Bedürfnisse;
kostümgeschichtlich stimmig sind sie nicht.
Den Nährboden für diese »modischen Stilblüten« bildet der Historismus des 19. Jahrhunderts – eine Haltung, die in historischen
Anleihen das eigene Selbstverständnis sucht.
Nicht nur in der Bekleidung, auch in der
Architektur und anhand vieler Kunstobjekte läßt
sich dieses Phänomen beobachten; in unserer
eigenen Zeit haben wir unter dem Namen
Postmoderne einen vergleichbar eklektischen
Umgang mit historischen Formen und Stilen
kennengelernt. In beiden Fällen wird der
»schöne Schein« zum Surrogat dessen, wonach
die Menschen eigentlich, wenngleich vergeblich
suchen: gelebte Tradition und Authentizität.
Wenn wir über die Naivität dieses Strebens
lächeln, vergessen wir gerne, wie sehr unsere
Bemühungen in der Heimat-, Trachten-, oder
Volksmusikpflege weiterhin dem Ideal des
vermeintlich Echten verpflichtet bleiben. Wir
sind Kinder unserer Zeit und tun uns oft
schwer, die eigene Geschichte ohne romantisch
beseelte Rückgriffe zu betrachten. Schon deshalb lohnt sich ein genauerer Blick auf die
historischen Tatsachen, um nicht nur die Vergangenheit, sondern auch unsere eigene Gegenwart
ausbalancierter und weniger vorurteilsbehaftet
wahrzunehmen.
D
ie Gürtel in diesem Buch
sind Relikte früherer Epochen. Sie wurden von
Menschen hergestellt und getragen, die sich
und ihre Umwelt unter Umständen gänzlich
anders verstanden, als wir das heute tun. Wir
sind weder in der bäuerlichen Welt des 18. und
19. Jahrhunderts aufgewachsen, noch haben
wir einen bürgerlichen Riemer und Pfauenfederarbeiter wie Joachim Schuster auf seinen
Reisen begleitet. Deswegen können viele Schlußfolgerungen, die wir vor dem Hintergrund
unseres heutigen Erfahrungshorizonts ziehen,
nur spekulativ sein. Die Quellenlage zum
Umfeld der bürgerlichen und bäuerlichen Menschen ist dürftig. Das Leben und der Besitz
des Adels wie der reichen Bürgerschaft sind
wesentlich besser dokumentiert. So wissen wir,
daß der Schmuckgürtel in der hochschichtlichen
Mode des 18. Jahrhunderts höchstens noch eine
marginale Rolle gespielt hat. Einen derartigen
Bedeutungsverlust hat der Gürtel in der bürgerlichen und bäuerlichen Frauenmode nicht
erlitten. Um 1750 beobachten wir freilich in der
Welt der Bürger, Handwerker und Bauern –
ohne daß wir eine zufriedenstellende historische Erklärung dafür hätten – auch bei
den Männern ein verstärktes Bedürfnis, sich
auffällig zu gürten: Neben den bereits für
die Zeit davor beinahe durchgängig nachgewiesenen Frauengürteln sind ab der Mitte
des 18. Jahrhunderts in wachsender Zahl auch
Schmuckgürtel für Männer überliefert.
Viele dieser frühen Originalstücke sind
datiert und erleichtern so die zeitliche
Einordnung. Auch eine Aufteilung in Gruppen
und die regionale Zuordnung ist anhand
der großen Zahl an erhaltenen Gürteln und
Querverweisen möglich.
Riemer- und Sattlerwerkstätten, denen bestimmte Gürteltypen
sicher zugeordnet werden können, sind
sporadisch durch schriftliche Belege auszumachen. Das können aufgeleimte Firmenschildchen oder handschriftliche Vermerke sein.
Durch diese frühe Form der Firmenwerbung
ist uns zum Beispiel der Name Joseph Lughofer
aus Saalfelden im Pinzgau bekannt, der auf
obengenannte Weise um 1850 seine handwerkliche Existenz als Riemermeister auf der
Rückseite eines Ranzenblatts dokumentierte.
Seine Verwandtschaft kannte den Wert
einer nachhaltigen Reklame ebenfalls und
stickte um 1830/40 immer wieder Botschaften
wie »Gemacht Mittersill« und »Verfertigt in
Saalfelden« groß und breit auf die Schauseite
ihrer Fatschen. Denselben Gürteltypus dekorierten die Lueghofers auch mit so phantasievoll abgewandelten Sprüchen wie »Gutten
Morgen« oder »Guten Morgen« – der Reiz
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welcher angewiesen wird, die=
ses Wanderbuch jeder Orts=
Obrigkeit zur Visirung vor=
zulegen, und darin die Zeug=
nisse über Arbeit und Aufführ=
ung eintragen zu lassen, dann
nachstehende Bestimmungen
genauest befolgen
den Achtzehenten
Oktober Eintausend acht
hundert Dreysig Sechs
Königlich baÿerische
Landgericht Traunstein
Hacker
Auszug
aus den allerhöchsten Ver=
ordnungen vom 11ten Oktober
1807. 16ten März 1808. und
2ten Juli 1812, dann dem
königl. baÿer. Strafgesetz=
Buche.
1.) Der wandernde Inländer
darf ohne Bewilligung der
vorgesetzten k. Kreisregierung
die baÿer. Staadten nicht verlas=
sen, eben so wenig über die ihm be=
willigte Wanderungszeit ausblei=
ben, und wenn ihm auch in das
Ausland zu wandern erlaubt
wird, in keine andere als in
die ausdrücklich benannten
Staaten zu wandern.
liegt hier hauptsächlich in der wechselnden
Orthografie bzw. Orthographie oder Ortografie;
auch in dieser Hinsicht stehen wir unseren
Vorfahren womöglich näher als uns lieb ist.
Im Unterschied zur Familie Lughofer oder
Lueghofer kann Joachim Schuster bis jetzt
kein einziger Gürtel zweifelsfrei zugeordnet
werden. Dafür gibt das Wanderbuch
Aufschluß über die Stationen seines Wirkens
als Riemer und Pfauenfederarbeiter. Anhand
der Eintragungen lassen sich die Wanderbewegungen des Gesellen präzise auf der Landkarte nachvollziehen. Er arbeitete an Orten in
Österreich wie Wels und Gmunden genauso
wie in München, Miesbach, Tölz in Oberbayern.
Immer wieder stand er bei Sattler- und Riemermeistern im niederbayerischen Rottal und
dem Gäuboden ein. Joachim Schuster hat, je
nach Auftragslage und nach der Finanzkraft
seiner Kunden, sicher die unterschiedlichsten
Arbeiten ausgeführt. Kurzfristige Aufenthalte
und mehrjährige Stellungen wechseln sich
auf den Reisen durch Bayern und Österreich ab,
und es fällt auf, daß er nie ins benachbarte Tirol
gewandert ist. Das liegt möglicherweise am
regional unterschiedlichen Stil der Stickerei oder
am Konkurrenzdruck durch andere Riemer,
die zu seiner Zeit einen zahlreich vertretenen
Berufsstand darstellten. Immer wieder kehrt
Joachim in seine Heimat Traunstein zurück und
arbeitet für seinen Bruder, den Sattlermeister
Thaddäus Schuster, der die elterliche Werkstatt
übernommen hat.
Wie Joachim Schuster seine
Arbeitsplätze, wechseln auch die Gürtel im
Laufe der Zeit ihr Zuhause meist mehrmals,
bis sie über den Handel in Sammlungen
kommen. Nur sehr wenige Stücke blieben über
Generationen in Privatbesitz. Das hat zwei
Gründe: Zum einen wurden die prächtigen
Schmuckgürtel als Teil der sogenannten Volkskunst bereits um 1900 Sammlungen einverleibt. Zum anderen wurden und werden
Erbstücke, die in den Augen der Erben keinen
ökonomischen oder gefühlsmäßigen Wert
darstellen, bereitwillig veräußert.
Der Besitz
als solcher steht in vielen Kollektionen im
Vordergrund, und von einer gründlichen Dokumentation des Artefakts wird eher abgesehen.
Die historischen Originale erscheinen als reines
Objekt ohne Geschichte. Bei privaten Sammlern
wie bei Museen entwickelte sich erst spät
das Bewußtsein, daß das Hintergrundwissen
mit zum Gegenstand gehört. So stellt sich
heute unter anderem die Frage nach der Verbreitung und den ehemaligen Eigentümern der
Gürtel. In Aufzeichnungen mit volkskundlichem
Hintergrund, wie der großartig aufschlußreichen »Bavaria« von Joseph Friedrich Lentner
aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, wird viele
Dutzend Male von Gürteln berichtet.
Neben Landschaft, Eßgewohnheiten, Bräuchen
und Festen der Menschen sind ihre Trachten
beschrieben. Überliefert ist in erster Linie die
Tatsache, daß Frauen- und Männergürtel
weit verbreitet waren, nicht wie diese genau aussahen. Wir müssen uns also mit Sätzen wie
den folgenden zufriedengeben:
»Senne und Hirtenbube tragen zum Hemde die
lederne Kurzhose, Boanhösln und Bundschuhe,
dazu eine lederne oder grüne Hosenkraxe
und manchmal die Lederbinde.« (Lentner,
Joseph Friedrich, Bavaria: Das Alpenwesen im
bayerischen Hochgebirge)
»Die älteste Männerkleidung dieser Gegend bestund in kurzen Hosen
vom Loden oder Zwilch, in langen Röcken, des
Winters von Loden; für die Feiertage im Sommer
von schwarzer Zwilch oder weißem Barchent
mit Haften besetzt; gelbe oder schwarze Lederhosen gehörten zur großen Festtracht, ebenso ein
rothes Leibl grüne Halftern und mit Zinnstiften
beschlagene oder mit Pfaufedern oder mit
gefärbtem Pergament abgenähte Lederbinden
waren allgemein üblich.« (Lentner, Joseph
Friedrich, Bavaria: Oberbayern. V. Hauptgruppe.
Mittleres Land zwischen Isar und Salzach)
»Die schwarze Lederhose reicht unter’s Knie.
Sie wurde ehedem von einer schwarzen silberbordierten Halse festgehalten und um die Lente
gürtete der Mann eine mäßig breite abgenähte
Lederbinde« (Lentner, Joseph Friedrich, Bavaria:
Oberbayern. I. Hauptgruppe. Das Land
zwischen Lech und Isar)
»Bräute erscheinen
noch in dunkler Kleidung; doch ist der früher
auf Samt genähte Brautgürtel außer Übung
gekommen« (Lentner, Joseph Friedrich, Bavaria:
Oberbayern. IV. Hauptgruppe. Salzburger Land)
»In älterer Zeit erschien die Braut ganz in
der selben Kleidung, nur zierte sie der silberne
feingegliederte Brautgürtel, und die hohe
Krone aus Flitter, Glassteinen und Golddraht
auf dem zurückgestrichenen Haare, dessen
Flechten mit rothen Bändern durchwunden über
den Rücken hinabfielen.« (Lentner, Joseph
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Friedrich, Bavaria: Oberbayern. I. Hauptgruppe.
Das Land zwischen Lech und Isar)
»Die Braut
muß bei der ganzen Ceremonie sehr ernsthaft
sein. Sie ist schwarz gekleidet, mit dem silbernen
Brautgürtel um die Hüften und trägt im Haar
ein Kranl oder einen Kranz aus Rosmarin und
künstlichen Blumen, daran eine blaue Masche
mit einer Silbernadel festgesteckt.« (Lentner,
Joseph Friedrich, Bavaria: Oberbayern.
III. Hauptgruppe. Zwischen Inn und Salzach)
Neben Texten besitzen wir Bildquellen wie
Votivtafeln, Trachtengraphiken, Portraits
und Photographien, die in ihrer Aussagekraft
sehr unterschiedlich zu bewerten sind.
Votivtafeln vermitteln durch die stereotypen
Abbildungen der Votanten meist nur den
Gesamteindruck einer gerade vorherrschenden
bäuerlichen Mode. Dagegen bemüht sich
der Portraitist in der Regel darum, ein möglichst treffendes Konterfei des meist bürgerlichen
Auftraggebers zu schaffen. In der Graphik
wiederum finden sich wirklichkeitsgetreue Bilder von ländlichen Personen ebenso wie vollkommen realitätsferne Darstellungen. Drucke,
die aus ethnologischem Interesse gefertigt
wurden, unterscheiden sich erheblich von Blättern, die den großen Markt klischeehafter
Trachtenbilder bedienten und einer bürgerlichen Romantisierung des Landlebens
entsprachen. Die Photographie ist die jüngste
Bildquelle. Erst um 1860 erobert sie den
ländlichen Raum und hinterläßt uns wichtige
Zeugnisse der Kleidungskultur unserer
Vorfahren. Allerdings kennt auch das frühe
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Lichtbild die vorgetäuschte Wirklichkeit in Form
bewußt gestellter Situationen und Inszenierungen. Ob Abbildungen in erster Linie die
Aufgabe haben, die Wirklichkeit für die
Nachwelt festzuhalten, ist ohnehin nicht sicher.
U
m die Originalstücke, Texte und Bildquellen zu interpretieren, muß der innere
Antrieb des Kleidungsverhaltens verstanden
werden. Gewand und Accessoires sind eine
subtile Ergänzung der menschlichen Sprache.
Sie vermitteln Botschaften, um den Status,
die Gruppenzugehörigkeit und die Persönlichkeit ihrer Träger zu bezeichnen. Daneben
inszeniert sich der Mensch durch sein Gewand
selbst und versucht damit, einem Idealbild von
sich näherzukommen bzw. ein solches Idealbild zu vermitteln. Die »Botschaft« der Schmuckgürtel erschließt sich vor allem über ihre Motive.
Zeichen, Symbole und Ornamente erlauben
Rückschlüsse auf die gegürteten Menschen und
ihre Zeit. Vieles davon bleibt freilich bloße
Vermutung oder Hypothese; nur wenig darf als
gesichertes Wissen gelten.
Betrachten wir
beispielsweise das Wappen des Salzburger
Fürstbischofs Graf Schrattenbach, das zweifach
auf einem Männergürtel um 1760 neben Doppeladler und Löwen in das Leder geprägt ist.
Über Siegmund Graf Schrattenbach und seine
Lebensumstände wissen wir einiges, sein
Wappen kennen wir auch aus anderen historischen Zusammenhängen, und daran, daß
es im Verein mit den heraldischen Tieren den
fürstbischöflichen Machtanspruch in der
absolutistischen Welt des 18. Jahrhunderts
symbolisiert, besteht kaum ein Zweifel. Für
ein tieferes Verständnis des Gürtels müßten wir
allerdings auch wissen, wer ihn zu welchem
Zweck getragen hat. Gerade in dieser Hinsicht
tappen wir leider im Dunkeln. Es kann ein
Verwaltungsbeamter der fürstlichen Saline ebenso gewesen sein wie ein bischöflicher Jäger oder
ein Angehöriger des Salzburger Militärwesens.
Auf Männergürteln aus der Zeit zwischen
1750 und 1800 finden sich weitere Abbildungen,
die noch mehr Rätsel aufgeben. Hauptsächlich
treten bis etwa 1770/80 Doppeladler, Steinböcke
und Hirsche neben Löwen und Blumen
zusammen mit religiösen Zeichen wie INRI
oder den Namen Marias und Josephs auf.
Als Einzelbeleg erscheinen sogar Sonne, Mond
und Sterne zwischen zwei Löwen, die mit
den Himmelszeichen zu spielen scheinen.
Soweit es sich nicht um rein kirchliche Symbole,
Jahreszahlen oder Monogramme handelt, haben
alle diese Motive ihre Entsprechung in der
hermetischen Wissenschaft, insbesondere der
Alchemie. Die Sonne bedeutet das Gold,
der Mond das Silber. Der gekrönte Doppeladler
als Zeichen universaler Herrschaft mit
Christussymbolik steht wie die verschlingenden
Löwen oder der Steinbock als Tier mit astrologischem Charakter in einem komplizierten
alchemistischen Bezugssystem.
Für eine zufriedenstellende Deutung oder Erklärung der
Motive auf den Gürteln ist aber selbst eine
genaue Kenntnis dieses Bezugssystems nur
von beschränktem Nutzen. Fast alle Symbole
sind polyvalent und entfalten in mehreren,
sich überlagernden Sinnzusammenhängen
unterschiedliche Bedeutungen. Die Rose etwa
ist im Christentum ein Sinnbild für das
Paradies, die dornenlose Rose für Maria, die
Gottesmutter. In der Alchemie galt sie als
Blume der Weisheit und des klaren Geistes. Der
Doppeladler gelangte erst durch orientalische
Vorlagen im 11. Jahrhundert nach Europa.
Wenn wir ihn heute eng mit dem Hause Habsburg und Österreich verbinden, vergessen wir
seine lange Geschichte, die weit in die Zeit
vor Christi Geburt zurückreicht. Die Armenier
kennen den Doppeladler als dynastisches
Zeichen immerhin schon seit dem 4. Jahrhundert. Vor dem Hintergrund dieser reichhaltigen
Tradition wäre es dem Verständnis wenig
dienlich, den Doppeladler ausschließlich als
nationales Emblem der Donaumonarchie anzusehen. Er ist ein archetypisches Symbol,
Stellvertreter für ein Dualsystem, gleichzeitig
Darsteller und Versöhnender der Gegensätze.
Auf den Gürteln ist der Doppeladler auch
nicht mit dem Wappen des Heiligen Römischen
Reichs dargestellt, sondern mit einem Herz.
Auf die naheliegende Frage: welche Bedeutungen
wurden von wem in welcher Zeit aufgrund
welcher Vorbilder den verschiedenen Symbolen
zugemessen? – gibt es angesichts dieser Gemengelage keine überzeugende Antwort. Zu
sehr haben sich verschiedene vorbildhafte
Ebenen bastardisiert.
D
ie gleichzeitige Verwendung antiker, alchemistischer und christlicher Symbole verwundert zunächst. Eine
hypothetische Erklärung dieses Phänomens
ergibt sich aus den Vorlagen, die von den
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Handwerkern des 18. Jahrhunderts benutzt
wurden. Den künstlerisch begabten Riemern
standen Einblattdrucke und in seltenen
Fällen illustrierte Bücher zur Verfügung.
Dem Zeitgeschmack entsprechend kursierten
in dieser Bilderwelt auch viele Zeichen aus der
Alchemie und wurden kopiert. Gleichzeitig
lebten Reste des Bildungsmonopols der Kirche
im 18. Jahrhundert fort. Fromme Sprüche
und teils gänzlich zusammenhangslose Buchstaben erweckten in einer nicht vollständig
alphabetisierten Welt überdies den Eindruck,
man könne lesen und schreiben.
Selbst wenn
sie aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang
gerissen sind, war den religiösen und alchemistischen Zeichen wohl eine Art Restmagie zu
eigen. Am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, als die moderne Chemie im nüchternen
Geist eines Lavoisier und seiner Nachfolger
die Alchemie ablöst, verändert sich zugleich die
geheimnisvolle Bilderwelt auf den Gürteln.
Viele Symbole werden weiterhin benutzt, aber in
spürbar anderer Art und Weise. Sie wirken
beliebiger und in zunehmendem Maß als dekorative Versatzstücke.
Befremdlich erscheint
das alles nur auf den ersten Blick. Wir kennen
ähnliche Phänomene auch aus unserer Zeit.
In ein und demselben Haus geben sich das
Kruzifix an der Wand, die maskottchenhafte
Buddhastatue auf dem Fensterbrett und
der pseudoindianische Traumfänger über dem
Bett ein synkretistisches Stelldichein. Und
ausgerechnet »auf der Gürtellinie« kommt es
sogar dann zu einer Verschmelzung von
18
Zeichen aus unterschiedlichen Kulturen, wenn
der Gürtel selbst durch Abwesenheit glänzt:
Die umgangssprachlich als Arschgeweih
bezeichnete und ursprünglich meist ornamental
gestaltete Tätowierung oberhalb des Steißbeins, die in den neunziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts in Mode kam, wird im neuen
Jahrtausend ohne tiefere Sinnfrage mit chinesischen Schriftzeichen und sich windenden
Drachen kombiniert. Neben ihrer modischen
oder schmückenden Funktion entfalten
derlei Zeichen und Symbole einen latenten
Schutzzauber. Das gilt selbst in einem so
prestigeträchtigen Bereich wie dem der Automarken – beispielsweise für den Mercedesstern, die Emmy des Rolls Royce, den Jaguar
auf der Haube der gleichnamigen Nobelkarosse
oder den Dreizack im Kühlergrill des Maseratis.
Inwieweit ein kleines grünes Krokodil am
Poloshirt noch magische Kräfte ausstrahlt, sei
dahingestellt.
Bis in die Zeit um 1800 ist die
Tierwelt auf den Riemen noch überschaubar –
dafür begegnet uns auf den Männergürteln
des 19. Jahrhunderts ein wahres Bestiarium:
Löwe, Adler, Taube (Heiliger Geist) und andere
Vögel, Hirsch und Hindin, Steinbock und
Gams, Roß, Hund, Fuchs und Hase, Osterlamm,
Stier und Ochs, um nur einige zu nennen.
Die aufrecht stehenden Löwen fungieren jetzt
eher als heraldische Begleitung des bayerischen
Wappens, während springende Hirsche unbändige männliche Kraft und Dynamik zeigen.
Löwe und Hirsch gemeinsam ist das oft in
roter Farbe deutlich abgesetzte Geschlechtsteil.
Ob es sich dabei um reine Konvention oder
eindeutig zur Schau getragene maskuline Potenz
handelt – oder womöglich beides –, bleibt
damals wie heute dem Urteil der Betrachter
überlassen.
Weiter ins Ungewisse führt uns
der Versuch einer Deutung der Spiralen,
Granatäpfel, Tulpen und Lebensbäume, die auf
Gürteln dargestellt sind. Allzu bedeutungsschwere Interpretationen erscheinen nicht angebracht, und so mancher vermeintliche
Lebensbaum erweist sich bei näherem Hinsehen
als stilisierte barocke Blumenvase von überwiegend dekorativem Charakter. Der Granatapfel
und die Tulpe deuten auf einen größeren kulturhistorischen Zusammenhang hin. Seit dem
Mittelalter hat der Orient unseren Lebensraum
stilistisch mit diesen und anderen Symbolen
geprägt. Symbole sind – vor allem nach der
Wanderung von einer Kultur in die andere –
polyvalent. Es ist deshalb schwierig, ihre jeweils
zutreffende Bedeutung zu erkennen. Der
samengefüllte Granatapfel steht für die göttliche
Liebe und Barmherzigkeit ebenso wie für die
menschliche Zuneigung und Fruchtbarkeit. Die
Tulpe begegnet uns dichterisch überhöht als
Tulipan in barocken Sonetten, und ihre Zwiebeln waren einst von allerhöchstem Wert.
Ob dies hingegen einem Rottaler Bauern in
Niederbay­ern um 1800 ebenfalls bekannt war,
ist die Frage. Auf seiner Prachtfatsche sah
der gemeine Landmann jedenfalls lieber exotische Symbole als einen Krautkopf oder gar ein
profanes Hausschwein. Im Gegensatz zur Sau,
die nur einmal auf dem Ranzen eines Viehhändlers erscheint, sind Rösser – auch in
Kombination mit Wägen – schon auf frühesten
Gürteln häufig vertreten. Sie stehen vor allem
für einen stolzen, reichen Bauernstand und
können als berufsspezifische Abbildung gelten.
Neben den vermögenden Bauern zeigen
um 1760/70 vor allem Schmiede, Müller, Metzger und Schiffmeister ihren Berufsstand
auf den Gurten. Bei der Suche nach geeigneten
Darstellungsweisen entstanden Bilder mit
hohem Wiedererkennungswert, die noch nach
Jahrhunderten verständlich sind. Diese Signets
sind graphische Meisterleistungen, die nur
mit Zeichen und ohne erklärende Worte alles
sagen, was zu sagen ist. Dabei wird zum
Beispiel das unmittelbare Handwerkszeug eines
Metzgers wie Messer und Hacke mit dem
vieldeutigen Stierkopf verbunden. Anker, Ruderblatt und Haken kennzeichnen den Schiffmeister, und das Mühlrad mit der Haue den
Müller. Während Rechen, Sense und Schaufel
auf den Bauern hinweisen, bilden zwei
gekreuzte Sensenblätter das schlichte Markenzeichen für einen Hammerherrn. Um 1830
kommen die Zeichen weiterer Berufsstände wie
Brauer, Zimmerer und Schreiner mit ihren
berufstypischen Werkzeugen hinzu. Äußerst
selten – und nur auf einen kurzen Zeitraum
um 1810 beschränkt – sind Gürtel, auf denen,
wiederum berufsspezifisch, bewegte Szenen
phantasievoll illustriert werden.
Den Raum
zwischen den bedeutungstragenden Symbolen,
Signets, Jahreszahlen und Monogrammen
füllen ornamentale Elemente aus. Die sich
wiederholenden Muster haben hauptsächlich
dekorative Funktion. Dabei akzentuieren,
gliedern und rahmen sie die Darstellungen,
19
die in den Vordergrund treten sollen. In der
Fläche wird das vor allem mit floralem Dekor
erreicht. Im Randbereich dominieren Zierbänder in Form von Sternchen, Wellenlinie,
laufendem Hund und geometrischen Mustern.
Die ursprüngliche Aufgabe der Verzierungen
verändert sich im 19. Jahrhundert, und die
Ausschmückung tritt zunehmend in den Vordergrund. Das geht so weit, daß sprossendes
und sich windendes Ranken- und Blütenwerk
den ganzen Gürtel bedeckt und beherrscht.
Dem Schließmechanismus wird unterschiedlich starke Beachtung zugemessen. Jedoch
sind allen Gürteln eine oder mehrere Schnallen
aus Zinn, Messing oder Silber gemeinsam.
Sie bilden ein wesentliches Gestaltungselement
vieler Gürtel und akzentuieren deren Anfang
und Ende. Einige Gürtel ergeben erst in
geschlossenem Zustand ein stimmiges Bild oder
eine sinnvolle Jahreszahl. Andere besitzen eine
prägende Mitte zwischen zwei gespiegelten
Mustern, und manche lesen sich linear ähnlich
einer Bildergeschichte. Je nach Ausführung
der Gürtel werden die Schließen vorne, hinten
oder seitlich versetzt getragen. Trotz der Kunstfertigkeit, mit der viele Schnallen gegossen,
getrieben, graviert und punziert sind, bleiben sie
im Gesamteindruck dem eigentlichen Gürtel
in der Regel untergeordnet.
Eine Ausnahme
bilden bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schmucklose Lederriemen, deren
auffälligster Bestandteil gerade nicht der Gürtel
sondern die Schließe ist. Die Koppelschließen
sind als Kastenschloß in Prägeform oder als
20
einfache Metallplatte wesentlicher Bestandteil
vieler Uniformen und entstammen wohl
auch der militärischen Mode. Über ihre emblematische Wirkung hinaus sind die Koppeln
mit Schloß eine Art Schutzring, den der Soldat
zur Stärkung seines Mutes dringend braucht.
Das Schließen des Koppels begleitet ein
metallisches Klicken. Hier drängt sich die Assoziation zum Sicherheitsgurt des Automobils
auf: Er schließt ebenfalls hörbar und war in
den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts
als Bauchgurt ohne Schulterstück ebenso symbolisch – und im Hinblick auf seinen Schutzzweck wirkungslos – wie das Lederkoppel mit
Schloß.
Abgesehen vom Militär avancieren
auffällige Gürtelschließen in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts zu einem beliebten
Accessoire beim angestellten Jagd- und Forstpersonal. Ein beliebtes Motiv sind dementsprechend Darstellungen von Wildtieren und
jagdlichen Szenen. Die finden sich außerdem –
wie sollte es anders sein – auf Schließen
mancher schneidiger Wildschützen im Alpenraum wieder. Diese Art feindlicher Übernahme von Emblemen der Berufsjägerschaft
durch die Wilderer hat weitere Entsprechungen.
Dazu gehören die Spielhahnfedern auf dem
Hut, der grüne Kragen an der grauen Joppe
und das Photo des Wildbratschützen mit seiner
Büchse in der Hand. Im Unterschied dazu
verwenden Bergleute zur festlichen Kleidung
das Koppelschloß ganz legal, und seit dem
späten 19. Jahrhundert tun dies auch zünftige
Handwerker wie Zimmerer, Metzger oder
Kaminkehrer. Darüber hinaus gebrauchen
Pfadfinder, Cowboys, Freimaurer und
Bundeswehrsoldaten die Koppelschließe bis
heute – nicht zu vergessen die Pioniere der
alpinen Gebirgsschützenkompanien. Da bei den
Koppeln das prägende Element die Schließen
sind, zeigen sie folgerichtig auch die Geschichten, Symbole, Wappen und Initialen, die
wir sonst auf den Riemen finden. Sie sind mit
gegossenen Reliefs garniert oder durch eingravierte Bilder und Ornamente verziert. Als
Material dienen – neben Eisen für Nieten und
Dorne – Messing, Silber und Zinn in unterschiedlichen Legierungen.
So prominent
ist die Schließe an den bäuerlichen und bürgerlichen Riemen des 18. Jahrhunderts sonst nicht.
Unterschiedliche Verzierungen betonen hier
die eigentliche Hauptsache – den Gürtel. In der
Mitte des 18. Jahrhunderts kommt im Alpenraum ein meist Fatsche oder Binde genannter
Gurt in Mode. Seine Form ist ein gleichmäßig
breites Band mit Schnalle und Zunge. Der
Schmuck dieser Binden besteht hauptsächlich
aus einzelnen Zinn-Nieten, die teilweise
mit farbigem Pergament und textilem Gewebe
unterlegt sind. Die Verzierung von Leder
mit Metallnieten ist um 1750 nicht grundsätzlich
neu. Neu ist die Qualität der handwerklichen
Ausführung – und das Phänomen des Schmuckgürtels in der bürgerlichen und bäuerlichen
Gesellschaft dieser Zeit überhaupt. Eine vergleichbare Technik, die Einzelnieten aus
Zinn in ornamentalen Mustern einsetzt, kennen
wir nur von Gürteln und Patronentaschen aus
Dalmatien und Bosnien-Herzegowina.
Ob sich diese Traditionslinien räumlich
und zeitlich gemeinsam oder unabhängig voneinander entwickelt haben, ist unklar. Für
Verzierungen ist Zinn, da es sich leicht
bearbeiten läßt und bei niedriger Temperatur
gegossen werden kann, geradezu prädestiniert. Dank seiner Farbe, die dem Silber
nahekommt, war es um 1750 – ähnlich wie
das goldglänzende Messing – ein Ersatz
für die unerschwinglichen Edelmetalle.
Auch Fatschen mit Eisenstiften, die Messingoder Eisenscheiben auf dem mit geometrischen Mustern geprägten Leder halten, sind
überliefert. Um die kleinen Stifte aus Zinn
und Eisen zu befestigen, wird das Leder im
gewünschten Muster für jede Niete mit
dem Pfriem vorgestochen. Die Zinn-Nägel
bestehen aus einem feinen Stift mit Kopf.
Während der Kopf auf dem Leder sichtbar
bleibt, wird der dünne Stift auf der Rückseite des Leders umgedrückt und der Nagel
fixiert. Die Eisenniete besitzt dagegen keinen Kopf, sondern wird oben und unten
verstiftet und hält so die Messing- und Eisenscheiben auf dem Leder fest.
Aus dem einzelnen
Zinn-Nagel entwickelt sich im letzten Drittel
des 18. Jahrhunderts ein gerades Band aus Zinn,
das mehrere nebeneinanderliegende Einzelnieten vortäuscht, und auf dessen Unterseite sich
ebensoviele Stifte wie Nagelköpfe befinden.
Dies bedeutet eine wesentliche Arbeitserleichterung für die Riemer, da die Löcher für die Stifte
rationeller gestochen und folglich die Nieten
schneller gesetzt werden können. Das Leder
wird nicht mehr einzeln vorgestochen, sondern
21
mit dreieckigen Nadelstempeln perforiert,
die aneinandergesetzt ein fortlaufendes Band
ergeben. Anders als mit Einzelnieten, die
sich unschwer auch zu gerundeten Linien anordnen lassen, ist mit den starren Nietenbändern ein frei wählbares Motiv nur eingeschränkt möglich. Dafür kann auf dem Leder
leichter eine fast geschlossene Oberfläche
aus Zinn geschaffen werden.
Gleichzeitig zu
den genagelten Binden werden vor 1800
auch kunstvoll bestickte und geprägte Gürtel
getragen. Daneben finden sich Mischtechniken, die die verschiedenen Verzierungsarten
auf einfallsreiche und bisweilen aufwendige
Weise miteinander kombinieren. Auf manchen
Gurten blitzen sogar – Edelsteinen gleich –
gefaßte Glassteine und bunte Stanniolfolien in
der silberfarbenen Oberfläche auf.
Die schlichte
Innenseite der Riemen ist mit einem Futterleder versehen, das flächig verleimt und an den
Kanten aufgenäht ist. Bei einzelnen Stücken
ist das Futterleder nur am oberen und unteren
Rand mit einer Naht befestigt und bleibt
zur Schließe hin offen. Auf diese Weise können
zwischen Oberleder und Futter Geld oder
Papiere geschoben werden. Ab etwa 1780 wird
das Futterleder der genagelten Fatschen anstatt
des bis dahin üblichen Leinenfadens mit
schmalen Bändern aus Pergamentleder (Zirm)
aufgenäht, die eine auffällige farbige Ziernaht
ergeben. Die schmalen Lederstreifen sind
meist in Grün gehalten und entsprechen dem
Material, das um 1795 flächig für die Stickerei
auf Gürteln eingesetzt wird. Um den Zirm durch
22
das dicke Gürtelleder stecken zu können, muß
jedes Loch mit der Ahle vorgestochen werden.
Die Pergamentlederbänder ermöglichen, bedingt
durch Material und Technik, vollkommen
neue Muster. Üblich sind Stickereien in weißer,
grüner, roter und gelber Farbe.
Im östlichen
Bayern kombiniert ein unbekannter Riemer im
ausgehenden 18. Jahrhundert das Pergamentband mit einem neuen Material – dem in feine
Streifen geschnittenen Kiel von der Schwanzfeder
des Pfaus. Der weiße Federkiel verfügt auch
in geringer Breite noch über eine enorme
Reißfestigkeit und ist wesentlich haltbarer als
die Pergamentbänder. Charakteristisch für
das Pfauenmännchen ist die Schleppe aus sehr
stark verlängerten, 100 bis 150 cm langen
Oberschwanzdeckfedern, die er zu einem prächtigen Rad aufschlagen kann. Diese Federn,
die in der Mauser abgeworfen werden, eignen
sich am besten zum Sticken.
Der blaue Pfau
stammt ursprünglich aus Indien, Sri Lanka
und Pakistan. Dort lebt er bevorzugt im hügeligen Gelände des Dschungels. Seine Domestikation im Mittelmeerraum reicht in die Zeit der
Antike zurück. Viele Belege – wie Turnierbilder
oder Wappenbücher – zeigen, daß im Spätmittelalter die Pfauenfedern häufig Bestandteil
ritterlicher Helmzieren sind. Ob die Federn
damals noch aus dem Orient eingeführt werden
oder bereits Pfauen an den mittelalterlichen
Höfen heimisch sind, ist nicht eindeutig belegt.
Wahrscheinlich finden die exotischen Tiere
mit ihren auffälligen Federn erst in der Folgezeit
in größerem Ausmaß Eingang in die herrschaftlichen Volieren und Gärten der barocken
Adelshäuser. Im 19. Jahrhundert erweitert
sich der Lebensraum der standorttreuen Vögel
auf die großbäuerlichen Höfe Niederbayerns
und Oberösterreichs. Woher der erste Federkielsticker seine Federn bezog, können wir nur
vermuten, unbekannt war das Material um 1795
jedenfalls nicht.
Wird der Federkiel anfangs
noch sparsam verwendet, ersetzt er für kostbare,
repräsentative Gurte seit ca. 1810 die Metallnieten fast gänzlich und verdrängt die Stickerei in
Pergament weitgehend. Die ersten Fatschen, die
ausschließlich mit Federkiel bestickt sind,
lassen sich aufgrund ihrer Fundorte und der
Namenszüge auf vielen Gurten eindeutig dem
Gebiet zwischen dem oberbayerischen
Chiemgau und dem niederbayerischen Rottal
zuordnen.
Daß der Riemergeselle Joachim
Schuster ausgerechnet aus dieser Gegend
stammt, ist bemerkenswert. Auf dem Schutzumschlag seines Büchleins bezeichnet er
sich selbst als Pfauenfederarbeiter. Wenn er
die Kielstickerei in seinem Elternhaus erlernt
hat, dann spricht alles dafür, daß sein Vater,
der Riemermeister Jakob Schuster, zu den
allerersten Federkielstickern in Bayern gehörte.
Joachim Schuster besitzt eine Qualifikation,
die ihn aus der großen Schar seiner Berufskollegen heraushebt. Die Kunst, mit gespaltenen
Federkielen auf Leder zu sticken, steht zwischen
1810 und 1870 bei einem relativ kleinen Kreis
spezialisierter Handwerker in voller Blüte. Neben
Schmuckgürteln werden besonders hochwertige
Etuis, Brieftaschen, Beutel und andere Accessoires bestickt. Es handelt sich bei diesen
Gegenständen um außergewöhnliche Luxusartikel, die sich ausschließlich vermögende
Personen leisten konnten.
Wo, wann und zu
welchem Zweck die Technik des Federkielstickens sonst noch ausgeübt wurde, ist historisch ungeklärt. Es existieren einige wenige
Vergleichsstücke orientalischer Provenienz,
darunter zwei mit Federkiel und Roßhaar bestickte Lederschatullen. Vielleicht gab es zur
Zeit der Türkenkriege im 18. Jahrhundert
einen kulturellen Austausch, der die Fertigkeit der
Stickerei mit Pfauenfederkiel bei uns einführte.
Die Technik kann sich aber auch ohne orientalische Vorbilder entwickelt und etabliert haben.
In ihrer Anfangszeit besticht die Federkielstickerei durch ihre bisweilen naive,
dabei aber eindringlich plakative Darstellungsweise. Für die großräumigen Muster werden
relativ breite Fäden in großflächigen Bildern
verarbeitet. Im Laufe der Zeit entwickeln viele
Riemer dann eine schier unglaubliche handwerkliche Perfektion, die sich in der filigranen
Sticktechnik und einem sicheren Gefühl für
Harmonie und Spannung manifestiert.
Ihre Dynamik, die Feinheit der Kielfäden und
die engstmöglich aneinandergesetzten Stiche
erzeugen bei manchen Mustern den Eindruck
flirrender Bewegung. Einige Riemer kombinieren den Federkiel mit Lahn (ein flach ausgewalzter Metalldraht), Pailletten und textilen
Fäden. Sie entwickeln so eigene Mischtechniken, die ihren Erzeugnissen einen individuellen
und werkstattypischen Charakter verleihen.
23
Um 1830 treten zwei weitere Grundformen des Männergürtels in Erscheinung: Zum
einen ist das eine Fatsche, die nicht mehr auf
der Innenseite gefüttert, sondern aus einem Stück
Leder schlauchartig zusammengenäht ist. Zwei
eingesetzte Keile unterteilen diesen Gürtel,
und meist ist mittig eine rechteckige oder spitzovale Kartusche aufgenäht.
Zum anderen entwickelt sich eine Gürtelvariante, die bis heute
das Trachtenbild stilistisch am stärksten
prägt – der Ranzen. Der Sprachforscher Johann
Andreas Schmeller erklärt den Begriff Ranzen
in seinem Bayerischen Wörterbuch schlicht als
Ledersack. Das ist verständlich, da sich zu
der Zeit, als Schmeller sein berühmtes Wörterbuch verfaßt, der gleichnamige Gürteltyp
erst herausbildet. Der Wörterbuchdefinition
entpricht letzterer dennoch ganz und gar.
Zu seinem sackartigen Schlauch gehören noch
das spitzovale Blatt – ein Lederstück, auf
dem die Schnalle sitzt – und eine Zunge, die
entweder auf den Schlauch oder einen eingesetzten Keil aufgenäht ist. Mit der Einführung
des Blatts, das die Öffnung des Schlauchs
verdeckt, verlagert sich auch der Schwerpunkt
der Stickerei vom Gürtel hin auf das Blatt.
Der Schlauch dient bei Bedarf zur Verwahrung
von Geld oder Papieren. Speziell in der Gegend
um Tölz sind Gürtel tradiert, die statt einem
zwei aufgesetzte Blätter aufweisen.
Ab 1870/80
verliert der Schmuckgürtel generell an Bedeutung.
Bis um 1915 bleiben noch Geldranzen zur Aufbewahrung größerer Geldmengen in Gebrauch.
Diese schlichten Gebrauchsgürtel, die auch als
24
Geldkatzen bezeichnet werden, benutzten vor
allem Viehhändler, Metzger und Bauern
beim Viehkauf. Die wenig oder gar nicht verzierten Geldranzen wurden häufig auch unter
dem Hemd getragen. Beim Schwärzen, wie
der bayerische Ausdruck für den Schmuggel
lautet (man könnte auch vom kleinen Grenzverkehr sprechen), kamen die Geldranzen ebenfalls zum Einsatz. Auf der bloßen Haut getragen, waren die mit Münzgeld gefüllten
Lederschläuche vor den Blicken der Grenzer
verborgen.
Mit der zunehmenden Akzeptanz
des Papiergelds wurden Geldranzen überflüssig,
da es ab dieser Zeit nicht mehr nötig war,
größere Mengen an Münzgeld zu transportieren.
Damit hätte die lange Geschichte der Männergürtel in Bayern, Österreich und Tirol eigentlich
enden können. Daß dies nicht der Fall war,
ist unter anderem den Trachtenvereinen zu verdanken, die an der Wende zum 20. Jahrhundert
eine phantastische Konjunktur erlebten. Ihre
Mitglieder entwickelten eine wahre Leidenschaft
für die traditionellen Fatschen und Ranzen und
trugen die alten Gürtel zu ihrer neuen Gebirgstracht. Weil historische Stücke nur begrenzt
zur Verfügung standen, boten Trachtenhersteller
aufgrund der großen Nachfrage um 1920
neue Gürtel an, die meist nicht mit Federkiel,
sondern mit textilen Fäden bestickt waren.
Abgesehen von einem Qualitätsverlust der in
Konfektion hergestellten Ranzen traten nunmehr
Alpenblumen wie das Edelweiß und der Almenrausch an die Stelle der überlieferten Motive.
Ein Pendant zu dieser Entwicklung bildeten die
Schützenkompanien in Tirol, die sich der Pflege
historischer Trachten annahmen und so ihre
Gürtelkultur weiterführten.
Außerhalb von
Bayern, Österreich und Tirol hat sich auch bei
den Siebenbürger Sachsen in Rumänien eine
eigenständige Gürtelkultur entwickelt. Die
oben beschriebene Technik der Pergamentlederstickerei erhielt sich dort bis in die Mitte des
20. Jahrhunderts. Im Zuge der Auswanderungswellen der Siebenbürger Sachsen, die ihre
heimatlichen Dörfer in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts in großer Zahl Richtung
Westen verließen, kamen unzählige Gürtel mit
auf die Reise. Sie werden seit etwa 1990
vermehrt auf Flohmärkten, bei Antiquitätenhändlern und im Internet angeboten. Dabei
firmieren sie oft als echte bayerische und
tirolische Trachtengürtel mit Federkielstickerei.
So landen sie bei Sammlern oder werden als
Ersatz für historische Gürtel des alpinen Raums
zur kurzen Lederhose, zum Trachtenkostüm
und auf Volksfesten getragen. Diese »Zweitverwertung« fügt die Gürtel, die ihres ursprünglichen Kontexts verlustig gegangen sind, in ein
neues kulturelles Umfeld ein.
Die Siebenbürger
Sachsen selbst tragen die historischen Kleidungsstücke und erhaltenen Gürtel ihrer Heimat
insbesondere auf Festen und Trachtenumzügen, nicht mehr als modische Selbstverständlichkeit. Die prächtigen Frauengürtel aus den
deutschsprachigen Siedlungen Rumäniens haben
in ihrer Gestaltung keine gängige Ent-sprechung
in Bayern, Österreich und Tirol.
Sie bleiben im Gegensatz zu den Männergürteln
ausschließlich der siebenbürgischen Tracht
vorbehalten. Ihre Existenz ist an die gezielt
durchgeführte Trachtenpflege gebunden.
I
n Bayern, Österreich und Tirol sind die
Frauengürtel sowohl optionales Accessoire
zur Tracht als auch Bestandteil der bewußten,
teils auch institutionalisierten Trachtenpflege.
Letzteres trifft vor allem auf das niederbayerische
Rottal, den Bregenzer Wald, Teile Südtirols,
Kärntens und des angrenzenden Sloweniens zu.
Dort gehören Frauengürtel bis heute zur
festtäglichen Tracht und weisen fast alle Verzierungstechniken auf, die wir schon von den
Männergürteln kennen. Darüber hinaus existieren Flechtarbeiten aus Leder und Gürtel, die
ganz aus Metall gefertigt sind.
Speziell in Oberbayern hat sich nur eine einzige, zudem selten
benutzte Form des Frauengürtels erhalten.
Es handelt sich um die sogenannte Brautkette,
die im Isarwinkel, im Chiemgau und im
Rupertiwinkel ausschließlich zur Hochzeit getragen wird. Die kostbaren alten Ketten werden
in der Familie weitergegeben und bleiben in
der Regel über Generationen hinweg »auf dem
Haus«.
Die Hochzeiterin leiht sich den Gürtel
gegen ein geringes Entgelt nur für den Tag
der Hochzeit von den Eigentümern aus. Zwei
durch einen Bügel verbundene Kettenstücke
charakterisieren die häufigste Machart dieser
Gürtel. An die Bügel wurden im 18. Jahrhundert
Bestecke oder Schlüssel gehängt, heute tritt an
deren Stelle meist eine Seidenschleife. Beim
Tragen liegt die Brautkette in der Regel auf der
linken Seite in Taillenhöhe, während sie auf der
25
rechten Seite mit dem Bügel als tiefstem Punkt
bis unter die Hüfte reicht. Die Ketten ohne Bügel
hängen vorne mittig über Rock und Schürze
hinab. Der Verschluß der Kette ist in beiden
Fällen vorne zu sehen. Eine Öse oder ein kleiner
Bügel markiert das eine Ende der Kette, ein
Haken das andere. Der Gürtel selbst besteht aus
schlichten Ösenketten und unterschiedlich
gestalteten, gegossenen, getriebenen oder
gedrückten Kettengliedern. Die Oberfläche der
Kettenglieder ist häufig auch in abstrakten
Mustern punziert, ziseliert, graviert oder geflächelt. Als Material dient versilbertes oder
vergoldetes Messing, sehr selten auch massives
Silber. Bei einigen Stücken sind farbige Glassteine in die Kettenglieder gefaßt.
Die hier beschriebene Form hat sich im 17. Jahrhundert
entwickelt und basiert ihrerseits auf älteren
Vorbildern, die mindestens bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden können. Gürtel
dieser Art sind bis ca. 1800 in der bürgerlichen
Frauenkleidung nachweisbar und neben den
Halsketten oder dem Miedergeschnür ein
Bestandteil des Schmucks vermögender Frauen.
Nach dem Aufkommen der hoch taillierten
Empiremode um 1800 hat der Frauengürtel in
der städtischen Mode keine Bedeutung mehr,
bleibt aber im bäuerlichen Umfeld als Brautkette
erhalten. Eine klare Trennlinie zwischen bäuerlichen und bürgerlichen Frauengürteln ist
schwer zu ziehen, weil sich beide in ihrer Gestaltung nicht grundlegend unterscheiden.
Nur wenige Stücke sind aufgrund ihrer aufwendigen Verarbeitung mit Gewißheit der
städtischen Schicht zuzuordnen; sicher zur
26
bäuerlichen Welt dagegen gehören Ketten,
die ihrer Machart nach eindeutig aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen.
Es läßt sich bei vielen historischen Originalen nicht mehr feststellen, ob es sich ganz
allgemein um Frauengürtel handelt – oder um
spezielle Brautgürtel, die das erste und vielleicht
einzige Mal zur Hochzeit angelegt wurden.
Die Problematik der Zuordnung sei beispielhaft
am jüdischen Brautgürtel, dem Schiwlanot,
illustriert: Diese kunstvoll gefertigten silbernen
Gürtel gelten als rituelle Objekte, die bei der
jüdischen Hochzeitszeremonie von der Braut getragen wurden. Die Braut, als Kalla bezeichnet, und der Bräutigam, der Chatan, standen
gemeinsam unter dem Trau-Baldachin, der das
Brautgemach verkörperte. Ebenso wie der
Ring, den der Bräutigam der Braut an den rechten Zeigefinger steckte, symbolisierte der
Gürtel die Verbindung der beiden Ehepartner.
Neben Brautgürteln aus gut dokumentierten
Judaica-Sammlungen, die authentische Ritualgegenstände darstellen, werden allerdings
auch Frauengürtel dem jüdischen Kulturkreis
zugeordnet, die in Wirklichkeit eindeutig
Bestandteil der allgemeinen bürgerlichen Mode
im 19. Jahrhundert waren. Daraus ergeben
sich zwei Schlußfolgerungen. Erstens: es handelt
sich, der anders lautenden Zuschreibung zum
Trotz, wahrscheinlich nicht um genuin jüdische
Brautgürtel. Zweitens haben jüdische Frauen –
der Mode ihrer Zeit folgend – vermutlich
die gleichen Schmuckgürtel getragen wie andere
vermögende Bürgerinnen auch. Um weiteren
Spekulationen Raum zu geben, ist in diesem
Buch zu guter Letzt ein Frauengürtel abgebildet,
der aus einer jüdischen Familie Salzburgs
stammt – in seiner Form dagegen auffällig an
orientalische Vorbilder erinnert.
Die Genese
der Frauengürtel erscheint auch sonst sehr
komplex. Während die Entwicklung der Männergürtel, die dieses Buch vergegenwärtigt,
erst vor rund 250 Jahren begann, können
Schmuckgürtel für Frauen auf eine ungleich längere Geschichte zurückblicken. Abgesehen
davon unterscheiden sich die meisten Frauengürtel in einem wesentlichen Punkt von
den Männergürteln: Sie werden mit separaten
Anhängern kombiniert. Die Sitte, Besteckköcher und eingehängte Riemen, die mit Schlüssel, Messer und Feuerstahl kombiniert sind,
am Gürtel zu tragen, geht auf uralte Vorbilder
zurück.
Gebrauchsgegenstände des täglichen
Lebens – Spinnwirtel, kleine Werkzeuge sowie
Beutel und Amulette – werden seit Jahrtausenden am Gürtel mitgeführt. Gürtelgehänge,
die heute noch gebräuchlich sind, wie Messer,
Feuerschläger und Schlüssel, sind durch
Grabungsfunde aus dem frühen Mittelalter gut
belegt. In dieser Zeit – und wohl auch davor –
bilden sie einen typischen Bestandteil der Tracht
von Frauen und Mädchen. Noch im 16. Jahrhundert hingen unter anderem Kämme, Toilettenbestecke, Scheren, Schlüssel und mehrteilige
Beutel am Gürtel der Frauen. Auch Männer
pflegten bis in diese Zeit Taschen und Waffen
am Riemen zu befestigen. Von den bürgerlichen
Frauen wurde diese Sitte bis um 1800 weitergeführt, im ländlichen Umfeld auch länger.
In der Tracht der bäuerlichen Gesellschaft
haben sich Gürtelanhänger nur sehr eingeschränkt bis in die Gegenwart erhalten. Im
Gegensatz zu den Brautgürteln aus Südtirol,
die in der Regel mit Besteckköchern überliefert
sind, werden an den bayerischen Brautketten
ausnahmslos Seidenschleifen angebracht.
Einiges spricht dafür, daß hier die Besteckköcher
im ländlichen Umfeld auch im 19. Jahrhundert
bereits weitgehend fehlten. Das liegt unter
Umständen daran, daß die Brautketten aus der
bürgerlichen Mode schon ohne Anhänger
übernommen wurden, oder die Frauen das
Mitführen von eigenem Eßbesteck als unmodern
empfanden. Dagegen sind zum Beispiel die
Rottaler Frauengürtel und die schmalen Riemen
der Bregenzer Wälderinnen mit den Verschlüssen in Silberfiligran auch in der Vergangenheit ohne zusätzliches Besteck in Gebrauch.
Ihnen fehlt dementsprechend jede Vorrichtung
zum Einhängen der Anhänger.
Ganz anders
verhält es sich mit den mehrteiligen Gürtelgehängen, die bis heute in Teilen Südtirols und
Kärntens verbreitet sind. Sie sind entweder
Teil eines Gürtels oder werden als eigenständiges Accessoire im Rockbund eingehängt.
Die Lederriemen sind gleich den Männergürteln
mit Federkiel, Nieten und Mischtechniken verziert, oder geflochten. An den Riemen hängen
neben Besteckköchern mit Messer, Gabel
und Wetzstahl auch Einzelmesser, Feuerschläger
und Schlüssel.
Diese Anhänger werden gerne
als zutiefst symbolträchtig eingeschätzt.
Die Schlüssel gelten dann als Insignien für die
27
hausfrauliche Gewalt, die Feuerschläger als
Zeichen für die Hüterin des Herdfeuers,
und das Messer als Werkzeug zur Verteilung
der Lebensmittel. Doch hinter die allzu
einseitige Betonung des Symbolgehalts ist ein
Fragezeichen zu setzen. Zunächst haben diese
Anhänger einen klaren praktischen Nutzen.
In der Folge entwickeln sich Gebrauchsgeräte,
die über Jahrhunderte weg sichtbar am
Gürtel getragen werden, zusätzlich zu einer
Form von Schmuck. Wenn sie im praktischen
Gebrauch nicht mehr vonnöten sind, leben
sie dennoch als Zierelement weiter. Damit soll
den Anhängern keinesfalls ihr Symbolwert
abgesprochen werden. Differenziert betrachtet erweisen sich viele Elemente des Kleidungsverhaltens als Objekte, deren Hintergrund
geheimnisvoll und profan zugleich sein kann.
Oft aber beruht der Eindruck von Tiefe
und Rätselhaftigkeit einzig auf einem Mangel
an Wissen, gepaart mit einem entsprechenden
Übermaß an Phantasie. Jedenfalls bewegen
sich einige hartnäckig verbreitete Geschichten,
die mit dem Frauengürtel zu tun haben, auf
völlig ungesichertem Terrain. Stellvertretend
für solche Legendenbildungen möchte ich den
Mythos des sogenannten Keuschheitsgürtels
näher betrachten.
Was das Bild betrifft, das
man sich vom »mittelalterlichen« Keuschheitsgürtel zu machen pflegt, ist der historische
Befund eindeutig: In der Welt der Ritter und
Edelfräulein hat es derartige Keuschheitsgürtel
nie gegeben. Die vermeintlichen Originale
haben sich als Machwerke aus dem 19. Jahrhundert erwiesen und sind entweder dubiosen
28
Quellen nachempfunden oder verdanken sich
diffusen sexuellen Neigungen.
Da aber fast
jeder Geschichte ein wahrer Kern innewohnt,
lohnt es sich, der Assoziation Gürtel und
Keuschheit weiter nachzugehen. Und tatsächlich
ist das Lösen des Gürtels in der Antike eine
häufig gebrauchte Metapher für den Beischlaf.
Das Lösen der Haare und des Gürtels sind das
äußere Zeichen für die Bereitschaft zum
Liebesspiel. Im Gegensatz dazu fungiert nach
katholischem Verständnis der Gürtel – bezeichnenderweise der des Mannes – eher als
Schutz zwischen Mann und Frau – wenn
nicht als Schutz des Mannes vor der Frau. Das
wird jahrhundertelang unverblümt ausgesprochen, allerdings durch die lateinische Sprache
dem profanen Verständnis gleich wieder entzogen. Das Gebet zum Anlegen des Cingulums
(Gürtel), das beim Ankleiden des Priesters
vor der Messe gesprochen werden mußte, lautete
bis zum 2. Vatikanischen Konzil im lateinischen
Original:
»Praecinge me, Domine, cingulo puritatis, et
exstingue in lumbis meis humorem libidinis; ut
maneat in me virtus continentiae et castitatis.«
(»Gürte mich, oh Herr, mit dem Gürtel der
Reinheit, und lösche aus in meinen Lenden
den Saft der Wollust; auf daß die Tugend der
Enthaltsamkeit und Keuschheit in mir bleibe.«)
Dieses Gebet stammt dem Sinn nach aus
dem Hochmittelalter. Das ist die Zeit, in
der sich die Kirche zunehmend als moralische
Wächterin geriert. Die gesamte damalige
asketische und klösterliche Strömung der
Kirche, ihre Verachtung des Weltlichen und
»Leibhaften«, neigt auch zur Verdammung
der Sexualität, die es zu disziplinieren galt.
Antike Symbole und Traditionen wurden
dementsprechend korrigiert und christlich
umgedeutet. Dieses Schicksal bleibt auch dem
Gürtel nicht erspart, der sich als stachelbewehrter Bußgürtel seit dem Mittelalter
gegen den eigenen Träger wendet und die Abtötung des Fleisches zum Zweck hat. In der
Pervertierung – wörtlich: Umkehrung – seiner ursprünglichen Funktion, Schutz zu bieten
und Mut zu machen, wird er zum Instrument der Kasteiung.
Der Gürtel der Göttin
Aphrodite wiederum, in der griechischen
Mythologie noch Hort ihres Liebeszaubers,
erfährt eine kirchlich gesteuerte Verschiebung hin zum Mariengürtel. Der Gürtel der
Gottesmutter Maria taucht in der theodosianischen Epoche, zur Zeit der christlichbyzantinischen Kaiserinnen auf. Er wird nach
Konstantinopel gebracht und dort als eine
der wichtigsten Reliquien hoch verehrt.
Ob es sich wirklich um den Originalgürtel der
Jungfrau handelt, sei dahingestellt. Zu den
Insignien der damaligen Kaiserinnen jedenfalls
gehört ein Prunkgürtel, in dem symbolisch
das antike Aphrodite- bzw. Venusmotiv weiterlebt. Die christliche Kaiserin hatte Teil an
der herkömmlichen Macht einer Muttergottheit.
Wie ihre Vorgängerinnen war sie hilfreiche
Schutzherrin der Frauen, Kinder, Familien und
Häuser. Wenn dann auf späteren Darstellungen
Maria als Himmelskönigin auftritt, ist der
gemmenbesetzte kaiserlich-göttliche Gürtel
oftmals auch Teil ihrer Ausstattung. In der
Marienmystik des Hochmittelalters spielt der
Gürtel der königlichen Mutter und Braut
Christi eine zentrale Rolle. Auch in den Bildern,
die den Aspekt der Fruchtbarkeit betonen,
bildet der Gürtel ein wichtiges bildsprachliches
Element. Der Aspekt der Muttergöttin ist von
der Marienfigur gar nicht zu trennen. In der
italienischen Sprache hat das Wort »incinta« –
also umgürtet sein – übrigens heute noch die
Bedeutung von Schwangerschaft.
D
iese weitausholenden Betrachtungen wären dem Pfauenfederarbeiter Joachim Schuster wohl eher
suspekt gewesen. Er mußte die Gürtel als Handwerker pragmatischer betrachten – in erster
Linie als Mittel zum Broterwerb. Doch mit den
nüchternen Einträgen in seinem Wanderbuch
sind unzählige Geschichten und Lebenslinien
verbunden, die ihrerseits weit in die Vergangenheit und Zukunft reichen, wenngleich wir
möglicherweise nie in der Lage sein werden,
auch nur einer von ihnen nachzugehen.
Immerhin hat ein österreichischer Zeitgenosse
und Kollege von Joachim Schuster einen Zettel
gut versteckt in den Schlauch einer Fatsche
eingenäht. Darauf geschrieben sind sein Name,
Beruf, die Herkunft und das Datum: Karl
Ellinger, Riemergeselle von Ottensheim in Oberösterreich Tamsweg 7. April 1839. Ihm war es
wichtig, daß er und sein Werk nicht ganz
getrennt wurden, und daß es einen persönlichen Verweis auf ihn als Handwerker gab.
Anläßlich der Restaurierung des Gürtels rund
29
[Zur Reise]
[nach] Traunstein
[Salzburg] 15. Mai
1859. (Unterschrift)
KkGrenzposten
(Unterschrift)
Produzent stand seit
letztem Visa bei dem
bgl. Riemermeister
Thadä Schuster dahier
in Arbeit, und hat sich
laut Zeugnisses die vollste
Zufriedenheit in jeder
Beziehung erworben.
Traunstein am 26ten März
1860
Stadtmagistrat Traunstein
Frantz
Nr 2604
Nach Aibling über Rosenheim
auf der Hauptstrassen.
Am 26. März 1860
Kgl.Landgericht Traunstein
hundertfünfzig Jahre später hat ein Federkielstikker aus dem Salzburger Land dieses Stück Papier
tatsächlich wieder entdeckt.
Historische Gürtel
sind nach langem Gebrauch und einem natürlichen Alterungsprozeß oft in sehr desolatem
Zustand. Dabei hat ein Gürtel in gebrauchtem
und gealtertem Zustand häufig einen eigenen Reiz. Seine Geschichte spiegelt sich in
Brüchen und Knicken, Löchern, Verfärbungen,
Schmutz, sowie Fraß- und Fehlstellen. Dazu
gehören auch frühere Reparaturen und
eventueller Pfusch. Diese Spuren sind wie ein
Text, der Geschichten aus der Vergangenheit
erzählt. Die über lange Zeit entstandene Patina
gibt alten Stücken einen unnachahmlichen
Charakter und morbiden Charme. Ein Museum
hat freilich naturgemäß andere Ansprüche
als eine Privatperson, die ihre ererbte oder neu
erworbene Antiquität unter Umständen wieder
benutzen und tragen will. Deshalb kann immer
nur im Einzelfall entschieden werden, wie
ein Objekt erhalten werden soll. Abgesehen von
der klimatisch passenden Aufbewahrung in
geschlossenen Behältnissen, die unstrittig ist,
gibt es sehr unterschiedliche, zum Teil auch
kontroverse Auffassungen über die Behandlung
der historischen Originale. Vom reinen Konservieren des Ist-Zustands bis hin zu einer fast
vollkommenen Erneuerung existieren eine Reihe
mehr oder weniger legitimer Zwischenstufen.
Die Restaurierung von Gürteln gestaltet
sich aufgrund der verschiedenen Materialien,
die miteinander verarbeitet sind, schwierig.
Denn Leder, Metall, textile Fasern, Glas und
Lack reagieren sehr spezifisch auf Nässe,
Lösungsmittel, Fette und mechanische Belastungen. Nach einer unsachgemäßen
Durchfeuchtung und Rückfettung des Leders
zeigt sich beispielsweise eine Korrosion der
Metallteile des Gürtels mitunter erst Monate
später.
Gürtel sind außerdem Accessoires, bei
deren Herstellung aufgrund der zahlreichen
Materialien mehrere Berufsgruppen mitwirken.
Das sind im wesentlichen Gerber, Riemer,
Zinngießer, Goldschmied, Silberarbeiter, Gürtler
und Weber. Einige dieser Berufe, wie der
des Silberarbeiters oder des Gürtlers, dessen
Aufgabe vor allem die Herstellung von Beschlägen, Schnallen und Gliedern für Gürtel ist,
werden immer seltener. Der Beruf des Riemers
ist im Sattlergewerbe aufgegangen, und die
Federkielstickerei galt auch früher nicht als
eigenständiger Beruf sondern als Zusatzqualifikation der Riemer und Sattler.
Um 1900 hatte
der Beruf des Riemers eigentlich schon zu
existieren aufgehört. Manche Techniken, wie
die Herstellung von Fatschen, die mit tausenden
Zinnstiften verziert sind, waren gänzlich in
Vergessenheit geraten und mußten erst wieder
neu erlernt werden. Das Wissen um die Federkielstickerei wurde von ein paar Betrieben
in Nord- und Südtirol bis ins 20. Jahrhundert
weitergetragen. Mitte des 20. Jahrhunderts war
hauptsächlich noch ein Mann als professioneller
Federkielsticker tätig – der Sarntaler Johann
Thaler (1913–1979). Sein besonderes Verdienst
ist die Ausbildung weiterer professioneller
Riemer, die sich in der Folge selbständig machten. Mit der Werkstätte Thaler gewinnt das
Federkielsticken nach dem zweiten Weltkrieg
über die Grenzen des Sarntals hinaus an
Popularität. Mittlerweile gibt es in Bayern,
Österreich und Südtirol wieder professionelle
Riemer, die zum Teil auf höchstem Niveau die
Tradition der Schmuckgürtel weiterführen.
Dabei darf und soll sich die überlieferte Formensprache auch in Zukunft immer weiter entwickeln. Denn zu jeder
31
Tradition, die außer einer Vergangenheit eine Zukunft haben möchte, gehört der Mut, wenn nötig mit dem Altvertrauten zu brechen. Und vielleicht hat der Gürtel mit seiner uralten Geschichte den größeren Teil seiner Evolution ja noch vor sich.
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49
Ranzen, Oberösterreich
um 1850
Leder, Federkiel, vergoldeter
Silberlahn auf Textilseele,
Pailletten, Messingschnalle
Ranzen 98 x 19 cm
Blatt 34 x 19,5 cm
Sammlung Grübl, Eben im
Pongau
in euren Gürteln haben, auch keine Reisetasche, auch
nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken.
Mt 10, 9-10
51
Bauer aus der Gegend von
Oberaudorf im Inntal
um 1800
Aquarell über Bleistift von
Ludwig Neureuther
Staatliche Graphische
Sammlung München
Laurin legte den Wundergürtel um und
stürzte sich in den Kampf. Doch er
schien zu verlieren und zog die
Tarnkappe über. Als er zwischen den
Rosen herumlief, verriet ihn die
Bewegung der Rosen. Er wurde gefangen genommen und der Gürtel zerstört. Laurin verfluchte den verräterischen Rosengarten: Weder bei Tag
noch bei Nacht sollte ein Mensch
jemals wieder den Rosengarten sehen
können. Aber Laurin vergaß die
246
Dämmerung, und deswegen glüht der
Rosengarten bei Sonnenauf- und
-untergang in einem rötlichen Licht.
Fatsche Detail, Oberbayern
datiert 1804
Leder, Zinn-Nieten, Stanniol,
Pergament, textiles Gewebe,
Messingschnalle mit Eisendorn
Fatsche 104,5 x 9 cm
Privatbesitz, TIZ
Fatsche, Oberbayern
datiert 1804
Leder, Zinn-Nieten, Stanniol,
Pergament, textiles Gewebe,
Messingschnalle mit Eisendorn
Fatsche 104,5 x 9 cm
Privatbesitz, TIZ
Laurinssage
248
250
251
252
253
Zona,
291
war ein Gürtel, wie ihn
ehemahls das Frauen-Volck
um den Leib trug, die
Kleider damit zum selbigen
zusammen zu gürten.
Die Bräute hatten dergleichen von weisser Wolle
ohne allen Knoten, welchen Gürtel so dann der
293
Frauengürtel
17. Jahrhundert
Silber vergoldet, Messing
versilbert
Kette 102 x 2 cm
Sammlung Martin, TIZ
Pärchen aus Lenggries
um 1825
kolorierte Lithographie von
Joseph Freiherr von Lipowsky
»Bauern-Bursche und BauernMädchen von Längries«
TIZ
Frauengürtel
18. Jahrhundert
Messing versilbert
Kette 101 x 1,2 cm
Rosette Ø 3,7 cm
Sammlung Martin, TIZ
Frauengürtel
18. Jahrhundert
Messing versilbert
Kette 99 x 1,2 cm
Rosette Ø 3,4 cm
TIZ
Bräutigam auflösete, wenn
er mit selbiger zu Bette
gehen wolte.
Zedlers Universal-Lexicon
294
295
Frauengürtel, Salzburg
um 1800
Silber, Silber vergoldet,
Flußperlen, Smaragde aus
dem Habachtal
Der Gürtel stammt aus
dem Besitz einer jüdischen
Familie in Salzburg.
Privatbesitz
322
323
Es stirbt niemand so arm, daß er nicht etwas hinterließe.
Blaise Pascal
324
Dank
für die finanzielle Unterstützung:
Stephan Biebl, Schädlingsbekämpfung,
Benediktbeuern
Brauerei Aying, Aying
Flemmich Otto KG, Seidenweberei, Wien
Hennrich Anita, Bad Tölz
EdMeier, München
Müller Elektrobau, Gaißach
Pavlakovich Hartmut, Gold- und
Platinschmiede
Salzburger Heimatwerk, Salzburg
Schäffler Elfriede, Bad Wiessee
für fachmännischen Rat und kollegialen
Austausch:
Walter Grübl, Salzburger Federkiel-Stickerei,
Eben im Pongau
Herbert Rieger, Federkielstickerei,
Hebertsfelden
Familie Thaler, Federkielstickerei, Sarntheim
Wilfried Weiss, Zinnstiftranzen, Kramsach
sowie an alle weiteren privaten und öffentlichen
Leihgeber, die zum Gelingen dieses Buchs beigetragen haben
Herausgegeben vom
Trachten-Informationszentrum
des Bezirks Oberbayern
Benediktbeuern, München
1. Auflage 2008
Projektleitung, wissenschaftliche
Dokumentation
und für den Inhalt verantwortlich:
Alexander Wandinger
Konzeption und Realisierung:
ac.cc
aichner cerno corporate communications
Christian Aichner, Jana Cerno
München
Zeichnungen:
Jana Cerno
Anthologie:
A K und Chr. Aichner
Photos (Gürtel):
Dirk Tacke, München
Anzeigen:
ac.cc, Christian Aichner, Jana Cerno
(nicht: HypoVereinsbank, Staatl. Graphische
Sammlung München)
Lithographie:
Serum Network GmbH, München
Christian Albrecht, Verena Tutzer
Druck:
Eberl Graphische Betriebe, Immenstadt
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Bindung:
VVB Attersee GmbH, St. Georgen, Österreich
Gesetzt aus der Wilke Postscript
von Adobe Systems Inc., gedruckt auf
PhoeniXmotion Xantur, 170 Gramm der
Papierfabrik Scheufelen
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