Beat Metzler: Paragrafen vertreiben Prostituierte
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Beat Metzler: Paragrafen vertreiben Prostituierte
13 Tages-Anzeiger – Dienstag, 22. Oktober 2013 Zürich & Region Krönchen Zwölf Frauen wollen schönste Zürcherin der Welt werden. Wir räumen mit ein paar Miss-Verständnissen auf. 24 Aufwertung vertreibt Prostituierte aus der Langstrasse Anzeige Ein Zusammenspiel von neuen und alten Gesetzen verbietet die Prostitution fast im ganzen Kreis 4. Seit 2003 schlossen dort 54 Bordelle – meist auf Druck der Stadt. Von Beat Metzler Zürich – Die Situation verwirrt. Alle Amtsstellen betonen: «Wir wollen die Prostitution nicht aus dem Kreis 4 vertreiben.» Und doch, da sind sich Beobachter einig, tun die Behörden genau das. Anfangs Monat mussten 64 Prosti tuierte die Hohlstrasse 30 verlassen (TA vom 12. Oktober). Bis Ende Jahr werden mindestens drei weitere Salonhäuser geräumt. Seit 2003 ist es im Langstrassenquartier laut Hochbaudepartement zu 54 Rücknutzungen gekommen. Das heisst: 54 Salonhäuser haben geschlossen – viele auf Druck der Stadt. Das verknappt den Platz für die Pros tituierten und drückt die Mietpreise nach oben, und viele finden keinen Ort zum Ausweichen. Als Beispiel nennt eine Sozialarbeiterin drei Bulgarinnen, die sich zu dritt eine 12-QuadratmeterKammer teilen. Gemeinsam zahlen sie 4140 Franken Miete pro Monat. Im gleichen Haus gibt es 20 solche Zimmer. Dazu kommt, dass die Stadtpolizei das Verbot der Strassenprostitution, das seit über 30 Jahren gilt im Kreis 4, strenger durchsetzt als früher. «Frauen, die dagegen verstossen, werden weg gewiesen und verzeigt», sagt Medienchef Marco Cortesi. Erwischt die Polizei die gleichen Frauen mehrmals, entzieht sie ihnen die Arbeitserlaubnis. Mit diesem Vorgehen will sie verhindern, dass der aufgehobene Strassenstrich vom Sihlquai an die Langstrasse wandert. Wie viele Frauen und Freier die Polizei schon büsste, gibt sie heute Dienstag bekannt. Dann zieht sie eine erste Bilanz zum Strichplatz in Altstetten. Billigarbeiter aus Polen arbeiten nicht mehr im HB Gegen 20 Arbeiter, die als «Scheinselbstständige» auf der SBB-Baustelle waren, wurden abgezogen. Die Unia fordert nun die Nachzahlung korrekter Schweizer Löhne. Salons fast überall verboten Den Druck auf die Etablissements konnte die Stadt vor allem dank der neuen Prostitutionsverordnung (PVOG) erhöhen, die seit diesem Jahr gilt. Neu brauchen Sexsalons eine Betriebsbewilligung, ausser sie beschäftigen nicht mehr als zwei Angestellte. Der Haken daran: Auch wenn Salonbesitzer im Kreis 4 alle polizeilichen Auflagen erfüllen, dürfen sie wahrscheinlich nicht weitergeschäften. Voraussetzung dafür wäre eine Baubewilligung, die ihnen zugesteht, Wohnhäuser als Salons zu nutzen. Die Bauund Zonenordnung (BZO), die seit 1999 gilt, erlaubt Prostitution allerdings nur in Gegenden, wo der Wohnanteil nicht über 50 Prozent liegt. Fast überall im Kreis 4 ist er aber höher. Bisher sind bei der Stadtpolizei 15 Salongesuche aus dem Kreis 4 eingegangen. Sie befinden sich alle noch in Bearbeitung. Durch die Pflicht, eine Salonbewilligung einzuholen, gerät das Milieu noch stärker in den Fokus der Behörden. So verschickt die Stadtpolizei derzeit Mahnungen an Hauseigentümer und Mieterinnen. Darin fordert sie diese auf, ihre Salonzimmer an die baurechtlichen Vorschriften anzupassen sowie eine B etriebsbewilligung zu beantragen. Geschieht dies nicht, werde der Betrieb auf Anfang 2014 geschlossen. Greifen Polizei und Hochbaudepartement getreu allen Paragrafen durch, führt dies zu einem fast flächendeckenden Prostitutionsverbot im Kreis 4. Auf Ausnahmen können Betriebe nur hoffen, wenn sie schon geöffnet hatten, bevor die BZO in Kraft trat – also vor 1999. Oder wenn sie in einer der wenigen Gewerbezonen im Quartier liegen. Auch Hotels brauchen eine Baubewilligung, falls sie Zimmer als Arbeitsplatz für Prostituierte vergeben. Vor Jahren eingeleitet Ob der Stadtrat einen Kreis 4 ohne Milieu anstrebt, bleibt unklar. Polizeivorsteher Richard Wolff (AL) hatte gestern keine Zeit, um Fragen zu beantworten. Man diskutiere das Thema aber seit längerem intensiv, sagt sein Sprecher. Klar ist, dass die heutige Situation den politischen Willen vergangener Jahre wiedergibt. «Der Stadtrat schrieb das Verbot von Bordellen ab 50 Prozent An der Hohlstrasse 30 neben dem Milieulokal Sonne sollen gewöhnliche Mietwohnungen entstehen. Foto: Sophie Stieger Salonbetreiber brauchen neu eine Bau- und eine Betriebsbewilligung. Sonst müssen sie Ende Jahr schliessen. Wohnanteil in die BZO, um Quartiere wie den Kreis 4 vor einer Überschwemmung durch das Sexgewerbe zu schützen. Jetzt werden lediglich diese Vorschriften umgesetzt», sagt Rolf Vieli. Bis vor zwei Jahren leitete er das Kreis-4Aufwertungs-Projekt Langstrasse Plus, das mit seiner Pensionierung endete. Gegen Salons im Kreis 4, wie jenen an der Hohlstrasse 30, gehe das Hochbaudepartement seit Jahren vor, sagt Vieli. Viele Besitzer von Salonhäusern hätten sich mit allen Mitteln gegen eine Umnutzung gesträubt, weil sie von den Sexworkerinnen hohe, teils überrissene Mieten einkassierten. «Jetzt merken sie, dass dank der Aufwertung gewöhnliche Menschen im Kreis 4 wohnen wollen. Und dass sie mit solchen Mietern keine Konflikte mit den Behörden riskieren.» Laut Vieli wussten die meisten Prostituierten schon länger, dass sich die Auflagen im Kreis 4 verschärfen würden. «Sie wurden immer wieder auf die rechtliche Situation hingewiesen. Viele haben die Massnahmen auf sich zukommen lassen und sich nicht darauf eingestellt.» Es gehe nicht darum, das Quartier von der Prostitution zu säubern, sagt Vieli. Noch vor zehn Jahren hätten unerträgliche Zustände geherrscht, für B ewohner und Prostituierte. «Mit den jetzigen Mitteln kriegt man die Lage in den Griff.» Die Behörden müssten die Gesetze «mit Augenmass» anwenden, damit sich wieder ein Gleichgewicht einpendle, das für alle erträglich sei. Rolf Vieli bedauert, dass es die Stadt verpasst hat, von ihr kontrollierte Bordelle einzurichten. «Diese hätten den Prostituierten ein sicheres Arbeits umfeld geboten und sie wenigstens teilweise vor Ausbeutung geschützt.» Heute informiert die Stadt über ihre Erfahrungen mit dem Strichplatz. Bericht auf www.tagesanzeiger.ch Kritiker sagen, dass durch das Zusammenspiel neuer und alter Gesetze eine unkontrollierte Dynamik entstanden sei. Diese ziele weit an der Realität im Kreis 4 vorbei. Und führe zu Schikanen, unter denen die Schwächsten am stärksten litten. Als Lösung verlangen sie, die Vorschriften teilweise der Situation anzupassen, die im Kreis 4 seit Jahrzehnten herrsche. So soll der Stadtrat in bestimmten Zonen die Strassen- oder Salonprostitution erlauben. Kommentar Von Beat Metzler Planlos in Aussersihl Politik überwindet weite Distanzen. Jahrelang arbeiteten die SP-Stadträte Robert Neukomm und Esther Maurer sowie deren Vertrauter Rolf Vieli daran, die Prostitution im Kreis 4 einzudämmen. Zu Beginn bewegte sich wenig. Erst jetzt, nachdem alle drei längst zurückgetreten sind, entfalten ihre Massnahmen die volle Wirkung. Ironischerweise muss sie mit Richard Wolff (AL) ein Polizeivorsteher durchsetzen, dessen Partei die SP-Aufwertungspolitik ablehnt. Das Problem bei solchen Distanzen ist, dass sich die Ausgangslage ändert, bis man das Ziel erreicht. Der Kreis 4 ist nicht mehr der gleiche wie vor zehn Jahren – auch dank den städtischen Eingriffen. Von Donnerstag bis Samstag verwandelt sich die Langstrasse zur Partyzone mit Milieukolorit. Früher beschwerten sich Bewohner über Spritzen und Prostituierte, die das Trottoir versperrten. Heute nerven johlende Partygänger. Fast zynisch klingt, dass Gesetze, die geschaffen wurden, um Frauen zu helfen, das Gegenteil bewirken. Von Salons eine Bewilligung zu verlangen, zwingt diese, ihre Angestellten gut zu behandeln. Heute liegen die Auflagen im Kreis 4 allerdings derart hoch, dass kaum ein Salon eine solche erhält. So verlieren die Frauen ihren Job und damit jeglichen Schutz. Laut Frauenorganisationen setzen Polizeikontrol- len, hohe Mieten und eine ständige Ungewissheit die Prostituierten unter Dauerstress. Viele verlegten ihr Geschäft in Aussenquartiere, wo die soziale Kontrolle kaum mehr spiele. Während sich Esther Maurer klar zur Aufwertungspolitik bekannte, wirkt der heutige Stadtrat ratlos. Alle Ämter geben an, dass sie Vorschriften umsetzten, mehr nicht. Der Überblick, was die neuen Gesetze bewirken, und eine gesamtheitliche Strategie fehlen. Mit dem Resultat, dass die Politik denen schadet, die sie zu schützen versucht. Und dass sie ein Quartier, das sich teilweise mit dem Milieu arrangiert hat, in einen Wochenend-Ballermann umgestaltet. Von Ruedi Baumann Zürich – Die Gewerkschaft Unia setzt die Latte bei den Verhandlungen mit den SBB und einer Baufirma gewohnt hoch: Bis heute Morgen um 6 Uhr müssten SBB und die Winterthurer AB Brandschutz AG «rechtsgültige Garantien abgeben», sagt Sprecher Lorenz Keller, «dass die ausstehenden Lohnsummen auf ein Sperrkonto einbezahlt werden». Sonst fasse die Unia eine Schliessung der Baustelle ins Auge. Betroffen wäre nicht die gesamte Durchmesserlinie mit Bahnhof und Tunnel, sondern bloss Isolationsund Brandschutzarbeiten. Nach Ansicht der Unia hat die Winterthurer Firma 18 Polen und 2 Litauer beschäftigt, die wiederum als «scheinselbstständige» Unternehmer für deutsche Subunternehmer arbeiten. Den Polen werde ein Lohn von 3000 Franken ausbezahlt, und sie müssten über 60 Stunden in der Woche arbeiten. Die Unia ist angeblich im Besitz von Verträgen und Lohnabrechnungen der Polen. Berechnungen hätten ergeben, dass durch Dumpinglöhne in den letzten Monaten mehrere 100 000 Franken eingespart worden seien. «Diese Differenz muss nun in aller Korrektheit an die Arbeiter zurückbezahlt werden», fordert Keller. Schweizer Arbeiter statt Polen Die Firma AB Brandschutz AG hat nach eigenen Angaben bloss drei eigene Mitarbeiter. Sie arbeite seit zwei Jahren auf der SBB-Baustelle mit zwei deutschen Subunternehmern zusammen. Wie die Firma gestern mitteilte, hat sie sich letzte Woche von den deutschen Partnern – und damit auch von den polnischen Arbeitern – getrennt. «Schweizer Unternehmen werden den Auftrag fertigstellen», heisst es in der Mitteilung. Die AB Brandschutz AG habe sich auf Dokumente der Arbeiter gestützt, «in welchen sowohl der polnische Staat als auch das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons die Selbstständigkeit der Arbeiter bestätigen». Die Winterthurer werfen der Unia vor, unkooperativ zu sein. «Sie sucht den Streit und nicht die Lösung.» Die Gewerkschaft habe gestern Gespräche platzen lassen, damit sie weiterhin «Stimmung gegenüber dem Baugewerbe und den SBB» machen könne. Die SBB sind sichtlich bemüht um eine Glättung der Wogen. Im Juni 2014 soll die Durchmesserlinie eröffnet werden. Damit verbunden sind Fahrplanverbesserungen für die halbe Schweiz. Laut Sprecher Daniele Pallecchi haben die SBB übers Wochenende alle 40 Subunternehmer der 2-Milliarden-Baustelle angeschrieben. «Alle Unternehmen haben bis am Montag, 14 Uhr, schriftlich zugesichert, dass sie die gesetzlich vorgeschriebenen Löhne und Arbeitsbedingungen exakt einhalten.»