Damals und heute – der Evangelische Kirchenchor Seelscheid
Transcrição
Damals und heute – der Evangelische Kirchenchor Seelscheid
Der Evangelische Kirchenchor mit Pfarrer Otto Zurhellen (1904 - 1909 in Seelscheid – in der Reihe der Frauen) und dem Chorleiter Lehrer Schmidt (unterhalb von Pfarrer Zurhellen) Damals und heute – der Evangelische Kirchenchor Seelscheid A nsätze zu einem Evangelischen Kirchenchor hatte es schon vor Pfarrer Julius Smend (1885-1891) gegeben: Wie der 1860 gegründete Katholische Kirchenchor und Männergesangverein „Eintracht“ wirkte auch der „Sängerchor“ des 1837 gegründete Männergesangvereins Seelscheid an Feiertagen im Gottesdienst mit. Die Lehrer wurden umfassend, auch in Musik, Religion, Turnen und Zeichnen ausgebildet. Sie wurden vom Vorstand der Kirchengemeinde angestellt, der Pfarrer war der Schulinspektor. In der Berufungsurkunde für Johann Jakob Schlottmann 1754 heißt es, er habe die Kinder „im Singen treulich und fleißig zu informieren, bei Leichenbegängnissen und Copulationen (= Trauungen) die Gesänge zu verrichten helfen“. Wo es keine Orgel gab, hatte der Lehrer in den Gottesdiensten „anzusingen“. Wie der katholische Lehrer Joseph Knipp begleitete der evangelische Lehrer Martin Faßbender auf der 1826 neu angeschafften 12-registrigen Orgel der Simultankirche „auf dem Berg“ den Gesang und dirigierte den „Sängerchor“. Seit der Anschaffung der Orgel waren die Lehrer nur noch „beim Abholen der Leiche“ vor dem Haus eines/einer Verstorbenen Vorsänger. Für ihr Singen bei Beerdigungen wurden die „Leichensänger“ im Schulhaus mit „Brandtwein und Weißbrot“ beköstigt. Das geht aus zwei „Leichengelder“-Rechnungen 28 mit Datum vom 1.5.1824 und 9.1.1825 hervor. Der Heimatforscher Fritz Färber sieht in den „Beerdigungssängern bei Leichenbegängnissen“ die Anfänge des Männerchorgesangs. Dem Auftrag, die Orgel zu spielen und den Chor zu leiten, kam auch Lehrer Friedrich Wilhelm Klüppelberg (18501866) nach. Doch durch die ständigen Erkrankungen von Pfarrer Schulz (1824-1870) im letzten Jahrzehnt seiner 46 Dienstjahre und von Pfarrer Hundhausen (1871-1883) kam das Gemeinde- und Vereinsleben zum Erliegen. Lehrer Hölper (ab 1874) sollte „einen Sängerchor, sobald und so weit es möglich ist, gründen“. Aber es war nicht möglich. Auch gab es Zwistigkeiten in der Gemeinde durch die politischen Wirren damals. Pfarrer Smend: „Das kirchliche Leben war nicht gerade in Flor, und die Gemeinde stand nicht im besten Ruf, so dass ich nach der Wahl von Kundigen gewarnt wurde“ (in dem Beitrag „Seelscheid“, Monatszeitschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst, Heft 8/1928, S. 233). Zwei Jahre war die evangelische Gemeinde ohne Pfarrer. Dass ein so fähiger, junger Mann wie Smend, um den sich auch andere Gemeinden bemühten, nach Seelscheid kam, war ein Geschenk. Mit der Gründung des Kirchenchores am 31.1.1886 nahm die Gemeinde einen enormen Aufschwung. Die Menschen spürten das Große und Erhabene in den Absichten ihres Pfarrers. „Smend hat seine ganze Sorgfalt daBote 1/2011 Der Evangelische Kirchenchor Seelscheid heute, mit seinem Leiter Karsten Rentzsch (links) bei der Probe im Gemeindehaus rauf verwandt, Chor und Gemeinde dahin zu bringen, dass sie rechte Hörer und rechte Verkündiger der frohen Botschaft werden.“ (Wilhelm Langrehr, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Kirchenchores). Die Kirchenchorkonzerte verstand Pfarrer Smend als liturgische Feiern, die Passionen und Oratorien von Schütz, Bach und Händel als Gottesdienste. Die Gemeinde beteiligte sich durch ihren Gesang. In den Gottesdiensten wirkte der Chor „als der andere Prediger des Evangeliums“ mit. Die Gemeinde blühte in ihrer „Singearbeit“ auf. Brach liegende Begabungen entfalteten sich. Smend: „Der Seelscheider Chor hatte sich bald einigen Ruf ersungen. Zu seinen Feierstunden und Festgottesdiensten stellten sich lange Wagenreihen aus Köln und Bonn ein. – Die geräumige Kirche war mehr als einmal außerstande, zu der Gemeinde auch noch die Menge der Gäste aufzunehmen.“ – Zur Kirchweih 1887 wurde eine große Glocke im Kirchturm hochgezogen. Für den Festgottesdienst hatte Arnold Mendelssohn dem Chor eine Komposition zu Psalm 95 „Kommt herzu, lasst uns dem Herrn frohlocken“ gewidmet. Der Gottesdienst klang aus mit dem großen „Halleluja“ aus Händels „Messias“. – Zur Kirchweih desselben Jahres sang der Chor Chorsätze aus Mendelssohn-Bartholdys Oratorien „Elias“ und „Paulus“. – Auch andere große Werke der Tonkunst lernte der Chor bei Smend kennen, unter anderem Chorsätze aus Händels „Judas Makkabäus“, „Samson“ und „Messias“, ebenso Choralsätze von Johann Eccard, Prätorius und Johann Michael Bach (ein Onkel von J.S. Bach). Nach Smends Abschied von der Gemeinde 1891 bewarben sich 26 Kandidaten um die Pfarrstelle. Die Presbyter entBote 1/2011 schieden sich für Heinrich Kaz (1891-1904). Oft war Kaz aus Bonn gekommen, um den Aufschwung der Gemeinde mitzuerleben. 1887 war er bei der Aufführung des Herrigschen Lutherfestspieles einer der 75 Studenten aus Bonn. Bei dem liturgischen Karfreitagskonzert 1888 hatte er vom Altar aus die Liturgie gehalten, während Pfarrer Smend an der Orgel den Chor begleitete und Lehrer Wilhelm Schmidt dirigierte. Man sollte meinen, wenn eine Gemeinde auf einem Gebiet besonders aktiv ist, hat sie keine Kraft für noch andere kirchliche Aufgaben. Genau das Gegenteil war der Fall: Bei seinen Hausbesuchen sah Pfarrer Kaz die Not und Armut vieler Familien und sann auf Hilfe. „Als Pfarrer Kaz verheiratet war, verging kein Tag, an dem nicht eine arme Familie Essen aus dem Pfarrhaus erhielt. Aus eigenen Mitteln schaffte Kaz Artikel zur Kranken- und Altenpflege an, die er zum leihweisen Gebrauch anbot. Der Gedanke zur Errichtung eines Gemeindehauses für alle pflegebedürftigen Personen unter der Leitung einer Schwester trat immer mehr in den Vordergrund. Ohne auswärtige Hilfe war ein solches Vorhaben nicht auszuführen. Seelscheid war die ärmste Gemeinde in der Synode. Aber eines hatte sie voraus: Sie genoss einen guten Ruf in der rheinischen Kirche“ (Fritz Färber, Beiträge zur Geschichte der evangelischen Gemeinde Seelscheid, zum 375-jährigen Bestehen der Gemeinde, S. 27). Eine 20-seitige „Geschichte der Gemeinde Seelscheid“ legte Pfarrer Kaz 1898 seinem Antrag an die Versammlung des Kirchenkreises Bonn auf Unterstützung bei. Über den Kirchenchor berichtete er darin: Er hat 70 Mitglieder. „Dirigent ist Lehrer Wilhelm Schmidt, der nun schon über 10 29 GEMEINDELEBEN Prof. Dr. Julius Smend Jahre in der eifrigsten, uneigennützigsten Weise ohne jede Entschädigung den Chor leitet. Der Chor übt jeden Sonntag nach dem Gottesdienst in der Kirche und trägt bei allen festlichen Gelegenheiten zur Erbauung der Gemeinde bei.“ Kaz‘ Nachfolger, Otto Zurhellen (1904-1909), schrieb für seinen Nachfolger Arnold Torhorst (1909-1917) eine Einführung in die Gemeinde. Darin heißt es: „Von den Vereinen der Gemeinde ist der Kirchenchor unstrittig der wichtigste und blühendste. Von Lehrer Schmidt mit größter Hingabe geleitet, kann er auf glänzende Leistungen zurückblicken. Er hat mitgeholfen, die unter Pfarrer Hundhausen ziemlich unkirchlich gewordene und durch Zwistigkeiten zerrissene Gemeinde zu einigen und kirchlich zu interessieren. Das Geheimnis seines Erfolges liegt vor allem an dem Mitwirken der Kinder, die in den Chor hineinwachsen und das Interesse daran in die Häuser der Gemeinde tragen“ (S. 37). Die Jahre 1928 und 1929 brachten Höhepunkte in der kirchenmusikalischen Arbeit. Darüber schrieb Pfarrer Heinrich Weinmann (1926-1932): Unter Mitwirkung von Opernsänger Erwin Röttgen, Essen, „der in einzigartiger Treue an seiner Heimatgemeinde hängt, sang der Kirchenchor am Karfreitag 1928 ‚Die sieben Worte Christi am Kreuz‘ und Karfreitag 1929, die ‚Matthäus-Passion‘, beides von Heinrich Schütz, außerdem an Weihnachten 1928 große Teile aus der ‚Geburt Christi‘ von H. von Herzogenberg.“ Damals verfügte die Gemeinde sogar über ein eigenes Orchester. Mit dessen Hilfe konnte der Chor zum Kirchweihfest 1929 „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ und zum Reformationsfest desselben Jah- res sechs Chorstücke von Heinrich Schütz aufführen. In der Pressa-Ausstellung 1928 in Köln sang der Chor die „Erntefestliturgie“ von Herzogenberg. Beim kreiskirchlichen Gesangsfest 1929 in Siegburg sang er sowohl im Gottesdienst als auch bei der Nachfeier. Professor Köstlin und der Präsident des Oberkonsistorium, Exzellenz Goldmann aus Darmstadt, die 1891 mit einmal im Gottesdienst auftauchten und Pfarrer Smend als Professor an das Predigerseminar Friedberg beriefen, hatten sich vom Kirchenchor einige Kostproben vorführen lassen. Ihr Urteil über die Gemeinde und ihren Chor: „Was sie hier haben, können sie nirgends in der Welt wiederfinden!“ (Fritz Färber a.a.O., S. 25). Das Amt des Organisten und Chorleiters übernahm 1920 Lehrer Erich Röttgen. Er war wahrscheinlich der letzte Lehrer in Seelscheid, vielleicht sogar im Rhein-Sieg-Kreis, der diese Dienste, sogar über seine Pensionierung hinaus, wie selbstverständlich ohne Vergütung versah. Die Kirchenleitung ehrte ihn für sein Können und für seinen Einsatz, indem sie ihn zum Kantor ernannte. Er wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Der Chor erlebte eine Reihe verdienter Dirigenten. Stellvertretend für andere seien hier Kreiskantor Rüdiger Füg, auch seine Frau, geborene Dellinger, genannt. Erich Fischer kommt insbesondere das Verdienst zu, dass er mit dem Chor und einem Orchester große Werke von Händel, Schütz und Bach aufführte. Unter seinem Dirigat kam es zu einer engen Zusammenarbeit mit der Chorgemeinschaft St. Georg und dessen Dirigenten Peter Karisch. Die Freundschaft der beiden Chöre wird allgemein als ein Zeichen freundschaftlicher Ökumene gewürdigt. Im Gottesdienst am 30. Januar 2011 ehrte Pfarrer Carsten Schleef die folgenden Chormitglieder für ihre langjährige Mitgliedschaft: allen voran Christel Fischer. Sie sang schon als Konfirmandin im Chor mit. Zu ihrer Zeit war es üblich, dass die Konfirmanden an den Außenseiten von Sopran und Alt standen. Seitdem ist sie 58 Jahre dem Chor treu geblieben. Wiederholt hat sie auch solo gesungen. Ewald Frackenpohl, der Senior unter den Sängerinnen und Sängern, war insgesamt 37 Jahre Chormitglied. Dieselbe Anzahl an Jahren trifft auf Hildegard Hanne-Biesemann zu. 36 Jahre sind Dina Becker und Astrid Bolz, 35 Erika Haarhaus, 33 Karl Becker, 32 Bernd Baxmann, 29 Rosi Larsen, 28 sowohl Ingrid Willms als auch Dorothee Pohl, 27 Elke Hofer, 26 Jahre Otto Straub und Friedrich Haarhaus Mitglieder im Chor. Friedrich Haarhaus Geliebt zu werden macht uns stark. Zu lieben macht uns mutig. Laotse 30 Bote 3/2010