Chat Noir - Neue Zürcher Zeitung

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Chat Noir - Neue Zürcher Zeitung
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Samslag/Sonntag, 475. April
1981
WOCHENENDE
Nr. 79
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Das Kabarett Chat Noir am Boulevard Rochechouart um 1900.
Roäolphe Salis (links) in der «Salle de Conseil" des
«
Chat Noir».
berge du Clou», wo er
Freundschaft mit Claude Debussy
schloss.
Wie das erste Pariser Kiinsllerkaharctt zustande kam
Rodolphe Salis und sein «Chat Noir»
Von Doir Kaiser
Am 18. November 1881 eröffnete Rodolphe Salis eine
Künstlerkneipe am Boulevard Rochechouart
im MontmartreQuartier und nannte sie «Chat Noir». Was die Herkunft des
Begründers betraf,
mutmasste man früher, er sei der Nachfahre
eines in französischen Diensten stehenden Barons von Salis aus
Samedan gewesen. Neuere Forschungen haben jedoch ergeben,
dass sein Grossvater, Salis Salis, im Jahre 1777 in Vicosoprano
(Bergell) als natürlicher n
S o h eines gleichnamigen Salis Salis
und einer Susanna Prevosti das Licht der Welt erblickte. Die
Umstände, die zu dieser Geburt führten, dürften nicht alltaglich
gewesen sein. Denn Vater Salis war über sechzig,
für damalige
Begriffe ein Greis,
als er die auch nicht mehr junge Frau Sugeborene
Coretti,
schwängerte.
sanna
Prevosti,
Aus dieser unehelichen Verbindung mit der von ihrem Ehemann verlassenen
Frau entsprossen eine Tochter und der oben erwähnte Salis. Im
kleinen Bergeller Dorf rief dieses Verhältnis einen handfesten
Skandal hervor, denn in punkto Ehre war man dort äusserst
nicht für diesen Broterwerb geboren, Er benutzte das Papier lier e zum Zeichnen als /um Einwickeln von Backwaren
b
Im Jahre 1875 begab er sich nach Paris und fand ein bescheidenes Zimmer im Hotel de Rome im Quartier I atin. /um I eidwesen seiner Litern führte er als Maler und Schriftsteller ein
bohemehartes Leben. Im Sommer unernahm er öfters Reisen in
die Provinz. In den Wäldern von Fontainebleau ernährte er sich
einen Sommer lang wie ein Zigeuner von Pilzen. Beeren und
erlegten Hasen. Zu jener Zeit machte er auch die
Bekanntschaft
des Landschaftsmalers Mouillon. Das abenteuerliche Lehen war
zu Ende, als Salis für einige Zeit in sein Elternhaus zurückkehrte. Sein Vater war inzwischen Besitzer eines blühenden Wein«randgeschäftes geworden. Der bürgerliche g
A l l t a im elterlichen Unternehmen behagte dem jungen Künstler jedoch nicht,
zog
und so
er bald wieder nach Paris und mietete ein Zimmer
am Boulevard de Montmartre. Abends traf «man» sich öfters in
der «Grande Pinte» an der Rue des Martyrs. Zu jener Zeil
wurde er mit der literarischen Gesellschaft der Hydropathen
(Wasserheiler) bekannt. Der seltsame Name soll darauf zurückzuführen sein, dass Emile Goudeau eines Abends an einem
«Besselievre»-Kon/ert in den Champs-Elysees, als ein den
«wassertrinkenden Kurgästen von Karlsbad» gewidmeter
«Hydropathen- Walzer», gespielt wurde, auf die Idee kam, seine
dem Alkohol ergebenen Kollegen ironischerweise als «Hydropathen» zu bezeichnen. Als Mitglied der «Hydropaihes» gründete Salis die «Ecole vibrante», deren Ziel es war. Kunst und
Literatur zu versöhnen. Im Jahre 1881 unterhielt Salis ein Atelier in einem ehemaligen Telefonbüro am Boulevard Rochechouart. 1896 schildert Salis in einem Zeitungsinterview das lebhafte Treiben in diesem Atelier: «In diesem Laden trafen sich
meine Freunde, zum grossen Teil junge Dichter und Künstler.
Man rezitierte Verse, man sang und hatte Durst. Ich hatte die
Idee, mein Atelier in eine Art Künstlerkneipe zu verwandeln
g
und nur meine Freunde zu empfangen. Die Einrichtun
war am
Anfang bescheiden, aber brillant war die Liste der ,,( hatnoiristeil" von der ersten Stunde an, denn ich beschloss, meinem
Kabarett den Namen
Noir" zu geben, in Erinnerung an
den Schriftsteller Edgar Allan Poe. Man amüsierte sich im
Noir" und erfand auch allerlei Schabernack.»
Am Anfang waren es die Stammgäste des «Chat Noir», die
rezitierten und alte französische Weisen sangen. Bald einmal
musste ein Klavier her. Salis trug seine sarkastischen Glossen
aus dem Stegreif vor, während Erik Satie ihn mit Klavierimprovisationen begleitete. Aber Salis und rd e zweiundzwanzigjährige
Musiker vertrugen sich nicht, und so blieb der «Esoteriker Satie», wie ihn Alphonse Allais taufte, nur für einige Monate beim
«Chat Noir». Salis äusserte, Satie spiele zu schlecht und trinke
zu viel. Daher ging der junge Komponist als Pianist zur «Au-
empfindlich.
Es kam zur Gerichtsverhandlung. Während des
mehrtägigen Prozesses wurde das
Paar getrennt im Gerichtsgebäude zu Vicosoprano unter strenger Bewachung eingesperrt.
Das Kriminalgericht verurteilte die beiden zu einer Geldbusse
von fünfzig Zechinen (Dukaten), wovon die Kindsmutter zwanzig entrichten musste, da
sie bereits zweimal Ehebruch begangen hatte. Von einer Körperstrafe wurde hingegen abgesehen.
Bereits vor dem Ausbruch der Französischen Revolution bestanden in etlichen Städten Südwestfrankreichs kleinere Kolonien von Bergellers So kam es, dass der junge Salis Salis seine
Zuckerbäckerlehre, gemäss alter Bündner Tradition, bei Landsleuten in der Umgebung von Paris absolvierte. Sein Sohn Louis
betrieb später eine Konditorei an der Rue Neuve-du-Chäteau in
Chätellerault. Am 29. Mai 1851 gebar ihm seine Frau Josephine
Caussin einen Sohn, der auf den Namen Rodolphe Constant
Maximin getauft wurde. Wie nicht anders zu erwarten, begann
auch er seine berufliche Laufbahn als Konditor, doch er war
Salis hatte sein Kabarett mit gediegenem künstlerischem Geschmack möbliert. Der Raum zur Strasse war als «Cabaret» eingerichtet, der hintere Saal zum Hof als
Institut. Die Wände
waren mit grünem Stoffbespannt, Nussbaumholzfüllungen dazwischen waren mit Fayence-Raritäten aus verschiedenen Ländern geschmückt. Im Hintergrund, neben der Türe zum Institut,
befand sich ein grosses Cheminee mit einer Laterne, gegenüber
stand der Ausschanktisch aus geschnitztem Holz. Darüber
thronte ein mysteriöser Kater. Der hintere Saal war ähnlich
möbliert. Auf dem Kamin lag ein Totenkopf auf einem «AltRouen»-Teller. Auch sein eigenes Aeusseres passte Salis rd e
Einrichtung seines Lokals an. Er trug einen eleganten, zugeknöpften Gehrock, kurz geschnittenes Haar und einen Spitzbart: ganz der vornehme Edelmann!
Der Erfolg seines Unternehmens erlaubte ihm, endlich einen
lang gehegten Traum zu verwirklichen: Er gründete eine Zeitschrift und nannte sie nach seinem Kabarett «Le Chat Noir».
Das Motto rd e Publikation lautete:
Qu'est-cc Montmartre? Rien!
Oue doit-il etre? Tout!
Der Untertitel hiess: «Organe des Interets de Montmartre».
Der Kreis rd e beteiligten Künstler vergrösserte sich \on Monat
Neue Zürcher Zeitung vom 04.04.1981
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WOCHENENDE
Sarmtag/Sonntag,
4/5. April
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Monat. Von n
d u zahlreichen Grössen seien lediglich einige
erwühnt: der Maler Adolphe Willette, der aus Lausanne stamTheophile A. Steinlen, Gustave Salavy (VerGraphiker
mende
laines Schwager). Jean Lorrain, Gustave und Victor Charpentier, Aristide Bruant, Alphonse Daudet und Sapeck, der «König
der Grosssprecher». Die Chefredaktion der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift übernahm Emile Goudeau, der hin und
wieder unter dem Pseudonym A. Kempis schrieb. Die ersten
Nummern hat Salis selber illustriert. Spiiter überwogen die
Zeichnungen und Skizzen der Künstler Willette, Caran d'Ache
(eigentlich Emmanuel Poire) und Steinlen. Von den bekanntesten Werken Willeites wäre «Parce Domine» zu erwähnen, eine
symbolische Sage von Leben und Tod in der Karnevalsatmosphäre von Montmartre. Steinlen, ursprünglich Textilentwerfer,
schuf die «Apotheose des Chats». Heide Werke schmückten die
Wände des «Chat Noir». Rodolphe Salis veröffentlichte, in ZuZU
)
Henri de Toulouse-Lautrec (zweiter von links
im «Chat Noir». Nach dem
Dle «Auberge du Clou» wurde vom Schauspieler Mousseau eröffnet und später vom Bündner Gastwirt Christian Paul Tomaschelt aus Iran weitergeführt. Hier wurde Erle Satie Barpianist, nachdem er sich mit sS a l i überworfen hatte.
sammenarbeit mit Georges Auriol, auch seine in humorvoll-erotischer Art verfassten Aufzeichnungen «Contes du Chat Noir»,
in Anlehnung an die tolldreisten Geschichten Balzacs. Auch
hier besorgten Willette, Caran d'Ache, Steinlen und Henri Riviere die Illustrationen. Das Werk mit den lüsternen Erzählungen ist heute eine bibliophile Seltenheit.
Salis nahm jede Gelegenheit wahr, um für sein Etablissement
zu werben. So auch bei den Gemeinderatswahlen der Stadt
widmet, und er verspricht den Wählern von Montmartre, im
Rate der Stadtväter fördernd für Kunst und Literatur /u wirken.
Das sind Zeitvertreibe für die Kapitalisten und Faulenzer, wird
Joffrin hierauf antworten, und man darf wetten, dass die Wähler rd e Carrieres nicht Salis, sondern ihn bevorzugen werden; es
Gemälde eines Zeitgenossen,
sei denn, dass sie die gerüchteweise
angekündigte Absicht, die
durch eine gewisse Verordnung des Polizeipräfekten geschädigten Lumpensammler durch die Ernennung ihres. Aeltesten in
tre. Hauptstadt von Paris, durch ein Ereignis erschüttert, das die
Welt verändern wird: Das Kabarett
Noir" wird den Boulevard Rochechouart verlassen und in die Rue Laval umziehen.»
Mit grossem Pomp erfolgte die Umsiedlung erst am 10. Juni
1885. Zwei Schweizergardisten mit kurzer Hose eröffneten den
Umzug, dann folgten zwei Fahnenträger mit dem «Chat Noir»Banner. vier Hellebardiere buckelten Willettes «Parce Donii-
IVocljamenjent
Das neue «Chat Noir» an der Rite Victor-Masse, nach einer Zeichnung
von Robida. 1896.
Paris im Frühjahr 1884. Er kandidierte mit einem äusserst unkonventionellen Programm. Erstens forderte er die Trennung
des Montmartre vom Staat und zweitens die Ernennung eines
eigenen Stadtrates. Die
neue Stadt Montmartre sollte auch ei-
nen eigenen Burgermeister erhalten. Der damalige NZZ-Korrespondent in Paris berichtete:
«In Montmartre scheint mehr als
anderswo das Komische bei den Gemeinderatswahlen eine hervorragende Rolle spielen zu
sollen. Nicht genug, dass das Viertel der Carrieres seinen Joffrin mit der schwulstigen Beredsamkeit und dem Tuchrock portiert, es kommt jetzt noch eine andere populäre Persönlichkeit als Kandidat hinzu und gibt dem
Wahlkampf einen possierlichen
Charakter. Es ist dies ein gewisser Salis, seines Zeichens ein Maler, welcher die Palette an den
Nagel gehängt hat, um
Schenkwirt zu werden. Die Kneipe, in
der er eine Hellebarde als Szepter schwingt, trägt den poetischen Namen «Chat Noir» und ist bald die Geburtsstätte, bald
das Grab verkannter Genies, bleicher Dichter,
bemannter
Künstler und anderer Musensöhne, welche, wenn sie von Montmartre nach Paris herabsteigen, in den Strassen berechtigtes
Aufsehen erregen. Der Herbergsvater Salis kümmert sich weder
um Sozialismus noch um Opportunismus, sondern einzig
und
allein um die Kunst in ihren verschiedenen Kundgebungen,
namentlich aber in ihrer neuesten Gestalt, die auf dem Sinai der
Katze" die
Kunst" (an incoherent) heisst. Sein Leben
ist den idealsten Bestrebungen ge-
Aristide Bruant debütierte im «Chat Noir» und führte später das Kabarett
unter dem Namen «Mtrllton» weiter (nach der «Cafe Concert»-Lilhographie von Toulouse-Lautrec).
Plakat einer «Chat-Noir-Tournee» von Theophile A. Steinlen, um 1895.
den Gemeinderat einigermassen zu trösten, wirklich durchfuhren.»
Gewählt wurde Salis nicht, dafür wurde das «Chat Noir»
immer erfolgreicher. Viel hatte damals nicht gefehlt, dass das
Quartier Montmartre ein Zentrum der Zuhälter und Dirnen
geworden wäre
dank dem «Chat Noir» jedoch entwickelte es
sich zum Künstlertreffpunkt. Die Ermordung eines Kellners
durch üble Elemente aus rd e Pariser Unterwelt bewog Salis,
sein Kabarett in ein anderes Quartier zu verlegen. 1885 verkaufte er es seinem Freund, dem Chansonnier Aristide Bruant,
der bei ihm debütiert hatte. An der Stelle des alten «Chat Noir»
entstand das «Mirliton», in dem Bruant ein neues Genre von
Kabarett einführte: er beschimpfte seine Gäste mit frechen und
unflätigen Ausdrücken. Karl Epting sagt: «Bruant
ist der Klassiker des Montmartre-Chansons, immer wieder nachgeahmt,
aber nie erreicht in der Mischung von Herz und Kanaille.» Bruants Lieder wurden später von Yvette Guilbert in alle Welt hinausgetragen.
ne», dahinter marschierte Salis in rd e gestickten Glitzeruniform
eines Präfekten erster Klasse, begleitet von seiner Frau. Ihm
folgte die ganze Belegschaft des Unternehmens, als Akademiker
Im Gasthaus des Malers Stevens in der Rue Laval (heute
Rue Victor-Masse) fand Salis ein neues Lokal für sein Unternehmen. Dieses wurde in ähnlicher Weise wie das frühere ausgestattet, zum Teil mit Dekorationen im Stile von «Alt-Nürnberg». Wieder beherrschte ein riesiger
Kater den Hautptraum.
Zum Domizilwechsel gab Salis in seiner Zeitschrift bekannt:
«Vom 25. zum 30. Mai, in Gottes Gnaden 1885, wird Montmar-
verkleidet, und den Schluss bildeten die Freunde des Hauses
mit dem Salis-Porträt vom Maler La Garde. Zu den Klängen
der von Victor Meusys komponierten «Marseillaise du Chat
Noir» zog eine fröhliche Menschenschlange bei Mondschein in
die Rue Laval ein.
Vor dem Eingang des neuen Vergnügungszentrums stand ein
Aufseher in einer Schweizer Söldneruniform; der erste Raum,
das eigentliche Kabarett, auch «Salle Francois-Villon» genannt,
war mit Zeichnungen von Caran d'Ache, Willette, Steinlen und
Riviere geschmückt. Im nächsten Raum, der «Salle des gardes»,
befanden sich vier Gemälde von Willette und die «Apotheose
des Chats» von Steinlen. Das von Grasset und Charpentier konstruierte und mit byzantinischen Säulen und dem Salis-Wappen
umrahmte Cheminee war noch mit dem alten Leitspruch des
«Chat Noir» beschriftet: «Montjoye et Montmartre». In der
ersten Etage befand sich der mit Sammet bespannte Versammlungssaal rd e Dichter und Chansonniers, wo auch
Willettes
«Parce Domine» hing.
Im zweiten Stockwerk war das Schattentheater installiert,
dessen riesiger Bildschirmrahmen einen geflügelten Kater trug,
der, auf der Erdkugel festgekrallt, mit der Hinterpfote die
be-
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Samslug/Sonnlag, 4./5. April
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frack te Gans des Spiessertums verscheuchte. Die im Zuge des
Pariser Impressionismus wiederentdeckte Kunst der «Ombres
Chinoises» erreichte im «Chat Noir», vor allem dank Henri
Riviere, einen europäischen Höhepunkt. Dabei war das Schattentheater nahe/u zufällig entstanden. Georges Auriol und
Henry Somm hatten für das «Chat Noir» ein Marionettentheater gebaut, und angesichts dieses Theaterchens kam Henri Riviere eines Abends auf die Idee, ein Tuch in der Bühnenöffnung
hängen zu lassen: während Jules Jouy sein Chanson «Les Sergots», ein Spottlied auf die Familie des Staatspräsidenten Jules
Cjrevy, sang, bewegte Riviere hinter dem Tuch entsprechende
Kartonfiguren. Natürlich wurde die Technik mit der Zeit immer
mehr verfeinert, man arbeitete mit beweglichen Lichtquellen
und einer differenzierten Farbenskala. Zu den Darbietungen
wurden Rezitatoren, Sänger sowie kleine Instrumental- und
Vokalensembles herangezogen. «So entstanden jene spielerischen Gesamtkunstwerke romantisch-impressionistischen Stimmungskults, die zu Recht der Stolz des Hauses» waren, schreibt
H. Greul in seinem Ruch «Bretter, die die Zeit bedeuten». Das
Satyrspiel bildete die «Piece bonimente»: Schattenstücke und
Aktualitäten mit improvisierter Klavieruntermalung, die Salis
aus dem Stegreif konferierte
unter schonungsloser Einbeziehung aller anwesenden Prominenz. Das Kabarett «Chat Noir»
Schallenbild der erfolgreichen Aufführung «L'Epopee» von Caran d'Ache
im Jahre ISX6.
Die Schallenspiele im neuen «Chat Noir" waren in der vorktnemalographlschen /.eil eine besondere Attraktion. (Nach einem Gemälde Min Caran
d'Ache.)
war nun zu einem mondänen Theater geworden. Aus dem Versammlungssaal wurde ein Festsaal, und die Eintrittspreise \ erdoppelten sich. Grossen Erfolg hatten die Programme «La Tentation de Saint-Antoine» von Henri Riviere. «L'enfant prodigue» und «Marche a l'Etoile» (1890) von Georges Fragerol-
Während eines kurzen Aufenthalles in Paris fühlte Rodolphe
Salis sich krank. Gegen die Verordnung seines Arztes unternahm er trotzdem eine weitere Tournee in die Provinz. In Angers verschlimmerte sich sein Gesundheitszustand, und wenige
Tage später, am 19. März IS97, erlag er in Naintre seinem Leiden.
Im Wachsfigurenkabinett des Musee historique de Montmartre ist heute Salis als Conferencier seines «Chat Noir» in
theatralischer Pose zur Schau gestellt. In seinen .«Grenzüberschreitungen» s.igt der Historiker und Professor Dr. J.
R. von
le.
Im Jahre IS90 erwarb Salis ein Landgut in Genuin villc-dcGisors und taufte es Chatnoirville-en-Vexin. Er nannte sich von
nun an «Rodolphe Salis. Seigneur de Chatnoirville-en-Vexin,
e Naintre en Poitou». Die erfolgreiche SchattenspielBaron d
"liir
Salis:
diesen Namensvetter habe ich immer eine Vorliebe
gehabt. Endlich einer, der nicht ein ernster Kriegsmann.
Politiker oder Gelehrter war. Einer, der ein loses Maul hatte und auf
eine frivole Art mutig war: der die Politiker nicht ernst nahm
und die Heuchelei des Bürgertums verspottete. Ein Mann, der
einer Tradition anhing und ihr anscheinend untreu war. Im
Grunde ein Mann nach meinem Herzen.»
Illustrationen: Collection Roger Viollet, Paris: Musee de Montmartre, Paris.
e
Hrilish Museum Library, London: Rihliolhequc historiqu
de l.i \ille de Paris.
Z&rxFT
Cabaret
du ,M4O»at Noir
Das neue «Chat Noir» an der Rue Victor-Masse, nach einer Zeichnung
von Robida. 1896.
Inszenierung der «Marche ä l'Etoile», die zum
hundertstenmal
über die Bühne ging, wurde im neuen Wohnsitz gebührend
gefeiert. Der unverhoffte Erfolg seines
Unternehmens bewog
Salis, eine Tournee mit seinem Ensemble durch Frankreich zu
organisieren. Das erste Gastspiel fand als Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten der Armen in der Präfektur
zu Rouen statt
.
Weitere Aufführungen folgten in zahlreichen Städten, wie
Poitiers, Marseille, Roanne, Troyes, Lyon und Monte Carlo.
Bevor eine Vorstellung begann, liess Salis sich über die aktuellsten Skandalgeschichten, den Stadtklatsch und politische Begebenheiten am Aufführungsort bestens informieren, um sie dann
abends mit wenig Respekt und teuflischer Sprachgewandtheit
zu glossieren.
Von den zahlreichen um das Ende des 19. Jahrhunderts
eröffneten Kabaretts war das «Chat Noir» mit seinem satirischen, humoristischen und lyrischen Repertoire das erfolgreichste und kann als Vorlaufer des europäischen Kabaretts bezeichnet werden.
Salis hat einmal wahrend eines Gastspiels in Lyon ins
Stammbuch der Stadt die nicht sehr bescheidenen Worte eingetragen:
«Dieu a crei: le monde;
Napoleon a cree la Legion d'honneur;
Moi j'ai fait Mo Hmartre.»
.
Die "Salle des gardes» mit dem von Grasset und Charpentier entworfenen Cheminee im neuen «Chat Noir».
Neue Zürcher Zeitung vom 04.04.1981
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