1 Übung im Privatrecht I Wintersemester 2015/16 Fall 8: „Das

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1 Übung im Privatrecht I Wintersemester 2015/16 Fall 8: „Das
Übung im Privatrecht I
Wintersemester 2015/16
Fall 8: „Das Traummountainbike“
Der (wesentlich älter aussehende) 17 jährige Karl (K) ist begeisterter Mountainbiker. Im Schaufenster
des Fachhändlers Volker (V) entdeckte K sein Traummountainbike, ein Ghost – AMR 7500, zum besonders günstigen Preis von nur 1.999,- EUR. K begab sich daher sofort in den Laden des K und äußerte diesem gegenüber, dass:
„er das Fahrrad nehme.“
V erklärte sein Einverständnis, fügt jedoch hinzu,
„dass er erst in frühestens 6 Wochen liefern könne, da es sich bei dem ausgestellten Stück um
sein letztes Model handle, und er dieses noch als Schaufensterdekoration benötige.“
Damit war K angesichts des einmalig günstigen Preises für das Mountainbike einverstanden.
Zuhause berichtete K seinen Eltern von seinem Schnäppchen. Diese waren jedoch zunächst wenig
begeistert und äußern gegenüber K, dass
„dieser nun sehen solle, wie er den Kaufpreis für das Fahrrad rechtzeitig auftreibe. Das sei
jetzt seine Sache.“
Eine Woche nach dem Besuch des K im Laden des V erfuhr dieser (V) durch einen Zufall, dass K tatsächlich erst 17 Jahre alt ist. Er schrieb daher einen Brief an die Eltern des V, in dem er diese aufforderte, sich zu einer Genehmigung des Geschäfts zwischen ihm und K zu erklären. Dieser Brief gelangte im Briefkasten der Eltern des K jedoch zwischen die Werbepost und wurde ungeöffnet entsorgt.
Nach Ablauf der 6-Wochenfrist verlangt K nun von V die Übereignung des Mountainbikes. Dieser
verweigert die Lieferung, da er das Fahrrad mittlerweile bereits einem anderen Kunden versprochen
habe.
Frage: Kann K von V Lieferung des Mountainbikes verlangen?
Abwandlung:
Angenommen V erkennt bereits im Laden, dass K minderjährig ist, dieser versichert ihm jedoch
wahrheitswidrig, dass seine Eltern in das Geschäft eingewilligt haben. Als V tags darauf erfährt, dass
die Einwilligung tatsächlich jedoch nicht existiert, informiert er K daher telefonisch darüber, dass:
„er sich aufgrund von dessen Minderjährigkeit nicht mehr an den Vertrag gebunden fühle.“
Frage: Kann K von V Lieferung des Mountainbikes verlangen?
Dr. André Zschiegner – BTU Cottbus-Senftenberg
1
Lösungsskizze
K könnte gegen V einen Anspruch auf Übereignung des Mountainbikes gem. § 433 Abs. 1 Satz 1
BGB haben.
Voraussetzung für einen solchen Anspruch des K ist das Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrags zwischen ihm und V über den Verkauf des Mountainbikes zum Preis von 1.999,- EUR.
-
ein Vertrag kommt zustande durch Angebot und Annahme1 (§§ 151, 145 ff. BGB)
=zwei übereinstimmende, in Bezug aufeinander abgegebene, 2 Willenserklärungen
-
Angebot des V durch Ausstellen des Fahrrads im Schaufenster?
-
dann müsste das Ausstellen selbst eine Willenserklärung sein
hier möglicherweise fraglich im Hinblick auf den Bindungswillen des V
-
das Vorliegen von Bindungswillen ist durch Auslegung (§§ 133 u. 157
BGB) der Erklärung des V zu ermitteln
Maßstab: objektiver Empfängerhorizont3; wie musste ein verständiger Rechtsadressat die Erklärung verstehen?
=>
-
hier Bindungswille abzulehnen, da jeder das „Angebot“ im Schaufenster annehmen könnte
=>
=>
=>
-
V würde mit einer Vielzahl von Kaufverträgen konfrontiert,
die er nicht alle erfüllen könnte
er würde ggf. auf Schadensersatz wg. Nichterfüllung haften
V will hier aus objektiver Sicht sinnvollerweise keine Bindung
zudem will V ggf. erst die Bonität eines potentiellen Vertragspartners
prüfen
=>
-
Erklärung ist hier abzugrenzen von der invitatio ad offerendum, 4 bei der kein Bindungswille des Erklärenden vorliegt
Ausstellen im Schaufenster ist keine Willenserklärung (kein
Angebot) des V
Angebot durch die Erklärung des K „das Fahrrad zu nehmen“?
-
Willenserklärung (+)
-
stellt unproblematisch eine Willenserklärung des K dar
Qualifikation der Erklärung des K als Angebot ist unproblematisch
möglich, da Angebot und Annahme inhaltlich übereinstimmen
1
S. dazu Skript Privatrecht I, § 2 Rn. 246 ff.
S. dazu Skript Privatrecht I, § 2 Rn. 243.
3
S. dazu Skript Privatrecht I, § 2 Rn. 295.
4
S. dazu Skript Privatrecht I, § 2 Rn. 251.
2
Dr. André Zschiegner – BTU Cottbus-Senftenberg
2
=>
-
Zugang (+)
-
-
Zugang ohne weiteres gegeben, da die Erklärung unter Anwesenden
erfolgte und V sie tatsächlich vernahm (Vernehmungstheorie5)
Annahme des Angebots des K durch Einverständniserklärung des V?
-
Willenserklärung (+)
-
-
stellt unproblematisch eine Willenserklärung des K dar
Zugang (+)
-
-
Zugang (in der Person des K) zunächst gegeben, da die Erklärung unter Anwesenden erfolgte und K sie tatsächlich vernahm (Vernehmungstheorie)
beachte aber § 131 Abs. 2 BGB => grundsätzlich ist Zugang beim gesetzlichen Vertreter erforderlich
allerdings darf die Wertung des § 108 BGB, wonach die Genehmigungsfähigkeit des Vertrags normiert wird, nicht unterlaufen werden
-
-
-
=> nach h.M. erfasst bei der Vertragsannahme gegenüber
dem Minderjährigen die (mögliche) Genehmigung nach § 108
BGB auch den Zugang, da § 108 BGB sonst leer laufen würde
nach a.A. ist bei Annahmeerklärungen gegenüber beschränkt
Geschäftsfähigen § 131 Abs. 2 BGB nicht anwendbar
Inhalt/Qualifikation als Annahme?
-
hier nahm V nur unter der Bedingung an, erst in sechs Wochen zu erfüllen/zu liefern
=>
=>
-
ist abändernde Annahme
Erklärung des V ist gem. § 150 Abs. 2 BGB eine Ablehnung
verbunden mit neuen Angebot
(Eine Auslegung im Sinne einer zunächst vorbehaltlosen Annahme des
V, verbunden mit dem neuen, unabhängigen Angebot eines Änderungsvertrags [in Gestalt der Festsetzung einer Lieferfrist] ist demgegenüber abwegig, da V in diesem Falle bei Ablehnung des Änderungsvertrags durch K zur sofortigen Lieferung verpflichtet gewesen wäre.)
(=>
5
es ist egal, ob K ggf. nach seiner Vorstellung tatsächlich „annehmen“ wollte (vgl. auch § 150 Abs. 1 BGB)
Zugang wäre hier wohl schon wg. § 131 Abs. 2 Satz 2 BGB gegeben, denn neues Angebot des V ist für K lediglich rechtlich
vorteilhaft)
S. dazu Skript Privatrecht I, § 2 Rn. 218 f.
Dr. André Zschiegner – BTU Cottbus-Senftenberg
3
-
Annahme des neuen Angebots des V durch Erklärung des Einverständnisses des K?
-
Willenserklärung (+)
-
-
stellt unproblematisch eine Willenserklärung des K dar
Zugang (+)
-
Zugang ohne weiteres gegeben, da die Erklärung unter Anwesenden
erfolgte und K sie tatsächlich vernahm (Vernehmungstheorie)
Zwischenergebnis: K und V haben sich wirksam über den Kauf/Verkauf des Mountainbikes zum Preis
von 1.999,- EUR (Lieferung in sechs Wochen) geeinigt.
-
Unwirksamkeit der vertraglichen Einigung aufgrund der Minderjährigkeit des K?
-
K war zum Zeitpunkt der Abgabe seines Angebots als 17-Jähriger beschränkt geschäftsfähig6 (vgl. § 106 BGB)
=>
die Willenserklärung des K und der Kaufvertrag sind nur wirksam, wenn sie lediglich rechtlich vorteilhaft für K oder mit
Einwilligung des gesetzlichen Vertreters abgeschlossen (vgl.
§ 107 BGB) sind
-
lediglich rechtliche Vorteilhaftigkeit7 (-)
-
-
Abschluss des Kaufvertrags begründet für K die
Pflicht, den Kaufpreis zu leisten => ist ein rechtlicher
Nachteil
Einwilligung nach § 107 BGB der Eltern als gesetzliche Vertreter des K (-)
-
Eltern vertreten das Kind gemeinschaftlich (vgl.
§§ 1626, 1629 BGB)
Eltern von K wussten hier nichts vom Vertragsschluss
=>
=>
Eltern als gesetzliche Vertreter hatten also
auch nicht eingewilligt
Der Vertrag ist schweben unwirksam.
-
(nachträgliche8) Genehmigung gem. § 108 BGB9?
6
S. dazu Skript Privatrecht I, § 2 Rn. 376 ff.
S. dazu Skript Privatrecht I, § 2 Rn. 389 ff.
8
Die nachträgliche Zustimmung (§ 182 Abs. 1 BGB) ist die Genehmigung (§ 184 Abs. 1 BGB), die vorherige gem.
§ 183 Satz 1 BGB die Einwilligung.
9
S. dazu Skript Privatrecht I, § 2 Rn. 404 ff.
7
Dr. André Zschiegner – BTU Cottbus-Senftenberg
4
-
-
-
in Äußerung, „K können nun sehen, wie er den Kaufpreis auftreibe. Es sei jetzt seine Sache.“, könnte Genehmigung (§§ 108, Abs. 1, 184 Abs. 1, § 182 Abs. 1
BGB) gegenüber K (vgl. § 182 Abs. 1 a.E. BGB10) zu erblicken sein
ist durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln
hier spricht für eine Genehmigung, dass die Eltern
sich nicht pauschal gegen die Wirksamkeit des Geschäfts äußern, sondern „nur“ dessen Erfüllung allein
dem K zuweisen (a.A. wohl vertretbar)
Unwirksamkeit einer möglichen Genehmigung der Eltern wegen der Aufforderung zur Genehmigungserteilung des V?
-
V forderte Eltern zur Genehmigung auf
Aufforderung des V ist den Eltern des E zugegangen,
da sie in deren Briefkasten gelangte (auf die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es nicht an)
=>
=>
=>
-
-
Genehmigung kann gem. § 108 Abs. 2 Satz 1
BGB nur noch ihm gegenüber erfolgen11
die von den Eltern gegenüber K (ggf.) bereits
erklärte Genehmigung wird unwirksam12
nach dem Ablauf einer Frist von zwei Wochen
gilt die Genehmigung als verweigert (vgl
§ 108 Abs. 2 Satz 2 BGB)13
Frist beginnt mit dem Zugang der Aufforderung zu
laufen, hier also mit dem Einwurf in den Briefkasten
der Eltern
hier ließen die Eltern die Zweiwochenfrist ungenutzt
verstreichen
=>
=>
gesetzliche Fiktion der Verweigerung der Genehmigung (vgl. § 108 Abs. 2 Satz 2 a.E. BGB)
endgültig keine Genehmigung des Vertrags
Weiteres Zwischenergebnis: Mangels Genehmigung des Vertrags durch die Eltern des K ist dieser
endgültig unwirksam.
Ergebnis:
K hat gegen V keinen Anspruch auf Übereignung des Mountainbikes gem. § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB.
10
S. dazu Skript Privatrecht I, § 2 Rn. 404.
S. dazu Skript Privatrecht I, § 2 Rn. 406.
12
S. dazu Skript Privatrecht I, § 2 Rn. 406.
13
S. dazu Skript Privatrecht I, § 2 Rn. 406.
11
Dr. André Zschiegner – BTU Cottbus-Senftenberg
5
Abwandlung:
K könnte gegen V einen Anspruch auf Übereignung des Mountainbikes gem. § 433 Abs. 1 Satz 1
BGB haben.
Voraussetzung für einen solchen Anspruch des K ist das Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrags zwischen ihm und V über den Verkauf des Mountainbikes zum Preis von 1.999,- EUR.
Hinsichtlich des Zustandekommens einer vertraglichen Einigung zwischen K und V kann vollumfänglich nach oben verwiesen und sich nachfolgend auf die abweichenden Aspekte der Lösung beschränkt
werden.
-
Widerruf der des Vertrags durch V gem. § 109 Abs. 1 BGB14?
-
Widerrufserklärung (+)
-
Anruf des V ist auszulegen (§§ 133, 157 BGB)
maßgeblich ist Empfängerhorizont
=>
-
Adressat der Erklärung
-
-
abweichend von § 131 Abs. 2 BGB kann der Widerruf nach § 109 Abs. 1 BGB
auch gegenüber dem Minderjährigen erklärt werden
V hat Widerruf telefonisch gegenüber K erklärt
Zugang (+)
-
telefonische Erklärung
=>
-
Zugang, wenn der andere die Erklärung vernimmt (Vernehmungstheorie)
hier Zugang unproblematisch gegeben
§ 131 Abs. 2 BGB findet gem. § 109 Abs. 1 Satz 2 BGB keine Anwendung
Kenntnis des V von der Minderjährigkeit?
-
V wusste um die Minderjährigkeit des K
=>
-
14
hier kann die Aussage des V nur als Widerruf des Vertrags interpretiert werden
grundsätzlich Widerrufsrecht nach § 109 BGB ausgeschlossen
aber: K behauptet wahrheitswidrig das Vorliegen einer Einwilligung
es genügt, dass V keine positive Kenntnis vom Fehlen der Einwilligung hat;
Fahrlässigkeit schadet nicht
S. dazu Skript Privatrecht I, § 2 Rn. 408.
Dr. André Zschiegner – BTU Cottbus-Senftenberg
6
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Ausschluss durch Genehmigung?
-
das Widerrufsrecht nach § 109 Abs. 1 BGB endet mit Genehmigung des Vertrags
K informierte die Eltern bereits am Tag des Vertragsschluss
=>
wenn man in der Reaktion der Eltern gegenüber K eine Genehmigung
erblickt, besteht zum Zeitpunkt des Widerrufs des V kein Widerrufsrecht mehr
Ergebnis:
K hat gegen V einen Anspruch auf Übereignung des Mountainbikes gem. § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Dr. André Zschiegner – BTU Cottbus-Senftenberg
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