26 - Ensuite

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26 - Ensuite
ensuite
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nr.
26
februar 2005 | 3. jahrgang
k
reduktion in die
qualität des klanges
wenn das wörtchen «wenn» nicht wäre...
mathilde - eine grosse liebe
familienfest in solothurn
ensuite und anderes...
gere zbinden|grafik
6. KULTURMANAGERKURS 2005
Mit grossem Erfolg führen wir in Zürich seit fünf Jahren die
Ausbildung Kulturmanager/in als berufsbegleitenden Kurs
mit SAWI Diplom durch. Diese Praktiker-Ausbildung bietet
bei erfolgreichem Abschluss besondere Übertrittsmöglichkeiten an alle Deutschschweizer KulturmanagementLehrgänge auf Universitäts- und Hochschulebene.
Kursstart
• Zürich 1: 17. März 2005
• Zürich 2: 7. April 2005
Verlangen Sie die ausführliche Kursausschreibung bei
Frau Priska Stegmann, Telefon 032 366 70 40 oder
über e-mail [email protected]
SAWI Schweizerisches Ausbildungszentrum für Marketing, Werbung und Kommunikation
Zentralstrasse 115 Nord, Postfach 7002, CH-2500 Biel 7
Tel. 032 366 70 40, Fax 032 366 70 49, www.sawi.com, e-mail: [email protected]
Februar - Programm
Russland – wohin?
Filmreihe zum aktuellen Filmschaffen in der heutigen
russischen Föderation. Mit vier Spielfilmen und zwei
dokumentarischen Essays
Restaurierte Filmperlen
aus der Schweiz
jeweils am Dienstag, 18.30 h
Fred Kelemen Kunst und Film
Frost Sonntag, 13.02. 17.00 h
Abendland
Samstag, 19.02. 18.00 h
Verhängnis Sonntag, 20.02. 14.00 h
in Anwesenheit von Fred Kelemen
Kino Kunstmuseum / Hodlerstrasse 8 / 3000 Bern 7
Ticketreservationen: 031 328 09 99
Die genauen Anfangszeiten sind der Tagespresse
oder auf kinokunstmuseum.ch zu entnehmen
sandrainstrasse 3
3007 bern
031 311 13 33
[email protected]
O Helvetia!
Stehenden Applaus gab’s nicht für den Künstler
vom Ständerat
dafür palaverten die Räte ständig
von ihrem anständigen Kunstverständnis
wonach Kunst
bieder, hausbacken und kleinkariert sein sollte
möglichst Käse und Tourismus fördernd wirken könnte
und unbedingt allseits gefällig sein müsste.
Von der Freiheit von Kunst und Kultur
gaben die abgestandenen Räte nichts zu verstehen
dafür umso mehr
von ihrer erpresserischen Finanzhoheit.
So wenig sich Künstler und Kulturschaffende
in sachfremde Amtsgeschäfte von anständigen Räten
und unverständigen Politikern einmischen
so wenig sollten diese Krämerseelen
Kunst und Kultur eins auswischen
und die selbstverständliche Aufgabe der Kulturförderung
einfach jenen überlassen
die wissen
was jenseits von Kantönligeist und Landesgrenze bekömmlich
und kulturverständigend ist
im wohlverstandenen Sinne
Pro Helvetia.
www.comedia.ch, www.connexxnet.ch
die medien- (und kultur-)
gewerkschaft
i
n
h
Titelseite und rechts: Mathilde - die grosse Liebe
a
l
t
3
Vor allem...
■ Und da haben wir den Salat: Die Stadt Bern besitzt jetzt stolze vier
unabhängige Kulturredaktionen, ohne die Trend- und Szenenmagazine
mitgerechnet. Alle buhlen sie um die gleiche Leserschaft und stehen sich
in den Publikationen auf den Füssen rum. Da schreibe ich einen Artikel
und muss einen Tag vor Druckbeginn feststellen, dass eine andere Tageszeitung einen gleichen Artikel einen Tag vorher gedruckt hat. Das kommt
vor. Wenn sich aber alle vom gleichen Brot ernähren, so wird das ziemlich
langweilig. Die neue städtische Kulturagenda zum Beispiel verwendete die
gleichen Bilder wie wir, ohne diese wenigstens ein bisschen in der Gestaltung zu verändern. Kunststück: Die Pressebilder sind rar und nicht jeder
Veranstalter macht sich überhaupt die Mühe, den Redaktionen mehrere
Bilder zuzustellen. Im Beispiel mit der Tageszeitung musste ich feststellen,
dass auch die Recherche-Datenquellen fast identisch mit den meinen waren – obwohl ich versuchte, etwas anderes zu schreiben. Doch das tun wir
jetzt alle – und treffen uns an den gleichen Wegkreuzungen wieder... Als
ich mit meinem Schreibstau im Büro um die Wette trommelte, stolperte
ich über einen Satz von Rudolf Augstein (1923 – 2002, ehemaliger Herausgeber des Spiegels): „Die Zahl derer, die durch zu viele Information nicht
mehr informiert sind, wächst.“ Das kann uns sogar im kulturellen Bern, mit
seiner unheilbaren Blätterflut passieren – also aufgepasst.
Etwas ganz anderes: Ich möchte mich bei all den Briefe-, Mail- und
NotizschreiberInnen bedanken, die auf unser neues Format und Layout
reagiert haben. Ausnahmslos sehr gute Stimmen. Das freut natürlich und
macht den Jahresauftakt sehr spannend. Im gleichen Atemzug möchte ich
mich für die Fehler in der Datenbank entschuldigen – wir kämpfen in den
rieseigen Datenmengen mit fast unkontrollierbaren binären Abenteuern.
Doch was wir ohne Geld, mit Papier und Schere, ein paar Leimtuben zusammengebastelt haben, sieht doch ganz nett aus, oder?
Und so freuen wir uns wie die tanzenden Schneeflocken draussen auf
den Februar. Das kann ja heiter werden... (diese gespielte Fröhlichkeit ist
aufgrund der Bemerkung eines Lesers, dass ich nicht mehr jammern solle...)
Lukas Vogelsang
K U L T U R
&
G E S E L L S C H A F T
mathilde - eine grosse liebe 6
von menschen und medien: was hat ernst jandl mit
media-markt zu tun? 27
B Ü H N E
hidden garden - kommentar 8
tierisches, allzutierisch 8
ein bus voller erlösungsbedürftiger 9
L I T E R A T U R
berchtold brecht in der schweiz 5
commerce - vom schwelgen mit fischen // menetekel 11
K U N S T
I M
B I L D
restauration im zentrum paul klee 12
südsicht - aus bern nord 19
M U S I K
leise proteste in leerem raum 9
reduktion in die qualität des klanges - don li 14
wenn das wörtchen «wenn» nicht
wäre... simon ho & freinds 16
cd-tipp 21
enjoy the silence // «hey you should come, bla bla bla...» 20
postrock mit cindy crawford 26
R E I S E N
objects may be closer than they appear - teil 4 24
E S S T I P P
jaffna special 32
K I N O
/ F I L M
familienfest in solothurn 28
«film ist auch eine kunst» 29
million dollar baby 29
programmschwerpunkte der der berner off kinos 30
V E R A N S T A L T E R
ono - galerie - paarlauf 13
hkb: sehnsucht des erzählens // studiengang visuelle
kommunikation 16
D I V E R S E S
kulturnotizen 4
wintereinklang 13
stadtläufer // die wa(h)ren helden // zum glück ensuite abo 17
aufgewärmt 19
cartoon 27
letzte lusteite 63
B I E L
- B I E N N E
/
S E E L A N D
cadenza // trio wanderer 22
museum neuhaus in biel // das letzte band 23
A G E N D A
der grösste veranstaltungskalender für bern und biel-bienne
mit galerien, museen und vielen details 33
kulturagenda bern 34
museen & galerien 54
agenda biel - bienne 59
4
K U L T U R N O T I Z E N
SAUFEN BIS DER CHIP
QUALMT
■ Ein implantierbarer Chip ist nichts Neues. Millionen
von Katzen und Hunde sind bereits Träger des Identifikations-Chips, nun kommen aber immer mehr auch
Menschen, allen voran das Trend- und Ausgeh-Publikum in den Genuss implantierbarer Chips. Der Schritt
vom Tier zum Mensch geht patentrechtlich relativ
einfach. Man stützt sich auf die evolutionistische Biologie, wo der Mensch als höheres Säugetier eingestuft
wird und schon ist das Problem gelöst. Don Small, Vizepräsident von Hughes Identification Devices meint:
«Definieren wir ein Tier als Säugetier, schließt dieser
Begriff den Menschen selbstverständlich mit ein.»
Die kleine in Glas gegossene Schnittstelle ist in
Europa schon seit längerem implantierbar – quasi im
Grossraumversuch, denn in Amerika durfte der Chip
erst seit Oktober 04, vor allem im Gesundheitswesen
eingepflanzt werden. Als Feldversuch wurde der Baja
Beach Club in Barcelona und Rotterdam ausgesucht.
Sie waren die ersten Discos, die ihre Gäste implantierten. Jeden zweiten Donnerstag im Monat trommelt
der Baja Beach Club zur «Implantation Night». Will ein
Gast zum «Very Important Person» VIP werden, lässt
er sich einen Chip in den linken Oberarm spritzen.
Dann noch schnell den Vertrag unterschrieben, der
den Club von der Verantwortung für gesundheitliche
Schäden entbindet, ein kleiner Piekser und der Kunde
ist zu einer wichtigen Person geworden. Der VIP bezahlt seine Drinks, indem er den Arm an ein Lesegerät
hält, das Geld wird praktisch vom Konto abgebucht. So
sind im spanischen Club bereits 40 Spanier zu ihrer
eigenen Kreditkarte geworden. Jetzt haben auch die
Schotten nachgezogen. In der Bar Soba, in Glasgow,
können sich die Schotten nun weit über ihr bares
besaufen – bis der Chip qualmt.
Der Anbieter des Chips, Applied Digital Solutions,
hat aber noch andere Pläne für den Winzling im
Fleisch: Durch den eben vollendeten Schulterschluss
mit der Satteliten - Betreiber Firma Orbcomm kann
die Fleischbörse mit einem Personal Location Device
aufgepeppt auch über das Satteliten System GPS
verfolgbar sein. Ähnlich wie eine tote Sau auf Irrwegen im Viehtransport. Die Firma Orbcomm garantiert
durch 35 Microstar low earth orbit (LEO) Satelliten in
Umlaufbahnen auf 775 km Höhe, die weltweit flächendeckende Verfügbarkeit der Daten. Das ist gut so: wer
nach dem Saufen auf der Strasse umfällt, dem könnte
so schnell geholfen werden. Oder doch nicht? Angela
Fulcher, Verichip’s Kommunikationschefin meinte dann
auch: «Rund 7000 Chips sind verkauft worden, etwa
1.000 davon sind implantiert. Wir haben keine Ahnung
wohin die Chips geliefert wurden. Wir vermuten, dass
viele zu Testzwecken von militärischen Einheiten und
Nachrichtendiensten gebraucht werden. Darüber
können wir aber nicht sprechen.» Lassen wir besser
die Zigarren qualmen. (sf)
HERR MÜLLERS TAG
– ODER EINE CHRONIK
EINIGER ANTI-WEF
AKTIONEN 2005
■ Als Herr Müller am Morgen des 22. Januars in seinen
Schrank schaute, musste er bemerken, dass er keinen
sauberen Pullover mehr hatte. Dies kam zwar etwa einmal alle zwei Wochen vor, aber dieses Mal war es ziemlich viel dramatischer: Es war gar nicht Waschtag. Wie
konnte das sein? Es ging doch immer auf. Vier Pullover,
14 Tage, jeden vierten Tag einen neuen Pullover anziehen, zwei Tage blieben sogar noch für den Notfall, dass
er zweimal schon nach drei Tagen wechseln müsste. Nur
dieses Mal ging es nicht auf. Und so entschied Herr Müller, in die Stadt zu gehen und sich einen fünften Pullover
zu kaufen. Ausserdem war das Wetter vorzüglich, und so
störte es ihn überhaupt nicht, den alten Aargauerstalden Richtung Loeb hinunterzulaufen. Doch sofort fielen
ihm die vielen Menschen auf. Vorwiegend Junge standen herum, sprachen miteinander und tanzten etwas
zu der Musik, die aus den, auf dem Trottoir parkierten
Autos, kam. Was konnte hier nur los sein? Herr Müller
blieb auf seinem Weg, er würde sich doch nicht von ein
paar merkwürdig angezogenen Jugendlichen abschrecken lassen. Verschiedene Blätter wurden ihm in die
Hand gedrückt, was zur Hölle konnte den das WEF sein,
jedenfalls schienen sie es nicht so gern zu haben und es
tönte auch gar nicht nett. Leider liess sich nicht mehr
aus den Überschriften herausfinden, und Herr Müller
mochte keine langen Texte lesen. Eine Überschrift beunruhigte ihn jedoch ungeheuerlich: «Weltrevolution»!
Das war doch etwas Böses, und musste in irgendeinem
Zusammenhang mit Russland stehen. Aber Russland
gab es gar nicht mehr, soweit Herr Müller wusste. Kurz
fragte er sich, ob er die Polizei benachrichtigen sollte,
doch die schien es schon zu wissen. Jedenfalls standen
da ziemlich viele auf der Nydeggbrücke. Ob sie wohl
wegen den Russen so bös ausschauten? Fürchteten sie
auch die Weltrevolution? Oder waren sie einfach nicht
so nett weil sie zu dem komischen WEF gehörten. Denen
würde er sicher nichts erzählen, sie hatten sogar seinen
Ausweis sehen wollen. Wie unfreundlich. Die mussten
eindeutig Teil des WEFs sein. Da waren ihm die Russen
viel sympathischer gewesen, obwohl sie die Schweizerische Parkordnung nicht zu kennen schienen.
Als Herr Müller weiter Richtung Loeb lief, merkte er,
dass es in der ganzen Stadt sehr viele Polizisten hatte.
Doch auch merkwürdige Personen gab es viele: Sie liefen vergnügt in kleinen Gruppen herum, sangen, riefen
Sprüche – Herr Müller war sich sicher, wieder das Wort
WEF gehört zu haben, er fragte sich nur, was wipe out
heissen konnte – und tanzten herum. Ein paar schienen
zu einer Sekte zu gehören, sie beteten das WEF an. Wie
kam es wohl das jemand etwas Böses anbetete? Aber
Religionen hatte er noch nie verstanden, und wenn es
Leute gab, die einen Gott anbeteten, der von einem
ganzen Land alle Erstgeborenen tötete, konnte es auch
gut solche geben, die das WEF anbeteten. Andere Leute
in der Stadt weinten um die Meinungsfreiheit, vielleicht
hatten die Russen sie gestohlen, und Dritte schrieen:
«Mehr WEF für die Welt» Diese sahen aber überhaupt
nicht nett aus, so reiche Bonzen mit Zigarren und Anzügen. Auch ihre anderen Aussprüche, dass sie mehr Geld
brauchen und mehr Leute ausnutzten wollen, gefielen
Herr Müller überhaupt nicht. Ob sie zum WEF gehörten?
Das alles wurde ihm immer suspekter, schon am Donnerstagabend waren ihm Leute aufgefallen, die über eine
ganze Strasse verteilt alle gleichzeitig dasselbe machten. Zwar hatte er dann herausgefunden, dass sie ihre
Befehle über das Radio bekamen, aber den Grund hatte
er nicht in Erfahrung bringen können. Vielleicht hatte es
ja auch etwas mit dem WEF zu tun gehabt. Und immer
noch all die Polizisten! So viele hatte er noch nie gesehen.
Entweder waren diese harmlos aussehenden, singenden,
lachenden Leute eine grössere Gefahr als er dachte,
oder die Polizisten waren tatsächlich irgendwie ein Teil
des WEFs. Vielleicht hatte das WEF ihnen auch einfach
Geld gegeben, damit es seine Ruhe hatte bei dem, was
es auch immer tat. Denn Geld schien es genug zu haben.
Herr Müller entschied, dass etwas geschehen müsse. Was
auch immer das WEF war, ob ein neuartiges, gefährliches
Raubtier oder eine Gruppe Antirussen, er wollte es jetzt
wissen. So kam es, dass Herr Müller an diesem Tag mit einem schmutzigen Pullover in eine Tearoom sass und das
erste Mal etwas lass, dass nicht fett gedruckt war. (hm)
K U L T U R N O T I Z E N
ERSTER KLANGAUSTAUSCH MIT TITAN
Bild rechts: Werner Wüthrich
Foto: Thomas Burla, Zürich
Bild links: Luise Gaugler/ Foto: zVg.
BERTOLD BRECHT
UND DIE SCHWEIZ
Jahrhundertfund der Literaturgeschichte
■ « Ich habe es gefunden, wegen meiner Hartnäckigkeit und... weil ich es nicht gesucht habe,» - sagte Herr
Dr. Werner Wüthrich zum Schluss des Interviews und
lächelte mich an. – «Gerade deswegen war mein Glück
kein Zufall».
Als im Jahr 1998 der Direktor des Instituts für Theaterwissenschaft der Universität Bern, Pr. Dr. Andreas Kotte, den Schriftsteller und Theaterautor Werner
Wüthrich kontaktierte, um dessen 1974 erschienene
Wiener Dissertation «Vom Ärgernis zum Klassiker. Bertolt Brechts Aufnahme in der Schweiz 1923 – 1969» zu
publizieren, stimmte Herr Wüthrich zu. Er vermutete,
dass die Bearbeitung und Erneuerung der statistischen
Angaben maximal zwei bis drei Monate in Anspruch
nehmen würden und dachte, dass er für diese Zeit seine eigene Tätigkeiten als Dramaturg und Schriftsteller
vorläufig bei Seite schieben müsste. Die Arbeit schien
keine Überraschungen zu geben, da alle Brechts Papiere schon längst gezählt, dokumentiert, erforscht und
kommentiert waren. Was danach passierte, zerstreute
alle Pläne nicht für nächste 3 Monate, sondern für ganze fünf Jahre.
Der Zeitpunkt einer Forschung kann entscheidend für
eine ganze Unternehmung sein: die Archive, die in 1974
für den Autor geschlossen wurden, waren jetzt zugänglich. Die Staatschutzakten des Bundesarchives in Bern
über Brechts Beschattungen während seines letzten Aufenthalts in der Schweiz, 1947-1949, wurden ab 1996 geöffnet und die Stiftung Archiv der Akademie der Künste
in Berlin lieferte zusätzliche Informationen aus dem privaten Brecht-Archiv, welches in den 70er Jahren für die
Öffentlichkeit geschlossen war. Die andere Ausgangslage
erlaubte Dr. Wüthrich das Verhältnis Brecht zur Schweiz
neu zu betrachten, verlangte von ihm weitere Forschungsschritte. Die ersten Ergebnisse zeigten zunächst, dass
Bertold Brecht gegen der Meinung aller Biographen, 1949
in der Schweiz bleiben und nicht nach Ost-Berlin gehen
wollte. Das führte Wüthrich zur Idee, dass Brecht möglicherweise in der Schweiz einige seiner Arbeiten oder
Schriften aus den 14 Jahren Exil zurücklassen musste.
Doch was er fand übertraf alle Vermutungen.
5
Zeit spielt in dieser Geschichte eine bedeutende Rolle: die Zeitzeugen, Bekannten von Brecht, die in 70er
Jahren, während des kalten Krieges, nicht aussagen
wollten, gingen jetzt in Kontakt und so fand Werner Wüthrich das «Arbeitsdepot»: Die insgesamt 44, in der Regel mehrteiligen, unbekannten Manuskripte, Fotos, 500
Briefe, neue Fassungen bereits bekannter Schriften das alles wurde im Estrich des Hauses in Feldmeilen am
Zürichsee bei der Familie Mertens-Bertozzi aufbewahrt,
bei der Brecht mit der Familie von 1947 bis 1948 Unterkunft bekam. Die Dachwohnung stand für ihn immer
bereit, sogar nach seiner Abreise nach Deutschland.
Die Lesung am Podium NMS (siehe Angaben unten)
bittet die Möglichkeit diese unendlich spannende Geschichte aus erster Hand zu hören: Werner Wüthrich
präsentierte die Bücher die aufgrund der Forschung geschrieben und publiziert wurden und berichtet über den
neuen Stand der Forschung. Die Schauspielerin Louise
Gaugler, die Brecht gut gekannt hat, liest aus «Geschichten vom Herrn Keuner», sowie bekannte, als auch neu
gefundenen Keuner Geschichten. (av)
Lesung mit Ausschnitten aus den neuen
Dokumentarfilmen:
Bertold Brecht und die Schweiz
Werner Wüthrich/ Louise Gaugler
Podium NMS am Waisenhausplatz 29
am 18.2.2005, 20:00 Uhr
Publikationen: Bertold Brecht: Geschichten von Herrn
Keuner. Züricher Fassung mit Fünfzehn erstmals
veröffentlichen Geschichten. Hg. von E. Wizisla, Suhrkamp, 2004, ISBN 3-518-41660-X.
Werner Wüthrich: Bertold Brecht und die Schweiz.
hg. von A. Kotte. Chronos Verlag Zürich, 2003, ISBN
3-0340-0564-4
■ Titan / Erde - Als Huygens am 14. Januar auf dem
Saturnmond Titan nieder ging, gelangt mit der ESASonde erstmals eine CD auf eine außerirdische Welt:
Rockmusik und Grußbotschaften aus Europa. Den
Sieben-Jahres-Trip mitgemacht hat die CD mit einem
interplanetaren Musik- und Kulturprogramm von der
Erde, die nun auf dem Saturnmond Titan verbleibt.
„Lalala“, „Bald James Dean“, „Hot Time“ und „No
Love“, so die Titel der vier Rocknummern, die von
dem französischen Komponisten-Duo Julien Civange
und Louis Haeri stammen. Die vier speziell für die Saturnmission erarbeiteten Songs mit einer Spieldauer
von insgesamt 14 Minuten wurden unter der Projektbezeichnung „Music2Titan“ 1997 auf die CD-Rom
gebrannt und im Bauch der Landesonde Huygens
verstaut. Im Austausch dafür, gab der Mond Titan der
interessierten Klangbevölkerung die Jungfräulichen
Klänge preis. Durch Huygens Atmospheric Structure Instrument (HASI) wurden die Sounds bei einem
Fieldrecording auf Titan aufgenommen. Die Soundfiles werden mit grosser Wahrscheinlichkeit zu den
aller ersten ausserplanetarischen grooves zusammengesampelt. Die Jungfräulichen Sounds können unter
http://www.planetary.org/sounds/huygens_sounds.
html gefunden werden. (sf)
BIN ICH EIN STAR?
■ Die 7.Demotape Clinic richtet sich einmal mehr
an ambitionierte Bands und MusikerInnen mit dem
Bedürfnis einer soliden Standortbestimmung und
Einschätzung ihres musikalischen Könnens durch
Profis der Branche. Die Beurteilung erfolgt öffentlich:
hat die Band das Potenzial für einen Plattenvertrag?
Für Live Auftritte? Was kann verbessert werden? Gut
für die Nachwuchsmusiker: Sie sehen wie die Profis
denken, auf was sie achten und wo sie kritisieren.
Die Demotape Clinic richtet sich an analog arbeitende Musiker, electronic surfers und urban groovige
sounds. Eine Auswahl der spannensten Demos wird
an den Demotape Clinic Live Events präsentiert. Für
alle drei Kategorien werden die vielversprechendsten Newcomer mit einer CD Produktion im Wert von
2‘500 Fr. Belohnt. (sf)
Details zur Anmeldung findet sich unter:
www.demotapeclinic.ch
6
K U L T U R
&
G E S E L L S C H A F T
Bild: Mathilde - Warner Bros.
LUKAS VOGELSANG
mathilde – eine grosse liebe
Der teuerste europäische Film: Un long dimanche de fiançailles
Filme, die noch
in den 60’er
Jahren dieses
Thema darstellten,
wurden in Frankreich teils verboten
(darunter auch
«Path of Glory» von
Stanley Kubrick.
Erst in den 80’er
Jahren lockerte
sich diese Zensur.
Dieser neue Film
gehört, salopp
gesagt, auch ein Teil
zur französischen
Selbstfindung.
■ Der in Marseille geborene Sébastian Japrisot (1931 – 2003) lieferte die Vorlage zum neuen Film von Jean-Pierre Jeunet (Frankreich)
und «dessen» Star Amélie, oder eben richtig:
Audrey Tautou. Vier von Japrisots psychologischen Kriminalromanen wurden seit den 60’er
Jahren verfilmt. Der neue Film ist ebenfalls
eine von Medien kreierte Bestsellergeschichte, geformt durch Sätze wie: «Ein poetischer,
ein philosophischer Roman mit der Spannung
eines Thrillers.» (Berliner Morgenpost) oder
«Den berühmtesten Liebespaaren der Weltliteratur sind Mathilde und Manech hinzuzufügen.»
(Der Tagesspiegel). Das lechzende Publikum ist
überwältigt, die gesamte Produktion kann jeglichem Traum nach guter Unterhaltung und befriedigender Wiederholung standhalten. Muss
sie auch, denn mit 46 Euromillionen ist «Un
long dimanche de finançailles» der teuerste
europäische Filmproduktion. «Mathilde – eine
grosse Liebe» (der Originaltitel wurde schon
gar nicht erst übersetzt...) ist aber nicht einfach opulentes französisches Kino. Hollywood
hat unlängst das potential vom Star-Regisseur
Jean-Pierre Jeunet erkannt und gebucht. Seine künstlerische Freiheit muss man ihm aber
lassen – so ganz käuflich ist er nicht. Und in seiner Filmografie der Kinohits hat es nur einen
Film, der nicht eine überragende Leistung zeigte: Alien: Resurrection (1997). Mit Delicatessen
(1992), La cité des enfants perdus (1995), Le
fabuleux destin d’ Amélie Poulain (2001) hat er
Meisterwerke der Kinowelt geschaffen.
Der Film beherbergt aber noch weitere Eigenwilligkeiten, wenigstens für Frankreich.
Der erste Weltkrieg hatte in die französische
Geschichte einen tiefen Riss geschnitten: 1.3
Millionen Tote hatte Frankreich zu verzeichnen
(von 10 Millionen insgesamt). Filme, die noch
in den 60’er Jahren dieses Thema darstellten,
wurden in Frankreich teils verboten (darunter
auch «Path of Glory» von Stanley Kubrick. Erst
in den 80’er Jahren lockerte sich diese Zensur.
Dieser neue Film gehört, salopp gesagt, auch
ein Teil zur französischen Selbstfindung.
Zum Film: Der Erste Weltkrieg geht zu Ende
und die junge Mathilde hat erfahren, dass ihr
Verlobter Manech zu jenen fünf Soldaten gehörte, die von einem Kriegsgericht verurteilt und
als Todgeweihte ins Niemandsland zwischen
den französischen und deutschen Schützen-
gräben hinausgeschickt worden sind. Mathilde
weigert sich seinen gemeldeten Tod zu akzeptieren. Durch Kinderlähmung hinkend und in
bäuerlicher und einfacher Umgebung wohnend,
sind ihre Möglichkeiten zwar beschränkt, doch
der Wille gross. Sie hofft und sagt sich: « Wenn
Manech tot wäre, dann würde Sie das spüren.»
So sucht sie nach Details und der Wahrheit und
bringt im Verlaufe der Recherchen das wahre
Schicksal der fünf Soldaten ans Licht. Ein Weg
voller Überraschungen und brutalen Erkenntnisse, Detektive, Prostituierte und verworrenen
Geheimnissen.
Die Geschichte mag auf den ersten Überblick ziemlich romantisch und kitschig klingen.
Das Drama zieht sich aber nicht nur über eine
Liebesgeschichte, sondern geht durch Weltgeschichte und emotionellen Willen. Nur die
starrsinnige Hoffnung, der Glaube, die Unvernunft, die unverdorbene und jungfräuliche
Liebe, unbeirrbarer Optimismus tragen das
Geschehen. Und dies ist natürlich ein hervorragender Tummelplatz für Jean-Pierre Jeunet
und Audrey Tautou: Die Vorübungen zu diesem
Thema wurden bereits mit «Amélie» gut eingespielt. So sind zwar ganz andere Charakteren
in diesem Film anzutreffen, doch fast die gleiche SchauspielerInnen-Crew. Und noch mehr:
Die eigenartigen, spielerischen und grotesken
Kameraführungen von Jeunet wurden in Perfektion weiter gezogen. Diesmal einfach etwas
ernster, glaubwürdiger, faszinierender und versöhnlicher, als bei «Amélie». Die Kriegsszenen
werden in keiner Art und Weise verunglimpflicht, kein Spott oder Hohn ist da. Die Bomben
der Hoffnung und die des Krieges explodieren
in uns. Die 7 Wochen Dreharbeiten im Schützengraben sind auch dem Filmteam in die
Knochen gedrungen. Jeunet war sich bewusst,
dass die Geschichte gefährlich ist und im Gegenteil dazu schaffte er ein eindrückliches und
geniales Werk, welches in vielen Szenen peinlich berührt. Die Produktionsmillionen sind gut
investiert.
Besonders Spass machen die wiederkehrenden und nachgestellten Szenen. Mit jedem
Schnipsel, dem Mathilde auf ihrem knorrigen
Weg begegnet, ändert sich die Erzählung und
die Szene wird neu eingespielt – jetzt mit den
neuen Geschichtselementen. Das macht die
Erzählung unberechenbar und spannend. Fast
kein Moment ist voraussehbar und wenn doch,
so dienen diese Sequenzen der reinen cinéastischen Erholung. Jeunet ist ein brillanter Erzähler und Gestalter, einer der wenigen wahren
Gaukler der Kinowelt. Die Illusionen sind perfekt und wir fiebern mit den Figuren – seien sie
noch so klischiert - anderes ist gar nicht möglich. Ein kleines, desillusionierendes Beispiel:
Der Gare d’ Orsay und auch andere Schauplätze waren leer und gar nicht existent. Die SchauspielerInnen agierten vor einem Blue-Screen
und wurden später montiert...
Die Dreharbeiten dauerten von August
2003 bis Februar 2004, beginnend in Korsika,
dann Paris, Bretagne, in die Region Poitiers
(Schützengraben-Szenen) und abschliessend
in den Bry-sur-Marne-Studios. Jeunet ist ein
Perfektionist und das ist spürbar. Seine Spontaneität ist abgesichert durch detailgetreue
Storyboards und Videoaufnahmen, die jeweils
Tage zuvor gedreht werden. Das heisst aber
nicht, dass er keine Änderungen zulassen würde, so meint das Team. Das Aufgebot an guten
SchauspielerInnen ist beachtlich. Jodie Foster
spielt mit und Julie Depardieu, die Tochter von
Gérard, Jean-Claude Dreyfus, Dominique Pinon
und viele weitere bekannte Gesichter. Die Effekte und technischen Finessen sind Jeunets
Steckenpferdchen und dort entpuppt sich immer wieder sein enormes Potential: Die Farben,
das Dekor, die Ambiente... man riecht förmlich
die Hoffnung der damaligen Zeit.
Eines ist gewiss: Mathilde ist eine gute und
befriedigende Nachfolgerin für Amélie. Ein
grosses Stück Zauber im Alltag und eine grosse Illusion. Hoffentlich lassen sich davon viele
Menschen anstecken...
Der Film läuft in den Berner Kinos.
Audrey Tautou, 26-jährig, verschlägt es jetzt
ganz nach Hollywood: Sie wird in Dan-Browns
«Das Sakrileg» die weibliche Hauptrolle
an der Seite von Tom Hanks spielen. Alias
Sophie Neveu, Entschlüsselungsexpertin,
untersucht sie den Mord an ihrem Grossvater
im Pariser Louvre und wird in die Suche nach
dem Heiligen Gral verwickelt.
8
B Ü H N E /
M U S I K
Kommentar
HIDDEN GARDEN
– ES BLIEB DABEI....
■ Es ist immer spannend, bei den ersten Produktionen , neuer künstlerischen Direktoren dabei zu sein.
So präsentierte der neue Tanzdirektor von Stadttheater Stijn Celis im Januar sein erstes Abendprogramm.
Seinen Einstand gab er bereits mit dem Weihnachtsmärchen «Aschenputtel», welches gemischt, aber
grundsätzlich beim Publikum gut ankam. «Hidden
Garden», eine Uraufführung um Leidenschaft Aggression und menschliche Beziehungen - das «Erwachsenenprogramm» also – wurde gespannt erwartet. Im
Vorfeld aufgefallen ist mir, dass in den Presseunterlagen das Wort «Ballet» verschwunden war. Früher
redete man noch von «modernem Ballet», wenn es
schwierig wurde. Jetzt scheint es nur noch «Tanzabende» zu geben. Ein Verlust?
Im Hinblick auf den Erstling schon, ja. In diesem
Getümmel von Klischees und programmierter Entrüstung, dem Versuch, gar zu «neu» und «anspruchsvoll» in Szene zu treten, wäre etwas Besinnung auf
den Ort und Funktion besser gewesen. Stijn Celis
Produktion hätte in einer Dampfzentrale noch einen
Hauch von «modern» zu bieten. In einem Stadttheater fand ich es aber ziemlich deplaziert. Nicht, dass
ich gegen «modernes» etwas entgegenzuhalten hätte
– ich verstehe auch, dass das Stadttheater der Zeit
hinten nachrennt. Doch ein Fluch für TänzerInnen,
die nach so vielen Jahren Training, plötzlich Theater
spielen müssen, als wären sie beliebig auszuwechseln. Das würdelose Scheitern ist programmiert. Der
Inhalt des Stückes ist zudem gar platt und die Musik
(oder was vom elektronischen Getöse übrig bleibt)
und die Bewegungen, fern von Einheit. Ein Jahr zuvor
kam Philipp Saire mit [ob:seen] viel deutlicher zum
Thema (ensuite – kulturmagazin berichtete: ausgabe
09/03). Was und wohin will Stijn Celis? Möchte er die
moderne Tanzszene in Bern konkurrieren? Macht dies
Sinn für das Stadttheater Bern?
Um Stadtgespräch zu werden, um wieder Aufmerksamkeit zu erhalten, bringt das Theater nur
die alte Leier zum Klingen. Rotznasig Realitäten
abzulichten bringt dem Publikum aber nichts mehr
ab. Und wenn zu Beginn von Hidden Garden, sich die
TänzerInnen nackt vor uns auf der Bühne aufbauen,
zuckt hier und da eine Wimper – doch mehr nicht.
Und wenn die Provokation, von einem Event zum
anderen geführt wird, so lernen wir nur die Sprache
der versagten Provokation und gewöhnen uns daran.
Zurück bleibt ein verborgener Garten, der uns mehr
auslädt, als interessiert. Ein richtig klassisches Ballet
wäre besser gewesen – das wäre heute wieder die
provokativste Form. (vl)
Bild: zVg.
TIERISCHES,
ALLZUTIERISCHES
SAFARI von Matto Kämpf
Die Beziehung zwischen Mensch und Tier ist ein unerschöpfliches Thema. Kann es ein natürliches Zusammenleben mit unseren tierischen Freunden geben? Was
halten die Tiere wohl von uns? Sind Tiere gar die besseren Menschen? Stoff für witzige Anekdoten geben sie
allemal. Zu diesem Schluss kam auch der Theaterautor
Matto Kämpf. «Mensch und Tier begegnen sich in seltsamer Manier» meint er.
In Safari hat der Autor einen Strauss teils haarsträubender, teils herzzerreissender Episoden versammelt.
Inspiriert wurde er von einem fantasievollen Biologielehrer und abstrusen Zeitungsmeldungen.
Von Polarforschern, die sich kurz vor dem Erfrieren
an Robben klammern oder einen Eisbären umarmen ist
die Rede, von euphorischen Zirkuslöwen, die plötzlich
die Führungsrolle übernehmen, von masochistisch veranlagten Regenwürmern, Hamstern mit ausgesprochenem Mutterinstinkt und telepatischen Fähigkeiten, von
simulierenden Rehen, von Affen, die zur Freude ihrer
Mitaffen Menschen imitieren und von Ratten die dem
Wodka verfallen.
Ein philosophischer Zoodirektor schliesst seinen
Vortrag über Tierhaltung mit dem Satz: «Es ist insofern
schwierig zu sagen, wie die Tiere, im umgekehrten Fall,
uns halten würden.»
Meistens sind es die Menschen, die von den Tieren
an der Nase herumgeführt werden und den Kürzeren
ziehen müssen. Ein Unternehmer wird von einem Terrarium voller beharrlicher Ameisen in den Wahnsinn
getrieben, ein Zoodirektor verzweifelt ob ihren vorwitzigen Affen und brandstiftende Bauern kommen erst
wieder durch das verzweifelten Schreien ihrer Kühe zu
Vernunft.
Kämpfs Texte sind von einer sachlichen, fast wissenschaftlichen Trockenheit, so dass man ihm jede noch so
abwegige Behauptung willig abnimmt. Gleichzeitig lösen
die Texte Bauchschmerzen vor Lachen aus, eine Lesung
der Texte kann dieses Gefühl nur noch verstärken.
Der Schauspieler Nils Torpus wird die Safari-Texte lesen, musikalisch begleitet wird er von den Zorros, einer
Formation bestehend aus dem Aeronauten Olifr Maurmann, Reverend Beatman und Patrick Abt.
Wer einen anderen Blick auf die mysteriöse Tierwelt
werfen möchte, hat nach letztjährigen Auftritten im
Schlachthaus, am 26. Februar im Café Kairo nochmals
die Gelegenheit dazu. (ss)
SAFARI
Tiergeschichten von Matto Kämpf
Gelesen von Nils Torpus
Musik: Die Zorros
Café Kairo, Dammweg 43
26.Februar um 22:00 h
B Ü H N E /
M U S I K
9
Bild: zVg.
LEISE PROTESTE IN
LEEREM RAUM
EIN BUS VOLLER ERLÖSUNGSBEDÜRFTIGER
stromsounds + mechanik
Der Bus (Das Zeug einer Heiligen)
von Lukas Bärfuss
■ Die zwei Klangkünstler zimoun und pe lang sind Mitbegründer des «leerraums», einer Plattform für zeitgenössische Klangkunst (ein ausführlicher Artikel über
diese Innovation erschien im ensuite vom Dezember).
Eine weitere Performance/Installation, die in dem sich
langsam etablierenden «leerraum» entstanden ist, kann
nun in den Räumen der Dampfzentrale belauscht und
bestaunt werden.
Unter dem Titel «untitled sound objects» präsentieren die zwei Sound-Tüftler ihre klingenden Objekte im
Foyer der Dampfzentrale.
Die Klangobjekte sind programmierte einfache Roboter, mit denen verschiedene Materialien bespielt und
zum Klingen gebracht werden.
«Kabel», so der schlichte Name der Live-Performance, die Zimoun im Anschluss im Kesselhaus, in völlig verdunkeltem Raum präsentieren wird. Dabei arbeite
er ausschliesslich mit «Kabelfehlergeräuschen, welche
normalerweise mit allen Mitteln vermieden werden
wollen». Kurzschlüsse, Wackelkontakte, Kabelbrüche.
Zimoun komponiert aus diesen unwillkommenen Geräuschen minimalistische Klangwelten. Arbeitet Rhythmen
heraus und findet Klänge, die in ihrer Repetition und
Monotonie fesseln. «Rhythmen, die sich ständig leicht
variierend neu überlagern und dadurch eine organisch
anmutende Lebendigkeit erlangen.»
Die Forschung an Raum, Form, Struktur, Leere interessieren ihn; die Reduktion, die Unschärfe, das Da-
FREIBURGER INTERNATIONALES FILMFESTIVAL
■ Einen Termin den sich Filmbegeisterte jetzt schon
vormerken müssen: die 19. Ausgabe des FIFF, am 6-13.
März 2005. Die Südsicht ist garantiert, denn das Filmfestival ermöglicht seit 25 Jahren die Vielschichtigkeit
filmischen Schaffens aus dem Süden. Die Schwerpunkte in diesem Jahr bewegen sich zwischen Philosophie
und Politik, zwischen oft sehr harter Realität und mystischen Träumen und Geschichten. Das Unsichtbare abbilden, das imaginäre, das mystische und die Traumwelten einfangen sind noch heute ein wichtiger Bestandteil
des Autoren Films. Der türkische Regisseur Ömer Kavur
gehört zu den progressiven Filmemachern, wobei progressiv nicht als politisch zu verstehen ist, sondern als
ruhige neue Sicht auf die Zeit und auf jene Dinge, die
kaum definierbar sind. Unter dem Titel „palästina – Israel und das Schweizer Filmschaffen, ist weiter auch ein
ganzer Zyklus von filmische, grenzüberschreitendem
Engagement entstanden und setzt sich mit dem Zwist
der israelischen und palästinensischen Bevölkerung in
den 70iger Jahren auseinander. (sf)
Festival international de Films de Fribourg
www.fiff.ch/ 06.03. – 13.03.2005
zwischen, das sind die Themen, die Zimoun mit seinen
Arbeiten verfolgt. «Durch Repetition kann ich auf Dinge
aufmerksam machen, die sonst ungehört blieben. Zeiträume, wo nichts passiert, laden den nächsten Wechsel
auf, kleine Veränderungen werden grosse Veränderungen.» Als eine Art «leisen Protest» umschreibt der
Künstler seine Arbeiten treffend.
Wem also nach einem unkonventionellen Erlebnis
für Ohr und Sinne zu Mute ist, der sollte am 10. Februar in der Dampfzentrale vorbeischauen und sich dank
«stromsounds + mechanik» in eine noch unerforschte
Welt katapultieren lassen.
«stromsounds + mechanik»
10. Februar Dampfzentrale
Foyer ab 20h: «untitled sound objects»
zimoun + pe lang
Kesselhaus 21h: «kabel»
zimoun
Ab 22h: dj mastra
HUMAN PLAYGROUNDS
■ Burgdorf - Dorothee Golz, die in Wien lebende Künstlerin, eröffnet am 04. Februar ihre Ausstellung Human
Playgounds. Auf die neue Ausstellung der galerie im
park darf man gespannt sein. An der documenta X in
Kassel sorgte Dorothee Golz bereits für Aufsehen. Sie
fertigt Kunstwerke bei denen das Spannungsverhältnis
von subjektiver und objektiver Wahrnehmung im Zentrum steht. Human Playgrounds präsentiert Fotografien, Bilder und eine Reihe von Objekten wie Tische , sich
verdoppelnde Kannen, Teller und Tassen, die sich im Widersprüchlichen, im Doppeldeutigen bewegen und uns
so unverhofft einen „neuen“ Blick auf die umgebende
Welt öffnen. (sf)
Vernissage: Freitag 04. Februar 2005 um 19:30
galerie im park, Technikumstrasse 2, 3400 Burgdorf.
Die Ausstellung dauert bis am 3. April 2005.
■ Der junge Berner Autor Lukas Bärfuss konnte
mit seinen vergangenen Stücken «Meienbergs Tod»
und «Die sexuellen Neurosen unserer Eltern» grosse
Erfolge in Deutschland und der Schweiz feiern, Der
Bus ist nun sein erstes ÐHeimspielÐ am Stadttheater
Bern. Bärfuss ist Mitbegründer der Theatergruppe
Ð400asa», erhielt u.a. den Buchpreis des Kantons
Bern und wurde durch die Zeitschrift «Theater
Heute» als Nachwuchsdramatiker des Jahres 2003
ausgezeichnet.
Sein neues Stück entstand als Auftragswerk des
Thalia Theater Hamburg, wo es Ende Januar dieses
Jahres, mit Fritzi Haberland in der Hauptrolle, zur Uraufführung kam. «Der Bus (Das Zeug einer Heiligen)»
thematisiert den Wunsch nach religiösem Trost, nach
Sicherheit in unserer Gesellschaft, der in letzter Zeit
wieder vermehrt laut wird.
Erika, eine selbsternannte Pilgerin, ist im Bus unterwegs zur Schwarzen Madonna von Tschenstochau.
Eine Gruppe Kranker, Kaputter, vom Leben Enttäuschter sind ihre Reisegefährten Sie sind unterwegs in die
Berge, in ein Kurhotel. Erika ist eine blinde Passagierin und sitzt im falschen Bus. Ist sie eine Drogenschmugglerin, ein durchgeknalltes Sektenmitglied
oder vielleicht eine Heilige? Unterwegs offenbaren
die Kurgäste ihr nach und nach ihre Lebensängste
und ihre Sehnsucht nach Erlösung.
«Ein entschieden anachronistischer Text, der auf
wundersame Weise den Nerv unserer illusionslosen
Gegenwart trifft» fasste ein deutscher Kritiker die
Essenz des Stückes zusammen. Es geht darin um Erlösung, um Seelenheil, um den Unterschied zwischen
politischem und religiösem Widerstand, um Romantik
und um die menschliche Würde. «Der Bus (Das Zeug
einer Heiligen)» ist ein Roadmovie, ein Kreuzweg,
eine Fahrt in die Freiheit. In Bern führt Schauspielleiter Stefan Suske Regie, auf seine innovative Umsetzung des aktuellen Stoffes kann man gespannt sein
und sich auf eine wichtige Schweizer Erstaufführung
freuen. (ss)
BUS (DAS ZEUG EINER HEILIGEN)
von Lukas Bärfuss - Schweizer Erstaufführung
Inszenierung: Stefan Suske
Bühne: Raphaël Barbier
Kostüme: Catherine Voeffray
Musik: Michael Frei
Dramaturgie: Rainer Hofmann
Mit: Ragna Guderian, Matthias Redlhammer, Grazia
Pergoletti, Susanne Bard, Thomas Mathys, André
Benndorff, Uwe Schönbeck (ab Band)
Im Stadttheater Bern
Premiere: Donnerstag, 3. Februar,19.30 Uhr
weitere Daten siehe Agenda
1 von 310 Haltestellen:
Gurtenbahn.
L I T E R A T U R
11
gibt es den Kunstschaffenden und den Behörden Auftrieb, Bern wieder dahin zu führen wo die Stadt wieder
hingehört: als geheime Kunstmetropole. (sf)
Markus Jakob « Café du Commerce ».
eine Berner Kulturgeschichte seit 1947. Erschienen im
Verlag Gachnang & Springer 2004.
ISBN 3-906127-76-1.
Commerce – vom schwelgen mit Fischen
■ In dieses Aquarium haben schon einige geguckt.
Jean-Paul Belmondo, seine Ursula Andress, der Philosoph Jean Gebser, Meret Oppenheim und… eine weitere
Aufzählung erübrigt sich, nahezu die gesamte Berner
Kunst und Intelligenzija Szene der 50er 60er 70er und
80er Jahre. Den Fischen war das wohl egal, für Bern
war das die glänzendste Epoche als Kunststadt. Bern
als geheime Kunstmetropole, das Café Commerce war
Dreh und Angelpunkt. Im Verlag Gachnang & Springer
erschien das wunderbare Buch «Café du Commerce»,
herausgegeben von Markus Jakob. Das 112 Seiten umfassende Buch beschreibt die rauschende Geschichte
eines der bis jetzt unverwundeten Beizen in Berns Herz.
Das Buch macht ein Stück Berner Kulturgeschichte
greif- und nachvollziehbar. Zeitzeugen erzählen von
Erlebnissen, Zusammenkünften und zollen fantastische
Einblicke in die Szene hinter den grossen Museen und
Persönlichkeiten, in den spannenden Auf und Abstieg
des Restaurants und eben in Kneipenkultur, die es heute
fast nicht mehr gibt.
Das Commerce hat von diesem Charme nichts eingebüsst – auch wenn diese Generation Kunstschaffender in ferne Länder gezogen oder… verstorben ist. Das
Commerce ist eines der wenigen Kneipen die nicht ausgeschlachtet und mit Tarnkappe einem neuen Trendpublikum untergeschoben worden ist. Musik plärrt keine
aus den Boxen, das babbeln der Fische umso mehr. Wer
eintritt in die unveränderte Gaststube, der ahnt welche
Geschichten das Holz abgewetzt haben. Und immer
noch tun. Das Restaurant Commerce wird wieder entdeckt. Vermehrt sitzen wieder Maler, Musiker, Schriftsteller, Ballerinas und andere Handwerker in der Gaststube. Das Wirte Paar Rui und Annabela Pacheco sind
sich ihres Schatzes durchaus bewusst und pflegen ihn
dementsprechend fürsorglich. Der Ober, Paul Carreira,
der charmanteste Ober Berns wohlgemerkt, kennt die
Tücken seiner Schäfchen, versucht unmögliches möglich zu machen. Die Küche lässt nicht nur die Fische
schwelgen, sondern überrascht mit guten preiswerten
Essen.
Mit dem Buch aus dem Hause Gachnang & Springer
hat der Verlag ein Dokument publiziert, das gerne als
Geschenk an Bern bezeichnet werden darf. Vielleicht
Menetekel – Fotogramme zur
Jahrtausendwende
■ Das Bild ist eine mächtige Waffe. Unablässig schlägt
sie auf uns ein, so machtvoll, dass das Hirn nicht mal
merkt, dass es längst verkümmert ist. Überdrüssig überfliegt der Zeitungsleser die Pressebilder, mag die geschundenen, verbrannten, ausgemergelten Menschen
schon gar nicht mehr sehen. Verständlich, denn die mit
rasender Schnelligkeit und Perversität kaum zu überbietende Bildabfolge von kokettierten Minuten-Stars
und ihren Schosshündchen, den grinsenden Politikern,
mafiösen Wirtschaftskapitänen, den Bombentrichtern
und siechenden Menschen schafft es, das Denken über
den Informationsgehalt eines Bildes zu zerstören. Dem
Schutzmechanismus unseres Hirnes dank… der Platz in
den psychiatrischen Kliniken würde wohl noch enger
werden. Trotz diesem natürlichen Schutz bewirkt die
beständige Bombardierung der Bilder die konsequente Ruhigstellung des Gedankens. Die Konsequenz daraus ist mit Sicherheit eine verheerende Lethargie den
Dramen der Welt gegenüber. Die Macht der Bilder und
vor allem der Gehalt ihrer Informationen werden erst
bewusst beim Innehalten.
Peter Fahr holt aus dieser Lethargie zurück. Sein
neues Buch «Menetekel» ist der Beweis, dass unser
Geist sehr wohl bereit sein kann, gerade solche Informationen zu verarbeiten und in einem grösseren Kontext
zu verstehen. Peter Fahr ist gebürtiger Berner. Seine
arbeiten, Gedichte, Collagen und Geschichten, seine
zeitkritischen Essays und politische Lyrik wurde verschiedentlich ausgezeichnet. Mit «Menetekel» schaffte
Peter Fahr ein Werk, das durch seine Schlichtheit absolut besticht. Er vereint die Pressebilder von 170 Ereignissen chronologisch mit einer jeweiligen nüchternen,
sachbezogenen Bildunterschrift, welche die Daten und
Fakten des Bildes umschreiben. Dazu stellt Fahr wie ein
Chor im antiken Drama Vierzeiler in reimender Form.
Die quantitative Verringerung auf seine Vierzeiler, steigert in verblüffender Weise die Qualität des Bildes. Peter Fahr schafft es dadurch mit sanfter Ironie, aber auch
mit analytischen, zum Teil selbstbissigen Gedankengängen das Geschehen im grösseren Zusammenhang zu
stellen. Interessant, denn damit überwindet Fahr den
Schutzmechanismus des denken Hirns und lässt die Bilder aus dem Jahre 2000, die meisten Fotos kennt der
Leser aus der Presse, mit anderen Augen verarbeiten.
Das Buch will sich langsam gelesen wissen, verführt
aber auch zum schmökern, zum einfach mal aufschlagen und überraschen lassen.
Durchaus kann das Buch auch anregen an Peter
Fahr’s Gedanken weiter zu knüpfen. Vielleicht – und das
wäre zu hoffen, gewinnt seine Form der Vierzeiler für
manchen zu einer neuen Quelle der Bildbetrachtung
und vor allem Verarbeitung. Bilder - und sind sie noch
so grässlich, noch so verlogen und scheinheilig kitschig
– sie gehören zu unserem Rüstzeug die Welt zu verstehen. Und darum geht es. Peter Fahr’s «Menetekel» ist,
wie konstantin wecker meint, leider ein wichtiges Buch.
(sf)
Buchvernissage:
Menetekel Fotogramme zur Jahrtausendwende,
von Peter Fahr
Lesung: Hans Saner & Sabine Ehrlich
Musik Tinu Heiniger und das Heimatland – Orchester.
Freitag, 25. Februar 2005
Aula Lerbermatt, Kirchstrasse 64, 3098 Köniz.
«Menetekel» Fotogramme zur Jahrtausendwende.
Von Peter Fahr
384 Seiten mit 170 farbigen Fotografien,
gebunden , Leinen.
2005 Nemesis Verlag Bern,
Bantigenstrasse 43, 3006 Bern
ISBN 3-9520343-3-9
12
K U N S T
I M
B I L D
Bild: Atelier von Paul Klee, Weimar,
fotografiert vom Künstler, 1925;
Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung
Familie Klee
SONJA WENGER
RESTAURATION
IM ZENTRUM PAUL KLEE
Nicht spektakulär, aber wichtig!
■ 9600 Gesamtwerke Circa 3‘000 Werke auf Papier befinden sich im
Zentrum Paul Klee in Bern, welches am 20.Juni 2005 seine Tore öffnen
wird. Da macht es Sinn, dass das Zentrum zur Zeit einen Papierrestaurator
oder Restauratorin für die Erhaltung dieser weltweit grössten monographischen Sammlung sucht. Was aber muss man sich unter Papierrestauration vorstellen? Ein Gespräch mit Dr. Michael Baumgartner, Konservator
der Abteilung Sammlung und Ausstellungen im Zentrum Paul Klee.
Das alte oder beschädigte Bilder wiederhergestellt und dadurch neu
entdeckt werden können ist nur ein, wenn auch der bekanntere Aspekt
dieser hochqualifizierten Arbeit. Ein wesentlich grösseres Gewicht der
Arbeit eines Restaurators oder einer Restauratorin liegt in den Komponenten Konservierung, Kontrolle und Prävention.
Wie alte Zeitungen Wir alle haben schon mal eine Zeitung gesehen,
welche ein paar Monate oder Jahre herumgelegen ist. Aufgrund des hohen Holzanteils von Papier wird es durch die Lichteinstrahlung schnell
braun und brüchig. Genau diesen Effekt versuchen nun die Restauratoren zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen. Dabei wird vor allem
versucht äussere Faktoren wie Licht und Klima zu beeinflussen und dabei
möglichst konstant zu halten. Ideale Lagerungsbedingungen für Papier
herrschen bei einem stabilen Klima von 20-21°Celcius und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 50% sowie dem ziemlich schummrigen Licht
von 50-60 Lux. Diese sogenannte präventive Konservierung wird ergänzt
durch die aktive, bei welcher man darauf achtet, welche Materialien zur
Lagerung verwendet werden können oder mit welchen Methoden sich der
UV-Anteil des Lichts verringert.
Trotz dieses Aufwands können Papierwerke maximal sechs bis sieben
Monate öffentlich ausgestellt werden, nur um danach wieder für ca. drei
Jahre im Dunkeln gelagert zu werden und sich quasi « erholen» zu können. Die Kontrolle dieser ständigen Rotation ist ein wichtiger Bestandteil
der Arbeit dieser Form der Konservierung.
Klimabedingungen Im Haus selbst ist die Stabilität dieser Klimabedingungen ohne Probleme gewährleistet. Anspruchsvoll wird es erst bei
einer Ausleihe der Werke an andere Museen. Mit sogenannten Facility
Reports klären die Restauratoren ab, ob der Ausleiher in der Lage ist,
die restriktiven Klimabedingungen einzuhalten. Im Zweifelsfalle verlangt
das Zentrum die Klimastreifen des Depots eines Museums über den Zeitraum von einem Monat. Darauf werden Temperatur und Luftfeuchtigkeit
festgehalten und können so auf ihre Konstanz hin kontrolliert werden.
Haben die Verantwortlichen ihre Zustimmung für eine Ausleihe gegeben,
geht es an die Logistik des Transports. Klee-Werke werden ausschliesslich
in Klimakisten und klimatisierten Lieferlastwagen transportiert. Auch bei
Transporten nach Übersee, welche mehrere
Tage dauern können oder im Flugzeug unterwegs sind, kann so eine Stabilität des Klimas
garantiert werden mit maximalen Schwankungen von plus/minus 10% der vorgegeben
Werte. Zusätzlich zu diesen Sicherheitsmassnahmen werden die Transporte und Ausleihen
im Normalfall von einer Person des Zentrums
begleitet, welche die strikte Einhaltung vor Ort
kontrolliert.
Experimente mit Materialien Neben den Konservierungsmethoden für Papier, werden im
Zentrum auch Gemälde restauriert und konserviert. Dabei stellen sich naturgemäss andere
Fragen. Bei Gemälden ist die Problematik der
Lichteinstrahlung üblicherweise weniger zugespitzt wie bei Papierwerken. Es interessiert
in einem grösseren Masse die Methoden zur
Erhaltung der verwendeten Materialien. Paul
Klee hat sehr wenige Gemälde mit klassischen
Malmitteln hergestellt. Sein Interesse galt dem
Experiment mit Materialien wie Gips und Sand,
mit Leinwänden aus Jute, mit Aquarellfarben
und äusserst komplexen Farbschichtungen.
Das Hauptproblem bei den Gemälden liegt jedoch in der Beschriftung, welche einen integralen Bestandteil der Werke darstellt. Paul Klee
verwendete nicht nur lichtresistente Tusche,
sondern häufig auch normale Tinte um seine Gemälde zu signieren oder zu beschriften.
Diese Tinte ist nun wiederum der Gefahr des
Ausbleichens ausgesetzt und gehört dadurch
zu den empfindlichsten Bereichen der Konservierungsbestrebungen.
Nur noch präventiv Durch die günstige, beinahe schon luxuriöse Situation, dass bereits
kurz nach Klees Tod die Werke gesammelt und
gepflegt wurden, gibt es verhältnismässig wenige verlorene Zeichnungen und Gemälde. Das
Bewusstsein für die präventive Konservierung
hat allerdings erst vor ca. 30 Jahren eingesetzt.
Noch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden aktive Eingriffe in die Werke gemacht, zum Teil sogar aus ästhetischen Gründen. Heute sind die Eingriffe ausschliesslich
präventiver Natur. So werden im Speziellen abblätternde Farbschichten durch einen unsichtbaren Leim gefestigt oder Gemälde stabilisiert.
Da Paul Klee häufig seine Zeichnungen durch
einfache Leimpunkte fixierte, kann sich das Papier mit der Zeit um diese Punkte zusammenziehen, zerknittern und an den schwächsten
Stellen Risse bilden. Die Palette der Probleme
lässt sich beliebig erweitern. Das Ziel der Restauration besteht vor allem darin, diese Alterungsprozesse zu verlangsamen.
Synergien Für diese Aufgabe wird das
Zentrum Paul Klee 130 Stellenprozente zur
Verfügung stellen. Darauf entfallen 80% für
die Papier-, 30% für die Gemälderestauration
und 50% für die Buchbinderei. Diese Arbeit
bedingt ein Hochschulabschluss in Konservation und Restauration wie es zum Beispiel an
der Hochschule der Künste in Bern angeboten
wird. Mit dieser Schule wie auch mit anderen
Institutionen wie dem Kunstmuseum Bern, besteht ein reger Austausch des Know-hows und
die Nutzung von Synergien in Bereich der Infrastruktur. Dank der Bewilligung des Baukredits konnte die gewünschte Infrastruktur beim
Neubau verwirklicht werden. Zwei Ateliers für
Papier- und Gemälderestauration wurden auf
den neuesten technologischen Stand gerüstet.
Das Zentrum Paul Klee stellt an sich den Anspruch zu einem Kompetenzzentrum für die
Restauration der Werke Paul Klees und einiger
befreundeter Künstler wie Wassily Kandinsky
und Frank Marc zu werden. Die Vorraussetzungen dafür sind zweifellos vorhanden.
D I V E R S E S
13
Wintereinklang:
Foto: Franz Schwendimann
Sandrainstrasse 3
3007 Bern
V E R A N S T A L T E R
Bild: zVg.
CLAUDIA DRECHSLER
PAARLAUF
Malerei von Hugo Brülhart
vom 30. Januar bis 31. März
in der ONO-Galerie
■ Hugo Brülharts Serie Paarlauf hat nicht weniger als
die Malerei selbst zum Thema. Der Freiburger Künstler setzt sich mit unterschiedlichen Maltechniken und
Darstellungsweisen auseinander. Seine mehrteiligen
Bilder greifen jeweils zwei Sujets auf. Streng, fast wissenschaftlich abgebildete, überlebensgrosse Tiere oder
Früchte werden meist paarweise auftretenden figürlichen Fragmenten oder Figuren, die in flüchtigem Malstil
auf die Leinwand gebracht sind, gegenübergestellt. Erdbeere, Tomate, Frosch oder Fisch sind detailgenau, teilweise beinahe fotorealistisch wiedergegeben. Licht und
Schatten, Hell und Dunkel erhalten nach akademischen
Richtlinien der Malerei ihren Platz. Daneben stehen
durch Umrisse und Farbflecken angedeutete Figurenpaare oder Einzelfiguren, die wie in Bewegung scheinen.
Beide Pole dieser Bilder erscheinen isoliert, ohne räumliche Bezugspunkte auf einfarbigem Bildhintergrund. Die
Aufmerksamkeit des Betrachters wird auf das Wechselspiel der Gegensatzpaare gelenkt und nicht durch Raum
oder Hintergrund irritiert. Beziehungen zwischen konkretem Ding und abstrahierter Figur sind, abgesehen
von Eva und der Apfel, nur unterschwellig, beispielsweise in der Farbgebung, vorhanden. Die Kombination von
scheinbar Zusammenhanglosem auf leerer Bildfläche
verleiht den Darstellungen etwas Surreales.
Anliegen des Künstlers ist es auch, das l’art pour
l’art von Gemälden deutlich zu machen. Ein Kunstwerk
steht für sich und ist nicht Abbildung der Realität. Gesteigerten Wert legt er auf das Repertoire eines Kunstschaffenden an unterschiedlichen Stilen und Techniken,
deren er sich, wie ein Jazzmusiker beim Improvisieren,
nach Bedarf bedienen kann.
Spannungen zwischen Konkretem und Abstrahiertem, mit unterschiedlichem Pinselstrich Festgehaltenem, machen den besonderen Reiz seiner Bilder aus.
ONO Bühne|Galerie|Bar
Kramgasse 6, 3011 Bern
031 3127310
www.onobern.ch
Ausstellungsdauer: 30. Januar bis 31. März '05
Öffnungszeiten: Fr – Sa 13 – 17.00 Uhr
Nachtgalerie: Mi – So 22 – 24. 00 Uhr
sowie nach telefonischer Vereinbarung
14
M U S I K
STEPHAN FUCHS
reduktion
in die qualität des klanges
Das Gespräch mit Don Li - Tonus Music - Labor
Ich würde
mich selber
töten, wenn ich
des Geldes
wegen meine
Forschungen
unterbinden
würde.
■ Don Li, ich habe Ihnen zwei Sachen mitgenommen: Eine furchtbare CD eines Musikers,
den wir beide kennen und eine andere CD,
auch schlimm, die Sounds vom Mond Titan,
aufgenommen von der Huygens-Sonde.
Oh ja, also die erste CD ist wohl… na ja! Wissen sie was? Ich schenke ihnen das nächste Mal
die schlimmste meiner CDs. Was halten sie davon?
Grossartig! Ich befürchte nur, dass Ihre CD,
die sie mir schenken wollen, ein Genuss sein
wird.
Lassen Sie sich überraschen! Aber die Titan
Sound Files… das ist Grossartig. Wieso finden
sie die so schlimm?
Allem voran herrscht da oben offensichtlich das grosse Rauschen. Bei genauem hinhören aber, kristallisiert sich ein Ticken… ein
sanftes Wummern heraus. Ich war gerührt,
denn das ist ein jungfräuliches Geräusch eines
uns 1,2 Milliarden Kilometer entfernten Mondes. Das fand ich fantastisch! Es war die Reduktion die das Erlebnis ausmachte. Nachher,
bitte entschuldigen Sie, dass ich ausschweife,
habe ich Musik von ihnen gehört. Ich war zu
Tränen gerührt, ich bekam Hühnerhaut! Auch
Sie reduzieren Musik auf die Substanz, auf
die Wichtigkeit des einzelnen Klanges und der
Repetition. Don Li, Sie sind ein Meister!
Ich danke ihnen… ich glaube meine Musik
ist, ähnlich wie bei Ihrem Erlebnis der Musik
des Mondes Titan, vom grossen Rauschen befreit. Ich habe alles Rauschen, alle Eskapaden
zurückgenommen und die Musik auf den Klang
reduziert. Die Musik, die ich im Tonus Labor
komponiere und mit den Musikern vom Orchester damit experimentiere, lebt erst durch
die Reduktion. Da liegt ein grosses Potential an
Energie.
Empfinden sie die Reduktion als Qualität?
Ja, unbedingt! Schauen Sie, es rauscht um
uns unaufhörlich. Selbstverständlich ist es ein
Genuss, wenn das ein Jazzkonzert, Klassik, irgendein Musikstück ist. Für mich geht das Erlebnis Musik aber weiter. Qualität ist Entwicklungsfähigkeit, Eigenständigkeit, Charakter,
tiefes Handwerk, Inhalt. Qualität ist Zeitlos.
Qualität ist bestimmt nicht etwas, das schnell
kommt und schnell geht. Das Erleben wir auch
mit unserem kulturellen Fundament: Klassik,
Jazz… Formen, auf die ich mit dem Tonus Orchester zurückgreife…
Sie machen eine musikalische Zeitreise.
Nein, das klingt zu utopisch. Ich verbinde
nur Zeiten. Ich versuche die Werte der klassischen Musik mit den Werten des Cyberspace
zu verbinden. Eine Verbindung von klassischen
Werten, Groove- und Minimal Music. Ich reduziere auf das Wesentliche. Qualität hat nichts
mit Menge zu tun… vielleicht im Gegenteil, mit
der Leere.
Das ist was ich erlebt habe bei Ihren Kompositionen. Dadurch werden Sie im ersten Moment endlos anstrengend…
…bis Sie sich gehen lassen. Es sind nicht
endlose Wiederholungen des immer Gleichen,
sondern eine Vertiefung des immer Gleichen…
…genau! Ich empfand es als Befreiung.
Die Kompositionen gaben mir das Gefühl der
Musik gegenüber mündig zu sein, selber zu
entscheiden, was ich damit kreiere. Und dabei
habe ich Ihre Musik als geballte Kraft erlebt.
Ja, es ist auch diese geballte Kraft des Zurückhaltens. Stellen sie sich das vor: Sie beherrschen Instrumente in der vollen Virtualität
und Bandbreite. Sie dudeln damit eine dicke
Wand bis sie explodiert… und Buff… und dann?
Nichts geschieht weiter. Halten sie diese Energie zurück und geben diese in einen Ton… in
eine Schlaufe, die Tore öffnen sich, der Klang
bekommt Tiefe, bekommt Information, und
eine neue Qualität. Dann bekommt jede Note
Power. Das ist für mich auch Qualität. Dann bekommen Noten einen Kontext.
Kommt es nicht auch auf den Empfänger
an, wie er einen Klang aufnimmt?
Sicher, der… wie Sie sagen «Empfänger»…
füllt einen Klang mit seinen eigenen Werten.
Er gibt ihm Inhalt und modifiziert den Wert der
tonalen Information. Genau so wie Sie es bei
den jungfräulichen Sounds des Titan Mondes
gemacht haben.
Das ist aber eine rechte Herausforderung
an den Zuhörer. Um ehrlich zu sein habe ich
nur diese einzige Notiz zum Interview aufgeschrieben: Ihre Musik ist nicht Erholung, sie
ist Herausforderung.
Sie machten sich wohl eine Reduktion des
Interviews. Musik ist immer eine Form der Kommunikation. Sie können sich nach hinten lehnen
und unterhalten lassen, oder Sie können sich
Räume schaffen, Sie können sich darin aufhalten, forschen, und neues entdecken. Sicher,
man muss die Bereitschaft haben zu entdecken,
das mag anstrengend sein, muss aber nicht. Ich
habe die Erfahrung gemacht, dass je mehr ein
Musiker seine Tonleitern technisch perfekt rauf
und runter spielt, also mehr quantitativ arbeitet, desto mehr krebst ein Hörer zurück. Ich
habe das selbst auch erfahren. Bis vor kurzem
hielt ich mein Labor hermetisch. Das heisst der
Hörer kam, wurde mit meiner Musik konfrontiert und ging wieder. Ich habe dabei der Musik
das Geheimnis weggenommen. Ich machte keine Ansage, nichts! Das war zu dieser Zeit sicher
richtig, denn ich hatte eben mein eigenes Ding
erschaffen: mein Labor, und damit musste ich
mich auch klar positionieren. Jetzt hat sich das
geändert. Ich habe mich positioniert. Und ich
habe dabei entdeckt: Ich will nicht einen geschlossenen Raum schaffen, sondern Einladen.
Heute mache ich das wieder. Ich erkläre die Musik, lade den Hörer ein, sich vorzubereiten und
schaffe es so, die Bereitschaft zum hören zu
öffnen. Das hat nicht im Geringsten mit Mystik
zu tun, sondern mit meiner Arbeit als Musiker
im experimentalen Bereich.
Also doch ein Exzentriker?
Nein, ich muss mich nicht mehr vor anderen
- und vor allem mir - nichts mehr behaupten.
Ich glaube, das ist der Punkt.
Wie meinen Sie das?
Schauen Sie, ich habe jahrelang gesucht.
Kennen Sie das Gefühl? Sie wissen etwas ist da,
und sie finden es nicht. Nirgends finden sie das
Gesuchte und Sie wissen aber, dass es existiert.
Irgendwo da draussen. Ich habe die Musik, die
ich wollte, aber nicht gefunden. Also hab ich
sie selber gemacht. Ich habe mir mein Tonus
Labor eingerichtet, habe meine eigene Musik
gespielt, habe experimentiert, habe mich ausgetauscht. Klar ich wurde auch belächelt und
schubladisiert…
Jetzt sind Sie ein Meister!
Bin ich das? Ich glaube nicht.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich
vergleiche das nun einmal mit dieser Huygens-Sonde: Der Kerl ist vor Jahren los geflogen in eine andere Welt und wurde selbst
von NASA Leuten belächelt. Was nützt uns
M U S I K
Bild: zVg.
als Gesellschaft da ein fliegendes Ding, haben wir uns
gefragt. Reichlich wenig…
…wirklich?
Eben! Huygens gibt unserer Gesellschaft Impulse,
abgesehen von technischen und wirtschaftlichen Errungenschaften. Es gibt uns philosophische und gesellschaftliche Impulse. Neue Sounds, neue Gedanken,
dadurch ein neues Verständnis. Vielleicht nicht in unserer Generation, aber bei unseren Kindern. Visionen
wie eine Huygens-Sonde, ein vielleicht dummes Beispiel, hat Einfluss auf die Kultur. Sie, Don Li, stehen
eben auch weit vorne. Da, wo die Gesellschaftsmusik
aufhört, da beginnen sie. Sie kreieren mit Ihrer Musik
das Verständnis der Gesellschaft von morgen.
Wenn Sie das so sagen, kann ich das akzeptieren. Ja,
ich bin vorne. Ich kreiere, ich bin aktiv am Suchen, ich
kann nicht stehen bleiben, auch wenn ich dabei gut Geld
verdienen könnte.
Das ist das Los, das Sie tragen.
Ich kann nicht anders. Ich würde mich selber töten,
wenn ich des Geldes wegen meine Forschungen unterbinden würde. Viele Musiker haben das gemacht. Sie
waren innovativ, sie waren on the edge und haben sich
blenden lassen von den vollen Konzertsälen.
Reizt Sie das grosse Geld nicht?
Ich brauche Geld zum Überleben, um meine Versicherungen zu bezahlen und meinen Kühlschrank zu füllen. Wissen sie, es liegt noch so viel in meinen Händen.
Ich habe noch so viel zu tun. Ich will da weiter gehen. Die
Musik und das ganze daraus resultierende Gebilde sind
unerschöpflich.
Wissen Sie was? Vielleicht spielt man Sie in fünfzig
Jahren im Stadttheater Bern und alle finden das modern.
Ja, wer weiss. Davon werde ich auch nicht viele Kühlschränke füllen können. Im Moment geht es aber, neben
dem Kühlschrank füllen, auch um die Entwicklung einer
Sprache für meine Musik.
Wie darf ich das verstehen?
Ich arbeite viel mit dem Streich-Quartett und mit anderen Musikern. Das sind traditionelle Instrumente, Holzinstrumente, Blasinstrumente, Geige. Um einem klassischen Orchester zu vermitteln, was in meinem Kopf
an Klangvorstellung herrscht, reichen die traditionellen
Ausdrücke, die in der Klassik Verwendung haben, nicht
mehr aus. Erklären Sie einem klassischen Orchester mal
die Klangfarben in ihrem Kopf. Sounds, die es als Sprache noch nicht gibt.
Das sind Ausflüge auf fremde Monde. Vorstellungen
zu benennen und sprachlich begreiflich zu machen für
die es keine Worte gibt… Wie erklären Sie denn ihre
Klangvorstellungen den Musikern?
Ich habe die Sprache noch nicht entwickelt. Es ist
wirklich nicht ganz einfach. Im Moment mit Beschreibungen, oder Umschreibungen. Ich habe gemerkt, dass
die Beschreibungen mehr mit einem Gefühl zu tun haben. Ein Adagio zum Beispiel ist jedem Musiker absolut
klar. Das klingt so und nicht anders. Erklären sie aber
mal den Klang einer aalglatten Fläche. Da kommen sie
ins Rutschen.
Können sie das in Bern erreichen? Ich meine, da
sind die Forschungsressourcen doch recht begrenzt
oder?
Ja, Sie haben zum Teil Recht. Bern hat schon Ressourcen. Gute Musiker, absolut interessante Künstler,
die sich weit vorwagen und mit ihnen arbeiten wir zusammen. Doch jetzt darf ich nicht stehen bleiben. Das
Tonus Labor wird nach Manhattan New-York gezügelt
und ich gehe natürlich mit. Darauf freu ich mich sehr.
Da, in N.Y. ist ein noch grösserer Pool an Forschungsmöglichkeiten, ein gutes Netzwerk und eine breitere
Austauschmöglichkeit, die meine Arbeit vorantreiben
wird.
Was heisst das. Gute Nacht Tonus Labor Bern?
Das Tonus Musiklabor werde ich in beste Hände legen. Das Tonus Labor Bern wird es weiterhin geben,
aber es jetzt Zeit mich wieder zu bewegen.
Don Li, Sie zu treffen war eine grosse Bereicherung... herzlichen Dank. Ich wünsche Ihnen alles Gute
auf Ihrer Reise in die Qualität des Klanges.
15
DON LI & Tonus Music- Labor
■ Don Li wurde 1971 in Bern geboren. Mit 16 Jahren
schrieb er erste eigene, repetitive Kompositionen und
befasste sich intensiv mit den Strukturen der Jazzmusik. Seit seinem 17. Lebensjahr lebt Don Li ausschließlich von der Musik. Don Li wirkte als Saxophonist,
Klarinettist, Komponist und später als Produzent auf
über 20 CDs und spielte mit unzähligen international
renommierten Musikern.
1993 gründete er das für seine Arbeit Grundstein
bildende Trio TONUS. Der Klangkörper diente dem
Komponisten zur Entwicklung seiner musikalischen
Intentionen. Die Gruppe wuchs bald zum Quartett und
zum Quintett heran, mit dem neben minimalistisch,
repetitiven Strukturen das Erforschen und Erreichen
grösstmöglicher Fingerfertigkeit und vertrackter
Rhythmen im Zentrum standen. Ab 1996 veröffentlichte er insgesamt vier Tonträger, wovon «Suun»
1998 zu den best verkauften Schweizer Jazz CDs
gehörte.
TONUS-MUSIC ist ein musikalisches und kompositorisches Konzept der Reduktion und Repetition.
Dabei interessieren Don Li Elemente der Metrik, der
Verzahnung des Gleichgewichts von rhythmischen
Strukturen in Kombination mit musikalischer Askese
und Meditation. Bislang schrieb er unter diesem sich
ständig weiterentwickelnden Konzept über siebzig
Kompositionen die er seit 1993 laufend durchnummeriert und mit japanischen Haikus vergleicht.
Im Jahr 2000 gründete Don Li zur Vertiefung und
Entwicklung von TONUS-MUSIC, das TONUS-MUSIC
LABOR in Bern. Seither arbeitete er dort mit über
80 Konzerten, von tibetischen Mönchen zur Butho
Tänzerin bis zu indischen Meistern, und MusikerInnen
wie Ania Losinger.
Die Entwicklungen aus dem Labor bezeichnet er
als TONUS-MUSIC LABOR RESEACH RESULTS und
spielte im Januar 2002 unter diesem Namen am
Jazzfestival Bern ein fünfstündiges Marathon-Konzert
mit wechselnden Formationen. Das Konzert wurde
vom Schweizer Fernsehen für 3Sat und vom Radio
DRS2 aufgezeichnet.
2002 gewann Don Li das New York Stipendium des
Kantons Bern.
Mit der dort entstandenen 60 Minuten SurroundKomposition «THE LONGEST JOURNEY», das binnen
6 Stunden zwischen Video-Installation und live
gespielter Komposition hin und her spielt, bestätigt
sein Interesse an zeitgenössischer Konzeptkunst und
wurde im 2003 in der Diapason Gallery in N.Y. uraufgeführt.
Darauf folgte am 1.Mai 2003 die erfolgreiche Uraufführung des 60 Minuten Werkes «TONUS-MUSIC».
Die erste Komposition der Welt für Sinfonie Orchester
und Xala.
Im August 2003 präsentierte Don Li am Jazzfestival Willisau seine neuste 60 Minuten Surround-Komposition «TIME-EXPERIENCE» und setzte damit für
Willisau technisch und konzeptionell neue Maßstäbe.
Zurzeit arbeitet Don Li an einer neuen Umsetzung
von Steve Reichs Komposition «Different Trains» aus
dem Jahre 1988.
16
V E R A N S T A L T E R
SEHNSUCHT DES
ERZÄHLENS
■ Es ist ein dunkler Zauber um die Filme Fred Kelemens, der Kritiker und Filmliebhaber in verschiedenen
Teilen der Welt immer wieder fasziniert. Susan Sontag
nannte in ihrem berühmten Aufsatz «The decay of Cinema» (1996) «Verhängnis», Kelemens ersten Film, 1995
in Deutschland mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet,
als eines der wenigen Beispiele authentischen zeitgenössischen Films und beschrieb diesen Film anlässlich
seiner dreiwöchigen Präsentation in New York 1996 als
«einzigartige visionäre Leistung».
Die «Helden» in Kelemens Filmen – ein russisches
Paar im Berlin der 90er Jahre («Verhängnis»), eine
Mutter, die mit ihrem Kind am Weihnachtsabend vor
dem trunksüchtigen und gewalttätigen Ehemann an
den Ort ihrer Kindheit in der ehemaligen DDR flüchtet
(«Frost»), der Arbeitslose Anton und seine Frau Leni,
die als Büglerin arbeitet, deren Beziehung in die Krise
geraten ist («Abendland») – leben am unteren Rand der
Gesellschaft. Ihr Kampf ums Überleben ist hart, hat in
jedem von ihnen Spuren des moralischen Verschleißes
und der Abnützung hinterlassen.
Ihren Schicksalen geht Kelemen auf den Grund, aber
so, wie nur Film das kann, durch Bilder, Licht und Schatten, Rhythmus, durch die Bewegung der Kamera, die
Länge der Einstellungen, die Art des verwendeten Filmmaterials. Geredet wird wenig. Obwohl die Kamera die
Menschen nur von außen zeigen, ihre Physis abbilden,
ihre Bewegungen in Räumen, Straßen, auf Plätzen etc.
verfolgen kann, wird uns durch die Art der filmischen
Erzählweise – und das eben ist das Geheimnis – die Fähigkeit vermittelt, in ihre Seelen zu blicken, ihre Leiden
und Sehnsüchte mitzuempfinden, ihre Schwäche, ihr
Versagen, ihre Kraft. Ihr Alltag wird vorurteilslos beschrieben, aber es sind keine Zustandsschilderungen.
Ein besonderes Ereignis oder eine Kette schlimmer Erfahrungen durchbrechen das Gleichmaß des alltäglichen
Lebens, verdichten das Gewohnte und lassen uns so die
tragische Dimension dieser Lebensverläufe erfahren,
nein erleiden. Es gibt keinen einfachen Trost in diesen
Filmen. Aber die Magie des filmischen Erzählens, die
Schönheit des Lichts, die gänzlich unverbrauchte Ausdruckskraft der Bilder, der Kamerastandpunkte oder
-bewegungen gibt diesen «gewöhnlichen» Menschen
und ihren Schicksalen eine außerordentliche Eindringlichkeit, verleiht ihnen in all ihrem Versagen und ihren
Zerrissenheiten Würde, Respekt und letztlich Schönheit.
(ER/HKB)
Der Regisseur Fred Kelemen und seine Filme in
Bern
Im Rahmen des Freitagsprojekt «Der Faden ist
gerissen – Narrative Strategien in der zeitgenössischen Kunst und Gestaltung» hat die Hochschule der
Künste Bern, Studienbereich Gestaltung und Kunst
den Berliner Regisseur Fred Kelemen nach Bern eingeladen. Parallel dazu zeigt das Kino Kunstmuseum
Bern vom 13.-20. Februar 2005 drei Filme von Fred
Kelemen.
Termine:
Aufführungen im Kino Kunstmuseum:
Sonntag, 13. 02. 17.00: Frost
Samstag, 19. 02. 18.00: Abendland
Sonntag, 20. 02. 14.00: Verhängnis (mit anschliessendem Gespräch mit F. Kelemen)
Kino Kunstmuseum, Hodlerstrasse 8, 3000 Bern 7
Vortrag / Werkdiskussion
Fred Kelemen spricht an der HKB, Studienbereich
Gestaltung und Kunst über seine Arbeit.
Parallel dazu Ausstellung von Arbeiten der Studierenden des Freitagsprojekts «Der Faden ist gerissen»
Montag, 21.02. ab 17.00, Sodium, Fellerstrasse 11,
3027 Bern
Bild: Frost von Fred Kelemen/ zVg.
STUDIENGANG VISUELLE
KOMMUNIKATION
HKB AbgängerInnen für den ‘dns award
2005’ nominiert
■ Bereits zum 14. Mal verleiht ‘design network switzerland’ den Förderpreis in der Höhe von CHF 12’000,
um den beruflichen Nachwuchs hinsichtlich Qualitätsniveau, Innovation und Gestaltungsverantwortung zu
unterstützen. Über 80 Projekte wurden in einer Kurzfassung eingereicht. Die NomatorInnen haben aus
über 80 Arbeiten die besten 16 Projekte für den ‘dns
award’ nominiert. Unter diesen befinden sich auch die
Diplomarbeiten der HKB AbgängerInnen 2004 Yvonne
Choquard, Christoph Frei, Helm Pfohl, Lorenz Tschopp
und Roland Zenger (Studiengang Visuelle Kommunikation, Fachbereich Gestaltung und Kunst). Die öffentliche
Präsentation der nominierten Projekte durch die AutorInnen hat am 28. Januar 2005 an der Hochschule für
Gestaltung und Kunst in Basel stattgefunden, die ‘dns
award 2005’ werden am Freitag, 15. April 2005 verliehen.
Die noch junge Hochschule der Künste Bern vergibt
dieses Jahr zum zweiten Mal Diplome im Bereich der
Visuellen Kommunikation. Die öffentliche Veranstaltung
findet am Freitag, 25. Februar 2005 ab 18.00 Uhr an
der HKB, Fellerstrasse 11 in Bümpliz statt. Anlässlich der
Diplomübergabe sprechen Thomas D. Meier (Direktor
HKB), Franziska Räz (Co-Studienleitung Visuelle Kommunikation) und Ruedi Baur (Visueller Gestalter und
Mitglied der Diplomjury).
Wer mehr über die Hochschule der Künste Bern und
den Studiengang Visuelle Kommunikation erfahren
möchte, ist herzlich zum Informationstag am Mittwoch,
2. Februar 2005, 12.00 - 19.00 Uhr, eingeladen. Der Informationstag bietet Gelegenheit, sich in den Räumlichkeiten und Ateliers umzusehen, Gespräche mit Studienleitungen, Dozierenden und Studierenden zu führen und
sich über das Hochschulstudium im Bereich der Künste
ein konkretes Bild zu machen.
Nähere Angaben zum Informationstag unter
www.hkb.bhf.ch
(ES/HKB Viskom)
D I V E R S E S
17
STADTLÄUFER
nr. 6 // bürgerlich. Ich hätte anfangs kaum geglaubt, die
nötigen 1800 Zeichen für diese Folge des Stadtläufers
über mein aktuelles Wohnumfeld zusammen zu bringen,
weswegen ich auch ohne mit der Wimper zu zucken 278
Zeichen (inklusive Leerschläge) für eine sinnlose Einleitung wie diese verschwende.
Was gibt es denn schon über das Weissenbühl-Quartier zu sagen? Es ist weder angesagter Studentenmagnet (Lorraine) noch zur Schau gestellte Dekadenz (Kirchenfeld), weder zentrales Berner Urgestein (Altstadt)
noch dezentrales Schlachtfeld (Bern West).
Wo liegt des Weissenbühls Kern? Bin versucht, die
Endstation vom Drü zu nennen, schliesslich ist der Kebabstand einziges Anzeichen eines urbanen Kontexts.
Die beiden Kneipen in unmittelbarer Nähe zur Tramschlaufe haben nämlich eher Dorfcharakter als was anderes.
Wo wir schon beim Thema sind versuche ich mich
an einer nicht faktenorientierten Charakterstudie des
Quartiers: Der durchschnittliche Bewohner des Weissenbühls ist Schweizer und 55 Jahre alt (in unserem
Sechsparteienhaus drückt unsere WG den Altersschnitt
von 63.3 auf 56.6 Jahre). Häufigstes serviertes Gericht
in den spärlich gesäten Kneipen ist Schnipo, häufigstes
Verkehrsschild «Achtung! Neue Verkehrsführung!». Das
typische Haustier ist ein Hunderl der Klasse Bodenwischer, und die Dichte von Geranien auf Balkonbrüstungen ist kaum noch zu übertreffen.
Was ausserordentlich spiessbürgerlich klingt hat natürlich auch Vorteile: Im Weissenbühl ist es in der Regel
ruhig; sehr ruhig sogar. Geranien wachsen nämlich nahezu lautlos und Dackel sind – richtig erzogen – ruhige
Tiere.
Nur in den Sommermonaten kommt etwas Leben
in die Umgebung: Dann nämlich, wenn Menschen aller
Nationalitäten im nahen Beaumontpark Grillparties feiern. Und auf einmal fällt mir noch viel mehr ein, dass ich
über den Weissenbühl sagen könnte – aber die Einleitung hat nun leider doch zu viel Platz gefressen. (al)
DIE WA(H)REN HELDEN:
Chaotischer Drache
Zeichnung: 2003, Sebastian Johannes Hämmerli (Jrg. 1996) - Pokémon-Inspirationen
ensuite - kulturmagazin im ABONNENMENT
02/05
❒ ja, wir wollen keine 10-minuten-kulturblätter! wir wollen kultur-kultur!
❒ ich möchte inserieren oder hätte etwas vorzuschlagen.
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18
M U S I K
Bild: Vera Van Der Pool mit Andi
Hug im Hintergrund. /vl
LUKAS VOGELSANG
wenn
das wörtchen
«wenn»
nicht wäre...
Simon Ho und «if»
Joskus on ostettava
Valaksi Lentolippu
Joskus on Trapeeksi
Nähdä Ikkunasta
Lintu.
(Timo Pusa)
Sometimes it is
necessary
To buy an airplane
ticket on credit
Sometimes it is
enough
To watch a bird from
your window.
■ Tja, manchmal genügt es tatsächlich. Zwischendurch muss man aber auch etwas tun für
das Glück: Zum Beispiel die richtige CD in das
Abspielgerät legen und «play» drücken... und
dann geht’s in diesem Artikel nur um eine neue
CD, eine handvoll Musiker, ein Konzert. Eigentlich überhaupt nichts spektakuläres. Wenn hier
nur das Wörtchen «wenn» nicht wäre... Doch
von vorne:
«If» – so heisst das neue Album von Simon
Ho. Ho wie Hostettler oder Horizonte, denn der
Berner Komponist und Musiker sucht sich im
musikalischen Universum immer wieder neue
Spielplätze. Sein Markenzeichen – mal abgesehen von dem «künstlerischen» Erscheinungsbild – ist, dass er in jeder Produktion die MitmusikerInnen an der Hand nimmt. Er dominiert
nicht oder spielt nie den Meister, welcher er
unzweifelhaft ist. Seine Vernetzungsfähigkeit
bringen ihn damit über die Wolken. Simon Ho
ist der gespielt schüchterne und einfühlsame
Charmeur – und dies einfach gut.
In vielen Theater- undTanzensembles und
Filmproduktionen hat er musikalische Noten
gesetzt. Beim Stadttheater Bern war er als
Komponist schon öfters im Programmheft.
Man kann sagen, dass Ho einer der spannendsten Musikschaffer von Bern ist und die heimische Musikgeschichte bereits stark geprägt
hat. Die Liste der Projekte und Mitwirkungen,
Arragements und Kompositionen ist erschütternd vielfältig gross. Sein Schaffensdrang und
die Lust haben ihn in den letzten Jahren um
die Welt getrieben: Mexiko, New York, Paris, als
Gastkomponist am Staatstheater Stuttgart und
nicht zuletzt nun auch Finnland, wo Teile von
«if» aufgenommen wurden. Und das schöne an
der Geschichte ist, dass er (meistens) in Bern
lebt.
Wie im umtriebigsten Ho-Jahr 2002, wo er
seinen erste grosse Soloproduktion veröffentlichte, arbeitet er auf «if» mit Henk Hofstede,
dem Sänger und Kopf der holländischen The
Nits zusammen. Die grosse Überraschung sind
aber Värttinä aus Finnland (ensuite – kulturmagazin nr. 4/03), die powerigen Frauenstimmen,
welche Bern vor 2 Jahren in der Reitschule
entdecken konnte. Diese Zusammenarbeit
kam durch Henk zustande. Lustig, wie sich die
Wege kreuzen. Eric Facon, der DJ und bekannte
Radiomann, half bei der Produktion ebenfalls
Tatkräftig mit. Aufgeführt als MusikerInnen
(Inland) sind Shirley Grimes (voc), Vera Van
Der Poel (voc), Oli Hartung (git, banjo), Monic
Mathys (bass), Andi Hug (dr, perc, mandolin,
kb, slide guitar). Die unausprechlichen AusländerInnen sind: Susan Aho (voc), Mari Kaasinen
(voc), Johanna Virtanen (voc), Henk Hofstede (voc), Michiel Peters (voc), Markku Lepistö
(akk), Kimmo Kajasto (elec), Timo Väänänen
(kantele), Misa Stefanovic (vio), Orlando Theuler (cello) und Pekka Lehti (bass). Ein Bataillon
aus feinsten musikalischen Köchinnen und Köchen also.
Ganz hervorragend hat sich Shirley Grimes
auf der CD hervorgebracht. Mit einer von ihr
selten gehörten Fröhlichkeit, überzeugt sie im
zweiten Stück «Stars». Es klingt, als hätte sich
Shirley an einen eigenen Kindertraum erinnert. Ihre Stimme, die Tonalität - es passt alles
haargenau und es klingt ein wenig nach Edie
Brickell & the New Bohemians – eine Band, die
schon eine Weile still geworden ist. So frisch
und präsent, so dynamisch, sprungbereit – das
sind Qualitäten, welche Shirley in ihren sonst
eher melancholischen Liedern kaschiert. Das
muss ändern – sonst bleibt sie womöglich dort,
wie im Text zu «Stars» beschrieben. Aber auch
Vera Van Der Poel ist umwerfend. Die süffig-frivole Stimme trägt meilenweit. Es ist auffallend,
wie die gesamte Produktion spontan und ungekünstelt wirkt. Obwohl spürbar intelligent mit
Grooves, Hightech, Arrangements und Stimme
gearbeitet wurde, die Aufnahmen zerbrachen
im Studio nicht. Da muss ein grosses Lob ausgesprochen und ein paar Verdienstorden gehängt werden. Und natürlich wäre die CD trotz
aller Qualität auch nur halb so gut, wenn Henk
nicht seine rotzig-rauchige Stimme einbrächte.
Und so war an der Plattentaufe am 21. Januar
in der Mühle Hunziken ein kleines Feuerwerk
auf der «Winterreise 2005» von Simon Ho.
Henk Hofstede war im Anzug mitanwesend,
nur den Värttinä gelang das Timing nicht ganz.
Die wären im Kollektiv mit Henk am 12./ 13. und
14. Februar in Basel und Adelboden zu bewundern – eine Winterreise die sich lohnt. Die Band
spielte für eine CD-Taufe und im Anbetracht der
doch nicht ganz einfachen atmosphärischen
Songs super. Und von dem zweistündigen Konzert, welches an Spannung und Präsenz nichts
einbüsste, war das Publikum entsprechend begeistert. Der einzige Wehrmutstropfen waren
die tänzerischen Leistungen, die auf der kleinen Bühne in Rubigen, mit einer sieben-köpfigen Band auch kaum zu meistern sind.
Weitere «Winterreise 2005»-Daten:
05.02. Bäre Buchsi, Münchenbuchsee
06.02. Werkstall St. Gallen
12.02. Kaserne Basel
(Doppelkonzert mit The Nits & Värttinä)
13.02. Kaserne Basel
(Doppelkonzert mit The Nits & Värttinä)
14.02. Taverne Adelboden
(Doppelkonzert mit The Nits & Värttinä)
Infos: www.simonho.ch
D I V E R S E S
19
MARTA NAWROCKA
aufgewärmt
■ Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Die Suppe von
gestern? Der Rest aus der Tupperware? Ein bisschen neu
gemischt, mit anderen Gewürzen, aber doch irgendwie
dasselbe. Man stelle sich vor: Jeden Tag Reste essen?
Doch, das tun wir. Die meisten zwar unbewusst, doch
täglich wird uns der Frass vom Vortag serviert. Und landet nicht im Magen, sondern dort, wo‘s wehtut: Direkt
im Hirn.
Archiv ahoi! Denn das Fernsehen spezialisiert sich
heutzutage nicht auf frische Sendungen, sondern aufs
Recycling. Wichtig sind nicht mehr originelle Redaktoren
und neue Sendekonzepte. Die Leute im Archiv und am
Schnittplatz sind die Herrscher, Ziel: Televisionierung
von Aufgewärmtem. Ganz nach dem «Erfolgsrezept»,
welches heutzutage so viele Radios zu Hintergrundgeräusch-Krüppeln gemacht hat: Ja nicht auffallen, das
Publikum in den debilen Alphawellenrausch versetzen.
Das wohl schwerwiegendste Problem bei dieser Wüste
des Einerlei ist die Grösse der Privatsender. Fernsehriesen wie RTL oder ProSieben können es sich nicht leisten,
Experimente zu veranstalten. Denn Nischensendungen
verursachen bei ihnen einen grösseren Verlust, als sie
es zum Beispiel bei Vox oder Kabel1 machen würden.
Quotenangst macht Hasenfüsse Bei den SumoSendern geht es nämlich gleich um Millionen, Zuschauer und Marktverluste. Man versucht das Esperanto des
gesunden Menschenverstandes zu erfinden: Das mittlere menschliche Interesse. Sogar Ally McBeal, die Sendung mit der verkorkst-hysterischen Anwältin, war den
Grossen ein zu hohes Risiko. So wurde die Serie bei Vox
ausgestrahlt, was dem Sender relativ hohe Einschaltquoten bescherte. Doch muss man sich fragen: Wenn
schon Ally McBeal als Nischenprodukt gilt, was ist dann
mit den Sachen, die wirklich gehaltvoll sind?
Wiederkäuer Es gibt verschiedene Arten, wie das
Fernsehen Gleiches zu Gleichem verquirlt. Da wären
zunächst einmal die erfolgreichen Sendekonzepte. Bei
diesen hat sich der Erfolg bereits in anderen Ländern
bewährt, ein siegessicherer Gaul sozusagen. Sie werden
gefranchised und bis-zum-geht-nicht-mehr und manchmal auch bis-zum-geht-noch-ein-bisschen-weiter über
die Mattscheibe gejagt. Hier wären zu erwähnen: Wer
wird Millionär?, Big Brother, Popstars und viele andere.
Andere Leute, gleicher Schmarrn. Und vorausgesetzt,
es wird vom lokalen Publikum angenommen, so kann
man sich auf jahrelange Ausstrahlung gefasst machen.
Big Brother hätte doch lange sterben sollen. Und doch
sieht man die eingesperrten Plebs täglich durch die Gitter tratschen. Funktioniert eben todsicher. Wer denkt,
das öffentlich-rechtliche Fernsehen würde hier gegen-
steuern, der irrt sich gewaltig. Hier wird fleissig hinterhergehinkt: Siehe MusicStar.
Aus Abfall wird Neues Dann gibt es die Patchworksendungen. Diese greifen auf die Archive der, sagen wir
mal, letzten 40 Jahre der Fernsehgeschichte zurück.
Neu gemischt und mit ein paar kommentierenden Promis gezuckert präsentiert sich diese Mogelpackung zur
Prime Time am Abend. Oliver Geissen lässt grüssen. Die
grössten Hits der Achtziger oder Die nervigsten Dinge
der Neunziger sind reine Archivarbeit, in Pseudo-Moderation eingebettet.
Und jeden Tag grüsst... Wer mutig genug ist, schaut
mal einen Tag lang RTL. Und wird den gleichen Beitrag
schätzungsweise vier bis fünf Mal vorfinden. In der Morgensendung, bei Punkt12, bei Exklusiv, bei Extra... Man
rechnet, dass eine Person etwa zwei Stunden lang am
Stück in die Röhre schaut. Danach ist eine neue Zuschauergruppe am Start, man kann theoretischerweise
alles wiederholen. Und macht es praktischerweise auch.
Kosten, Arbeitsplätze und Aufwand werden gespart.
Auch noch eine relativ simple Variante der Gleichschaltung: Promis gehen in den Dschungel, auf die Burg, zum
Bauernhof. Und zwar vorzugsweise diejenigen der B-, Coder D-Klasse. Die tun nämlich alles, um das Augenmerk
auf sich zu richten, A-Prominenz ist sich da zu schade
dafür, Naddel nicht.
Die Revoluzzer Einer, der das Problem schon früh erkannt und ein Mittel dagegen erfinden wollte: Alexander
Kluge. Der schrieb 1972 «Öffentlichkeit und Erfahrung»,
ein Buch über die Relevanz einer unabhängigen Öffentlichkeit, die reich an Erfahrungen ist. Da das Fernsehen
so ziemlich genau das Gegenteil dessen war, schloss er
sich mit Kollegen aus Musiktheater, Buchverlagen und
Film zusammen, um ein Schaufenster bei RTL und Sat1
zu schaffen. Über dieses stolpert man heutzutage noch
spät nachts und wundert sich. Dem guten Willen zum
trotz: schaut irgendjemand wirklich aktiv DCTP? Was es
zur Veränderung braucht, sind doch schlaue Sendungen,
die trotzdem noch unterhaltsam sind. Wie Die Sendung
ohne Namen zum Beispiel. Läuft Donnerstags um 23:20
Uhr auf ORF1. Die ist witzig, schlau und schnell, sehr
schnell. Nach dieser Sendung sind alle Sinne geschärft
(na gut, riechen kann man sie nicht) und das Hirn verarbeitet immer noch die Allegorien der letzten fünf Minuten: Brainfuck. Und das ist es doch, was wir brauchen.
Etwas, was uns fordert, aber nicht anstrengt. Was einen
Eindruck hinterlässt, und nicht ein Zucken im Daumen,
um zur nächsten Aufwärm-Sendung zu zappen. Es ist
wahr, das Hirn hat auch seine erogenen Zonen.
SÜDSICHT –
AUS BERN NORD
n Kirchlindach - Zehn Kunstschaffende aus der Region Bern-Nord sind zu Gast in der Klinik südhang, der
Fachklinik für stationäre Therapien bei Alkohol- und
Medikamentenabhängigkeit. Die Ausstellung in Kirchlindach entstand in enger Zusammenarbeit mit Christoph Lichtin (Konservator Kunstmuseum Luzern), den
Kulturverantwortlichen der beteiligten Gemeinden
und den Künstlerinnen und Künstlern. Die Ausstellung
zeigt eine breite Pallete verschiedenster Kunstrichtungen. Grund genug, sich die südsicht Ausstellung
näher anzuschauen, denn die Finissage ist bereits am
11. Februar 2005. Die KünstlerInnen und Besucher werden mit einem Referat von Hans Saner, Philosoph und
einer anschliessenden Diskussion unter der Leitung
von Francois Wasserfallen, Leiter des Amtes für Kultur Bern und Barocken Liedern verabschiedet. Unter
den Ausstellern finden Ricardo Abella, geboren 1950
in Tucuman, Argentinien. Kunststudium an der Universidad Nacional de Tucuman. Er Praktiziert als Maler,
Zeichner und Keramiker. Heidi Künzler, Malerin, Grafikerin und Gestalterin. Mitglied des Schweizerischen
Werkbundes, Ida Maibach, Kombination monochromer
Farbflächen zu mehrteiligen Bildensembles, Egbert
Moehsnang, Maler, Zeichner, Kupferstecher und Glasmaler, 1955 erste Ausstellung in der Kunsthalle Bern.
Ernst Oppliger mit mehreren Beteiligungen an nationalen und internationalen Ausstellungen. Irene Schubiger, Tätig als Textilkünstlerin, Zeichnerin, Malerin,
Plastikerin und Bildhauerin. Sie gewann 1998 den Preis
der Kunstkommission der Stadt Bern, Verena Welten,
Initiantin des Kunstvermittlungspreises K.i.S. Kunst im
Soziokontext und Adela Picón, Malerin, Performanceund Installationskünstlerin. Letztere ist gewinnerin
des Frauenkunstpreises. Diesen Preis, nimmt sie an
der öffentlichen Vergabe in der Galerie Artraktion am
15. februar 2005 entgegen. (sf)
Finissage: Mehrzwecksaal Klinik südhang, 3038 Kirchlindach am 11.02 um 20h
Frauenkunstpreisverleihung: Galerie Artraktion, Hodlerstr. 16, Bern am 15.02 um 18h
20
M U S I K
SARAH ELENA SCHWERZMANN
SARAH ELENA SCHWERZMANN
ENJOY THE SILENCE
«HEY YOU SHOULD COME,
BLA BLA BLA...»
■ Depeche Mode ist ein Vierteljahrhundert alt, habe
ich gelesen. Und rettet regelmässig die Synthie-Pop
Welt vor dem Untergang, habe ich gelesen. Darüber soll
es Geschichten geben, mit denen man Bücher füllen
könnte, habe ich gelesen. Und manch ein Musikjournalist soll sich über Depeche Mode schon die Finger wund
geschrieben haben, habe ich gelesen. Was soll man dazu
noch sagen?
Und was sagen Depeche Mode dazu? Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Enjoy the silence. Enjoy the silence.
Enjoy the silence. Noch Fragen?
Infos: Depeche Mode, «Enjoy the silence – Remixes 19912004», Mute Records www.depechemode.com
■ iDub. iDub? Irgendwo habe ich das schon mal gehört.
Ist das nicht das neuste Gadget aus dem Hause Apple?
Nein. Sehr peinlich. Dabei sollte mir iDub etwas sagen.
Tut es dann auch. Denn spätestens nachdem ich den
Namen des einen Duomitglieds gehört habe, ist der Groschen gefallen: Cosmic Rocker.
Cosmic Rocker ist nämlich Sasha Crnobmja, unser
verlorenes Schäfchen im grossen Amerika. Für alle die,
dies nicht wissen: Sasha ist ursprünglich aus Basel. Das
heisst er ist als 10jähriger aus seiner Heimat Serbien in
die Schweiz gekommen und hat seine Teenagerjahre
hier bei uns verbracht. Als gelernter Schneider verfolgte er schon immer das Geschehen in der Metropole New
York und so kam es dann, dass ihn am Telefon ein Freund
mit einem unkomplizierten «Hey you should come, bla
bla bla...» überreden konnte, seine Koffer zu packen und
der Schweiz den Rücken zu kehren.
In New York angekommen arbeitet Sasha als Schneider. Bald einmal merkt er aber, dass ihm zwar das Arbeiten mit Textilien und das Fertigen von Kleider und
Taschen Spass macht, dass er jedoch mit der Fashionszene an sich wenig anfangen kann. So entscheidet er
sich dann, die Oberflächlichkeit und Schnelllebigkeit der
Modeszene hinter sich zu lassen, um sich dem zuzuwenden, was er schon immer aus tiefstem Herzen geliebt
hat: der Musik.
So hat Sasha also ungefähr 1995 angefangen, zusammen mit Erica Lively, nur so zum Spass in irgendeinem
Keller in der East Side Partys zu schmeissen. Anfangs
zogen diese ein kleines, allerdings ausserordentlich experimentierfreudiges Publikum an. Schon nach kurzer
Zeit aber verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer durch die ganze Stadt und es kamen immer mehr
Leute. Die Partys wurden immer grösser, jedoch nicht
kommerzieller, denn die Hauptrolle spielte immer noch
die Musik. Neu an der ganzen Sache war nämlich, dass
da nicht nur ein DJ stand, der ein bisschen Platten auflegte sondern eine ganze Gruppe von Leuten, darunter
hauptsächlich Live-Musiker, die den Mann hinter den
Plattentellern nicht nur unterstützten, sondern auf gleicher Ebene mit ihm kommunizierten. Einen Stil gab es
nicht. Es galt, Barrieren zu durchbrechen. Und das hat
sich bis heute kaum verändert.
Die Basis bilden dabei Deep House und Afrobeats.
Denn als passionierter Schlagzeuger und begabter Produzent weiss Sasha, dass der Beat in seinem Ursprung
ein solides Fundament darstellt, auf das aufgebaut
werden kann. Dann sind die Musiker gefragt. Bei ihren
Auftritten verzichten Sasha und seine Musiker auf einstudiertes Ableiern, sondern lassen sich von der Musik
tragen und versuchen immer wieder, an ihre Grenzen
zu stossen. Die Rechnung scheint aufgegangen zu sein:
Die von Sasha ins Leben gerufene Partyserie Organic
Grooves ist in New York ein Dauerrenner.
Bei einer dieser Partys hat er dann auch Zeb kennen gelernt. «Wir haben beide einen ähnlichen musikalischen Hintergrund, deshalb haben wir uns auch sofort
verstanden.» Nun kommen die beiden als iDub Sound
System feat. Cosmic Rocker & Zeb am 5. Februar in die
Dampfzentrale. Zu verdanken haben wir das Dubquest,
die vor kurzem erst gerade den sehr coolen Dorfmeister
ins langweilige Bern geholt haben. Wer sich also von der
letzten Dubquest Session erholt hat, kommt am 5. Februar in die Dampfere. Und wer sich noch nicht erholt
hat, kommt trotzdem, um unseren Auslandschweizer
gebührenden zu empfangen.
Event: iDub Sound System feat. Cosmic Rocker & Zeb,
Samstag, 5. Februar 2005, Dampfzentrale, ab 22 Uhr
Infos: www.dubquest.com, www.dampfzentrale.ch
Bild: zVg.
C D - T I P P
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Aus tiefsten Tiefen - Tocotronic
Pure Vernunft darf niemals siegen
Matt Sweeney & Bonnie ‚Prince‘ Billy
«Superwolf» (Domino)
Irène Schweizer – Omri Ziegele:
Where‘ s Africa
■ Tocotronic sind zurück, und wie: Mit neuen Album,
neuem Line-up und neuer Wut. «Pure Vernunft darf
niemals siegen», so der Schlachtruf der feinsinnigen
Hamburger Band. Tocotronic wurden schon immer an
erster Stelle, vor der Musik, an ihren Texten gemessen.
Diese gehen auf ihrem neuen Album manchmal hart
an der Grenze zum Kitsch vorbei, manchmal sind sie
bedeutungsschwanger bis zum geht nicht mehr, doch
meistens sind sie von treffender Schönheit.
«Ich mag’s wenn sich die Wut entfacht / Ich mag erschaudern und nicht zu knapp», singt Dirk von Lowtzow
und man nimmt ihm dieses Verlangen nach authentischen Gefühlen aufs Wort ab. Aber hier leben, nein danke: Ein gespaltenes Hass-Liebeslied auf Deutschland,
das sich gegen den plötzlichen trendy Nationalismus
in ihrem Heimatland richtet und für Echtheit in der
seichten (deutschen) Popwelt plädiert. Die Band, die in
ihren Anfängen einen Mtv Award mit dem Titel «jung,
deutsch und auf dem Weg nach oben» ablehnte mit der
Begründung, sie könnten sich mit keinem dieser Adjektive identifizieren. «Die Illusion wird Menschenrecht»
und «eine Bewegung gegen den Fleiss»: Es geht um
notwendige Fluchten aus dem Alltag, um den Aufstand
gegen die Erfolgsgesellschaft. Manche mögen die Ironie
der früheren Texte vermissen, im Stil der wunderbaren
selbstironischen Grunge-Persiflage «Wir sind hier nicht
in Seattle, Dirk»; doch die neue Wut, die Wahrhaftigkeit
steht ihnen nicht weniger gut.
Musikalisch ist das Album von melancholischem,
dunklen Indierock, der in den besten Momenten an Velvet Underground oder Sonic Youth erinnert. Die Band
wurde übrigens erweitert durch einen vierten Musiker,
den Amerikaner Rick McPhail, der früher an Tocotronic
Konzerten T-Shirts verkaufte und sich nach und nach
zum Bandmitglied mauserte. Höhepunkte sind das widerborstige Liebeslied «Gegen den Strich», die selbstlose Hymne «Mein Prinz» und das gespenstische Finale
«Ich habe Stimmen gehört».
«Pure Vernunft darf niemals siegen, wir brauchen
dringend neue Lügen!” schreien sie und genau solche
Überlebens-Lügen gegen die öde Vernunft liefern uns
Tocotronic, geschickt verpackt in 13 aufwühlende Songs.
(ss)
■ «Ease Down The Road», also «Sorglos die Strasse
hinab», hiess eine frühere Platte von Will Oldham alias Bonnie ‹Prince› Billy. Sorglos war seine persönliche
Auslegung des Country schon damals nicht und sie wird
es auch nie werden. Einmal mehr zelebriert Oldham den
brüchigen, dunklen Frieden, der in seiner Seele oder
sonst wo zu sitzen scheint. Nahe der Katastrophe hält
sich der mittlerweile 35-jährige aus Louisville, Kentucky,
auf, die am Ende der 44 Minuten Spielzeit im ergreifenden «I Gave You» schlussendlich auch eintrifft. Matt
Sweeney begleitet mit Gitarre roh, dunkel bis tief friedlich Oldhams nächtliche Wanderungen, Wanderungen,
die den Hörer in ehrfürchtige Stille versetzen. (bs)
■ Mit hörbarem Spass spielen sich Irène Schweizer und
Omri Ziegele durch ein Programm von Monk bis Ellington, von Don Cherry bis Dudu Pukwana: Great American
Songbook meets African Tradition, dazu eine wunderschöne Eigenkomposition der Pianistin («Bleu Foncé»)
und zwei naja, eher mittelprächtige Gesangseinlagen
des Saxophonisten. Die beiden geben einander den nötigen Freiraum, unterstützen einander, mono- und dialogisieren munter, und dass Irène Schweizer früher mal
auch Drummerin war, merkt man ihrem rhythmusbetonten Spiel an: Auch ohne Rhythm Section funktioniert
diese Musik prächtig, mal swingend, mal bluesig, mal feierlich und mit angezogener Handbremse wie in «Monk’s
Mood». Wer Irène Schweizer «nur» von ihrer Free-JazzSeite her kennt, sollte diese Chance, der Grande Dame
des Schweizer Jazz in einem ganz anderen Licht zu begegnen, unbedingt nutzen! (kb)
Irène Schweizer - Omri Ziegele: Where’s Africa,
Intakt CD 098
Pure Vernunft darf niemals siegen
2005 L’age D’or / Lado; Live: 4. März, Rote Fabrik Zürich; 5. März, Schüür Luzern; 6. März, Reithalle Basel
Slowblow «Slowblow» (Mobilé)
■ Hausmusik aus Island: Der Filmemacher Dagur Karí
(Noí Albinoi) und sein Kumpane Orri nahmen die zehn,
wahlweise schiefen, rudimentären, sonnigen und niedergeschlagenen Lieder in Stuben und Badezimmern auf.
Karí singt kaum, eher fistelt und haucht er gebrochen
über den durchlässigen Klangteppich aus Klavier, Gitarre und Perkussion, zuweilen auch Akkordeon und Geige.
Wunderbar ist Kristín Anna (Múm), die eine Handvoll Lieder mit ihrem hellen Stimmchen veredelt und so einen
Kontrast zu Karís Grummeln schafft. Wunderbar auch die
leisen, in der Ferne explodierenden, pfeifenden Feuerwerksraketen in «Cardboard Box», dem schönsten Stück
des Albums, die als Bild dieses Album nicht schlecht auf
den Punkt bringen. Besser jedenfalls, als die arg strapazierte, sprichwörtliche isländische Schwermut. (bs)
Lynne Arriale Trio
■ Das klassische Piano-Trio hat in den letzten Jahren
eine Renaissance erlebt. Und eine der Vorreiterinnen
auf dieser Erfolgswelle kommt nun nach Bern: Die Pianistin Lynne Arriale ist erstmals im Marians Jazzroom
zu Gast, mit ihren langjährigen Partnern Jay Anderson
(Bass) und Steve Davis (Drums). Kraftvoll, melodisch,
dann wieder sanft und gefühlvoll bearbeitet Lynne Arriale ihr Instrument – «ihre Finger tupfen über die Tasten
des Klaviers, als spielte sie gar nicht mit den Händen,
sondern mit Besen», schwärmte ein Kritiker. (kb)
(1.- 5. Februar, Marians Jazzroom, Bern)
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TRIO WANDERER
Vincent Coq, Klavier - Jean-Marc Phillips-Varjabédian, Geige
- Raphaël Pidoux, Violoncello
CADENZA
Un nouveau cycle de concerts, donnés
par les professeurs de l’Ecole de musique de Bienne, voit le jour à la Rotonde et à la salle Farel !
■ Quand une école de musique met au concours un
poste d’enseignant, elle recherche un candidat hors
du commun qui, par son caractère et sa formation,
réunisse trois valeurs : celles d’être un humaniste, un
artiste et un pédagogue. Pourtant, l’élève qui rencontre chaque semaine son professeur de musique, le sait
musicien sans le voir souvent à l’œuvre.
La remise sur pied de concerts donnés par l’Ecole
de musique – anciennement dénommés les Concerts
du 20 - vise, entre autre, deux objectifs : donner une
nouvelle occasion aux professeurs d’exprimer leurs
talents et permettre aux élèves et au public de considérer l’institution comme un lieu où non seulement
on apprend la musique mais où on la dispense aussi.
Cette école continue à être productrice en lançant
Cadenza, un cycle de concerts qui s’insérera dans la
vie culturelle biennoise en deux lieux distincts : à la
salle Farel, pour des lundis soirs de musique intimiste
et à la Rotonde où le concert du dimanche matin sera
couronné par un brunch convivial, parrainé par les
fournisseurs des différents produits. La programmation se fera l’écho de la diversité enseignée à l’Ecole
de musique : les professeurs, évoluant parfois avec
leur ensemble, délecteront les musicophiles de pièces
éclectiques.
Le plaisir de ces concerts se jouera dans la découverte par la rencontre avec des hommes et des
femmes qui, enseignant bien plus que le «do-ré-mi»
de la musique, révèlent leur métier d’interprète.
Au terme « cadence » qui désigne la fin d’une
phrase musicale ou encore l’improvisation d’un
soliste, s’associe le langage de tous les jours pour exprimer l’harmonie de mouvements faits en commun.
En cadence donc, pour Cadenza !
1er concert-brunch Cadenza-Rotonde (Trio Cassata : I. Lehmann, flûte traversière ; A. Milova, violon
et W. Riechsteiner, guitare. Musiques tous azimuts
écrites par des compositeurs suisses vivants). 6 mars,
10h45. 11, rue de la Gare. Billets sur place. Informations au 032 329 84 74. Dates suivantes dans l’agenda
d’ensuite.
■ Die « Wanderer » haben wirklich den auf sie zutreffenden Namen. Sie haben sich diesen nicht ohne Grund
gewählt, sondern zu Ehren von Schubert und aufgrund
ihrer Geistesverwandtschaft mit der deutschen Romantik, ihrem Lieblingsrepertoire, u.a. ist das Thema des
«umherziehenden Wanderers» eines ihrer Leitmotive.
Im weiteren ist es auch, wie sie schelmisch zugeben, als
Anspielung auf das Leben eines Musikers zu verstehen,
voll von «Reisen in sein Inneres» oder prosaischer ausgedrückt, im Rhythmus unablässiger Tourneen! Neugierige Vagabunden, uner-sättliche Wanderer, die jungen
französischen Musiker sind dies auch durch ihren musikalischen Forschergeist, der sie dazu treibt, unerlässlich
die Jahrhunderte von Haydn bis Ravel und Copland zu
durchstreifen.
Aber die Gemeinsamkeit mit dem düsteren und zurückgezogen lebenden Held der Romantik hört, glücklicherweise für sie, hier auf. Zuerst einmal treten die
drei Komparsen selten alleine auf. Umso besser, denn
ihre vor vierzehn Jahren durch die Gründung der Gruppe entstandene Freundschaft geht aus jeder ihrer Noten
hervor und ist das A und O ihrer Darbietung: Ein Spiel
mit einer außergewöhnlichen Sensibilität und einer fast
telepatischen Harmonie. Und schließlich, um mit dieser
Metapher abzuschließen, haben unsere drei Wanderer
nichts vom Unsegen des romantischen Helden geerbt:
Von der Kritik bereits bei ihren ersten Vorstellungen gekrönt, wurden sie seither pausenlos mit Lobeshymnen
und Ruhm überhäuft. Zweifellos ist ihnen eine rosige
Zukunft bestimmt.
Einige Etappen Nach Studien an der nationalen
Musikhochschule von Paris, ergänzt das Trio Wanderer
seine Ausbildung in den USA und in Kanada bei János
Starker, György Sebök, Dorothy Delay und Menahem
Pressler, sowie in Deutschland bei den Mitgliedern des
Amadeus-Quartetts. Das Trio gewinnt zwischen 1988
und 1990 große internationale Wettbewerbe wie die
Fischoff Chamber Music Competition und den Wettbewerb der ARD in München. Es beginnt seine internationale Karriere mit der vollständigen Aufführung aller
Trios von Beethoven im Herkulessaal von München.
Das 1998 von der berühmten Musikzeitschrift «The
Strad» als «Wandering Stars» ausgezeichnete Trio Wanderer tritt seither in den größten Musikszenen auf: Phil-
harmonie Berlin, Théâtre des Champs Elysées in Paris,
Library of Congress in Washington, Scala in Mailand,
Wigmore Hall in London, Kioi Hall in Tokyo und bei berühmten Festivals, u.a. bei den Festspielen von Salzburg,
Schleswig- Holstein, Roque d’Anthèron, Stresa, Osaka...
Bei musikalischen Treffpunkten hatte das Trio Wanderer als Partner u.a. Paul Meyer, Sir Yehudi Menuhin,
Christopher Hogwood, Charles Dutoit oder James Colon, und es wurde in den Repertoires mit Tripel- und
Doppelkonzerten von berühmten Orchestern begleitet:
die Philharmonie von Radio France, das Radio-Sinfonieorchester Berlin, die Sinfonia Varsovia, das GürzenichOrchester Köln...
In dieser Saison tritt das Trio Wanderer unter anderem in Rio de Janeiro, Moskau, London und Basel, in
Paris, Graz, Lissabon, beim Folles Journées in Nantes,
beim Printemps des Arts in Monte Carlo, bei den Settimane Musicale in Stresa, und bei den Salzburger Festspielen auf.
Neben den zahlreichen Rundfunkaufzeichnungen
(Radio France, BBC, ARD, RSR, ARTE) zwei CD-Aufnahmen der Trios von Mendelssohn im Jahre 1995, den Trios von DvoÐrák und Smetana im Jahre 1996 für Sony
Classical hat das Trio Wanderer 1999 eine neue Zusammenarbeit mit Le Chant du Monde-Harmonia Mundi
begonnen, und zwar mit den Trios von Chausson und
Ravel, gefolgt von einer Aufzeichnung sämtlicher Trios
von Schubert (Ende 2000), und schließlich Ende 2001,
das Tripelkonzert von Beethoven sowie eine neue CD,
die den letzten Trios von Haydn gewidmet ist.
Im Februar 2000 erhält das Ensemble eine weitere
aufsehenerregende Auszeichnung, den «Victoires de la
Musique», als beste Kammermusikgruppe des Jahres.
Das Trio Wanderer wurde von der Unternehmensstiftung «Accenture» als ihr Patenkind gewählt. Von nun
an wird ihm diese Stiftung durch ihr Netz, eine beachtliche Unterstützung verleihen. Zudem wurden sie im
Dezember 2002 mit zwei bedeutenden Auszeichnungen
für ihre CD-Einspielungen bedacht: In den Zeitschriften
«Le Monde de la Musique» und in «Gramophone» wird
ihre Haydn-CD beide Male als beste CD des Jahres bezeichnet. Nach ihrem überragenden Debüt bei den Salzburger Festspielen 2002 wurden sie für 2004 und 2006
sofort wieder eingeladen.
Bild: zVg.
THE RISING STAR
Viktoria Tolstoy in Biel
■ Ein kleiner Tipp für Jazzfreunde: Die schöne Tolstoy
kommt nach Biel ins Blue Note. Erst noch im Rummel
und Rampenlicht der neuen CD „shining on you“ und
bereits in unserer Umgebung anzutreffen. Viktoria Tolstoy (vocals), Bror Falk (piano), Dan Berglund (bass),
Wolfgang Haffner (drums), Nils Landgren (trombone)
Freitag, 18. Februar / 21.00
Blue Note Club, (unter dem Restaurant Palace beim
Bahnhof); 2502 Biel-Bienne
B I E L
Vollständige Bieler Agenda ab Seite 57
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B I E N N E
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DAS LETZTE BAND
LA DERNIÈRE BANDE
Stück von Samuel Beckett
Bild: zVg.
MUSEUM
NEUHAUS
BIEL
Bild: zVg.
Verlängerung der Sonderausstellung
«Das neue Biel: Geschichte und
Architektur der Jahre 1920 – 1930»
bis zum 27. Februar 2005-01-26
■ Die aktuelle Sonderausstellung im Museum Neuhaus
«Das neue Biel: Geschichte und Architektur der Jahre
1920 – 1930» stiess auf ein grosses Besucherinteresse.
Deshalb wird die Ausstellung um einen Monat bis zum
27. Dezember 2005 verlängert (ursprünglich bis 31. Januar 05). Dies wurde möglich dank dem Entgegenkommen der verschiedenen Institutionen und Privatpersonen, die als Leihgeber zahlreiche originale Dokumente
zur Verfügung stellen.
Die Ausstellung richtet sich an ein breites Publikum, und sie wirft verschiedene Schlaglichter auf die
historisch spannende Periode der Zwischenkriegszeit.
Damals wurden vom «roten Biel» nachhaltige städtebauliche Akzente gesetzt. Zahlreiche markante Bauten
wurden im Stil der modernen Architektur des «neuen
Bauens» errichtet, die noch heute das Stadtbild mitprägen, wie zum Beispiel das Bahnhofquartier, Volkshaus,
Hotel Elite, die Bibliothek an der Dufourstrasse oder das
Strandbad. Die Architektur als wohl augenfälligster Aspekt der Epoche dient als roter Faden um Themen wie
■ Das berühmte tragikomische Solo für einen alten
Mann, ein Tonbandgerät und ein paar Bananen - gespielt vom Bieler Bühnenkünstler Peter Wyssbrod!
Die Überlagerung von Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft ist das Thema in Samuel Becketts «Das
Letzte Band», die Gleichzeitigkeit von Erinnerung und
Imagination. Krapp, der alternde Schriftsteller lauscht
alten Tonbändern, auf welchen er sein Leben tagebuchähnlich dokumentiert hat. Die Stimme schwört
die Bilder der Vergangenheit herauf. Unzählige Momente seines Lebens werden in ihm wieder lebendig.
Krapp nimmt ein weiteres Band auf, versucht sein
Leben zu resümieren und damalige Entscheidung ins
Licht seiner Erfahrung zu setzen.
Die Tonbandspule: Ein Bild für die Zeit, für die Erinnerung, für die mechanische Wiederholung, für das
sich Drehen um sich selbst ...
«Das letzte Band» wird in zwei Sprachen einstudiert. Peter Wyssbrod wird Vorstellungen auf Deutsch
und auch auf Französisch spielen!
den Bau von Genossenschaftssiedlungen, die Weltwirtschaftskrise oder die Kunst in Biel zu beleuchten. Zahlreiche zeitgenössische Fotos, originale Skizzen und Pläne vermitteln ein umfassendes Bild vom «neuen Biel»,
das von der damals sozialdemokratisch dominierten
Gemeinde, dem «roten Biel», geschaffen wurde.
Das Museum Neuhaus bietet zudem zwei öffentliche
Führungen durch die Konservatoren an:
Mittwochs, 16. Februar 05 um 18 Uhr auf französisch,
Mittwochs, 23. Februar 05 um 18 Uhr auf deutsch.
Private Führungen auf Anfrage.
Museum Neuhaus Biel
Schüsspromenade 26, 2501 Biel
Tel. 032 328 70 30/31, Fax 032 328 70 35
E-Mail [email protected]/www.mn-biel.ch
Öffnungszeiten:
Di - So 11 – 17 Uhr, Mi bis 19 Uhr
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SIMONE WAHLI
R E I S E N
objects may be closer
than they appear – teil 4
Freak Wave
Reisenotizen auf dem Weg von Russlands Westen bis nach Südost-Asien.
(Teil vier, 23. Dezember 2004– 22. Januar 2005.)
■ Auf den Strassen Kambodschas sowie Laos’ ist von
einem Motorradtaxi über Rauschmittel jeglicher Art
bishin zu Frauen alles erhältlich. Das Beispiel Thailand
macht offenbar Schule, und dies nicht nur in Bezug auf
die vornehmlich männliche Klientel, denn auch westliche Frauen eines bestimmten Alters werden in Begleitung junger asiatischer Männer gesichtet. Nach wie vor
sind jedoch, neben den kulturellen Sehenswürdigkeiten,
die unverbaute Landschaft sowie der Umstand, dass
hier Zeit noch nicht gleich Geld ist, die Hauptfaktoren
für eine Reise nach Kambodscha und Laos – hoffen wir,
dass es so beibt.
Der Westen, zumeist verkörpert durch den westlichen Touristen, scheint Sehnsüchte zu wecken, dessen
Ausmasse wir kaum begreifen können. Dies geht soweit,
dass der aurasische Phänotyp zum Schönheitsideal
schlechthin erklärt wird - eine Hautcreme ohne Weissmacher besitzt Seltenheitscharakter und die Suche
nach einer solchen kann durchaus zu einer Tagesbeschäftigung ausarten. Der weibliche Körper wird zumeist
verhüllt, teilweise tragen die Frauen sogar die Arme bedeckende Handschuhe und Mützen, trotz bzw. gerade
aufgrund der Temperaturen über 30 Grad.
Auch in kambodschanischen sowie laotischen Videoproduktionen, denen man auf unzähligen Busfahrten
ausgesetzt ist, scheinen die Attribute des Westens dem
Mann stets zum Gewinn des Herzens seiner Liebsten zu
verhelfen. Interessanterweise gehören zu den Aphrodisiaken auch Baustellen und Häuser aus Beton.
Anders als in Vietnam, wo der Kontakt mit Einheimischen häufig dadurch erschwert wird, das man sich
allzu oft auf den ausgetretenen Touristenpfaden befindet, sind in von Touristen weniger frequentierten
Ortschaften in Laos und Kambodscha Begegnungen
fernab der Geschäftstüchtigkeit möglich. An jeder
Strassenecke wird man von Einheimischen umringt, die
bestrebt sind, mit einem ins Gespräch zu kommen und
häufig findet sich auch jemand, der genügend Englisch
spricht, um als Übersetzer zu fungieren. Lebensmittel
und Getränke werden einem nicht nur auf der Strasse,
sondern auch in Bussen angeboten und die Antwort auf
die stete Frage nach unserem Heimatland wird oft lediglich mit einem Schulterzucken kommentiert oder mit
Schweden gleichgesetzt.
In beiden Ländern sind wir immer wieder auf Orte
gestossen, die bezüglich der Anzahl an Austeigern,
welche dort für kürzere oder längere Zeit hängenbleiben - eine grosse israelische Gemeinde hat sich auf
dem Binnenarchipel Si Phan Don (»4000 Inseln”)
häuslich eingerichtet - an Goa erinnern. Dazu gehören
neben dem kambodschanischen Sihanoukville sowie
dem bereits erwähnten laotischen Si Phan Don auch das
Boom Village Vang Vieng, wo Gerichte, die THC-glücklich machen, sogar auf der Speisekarte vieler Lokale stehen. Hier wird das Restaurant jedoch weniger nach der
Speisekarte, sondern vielmehr nach dem Filmprogramm
ausgewählt - ein Lokal ohne DVD-Movie-Dinner scheint
geradezu undenkbar.
Daneben fasziniert der Ort aber vor allem aufgrund seiner unzähligen Höhlen, mehrere verfügen über
natürliche Pools, die zum Baden einladen. Eine der
Hauptattraktionen Vang Viengs ist jedoch das Tubing,
bei dem man in einem Lastwagenreifen den Nam Xong
hinuntertreibt - würde wahrscheinlich auch in der Aare
funktionieren. Unterwegs laden schwimmende Bars
immer wieder zum Verweilen und zum Genuss eines
weiteren Beerlao ein und an tieferen Stellen wird die
Möglichkeit zu einem Kopfsprung ins kühle Nass geboten.
Ganz anders hingegen muten Siem Reap bzw. Angkor sowie die laotische Tempelstadt Luang Prabang an.
Werden erstere Ortschaften vor allem von Backpackern
besucht, sind letztere mehrheitlich auf dem Tagesprogramm von Kulturtouristen. Dies trägt dazu bei, dass sowohl Siem Reap als auch Luang Prabang über eine touristische Infrastruktur verfügen - manche Strassenzüge
erinnern in Anbetracht der Restaurantdichte stark an
den Europapark -, die angesichts der Armut der beiden
Länder, die während der Busfahrt zu den Sehenswürdigkeiten besonders deutlich ins Auge sticht, zutiefst seltsam anmutet.
So sind in Laos nach wie vor über 50 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, dennoch ist es bis nicht
gelungen, über die Subsistenzwirtschaft hinauszukommen, was jedoch den Vorteil hat, dass es sich bei praktisch allem Fleisch um »Bio” handelt und vor allem das
Hühnchen ausgezeichnet schmeckt.
Dennoch sind sowohl Angkor als auch Luang Prabang
den Besuch und die zumindest für ersteres horrende
Eintrittsgebühr für einen Tag von 20 Dollar, welche
leider einer Ölfirma zugute kommt, absolut wert. Dass
viele, zum Teil aus dem 15. und 16. Jahrhundert stammende Wats, sowohl in Vientiane als auch in Luang Prabang, für unser Auge etwas überrestauriert sein mögen,
ist wahrscheinlich darauf züruckzuführen, dass sie für
uns vor allem ein historisches und weniger ein sakrales
Monument darstellen, während der Buddhismus hier
noch zum Alltag gehört, was sich unter anderem in der
Präsenz unzähliger jugendlicher Mönche in leuchtendem Orange festmacht. Ja, einige Jahre als Mönch zu
leben nicht nur in Laos und Kambodscha, sondern auch
in Thailand geradezu zum männlichen Curriculum gehört.
Sowohl die kambodschanische Kapitale Phnom Penh
als auch deren laotisches Pendant Vientiane sind unheimlich entspannt und können dank ihrer kompakten
Struktur ausgezeichnet zu Fuss beschritten werden.
Gehören in Phnom Penh neben dem Königspalast mit
R E I S E N
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Bilder: Christof Sulzer
der Silberpagode auch das Genozidmuseum Tuol Sleng
sowie die 18 km von der Stadt entfernten Killing Fields
zu den Sehenswürdigkeiten, hat Laos, trotz dem makabren Rekord, das meist-bombadierte Land der Geschichte zu sein, nichts Derartiges zu bieten. Bis heute glaubt
manch amerikanischer Vietnamveteran, auf vietnamesischen Boden gekämpft zu haben, während er sich
in Realität in Laos befunden hatte. Generell sollte es in
beiden Ländern vermieden werden, sich in die Büsche
zu schlagen, da nach wie vor eine Unzahl undetonierter
Sprengkörper existieren, die bis heute immer wieder
menschliche Opfer fordern.
In Phnom Penh wie in Vientiane kann man
spektakuläre Sonnenuntergänge bei einem Bier am
Tonle Sap bzw. am Mekong geniessen und vor allem an
den Strassenstränden am Mekong lässt sich vorzüglich
speisen - berühmt sind die ursprünglich aus Luang Prabang stammende Schweinswurst sowie Fische aus dem
Mekong.
Flussfahrten lassen sich, obwohl der Mekong einer
der grossen Ströme Asiens ist, nicht mit einer Bootsfahrt auf dem Huangpu (Shanghai) vergleichen. Der Mekong hat, zumindest heutzutage, in keiner Weise mehr
den Status einer Haupttransportader. Dies ist einerseits
darauf zuruckzuführen, dass das Strassennetz sowohl
in Kambodscha als auch in Laos in den letzten Jahren
stark verbessert wurde, andererseits, dass der Mekong
in der Trockenzeit (November bis März) vielerorts nur
mit kleinen Booten schiffbahr ist. Einen Teil der Strecke
mit dem Boot zurückzulegen ist dennoch ein absolutes
Must, insbesondere an der kambodschanisch-laotischen
Grenze, da die Natur hier aufgrund der wenigen Bewohner noch weitgehend unberührt ist.
Das Nachtleben ist in beiden Städten zu vernachlässigen, obwohl ich mich hier gerne eines Besseren belehren lasse. Auch hier wird ein Grossteil der Bars und
Klubs lediglich von Expats und Backpackern besucht,
während die Locals sich in einschlägigen Lokalen, die
zumeist schon vor Mitternacht ihre Tore schliessen,
am Alkohol und an asiatischer Popmusik berauschen.
Jedoch hat auch Bangkok, das gemeinhin mit Shopping und Nightlife assoziiert wird, bezüglich letzterem
nicht gerade viel zu bieten. Obwohl die Lokalitäten, wie
beispielsweise der in westlichen Medien schon hinlänglich besprochene »Bed Supper Club”, in Bezug auf Design kaum Wünsche offen lassen, ist mit Abtanzen bis
in die frühen Morgenstunden aufgrund der Sperrstunde
um 1 Uhr nachts nicht zu rechnen – so bleibt auch hier
einmal mehr der Ausschank von Alkohol auf der Strasse.
Einkaufen lässt sich jedoch wahrhaftig in ausgezeichneter Weise , und dies sogar wenn man ohne Louis Vuitton
(in ökonomischer Plastikausführung) nach Hause reist.
Um noch etwas Sonne zu tanken, haben wir die letzten
paar Tage auf der Insel Koh Mak, die zum Archipel um
Koh Chang gehört, verbracht, wo angesichts der vielen
Pauschaltouristen einmal mehr deutlich wurde, wie sehr
die Katastrophe, zumindest vorübergehend, die Tourismuslandschaft verändert hat. Obwohl nach wie vor
nicht überlaufen - die Insel hat eine ständige Wohnbevölkerung von gerade einmal 420 Einwohnern - ist es
zumindest im Augenblick schwierig , ein freies Bungalow
zu finden.
In Anbetracht der riesigen Backpackergemeinde
weltweit stellt sich die Frage, inwiefern es sich hierbei
um eine Zeiterscheinung Ende des 20. bzw. zu Beginn
des 21. Jahrhunderts handeln mag. Die Möglichkeit,
praktisch alle Teile der Welt für relativ wenig Geld zu
bereisen, ist vor allem auf die tiefen Flugpreise zurückzuführen, die mit dem Schrumpfen der natürlichen
Ressourcen sowie dem bisherigen Unvermögen, alternative Energiequellen in breiterem Masse zugänglich
zu machen, automatisch wieder steigen werden. Auch
Pandemien, die bislang ihren Ursprung immer wieder in
Südostasien gefunden haben, sowie Naturkatastrophen
könnten möglicherweise in Zukunft das grassierende
Reisefieber etwas ins Stocken geraten lassen.
In den Medien scheint der Tsunami langsam in den
Hintergrund zu treten und macht den kommenden
Wahlen im Irak sowie den israelisch-palästinensischen
Konflikten Platz. Bis heute hat die ‘Freak Wave’ über
220’000 Opfer gefordert.
Reisestationen seit dem 1. Oktober 2004
St. Petersburg, Moskau, Irkutsk, Olchon (Russland),
Ulanbator, Terelj (Mongolei)
Peking, Shanghai, Macau (China), Hanoi, Catba, Hue, Hoi
An, Mui Ne, Saigon, Chau Doc (Vietnam), Phnom Penh,
Sihanoukville, Siem Reap, Kampong Cham, Stung Treng
(Kambodscha), Don Det, Vientiane, Luang Prabang, Vang
Vieng (Laos), Koh Mak, Bangkok (Thailand).
ADRESSEN
Phnom Penh
Malis Güsthouse und Restaurant,
E-mail: [email protected]
Vientiane
Sticky Fingers Café und Bar, 10/3 Francoi Nginn Road
Luang Prabang
Café Ban Vat Sene, 48/3 Sakkarine Road
Vang Vieng
Sunset Restaurant, Thavonsouk Bungalows, bei der
Nam Xong Brücke
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M U S I K
MARTA NAWROCKA
postrock mit cindy crawford
■ Luzern, ein Abend im Januar. Ich stapfe durch die
Strassen, Richtung Restaurant Helvetia. Dort sitzt schon
die halbe Besetzung von Neviss – Beni (Rhythmusgitarre) und Martae (Vocals, Leadgitarre) – am Stammtisch,
drei Gläser Rotwein darauf. Gefällt mir.
Chewy, Favez, Bush und sogar komischerweise Saybia – diesen Bands sollen sie ähnlich klingen. Ist klar,
eine neue Band bedeutet Verwirrung und muss erst
mal kategorisiert werden. Hoffentlich werden Neviss
nach dem Erscheinen ihres neuen Albums «Neige &
Soleil» nur noch mit einer Band verglichen: mit Neviss.
Zunächst will ich aber wissen, warum sie in einem Lied
eine bekannte Model-Ikone besingen:
Wer von euch steht auf Cindy Crawford?
Martae: Ich, ganz fest. Das ist so: Man ist in den achtziger Jahren geboren, wächst in den Neunzigern auf.
Sie ist halt eine der ersten Frauen, die man in der erotisierenden Pubertät wahrnimmt. Ich habe grad letztens
im Fernsehen einen Bericht über sie gesehen und ich
finde sie immer noch sehr schön. Sie ist einfach ein Stilbild der Neunziger.
Beni: Cindy Crawford ist eben gut, weil man «Cindy
Crawford» singen kann. Und ich meine: (singt) «Claudia Schiffer, Claudia Schiffer» hätte doch ein bisschen
scheisse getönt. Darum ist sie schon deswegen schon
mal nicht zur Diskussion gekommen.
Euer postrockiges Minialbum «Backseat Travelling»
ist ja eher so etwas wie «Musik für Fortgeschrittene»:
Anfänglich ist man etwas überfordert und muss sich
langsam reinhören. Bei «Neige & Soleil» findet man
schon beim ersten Stück leichteren Zugang zum Album, es tönt fast schon poppig. Eine natürliche Entwicklung oder versucht ihr, es dem Zuhörer leichter
zu machen?
Beni: Wir wollten sicher mit dem neuen Album einen Schritt weiterkommen. Ich finde, das ist uns auch
gelungen. Weil wir nicht nur beim Alten geblieben sind,
das wäre eben das postrockige, was du erwähnst. Der
Schritt weiter bedeutet, dass wir nicht mehr nur Riffs
Bild: zVg.
aneinanderreihen, sondern leicht mehr zum Songwriting tendieren. Postrock war eine Zeitlang ein ziemlicher Hype. Wir waren eine Band, die das schon sehr
früh gemacht hat, vor allem in Luzern. Und mittlerweile
ist es uns halt ein bisschen verleidet. Nun fanden wir es
spannend, Postrock mit 0815-Songs zu verbinden.
Martae: Wir wollten das Alte nicht verwerfen, sprich
schöne Refrains oder Melodien zu haben und auch
manchmal etwas Eckiges. Wir wollten das Ganze einfach
etwas flüssiger, nicht so schwer gestalten. Also beim Alten anknüpfen und trotzdem auf ein anderes Level kommen.
Wolltet ihr auch gezielt Lieder für das Publikum machen?
Beni: Ich würde sagen: eigentlich nicht. Uns ist es
aber auch schon passiert, dass wir gespielt haben und
die Leute mit dem Sound überfordert waren. Wir wollten
die Leute also einfach nicht mehr so vor den Kopf stossen. Aber es war sicher nicht eine gezielte Überlegung
hinter dem Ganzen. In Hinsicht auf den Mainstream gesehen stossen wir die Leute immer noch vor den Kopf.
Es ist vielleicht eine leichte Entwicklung in Richtung
Kommerz, aber immer noch in einem Antikommerzkosmos.
Zu eurer ersten Single «Kings On The Run» wird ein
Video produziert. Was kann man erwarten?
Martae: Wir werden demnächst ein paar Tage in einer Bluebox drehen. Der Herr von der Kunsthochschule,
der das Video machen wird, wird uns dann filmen und
den Hintergrund animieren. Das geht vom Stil her in
Richtung Franz Ferdinand, die auch als Band vor einem
animierten Hintergrund spielen. Das wird sicher sehr
gut und sieht für den Schweizer Standard wohl auch
recht ansprechend aus.
Was ist das Ziel mit dem Video? Airplay auf Viva?
Martae: Das sicher auch. Allgemein war es unser
Ziel, überhaupt mal ein Video zu machen. Mit der heutigen Entwicklung in der Musiklandschaft hilft Airplay
auf Viva oder auf «Roboclip» den Bands extrem, um bekannt zu werden.
Apropos bekannt werden: Habt ihr mit «Neige & Soleil» vor, zu den Leuten zu kommen? Im Klartext: wollt
ihr Rockstars werden?
Martae: Wollen sowieso. Grundsätzlich ist das unser
Kindheitstraum. Aber wollen und realistisch sein ist halt
etwas anderes. In der Schweiz haben wir mit unserer
Musik wohl nicht so eine Chance, Rockstar zu sein. Da
müssten wir schon ins Ausland gehen und CDs verkaufen. Aber wir wollen sicher im Vergleich zur letzten CD
ein breiteres Publikum ansprechen. Wir hätten sicher
Freude an einem gewissen Wiedererkennungseffekt seitens der Zuhörer.
Ist es allgemein überhaupt möglich, in der Schweiz
Rockstar zu sein? Denn Popstars gibt es eigentlich ge-
nug, aber Rockstars?
Martae: Um ein bisschen provokativ zu antworten
würde ich nein sagen. Der Markt und das Interesse sind
zu klein. Wenn man zum Beispiel Bands wie Favez anschaut: sie kommen auf der ganzen Welt rum und haben doch einen internationalen Ruf, aber in der Schweiz
verkaufen sie fast keine Platten. Sie haben zwar eine lokale Fangemeinde und genug Publikum an ihren Konzerten, aber sie sind noch weit entfernt davon, schweizer
Rockstars zu sein.
Beni: Meiner Meinung nach könnte man schon zum
schweizer Rockstar werden, wie damals Krokus. Es
müsste einfach ein Hype entstehen. Wie zum Beispiel
der Schwedenhype mit «The Hives» oder «Mando Diao».
Ich kann aber auch nicht erklären, warum es in der
Schweiz keine solchen Hypes gibt. Dass eine schweizer
Band es international schaffen könnte, glaube ich. Aber
in der Schweiz selber…
Zu den Texten auf «Neige & Soleil»: «cheaters.com»,
was stimmt da?
Martae: (lacht) Alles. Ich weiss nicht, ob ich das jetzt
sagen soll, das ist politisch wohl nicht so korrekt. «cheaters.com» kommt aus einer persönlichen Erfahrung.
Ich habe mal in einem Restaurant gearbeitet und dort
eine prominente politische Persönlichkeit aus Luzern
gesehen. Diese Person war in Begleitung einer deutlich
jüngeren Dame. Dann kam mir eben der Songtext mit
dem «cheater» in den Sinn.
Noch zu «No Other Place». Ich nehme an, der Song
handelt von Luzern?
Martae: Falsch. Prinzipiell geht es eigentlich schon
um Luzern, weil ich in dieser Stadt aufgewachsen bin.
Generell ist es aber eine Hommage an die Stadt. Ich liebe Städte allgemein, auch Basel, wo ich jetzt wohne.
Falsche Annahme von mir also. Trotzdem: Wie viel gibt
euch Luzern als «Indiestadt» musikalisch?
Beni: Das coolste an Luzern ist, dass wir ein Radio haben, welches junge Bands fördert. Ich glaube auch, dass
viele Bands wegen Radio 3fach überhaupt anfangen,
Musik zu machen. Bei uns war das jetzt nicht so, weil wir
schon als Kinder zusammen gespielt haben. Aber andere Bands denken sich «In einem halben Jahr werden wir
schon im Radio gespielt» und machen deshalb motiviert
Musik. Ausserdem gibt es in Luzern verhältnismässig
viele Bühnen, die regionale Bands fördern.
Ein letztes Wort?
Martae: Stitch.
Beni: Stitch. Und eben, Pendelton spielt an unserer
Plattentaufe…
Plattentaufe «Neige & Soleil»:
18. Februar in der Schüür, Luzern
Infos: www.neviss.ch
c a r t o o n
27
KLAUS BONANOMI
VON MENSCHEN UND MEDIEN
Was hat Ernst Jandl mit Media-Markt zu tun?
■ Der österreichische Dada-Dichter und Meister des
höheren Blödsinns hat vor einigen Wochen die Texter
von Bund und Berner Zeitung zu ungewöhnlicher formaler Kreativität inspiriert:
François Hollande
zittert. Verliert er
die interne EU-
schla- wird jedoch die Ergen. wartung geäus-
verzichtet.
sert, dass der
Abstimmung,
Iran künftig
ist seine Au-
permanent
torität in
auf Uran-
der Par-
anrei-
tei an-
che-
ge-
rung
Das grosse, knallrote, dreieckförmige Inserat eines genannt sein wollenden Discounthauses, machte sich vor
einigen Wochen auf einer Doppelseite im Bund und in
der Berner Zeitung breit; die Folge war, dass die darum
herum drapierten redaktionellen Texte wie unfreiwillige
Parodien eines Jandl-Poems aussahen.
«Solcherlei ist derart hässlich, dass es wahrscheinlich sogar den Inserenten stört; jedenfalls hast Du mir
seither kein Pyramiden-Pano mehr ins Blatt gedrückt,»,
sagt der Chefredaktor zum Verlagsleiter. «Hoffentlich
verschwindet diese unsägliche Werbeform so plötzlich
wieder, wie sie aufgetaucht ist!» - «Hoffentlich nicht»,
kontert der Verlagsleiter: «42‘496 Franken kostet ein
solches Pyramiden-Pano auf einer Doppelseite im Bund
und in der BZ, zuzüglich MWST, abzüglich Mengenrabatt,
das ist viel Geld! Geld, das wir dringend nötig haben...
sonst musst Du, lieber Chefredaktor, eine weitere Sparrunde auf Deiner Redaktion einläuten!» Und der Verlagsleiter hält dem Chefredaktor die neuste Inseratestatistik unter die Nase: «Da, sieh selber – die Jahresbilanz
von Media-Focus: 1,7 % weniger Inserate als im Vorjahr,
welches auch schon ein schlechtes war. – Immerhin, ich
kann Dich etwas beruhigen: Auf dem Platz Bern siehts
besser aus; dank unserer verlegerischen Kooperation
von Bund und BZ konnten die beiden Zeitungen ihre Inseratevolumen erhöhen.»
Der Dialog ist fiktiv, die Realität dahinter sieht tatsächlich so aus: Um heute auf einen grünen Zweig zu
kommen, muss man auch rote Pyramiden-Panos im Angebot haben und den Werbeauftraggebern, die bei der
mageren Marktlage am längeren Hebel sitzen, immer
mehr entgegenkommen. Ein Blick in den aktuellen Angebotskatalog der BZ zeigt dabei, dass der Phantasie
der Inserate-Platzierer keine Grenzen gesetzt sind: Da
gibts etwa den «Monolithen», ein Inserat, das sich über
eine, zwei oder drei ganze Zeitungsspalten hochzieht;
es gibt halb- und viertelkreisförmige und sogar ganz
kreisrunde Inserate; das «Quadralit-Pano», das den
ganzen Rand rund um eine Doppelseite herum belegt;
den «Front-Kopfstreifen» auf der Titelseite direkt unter
dem grossen Schriftzug der «Berner Zeitung», oder das
«Bogenanzeigen-Pano», einen Kreisbogen, der sich unter dem Text auf einer Doppelseite hinzieht.
Doch solcher Scheusslichkeiten nicht genug – es fallen weitere Tabus; im Tessin hat eine Tageszeitung erstmals die ganze Frontseite für ein Inserat zur Verfügung
gestellt, und die BZ hat in jüngster Zeit verschiedentlich
die ganze Seite 3 für ganzseitige Inserate freigegeben.
Bisher galt, dass die rechtsliegenden Seiten, die beim
Blättern in der Zeitung zuerst ins Auge springen und die
deshalb «wertvoller» sind, dem redaktionellen Text gehören und dass die Inserate links zu stehen kommen.
Mit vereinten Kräften sägen Zeitungen und Werbeauftraggeber an dem Ast, auf dem sie selber sitzen:
Wenn die Werbung so offensichtlich wichtiger ist als
der redaktionelle Text, wenn die Kunst des Zeitungsmachens nur noch darin besteht, die Leerräume neben den
Inseraten irgendwie aufzufüllen, warum sollte dann jemand noch für ein BZ-Jahresabo 339 Franken bezahlen?
Wir kaufen die Zeitung doch nicht wegen der Inserate,
sondern wegen der redaktionellen Inhalte... Natürlich
ist es noch ein weiter Unterschied zu den reinen Gratisblättchen à la «Berner Bär» oder «20 Minuten»; und
natürlich ist es jetzt bereits so, dass die Inserenten weit
mehr als die Leserinnen und Leser an die Kosten einer
Zeitung beitragen: Doch das höchste Gut, die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit, wird ernstlich gefährdet,
wenn die Zeitungen dem Druck der Werbeauftraggeber
immer mehr nachgeben. Letztlich ist dies nicht im Interesse der Werbeauftraggeber, die mit ihren Inseraten in
der unabhängigen und ernst zu nehmenden «Qualitätspresse» doch gerade ein Umfeld suchen, das sich vom
Billig-Image des Gratisblättchens unterscheidet. Doch
diese Botschaft ist bei den Inserenten noch nicht angekommen: Eine Umfrage des Westschweizer Verlegerverbandes ergab Mitte Januar, dass die Werbeauftraggeber
von den Zeitungsverlegern «mehr Flexibilität» und fordern und «die Bereitschaft, über Preise zu verhandeln.»
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K I N O S /
F I L M
DETLEF VÖGELI
FAMILIENFEST IN SOLOTHURN
Publikumstauglich? «Verflixt verliebt»
von Peter Luisi, nominiert für den
Schweizer Filmpreis 2005.
■ Voraussichtlich werden auch an den 40. Solothurner
Filmtagen Unmengen an Bildern über die Leinwände
flimmern, die eigentlich niemand sehen will. Vorurteile
und Recherchen eines cinéphilen Laien über das einheimische Filmschaffen.
«Wie kein anderes künstlerisches Medium ist der zeitgenössische Film immer auch Spiegel gesellschaftlicher
Befindlichkeit», so steht es auf der Internetseite der Solothurner Filmtage geschrieben. Ein Blick auf den in der
Regel erfolglosen Schweizer Film zeigt: Das Schweizer
Volk sieht offenbar nur ungern und daher höchst selten
in den Spiegel. Von den zehn im letzten Jahr für den
Schweizer Filmpreis nominierten Filme konnten nur gerade deren zwei ein ansprechendes Kinopublikum mobilisieren: Achtung, fertig, Charlie mit 560'336 und der
Dokumentarfilm Mais im Bundeshaus mit 104'432 Eintritten. Elisabeth Kübler Ross erreichte immerhin noch
die für einen Dokumentarfilm stattliche Zahl von 67'518
Eintritten.
Ferner liefen im Wettbewerb: Mein Name ist Bach
(22'287 Eintritte), Au Sud des Nuages (18’933), Skinhead
Attitude (10’876), Little Girl Blue (9’528), Viaggio à Mister Bianco (3’174), Mission en Enfer (2’633), Des Epaules
Solides (636).
Auch im Vorjahr präsentiert sich der Publikumszuspruch kaum erbaulicher: 2003 wurden mit On dirait
le sud und Hirtenreise ins dritte Jahrtausend ebenfalls
zwei Werke mit bescheidenem Publikumszuspruch ausgezeichnet. Natürlich führt uns gerade Achtung fertig
Charlie vor Augen, (nach Schweizermacher die erfolgreichste Schweizer Produktion aller Zeiten): Nicht alles
was gefällt, muss aus cinéphiler Warte auch gut sein.
Gut war da sicher weniger die filmische Leistung, als das
Marketing mit der prominent schönen Melanie Winiger
und der cervelatprominenten Mia Aegerter als Darstellerinnen. Nur: Der Umkehrschluss, wonach gut ist, was
niemand sehen will, klingt auch wenig glaubwürdig. Der
dürftige Publikumszuspruch bei den für den Schweizer
Filmpreis nominierten Produktionen legt die Vermutung
nahe: selbst die besten Schweizer Filme will kaum jemand sehen. Stimmt auch aus kultureller Sicht irgendwie nachdenklich, falls Kulturgut Allgemeingut sein soll.
Und wirft Fragen auf. Warum wollen SchweizerInnen
keine Schweizer Filme sehen? Sind wir Eidgenossen ein
Volk von Banausen? Oder aber ist die Filmbranche ein
elitäres Grüppchen von selbstverliebten Autisten?
Filmbehinderungsanstalt Kulturminister Couchepin
bezichtigte die Filmbranche in seiner Rede anlässlich
des Festivals in Locarno der «copinage». Damit löste er
eine Grundsatzdebatte über Sinn und Unsinn von Fördermassnahmen aus. Die Medien schlachteten genüsslich aus, was zu schlachten war. Filmschaffende spielten
sich gegenseitig Subventionen zu, echote es durch den
Blätterwald. Filetstück mit Symbolcharakter für die Ver-
Bild: zVg.
filzung war dabei die Geschichte um die Entstehung des
mit dem Swiss Award ausgezeichneten Films Mein Name
ist Bach. Die Westschweizerin Dominique de Rivaz soll
im Jahr 2000 mit ihrer Projekteingabe zum Kinoflop
vor den Gremien vorerst abgeblitzt sein. Die damalige
Kulturministerin Ruth Dreifuss, die mit de Rivaz persönlich bekannt war, soll daraufhin ein Machtwort gesprochen haben. Und siehe da: De Rivaz erhielt die maximale Hilfe von 500`000 Franken. Der Filmkredit war
bis auf weiteres ausgeschöpft, andere Projekte wurden
auf Eis gelegt. Die Branche selbst begann zu meutern.
Im Zentrum der Kritik: Marc Wehrlin, Leiter der Sektion Film des Bundesamtes für Kultur. So monierte etwa
Produzentin Ruth Waldburger, die Sektion Film sei unter Wehrlins Führung zur «Filmbehinderungsanstalt»
verkommen. Und überhaupt: Die Fördergelder seien zu
knapp bemessen, schrie die Filmfraktion. Angesichts der
Tatsache, dass eine durchschnittliche Schweizer Produktion zwei bis drei Millionen Franken kostet, erscheint
der jährliche Beitrag des Bundes von 13 Millionen in der
Tat erbärmlich. Doch sind die beschränkten finanziellen
Mittel wirklich einzig Grund für die teils lausigen einheimischen Produktionen?
Wenn interessiert’s? Ivo Kummer, Festivaldirektor der Solothurner Filmtage, sieht die Situation des
Schweizer Filmschaffens nicht ganz so drastisch. Das
mag kaum verwundern, ist Kummer doch nicht nur seit
20 Jahren Direktor des Festivals, sondern dazu Filmproduzent und Einsitzender im Stiftungsrat von Swiss
Films. Kummer ist also mittendrin in der Familie der
Schweizer Filmschaffenden; die Solothurner Filmtage
sind sein Kind. Wer zieht schon in aller Öffentlichkeit
lauthals über seine Familie her? Nicht, dass Kummer
der sentimentalen Lobhudelei verfallen wäre, nein, natürlich sei längst nicht alles gut, was produziert werde.
Dazu fehlten auch die Mittel, der Markt sei zu klein, der
Sprachenpluralismus hinderlich. Und das kleine Dänemark? Warum sind dänische Filme erfolgreicher? – «Die
haben mehr staatliche Mittel zu Verfügung und einen
grösseren, homogenen Markt.» – Aber gerade die dänische Dogma-Bewegung zeigte doch: Gute Ideen kann
man nicht kaufen. – «Natürlich braucht es auch gute
Geschichten und starke Drehbücher.» – Und wie sieht
diesbezüglich die Qualität an den aktuellen Filmtagen in
Solothurn aus? – «Das ist schwierig zu beurteilen. Natürlich genügt nicht alles, was in Solothurn gezeigt wird,
höchsten Ansprüchen. Aber das will Solothurn auch gar
nicht. Solothurn hat eine andere Ausrichtung, will nicht
‚Schaufenster der Schweiz’ sein, sondern ‚Spiegel einer
Jahresproduktion’.» – Und wie sieht der Spiegel der Jahresproduktion 2004 aus? – «In diesem Jahr zeigen wir
77 Spielfilme und 77 Dokumentarfilme. Dabei sind in der
Schweiz gedrehte Produktionen selten, da viele Filmemacher im Ausland tätig sind, weil die Produktionsverhältnisse dort besser sind. Erfreulich ist die wachsende
Zahl an Spielfilmen.» – Warum lohnt es sich trotzdem,
die Solothurner Filmtage zu besuchen? – «Weil man zum
einen Filme sieht, die man sonst nicht sehen kann. Auch
Begegnungen sind wichtig, mit Leuten aus allen Generationen; man hat die Möglichkeit, über Filme zu sprechen
und mit Filmschaffenden in Kontakt zu treten.»
Aber Mal ehrlich: Wen interessiert’s? Ausser die Verwandten und Bekannten des Schweizer Films und deren
medienschaffende Patenschaft? Wer sonst, ausser der
Sippschaft pilgert an die beschauliche Messe für einheimische Kleinstkunst? «52% der Besucher kommen
aus privatem Interesse», weiss Kummer aus einer Publikumsbefragung vom letzten Jahr, und relativiert damit
die These vom Familienfest. Immerhin.
Filmische Selbstbefriedigung Dies ändert jedoch
nichts an der allgemeinen Geringschätzung des Schweizer Films. Und nur die Produktionsbedingungen und das
Publikum für die Misere verantwortlich zu machen, ist zu
einfach. Umso mehr, als mir schon oft genug das Gefühl
gegeben wurde, mich in eine Vorführung eines professionell aufgemachten Familienfilms verirrt zu haben.
Im besten Fall mag mich dann die filmische Selbstbefriedigung aufregen – falls ich nicht von dem auf Leinwand geträufelten Schlummertrunk ermattet wegdöse.
(Schweizer) Film verkommt zum Selbstzweck. Aktuellstes Beispiel dafür: Promised Land von Michael Beltrami,
der einzige Schweizer Streifen, der in Locarno im internationalen Wettbewerb lief. Ein mit einer Handkamera
bewaffneter Protagonist sucht in unerträglicher Länge
seine Identität – und findet sie nie. Das Gute liegt oft
näher als man glaubt. Dänemark hat es vorgemacht.
Trotz allem. Zuversicht scheint angebracht: Die 1997
ins Leben gerufene erfolgsabhängige Filmförderung
Succes Cinema zeitigt Wirkung. Wie eine Studie belegt:
«In der Branche wächst das Bewusstsein, dass ein Film
vor allem auch für das Publikum gemacht wird.»
Quellen: www.procinema.ch; www.kultur-schweiz.
admin.ch/film/; www.solothurnerfilmtage.ch;
www.success-cinema.ch; www.swissfilms.ch
DETLEF VÖGELI
K I N O S /
F I L M
29
«FILM IST AUCH EINE KUNST»
■ Der 27-jährige Berner Moritz Gerber hat mit seinem
Kurzfilm «Tiger erdolchen» den kantonalen Nachwuchsförderpreis gewonnen. Protokollfetzen eines zweistündigen Gesprächs über Filz, Film und Kunst.
Film und Filz: «Jede Industrie besteht aus Menschen.
Wie kriegst du deine Wohnung? Wo deinen Job? Es menschelt überall. Es ist scheinheilig, wenn man mit dem
Finger auf die Filmindustrie zeigt. Das Zürcher Opernhaus wird beispielsweise jährlich mit einem vergleichbaren Betrag finanziert, wie Schweizer Filme gefördert
werden.»
Film und Politik: «Mit meinen Filmen möchte ich meinen Teil zum Tagebuch der Gesellschaft beitragen.(…)
Mit Politik und Film, halte ich es wie Woody Allen, der
auf die Frage warum er keinen Film zu 9/11 mache meinte: ‚Politik ist mir zu banal.’ (…)»
«’Was sind Dschingis-Khans grosse Reisen im Vergleich zu meinen nächtlichen Ausflügen auf die Toilette?’, ist einer meiner Leitsprüche. Es wird viel zu wenig
gezeigt, wie reich normales Dasein sein kann. Wenn es
einem zerreisst vor Schmerz oder wenn man im anderen Moment platzt vor Freude. Weil es viel schwieriger
ist, diese Momente auf der Leinwand festzuhalten. Es ist
einfacher, wenn bereits in der ersten Szene jemand eine
Pistole zieht und schiesst. Da ist die Spannung schon da.
(…)»
«Manche Kollegen zieht es ins Ausland, sie finden
hier in der Schweiz kann man nichts machen. Ich sehe
das anders. Für mich ist meine Heimat der Humus auf
dem meine Geschichten wachsen. Der einzige Ort, wo ich
gescheites Zeugs zu erzählen weiss, ist in der Schweiz,
darum hatte ich auch gar nie den Drang meinen Film in
der Weltgeschichte rumzuschicken.»
«Tiger erdolchen» Der Name: «Der Titel ‚Tiger erdolchen’, stammt aus einem spätabendlichen Gespräch
mit einem Kollegen. Wir waren betrunken. Ich ärgere
mich heute noch, dass ich den genauen Wortlaut dieses
Dialoges nie wieder gefunden habe. Seither notiere ich
mir oft Dialoge auf dem Handy. Denn, so platt es klingen
mag, so gute Dialoge wie das Leben schreibt niemand.
Überhaupt habe ich eine Obsession, Dinge festzuhalten:
Situationen, Emotionen, Dialoge. Ich schreibe auch Tagebuch, im Sinne eines meteorologischen Berichts über
die seelische Grosswetterlage. Warum ich dann Filme
mache und nicht schreibe? Habe ich mich auch schon
gefragt. Weil es ein geiles Gefühl ist, mit Schauspielern
zu arbeiten, die deinen Texten Leben einhauchen können. Ja, vielleicht ist es das Lebendigwerden der Sprache, der den Übergang von schwarz-weiss zu farbig ermöglicht. (…)»
Drehort Bern: «Klar war immer: Mein Film wird eine
Alltagsgeschichte, sie spielt in Bern und gesprochen
wird berndeutsch. Am Anfang von ‚Tiger erdolchen’ war
ein Dialog, den ich eines Abends am Lagerfeuer aufgeschnappt hatte. Ich wusste sofort: Dieser Dialog muss in
meinen Film. Drum herum habe ich dann meinen Film
gebaut. Erstaunlicherweise war genau jener Lagerfeuerdialog die erste Szene die aus meinen Film rausfiel. Kill
your darling. (…)»
Reaktionen: «Am Festival in Locarno erlebte ich die
beste Reaktion. Normalerweise herrscht nach dem Filmabspann vorerst Stille, bis ein einsames Klatschen die
peinliche Ruhe durchbricht, und die anderen mitreisst.
Bei der Vorführung meines Films war es anders. Kaum
wurde die Leinwand schwarz, brach tosender Applaus
los. Einerseits war es natürlich Ausdruck über die Freude an meinem Films, andererseits spürte ich aber auch
die Verachtung gegenüber den anderen Kurzfilmen. Ich
glaube so eine Reaktion wird es auf diesen Film nicht
wieder geben.»
Auszeichnungen: «Viele Entscheide an Festivals und
Preisverleihungen sind für mich nicht nachvollziehbar.
So auch bei der diesjährigen Nomination zum Wettbewerb des besten Schweizer Films. Viele dieser Filme sind
nicht auf Augenhöhe. Nach meinem Geschmack wird zu
viel Wert auf technische Fähigkeiten gelegt.»
«Filmpreise bedeuten für mich in erster Linie finanzielle Unterstützung. Es ist hart sich in der Filmindustrie
sein Brot zu verdienen. So ein Preis verschafft finanzielle Erleichterung. Grundsätzlich finde ich Auszeichnungen und Preisverleihungen aber widerlich. Klar, es
scheint irgendwie menschlich, den Besten küren zu wollen und Preise zu vergeben. Ich kann dies sogar irgendwie nachvollziehen, wie sich Leute beispielsweise für die
Oskarverleihung begeistern können. Doch mein Ding ist
es nicht wirklich.»
Film und Kunst «Sigfried Kracauer hat es auf den
Punkt gebracht. ‚Film ist auch eine Kunst’. Aber eben
nicht nur. Das Produkt verkaufen und verwerten gehört
genau so dazu. (…)»
«Die Grundsatzfrage bleibt: Ist Film eine Industrie
oder eine Kunst? Der aktuelle Film Alexander ist Marketing pur. (…)»
«Effizienz ist sicher nicht das wichtigste Kriterium
bei Kunst. Also schreib ja nicht, es sollte keinen Subventionen geben. Denn ohne Subventionen gäbe es keinen
Schweizer Film.»
Moritz Gerber hat mit dem Diplomfilm «Tiger erdolchen» die Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich
im Studienbereich Film/Video abgeschlossen. Sein Film
erhielt folgende Auszeichnungen: Kantonalen Nachwuchförderpreis Bern 2004; Bester Kurzfilm Winterthur
2004.
MILLION DOLLAR BABY
Tough ain’t enough – Hart sein
reicht nicht!
■ Clint Eastwoods Film «Million Dollar Baby» ist nicht
wirklich eine Geschichte über das Boxen. Es geht um
Frankie Dunn (Clint Eastwood), der die Beziehung zu seiner eigenen Tochter verloren hat und in Maggie Fitzgerald (Hilary Swank) einen Ersatz findet. Deren grösster
Wunsch ist es, sich einen Platz in der Welt der Profi-Boxer zu erobern und aus einem Leben ohne Perspektiven
auszubrechen.
Es ist eine Liebesgeschichte, keine romantische, sondern die zwischen Vater und Tochter. Sie handelt vor
dem Hintergrund eines schäbigen Trainingszentrums
und eines physisch wie psychologisch anspruchsvollen
Bild: zVg.
Sports.
Es ist ein Film der düsteren Hoffnungslosigkeit und
dem Hunger nach Leben. Es geht wie beim Boxen selbst
um Respekt und nicht um Gewalt. Respekt vor sich
selbst und dem Gegner und darum, was es braucht, um
über sich selbst hinaus zu wachsen. Es geht nicht um
eine glanzvolle Boxerkarriere, sondern um ein feinfühliges Porträt von Menschen, welche um einen Rest Würde
kämpfen. Um Menschen, die sonst nichts zu verlieren
haben. Es geht um die Überwindung von Hindernissen
und um Loyalität.
Der Film reisst mit und fast meint man, die Schläge in
den eigenen Muskeln und Knochen zu spüren. Das harte
Training ist ein Aspekt des Films. Wer sich selbst einmal
darauf eingelassen hat weiss, dass man sich diesem
faszinierenden Sport kaum mehr entziehen kann. Doch
der Moment, wirklich in einen Kampf zu gehen und sich
dem Risiko auszusetzen verletzt zu werden, erfordert
noch mal eine andere Form der Kompromisslosigkeit.
Clint Eastwoods Charakter trichtert denn auch allen seinen Zöglingen ein, sich in erster Linie immer selbst zu
schützen. Doch genau dies ist nicht möglich bei diesem
Sport und führt schlussendlich zur grossen und überraschenden Wendung im Verlauf dieser Geschichte. Nach
langem Zögern erst erklärt sich Frankie bereit, Maggie
zu trainieren und das Team steigt konsequent in der Hierarchie des Boxens auf. Einen Moment glaubt man sogar,
dass der Film gut ausgehen würde, doch während eines
entscheidenden Kampfes wird Maggie schwer verletzt.
Frankie sieht sich plötzlich mit der Frage konfrontiert,
wie weit ein Mensch aus Liebe zu gehen vermag und selten wird der Wunsch nach einem Happyend so endgültig
demontiert.
Der Film ist eine Perle und wühlt auf. Clint Eastwood beweist einmal mehr seine Begabung für die ruhigen Töne und wie Momente voller Pathos auch ohne
Schmalz erzählt werden können. Neben Clint Eastwoods
Darstellung beeindruckt auch Hilary Swank, welche sich
gänzlich ihrem Charakter unterwirft und den Zuschauer
beinahe schmerzhaft nahe an sich herankommen lässt.
Bemerkenswert ist auch, dass sie ihre Rolle ohne Double
spielte und sämtliche Kämpfe selbst geführt hat. Diese
Ehrlichkeit ist dem Film anzusehen. Nicht zu vergessen
ist Morgan Freeman in seiner Rolle als Scrap. Er spielt
den langjährigen Weggefährten und Freund von Frankie der alles zusammenhält und als weiser Einflüsterer
dem Schicksal und der Geschichte jeweils einen leichten
Schubs gibt.
Das ist Kino, nicht Hollywood, vom Feinsten! (sw)
«Million Dollar Baby» kommt am 24. Feburar 2005
in die Kinos und dauert kurzweilige 132 Minuten
30
W W W . B E R N E R K I N O S . C H
www.cinematte.ch / Telefon 031 312 4546
www.kellerkino.ch / Telefon 031 311 38 05
www.kinokunstmuseum.ch / Telefon 031 328 09 99
Altmeister Hitchcock
Whisky
Russland – wohin
Wir führen unseren Zyklus über den Altmeister des Suspense, den Vater des Thrills und das Vorbild unzähliger
Filmregisseure, Alfred Hitchcock, im Februar mit folgenden Filmen fort: «Rear Window» in einer restaurierten
Fassung, «North By Northwest», «To Catch A Thief»,
«The Trouble With Harry» und «Vertigo».
Umwerfend skurrile Filmperle aus Uruguay
Stoll & Rebella/Pablo & Juan Pablo, Uruguay 2004, 94’,
Spanisch/d/f
Der 60-jährige Jacobo, Inhaber einer heruntergekommenen Sockenfabrik in Montevideo, lebt seit dem Tod
seiner Mutter alleine. Marta (48) ist für ihn viel mehr als
nur eine qualifizierte Angestellte, sie ist praktisch seine
rechte Hand. Über die Jahre hinweg entstand zwischen
den beiden eine gewisse Abhängigkeit. Als sein jüngerer
Bruder Herman seinen Besuch ankündigt, gibt Jacobo
Marta als seine Ehefrau aus, um mit seinem jüngeren
Bruder gleichzuziehen. Denn Herman leitet in Brasilien
eine gut gehende Strumpffabrik und hat Frau und Kinder. Marta sieht Jacobos Bitte sich als seine Ehefrau
auszugeben als Beweis dafür, dass sie mehr ist, als nur
seine Angestellte. Herman lädt Jacobo und Marta zu
einem Ausflug ans Meer ein. Dabei verändert sich die
Beziehung zwischen den dreien. (Ab 3.2.2005)
Mit vier Spielfilmen und zwei dokumentarischen Essays
bietet das Kino Kunstmuseum ein filmisches Rahmenprogramm zur gleichnamigen Veranstaltungsreihe der
Schweizerischen Osteuropabibliothek und des Polit-Forums des Bundes im Käfigturm. Die Geschichte von «The
return» von Andrej Zvjagintsev kann als neobiblisches
Gleichnis über das Schicksal Russlands verstanden
werden. Der Film gewann 2003 in Venedig den Goldenen Löwen. Auf jeweils sehr poetische Art beschreiben
auch die beiden Dokumentarfilme «Heute bauen wir ein
Haus» und «Landschaft» von Sergej Loznica die Situation des Landes. Im einen Film verlaufen die Bauarbeiten
an einem Haus schier endlos, im andern wird eine Bushaltestelle zum zentralen Ort des Geschehens.
«Die Wahrheit über Schelps» von Aleksej Muradov ist
eine bissige Komödie über die heutige Generation der
40-jährigen, die durch die Reformmühle der Perestrojka
gegangen sind. Schelps ist die Bezeichnung für eine Art
von Trollen, die in Sibirien beheimatet sein soll.
Weiter zu sehen sind: «Langer Abschied» von Sergei Ursuljak und «Oligarch - un nouveau Russe» von Pavel Lungin.
El Otro Lado Del Alma
Kuba liegt im Trend - Salsa-Kurse, kubanische Nächte,
spirituelle Kulte haben in Europa Hochkonjunktur. Die
Ausstellung «El Otro Lado Del Alma» im Kornhausforum vereint erstmals zeitgenössische Konzeptkunst
und die dokumentarische Tradition der kubanischen Fotografie mit ihrem Bezug zu den afrokubanischen Religionen. Die Ausstellung ist erstmals in Europa zu sehen.
Als Rahmenprogramm zeigt die Cinématte einen vielseitigen Zyklus mit folgenden Kubafilmen: «La Muerte
De Un Burocrata», «Hello Hemingway», «Soy Cuba»,
«Guantanamera», «Cuba Feliz», «Lista De Espera» und
«Suite Habana». Siehe auch www.kornhausforum.ch.
Kunststück Behinderung
Vom 17. bis 21. Februar 2005 präsentiert der Verein BewegGrund ein kleines Festival unter dem Titel «Kunststück Behinderung». Mit dieser Zusammenarbeit verlässt der Verein BewegGrund sein angestammtes Gebiet
- den integrativen Tanz - für einmal. Ziel ist es, mit der
Filmreihe ein breites Publikum anzusprechen und auf
die Thematik «Kunst und Behinderung» aufmerksam zu
machen. Wir verfolgen keine didaktische Absicht, hoffen aber, Diskussionen auszulösen und zum Nachdenken
über behinderte KünstlerInnen anzuregen. Im Anschluss
an die Filmvorführungen besteht die Möglichkeit zur
Diskussion mit Mitgliedern des Vereins BewegGrund,
zum Teil unterstützt von FilmkritikerInnen. Folgende
Titel werden gezeigt: «Idioten», «Gattaca», «Stuck On
You», «Nationale 7», «Halleluja! Der Herr ist verrückt»,
«Frida», «Miffo», «The Elephant Man» sowie ein Kurzfilmprogramm. Siehe auch www.beweggrund.org
Walk on water
Starkes israelisches Kino von Eytan Fox («Jossi & Yagger»)
Eytan Fox, Israel 2004, 104’, OV/d/f
Pia lebt mit ihrem Freund in einem Kibbuz in Israel. Ihr
Bruder Axel unterrichtet in Berlin ausländische Kinder.
Die beiden sind die Enkel eines Naziverbrechers, den
der israelische Geheimdienst immer noch nicht aufspüren konnte. Eyal gehört zum Mossad. Seine Eltern haben den Holocaust überlebt. Der smarte Geheimagent
bekommt den Auftrag, den Grossvater von Pia und Axel
aufzuspüren. Als Axel seine Schwester in Israel besucht,
wird Eyal ihr Reiseführer. Dabei tritt die Gegensätzlichkeit zwischen Axel, der seine Homosexualität offen
lebt, und Eyal, einem Bilderbuch-Geheimagenten, offen
zutage. Kaum ist Axel wieder zurück nach Deutschland
gereist, bekommt der Mossad Hinweise, dass der Großvater von Axel und Pia noch lebt. Er wird als Gast bei
der Geburtstagsfeier ihres Vaters erwartet und Eyal bekommt den Auftrag, ihn zur Strecke zu bringen. Er reist
nach Berlin und besucht Axel. Hier wird der kaltblütige
Agent nicht nur mit den Abgründen einer deutschen Familiengeschichte konfrontiert, sondern er muss ein paar
Wahrheiten über sich selbst entdecken. (Ab 24.2.2005)
Kunst und Film: Fred Kelemen
«Unter den deutschen Filmregisseuren der Gegenwart
ist Fred Kelemen bei den Cineasten der Welt der Bekannteste. In Deutschland kennt man ihn kaum.» Diese
Aussage trifft auch für die Schweiz zu, wo seine Filme
bis anhin kaum zu sehen sind. Dabei finden die sperrigen, visuell und erzähltechnisch aussergewöhnlichen
Filme seines bislang schmalen Werks auf der ganzen
Welt höchste Anerkennung. Gezeigt werden: «Verhängnis» (1994), «Frost» (1997) und «Abendland» (1999).
Restaurierte Filmperlen
aus der Schweiz
Seit über 100 Jahren werden in der Schweiz Filme gedreht. Dank dem Schweizer Filmarchiv in Lausanne und
Memoriav können diese audiovisuellen Kulturgüter der
Nachwelt erhalten bleiben.
Zu sehen sind: «Menschen, die vorüberziehen» (1941/42,
Max Haufler), «La vocation d’André Carel» (Stummfilm
von 1925, Jean Choux), «Der doppelte Matthias und seine Töchter» (1941, Sigfrit Steiner, Emile Edwin Reinert)
und «La Salamandre» (1971, Alain Tanner).
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Die Gleichzeitigkeit im Anderswo
Das Geheimnis der Frösche
Películas de España
Eine Naturkatastrophe stimmt uns nachdenklich und
führt uns die Endlichkeit des da Seins vor Augen. Gleichzeitig können solche Schocks die Wahrnehmung des
Anderswo stärken. Eine kleine Filmreihe, die das Kino
in der Reitschule und trigon-film zusammengestellt haben, möchte dazu einen Beitrag leisten, mit vier Filmen
aus betroffenen Gebieten und von anderswo.
Alles ist relativ. 350 Millionen Dollar hat die US-Regierung nach einigem Zögern für Soforthilfe in den Tsunami-Gebieten gesprochen. Das klingt grosszügig, entspricht aber andererseits nur der Summe, die dieselbe
Regierung alle eineinhalb Tage im Irak in einem von
ihr angezettelten Krieg ausgibt, und dies seit bald zwei
Jahren. Warum, fragt man sich angesichts solcher Relationen, werden die Mittel nicht grundsätzlich sinnvoll
ausgegeben und aufbauend.
In «Das Geheimnis der Frösche» von Jacques-Rémy Girerd (1.2.) kommen die Frösche zu einer erschreckenden
Prognose: eine erneute Sintflut steht bevor. In ihrer Not
sehen sie keinen andern Ausweg, als mit den Menschen
zu sprechen und sie vor der bevorstehenden vierzigtägigen Regendauer zu warnen. In einer Art schwimmenden Scheune sind die verschiedenen Arten gefordert,
Toleranz und Verständnis für ihre Mitbewohner aufzubringen. Der erste abendfüllende Spielfilm des französischen Trickfilmers Jacques-Rémi Girerd aus den
Folimage Trickfilmstudios schafft es mit viel Charme,
den biblischen Mythos mit witzigen Charakteren und
in aussergewöhnlichen Bildern darzustellen und so zu
einem einmaligen Kinobesuch für die ganze Familie zu
machen.
Vom 28.01.–28.02. weht ein mediterraner Wind durchs
FILMPODIUM BIEL: zehn neue und neuste Filme aus
Spanien beherrschen während fünf Wochen die Leinwand.
Publikumserfolge wie «La mala educación», der letzte
Film von Almodóvar oder «Los lunes al sol», der 2003
fünf Goyas gewonnen hat, treffen auf insgesamt vier
Bieler Filmpremieren:
«Sin noticias de Dios» ist eine Komödie mit hochkarätiger Besetzung: Penelope Cruz, Victoria Abril, Fanny
Ardant und Jungstar Gael Garcia Bernal kämpfen als
Himmels- bzw. Höllenboten um Gut & Böse. «Cachorro»
wagt sich an das Thema von schwulen Vätern. «El otro
lado de la cama», verfolgt zwei unterschiedliche Paare,
deren Wege sich öfters kreuzen, als den Personen lieb
ist. «El Bola» schliesslich, 2001 in Spanien mit dem Goya
ausgezeichnet, greift ein Thema auf, das zu den aktuellsten im spanischen Kino gehört: der Film von Achero
Mañas dreht sich um Gewalt in der Familie. Die jähzornigen Ausbrüche seines Vaters haben Pellet zu einem Einzelgänger gemacht und nur langsam freundet er sich
mit einem neuen Mitschüler an, der ihn in seine Familie
mitnimmt und ihm so ein neues Zuhause bietet.
Auch «Solas» und «Te doy mis ojos» erzählen Geschichten, die sich um Gewalt im Privaten drehen: In «Solas»
sucht die Tochter der Familie einen Weg ausserhalb der
familiären Spannungen. Im Film von Icíar Bollaín, von
der ebenfalls «Flores de otro mundo» zu sehen ist, ist
es eine Mutter und Hausfrau, welche von ihrem brutalen
Ehemann fliehen muss.
Gleichzeitig zum spanischen Filmprogramm zeigen
das CentrePasquArt und das Photoforum Werke von
zeitgenössischen spanischen KünstlerInnen. Damit die
BesucherInnen das spanische Ambiente voll und ganz
geniessen können, bieten das Kunsthaus und das Filmpodium ein Kombiticket à 18.- an (1 Eintritt CentrePasquArt und 1 Eintritt Filmpodium).
Weiterer Programmschwerpunkt sind zwei Filme aus der
Reihe cinéart: ein Porträt des südafrikanischen Künstlers William Kentridge und der Film von Peter Schamoni
über Niki de Saint Phalle.
Amarcord
Do-Fr: 3./4.2. je 21.00h: «Piravi», Shaji N.Karun, Indien,
Kerala 1988, 110’, Malayalam/d/f
Sa: 5.2. + Do, 10.2. je 21.00h: «A Peck on the Cheek»,
Mani Ratnam, Indien 2002, 135’, Tamile/Sinhala/d/f
Fr/Sa 11./12.2. je 21.00h: «Neak srê», Rithy Pahn, Kambodscha 1994, 125’, Kambodschanisch/d/f
Do 17.2. 21.00h: «Elsewhere» Teil 1 Nikolaus Geyrhalter,
Oesterreich 2002, 120’, OV/d/f,
Fr 18.2. 21.00h: «Elsewhere» Teil 2 Nikolaus Geyrhalter,
Oesterreich 2002, 120’, OV/d/f,
«Amarcord» (12.2.), einer der erfolgreichsten, stark autobiographisch geprägten Filme Fellinis, zeichnet ein
satirisches Stimmungs- und Sittenbild der skurrilen
Bewohner eines süditalienischen Städtchens zu Beginn
des Faschismus anfangs der Dreissigerjahre. Lebensfroh, übersprühend und schräg kommt der gewaltige,
bunte Bilderreigen daher, der die Sicht eines sechzehnjährigen Jungen wiedergibt. Der Halbwüchsige fühlt
sich zwischen seiner katholischen Erziehung und den
übergrossen, prallen Brüsten der Tabakhändlerin hinund hergerissen, sein Onkel, der auf einen Baum klettert
und stundenlang «voglio una donna» schreit, ist inzwischen in die Kinogeschichte eingegangen.
Frauen in Action
Sa 19.2. 21.00h: «Elsewhere» Teil 1 + 2
Der wunderbare chilenische Film «B-Happy» (Forum
Berlinale 2004) wird von den Freunden der Deutschen
Kinemathek für zwei Monate in die Schweiz importiert.
Einige Off-Kino werden diesen Film zeigen.
Do-Sa 24.-26.2. je 21.00h «B-Happy» Gonzalo Justiniano, Chile / Spanien / Venezuela 2003, 90’, Spanisch/d
Im Rahmen des Zyklus «Frau und Film», der im März
verschiedenen Berner Kinos läuft, zeigen wir Filme über
«Frauen in Aktion»: Seit den Anfängen des Films hat es
immer wieder starke Frauen gegeben, die mit viel Kraft,
Geschicklichkeit und Charme die Leinwandhelden in den
Schatten gestellt haben. Den Auftakt bildet der Stummfilm «Protéa» aus dem Jahre 1913 (28.2.), in dem die
schöne Spionin Protéa (Josette Andriot) mit List und
viel Körpereinsatz die Interessen ihrer Nation verteidigt
- sie soll einen heimlichen Pakt zwischen zwei europäischen Staaten entlarven. Der Film wird live begleitet
vom Pianisten Wieslaw Pipczynski.
32
E S S T I P P
NADJA MEIER
jaffna special
Aber mehr sag ich
jetzt nicht, sonst
geht ihr alle dahin
und esst mir das
Jaffna Special weg.
■ «Meine Damen und Herren, hier spricht ihr
Captain. Bitte bringen sie ihre viel zu engen
Touristenklassesitze wieder in eine aufrechte
Position, schnallen sie sich lieber an, denn das
war auch für mich ein verdammt langer Flug.
Wir bitten sie, nichts mehr zu rauchen und ihr
Handgepäck wieder unter den Sitz zu schieben.
Wir beginnen nun unseren Landeanflug auf Colombo. Der Tower meldet sonniges Wetter bei
32, ja sie haben richtig gehört, 32 Grad. Cabin
Crew, please take your seats.» So hätte ich mir
das vorgestellt. Dann kam alles anders, ich bin
immer noch in Bern, die Reise ins Wasser gefallen. Als wäre das nicht genug, suchte und fand
mich auch noch irgendeine exotische Infektion,
weshalb ich täglich drei antibiotische Keulen
ebenfalls in Wasser auflösen und zu mir nehmen darf.
Binational Natürlich ist mein Trostpflaster
eins zum Essen. Wir gehen ins Restaurant Akul
im Monbijou, eine rührende Mischung aus ceylonesischer Spezialitätenküche und gutbürgerlicher Quartierbeiz. So stell ich mir die perfekte
binationale Ehe vor. Im Akul geht das so: Wer
nur isst, was jeder subventionierte Schweizer
Bauer kennt, der kriegt hier sein Gordon-bleu
oder die Eglifilets im Teig, und findet sehr zu
seiner Freude auch Aromat und vielgeliebtes
Maggifläschchen zum Nachwürzen auf dem
schlicht gedeckten Tisch. Wer sich lieber zum
Apéro an einem Mangosaft verlustiert, und
indischer Filmmusik lauscht, während er aufs
Jaffna Special wartet, einem Crevetten-Cashew Curry mit Puttu in Bioqualität, ist hier
ebenso richtig. Wir machten das zweite.
Wie Spätzli Puttu ist übrigens, das vergass
ich oben noch zu schreiben, so was ähnliches
wie das, zu dem wir Spätzli sagen. Der Mann
bestellte das zusammen mit einem Lammcurry.
Ich wollte auch ein Schäfchen, aber nicht dasselbe wie er, also orderte ich ein anderes, ein
Special. Erstmal übersahen wir aber irgendwie
den Mangosaft und das indische King Fisher
Bild: zVg.
Bier. Wir bestellten ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken einen halben Merlot, der gar
nicht zum Menu passte, aber irgendwie fielen
wir ins Januarloch und jagten Schnäppchen:
Die Flasche kostete grad mal 13.50 Franken.
Aber schon bei der Vorspeise war uns der
Wein ziemlich egal. Es gab Samosas mit Erbschen und kleinen Erdnüssen drin, die waren
lecker. Aber Vegetarier verpassen einfach was,
ich kann es nicht anders sagen. Denn die fleischigen Freunde der Samosas, frittierte Teigröllchen gefüllt mit Lammhäppchen und doch
noch ein Bisschen Gemüse, die waren einfach
herrlich. Wir hätten uns darum streiten können. Taten wir aber nicht. Das ist schliesslich
eine gastronomische Empfehlung, und kein Beziehungsratgeber.
Schön und dick Mein Babyschaf kam mit
Fladenbrot und einem Eieromelett mit, glaube ich fast, Kreuzkümmel und Chili. Das war
aber noch nicht alles. Auf dem riesigen Teller
fand ich auch einen Berg mit einem kohlartigen Salat und einen zweiten mit Kartoffeln,
Auberginen und Kichererbschen. Der zweite
Berg trieb mir Freudentränen in die Augen.
Oder vielleicht war es auch das teufelscharfe
Curry, egal. Die Kartöffelchen jedenfalls waren
weichgekocht, die Auberginen schmiegten sich
an sie wie hübsche Frauen sich manchmal an
dicke Kerle kuscheln. Man weiss nicht warum,
aber es funktioniert. Das Fladenbrot schmeckte
nach satt und Butter und war noch grösser als
das Eieromelett. Der Mann putzte den ganzen
Teller leer, keine Ahnung wie er das gemacht
hat. Ich glaub sein Schaf war nicht so scharf
wie meins. Das Puttu auf seinem Teller duftete
nach Kokosnuss bis in meine Nase rüber, aber
sonst war ich gar nicht eifersüchtig. Und das ist
ziemlich ungewöhnlich.
29.90 Franken Unser Kellner, ein stattlich
eleganter Mann, kullerte mich mit seinen Augen an und zeigte fragend auf meinen Teller,
wo einige leckere Bissen liegen blieben. Sorry
Mister, das Lamm musste sich den Platz in meinem Bauch mit Frau Antibiotika teilen. Wenn
ich wieder einen gesunden Appetit habe, komme ich zurück. Und zwar am Wochenende. Da
gibt‘s im Akul ein ceylonesisch-indisches Buffet
à discrétion für knapp mehr als doppelt so viel,
wie man für einen halben Merlot bezahlt. Aber
mehr sag ich jetzt nicht, sonst geht ihr alle dahin und esst mir das Jaffna Special weg.
Restaurant Akul
Monbijoustrasse 26
3011 Bern
031 381 11 71

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