Beratung und Begleitung bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch

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Beratung und Begleitung bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch
Beratung und Begleitung bipolar erkrankter Frauen
mit Kinderwunsch
Unterstützungsmöglichkeiten zur Förderung einer gelingenden Elternschaft
Counseling and guidance of women with bipolar disorder wishing to have children
Opportunities to support and promote successful parenthood
Masterarbeit
Zur Erlangung des akademischen Grades
Master of Arts in Social Sciences (MA)
der Fachhochschule FH Campus Wien
Vorgelegt von:
Isabel Weimer
Personenkennzeichen
1210534076
Erstbegutachter/in:
Mag. (FH) Josef Schörghofer
Zweitbegutachter/in:
FH-Prof. Mag. Dr. Johannes Vorlaufer
Eingereicht am:
17.10.2014
Erklärung:
Ich erkläre, dass die vorliegende Masterarbeit von mir selbst verfasst wurde und ich keine
anderen als die angeführten Behelfe verwendet bzw. mich auch sonst keiner unerlaubter
Hilfe bedient habe.
Ich versichere, dass ich diese Masterarbeit bisher weder im In- noch im Ausland (einer
Beurteilerin/einem Beurteiler zur Begutachtung) in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit
vorgelegt habe.
Weiters versichere ich, dass die von mir eingereichten Exemplare (ausgedruckt und elektronisch) identisch sind.
Datum: .................................
Unterschrift: ...............................................................
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei all den Menschen, die mich bei der Entstehung dieser Arbeit unterstützt haben bedanken. Mein ganz besonderer Dank gilt dabei meinen
Interviewpartnerinnen, die diese Arbeit durch ihre Bereitschaft, mir von ihren ganz persönlichen Lebenserfahrungen zu erzählen, erst ermöglicht haben. Ich danke ihnen allen für
ihre Offenheit und das mir entgegengebrachte Vertrauen. Ihre Erzählungen zum Kinderwunsch und der Elternschaft bilden die Basis dieser Arbeit. Neben der rein wissenschaftlichen Untersuchung stellte der Gesprächsaustausch für mich auch eine persönliche Bereicherung dar. Die Fähigkeiten der Frauen teilweise sehr schwierige Lebenssituationen zu
meistern hat mich tief beeindruckt und mir dabei geholfen mich im oft hektischen Alltag
auf die wesentlichen Dinge zurückzubesinnen.
Ebenso danke ich den ExpertInnen für ihre Interviewteilnahme und ihre damit verbundene
Bereitschaft mich an ihrer Expertise teilhaben zu lassen. Ihre Einschätzungen und die
fachliche Expertise stellen eine wichtige Ergänzung zu den Gesprächen mit den betroffenen Frauen dar.
Zudem danke ich Josef Schörghofer, dem Betreuer meiner Masterarbeit, für sein Interesse an der Thematik und seine vielfältigen Anregungen während des Entstehungsprozesses.
Meinen beiden Kommilitoninnen Ina und Bianca danke ich für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Kategorienbildung und Auswertung der Interviews, sowie ihre wertvollen
Tipps während des Schreibprozesses.
Dank gebührt auch meiner Familie, ohne die das Masterstudium nicht möglich gewesen
wäre, und meinem Vater für die sorgfältige Überprüfung der Arbeit hinsichtlich formaler
Kriterien.
Meinem Freund Martin danke ich für seine Korrekturen, sowie die vielen hilfreichen Anregungen, aber auch für seine emotionale Unterstützung.
i
Kurzfassung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Beratung und Begleitung bipolar erkrankter
Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankter Mütter. Anhand von Leitfragen wird untersucht mit welchen besonderen krankheitsbezogenen Herausforderungen bipolar erkrankte Frauen im Zeitraum von der Entstehung des Kinderwunsches bis zum dritten Lebensjahr des Kindes konfrontiert sind. Daneben wird der Fokus auf Faktoren gerichtet, die
bipolar erkrankte Frauen und Mütter darin fördern bzw. hindern, die mit der Elternschaft
verbundenen Herausforderungen zu bewältigen. Ziel ist es, durch die Zusammenführung
dieser Erkenntnisse die Forschungsfrage inwiefern Klinische Soziale Arbeit durch Unterstützungsmöglichkeiten zur Förderung einer gelingenden Elternschaft beitragen kann zu
beantworten und Implikationen für die Praxis abzuleiten.
Zur Bearbeitung des Forschungsgegenstandes wurden fünf episodische Interviews mit
bipolar erkrankten Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankten Müttern und drei
leitfadengestützte ExpertInneninterviews geführt, die themenanalytisch ausgewertet wurden.
Die Ergebnisse zeigen, dass bipolar erkrankte Frauen mit zahlreichen Herausforderungen
konfrontiert sind. Einerseits müssen die Frauen zwischen eigenen krankheitsbezogenen
Bedürfnissen und Bedürfnissen des (potentiellen) Kindes abwägen, da diese oftmals nur
schwer miteinander vereinbar scheinen. Zum anderen erschweren Stigmatisierungserfahrungen im gesellschaftlichen und professionellen Kontext die Inanspruchnahme von Hilfen. Ferner konnte offengelegt werden, dass die Beratung und Begleitung bipolar erkrankter Frauen auch für professionelle HelferInnen eine Herausforderung darstellt, wenn diese
zwischen dem Wohl der Mutter und dem Wohl des Kindes abwägen müssen.
Es wird ersichtlich, dass die derzeitige Versorgungssituation bipolar erkrankter Frauen mit
Kinderwunsch / mit Kind lückenhaft ist und die interprofessionelle Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen optimiert werden muss. Um Frauen bereits frühzeitig erreichen zu
können ist ein niedrigschwelliges Angebot und das Zurverfügungstellen einer kontinuierlichen Betreuung immens wichtig, genau wie der Einbezug der Partner und naher Angehöriger in die Versorgung. Klinische Soziale Arbeit weist durch ihre Gesundheitsperspektive
und ihre Ganzheits-, Querschnitts-, und Klinische Kompetenz Potenziale auf, die gewinnbringend in der Unterstützung von bipolar erkrankten Frauen mit Kinderwunsch, sowie
bipolar erkrankten Müttern eingesetzt werden können.
ii
Abstract
This article examines the support and counseling of women with bipolar disorder who are
mothers or desire to have children. Guided interviews are used to find out which specific
illness-related problems these women face. The examined time period ranges from when
the first wish to have children is expressed until the children of the women have reached
the age of three. At the same time there will be a focus on factors that especially help or
hinder women and mothers dealing with the challenges posed by parenthood. The article
aims at finding out how clinical social work can help bipolar women manage parenthood,
which support is needed and what the implications at the practical level are.
To examine the posed question five episodic interviews were conducted with woman with
bipolar disorder. Of the interviewed women some already were mothers whilst the others
had a strong desire to have children. Additionally three guided interviews were conducted
with experts. The interviews were explored with a thematic analysis.
The results show that woman with bipolar disorder are confronted with many challenges.
On the one hand they have to balance the needs of a (potential) child with their own illness-related needs. These needs often seem incompatible. On the other hand previous
stigmatization experiences in social and professional contexts let many women with bipolar disorder shy away from taking advantage of offered support measures. Furthermore it
could be shown that professional helpers counseling women with bipolar disorder face a
big challenge if they have to weigh up what is in interest of the child and what in the interest of the mother.
It becomes obvious that the current care situation is fragmented and that interprofessional cooperation of different disciplines is necessary and needs to be optimized.
To reach women already in an early stage a low-threshold support structure and the provision of continuous counseling is of utmost importance. At the same time partners and
next of kin need to be included. Clinical Social work has a great potential to support women with bipolar disorder desiring to have children as well as mothers with bipolar order as
its health centered, entirety and cross-sectional approach is of great advantage in this
situation.
iii
Abkürzungsverzeichnis
DIMDI
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information
DGBS
Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V.
DSM IV
Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders
Exp.
ExpertIn
ICD-10
International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, 10. Revision
IFSW
International Federation of Social Workers
IP
InterviewpartnerIn
KSA
Klinische Soziale Arbeit
WHO
World Health Organisation
iv
Schlüsselbegriffe
Bipolare Erkrankung
Beratung
Kinderwunsch
Elternschaft
Mutterschaft
v
Inhaltsverzeichnis
Danksagung ........................................................................................ i
Kurzfassung....................................................................................... ii
Abstract ............................................................................................. iii
Abkürzungsverzeichnis ................................................................... iv
Schlüsselbegriffe............................................................................... v
1. Einleitung ..................................................................................... 1
1.1
1.2
Relevanz der Thematik ................................................................................ 2
Forschungsziel und Aufbau der Arbeit ......................................................... 3
2. Das Krankheitsbild der bipolaren Störung ................................ 6
2.1
2.2
2.3
Diagnostische Kriterien der bipolaren affektiven Störung nach ICD-10 ....... 7
2.1.1
Symptome einer depressiven Episode ........................................................... 7
2.1.2
Symptome einer manischen Episode ............................................................. 8
2.1.3
Symptome einer gemischten Episode .......................................................... 10
2.1.4
Entgegengesetzte Episoden - die bipolare affektive Störung ........................ 10
Prävalenz ................................................................................................... 12
Geschlechtsspezifische Unterschiede ....................................................... 14
3. Kinderwunsch und Elternschaft bipolar erkrankter Frauen ... 15
3.1
3.2
3.3
3.4
Zum Begriff des Kinderwunsches .............................................................. 16
Bedeutung von Kinderwunsch und Elternschaft ........................................ 17
Erklärungsansätze zur Entstehung des Kinderwunsches .......................... 19
3.3.1
Ökonomische Erklärungsansätze reproduktiven Verhaltens ......................... 20
3.3.2
Reproduktives Verhalten unter dem Blickwinkel der Individualisierung ......... 21
Das Konzept der reproduktiven Kulturen ................................................... 22
3.4.1
Muster I: Der stabile Kinderwunsch als biografische Konstante .................... 22
3.4.2
Muster II: Die generalisierte Akzeptanz von Kindern .................................... 23
3.4.3
Muster III: Entwicklungs- und situationsabhängige Kinderwunschproduktion 24
3.5
Reproduktive Risiken im Kontext der bipolaren Erkrankung ...................... 26
3.6
Stigmatisierung bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch und bipolar
erkrankter Mütter .................................................................................................. 30
vi
4. Mögliche Auswirkungen einer bipolaren Erkrankung eines
Elternteils auf die Lebenssituation der Kinder .............................. 35
4.1
Bio-psycho-soziale Auswirkungen ............................................................. 36
4.1.1
Die biologische Ebene.................................................................................. 37
4.1.2
Die psychologische Ebene ........................................................................... 39
4.1.2.1
4.1.3
Auswirkungen unter dem Blickwinkel der Bindungstheorie ....................... 41
Die soziale Ebene ........................................................................................ 43
4.2
Faktoren zur Einschätzung des Belastungspotentials der Kinder bipolar
erkrankter Eltern ................................................................................................... 46
4.3
Fünf Kriterien zur Einschätzung der mütterlichen Kompetenz nach
Matakas ................................................................................................................ 48
4.4
Das Konzept von Resilienz und Vulnerabilität ........................................... 50
4.4.1
Definitionen .................................................................................................. 51
4.4.2
Kindzentrierte Resilienzfaktoren ................................................................... 52
4.4.3
Familienzentrierte Resilienzfaktoren ............................................................. 54
4.4.4
Umweltzentrierte Resilienzfaktoren .............................................................. 56
4.5
Krankheitserfahrung als Erziehungsressource & Entwicklung von
Potentialen ........................................................................................................... 57
5. Soziale Arbeit als Lebenskunst- und Menschenrechtsprofession: Die Förderung der gelingenden Elternschaft als
Aufgabe Klinischer Sozialer Arbeit? .............................................. 59
5.1
Ethische Herausforderungen ..................................................................... 63
6. Unterstützungsmöglichkeiten Klinischer Sozialer Arbeit ...... 66
6.1
6.2
Formen der psychosozialen Versorgung nach Ludewig ............................ 66
Klinisch-sozialarbeiterische Beratung und Behandlung ............................. 70
6.2.1
Definition klinisch-sozialarbeiterischer Beratung und Behandlung ................ 71
6.2.2 Bestimmung psychosozialer Beratung als Interventionsform der Klinischen
Sozialen Arbeit ........................................................................................................ 73
6.2.3 Die Gesundheitsorientierung Klinischer Sozialer Arbeit als Potential zur
Förderung einer gelingenden Elternschaft ............................................................... 74
7. Zwischenbetrachtung ............................................................... 76
7.1
7.2
Forschungsfeld .......................................................................................... 76
Formulierung der Forschungsfrage............................................................ 77
8. Der qualitativ empirische Zugang ............................................ 80
8.1
Zielgruppe .................................................................................................. 82
8.1.1
Zugang zum Untersuchungsfeld ................................................................... 83
8.1.2
Beschreibung der einbezogenen Fälle ......................................................... 85
vii
8.2
8.3
8.4
8.5
Datenerhebung .......................................................................................... 87
8.2.1
Das episodische Interview ............................................................................ 88
8.2.2
Das leitfadengestützte ExpertInneninterview ................................................ 90
Interviewdurchführung ............................................................................... 91
Transkription .............................................................................................. 92
Auswertungsmethode ................................................................................ 94
9. Darstellung der Ergebnisse und Interpretation ....................... 97
9.1
9.2
Bipolare Erkrankung .................................................................................. 97
9.1.1
Verlauf und Erleben der Erkrankung ............................................................ 98
9.1.2
Diagnose / Kenntnis der Erkrankung .......................................................... 100
9.1.3
Krankheitsbedingte Einschränkungen ........................................................ 101
Kinderwunsch .......................................................................................... 103
9.2.1
Entstehung ................................................................................................. 104
9.2.2
Ängste und Bedenken ................................................................................ 106
9.2.3
Prozess der Kinderwunscherfüllung ........................................................... 107
9.2.4
Thematisierung im medizinischen / psychiatrischen Kontext ...................... 108
9.3
Gesundheit bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch / bipolar
erkrankter Mütter ................................................................................................ 110
9.4
9.5
9.6
9.3.1
Reproduktive Risiken ................................................................................. 111
9.3.2
Salutogene und pathogene Faktoren ......................................................... 113
Gesundheit des Kindes ............................................................................ 117
9.4.1
Reproduktive Risiken ................................................................................. 117
9.4.2
Salutogene und pathogene Faktoren ......................................................... 118
Elternschaft mit bipolarer Erkrankung ...................................................... 120
9.5.1
Herausforderungen .................................................................................... 120
9.5.2
Bewältigungsstrategien .............................................................................. 122
9.5.3
Ressourcen ................................................................................................ 124
Unterstützungsmöglichkeiten ................................................................... 126
9.6.1
Wichtige Voraussetzungen ......................................................................... 126
9.6.2
Anlässe der Unterstützung ......................................................................... 128
9.6.3 Klinische Soziale Arbeit im Spannungsfeld zwischen dem Wohl des Kindes
und dem Wohl der Mutter ...................................................................................... 129
9.6.4
Weitere Schwierigkeiten im Zugang / der Versorgung ................................ 131
9.6.5
Formen der Unterstützung.......................................................................... 133
9.7
Versorgungssituation
und
gesellschaftlicher
Umgang
mit
der
Erkrankung ......................................................................................................... 137
9.7.1
Ist-Zustand der Versorgung ........................................................................ 137
9.7.2
Erforderliche Veränderungen ..................................................................... 139
viii
10. Der Kinderwunsch / die Elternschaft bipolar erkrankter
Frauen – ein Resümee .................................................................. 141
10.1
10.2
10.3
Hypothesenbildung .................................................................................. 142
Limitationen der Untersuchung ................................................................ 146
Ausblick ................................................................................................... 147
Literaturverzeichnis ...................................................................... 148
Abbildungsverzeichnis ................................................................. 157
ix
"Das Leben lässt sich nur mit dem Blick auf die Vergangenheit verstehen,
aber man muss es vorwärts gerichtet leben."
(Sören Kierkegaard)
x
1. Einleitung
Der Kinderwunsch und die Elternschaft sind für viele junge Menschen reproduktionsbiographische Themen von hoher subjektiver Bedeutung (vgl. Krumm et al.
2011: 23). Rohde und Schäfer betonen, dass der Wunsch nach einem eigenen
Kind bei kranken ebenso wie bei gesunden Frauen entsteht, und zwar quer durch
alle Diagnosegruppen (vgl. Rohde/Schaefer 2010: 6).
Nichtsdestotrotz waren die reproduktiven Möglichkeiten psychisch erkrankter
Frauen aufgrund eugenischer Motive lange Zeit stark eingeschränkt. Erst durch
die Mitte des letzten Jahrhunderts einsetzende reformpsychiatrische Bewegung
haben sich die biografischen Gestaltungsmöglichkeiten psychisch erkrankter Menschen erheblich erweitert. Damit verbunden war auch die Berücksichtigung ethischer Belange in der Behandlung psychisch erkrankter Menschen, sowie die Stärkung ihrer Rechte und der Wandel hin zu einer lösungsorientierten Sicht auf psychische Erkrankungen (vgl. Krumm 2010: 13). Dieser Wandel der Perspektive wird
auch durch Amerings und Schmolkes Recovery-Konzept zum Ausdruck gebracht,
in dem die Autorinnen das Stigma der Unheilbarkeit und Unbeeinflussbarkeit psychischer Erkrankungen zu überwinden versuchen (Amering/Schmolke 2012).
Folglich kann konstatiert werden, dass heute die Entscheidung psychisch erkrankter Menschen „für oder gegen ein Kind idealerweise in der alleinigen Verantwortung der betroffenen Personen [liegen sollte]“ (Krumm et al. 2010: 134). Bei genauerer Betrachtung wird jedoch augenscheinlich, dass der Kinderwunsch für
Frauen mit psychischer Erkrankung mit zahlreichen Herausforderungen verbunden ist. Zum einen geht mit sogenannten „Life-Events“ wie Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ein erhöhtes Rezidivrisiko für die Frauen einher. Ebenso ist
die Zeit nach der Geburt mit vielfältigen Herausforderungen verbunden – insbesondere wenn sich Frauen aufgrund ihrer Erkrankung und der damit verbundenen
Medikamenteneinnahme in ihrer Erziehungsfähigkeit beeinträchtigt sehen. Des
Weiteren ergeben sich durch eine mütterliche bipolare Erkrankung auch Risiken
für die psychosoziale und körperliche Entwicklung des (ungeborenen) Kindes.
Entsprechend konnten in Untersuchungen Dilemmata der Frauen in der Kinderwunschgestaltung sichtbar gemacht werden, die aus der Gegenüberstellung ihrer
1
eigenen krankheitsbedingten Bedürfnisse einerseits und den prospektiven Bedürfnissen eines (ungeborenen) Kindes andererseits hervorgehen. Erschwerend
kommen soziale Repräsentationen und gesellschaftliche Normen „guter Mutterschaft“ hinzu, die mit einer psychischen Erkrankung schwer vereinbar scheinen
und häufig zur Stigmatisierung psychisch erkrankter Frauen mit Kinderwunsch
bzw. psychisch erkrankter Mütter führen (vgl. Krumm et al. 2010: 134; Krumm et
al. 2011: 23).
1.1 Relevanz der Thematik
Die dargestellten Faktoren lassen erkennen, dass die Unterstützung und Gesundheitsförderung bipolar erkrankter Frauen (und ihrer Kinder) von großer Relevanz
ist um - auch präventiv - Risiken für die Mütter und ihre (ungeborenen) Kinder
möglichst gering zu halten. Nichtdestotrotz ist die Thematik des Kinderwunsches /
der Elternschaft in der psychiatrischen Forschung bislang nur unzureichend bzw.
einseitig repräsentiert:
In früheren Untersuchungen standen häufig die Möglichkeiten einer adäquaten
Schwangerschaftsverhütung bei psychischer Erkrankung im Vordergrund. Von
welch hoher subjektiver Bedeutung ein Kinderwunsch im Leben junger Menschen
mit psychischer Erkrankung sein kann, wurde hingegen bisher nur unzureichend
berücksichtigt. Insbesondere aus einer klinisch sozialarbeiterischen Perspektive
wird dabei ersichtlich, dass die bisherige Fokussierung der Risikofaktoren für Kinder psychisch erkrankter Eltern - im Sinne der Kindeswohlgefährdung - eine einseitige Betrachtungsweise darstellt und einer (auch) ressourcenorientierten Betrachtung von Elternschaft und Mutterschaft trotz bipolarer Erkrankung nicht gerecht wird (vgl. Krumm et al. 2010: 134).
Diese Arbeit versucht daher, problematische Aspekte der Mutterschaft bipolar erkrankter Frauen auch im Kontext mangelnder Unterstützungsangebote zu sehen
(vgl. Howard/Underdown 2011: 13) und nach Unterstützungsmöglichkeiten zu fragen. Dabei wird deutlich, dass die Kinderwunschthematik auch professionelle HelferInnen im psychiatrischen Handlungsfeld vor Herausforderungen stellt. Die Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Familienplanung, bilden zwar einen klar
definierten ethischen Bezugsrahmen für die Arbeit Klinischer SozialarbeiterInnen.
2
Jedoch bleiben ethische Herausforderungen im Umgang mit reproduktiven Aspekten bestehen:
„Balancing ethical tenets in psychiatric practice is often challenging. These challenges increase in complexity when clinicians must consider simultaneously the
needs of a pregnant woman or her fetus, a postpartum woman and her baby, or
a woman planning a pregnancy and her not-yet-conceived child“ (Miller 2009:
259).
Diese Schwierigkeiten bedingen sicher mit, dass die Beratung zum Kinderwunsch
bislang kaum Beachtung findet. Zwar rückten Kinder psychisch erkrankter Eltern in
den letzten Jahren mehr in den Fokus professioneller Hilfe und es wird versucht
zielgruppenspezifische Angebote zu schaffen. Jedoch ist ein frühzeitiges Beratung- und Beziehungsangebot, das besonders wichtig wäre, um Frauen im Idealfall bereits vor Eintritt der Schwangerschaft zu erreichen und informieren zu können, noch nicht Teil der regulären Versorgung.
1.2 Forschungsziel und Aufbau der Arbeit
Die mangelnde Beachtung der Thematik „Reproduktion und psychische Erkrankung“ bildet somit die Ausgangslage der Masterarbeit. Es soll in den Blick genommen werden, unter welchen Bedingungen Elternschaft durch Begleitung und
Beratung bipolar erkrankter Mütter mit Kinderwunsch gelingen kann. Innovationswert kommt der Arbeit dadurch zu, dass ein ressourcenorientierter Ansatz verfolgt
wird, d.h. nicht ausschließlich Gefährdungen, die mit einer Schwangerschaft / Elternschaft bipolar erkrankter Frauen einhergehen können, fokussiert werden. Zudem wird konzeptuell bereits bei der Beratung / Familienplanung vor Eintritt einer
Schwangerschaft angesetzt. Die Auseinandersetzung mit der Thematik im Rahmen dieser Masterarbeit ist daher von besonderer Relevanz, da sie sich mit einer
bisher nicht ausreichend thematisierten Forschungslücke beschäftigt.
Die Forschungsfrage lautet: „Inwiefern kann Klinische Soziale Arbeit durch Unterstützungsangebote zur Förderung einer gelingenden Elternschaft beitragen?“.
Konkretisiert wird die Forschungsfrage durch die Eingrenzung des Untersuchungszeitraumes. Dieser beschränkt sich auf die Zeitspanne vom Auftreten des
Kinderwunsches bis zum dritten Lebensjahr des Kindes.
3
Die Forschungsfrage soll anhand von erkenntnisleitenden Fragen untersucht werden: Zum einen soll analysiert werden mit welchen besonderen Herausforderungen bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankte Mütter im
Zeitraum vom Kinderwunsch bis zum dritten Lebensjahr des Kindes konfrontiert
sind. Zum anderen wird ein besonderes Augenmerk auf solche Faktoren gelegt,
die - aus Sicht betroffener Frauen aber auch aus Sicht professioneller HelferInnen
- als förderlich / hinderlich für die Umsetzung einer gelingenden Elternschaft eingeschätzt werden.
Anhand dieser Erkenntnisse sollen Ableitungen für die Praxis klinischer Sozialer
Arbeit getroffen werden. Dazu wurden fünf episodische Interviews mit bipolar erkrankten Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankten Müttern geführt, die
themenanalytisch ausgewertet wurden. Des Weiteren fließen die Ergebnisse von
drei weiteren leitfadengestützten ExpertInneninterviews, die ebenfalls themenanalytisch ausgewertet wurden, in die Untersuchung mit ein.
Zur Bearbeitung der Forschungsfrage wird wie folgt vorgegangen:
Zunächst wird im zweiten Kapitel das Krankheitsbild der bipolaren Störung erläutert. Dadurch wird auch gezeigt welche Auswirkungen eine bipolare Erkrankung
auf die Lebenssituation der Betroffenen hat. Diese Auswirkungen werden anschließend im dritten Kapitel mit dem Kinderwunsch in Verbindung gebracht. Dabei wird analysiert inwiefern die spezifischen Lebensbedingungen bipolar erkrankter Frauen Einfluss auf deren Kinderwunsch nehmen und mit welchen Herausforderungen und Risiken eine Schwangerschaft / Elternschaft verbunden sein kann.
In diesem Kontext wird auch auf die subjektive Bedeutung des Kinderwunsches
eingegangen und es werden gesellschaftliche Repräsentationen von „guter Mutterschaft“ kritisch reflektiert. Ziel ist eine Sensibilisierung professioneller HelferInnen. Im vierten Kapitel werden anhand des bio-psycho-sozialen Modells mögliche
Auswirkungen einer bipolaren Erkrankung eines Elternteils auf die Lebenssituation
der Kinder diskutiert. Um Ableitungen für Förderungsmöglichkeiten treffen zu können wird zudem danach gefragt, wie ein Gleichgewicht zwischen Vulnerabilitätsund Resilienzfaktoren der Kinder hergestellt werden kann. Kapitel fünft zeigt auf,
warum die Förderung einer gelingenden Elternschaft Aufgabe Klinischer Sozialer
4
Arbeit sein muss, wenn diese sich als Menschenrechts- und Lebenskunstprofession versteht. Daran anschließend wird in Kapitel sechs geklärt, in welcher Form
Klinische Soziale Arbeit Unterstützungsmöglichkeiten zur Förderung einer gelingenden Elternschaft leisten kann. Zudem wird auf die Potentiale und Kompetenzen Klinischer Sozialer Arbeit verwiesen, welche sie für die Arbeit mit mehrfach
belasteten und schwer zu erreichenden KlientInnen, wie der Zielgruppe dieser Arbeit, qualifizieren.
Es folgt eine Zwischenbetrachtung, in der die bis dahin gewonnenen theoretischen
Erkenntnisse in einem Modell zusammengeführt werden, bevor in Kapitel acht der
Arbeit die qualitativ-empirische Vorgehensweise erläutert wird. Daran anschließend erfolgt die Darstellung der Ergebnisse und deren Interpretation.
Das letzte Kapitel liefert eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse und
Implikationen für Wissenschaft und Praxis.
5
2. Das Krankheitsbild der bipolaren Störung
Im folgenden Kapitel soll zunächst das Krankheitsbild der bipolaren Störung erläutert werden. Dies soll zum einen zur Klärung der Symptomatik und dem Erkennen
von Krankheitsanzeichen dienen. Zum anderen soll gezeigt werden, welche Auswirkungen eine bipolare Erkrankung auf die Lebenssituation Betroffener hat. Die
Erläuterung des Krankheitsbildes erfolgt zu Beginn dieser Arbeit, um anschließend
in den Blick nehmen zu können, mit welchen reproduktiven Risiken eine Schwangerschaft/Elternschaft bei bipolar erkrankten Frauen einhergehen kann. Da psychische Erkrankungen Familienerkrankungen sind und die Erkrankung eines Mitglieds sich stets auf das gesamte System Familie, seine innerfamiliären Beziehungen und die Lebenssituation jedes/jeder Einzelnen auswirkt, darf auch die Lebenssituation der Kinder nicht aus dem Fokus der Untersuchung geraten (vgl.
Schone/Wagenblass 2002: 11). Die nun folgende Charakterisierung des Krankheitsbildes der bipolaren Störung stellt somit die Basis dar, um im weiteren Verlauf
dieser Arbeit mögliche Auswirkungen einer bipolaren Erkrankung eines Elternteils
auf die Lebenssituation der Kinder diskutieren zu können.
Die bipolare Erkrankung ist der Gruppe der affektiven Störungen zuzuordnen und
bezieht sich auf krankhafte Veränderungen des Gefühlslebens und der Stimmung.
Durch die Veränderungen des Gefühlslebens und der Stimmung bipolar erkrankter
Menschen nimmt die Erkrankung auch Einfluss auf das Verhalten, d.h. die Motivation, die Initiative und die motorische Aktivität, sowie auf das Denken. Charakteristikum der bipolaren Erkrankung ist ein in Phasen verlaufender Wechsel von manischen und depressiven, sowie teilweise auch gemischten Episoden, welche durch
ein unterschiedlich lang andauerndes, meist symptomfreies Intervall voneinander
abgegrenzt sind. Bipolar meint somit, dass im Laufe der Erkrankung beide Pole,
nämlich sowohl manische als auch depressive Phasen, auftreten. Auch die ältere
Bezeichnung der „manisch depressiven Krankheit“ bezieht sich auf das Schwanken des Krankheitsverlaufes zwischen den Polen Manie und Depression (vgl.
Bräunig et al. 2005: 14; Simhandl/Mitterwachauer 2007: 25ff.).
6
2.1 Diagnostische Kriterien der bipolaren affektiven Störung nach
ICD-10
Zur Klassifikation und Diagnostik psychischer Störungen wird im europäischen
Raum die ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und
verwandter Gesundheitsprobleme) in der 10. Revision herangezogen. Dieses im
Jahre 1991 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebene Diagnosesystem verfolgt das Ziel Krankheitsbilder für die Diagnostik möglichst präzise
zu beschreiben.
Nachfolgend soll die Symptomatik depressiver, manischer und gemischter Episoden beschrieben werden, welche im Verlauf der bipolaren Erkrankung auftreten
können. Ergänzend wird auf die diagnostischen Kriterien der bipolaren affektiven
Störung nach ICD-10 eingegangen, um zu erläutern, wodurch das vielgestaltige
Bild der bipolaren Erkrankung gekennzeichnet ist und welche Kriterien erfüllt sein
müssen, damit eine bipolare affektive Erkrankung – in Abgrenzung zur unipolaren
affektiven Erkrankung, mit rein depressiven bzw. manischen Episoden, – diagnostiziert werden kann.1
2.1.1 Symptome einer depressiven Episode
Eine depressive Episode wird durch eine Vielzahl an heterogenen Symptomen auf
psychischer, körperlicher und vegetativer Ebene gekennzeichnet. Zur Abgrenzung
von normalen Reaktionen und krankhaften Störungen, wurde als formales Kriterium festgelegt, dass die Symptome mindestens von zweiwöchiger Dauer sein
müssen. Zudem wird niedergedrückten Gefühlszuständen erst dann ein Krankheitswert beigemessen, wenn ein bestimmter Ausprägungsgrad erreicht wird (vgl.
Assion 2006: 59). Laut Bräunig et al. geht eine Depression mit niedergedrückter
Stimmung, Motivations- und Freudlosigkeit, sowie Hemmung der Gefühle, des
Denkens und des Verhaltens einher. Im ICD-10 werden zudem weitere Sympto-
1
Die vollständige Kategorisierung der depressiven Episode (F30), der bipolaren affektiven Störung (F31) und
der manischen Episode (F32) nach ICD-10-GM Version 2014 ist über http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd10-gm/kodesuche/onlinefassungen/htmlgm2014/block-f30-f39.htm (22.07.14) abrufbar.
7
me, wie etwa eine ausgeprägte Müdigkeit, angeführt. Daneben ist der Schlaf meist
gestört und der Appetit vermindert. Auch das Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind in depressiven Episoden fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten
Form kennzeichnen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit das
Krankheitsbild (vgl. Bräunig et al. 2005: 15f.; DIMDI 2014).
„Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht
auf Lebensumstände und kann von so genannten "somatischen" Symptomen
begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen,
Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust,
Gewichtsverlust und Libidoverlust“ (DIMDI 2014).
Eine depressive Episode wird in Abhängigkeit von der Anzahl und dem Schweregrad der Symptome als leicht, mittelgradig oder schwer klassifiziert.
Leiden Betroffene unter schweren depressiven Episoden sind sie häufig nicht
mehr in der Lage den Aufgaben des täglichen Lebens und den Anforderungen des
Umfelds gerecht zu werden. Teilweise ist es ihnen über längere Zeiträume nicht
möglich das Bett zu verlassen und „ermutigende Worte von Angehörigen erreichen die Betroffenen kaum noch. Sie haben selbst die Hoffnung verloren, dass
dieser Zustand sich jemals wieder verändern wird“ (Bräunig et al. 2005: 16). Depressive Symptome können folglich zu einer erheblichen emotionalen, sozialen
und beruflichen Beeinträchtigung führen (vgl. Bräunig et al. 2005: 15f.; Assion
2006: 59) und stellen für das gesamte Familiensystem eine besondere Herausforderung dar.
Eine einzelne depressive Episode wird in der ICD-10 unter der Kategorie F32 eingeordnet.
2.1.2 Symptome einer manischen Episode
Den Gegenpol zu einer depressiven Episode bildet die manische Episode: „Die
Manie ist durch eine Konstellation typischer Symptome auf der Kognitions-, Emotions-, Wahrnehmungs- und Verhaltensebene gekennzeichnet“ (Assion 2006: 61).
In der ICD-10 werden unter der Kategorie manische Episode (F30) die Manie ohne psychotische Symptome (F30.1), die Manie mit psychotischen Symptomen
(F30.2), sowie die Hypomanie (F.30.0) eingeordnet. Diese sollen nachfolgend erläutert werden:
8
Die Manie ohne psychotische Symptome ist durch eine für die Betroffenen
deutlich abnorm gesteigerte, expansive und gereizte Stimmung gekennzeichnet,
die mindestens eine Woche anhält. Während sich die Betroffenen zu Beginn meist
wohl, glücklich und heiter fühlen verändert sich die Gefühlslage im Verlauf dann
hin zu einer euphorischen, erregten bis gereizten Stimmung.
„Den graduellen Stimmungswechsel von normaler zu krankhafter Gestimmtheit
vermag der Betroffene zunächst gar nicht richtig wahrzunehmen, sondern wird
eher von engen Bezugspersonen darauf aufmerksam gemacht“ (Assion 2006:
61).
Weitere Symptome der Manie sind ein gesteigerter Antrieb, eine innere Getriebenheit und ein beschleunigtes Denken, welches häufig in Verbindung mit Ideenflucht, Gedankenrasen und einem gesteigerten Rededrang auftritt. In einer akut
manischen Phase sind die Betroffenen häufig leicht ablenkbar, sodass es zu Störungen des Denkens kommen kann, wenn immer neue Einfälle ein zielgerichtetes,
logisches Denken nicht mehr ermöglichen. Die Betroffenen leiden unter innerer
Unruhe und verspüren ein subjektiv vermindertes Schlafbedürfnis. Ebenso zählen
eine gesteigerte Libido und sexuelle Taktlosigkeit zu den möglichen Symptomen.
Daneben können der Verlust normaler sozialer Hemmungen und eine erhöhte
Selbsteinschätzung bzw. ein empfundenes Allmachtsgefühl schwere Störungen
der persönlichen Lebensführung verursachen. In einer manischen Episode sind
die Symptome so weitreichend, dass die berufliche und soziale „Funktionsfähigkeit“ zeitweise gestört oder teilweise sogar massiv beeinträchtigt ist (vgl. Lemke
2004: 39; Simhandl/Mitterwachauer 2007: 22ff.; Bräunig et al. 2005: 14f.; DIMDI
2014).
„Die betroffenen Menschen merken nicht, dass sie einen beschleunigten Gedankengang, viele gute Ideen haben, dass ihre Aufmerksamkeit beeinträchtigt oder
ihre Arbeitsleistung deutlich vermindert ist. Übertriebener Optimismus, Abenteuerlust, Extravaganz und erhöhte Risikobereitschaft in Verbindung mit Reizbarkeit
und Feinfühligkeit machen es Menschen in der näheren Umgebung nicht leicht,
mit den Betroffenen die Situation zu besprechen. Besorgte Eltern oder Partner
werden
oftmals
als
behindernd
und
einschränkend
erlebt“
(Simhandl/Mitterwachauer 2007: 23f.).
Neben der beschriebenen Manie ohne psychotische Symptome fällt in der ICD-10
auch die Manie mit psychotischen Symptomen unter die Kategorie der manischen Episode. Bei der Manie mit psychotischen Symptomen treten neben den
bereits beschriebenen Symptomen auch Wahnideen und Halluzinationen auf; am
9
häufigsten sind dabei Größen-, Liebes-, Beziehungs- und Verfolgungswahn (vgl.
DIMDI 2014; Simhandl/Mitterwachauer 2007: 22ff.).
Handelt es sich um leichtere Verlaufsformen der Manie, bei denen Hochphasen
schwächer ausgeprägt sind, werden diese nach ICD-10 als Hypomanie bezeichnet. Im Unterschied zu einer akuten Manie geht eine Hypomanie mit weniger gravierenden psychosozialen Einschränkungen einher und es treten keine psychotischen Symptome auf (vgl. Lemke 2004: 39; Assion 2006: 64). Betroffenen gelingt
es ihre Rolle in Beruf und Familie weiterhin zu erfüllen. Obwohl Betroffene euphorisch gestimmt, ihr Verhalten enthemmt und ihr Selbstwertgefühl und Schlafbedürfnis herabgesetzt sind, bleibt die Ausprägung der Symptome in einem Rahmen,
der es den Betroffenen möglich macht, nach außen hin - zum Teil sehr erfolgreich
- zu funktionieren (Bräunig et al. 2005: 14f.).
2.1.3 Symptome einer gemischten Episode
Neben depressiven und manischen Episoden können auch gemischte Episoden
im Krankheitsverlauf auftreten: Unter einer gemischten Episode versteht man das
gleichzeitige Auftreten oder einen raschen Wechsel von manischen und depressiven Symptomen (vgl. DIMDI 2014). Betroffene sind sowohl erregt und getrieben,
fühlen sich aber auch mutlos und deprimiert. Da die gesteigerte Aktivität mit einer
depressiven Stimmung einhergeht ist in gemischten Episoden das Suizidrisiko
besonders hoch (vgl. DGBS 2011: 4).
2.1.4 Entgegengesetzte Episoden - die bipolare affektive Störung
Das Krankheitsbild der bipolaren affektiven Störung weist zwar depressive und
manische Symptome auf, wird aber diagnostisch durch den Wechsel von Episoden mit entgegengesetzter oder gemischter Stimmung von rein depressiven und
rein manischen Episoden (unipolare affektive Erkrankung) abgegrenzt. Einzelne
Krankheitsepisoden können zudem durch eine Remission, in der die Krankheitssymptome nachlassen, das sogenannte freie Intervall, voneinander getrennt sein.
10
Abb. 1: Phasen der bipolaren Erkrankung
Bezogen auf die Kategorisierung nach ICD-10 bedeutet dies, dass eine einzelne
Episode der Manie oder Hypomanie mit F30 (manische Episode) kodiert wird.
Kommt es zu einem wiederholten Auftreten einer manischen/ hypomanischen Episode ändert sich die ICD-10-Nummer auf F31, d.h. ab der zweiten Episode der
Manie oder Hypomanie wird das Krankheitsgeschehen als bipolare affektive Störung (F31) eingeordnet.
Tritt erstmals eine depressive Episode auf wird diese nach ICD-10 unter F32 eingeordnet. Kommt es zu einem Wiederauftreten der depressiven Symptome wird
die ICD-10-Nummer auf F33 (rezidivierende depressive Störung) geändert. Erst
ab dem Moment, wenn eine manische Episode zum Krankheitsgeschehen hinzukommt (oder sich bereits in der Vergangenheit ereignet hat) sind die ICD-10Kriterien erfüllt, um eine bipolare affektive Störung (F31) zu diagnostizieren
(Simhandl/Mitterwachauer 2007: 26; DIMDI 2014).
Abb. 2: Einteilung affektiver Störungen nach ICD-10
11
Zur Kategorisierung einer bipolaren affektiven Störung nach ICD-10 soll angemerkt werden, dass insbesondere der Psychiatriebereich von vielen Sichtweisen
und Meinungen beherrscht wird. Daher war mit der Herausgabe der ICD-10 die
Intention verbunden eine rein beschreibende nicht theoriegeleitete Diagnostik zu
ermöglichen. Eine Kategorisierung von Krankheitsbildern ist für die Forschung,
Verwaltung und Kommunikation professioneller Helfer durchaus wichtig, kann aber
die Vielfalt und Realität der Krankheitsbilder manchmal nur ungenau erfassen.
„Bei den Bemühungen einer modernen Diagnostik geht es zwar immer um eine
möglichst präzise Beschreibung eines Krankheitsbildes, die Tendenz der Medizin,
Menschen
in
Kategorien
einzuteilen,
bleibt
jedoch
erhalten“
(Simhandl/Mitterwachauer 2007:16). Nichtsdestotrotz steht eine wertschätzende
Anteilnahme und das Erfassen von Beweggründen eines Menschen nicht im Gegensatz zu einer ICD-10-Diagnostik (vgl. ebd.: 16).
2.2 Prävalenz
Da die bipolare Erkrankung in Form von vielfältigen Erscheinungsbildern mit unterschiedlich starken Symptomen auftreten kann wurden durch verschiedene Autoren, wie Akiskal, genauere Einteilungen mit Untergruppierungen der bipolaren
Erkrankung entwickelt, um das Krankheitsgeschehen differenzierter beschreiben
zu können:
Krankheitsverläufe der bipolaren Erkrankung, die das Vollbild einer Manie im
Wechsel mit mittelschweren und schweren depressiven Episoden aufweisen, werden als Bipolar I-Verlauf bezeichnet. Die Lebenszeitprävalenz dieser Form der
bipolaren Erkrankungen, bei denen Betroffene das Vollbild einer Depression und
Manie entwickeln liegt in der österreichischen Allgemeinbevölkerung bei 0,5 bis 2
Prozent. Folglich sind in Österreich zwischen 40.000 und 160.000 Menschen an
einer bipolaren Störung der Typs I erkrankt (zur Anzahl der Eltern siehe Kapitel 3).
Weisen Personen in ihrem Krankheitsverlauf hingegen schwächer ausgeprägte
manische Symptome (Hypomanie) und depressive Episoden auf, spricht man von
einem Bipolar II-Verlauf. Von dieser Form der bipolaren Erkrankung sind in Österreich weitere fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung betroffen (vgl. Simhandl 2013:
12
26).2 Nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V.
sind in der Bundesrepublik Deutschland 1,5-5% der Bevölkerung von einer bipolaren Erkrankung betroffen. Auch die von Bräunig et al. angegebene Zahl von mindestens zwei Millionen Betroffenen in Deutschland stimmt mit dieser Angabe
überein (vgl. DGBS 2011: 1; Bräunig et al. 2005: 11). Weltweit leiden nach Angaben der Bipolar Foundation 254 Millionen Menschen unter einer bipolaren Erkrankung (vgl. The Bipolar Foundation 2014). Bei diesen Zahlen wird nicht zwischen
unterschiedlichen Verläufen der bipolaren Erkrankung unterschieden.
Auffällig ist jedoch, dass nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Bipolare
Störungen nur etwa 10-15% der Betroffenen eine ihrer Krankheit entsprechende
Behandlung erhalten (vgl. DGBS 2011: 1). Ebenso ergab eine aktuelle Befragung
aus den USA, dass es im Durchschnitt fünf Jahre dauert bis eine bipolare Erkrankung als solche richtig diagnostiziert wird. Diese lange Phase ohne entsprechende
Diagnose wirkt sich oftmals sehr belastend auf die Lebenssituation der Betroffenen aus (vgl. Simhandl 2013: 27). In Hinblick auf die Reproduktion erkrankter
Menschen erscheint die späte Diagnosestellung insbesondere dahingehend problematisch, dass in vielen Fällen während der Schwangerschaft/Elternschaft bereits
Krankheitssymptome auftreten, jedoch aufgrund der fehlenden Diagnose und dem
mangelnden Wissen um die Erkrankung keine Unterstützungsangebote in Anspruch genommen werden bzw. bereit gestellt werden.
Betrachtet man auch die Entwicklung der Anzahl der diagnostizierten affektiven
Erkrankungen, so zeigt eine in den USA durchgeführte Studie, dass sich im Zeitraum zwischen 1975 und 1999 die Zahl der diagnostizierten affektiven Störungen
in der psychiatrischen Versorgung verdreifachte. Auffällig ist dabei, dass gleichzeitig die Zahl der diagnostizierten „Schizophrenien“ um denselben Faktor zurückging. Als Gründe für diese Verschiebung werden zum einen engere diagnostische
Schizophreniekriterien im DSM-IV3 angeführt, welche die Häufigkeit der Diagnose
„Schizophrenie“
herabsetzten.
Zum
anderen
ist
naheliegend,
dass
niedrigschwelligere Versorgungsstrukturen für Menschen mit affektiven Erkran2
Für weiterführende Informationen zu den verschiedenen Verlaufsformen der bipolaren Erkrankung siehe
auch: Simhandl/Mitterwachauer 2007: Depression und Manie. Erkennen und erfolgreich behandeln, 30-34.;
Akiskal 2005: Bipolarity is Clinically Expressed as a Spectrum Pro & Con. International Journal of Bipolar
disorder (IV): 3-5.
3
Das DSM-IV ist das gängige Diagnosesystem der amerikanischen Psychiatrievereinigung, welches in fast
allen englischsprachigen Ländern Verwendung findet und in der Forschung von Relevanz ist.
13
kungen ebenso mit der zunehmenden Zahl diagnostizierter affektiver Störungen in
Zusammenhang stehen (vgl. Shean: 2003: 751 ff.; Brieger 2007: 673). Wenngleich
im deutschsprachigen Raum nicht das DSM-IV sondern die ICD-10 zur Diagnostik
herangezogen wird, ist anzunehmen, dass auch im deutschsprachigen Raum die
Veränderung hin zur gemeindenahen psychiatrischen Versorgung und die Weiterentwicklung der Diagnosesysteme Einfluss auf die Zahl der diagnostizierten affektiven Erkrankungen hatten.
2.3 Geschlechtsspezifische Unterschiede
Bezüglich Symptomatik, Verlauf, Häufigkeit und Therapie einer bipolaren Erkrankung sind bei Frauen und Männern nur wenige geschlechtsspezifische Unterschiede bekannt – im Gegenteil zur unipolaren Depression, unter der vermehrt
Frauen leiden. Geschlechtsspezifische Unterschiede konnten jedoch dahingehend
beobachtet werden, dass Frauen häufiger unter gemischten Episoden leiden und
ein Rapid Cycling entwickeln (d.h. sie erleiden häufiger vier und mehr Krankheitsphasen innerhalb von zwölf Monaten) und Männer häufiger an reinen Manien erkranken. Zudem finden sich bei Frauen häufiger „life-events“ vor Krankheitsepisoden. Dies ist bei Frauen insbesondere in Hinblick auf Schwangerschaft und die
Geburt eines Kindes von besonderer Relevanz, welche mit zusätzlichen Umstellungen durch hormonelle Veränderungen einhergehen (vgl. Bräunig et al. 2005:
25; Rohde 2006: 202). Führt man sich vor Augen, dass bipolare affektive Störungen meist um das 20. bis 30. Lebensjahr erstmals auftreten4, (vgl. Simhandl 2013:
28)
wird
augenscheinlich,
dass
der
Erkrankungsbeginn
bei
steigendem
Erstgebärendenalter häufig der Familienplanung bzw. Umsetzung des Kinderwunsches zuvorkommt. Daher soll, nachdem nun das Krankheitsbild der bipolaren
Störung beschrieben wurde, im nächsten Kapitel genauer betrachtet werden wie
die spezifischen Lebensbedingungen bipolar erkrankter Frauen Einfluss auf deren
Kinderwunsch und Reproduktion nehmen.
4
Deutliche Abweichungen von diesem Altersdurchschnitt sind möglich (vgl. Simhandl 2013: 28).
14
3. Kinderwunsch und Elternschaft bipolar erkrankter Frauen
„Der Wunsch nach einem eigenen Kind entsteht bei psychisch kranken ebenso
wie bei gesunden Frauen, und zwar quer durch alle Diagnosegruppen“ (Rohde/Schaefer 2010: 6). Jedoch gibt es nur wenige Studien zum reproduktiven Verhalten von psychisch erkrankten Menschen. Die wenigen vorliegenden Befunde
beziehen sich meist auf die Gruppe der schizophrenen Erkrankungen. Es liegen
kaum Zahlen vor, wie viele bipolar erkrankte Menschen auch Eltern sind, da der
Familienstand und die Anzahl der Kinder meist nur als Nebenbefund von Studien
mit
anderem
Fokus
erfasst
werden.
Zahlen
zweier
repräsentativ-
epidemiologischer Studien in Großbritannien und Australien zufolge sind etwa
60% der Frauen und ein Viertel der Männer, die an einer psychischen Erkrankung
leiden auch Eltern (vgl. Howard/Underdown 2011: 8). Eine Studie von Grube und
Dorn zur Elternschaft bei psychisch kranken
Menschen beschreibt die
Elternschaftsrate bei affektiv Erkrankten mit 69,4 %, wobei auch hier Unterschiede
zwischen den Geschlechtern beobachtet wurden. Entsprechend waren 41,2% der
affektiv erkrankten Frauen der Stichprobe auch Mütter aber nur 28,2% der affektiv
erkrankten Männer Väter (vgl. Grube/Dorn 2007: 68). Wenngleich nur wenige konkrete Zahlen vorliegen, so ist zumindest bekannt, dass Personen mir affektiven
und schizoaffektiven Störungen häufiger verheiratet sind als Personen mit schizophrener Erkrankung und ihre Fertilität ebenfalls weniger stark reduziert ist (vgl.
Rohde/Schaefer 2010: 1).
Aufgrund der beschränkten Datenlage wird im nächsten Kapitel folgende Vorgehensweise gewählt: Zunächst soll in den Blick genommen werden von welcher
Bedeutung ein Kinderwunsch / die Elternschaft für Frauen und Paare sein kann
und welche individuellen und überindividuellen Faktoren Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen ein Kind nehmen. Nach dieser übergreifenden Betrachtung
des Kinderwunsches / der Elternschaft, als zentrales Lebensthema vieler junger
Menschen, soll dann darauf eingegangen werden inwiefern die spezifischen Lebensbedingungen bipolar erkrankter Frauen Einfluss auf deren Kinderwunsch
nehmen und mit welchen Herausforderungen und Risiken eine Schwangerschaft /
Elternschaft verbunden sein kann.
15
Die Auseinandersetzung mit diesen Inhalten, soll zum einen zum Verständnis und
der Anerkennung beitragen, von welch hoher subjektiver Bedeutung ein Kinderwunsch in der Biografie vieler psychisch erkrankter Frauen ist. Zudem ist eine
fachliche Expertise helfender Professionen bezüglich der Herausforderungen und
reproduktiven Risiken bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch / Kind unumgänglich, um einer bedürfnisorientierten Beratung und Begleitung gerecht werden
zu können. Nicht zuletzt ist eine Sensibilisierung professioneller HelferInnen hinsichtlich der Elternschaft im psychiatrischen Kontext zentral, um möglicherweise
bereits verinnerlichte gesellschaftliche Repräsentationen und Stereotype zu hinterfragen und somit einer Stigmatisierung psychisch erkrankter Frauen mit Kinderwunsch bzw. psychisch kranker Mütter im professionellen Umfeld entgegenzuwirken.
Wenngleich diese Arbeit versucht, anhand einer ressourcenorientierten Perspektive zu untersuchen, wie Mutterschaft / Elternschaft mit psychischer Erkrankung
gelingen kann, ist es dennoch unumgänglich sich auch vor Augen zu führen, welche Risiken mit der Erkrankung einhergehen können. Denn nur unter Kenntnis
dieser Expertise können angemessene Hilfs- und Unterstützungsangebote entwickelt und bereit gestellt werden, die tatsächlich auf die Anforderungen und Bedürfnisse bipolar erkrankter Frauen und ihrer Kinder abgestimmt sind.
3.1 Zum Begriff des Kinderwunsches
Der Kinderwunsch kann pointiert als das Bedürfnis eigene Kinder zu haben definiert werden (vgl. Duden 2014). Nichtsdestotrotz zeigt sich bei einer tiefergehenden Betrachtung der Thematik, dass der Kinderwunsch ein höchst vielschichtiges
Phänomen ist, zu dem vielfältige Befunde vorliegen: „Sie [die Befunde] reichen
von demografischen Daten zur gewünschten und realisierten Kinderzahl über Untersuchungen zu Normen und Werten bis hin zur Erfassung überindividueller Einstellungen zu Kinderwunsch und Elternschaft. (Krumm 2010: 25). Da ein Kinderwunsch im Lebenslauf nicht unbedingt stabil ist und verschiedene Aspekte des
Kinderwunsches, wie die gewünschte und die tatsächlich umgesetzte Kinderzahl,
häufig nicht deckungsgleich sind ist der Kinderwunsch methodisch schwer greifbar. Ferner bestehen verschiedene Konstruktionen - vom psychologischen Kin16
derwunsch hin zu gesellschaftlichen Normen, die sich teils konträr gegenüberstehen und den Kinderwunsch zu einem sehr komplexen Thema werden lassen (vgl.
Helfferich 2001: 171f.). Der Begriff des Kinderwunsches stellt daher durchaus ein
heterogenes Feld dar, welches im Rahmen einer wissenschaftlichen Betrachtung
vereindeutigt und definiert werden muss. Die Abhandlungen zum Kinderwunsch
sind folglich als wissenschaftliches Konstrukt zu verstehen. Diese Überlegung ist
insbesondere deshalb relevant, da sie auf ein methodisches Dilemma hinweist
und die Frage aufwirft „wie empirisch, d.h. von einer fragenden Position gegenüber der realen Welt aus, mit einem Begriff umzugehen ist, der selbst ein wissenschaftliches Produkt ist“ (Engelhardt 2000:56).
Hinzu kommt, dass das Thema Kinderwunsch weniger isoliert zu betrachten ist,
sondern vielmehr in einem größeren Zusammenhang steht. Beim Kinderwunsch
ist nicht die präzise Vorstellung von einem Kind ausschlaggebend, sondern der
Kinderwunsch ist innerhalb eines gesamten Lebensentwurfes verankert. Bei ihren
Untersuchungen zur Intentionalität des Kinderwunsches im Rahmen der Studie
„Familienplanung und Lebensläufe von Frauen“ fand Engelhardt heraus, dass
Frauen das Thema „eigene Kinder“ fast nie isoliert ansprachen. Vielmehr wurde
dem Begriff der eigenen Kinder / des Kinderwunsches eine weitreichendere Bedeutung zugemessen, indem dieser synonym für das gesamtbiografische Großprojekt „Familie“ verwendet wurde (vgl. ebd.: 56).
„Wünsche nach Kindern beziehen sich dann nicht präzise auf konkrete Vorstellungen von einem Kind, sondern symbolisieren einen ganzen Lebensentwurf.
Diese gesamtbiografische Einbettung der Kinderthematik ist so gut wie allen
Frauen gemein“ (ebd.: 56).
3.2 Bedeutung von Kinderwunsch und Elternschaft
Die jeweiligen Bedeutungen, welche Frauen der Kinderthematik innerhalb ihres
Lebensentwurfes beimessen, sind jedoch unterschiedlich, wie Engelhardt in qualitativen Interviews herausfand: Für einige Frauen steht die Gemeinsamkeit mit dem
Partner im Vordergrund. Andere verbinden mit der Einbettung des Kinderwunsches in den Lebensentwurf Vorstellungen von Geborgenheit und stabilen emotionalen Beziehungen. Ebenso können Motive des persönlichen Selbstverständnisses, wie etwa der Wunsch, Verantwortung zu übernehmen, relevant sein. Nicht
17
zuletzt finden sich auch „utopische Überschüsse an positiv phantasierten Lebenswelten, wie eine Frau selbst lachend zum Ausdruck brachte ‚Ich wollte ja eigentlich
schon immer ein Haus, Hühner, vielleicht zwei, drei Schafe, vier, fünf Kinder
(lacht)’“ (ebd.: 56).
Für Frauen mit psychischer Erkrankung kann die Kinderthematik zudem auch dadurch von hoher subjektiver Bedeutung sein, dass der Kinderwunsch einen nach
außen hin sichtbaren Beleg der „Normalität“ darstellt - vorausgesetzt die Mutterschaft ist in das Konzept der „Normalbiografie“ erkrankter Frauen eingebettet. „Ich
will ein ganz gewöhnliches einfaches Leben (…) Von dem her, ja, ein Kind wäre
schon ein Wunsch (Int. 17)“ (Krumm et al. 2010: 136). Daneben stellt die Kompensation negativer Kindheitserfahrungen ein weiteres individuelles Motiv des
Kinderwunsches dar. Krumm et al. zitieren entsprechend eine Interviewpartnerin:
„Familie ist für mich sehr wichtig, weil halt bei uns, gut wir waren halt nie eine richtige Familie, weil irgendwo jeder seinen eigenen Weg gegangen ist und Familie ist
für mich schon sehr wichtig, bedeutet halt Zusammenhalt (Int. 9)“ (ebd.: 137). Ferner konnte freigelegt werden, dass eine Mutterschaft für psychisch erkrankte
Frauen auch mit dem Motiv der Selbstheilung in Verbindung gebracht wird. Die
Hoffnung auf Selbstheilung ist dabei mit der Erwartung, die Mutterschaft könne
das Selbstwertgefühl stärken, verbunden: „Vielleicht denk ich mir, hilft mir das,
dass ich mein Selbstwertgefühl ein bissel aufbauen kann, für das Kind dann da bin
und nicht ständig über MICH nachdenke (Int. 4)“ (ebd.: 137). Nicht zuletzt empfinden viele psychisch erkrankte Frauen die Möglichkeit kinderlos zu bleiben als Verlust einer wichtigen, spezifisch weiblichen Erfahrung (vgl. ebd.: 137).
Wenngleich die genannten Motive aus Interviews mit psychisch erkrankten Frauen
hervorgingen, sind sie teilweise sicherlich auch für viele Frauen ohne psychische
Erkrankung gültig. Die Erläuterung hebt damit nur hervor, welche Motive insbesondere für psychisch erkrankte Frauen relevant sind, will bei den Bedeutungszuschreibungen des Kinderwunsches aber nicht grundlegend zwischen Frauen mit
und ohne psychischer Erkrankung unterscheiden.
Festzuhalten bleibt, dass ein Kinderwunsch bzw. die Ablehnung von Kindern sich
weniger auf ein konkretes Kind bezieht, sondern auf die gesamtbiografischen Vor18
stellungen, die Frauen mit dem Leben als Mutter assoziieren. In der Kinderwunschfrage scheinen somit eher diverse Bedeutungen, welche Frauen mit dem
Gesamtprojekt Familie verbinden, ausschlaggebend zu sein. „Von dem Kinderwunsch zu sprechen, verschleiert also leicht diese größere symbolische Dimension eines Lebensentwurfes, auf die der Wunsch nach oder die Ablehnung von Kindern zielt“ (Engelhardt 2000:56).
Fragt man auf einer überindividuellen Ebene nach der Bedeutung von Kinderwunsch und Elternschaft deuten aktuelle Ergebnisse der Shell Jugendstudie, entgegen der These von der Auflösung von Ehe und Familie darauf hin, dass „Familie“ einen hohen Stellenwert für Jugendliche und junge Erwachsene hat und sogar
einen Bedeutungszuwachs erfährt. Mehr als drei Viertel der 12-25 jährigen Befragten gaben in der Studie an, dass man eine Familie brauche um glücklich leben zu
können. Diese hohe Wertschätzung von Familie bezieht sich dabei aber nicht auf
eine bestimmte Familienform, sondern auf die in der Gesellschaft vorhandene
Vielfalt der Familienformen – „von der klassischen Kleinfamilie und der PatchworkFamilie über die Familie mit einem alleinerziehenden Elternteil bis hin zur Großfamilie“ (Albert et al 2011: 200). Auch der Wunsch nach einem Kind, der wiederum
in einem größeren Kontext des Gesamtprojekts Familie zu sehen ist, stellt für viele
junge Menschen ein zentrales Lebensthema von hoher subjektiver Bedeutung dar:
69 % der Befragten wünschen sich eigene Kinder, wobei der Wunsch bei Frauen
weiter verbreitet ist als bei Männern (73% bzw. 65%) (vgl. ebd.: 200f.).
3.3 Erklärungsansätze zur Entstehung des Kinderwunsches
Betrachtet man den Kinderwunsch und seine individuelle und gesellschaftliche
Bedeutung im historischen Kontext, so entsteht der Eindruck, dass es für Frauen
noch nie so leicht war wie heute eigenständig darüber zu entscheiden ob, wann
und wie viele Kinder sie bekommen möchten (vgl. Krumm 2010: 13). Auch GlogerTippelt et al. verweisen darauf, dass breite Bevölkerungskreise erst seit kurzem
eine bewusste Entscheidung für oder gegen ein Kind treffen können. Entsprechend der mit gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen einhergehenden zunehmenden Individualisierung seien heutzutage weniger kollektive Normen als
19
individuell motivierte Entscheidungen, für die Frage ob man Kinder möchte, ausschlaggebend:
„Insgesamt lässt sich bei der Erforschung des generativen Verhaltens eine Tendenz zu einer stärkeren Gewichtung psychologischer Aspekte des Kinderwunschs konstatieren, da die sozio-ökonomisch unterschiedlichen Gruppen sich
in Bezug auf ihre realisierte Kinderzahl zunehmend angleichen“ (Gloger-Tippelt
et al. 1993: 7f).
Krumm hält dem entgegen, dass normative Zwänge für die Familiengründung heute zwar von deutlicher geringerer Relevanz seien als noch vor wenigen Jahrzehnten und anstelle des ökonomischen Nutzens von Kindern heute eher psychologische Aspekte bei der Familienplanung ausschlaggebend seien. Nichtsdestotrotz
müsse aber berücksichtig werden, dass der Kinderwunsch auch durch überindividuelle Bedingungen geprägt ist. Folglich kann das Phänomen des Kinderwunsches nur dann hinreichend erfasst werden wenn sowohl individuelle als auch
strukturelle Faktoren erfasst werden (vgl. Krumm 2010: 25f.).
Dabei darf nicht vergessen werden, dass der Entscheidungsspielraum psychisch
erkrankter Frauen mit Kinderwunsch, vor dem geschichtlichen Hintergrund von
Eugenik und Zwangssterilisation, lange Zeit sehr begrenzt war - sich aber in den
letzten Jahrzehnten, (zumindest in der Theorie) und durch die reformpsychiatrische Bewegung, deutlich erweitert hat.
Um die Veränderungen in der Geburten- und Familienentwicklung der letzten
Jahrzehnte, zu denen etwa der Geburtenrückgang, die Verschiebung des Alters
bei der Familiengründung, sowie die Pluralisierung von Lebensformen und sich
wandelnde Geschlechterrollen zählen, erklären zu können finden sich entsprechend verschiedene Ansätze:
3.3.1 Ökonomische Erklärungsansätze reproduktiven Verhaltens
Zum einen sind hier mikrotheoretische Ansätze zu nennen, „die das reproduktive
Verhalten in Anlehnung an ökonomische Theorien als Ausdruck einer individuellen
Kosten-Nutzen-Abwägung verstehen“ (Krumm 2010: 26). Zentrales Merkmal einer
ökonomischen Betrachtung generativen Verhaltens stellt die Annahme dar, dass
reproduktive Handlungen rational begründet werden und der Nutzenmaximierung
20
dienen sollen, indem rational über die Verwendung knapper Güter, wie etwa der
Zeit, entschieden wird. In diesem Sinne sind auch Kinder als dauerhafte Konsumgüter zu verstehen, die in Konkurrenz zu anderen Gütern stehen. Im Rahmen einer ökonomischen Betrachtung des Kinderwunsches ist folglich davon auszugehen, dass die Geburtenrate durch die Kosten von Kindern beeinflusst wird, deren
Höhe sich wiederum in Abhängigkeit von den Kosten anderer Güter entwickelt, da
diese in Konkurrenz zueinander stehen.
„Höhere Kosten verursachten bspw. mit wachsender technischer Rationalisierung vor allem die durch die Eltern aufzuwendenden hohen Zeitressourcen für
Erziehung und Ausbildung der Kinder, sodass im Sinne eines rationalen KostenNutzen-Kalküls tendenziell weniger Kinder geboren wurden, für die ein höherer
Zeitaufwand erbracht wird“ (Schmidt 2002: 257).
3.3.2 Reproduktives Verhalten unter dem Blickwinkel der Individualisierung
Neben einer ökonomischen Betrachtung des Kinderwunsches erheben zum anderen Ansätze, die auf die Individualisierung Bezug nehmen und von einer normativen Freisetzung der Subjekte ausgehen, den Anspruch Veränderungen der Geburten- und Familienentwicklung erklären zu können (vgl. Krumm 2010: 26). Entsprechend argumentiert auch Ulrich Beck in seiner Individualisierungstheorie,
dass Menschen durch einen sich wandelnden Arbeitsmarkt und die wachsende
Überwindung nationaler Grenzen aus tradierten, verpflichtenden Regelwerken befreit wurden und die soziale Gruppenzugehörigkeit einen Relevanzverlust erlebte.
Zudem hätten sozialstaatliche Absicherungssysteme und die Anhebung des Lebensniveaus aller Gesellschaftsmitglieder (Fahrstuhleffekt) nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs einen Individualisierungsschub gefördert, sodass geschlechtliche Ungleichheit und die Legitimation von Familie immer mehr hinterfragt worden
sei (Beck 1986: 116ff.).
„Die Biografie der Menschen wird aus traditionalen Vorgaben und Sicherheiten,
aus fremden Kontrollen und überregionalen Sittengesetzen herausgelöst, offen,
entscheidungsabhängig und als Aufgabe in das Handeln jedes Einzelnen gelegt“
(Beck/Beck-Gernsheim 1990: 12).
Beck überträgt die Auswirkungen der Individualisierungsprozesse auch auf die
Entstehung des Kinderwunsches und erläutert, dass es heute keine einheitliche
Erwartung mehr gebe, dass auf eine Eheschließung die Geburt eines Kindes folgen müsse. „Frauen müssen das Skript ihrer Biografie selber entwerfen,
21
zusammenbasteln, zusammenflicken, angesichts höchst komplexer, oft widersprüchlicher Entscheidungsfaktoren“ (ebd.: 183).
3.4 Das Konzept der reproduktiven Kulturen
Entsprechend der individuellen biografischen Besonderheiten finden sich in den
Lebensläufen von Frauen verschiedene Muster, wie mit der Kinderwunschthematik umgegangen wird. Im Rahmen der empirischen Studie Frauenleben, welche
das Familienplanungsverhalten von Frauen untersuchte, konnten drei verschiedene Muster des Umgangs mit der Kinderwunschthematik identifiziert und das Konzept der reproduktiven Kulturen entwickelt werden5 (vgl. Engelhardt 2000:56). Reproduktive Kulturen beschreiben ein System von Regeln wie angemessen mit reproduktiven Aspekten, wie etwa Sexualität, Verhütung, Schwangerschaft, Elternschaft oder ungewollter Schwangerschaft umzugehen ist (vgl. Krumm 2010: 39).
Nachfolgend sollen nun die drei freigelegten Muster des Kinderwunsches dargestellt werden, da diese durch die Berücksichtigung individueller biografischer Besonderheiten, wie etwa einer Erkrankung, auch auf die spezifischen Bedingungen
des Kinderwunsches psychisch erkrankter Frauen anwendbar sind. Die drei Muster sind: Der biografisch stabile Kinderwunsch, die generalisierte Akzeptanz von
Kindern und die entwicklungs- oder situationsabhängige Kinderwunschproduktion:
3.4.1 Muster I: Der stabile Kinderwunsch als biografische Konstante
Beim stabilen Kinderwunsch als biografische Konstante werden Kinder als etwas
Selbstverständliches eingeordnet. Eltern und Großeltern können dabei Modelle für
das eigene reproduktive Verhalten sein und Bezugspunkte für einen biografisch
stabilen Kinderwunsch darstellen. Frauen die diesem Typ zuzuordnen sind beton-
5
Das Konzept der reproduktiven Kulturen wurde in Anlehnung an Luc Boltanskis Konzept der Somatischen
Kulturen entwickelt (vgl. Krumm 2010: 39). Es versucht „die Vielzahl von Ergebnissen zu den unterschiedlichen Aspekten eines erweiterten Familienplanungsbegriffs – vom Planungs- oder Abbruchverhalten über den
Umgang mit der Kinderfrage und Kontrazeption bis zur Partnerschaftsgestaltung – zu bündeln […]“ (Helfferich
2000: 23). Eine reproduktive Kultur definiert sich über kulturelle Formen und soziale Regeln, welche die Überzeugung(en) hervorbringt, was der angemessene Umgang mit dem eigenen Körper, dem anderen Geschlecht, der Kinderfrage etc. sei (vgl. Krumm 2010: 23).
22
ten häufig, dass sie schon immer Kinder wollten (vgl. Krumm 2010: 42; Engelhardt
2000: 56f.). Zum einen führen Frauen ihren schon immer vorhandenen Kinderwunsch auf individuelle Persönlichkeitsmerkmale zurück: „Ich bin sehr kinderlieb
gewesen, schon immer“ (Engelhardt 2000: 57). Zum anderen werden aber auch
normative Vorstellungen, laut denen Kinder einfach zum Leben dazugehören, geäußert. Auffällig ist, dass bei beiden Schilderungen das Motiv „schon immer“ im
Vordergrund stand. Darüberhinausgehende ausführlichere Erläuterungen des Kinderwunsches fanden sich nicht. „Die Orientierung spricht offensichtlich für sich
und spielt auf das subjektiv oder objektiv Selbstverständliche am Kinderhaben an,
das benannt, aber nicht weiter erklärt werden muss“ (ebd.: 57).
3.4.2 Muster II: Die generalisierte Akzeptanz von Kindern
Das zweite Muster zum Umgang mit der Kinderwunschthematik stellt die generalisierte Akzeptanz von Kindern dar. Sie kennzeichnet im Gegensatz zum stabilen
Kinderwunsch, dass Kinder weder gewünscht noch nicht gewünscht werden. Es
steht also weniger ein zielgerichtetes Wollen im Vordergrund, sondern eher eine
„Art freischwebende Bereitschaft“. Dies bedeutet, dass eine Schwangerschaft akzeptiert wird, wenn sie sich einstellt – wenn es zu keiner Schwangerschaft kommt
wird dies ebenso akzeptiert (vgl. Krumm 2010: 43; Engelhardt 2000: 57).
„Das Muster der generalisierten Akzeptanz kann auf eine familiäre Tradition des
selbstverständlichen Willkommenheißens von Kindern basieren und zwar in jedem Alter der Mutter und in jeder Situation oder es kann aus religiösen Überzeugungen resultieren“ (Engelhardt 2000: 57).
In diesem Fall ist das Muster der generalisierten Akzeptanz als biografisch
recht stabil einzuordnen.
Für diese Arbeit ist zudem besonders relevant, dass auch bestimmte Lebensereignisse zur Entstehung der generalisierten Akzeptanz von Kindern führen
können. Folglich kann dieses Muster eine Kompromissformel für Frauen darstellen, die sich ein Kind wünschen, die Kinderwunscherfüllung aber gleichzeitig durch biografische Ereignisse erschwert wird. Neben Uneinigkeiten mit
dem Partner über den Kinderwunsch oder Fruchtbarkeitsstörungen sind auch
psychische Erkrankungen als biografische Ereignisse zu verstehen, welche
23
dazu führen können, dass Frauen ihren Kinderwunsch nicht als präzise Zukunftsvorstellung und zielgerichtetes Wollen, sondern eher als generelle Bereitschaft, formulieren. Da die genannten biografischen Ereignisse nicht unbedingt stabil im Lebenslauf sind, ist das beschriebene Muster situativ geprägt
und kann sich im Zusammenhang mit sich ändernden Lebensverhältnissen
entwickeln.
Ferner stellte das Muster der generalisierten Akzeptanz von Kindern bei einigen befragten Frauen auch einen bewussten Planungsverzicht dar. Damit
verbunden war die Annahme, dass es nie den richtigen Zeitpunkt für ein Kind
gebe und eine Planung somit unmöglich sei (vgl. Engelhardt 2000: 57).
3.4.3 Muster III: Entwicklungs- und situationsabhängige Kinderwunschproduktion
Das dritte Muster der entwicklungs- und situationsabhängigen Kinderwunschproduktion bezieht sich auf einen sich im Lebenslauf verändernden Kinderwunsch.
Der Wunsch nach Kindern kann somit im biografischen Verlauf in beide Richtungen schwanken und phasenweise bejaht oder verneint werden.
Die entwicklungsabhängige Kinderwunschgenese stellt dabei ein Erzählmuster der
interviewten Frauen dar, welches die „Entwicklung weg von einer Ablehnung von
Kindern hin zu einem Kinderwunsch […] als ganz normalen Entwicklungsprozess
mit Motiven der Reifung“ schildert (Engelhardt 2000: 57). Die Phase der Postadoleszenz, welche (noch) vorrangig durch den Wunsch nach Freiheit und die Entbindung von Verantwortung geprägt zu sein scheint, steht somit dem Wunsch nach
Kindern und den damit verbundenen Aufgaben entgegen. Im Verlauf der persönlichen Entwicklung und Reifung kann dann aus einer vorausgegangenen Ablehnung von Kindern ein Kinderwunsch entstehen.
Neben dieser eindimensionalen Entwicklung kann der Kinderwunsch aber auch
als situationsabhängiges Phänomen auftreten und auch wieder verschwinden. In
diesem Fall stellt der Kinderwunsch keine lineare Entwicklung dar, da er abhängig
von der jeweiligen Lebenssituation ist. Dieses Muster wird als situationsabhängige
24
Wunschproduktion bezeichnet (vgl. Krumm 2010: 43; Engelhardt 2000: 57). „Auf
sprachlicher Ebene erscheint der Kinderwunsch eher als Ausprobieren eines neuen Lebenskonzeptes und weniger als die Realisierung eines tief fundierten und
selbstverständlichen Kinderwunsches“ (Engelhardt 2000:57).
Die drei beschrieben Muster des Kinderwunsches führen zu unterschiedlichen
Herangehensweisen an die Familienplanung und nehmen darauf Einfluss, inwieweit die entsprechenden Voraussetzungen zum Kinderkriegen geschaffen werden:
Für befragte Frauen mit einer generalisierten Akzeptanz von Kindern waren die
geeigneten Rahmenbedingungen für die Umsetzung des Kinderwunsches von
geringster Relevanz. Dies ist durch die Annahme begründet dass „Kinder eben
kommen wie sie kommen“. Frauen die dem Muster des stabilen Kinderwunsches
zuzuordnen waren, versuchten für die Erfüllung des Kinderwunsches gute Realisierungsbedingungen zu schaffen. Entsprechend wurden einer stabilen Partnerschaft bzw. der Suche nach einem geeigneten Kindsvater oder etwa einer Arbeit,
die mit einer Familiengründung vereinbar ist, viel Bedeutung zugemessen. Übertragen auf die Lebenssituation von Frauen mit psychischen Erkrankungen ist anzunehmen, dass auch die gesundheitliche Situation und psychische Stabilität für
diese Gruppe einen besonders hohen Stellenwert hat. Auch für die Befragten, die
einen situations- oder entwicklungsabhängigen Kinderwunsch schilderten, waren
die Rahmenbedingungen ebenfalls wichtig. Jedoch wurde nicht versucht diese
umzusetzen da der Kinderwunsch überhaupt erst dann entstand, wenn gute Realisierungsbedingungen und die subjektiv als genügend empfundene Reife vorhanden waren. Psychische Stabilität stellt in diesem Zusammenhang also eine (unter
vielen) potentiellen Realisierungsbedingungen dar, die gegeben sein muss, damit
der Kinderwunsch explizit geschildert wird. Bei der situationsabhängigen Kinderwunschgenese stellen die psychische Erkrankung und der Kinderwunsch somit
zwei voneinander abhängige Variablen dar (vgl. ebd.: 57).
Nach dieser allgemeinen Darstellung des Umgangs mit der Kinderwunschthematik
soll beleuchtet werden, mit welchen besonderen Herausforderungen ein Kinderwunsch bipolar erkrankter Frauen aufgrund reproduktiver Risiken einhergehen
kann.
25
3.5 Reproduktive Risiken im Kontext der bipolaren Erkrankung
Betrachtet man den Kinderwusch bipolar erkrankter Frauen so zeigt sich, dass
dessen Umsetzung nicht nur von der Schaffung geeigneter Voraussetzungen abhängt, sondern betroffene Frauen auch vor die schwierige Frage gestellt werden,
wie ihre eigenen krankheitsbezogenen Bedürfnisse mit den zu erwartenden Bedürfnissen des (ungeborenen) Kindes zu vereinbaren sind. Dieses Dilemma kann
zu Zweifeln führen, ob ein Kinderwunsch vor dem Hintergrund der psychischen
Erkrankung überhaupt zu realisieren ist. Für einige Frauen scheint ein Kinderwunsch entsprechend nur unter der Bedingung einer psychischen Stabilität umsetzbar. In anderen Fällen kann eine unbeständige psychische Verfassung mit
einem schwankenden Kinderwunsch einhergehen (vgl. Krumm et al. 2010: 137).
Da Verläufe psychischer Erkrankungen nicht eindeutig vorhersehbar sind und
langfristige Prognosen lediglich durch Berufung auf Wahrscheinlichkeiten getroffen
werden können, „ist es leicht nachvollziehbar, dass die Ungewissheit, ob und
wann sich eine psychische Erkrankung wieder äußert, eine langfristige […] familiäre Planung erschweren kann“ (Krumm 2010: 49). Ohnehin schon bestehende Unsicherheiten in Bezug auf den eigenen Krankheitsverlauf können daher bei einem
Kinderwunsch noch durch reproduktive Risiken erweitert werden, welche mit
Schwangerschaft bzw. Mutterschaft, Geburt und Postpartalzeit (Zeit nach der Geburt) einhergehen können.
„Wenn es sich um eine bewusste Entscheidung zur Gründung einer Familie
handelt, denken psychisch erkrankte Frauen […] oft intensiv über mögliche
Auswirkungen der Medikation und der Erkrankung auf die Entwicklung des Kindes nach. In diese Überlegung mischt sich bei Betroffenen und Angehörigen
häufig die nicht immer unberechtigte Befürchtung, dass sich durch Schwangerschaft und Entbindung die psychische Störung verschlechtern könnte“ (Rohde/Schaefer 2010: 6).
Prinzipiell verändert sich durch eine Schwangerschaft und Entbindung zwar nicht
die Prognose einer Erkrankung. Welchen Einfluss eine Schwangerschaft auf die
Vulnerabilität bzw. den Krankheitsverlauf bipolar erkrankter Frauen nimmt kann
jedoch nicht eindeutig beantwortet werden (vgl. Kapfhammer/Meller 2001: 183;
Rohde/Dorn 2007: 151, Rohde/Schaefer 2010: 7). Neben den erfreulichen Lebensveränderungen kann eine Schwangerschaft mit multiplen negativen Lebensereignissen einhergehen, wie z.B. Arbeitsplatzverlust, Übersiedlung, Konflikte mit
26
der Herkunftsfamilie, sowie Erkrankung der Schwangeren oder des Kindes (vgl.
Klier/Uranitsch 2011: 142, Klier et al. 2008: 718ff.). Cohen et al. verweisen darauf,
dass das Rückfallrisiko in der Schwangerschaft selbst hingegen eher gering ist.
Ob von einem positiven Einfluss auf die psychische Erkrankung oder gar von einer
schützenden Wirkung einer Schwangerschaft gesprochen werden kann ist jedoch
umstritten (vgl. Cohen et al. 2006 zit. n. Rohde/Schaefer 2010: 7). Krumm weist
darauf hin, dass es sich bei der Annahme, eine Schwangerschaft wirke generell
positiv auf den psychischen Gesundheitszustand erkrankter Frauen, lediglich um
einen weit verbreiteten „Mythos“ handle (vgl. Krumm/Becker 2011:1). In jedem Fall
ist eine Entbindung ein relevantes Lebensereignis, ein so genanntes „life event“,
welches das Rezidivrisiko steigen lässt. Dies wird vor allem auf die vielfältigen
somatischen und psychischen Veränderungen in Verbindung mit einer Geburt zurückgeführt.
Die Zeit des Wochenbetts scheint für Frauen mit bipolarer Erkrankung ein besonders hohes Rückfallrisiko in sich zu bergen: Krüger gibt an, dass bis zu 40% der
Frauen mit einer bipolaren Störung in den ersten drei Monaten nach der Geburt
eine manische oder depressive Episode erleiden. Durch eine Medikation in Form
einer Phasenprophylaxe könne das Risiko aber auf unter 10% gesenkt werden
(vgl. Krüger 2003: 27). Es „besteht wissenschaftlich Einigkeit darüber, dass Frauen mit bipolar affektiver Disposition zu den Hochrisikopatientinnen gehören, im
Wochenbett ein psychotisches Rezidiv zu erleiden“ (Kapfhammer/Klier 2009: 33).
Während in der Allgemeinbevölkerung ca. 1-2 Frauen je 1000 Entbindungen an
einer postpartalen Psychose erkranken erhöht sich das Risiko bei bipolar erkrankten Frauen auf 25-30%. Postpartumpsychosen, die auch als Wochenbettpsychosen bekannt sind, treten bei über 70 % der Frauen in den ersten drei Tagen nach
der Entbindung auf. Jedoch können Symptome auch noch wenige Wochen nach
der Entbindung einsetzen. In Einzelfällen konnte eine Manifestation der Symptomatik auch bereits wenige Tage vor der Entbindung beobachtet werden. Das Suizidrisiko für Frauen mit Postpartumpsychosen ist im ersten Jahr nach der Geburt,
im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung, ca. 70-mal so hoch (vgl. ebd.: 33f.). In den
Industrieländern stellen psychische Erkrankungen die Hauptursache für die Müttersterblichkeit in der Perinatalphase, die die Schwangerschaft und das erste Jahr
nach der Geburt umfasst, dar (vgl. Howard/Underdown 2011: 9f.).
27
Zudem betreffen reproduktive Risiken nicht nur die Mutter, da einige Psychopharmaka sich in Form von teratogenen Risiken auch auf das (ungeborene) Kind auswirken (zu den Auswirkungen auf die Kinder siehe Kapitel 4). Gleichzeitig steigt
bei einem abrupten Absetzen von Medikamenten das Rückfallrisiko für die Frau
enorm an.
„Meist wird eine Schwangerschaft etwa zwei Wochen nach dem ersten ausgebliebenen Menstruationszyklus entdeckt, d.h. ungefähr 6 Wochen nach der Empfängnis und damit zeitlich nach der sensiblen Phase für teratogene Effekte.
Chronisch psychisch kranke Frauen, die ihre Erkrankung mit antipsychotischen
Medikamenten stabilisieren setzen ihre Medikation aus Angst vor fötalen Fehlbildungen dann möglicherweise ab, was jedoch zu einem massiven Anstieg der
Symptome führen kann“ (Howard/Underdown 2011: 9).
Wird die medikamentöse Behandlung eines Krankheitsrezidivs notwendig, kann
dies unter Umständen zu einer höheren Medikamentenexposition des Fötus im
Rahmen der Behandlung führen (vgl. ebd.: 9).
Daher wäre es besonders wichtig, Frauen frühzeitig zu erreichen, sodass eine
Schwangerschaft im Idealfall geplant und Aspekte der Medikation mit dem / der
behandelnden PsychiaterIn abgesprochen werden können. Jedoch kann eine Beratung lediglich bei weniger als der Hälfte aller betroffenen Frauen erfolgen, da
mehr Frauen ungeplant schwanger werden als geplant. Klier und Uranitsch verweisen daher auf die Möglichkeit behandelnder ÄrztInnen schon vor dem Eintritt
einer Schwangerschaft dieses Thema in der Gesamtbehandlung aller Frauen im
gebärfähigen Alter einzubauen (vgl. Klier/Uranitsch 2011: 141).
Zusätzlich zur Problematik der Medikamenteneinnahme während der Schwangerschaft erleben viele Mütter auch ihre Erziehungsfähigkeit, als Folge der Medikamenteneinnahme, als eingeschränkt. Das Abwägen zwischen der Gesundheit des
(ungeborenen) Kindes bzw. dessen psychosozialer Entwicklung und der eigenen
psychischen Stabilität empfinden die betroffenen Frauen als belastend (vgl.
Krumm/Becker 2011: 1; Grube/Dorn 2007: 66).
„Es ist durchaus vorstellbar, dass sich die möglicherweise ergebenden
Dilemmasituationen als eine weitere Belastung darstellen und in eine Überforderung der Betroffenen münden können, die dann mit zusätzlichen Gesundheitsrisiken für die betroffenen Frau assoziiert ist“ (Krumm 2010: 50).
28
Auch über die Medikamenteneinnahme hinausgehend konnten Krumm, Kilian und
Becker in ihrer Studie zum Kinderwunsch aus der subjektiven Sicht psychisch erkrankter Frauen beobachten, dass erkrankte Frauen befürchteten den Anforderungen als Mutter durch die psychische Erkrankung nicht gerecht werden zu können. Zum einen stellten die Frauen notwendige Fähigkeiten und Kenntnisse der
Kindererziehung ihren eigenen, durch die Krankheit als mangelhaft erlebten Fähigkeiten, gegenüber. Zudem äußerten die interviewten Frauen Zweifel, ob bzw.
inwieweit sie in der Lage seien, das Alltagsleben mit einem Kind zu bewältigen:
„Da merk ich erst mal, dass ich da jetzt in einem Dilemma stecke irgendwie. Ein
Kind aufzuziehen, dass das ja auch ´ne ganz schöne Aufgabe ist und dass ich
gar nicht weiß, ob ich die tatsächlich bewältigen kann, wenn ich nicht mal in der
Lage bin, hier den Abwasch zu machen oder die Wohnung sauberzumachen
(Int. 10)“ (Krumm et al. 2010: 137).
Werden kindliche Bedürfnisse im Rahmen der Alltagsbewältigung durch die Frauen als konträr zu den eigenen krankheitsbezogenen Bedürfnissen eingeschätzt
ergibt sich daraus ein Dilemma: Die Berücksichtigung der kindlichen Bedürfnisse
geht mit dem Risiko der Verschlechterung des eigenen Gesundheitszustandes
einher. Hierbei kommt vor allem den individuellen Copingstrategien der Frauen
eine
besondere
Relevanz
zu.
Befürchten
die
Frauen,
dass
eigene
Copingstrategien aufgrund der kindlichen Bedürfnisse nicht mehr wirksam sind,
dann stellt die Befriedigung der kindlichen Bedürfnisse auch eine Bedrohung für
die eigene psychische Stabilität der Frauen dar. Eine Interviewpartnerin der Studie
zum Kinderwunsch schilderte dies sehr anschaulich:
„Es kann ja auch mal noch mal sein, dass man Nächte einfach nicht gut schlafen
kann, ja? Entweder überlegt man, nimmt man jetzt eine Schlaftablette oder erhöhe ich die Neuroleptika oder sonst irgendwas, ja? Mittlerweile denk ich halt
einfach, gut, der Schlaf kommt dann irgendwann und ich nehme halt nix, ja?
Aber das geht dann nicht, wenn ich weiß, ich muss aufstehen oder ich muss
dann morgen wieder. Die Nacht ist einfach wichtig, dass ich runter komm, dass
ich schlafen kann, ja? Und wenn jemand weint oder so, stell ich mir das sehr anstrengend vor (Int. 17)“ (ebd.: 137).
Frauen unterliegen zudem besonderen (reproduktiven) Risiken, da sich das Familiensystem bei einer psychischen Erkrankung der Mutter häufiger auflöst als bei
einer psychischen Erkrankung des Vaters. Dies wird darauf zurückgeführt, dass
die Erkrankung des Vaters scheinbar wesentlich häufiger durch die Familien bzw.
von den Müttern aufgefangen wird. „Kinder psychisch kranker Mütter leben demnach häufiger in sogenannten ‚Broken-Home-Familien‘ als Kinder psychisch kran29
ker Väter. Dennoch bleiben die Kinder häufiger bei ihrer Mutter, selbst wenn sie
erkrankt ist“ (Kaschta 2008:12). Daraus ergibt sich, dass psychisch erkrankte
Frauen deutlich häufiger als erkrankte Männer zu AlleinerzieherInnen werden und
einen besonderen Unterstützungsbedarf aufweisen. Tatsächlich erfahren sie jedoch weniger Entlastung durch ihr soziales Umfeld. Dieser Mangel an Unterstützung geht einher mit hohen Belastungsanforderungen durch die eigene psychische Erkrankung, sowie der Verantwortung, die Kinder alleine zu versorgen und
den Alltag zu strukturieren.
Ferner entstehen reproduktive Risiken für bipolar erkrankte Frauen auch durch
den Mangel an spezifischen Unterstützungsangeboten, sodass Frauen oftmals
stationäre Behandlungen ablehnen, wenn die Unterbringung der Kinder nicht geklärt ist bzw. diese nicht fremduntergebracht werden sollen. Letztendlich resultiert
daraus häufig eine Krisenzuspitzung, da die Betroffenen alles ihnen mögliche versuchen, um die Dekompensation6 so lange wie möglich abzuwenden. Dies gelingt
allerdings nur selten (vgl. Kaschta 2008: 12f.; Schone/Wagenblass 2002: 67ff.).
3.6 Stigmatisierung bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch und
bipolar erkrankter Mütter
Neben den individuellen reproduktiven Risiken einer Schwangerschaft / Elternschaft erleben viele psychisch erkrankte Frauen zudem Stigmatisierung, in Bezug
auf eine Mutterschaft bei vorliegender psychischer Erkrankung. Zwar sollten reformpsychiatrische Veränderungen, die mit der Förderung gemeindenaher Versorgungsformen einhergingen, die soziale Distanz zwischen psychisch erkrankten
und psychisch nicht erkrankten Menschen verringern, jedoch sind bestimmte
Stigma bis heute in gesellschaftlichen Repräsentationen verankert (vgl. Krumm
2010: 60): „Ein weitverbreitetes Stereotyp umfasst die Unfähigkeit psychisch kranker Menschen, ein Kind angemessen zu betreuen und zu erziehen. Elternschaft
scheint mit herrschenden Bildern zu psychischen Erkrankungen nur schwer vereinbar“ (Krumm/Becker 2011: 1f.).
6
Die Dekompensation bezeichnet den Zustand, bei dem der Ausgleich der Krankheitssymptome nicht mehr
möglich ist, sodass Symptome des Krankheitsbildes offen zu Tage treten (vgl. Psychrembel Klinisches Wörterbuch)
30
Denn soziale Repräsentationen von guter Mutterschaft entstanden im Kontext
qualitativer Veränderungen der Mutter-Kind-Beziehung seit dem 18. Jahrhundert
und zeichnen ein hoch normatives Bild von Mütterlichkeit, welches Selbstlosigkeit
und die Bereitschaft sich aufzuopfern fordert. Diese bis heute wirksamen Bilder
von guter Mutterschaft, scheinen mit den Vorstellungen von psychischer Erkrankung nur schwer vereinbar (vgl. Krumm 2010: 60f.).
Entsprechend konnte eine kanadische Studie zum Diskurs von Mutterschaft und
psychischer Erkrankung zeigen, dass Medien ein spezifisches Bild psychisch
kranker Mütter zeichnen, wonach sie unsympathisch, unberechenbar, zur Erziehung unfähig und für das Kind gefährlich sind. Berichte über die Herausforderungen und Risiken der Elternschaft bei psychischer Erkrankung oder über Modelle
guter Praxis sind hingegen eher selten7 (vgl. Krumm/Becker 2011:2; Krumm 2010:
60f.; Greaves et al. 2002).
Diese gesellschaftlichen Repräsentationen spiegeln sich in den Stigmatisierungserfahrungen vieler psychisch erkrankter Frauen wieder. Entsprechend sind psychisch erkrankte Mütter häufig mit dem Vorurteil konfrontiert, ihre Kinder zu misshandeln. Daneben entsteht bei psychisch erkrankten Müttern oftmals das Gefühl
ständig unter Beobachtung zu stehen. Dies hat zur Folge, dass Frauen davon
ausgehen, ihre Erziehungsfähigkeit immer wieder aufs Neue unter Beweis stellen
zu müssen (vgl. Krumm 2010: 6; Krumm/Becker 2011: 2).
Nicholson et al. verweisen darauf, dass die Erfahrung psychisch erkrankter Frauen
stigmatisiert zu werden, zur Vernachlässigung von Schwangerschaftsvorsorge
oder zum eigenmächtigen Absetzen von Medikamenten führen kann (vgl. Nicholson et al. 1998). Auch Howard und Underdown folgern, dass schwangere Frauen
und Mütter mit schweren psychischen Erkrankungen möglicherweise aufgrund der
Befürchtung, die Kinder zu verlieren und aus Angst vor Stigmatisierung und sozialer Isolation der Familie, seltener Probleme offen ansprechen und zögerlicher vorhandene Unterstützungs- und Hilfsangebote in Anspruch nehmen (vgl. Howard/Underdown 2011: 11).
7
Für weitere Informationen zur Studie siehe Greaves, L. et al. (2002): A motherhood issue: Discourses on
mothering under duress. Abrufbar unter: http://publications.gc.ca/collections/Collection/SW21-99-2002E.pdf
(14.09.2014).
31
Besonders gravierend ist dabei der Befund, dass betroffene Frauen nicht nur im
privaten Umfeld Stigmatisierungserfahrungen machen, sondern auch im professionellen Kontext mit Stigma konfrontiert sind:
„Es finden sich Hinweise darauf, dass betreuende Ärzte zwar nicht direkt von
einer Schwangerschaft abraten, allerdings durch entsprechende Äußerungen indirekte Sterilisationsempfehlungen geben und einen geäußerten Kinderwunsch
eher ignorieren und damit auch keine Unterstützung anbieten“ (Krumm/Becker
2011: 2).
Entsprechend konnte in einer qualitativen Interviewstudie mit 28 Frauen, die aufgrund einer psychotischen Störung behandelt wurden, gezeigt werden, dass behandelnde Ärzte meist nicht direkt von einer Schwangerschaft abrieten, jedoch
durch die eigene Einstellung zur Thematik den Frauen indirekte Sterilisationsempfehlungen gaben und bei bestehendem Kinderwunsch keine Hilfsangebote machten (vgl. Sachse 2000 zit. n. Krumm 2010: 61). Viguera et al. wiesen in einer USamerikanischen Studie nach, dass 45% der Frauen, die an einer bipolaren Störung erkrankt waren und aufgrund ihres Kinderwunsches professionelle Hilfe aufsuchten, bereits zuvor von ihren behandelnden HausärztInnen und PsychiaterInnen die Empfehlungen erhalten hatten, den Kinderwunsch nicht umzusetzen (vgl.
Viguera et al. 2002: 2103).
Die dargestellten Ergebnisse zur Stigmatisierung bipolar erkrankter Frauen mit
Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankter Mütter machen deutlich, welch negative
Konsequenzen die vorurteilsvolle Einstellung den Betroffenen gegenüber haben
kann. Da den Betroffenen die Reaktion der anderen Gesellschaftsmitglieder nicht
verborgen bleibt, kann Stigmatisierung durchaus als Teil des VulnerabilitätsStress-Modells verstanden werden, da Stigmatisierung einen Risikofaktor darstellt,
der zur Erhöhung der Vulnerabilität beiträgt. Mittels des von Link und Kollegen
formulierten modifizierten Labeling-Ansatzes kann erklärt werden, dass Stigmatisierung und die Anheftung des Labels „psychisch krank“ weitreichende Folgen für
Frauen mit bipolarer Erkrankung haben und als verursachende Größen für Risikofaktoren anzusehen sind, die sich wiederum negativ auf den psychischen
Gesundheitszustand Betroffener auswirken (vgl. Wolkenstein 2009: 30; Link 1989:
400ff.).
„Wird ein Mensch mit dem Label des psychisch Kranken versehen, so kann dieses Label direkt aufgrund der eigenen Annahmen über die gesellschaftliche Ein32
stellung gegenüber psychisch erkrankten Menschen negative Auswirkungen auf
das Leben der betreffenden Person haben“ (Wolkenstein 2009: 30).
Die untenstehende Graphik veranschaulicht den Prozess, wie gesellschaftlich
Konventionen dessen, was es bedeutet psychisch erkrankt zu sein, wirken, wenn
Menschen mit dem Label „psychisch krank“ versehen werden.
Abb. 3: Schematische Darstellung des modifizierten Labeling-Ansatzes nach Link et al. (1989)
Quelle: In Anlehnung an Link et al. (1989): A modified labeling theory approach to mental disorders:
An empirical assessment. In: American Sociological Review (54), S. 402.
Zum Ende dieses Kapitels kann festgehalten werden, dass eine Beratung und Begleitung, welche die individuelle Situation der Frauen (und ihrer Partner) berücksichtigt, Informationen bereitstellt um Kosten-Nutzen-Abwägungen treffen zu können, und gleichzeitig unterstützt ohne zu stigmatisieren, immens wichtig ist, um
der Forderung nach Gleichberechtigung und Entstigmatisierung psychisch erkrankter Menschen nachzukommen. Nicht zuletzt könnte ein Unterstützungsangebot, bei dem Frauen keine Stigmatisierung ihrer Elternrolle fürchten müssen, den
Zugang zur Zielgruppe erleichtert und die Bereitschaft zur Hilfeannahme steigern
und somit auch in Hinblick auf Prävention und Gesundheitsförderung von hoher
Relevanz sein. Bevor jedoch Ableitungen für entsprechende Unterstützungsmöglichkeiten getroffen werden, soll differenziert gezeigt werden, welche Auswirkungen die bipolare Erkrankung eines Elternteils auf die Lebenssituation der Kinder
33
hat. Diese Ergebnisse müssen ebenso wie die Erkenntnisse zur Lebenssituation
der Frauen mitberücksichtigt werden, wenn untersucht werden soll, durch welche
Unterstützungsangebote eine gelingende Elternschaft bipolar erkrankter Frauen
gefördert werden kann.
34
4. Mögliche Auswirkungen einer bipolaren Erkrankung eines
Elternteils auf die Lebenssituation der Kinder
In der High-Risk-Forschung wird davon ausgegangen, dass Kinder psychisch erkrankter Eltern ein erhöhtes Risiko tragen, selbst einmal an einer psychischen Störung zu erkranken. Sie stellen folglich eine besondere Risikogruppe dar (vgl.
Schone/Wagenblass 2001: 11). Die Einschätzung der High-Risk-Forschung begründet sich unter anderem dadurch, dass jedes dritte Kind (Knuf spricht von jedem vierten Kind), das sich in psychiatrischer Behandlung befindet, Eltern hat, die
selbst in der Vergangenheit von psychischer Erkrankung betroffen waren oder
noch immer sind (vgl. Remschmidt/Mattejat 1994: 15; Knuf 2000). Eine Metaanalyse von 17 Studien, welche ihren Fokus auf die Auswirkungen einer bipolaren
Erkrankung eines Elternteils auf die psychische Gesundheit von Kindern richtete,
kommt zu dem Schluss, dass 52% Prozent der Kinder bipolar erkrankter Eltern
irgendeine psychische Störung entwickeln. Zudem ist das Risiko affektiv zu erkranken für die Kinder nochmals erhöht. „Affektive Erkrankungen wurden bei
26,5% der Kinder bipolarer Eltern […] beobachtet“ (Wiegand-Grefe et al. 2010:
33).
Fragt man nach den möglichen Auswirkungen einer bipolaren Erkrankung eines
Elternteils (hier der Mutter) auf die Kinder, bleibt festzuhalten, dass die Faktoren,
welche bestimmen, ob ein Kind psychische Auffälligkeiten entwickelt, sehr vielfältig sind. Nicht alle Kinder psychisch erkrankter Eltern sind gleich belastet und damit auch nicht zwangsläufig gefährdet. „Es gibt weder DIE Situation noch DAS
Risiko. Die konkreten Belastungen eines Kindes mit psychisch krankem Elternteil
und damit immer sein konkretes Risiko, Schaden zu nehmen, wird von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst“ (Beeck 2008: 9). Ob Belastungen und Stress,
die mit einer mütterlichen bipolaren Erkrankung einhergehen können, beim Kind
zu Beeinträchtigungen führen, hängt immer davon ab, über welche Stressbewältigungskompetenzen und Ressourcen das Kind verfügt. Bei der Bewältigung
schwieriger Lebenssituationen ist somit ausschlaggebend, ob Kinder über ausreichende Schutzfaktoren verfügen, welche sie bei der Bewältigung von Belastungen
35
stärken. Die nachfolgende Graphik stellt die Wechselwirkung entwicklungsbeeinflussender Faktoren bei Kindern bipolar erkrankter Mütter dar, die in diesem Kapital noch ausführlicher erläutert werden. Den genetischen und psychosozialen Belastungsfaktoren werden dabei Schutzfaktoren im Kind selbst, welche die Widerstandsfähigkeit erhöhen, sowie psychosoziale Schutzfaktoren in der Familie und
Umwelt des Kindes, gegenübergestellt (vgl. Bräunig et al. 2005: 116ff.).
Abb. 4: Wechselwirkungen entwicklungsbeeinflussender Faktoren bei Kindern bipolar erkrankter Mütter
Quelle: In Anlehnung an Bräunig et al. (2005): Kinder bipolar erkrankter Eltern, S.123.
4.1 Bio-psycho-soziale Auswirkungen
Im Sinne des bio-psycho-sozialen Gesundheits-/Krankheitsmodells ist davon auszugehen, dass sowohl die biologische, als auch die soziale, sowie die psychologische Ebene Einfluss darauf nehmen, ob es Kindern gelingt, mit Belastungsanforderungen durch die mütterliche Erkrankung zurechtzukommen oder ob es zur
Ausbildung von Krankheitssymptomen bei den Kindern kommt. Die Entwicklung
eines Kindes ist somit abhängig von den drei Ebenen (bio-psycho-sozial), welche
miteinander interagieren. Beispielsweise werden genetische Prädispositionen mit
höherer Wahrscheinlichkeit dann aktiv, wenn die psychologischen und sozialen
Ressourcen des Individuums erschöpft sind, etwa weil das Individuum mit besonderen psychosozialen Belastungsfaktoren konfrontiert ist. Folglich können mögliche negative Kognitionen, Verhaltensweisen und Gefühle der Eltern, sowie ein
stressreicher
Kontext
eine
genetische
Prädisposition
verstärken
(vgl.
Pretis/Dimova 2010: 41ff.; Goodman/Gotlib 1999: 458ff.; Pauls 2011: 32ff.).
36
Abb. 5: Bio-psycho-soziale Auswirkungen einer elterlichen bipolaren Erkrankung auf Kinder
Quelle: In Anlehnung an Pretis/Dimova (2010):
Frühförderung mit Kindern psychisch kranker Eltern, S. 41.
Nachfolgend wird näher auf die biologische, die psychologische und die soziale
Ebene eingegangen, die sich trotz getrennter Darstellung wechselseitig beeinflussen.
4.1.1 Die biologische Ebene
Kasper verweist darauf, dass beim Krankheitsbild der bipolaren Störung, verglichen mit dem Krankheitsbild der Depression, die genetische Komponente stärker
sei. Als Beleg hierfür werden häufig Zwillingsstudien angeführt, welche darauf
verweisen, dass bei der Erkrankung eines monozygoten Zwillings an einer bipolaren Störung das Erkrankungsrisiko des Geschwisterkindes mit 65% gegenüber
dem durchschnittlichen Erkrankungsrisiko der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht ist (vgl. Pretis/Dimova 2010: 110; Kasper 2000). Weitere Familienuntersuchungen, sowie Untersuchungen zum Erbgang, belegen ebenfalls ein erhöhtes
Erkrankungsrisiko für Angehörige ersten Grades, zu denen auch die Kinder zu
zählen sind:
37

Während das Risiko an einer Bipolar-I-Störung zu erkranken in der Allgemeinbevölkerung bei 1,6% liegt, entwickeln hingegen 7% der Angehörigen
ersten Grades eine bipolare Störung

Zudem ist das Erkrankungsrisiko zusätzlich erhöht, wenn mehr als eine
Person in der Familie an einer bipolaren Störung leidet bzw. ein Familienmitglied bereits in jungen Jahren erstmals erkrankt ist.

Bei Familienangehörigen zweiten Grades ist das Erkrankungsrisiko hingegen weitaus geringer und nähert sich dem der Allgemeinbevölkerung an
(vgl. Bräunig et al. 2005: 124).
Auch neurobiologische Untersuchungen untermauern die These der genetischen
Komponente bei einer bipolaren Erkrankung, indem sie im Zentralnervensystem
eine gestörte Funktion des Botenstoffes Serotonin nachwiesen (vgl. Pretis/Dimova
2010: 110; Kasper 2000).
Bräunig et al. betonen jedoch, dass es sich bei der bipolaren Erkrankung um keine
klassische Erbkrankheit handelt (vgl. Bräunig et al 2005: 124). Vielmehr bestehen
„genetisch bedingte Komponenten bzw. eine Prädisposition, jedoch ist keine genetische Determination für eine Erkrankung gegeben“ (Kaschta 2008: 10). Somit gilt
es an dieser Stelle zu betonen, dass die erwähnten statistischen Aussagen lediglich Einschätzungen sind, die es ermöglichen Wahrscheinlichkeitsaussagen zu
treffen. Anhand dieser Wahrscheinlichkeitsaussagen lässt sich jedoch nicht auf
den Einzelfall schließen, da unbekannt bleibt welche Personen welcher Gruppe
zuzuordnen sind. Eine genetische Belastung führt jedoch nicht zwangsläufig zur
Ausbildung einer bipolaren Erkrankung. Stattdessen handelt es sich um eine multifaktoriell bedingte Erkrankung, bei deren Entstehung sowohl Umweltfaktoren als
auch genetische Dispositionen zum Tragen kommen. Inwieweit Umwelt und Gene
sich dabei wechselseitig beeinflussen, ist weitestgehend ungeklärt (vgl. Bräunig et
al. 2005: 124f.).
Eine angeborene Neigung bedeutet folglich nicht, dass sich eine Erkrankung auch
manifestiert. Auf die Entwicklung von Gesundheit und Krankheit nehmen folgende
Faktoren Einfluss:
38

Umso jünger das Kind zum Zeitpunkt des Krankheitsausbruches der Mutter
ist, desto stärker ist dessen gesunde Entwicklung gefährdet.

Je schwerer bzw. lang andauernder die Erkrankung der Mutter ist, desto
größer ist das Risiko für die Kinder.

Leiden beide Elternteile an einer psychischen Erkrankung, steigt das Erkrankungsrisiko der Kinder an und beträgt zwischen 45 und 50%.

Erkrankt die Mutter sind die Kinder meist stärker beeinträchtigt als bei einer
Erkrankung des Vaters. Dies zeigt sich in häufigeren dissozialen Verhaltensweisen der Kinder bzw. in Rückzugstendenzen.

Zudem erhöht sich durch eine mangelnde Krankheitseinsicht der Eltern das
Risiko für die Kinder, da damit oftmals eine Tabuisierung oder Verleugnung
der Erkrankung verbunden sind, welche wiederum zu sozialer Isolation führen können.

Nicht zuletzt bestimmt die Tatsache, ob der Vater eine kompensatorische
Funktion übernehmen kann, darüber welche Auswirkungen die Erkrankung
der Mutter auf die Entwicklung des Kindes hat (vgl. Pretis/Dimova 2010:
44f.).
4.1.2 Die psychologische Ebene
Welche Auswirkungen eine mütterliche psychische Erkrankung auf Säuglinge und
Kleinkinder hat ist altersabhängig. Laut Pretis und Dimova sind bei kleinen Kindern, deren Mütter psychisch stark belastet sind, eher internalisierende Störungen
zu beobachten. Diese treten in Form von Rückzugsverhalten, unsicherer Bindung
und einem geringeren aktiven Explorationsverhalten, sowie Sprachentwicklungsverzögerungen zu Tage. Kinder, die bereits das Kindergartenalter erreicht haben,
reagieren hingegen eher mit externalisierenden Störungen, welche beispielsweise
durch hyperaktive und aggressive Verhaltensweisen gekennzeichnet sind (vgl.
Pretis/Dimova 2010:45f.). Laucht et al. verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass psychosoziale Risiken mit zunehmendem Lebensalter der Kinder immer
mehr an Bedeutung gewinnen. Während im frühen Säuglingsalter noch der Einfluss biologischer Risiken dominiert, so überwiegt bei 24 Monate alten Kindern
39
bereits der von psychosozialen Risiken ausgehende entwicklungsbeeinträchtigende Effekt (vgl. Laucht et al. 1992: 275ff.).
Kommt es im Rahmen einer mütterlichen bipolaren Erkrankung zu einer Wochenbettdepression, hat dies häufig Störungen der Mutter-Kind-Beziehung zur Folge.
Zudem lassen sich Beeinträchtigungen der kognitiven Entwicklung des Kindes
beobachten. „Die Bindung (das Attachment) der Säuglinge darf, da die primäre
Bezugsperson, im Regelfall die Mutter, unterschiedlich ‚ansprechbar‘ ist, als ‚unsicher‘ angesehen werden“ (Pretis/Dimova 2010: 46). Insbesondere der Zeitraum
zwischen dem 12. und 18. Lebensmonat des Kindes stellt eine Phase erhöhter
Sensibilität für die Entwicklung der Bindungsqualität dar, da sich in dieser Spanne
die Bindungsunsicherheit massiv verstärkt (vgl. ebd.: 46).
Unabhängig von der Wochenbettdepression geht mit dem Erleben depressiver
Episoden bipolar erkrankter Mütter meist eine verringerte Sensitivität für die Bedürfnisse des Kindes einher. Studienergebnisse verweisen darauf, dass Mütter in
depressiven Episoden negativer auf ihre Kinder reagieren und es ihnen schwer
fällt nachzuvollziehen, was in den Kindern vorgeht. Depressive Betreuungspersonen scheinen somit allgemein weniger sensitiv auf die Signale des Kindes (vgl.
ebd.: 46).
In manischen Phasen besteht teilweise die Gefahr, dass Kinder sich schwer von
den Wahnsymptomen der Eltern abgrenzen können (siehe 2.1.2. Symptome einer
manischen Episode). Während ältere Kinder bereits über adäquatere Realitätseinschätzungen verfügen, sind kleineren Kindern noch nicht die Informationen darüber zugänglich, was möglich, wahrscheinlich oder gänzlich absurd ist (vgl. ebd.:
109).
„Je jünger sie [die Kinder] sind, desto schwerer fällt es den Kindern zu begreifen,
dass die Eltern in einer anderen inneren Realität leben als sie selbst, desto größer ist die Gefahr, dass sie sich in das krankhafte Erleben mit einbeziehen lassen“ (Deneke 1998: 89).
Gehen mit einer mütterlichen bipolaren Erkrankung abrupte Stimmungswechsel
und unberechenbare Schwankungen zwischen Nähe und Distanz, Interesse und
Desinteresse, Zuneigung und Ablehnung, Versorgung und Verwahrlosung einher
40
kann das Kind die Verhaltenswesen der Mutter nicht mehr richtig einschätzen. In
Folge wird die Mutter nicht als verlässliche Bezugsperson erlebt, da die Reaktionsweisen der Mutter für das Kind nicht einzuordnen sind (vgl. Beeck 2005: 8f. zit.
n. Kaschta 2008: 23). „Die Interaktion postpartal bipolar erkrankter Mütter wurde
als desorganisiert, unsensitiv und/oder unberechenbar beobachtet“ (Pretis/Dimova
2010: 47).
Die Ergebnisse der Mannheimer Risikokinder-Studie weisen zudem darauf hin,
dass Kindern psychisch erkrankter Eltern eine ungünstigere Entwicklungsprognose ausgesprochen werden muss, als gleichaltrigen Kindern gesunder Eltern. Beispielsweise konnte in der Alterskohorte der Zweijähren eine deutliche sprachliche
Entwicklungsverzögerung und ein auffälligeres Sozialverhalten bei den Kindern
beobachtet werden, deren Eltern psychisch erkrankt waren. Dabei kristallisierte
sich eine gestörte Eltern-Kind-Beziehung als vermittelnder Faktor zwischen der
elterlichen psychischen Erkrankung und der kindlichen Entwicklungsverzögerung
heraus (vgl. Laucht et al. 1992: 22).
4.1.2.1 Auswirkungen unter dem Blickwinkel der Bindungstheorie
An dieser Stelle soll auf die Bindungstheorie von John Bowlby verwiesen werden,
die ein zentrales theoretisches Konzept zur Erklärung psychischer Entwicklungsabläufe darstellt. Fragt man also nach möglichen Auswirkungen einer bipolaren
Erkrankung eines Elternteils auf die psychische Entwicklung von Säuglingen und
Kleinkindern, scheint es fast unumgänglich, auch die Entwicklung der Bindungsbeziehung zu beachten, wie bereits die skizzierten Erkenntnisse der Mannheimer
Risikokinder-Studie bzw. von Pretis und Dimova zeigen. Die im Jahr 1958 von
Bowlby veröffentliche Bindungstheorie wurde durch die Verhaltensforschung von
Konrad Lorenz und die Psychoanalyse Freuds beeinflusst und soll im Folgenden
kurz zusammengefasst werden:
In der Bindungstheorie ging Bowlby davon aus, dass der Säugling eine angeborene Neigung hat den überlebensnotwendigen Schutz durch die Nähe zu einer Bezugsperson, meist der Mutter oder dem Vater, zu suchen. Dabei macht der Säugling seine Erwartungen durch Signale, wie schreien, lächeln, anklammern und
41
nachfolgen deutlich, damit sein Bindungsbedürfnis befriedigt und die notwendige
Nähe hergestellt wird. Kommt es dabei zu frühen Trennungs- und Verlusterfahrungen - wie dies z.B. durch abrupte Trennungen von Mutter und Kind aufgrund
eines Psychiatrieaufenthaltes der Fall sein kann - dann hat dies nachhaltige Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes.
Das Bindungsverhalten wird im ersten Lebensjahr des Säuglings aktiviert wenn
dieser ängstlich, müde, krank oder unsicher ist bzw. sich alleine fühlt. Dann wird er
versuchen Nähe zur Bezugsperson herzustellen, um sich wieder sicher und geborgen zu fühlen. Wird das Bedürfnis des Säuglings nach Nähe befriedigt, wird
sich der Säugling als selbstwirksam erleben und lernt, sich darauf zu verlassen,
selbst das Gefühl von Sicherheit herstellen zu können. Kommt es hingegen wiederholt zu keiner adäquaten Reaktion der Bezugsperson auf die Signale des
Säuglings, weil die Bezugsperson z.B. in einer depressiven Episode nicht dazu in
der Lage ist, dann führt dies zu einer tiefgreifenden Verunsicherung des Säuglings. Ob der Säugling sich als selbstwirksam erlebt und lernt, das Gefühl von Sicherheit selbst durch seine Signale erzeugen zu können, nimmt auch Einfluss auf
seinen Erkundungsdrang und damit auch auf seinen Lernerfolg und seine gesunde Entwicklung (vgl. Kaschta 2008: 31; Arens/Görgen 2006: 18f.; Hédervári-Heller
2011: 57f.).
„Wenn ein Kind sich sicher ist, dass es jederzeit zu der ihn umsorgenden Bezugsperson zurückkehren kann, wird es reichlich Interesse an seiner Umwelt
haben. Hat es keinen ‚sicher Hafen‘, wird es sich weniger für seine Umwelt interessieren“ (Arens/Görgen 2006: 18).
Dadurch wird ersichtlich, wie wichtig eine Bezugsperson für ein Kind ist, deren
Nähe es suchen kann, wenn es das Bedürfnis nach Nähe verspürt, welche dem
Kind aber auch genügend Freiraum gibt, seinem Erkundungsdrang nachzugehen
und sich zeitweise von ihr wegzubewegen. Die achtsame Fürsorge einer Bezugsperson stellt somit die Basis für die Entwicklung einer sicheren Bindung des Kindes dar. Diese sichere Bindung ist wiederum eine wichtige Voraussetzung für die
gesunde Entwicklung von Kindern. Ob die Bezugsperson dem Kind emotionale
Sicherheit und Verlässlichkeit bietet, nimmt Einfluss darauf, „in welchem Ausmaß
sich eine kindliche Widerstandsfähigkeit (Resilienz) oder aber Anfälligkeit (Vulnerabilität) gegenüber belastenden Erfahrungen entwickeln“ (Laucht et al. 2000:
42
104f.). Einer sicheren Bindung kommt also insofern eine zentrale Bedeutung für
die Entwicklung von Kindern zu, da sie „als Vorläufer späterer flexibler und kompetenter Bewältigungsstrategien und positiver Selbstentwicklung“ gilt (Ziegenhain et
al. 1999: 142).
Die Bindungsqualität von Kindern untersucht man in der Bindungsforschung mittels der „fremden Situation“, einem standardisierten Beobachtungsverfahren nach
Ainsworth, die Schülerin und spätere Mitarbeiterin von Bowlby war. Dabei wird
zwischen sicher gebundenen, unsicher vermeidenden, unsicher ambivalenten und
desorganisierten/desorientierten Bindungsmustern von Kindern unterschieden.
Kann die Bezugsperson das frühe Bedürfnis des Kindes nach Nähe und Schutz
nicht befriedigen, können Bindungsstörungen entstehen. Macht der Säugling somit
die Erfahrung, dass Bindungspersonen nur unzureichend auf seine Signale reagieren, lernt er, dass auf die Menschen in seiner Umwelt kein Verlass ist. Daraus
kann sich eine Bindungsstörung entwickeln, die sich negativ auf die psychische
Verfasstheit des Kindes und seine Entwicklung auswirkt (vgl. Kaschta 2008: 31).
4.1.3 Die soziale Ebene
Nachdem nun die möglichen Auswirkungen einer mütterlichen bipolaren Erkrankung auf die biologische und (entwicklungs-)psychologische Entwicklung von Kindern erläutert wurden, soll zuletzt auf Auswirkungen auf der sozialen Ebene eingegangen werden, welche immer Einfluss auf die gesamte Situation der Familie
nehmen.
Die bipolare Erkrankung eines Familienmitglieds betrifft somit nicht nur die soziale
Situation des Kindes, sondern auch anderer nahestehender Familienmitglieder.
Meist beginnen diese bereits vor der Diagnosestellung unter der Erkrankung des
Betroffenen zu leiden. Für Kinder führt die mütterliche Erkrankung häufig zu starken Verunsicherungen, da sie die ungewohnten Verhaltensweisen der Mutter nicht
einordnen können. Es fällt ihnen schwer zu verstehen, warum die Mutter sich nicht
mehr wie gewohnt um die Bedürfnisse des Kindes sorgen kann oder möglicherweise mehrere Nächte nicht mehr nach Hause kommt. Je deutlicher die Krankheitssymptome zu Tage treten, desto stärker spüren die Kinder die Beeinträchti43
gung ihres Alltags, welche sie oftmals als bedrohlich erleben: „Die familiäre Alltagsroutine wird gestört wenn eine Mutter oder ein Vater zum Beispiel nicht mehr
kochen […] oder die Wohnung plötzlich nicht mehr gereinigt wird“ (Bräunig et al.
2005: 125). In einigen Fällen kommt es durch einen gestörten Tag-/Nachtrhythmus
zu einer für die Kinder ungewohnten Passivität des erkrankten Elternteils oder
umgekehrt zu einer gesteigerten Aktivität, sodass ein geordneter Tagesablauf nur
noch schwer möglich ist (vgl. Pretis/Dimova 2010: 52; Bräunig et al. 2005: 125;
Kaschta 2008: 22f.). Welche Auswirkungen dies auf die Kinder hat macht folgendes Zitat deutlich:
„Bekannte, gewohnte und erprobte Alltagsstrukturen beginnen zu leiden. Das
anfangs lustige Chaos dauert zu lange. Die Versuche des Kindes, sich anzupassen, zeigen wenig Wirkung. Das, was jetzt gilt und woran sich das Kind anzupassen versuchte, hat in kurzer Zeit keine Bedeutung mehr, verkehrt sich ins
Gegenteil. Das ist nicht nur für Kinder […] sondern auch für den gesunden Elternteil schwer auszuhalten. Bestehende soziale Normen existieren, um gebrochen zu werden‘“ (Pretis/Dimova 2010: 109).
Eine weitere Auswirkung auf der sozialen Ebene stellt die Trennung des Kindes
vom erkrankten Elternteil durch stationäre Aufenthalte dar, die insbesondere für
Säuglinge und Kleinkinder zu Beziehungsabbrüchen führen kann und sich somit
wiederum negativ auf die Bindungsqualität auswirkt (vgl. Pretis/Dimova 2010: 51).
„Viele kleine Kinder leiden unter der Trennung von wesentlichen Bindungspersonen sehr. Deswegen wäre es wünschenswert, wenn Kinder bipolar erkrankter
Mütter, bei denen ein Krankenhausaufenthalt notwendig wird, zumindest mit in
der Klinik untergebracht werden könnten. Leider sind solche Arrangements nach
wie vor die Ausnahme“ (Bräunig et al. 2005: 126).
Im Voraus erstellte Krisenpläne können zwar von großer Bedeutung sein, um festzuhalten welche Personen in einer Krisensituation zu verständigen sind, wer welche Aufgaben übernimmt und wer in einer akuten Krankheitsphase die Obsorge
für die Kinder übernimmt. Nichtsdestotrotz ist für die Kinder auch die soziale Abwertung belastend, mit der sie oftmals (verdeckt) im Kindergarten oder durch Bekannte und Nachbarn konfrontiert werden, wenn bekannt wird, dass sich die Mutter im „Krankenhaus für Verrückte“ befindet.
Zudem geht mit einer elterlichen psychischen Erkrankung oftmals eine soziale Isolation einher. Heute erwachsene Kinder, deren Eltern psychisch erkrankt waren
oder noch immer erkrankt sind, gaben in einer Befragung an, dass sie sich häufig
44
alleine gelassen fühlten. Dies wird auf zwei Ursachen zurückgeführt: Zum einen
verkleinerte sich das soziale Netzwerk, da sich viele Freunde und Verwandte der
Familie zurückzogen. Zum anderen waren die Kinder von der sozialen Ausgrenzung von Gleichaltrigen direkt betroffen, indem sie beispielsweise keine Freunde
mit nach Hause bringen durften und selbst auch nicht zu Geburtstagsfeiern eingeladen wurden.
Zusätzlich zur sozialen Isolation sind Kinder psychisch kranker Eltern insgesamt
häufiger als andere Kinder von Trennung und Scheidung betroffen, wodurch sie
einer zusätzlichen emotionalen Belastung ausgesetzt sind. Auffällig ist dabei, dass
betroffene Erwachsene in einer Untersuchung angaben, sich retrospektiv als Kind
eine Vertrauensperson gewünscht zu haben, mit der sie über die Situation und
Probleme hätten sprechen können. Die Befragten beklagen, nur mangelnde soziale Unterstützung erfahren zu haben. Diese Aussagen untermauern die vielfach in
der Theorie anzutreffende These, dass sich Kinder oftmals scheuen über ihre Situation zu sprechen bzw. die Erkrankung in der Familie tabuisiert wird (vgl.
Pretis/Dimova 2010: 52).
„Mein Vater hatte Freundschaften und Bekanntschaften von meiner Mutter oder
von uns Kindern immer unterbinden wollen. Es gab viele Tabus. […] Damals hatte ich keinen Menschen um mich herum, dem ich mein Herz hätte ausschütten
können. Wenn ich meine Familie malen sollte, ich würde sie mit einer Mauer malen“ (Sielfaff-Toth in Franz 2005: 83 zit. nach Kaschta 2008: 26).
Zudem kann angenommen werden, dass sich die soziale Situation erkrankter Elternteile verschlechtert, wenn diese einen chronischen Krankheitsverlauf aufweisen. Dieser sogenannte soziale Drift ist meist mit einem Arbeitsplatzverlust und
damit einhergehenden finanziellen Schwierigkeiten verbunden. Die Frage nach
kausalen Wirkweisen muss an dieser Stelle offen bleiben, d.h. ob es zu einem sozialen Drift kommt, weil bei betroffenen Personen eine Disposition für eine psychische Erkrankung vorliegt oder aber ob soziale Risikofaktoren wie Armut selbst das
Erkrankungsrisiko steigern. Ohne Zweifel bleibt jedoch, dass der soziale Drift
selbst wieder das ganze Familiensystem betrifft und somit auch die Kinder Betroffener unter deren finanziellen Notlagen und sozialer Isolation leiden (vgl.
Pretis/Dimova 2010: 52).
45
Abschließend soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass die schematische
getrennte Darstellung von Risiken für Mütter und Kinder keineswegs zum Ausdruck bringen soll, dass mögliche Gefährdungen für beide Gruppen isoliert zu betrachten sind: Während etwa eine eingeschränkte Mutter-Kind-Aktion die Entstehungsgefahr einer psychischen Störung des Kindes erhöht, so können wiederum
Überforderungserfahrungen in der Erziehung und dem Beziehungsaufbau zum
Kind, bei erkrankten Müttern Schuldgefühle verursachen. Möglicherweise führt
dies erneut zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Frau und
somit zu einer Beeinträchtigung der Erziehungsfähigkeit (vgl. Nicholson et al.
1998).
4.2 Faktoren zur Einschätzung des Belastungspotentials der Kinder
bipolar erkrankter Eltern
In diesem Abschnitt soll ein Instrument vorgestellt werden, welches zur Einschätzung der Belastungen und Beanspruchungen von Kindern bipolar erkrankter Eltern entwickelt wurde. Diesem Fragebogen kommt in der Arbeit mit Familien mit
einem psychisch erkrankten Elternteil besondere Bedeutung zu, da er nicht nur
direkte krankheitsbezogene Auswirkungen zur Einschätzung des Belastungspotentials der Kinder berücksichtigt, sondern die Familie in ihrem Zusammenleben
als von der Krankheit betroffenes System erfasst. Somit kann die Nutzung des
Fragebogens helfen, die umfassenden Auswirkungen einer psychischen Erkrankung eines Elternteils, die immer die gesamte Familie als System betrifft, im Blick
zu behalten. Denn „um das Belastungspotential der kindlichen Entwicklung zu bestimmen, ist es nicht ausreichend, sich die psychiatrische Diagnose des erkrankten
Elternteils
zu
vergegenwärtigen“
(Bräunig
et
al.
2005:
131).
46
47
Abb. 6: Fragebogen zur Einschätzung des Belastungspotentials der Kinder
bipolar erkrankter Eltern
Quelle: In Anlehnung an Bräunig et al. (2005): Kinder bipolar erkrankter Eltern, S. 131ff.
Der Fragebogen, der gemeinsam mit der Familie / den Bezugspersonen des Kindes ausgefüllt werden kann, soll den Betroffenen und professionellen Helfern das
Ausmaß möglicher Belastungen des Kindes vor Augen führen. Entsprechend markiert insbesondere die letzte Frage ein mögliches Warnsystem, sodass die Autoren empfehlen, dass sich Eltern, insofern sie die letzte Frage mit „ja“ beantwortet
haben, umgehend an einen Kinder- und Jugendpsychiater bzw. Kinder- und Jugendpsychologen wenden sollten.
Werden im Fragebogen andere Fragen (unter Ausschluss von Frage 21) bejaht,
so bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass das Kind gefährdet ist, jedoch ist die
Wahrscheinlichkeit gegenüber anderen Kindern erhöht. Infolgedessen kann der
Fragebogen wichtige Hinweise bezüglich der Notwendigkeit vorbeugender und
stabilisierender Maßnahmen geben. Ziel ist es folglich, anhand der Anamnese Belastungs- und Schutzfaktoren zu identifizieren und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten, um einer Überlastung der Kinder entgegenzuwirken (vgl. Bräunig
et al. 2005: 131ff.).8
4.3 Fünf Kriterien zur Einschätzung der mütterlichen Kompetenz nach
Matakas
Ein weiteres etwas spezifischeres Instrument stellen die fünf Kriterien zur Einschätzung der mütterlichen Kompetenz dar, die nachfolgend überblicksartig wie-
8
Der Vollständigkeit halber soll darauf hingewiesen werden, dass sich in der Literatur weitere
Screeninginstrumente zur Gefährdungseinschätzung finden (siehe dazu etwa Beeck 2008: 9ff oder Lenz
2012: 47ff.). Zur Bearbeitung des Forschungsgegenstandes fiel die Auswahl auf den von Bräunig et al. entwickelten Fragebogen, da er speziell für Kinder bipolar erkrankter Eltern entwickelt wurde, die meisten anderen
Instrumente zur Gefährdungseinschätzung sich hingegen generell auf kindliche Belastungen durch eine elterliche psychische Erkrankung beziehen.
48
dergegeben werden. Anders als beim Fragebogen zur Einschätzung des Belastungspotentials der Kinder bipolar erkrankter Eltern, beleuchten die fünf Kriterien
nicht die gesamte Lebenssituation des Kindes, sondern fokussieren die mütterliche Kompetenz. Ziel der fünf Kriterien, welche das auf die Eltern-Kind-Behandlung
in der Psychiatrie spezialisierte Team um Prof. Matakas entwickelte, ist es somit,
die Versorgungsfähigkeit psychisch erkrankter Mütter einschätzen zu können. Dazu werden fünf Aspekte genannt, über welche die Mütter für die Erziehung ihres
Kindes verfügen müssen.

Als erstes Kriterium ist die physische Versorgung des Kindes zu nennen.
Dieses Kriterium erfasst, dass die Mutter elementaren Bedürfnissen des
Kindes nachkommen kann und in der Lage ist das Kind z.B. zu füttern, die
Windeln zu wechseln und für ein sauberes Umfeld zu sorgen. Zudem muss
gewährleistet sein, dass die Mutter das Schlaf- und Ruhebedürfnis des
Säuglings/Kindes respektieren kann.

Des Weiteren wird die emotionale Resonanz bzw. Responsivität zur Einschätzung der mütterlichen Kompetenz herangezogen. Diese meint, dass
auf Gefühlsäußerungen des Kindes angemessen regiert wird. Beispielsweise, dass auf ein Lächeln des Kindes mit einem eigenen Lächeln geantwortet wird oder die Mutter in der Lage ist, dass Kind zu beruhigen (insbesondere durch körperliche Nähe), wenn es ängstlich oder unruhig ist.

Zudem ist das Diskriminationsvermögen der Mutter ein weiterer wichtiger
Faktor zur Einschätzung der mütterlichen Kompetenz. Danach muss die
Mutter in der Lage sein zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und denen ihres Kindes zu unterscheiden. „Beispiel: Die Mutter hat Hunger und will ihr
Kind füttern, obwohl es gerade vor einer Stunde die Flasche bekommen
hat. Aus ihrem eigenen Bedürfnis heraus glaubt sie fest daran, dass ihr
Kind ebenfalls hungrig sein muss“ (Arens/Görgen 2006: 29).

Als viertes Kriterium wird die Wachsamkeit gegenüber Unfallgefahren
angeführt. Diese setzt voraus, dass die Mutter die Bewegungsfähigkeit ihres Kindes und dessen Bewegungsdrang einschätzen kann und das Kind
etwa nicht unbeaufsichtigt auf der Wickelkommode liegen lässt. Zudem sollte ein Bewusstsein über mögliche Gefahrenquellen vorhanden sein, wie sie
etwa Steckdosen oder Treppen darstellen können.
49

Nicht zuletzt ist die Triangulierung ein wichtiger Bestandteil der mütterlichen Kompetenz, d.h. die Mutter ist zeitweise in der Lage sich von der Mutter-Kind-Dyade zu lösen und die Zweierbeziehung für den Vater oder andere Bezugspersonen zu öffnen. Zwar spielt die Triangulierung in den ersten
Lebenswochen nach der Geburt noch eine untergeordnete Rolle, gewinnt
aber mit zunehmendem Alter des Kindes an Bedeutung (vgl. ebd.: 29).
Die fünf Kriterien zur Einschätzung der mütterlichen Kompetenz, messen somit
nicht direkt, wie belastet ein Kind ist, geben aber Auskunft darüber, ob die Versorgungsfähigkeit von Müttern, die durch eine Krankheitsepisode belastet sind, eingeschränkt ist. Somit kann dieses Instrument einen wichtigen Anhaltspunkt bieten,
wenn sichergestellt werden muss, ob Mütter aufgrund ihrer Erkrankung in der Lage sind, das Kind so zu versorgen, dass für dieses keine Gefahr besteht. Damit ist
die Einschätzung der mütterlichen Kompetenz auch im Sinne der Prävention von
Bedeutung.
4.4 Das Konzept von Resilienz und Vulnerabilität
Anhand der Erläuterung der bio-psycho-sozialen Auswirkungen einer psychischen
Erkrankung eines Elternteils sollte deutlich geworden sein, dass die Kinder zahlreichen und sehr vielschichtigen Problemen und Entwicklungsrisiken ausgesetzt
sind. Jedoch gelingt es vielen Kindern dennoch sich zu gesunden Heranwachsenden zu entwickeln. Im nächsten Kapitel soll daher analysiert werden, was
resiliente Kinder kennzeichnet. Die Kenntnis kindzentrierter, familienzentrierter
und umweltabhängiger Resilienzfaktoren ist auch insofern relevant, dass diese im
Rahmen von Unterstützung- und Förderangeboten gezielt gefördert und aktiviert
werden können, um wieder ein Gleichgewicht zu bestehenden Risikofaktoren
(Vulnerabililtät) herzustellen.
Zudem kann die Identifizierung von Resilienzfaktoren auf Ressourcen der Familien
verweisen „und eröffnet damit einen Einblick in einen bedeutsamen Abschnitt der
Lebenswelt des Kindes und der Familie, der durch eine vorwiegend problemorientierte Sichtweise weitgehend verborgen bleiben würde“ (Lenz 2012: 52). Die
Wahrnehmung von Stärken und Ressourcen, die wiederum Einfluss auf die
Resilienz der Kinder und ihrer Familien nehmen, erweitert somit die Bewertung
50
von Problemen und Defiziten, indem sie Ansatzpunkte für eine gezielte
Resilienzförderung markiert. Die Abwendung von einer rein defizitorientierten Betrachtung der Lebenssituation psychisch kranker Eltern und ihrer Kinder zielt auch
auf eine Erhöhung ihres Selbstwertgefühls und die Förderung sozialer Beziehungen ab. Denn die Würdigung von Ressourcen kann die Familien entlasten, indem
sie dadurch die Möglichkeit bekommen ihre Fähigkeiten und Kompetenzen darzustellen und als ExpertInnen der eigenen Möglichkeiten aufzutreten. „Dadurch verändert sich die Atmosphäre im Gespräch. Sie wird zunehmend entspannter und
wirkt sich auch positiv auf die Problemdiagnostik und -bearbeitung aus“ (ebd.: 53).
4.4.1 Definitionen
Wustmann versteht Resilienz als psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern,
die ihre Vulnerabilität gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken herabsetzt (vgl. Wustmann 2004: 18). Laut Petermann
und Schmidt kann Resilienz als Ergebnis des Erwerbs bereichsspezifischer Ressourcen definiert werden, die sich Personen durch ihre Interaktion mit der Umwelt
angeeignet haben. Resilienz beschreibt somit die Fähigkeit, erlernte Mechanismen
trotz erschwerter Umstände aktivieren zu können. Dadurch ist eine weitestgehend
gesunde Entwicklung, auch unter belastenden Lebensbedingungen, möglich (vgl.
Petermann/Schmidt 2006: 118ff.).
„Als resilient können somit Kinder angesehen werden, die sich trotz massiver
Beeinträchtigung erstaunlich positiv – im Vergleich zu denjenigen Kindern, die
unter gleichen Bedingungen psychische Belastungen aufweisen – entwickeln.
Diesen Kindern gelingt es, Entwicklungsrisiken weitestgehend zu vermindern
oder zu kompensieren, negative Einflüsse auszugleichen und sich gleichzeitig
gesundheitsförderliche Kompetenzen anzueignen“ (Kaschta 2008: 38).9
Das Gegenstück zur Resilienz stellt die Vulnerabilität dar, welche medizinisch als
Erkrankungsbereitschaft definiert wird. Sie bestimmt folglich wie verwundbar, verletzlich oder empfindlich eine Person auf ungünstige äußere Belastungsfaktoren
reagiert (vgl. Kaschta 2008: 39; Pretis/Dimova 2010: 63ff.).
9
Das Resilienzkonzept weist somit eindeutige Parallelen zu Antonovskys Konzept der Salutogenese auf.
Anstatt ausschließlich pathogenetische Faktoren zu fokussieren, also danach zu fragen, was Menschen krank
macht, untersucht es, was Menschen gesund erhält bzw. was sie trotz belastender Einflüsse nicht krank werden lässt (vgl. Kaschta 2008: 38).
51
Innerhalb des Konzepts der Resilienz wird zwischen drei großen miteinander verbundenen Faktorengruppen unterschieden: Den kindzentrierten Resilienzfaktoren,
den
familienbezogenen
Resilienzfaktoren
und
den
umweltzentrierten
Resilienzfaktoren. Diese steuern als protektive Faktoren die Widerstandsfähigkeit
des Kindes und werden nachfolgend erklärt.
Abb. 7: Die drei Faktorengruppen der Resilienz
Quelle: In Anlehnung an Pretis/Dimova (2010): Frühförderung mit Kindern
psychisch kranker Eltern, S. 63.
4.4.2 Kindzentrierte Resilienzfaktoren
Zunächst soll die Faktorengruppe der kindbezogenen Resilienzfaktoren erläutert
werden. Auf der Ebene des Kindes können folgende Faktoren dessen Resilienz
begünstigen:
Ein guter gesundheitlicher Status ermöglicht es Kleinkindern externe Anforderungen besser zu bewältigen, als Kindern, deren gesundheitlicher Zustand angeschlagen ist. Der Förderung des gesundheitsbezogenen Verhaltens der Eltern
kommt daher eine besondere Bedeutung zu (Ernährung, Einhalten kinderärztlicher
Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen usw.).
52
Zudem gilt es als erwiesen, dass ausgeglichene Kinder mit einem robusten, aktiven und kontaktfreudigen Temperament leichter mit Belastungen umgehen, als
Kinder mit „schwierigem“ Temperament. Bezüglich der Aktivierung dieses
Resilienzfaktors muss jedoch angemerkt werden, dass Interventionen auf der
Ebene der Persönlichkeitseigenschaften, zu denen auch die Temperamentsfaktoren zählen, kaum möglich sind. Nicht zuletzt werden Temperamentseigenschaften
auch auf genetische Prädispositionen zurückgeführt und sind daher nur indirekt,
über Veränderungen der Umwelt zu Gunsten des Kindes, beeinflussbar.
Da ein Zusammenhang zwischen der Intelligenz und psychischen Widerstandfähigkeit von Kinder zu beobachten ist stellt die (intellektuelle) Leistungsfähigkeit
einen weiteren Resilienzfaktor dar. Da Kinder psychisch erkrankter Eltern besonders gefährdet sind eine Entwicklungsverzögerung zu entwickeln, kommt der
kindgerechten Frühförderung eine besondere Relevanz zu.
Des Weiteren stellt ein hoher Selbstwert bzw. ein positives Selbstkonzept einen weiteren Schutzfaktor bei Kindern dar, da dieser etwa mit einem besseren
Gesundheitsstatus korreliert „Vor allem retrospektive Befragungen lassen häufig
eine Bedrohung des Selbstwertes im Rahmen psychischer Erkrankungen der Eltern erkennen“ (Pretis/Dimova 2010: 67). Zur Förderung des Selbstwertes sollten
sich Kleinkinder daher als „Handelnde“ erleben können, d.h. ihnen sollte die Möglichkeit gegeben werden Situationen aktiv auszuwählen, zu planen, durchzuführen
und auch zu bewerten.
Der Resilienzfakotor des Selbstwertes steht in engem Zusammenhang mit der
Selbstwirksamkeit, die auch einen kindzentrierten Resilienzfaktor darstellt. „Hohe
Selbstwirksamkeit bedeutet, dass das Kind die Erwartung entwickeln kann, dass
seine Handlungen zu erwünschten Effekten führen“ (ebd.: 68). Aufgrund der oftmals schwierigen Vorhersagbarkeit von Reaktionen und Krankheitsverläufen psychisch kranker Mütter ist die Selbstwirksamkeit bei Kleinkindern von Eltern, die
psychisch erkrankt sind, überdurchschnittlich oft vermindert. Die Selbstwirksamkeit
eines Kindes sollte daher durch positive Rückmeldungen durch das Umfeld auf
positive Verhaltensweisen des Kindes bestärkt werden.
Gelingt es Kleinkindern durch generalisierte Lernerfahrungen zu verstehen, dass
Veränderungen der Umwelt teilweise durch eigenes Verhalten bewirkt werden
können, entstehen interne Kontrollüberzeugungen. Reaktionen der Umwelt
53
werden somit verstehbar, vorhersehbar und kontrollierbar. Somit fördern vorhandene Kontrollüberzeugungen eines Kindes dessen Widerstandsfähigkeit.
Durchhaltevermögen
und
Frustrationstoleranz
stellen
zudem
weitere
Resilienzfaktoren dar, die mit der Selbstwirksamkeit in Verbindung stehen. Dabei
gilt es, Belohnungen aufschieben und Spannungen zeitweise aushalten zu können. Aufgrund der bereits erwähnten schwierigen Vorhersagbarkeit elterlichen
Verhaltens bei einer psychischen Erkrankung, ist diese Fähigkeit bei Kindern psychisch kranker Eltern meist beeinträchtigt. „Belohnungen werden meist sofort eingefordert, da keineswegs sicher ist, dass sie auch später noch verfügbar sind“
(ebd.: 69). Zur Förderung dieses Resilienzfaktors sollten Kleinkindern daher Möglichkeiten geboten werden, in denen sie sich als selbstwirksame und erfolgreiche
Kinder erleben können.
Zuletzt ist auf der Ebene des Kindes die Hilfsbereitschaft als Schutzfaktor zu
nennen: Wenn Kleinkinder frühzeitig in einen sozialen Austauschprozess des
„Gebens und Nehmens“ treten und in einem altersangemessenen Ausmaß Verantwortung übernehmen können, dann können Sie auch die Erfahrung machen,
dass sie sich einerseits selbst helfen können und sich andererseits auch auf die
Hilfsprozesse anderer verlassen können (vgl. Hédevári-Heller 2011: 23;
Pretis/Dimova 2010: 66ff.; Bräunig 2005: 133f.).
4.4.3 Familienzentrierte Resilienzfaktoren
Inwieweit ein Kind auf potentiell belastende Anforderungen resilient reagieren
kann hängt auch vom jeweiligen Familiensystem, in dem es aufwächst, ab. Daher
sollte in die Förderung des Kindes idealerweise das gesamte Familiensystem mit
einbezogen werden. Auf der Ebene der Familie können folgende Aspekte als
Resilienzfaktoren fungieren:
Eine sichere und stabile Bindung zu mindestens einer Person, die dem Kind in
belastenden Lebenssituationen kontinuierlich, zuverlässig und belastbar zur Seite
steht, stellt einen immens wichtigen Faktor zur Ausbildung von Resilienz dar. Gibt
es in der Familie eine Person, die feinfühlig auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen kann, so kann das Kind Vertrauen entwickeln. Zur Unterstützung psychisch
kranker Eltern bei der Wahrnehmung kindlicher Bedürfnisse kommen videounter54
stützende Verfahren zum Einsatz. Diese bieten eine gute Möglichkeit, „um den
erkrankten Eltern positive Rückmeldung zu geben, was sie mit ihren Kindern gut
machen“ (Pretis/Dimova 2010: 71).
Zudem stellt die Einbindung des Vaters/des Partners der erkrankten Mutter in
die Versorgung des Kindes einen weiteren Resilienzfaktor dar. Die Väter/Partner
können als weitere Bezugsperson für das Kind von großer Relevanz sein und eine
kompensatorische Funktion übernehmen, falls die Mutter in akuten Krankheitsphasen in ihrer Erziehungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Dies kann somit zur Entlastung des Kindes, als auch der Mutter beitragen.
In diesem Zusammenhang stellt außerdem eine positive Partnerschaftsbeziehung zwischen den Eltern bzw. primären Bezugspersonen des Kindes einen
Schutzfaktor dar, damit alle für das Kind relevanten Bezugspersonen in die Arbeit
mit der Familie mit einbezogen werden können.
Daneben wird in der Literatur auf für das Kind klar erkennbare Strukturen und
Regeln verwiesen, die einen weiteren Schutzfaktor darstellen können. Daraus
kann abgeleitet werden, das Regeln und Strukturen im Haushalt und Erziehungsverhalten der Eltern für die Kinder nachvollziehbar und erkennbar sein sollten. In
der Familienarbeit ist daher die Wichtigkeit klarer Struktursignale hervorzuheben.
Zudem konnte eine kleine Familiengröße als familienbezogener Resilienzfaktor
identifiziert werden. Es ist anzunehmen, dass in Familien von bis zu fünf Personen
mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, um auf die individuellen Bedürfnisse der
Kinder einzugehen und Konflikte zu verringern.
Eine Trennung vom „kranken Hintergrund“, d.h. das Aufsuchen von Lebensräumen außerhalb der erkrankten Familie (z.B. Spielplatz), kann Kinder zusätzlich
durch eine Stressreduktion entlasten (vgl. Pretis/Diova 2010: 70ff.; Bräunig et al.
2005: 135f.).
Zudem konnten auf der Ebene der Mütter, insofern diese die primäre Bezugsperson für das Kind darstellen, drei weitere Faktoren offen gelegt werden, welche Einfluss auf die Widerstandfähigkeit des Kindes nehmen können:
Dabei scheint die Ausbildungssituation der Mütter Einfluss auf die Resilienz der
Kinder zu nehmen. „Je höher die Ausbildungssituation der Mütter, desto eher
scheinen die Kinder ‚geschützt‘“ (Pretis/Dimova 2010: 72).
55
Ähnlich verhält es sich mit der Berufstätigkeit der Mütter, da Berufstätigkeit als
aktives Coping anzusehen ist und Berufstätigkeit bei Entwicklungsrisiken des Kindes „puffernd“ wirkt.
Zuletzt ist auf die positive (Selbst-)Wahrnehmung der Mütter zu verweisen: Gelingt es Müttern ein positives Selbstbild zu entwickeln, können hoffnungslose Einschätzungen bezüglich der eigenen Person, der Umwelt und der Zukunft durchbrochen werden und somit auch Lernprozesse des Kinder positiv bestärkt werden.
Die positive Wahrnehmung der Mütter ist insbesondere in depressiven Episoden
gefährdet, sodass gerade hier Interaktionssequenzen, in denen Mütter auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen positiv zu verstärken sind (vgl. ebd.: 72f.).
4.4.4 Umweltzentrierte Resilienzfaktoren
Die dritte Faktorengruppe der Resilienz stellen umweltzentrierte Resilienzfaktoren
dar:
Die außerfamiliäre Unterstützung der Mutter, etwa durch den Einsatz von FamilienhelferInnen, sozialen Diensten oder in Form von Frühförderung kann die Familie unterstützen und dazu beitragen, dass Ressourcen für das Kind frei werden,
die sonst beispielsweise für das Management des Haushaltes aufgewendet werden müssen.
Umweltzentrierte Resilienzfaktoren können außerdem durch das Eröffnen von
Möglichkeiten aktiviert werden. Psychische Erkrankungen der Eltern (insbesondere bei depressiven Krankheitsepisoden) gehen oftmals mit einer fortschreitenden Einengung der eigenen Möglichkeiten, sozialem Rückzug, Scham und Scheu,
an die Öffentlichkeit zu treten einher. Gelingt es dennoch Kleinkindern Alternativen
aufzuzeigen und Bedingungen zu schaffen, in denen sie dennoch mitentscheiden
können, z.B. bei der Auswahl von Aktivitäten, kann dies ihre Resilienz fördern.
„Allein die Perspektive zu haben, selbstbestimmt zwischen Alternativen auswählen
zu können, verringert das Gefühl des ‚Ausgeliefertseins‘ und der Fremdbestimmung durch die Krankheit‘“ (Pretis/Dimova 2010: 74).
Zuletzt soll auf die Einbindung des Kindes in die „Community“ verwiesen werden. Sind gemeindenahe (Unterstützungs-)angebote vorhanden, die dezentral
organisiert sind und Eltern einen niederschwelligen Zugang ermöglichen, so kann
56
eine Enttabuisierung psychischer Erkrankungen gefördert werden und somit auch
die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten erleichtert werden. Die Resilienz von
Kleinkindern hängt somit auch von der Einbindung des Kindes in die Gemeinde ab
(vgl. ebd.: 73ff.).
4.5 Krankheitserfahrung als Erziehungsressource & Entwicklung von
Potentialen
Nachdem nun dargestellt wurde, durch welche Resilienzfaktoren die Widerstandsfähigkeit von Kindern bipolar erkrankter Eltern gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken verbessert werden kann soll abschließend ebenso auf den Aspekt verwiesen werden, dass „Kinder psychisch
kranker Eltern auch Potenziale durch die Erkrankung der Eltern entwickeln [können]“ (Beeck: 2008: 21).
Beeck betont demzufolge, dass Kinder, insofern sie in der Lage waren die Herausforderungen durch die elterliche psychische Erkrankung zu bewältigen, durchaus
über besondere Potenziale verfügen können.
In einer Befragung von mittlerweile erwachsenen Kindern, die bei psychotisch erkrankten Eltern aufwuchsen, äußerten die Kinder zum Beispiel, dass sie durch die
Erkrankung des Elternteils ein überdurchschnittlich gutes „Krisenmanagement“
entwickelt hätten, sodass sie in der Lage seien „normale Krisen“ gut zu bewältigen. Überdies teilten die Kinder mit, eine überdurchschnittliche Selbstständigkeit
und ein gut ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein entwickelt zu haben, da sie
früh lernten für sich und andere zu sorgen. Ebenso betonten die Befragten, dass
Zuverlässigkeit für sie von besonderer Relevanz sei und sie in Folge versuchten,
diese auch anderen Menschen zu bieten. Zuletzt ist das hohe Einfühlungsvermögen als Potential zu nennen, welches viele Kinder durch die elterliche Erkrankung
entwickelten: „Meist waren es die Kinder, die gemerkt haben, dass wieder etwas
mit ihren Eltern nicht stimmt. Sie haben ‚Antennen‘ für das Wohlbefinden ihrer Eltern entwickelt“ (ebd.: 21).10
10
Durch die Darstellung der Ressourcen und Potentiale soll nicht in Frage gestellt werden, dass eine elterliche psychische Erkrankung zweifelsfrei oftmals eine Überforderung der Kinder darstellt. Wie gezeigt werden
konnte, entscheidet somit das Gleichgewicht an Schutz- und Belastungsfaktoren darüber, ob es Kindern gelingt, sich zu gesunden Erwachsenen (mit besonderen Potentialen) zu entwickeln. Die ausdrückliche Beto-
57
Des Weiteren verweist Krumm darauf, dass die Krankheitserfahrungen bipolar
erkrankter Mütter auch eine Erziehungsressource darstellen können. So äußerten
psychisch erkrankte Frauen mit Kinderwunsch, dass sie, gesetzt den Fall, dass
das eigene Kind eine psychische Erkrankung entwickeln sollte, dann aufgrund ihrer eigenen Aufgeklärtheit in angemessener, nicht stigmatisierender Weise darauf
reagieren könnten:
„Es ist zwar natürlich nicht toll, wenn das eigene Kind psychisch krank werden
würde, aber gesetzt dem Fall, das wäre so, hätte es aufgeklärte Eltern, also es
würde auf keine Vorurteile treffen und man würde rechtzeitig schon versuchen,
was dagegen zu tun (Int. 8.)“ (Krumm et al. 2010: 138f.).
Zudem könnte die eigene Krankheitserfahrung zur Erziehungsressource werden,
wenn daraus eine frühzeitige Inanspruchnahme von Unterstützungsmöglichkeiten
resultiert:
„Das würde ich ja nicht gerade einem Kind wünschen von mir, dass es auch diese Krankheit hat, obwohl es vielleicht besser dann zu erkennen wäre, weil man
wüsste, ich hab das ja schon. In meiner Familie gibt’s das nicht, da hat keiner so
was und deswegen ist es vielleicht auch nie erkannt worden (Int. 16.)“ (ebd.:
139).
nung von möglichen Potentialen zielt daher auf die Komplettierung der Darstellung und ist ebenso unumgänglich wie die Betonung möglicher Gefährdungen.
58
5. Soziale
Arbeit
als
Lebenskunst-
und
Menschenrechts-
profession: Die Förderung der gelingenden Elternschaft als
Aufgabe Klinischer Sozialer Arbeit?
Die bisherigen Erläuterungen zum Thema Kinderwunsch und Elternschaft bipolar
erkrankter Frauen lassen erkennen, dass die Reproduktion psychisch erkrankter
Frauen durch die Fokussierung auf Risikofaktoren lange Zeit einer einseitigen Betrachtungsweise unterlag bzw. teilweise noch immer unterliegt. Zweifelsfrei wäre
es somit wünschenswert, die Thematik in umfassenderer Weise zu beleuchten
und mögliche problematische Aspekte der Elternschaft psychisch kranker Menschen auch mit mangelnden Unterstützungsangeboten in Verbindung zu bringen.
Wirft man in diesem Kontext die Frage auf, warum die Beratung und Begleitung
bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankter Mütter Gegenstand der Profession Klinischer Sozialer Arbeit sein soll und muss, ist diese
Frage klar durch den Verweis auf die Menschenrechte, welchen Soziale Arbeit
verpflichtet ist, zu beantworten.
Laut Definition der IFSW (International Federation of Social Workers) ist Soziale
Arbeit ein Beruf, der „den sozialen Wandel und die Lösung von Problemen in
zwischenmenschlichen Beziehungen [fördert], und […] [die] Menschen [befähigt], in freier Entscheidung ihr Leben besser zu gestalten. Gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse über menschliches Verhalten und soziale Systeme
greift Soziale Arbeit dort ein, wo Menschen mit ihrer Umwelt in Interaktion treten. Grundlagen der Sozialen Arbeit sind die Prinzipien der Menschenrechte
und der sozialen Gerechtigkeit“ (IFSW 2012).
Der Gegenstand Sozialer Arbeit wird somit gleich mit mehreren Zielbegriffen wie
dem „sozialen Wandel“, der „Problemlösung in zwischenmenschlichen Beziehungen“, der „Befähigung zu freier Entscheidung (Empowerment)“ und der „guten Lebensgestaltung“ umschrieben. Diese Zielbegriffe sollen den Prinzipien der „sozialen Gerechtigkeit“ und der „Menschenrechte“ folgen.
Röh resümiert entsprechend, dass Soziale Arbeit „sowohl mit der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe des sozialen Wandels als auch der in den Gemeinschaften, Gruppen und Sozialbeziehungen auftretenden Problemlösung sowie
Empowerment und Befreiung von Gruppen, Einzelnen sowie der Erhöhung deren Wohlbefindens verbunden [ist]“ (Röh 2013: 55).
59
In Hinblick auf die Menschenrechte als Grundlage Sozialer Arbeit kommt insbesondere dem Menschenrecht auf Familienplanung, welches erstmals bei der internationalen Menschenrechtskonferenz in Teheran 1968 formuliert wurde, besondere Bedeutung innerhalb dieser Arbeit zu. Es besagt, dass es ein grundlegendes
Recht von Frauen und Männern ist, über die Zahl ihrer Kinder und den Zeitpunkt
ihrer Geburt frei und verantwortlich zu entscheiden (vgl. ÖGF 2007). Dieses Recht
auf Familienplanung wurde bei der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo im Jahr
1994 folgendermaßen bestätigt:
„Das Ziel von Familienplanungsprogrammen muss es sein, Paaren und Einzelpersonen zu ermöglichen, sich frei und eigenverantwortlich über die Zahl ihrer
Kinder und den Zeitpunkt ihrer Geburt entscheiden zu können sowie über die
hierzu erforderlichen Mittel und Informationen zu verfügen“ (Deutsche Stiftung
Weltbevölkerung 2012: VI).
Auch im Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau
aus dem Jahr 1979 wird das Menschenrecht auf Familienplanung unter Artikel 16
e) schriftlich festgehalten:
„(1) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung
der Diskriminierung der Frau in Ehe- und Familienfragen und gewährleisten auf
der Grundlage der Gleichberechtigung von Mann und Frau insbesondere folgende Rechte: […]
e) gleiches Recht auf freie und verantwortungsbewusste Entscheidung über Anzahl und Altersunterschied ihrer Kinder sowie auf Zugang zu den zur Ausübung
dieser Rechte erforderlichen Informationen, Bildungseinrichtungen und Mitteln“
(Bundesgesetzblatt II 1985: 657).
Folglich besteht ein klar definierter ethischer Referenzrahmen für das Handeln
Klinischer SozialarbeiterInnen. Die Gewährleistung reproduktiver Rechte, inklusive
der Unterstützung bei der Familienplanung und dem Zurverfügungstellen von Informationen verkörpern somit aufgrund ihrer Verankerung in den Menschenrechten sozialarbeiterische Aufträge. Die tatsächliche Umsetzung gestaltet sich jedoch
angesichts zunehmender Einsparungen im Gesundheitssystem immer schwieriger. Auch Staub-Bernasconi verweist darauf, dass Soziale Arbeit, wenn sie sich
als Disziplin und Profession auf die Menschenrechte beruft, aufgefordert ist, diese
zu verteidigen und zu sichern (vgl. Staub-Bernasconi 2006: 267ff; StaubBernasconi 2008: 9ff.). Umgekehrt ist Soziale Arbeit allerdings auch - will sie ihrer
Bestimmung als „agency for social change“ (IFSW) nachkommen - fundamental
auf die Menschenrechte angewiesen, um Menschen bei der Wahrung und Durchsetzung ihrer Rechte (der Menschenrechte) helfen zu können (vgl. Mührel/Röh
60
2007: 298). Insbesondere weil die Profession der Sozialen Arbeit in ihren Aufträgen auch von gesellschaftlichen, sozialpolitischen und administrativen Vorgaben
mitbestimmt wird ist ein ethischer Bezugsrahmen zur Reflexion des eigenen Handelns unerlässlich. Schließlich können dadurch an die Soziale Arbeit herangetragene Aufträge kritisch reflektiert werden. Röh hält entsprechend fest, dass „eine
ethische Reflexion dieser Einflüsse, will man eine emanzipatorische und humanistische Soziale Arbeit vertreten, von Nöten [ist]“ (Röh 2013: 64).
An dieser Stelle sei auch auf den Entwurf Sozialer Arbeit als Lebenskunstprofession verwiesen, wie ihn Frauke Mayer durch ihre Überlegungen zur ethischen Dimension Sozialer Arbeit geprägt hat. In ihrer Abhandlung zur Klärung des Auftrags, der Aufgaben und Herausforderungen Sozialer Arbeit, wirft sie die „ethische
Frage nach der besten, sowohl unserer Lebenswirklichkeit als auch unseren Werten angemessenen Haltung gegenüber uns selbst, den Mitmenschen und der Erde
[…]“ auf (Meyer 2002: 1). Dabei nimmt sie ebenfalls Bezug auf die Verortung Sozialer Arbeit als Profession, „die alltäglich mit der mangelnden Befriedigung grundlegender, menschlicher Bedürfnisse konfrontiert ist und die daraus resultierende
Not ermessen kann […]“ (ebd.: 18). Daraus folgt die Argumentation Meyers, dass
Soziale Arbeit die Durchsetzung der Menschenrechte zum wesentlichen Prinzip
ihres beruflichen Handelns machen muss (vgl. ebd.: 18).
Begründet durch ihre Annahme, dass Menschen ihr Leben in aller Regel als gutes,
glückliches und gelingendes Leben erfahren und begreifen möchten, schlägt sie
vor, Soziale Arbeit als Lebenskunstarbeit zu definieren. Unter Berufung auf Aristoteles, der bereits konstatierte, dass jeder Mensch sein Leben so führen und wählen können sollte, dass am Ende die eudaimonia (Glückseligkeit) steht, fordert
Meyer, dass auch die Soziale Arbeit sich am guten, gelingenden Leben orientieren
solle.
„Berücksichtigt und respektiert man diese Sehnsucht jedes Menschen nach einem guten, gelingenden und glücklichen Leben läßt [sic!] sich zu Recht fragen,
ob sich Soziale Arbeit überhaupt denken ließe, ohne eine Vorstellung von und
eine Orientierung an einem guten Leben“ (Meyer 2002: 3).
Folglich zielt Soziale Arbeit als Lebenskunstprofession, die sich am gelingenden
Leben orientiert, darauf ab, die Handlungsmöglichkeiten des/der Einzelnen, sowie
die Fähigkeiten den eigenen Lebensweg zu kontrollieren, wiederherzustellen,
61
wenn Lebensentwürfe gescheitert sind oder zu scheitern drohen (vgl. Meyer 2002:
14; Schörghofer 2010: 36f.). „Bei psychisch Kranken ist hierbei sicher der Umgang
mit Brüchen, die individuelle Emanzipation von der eigenen ‚Krankengeschichte‘,
bzw. Unterscheidung von ‚Krankengeschichte‘ und ‚Lebenserzählung‘ wichtig“
(Schörghofer 2010: 37). Soziale Arbeit als Lebenskunstprofession hat somit das
Ziel, Menschen schrittweise zu einer weltoffenen, selbstbestimmten Lebensführung zu befähigen. Dazu eignet sich als Methode die Klugheitserziehung, wie sie
bereits Wilhelm Schmid in seinem Buch „Philosophie der Lebenskunst“ vorstellt.
„Klugheitserziehung [geht] von den Fähigkeiten und Ressourcen des Einzelnen
aus um in angemessenen Schritten diesen persönlichen Handlungshorizont im
Hinblick auf das Ziel kluger und umsichtiger Lebensführung zu erweitern“
(Schmidt 1998: 312ff. zit. n. Meyer 2002: 14f.).
Soziale Arbeit als Lebenskunstprofession orientiert sich demzufolge an Fähigkeiten und gelungenen Lebenssituationen des Menschen, anstatt Defizite zu fokussieren (vgl. Meyer 2002: 15).
Die gelingende Elternschaft bzw. die Förderung dieser durch Unterstützungsmöglichkeiten soll im Rahmen dieser Arbeit anhand der bisher erfolgten Erläuterungen
in den größeren Kontext des gelingenden Lebens eingeordnet werden. Denn Soziale Arbeit hat als Lebenskunstprofession die Förderung selbstbestimmter und
durch Informationsvermittlung fundierter reproduktiver Entscheidungen zum Ziel.
Da auch der Kinderwunsch und die Elternschaft im Lebensentwurf vieler Menschen von großer Relevanz sind, besteht für die Soziale Arbeit folglich auch dann
ein Auftrag, wenn der selbstbestimmte Umgang mit reproduktiven Aspekten eingeschränkt bzw. gefährdet ist. Schließlich ist die Selbstbestimmung eines jeden
Menschen an sich bereits zu fördern, da sie wiederum selbst unweigerlich mit
gelingendem Leben verbunden ist.
Zum anderen stellen die Menschenrechte einen klar definierten ethischen Bezugsrahmen für das Handeln Klinischer SozialarbeiterInnen dar. Somit ist festzuhalten,
dass ProfessionistInnen durch den Auftrag, die Menschenrechte zu verteidigen
und zu sichern, auch der Umsetzung des Menschenrechts auf Familienplanung
und der damit einhergehenden Förderung einer gelingenden Elternschaft ver-
62
pflichtet sind, wenn die Frauen sich für eine Umsetzung ihres Kinderwunsches
entscheiden.11
Nichtsdestotrotz findet die Thematik des Kinderwunsches bisher kaum Berücksichtigung durch die Klinische Soziale Arbeit. „Leider ist die Elternschaftsthematik
bei vielen Behandelnden unterschiedlicher Berufsgruppen nur unzureichend repräsentiert“ (Grube/Dorn 2007: 67). Klinische Soziale Arbeit könnte sich daher in
diesem bisher unzureichend berücksichtigten Feld etablieren und eine Lücke
schließen.
5.1 Ethische Herausforderungen
Die unzureichende Beachtung reproduktiver Aspekte ist vermutlich auch mit ethischen Herausforderungen in Verbindung zu bringen, mit denen professionelle HelferInnen im psychiatrischen Kontext konfrontiert sind, wenn Patientinnen einen
Kinderwunsch äußern. In einer Untersuchung zur Einstellung von professionellen
HelferInnen bezüglich des Kinderwunsches von Patientinnen eines psychiatrischen Krankenhauses, zeigte sich, dass die Befragten versuchten eine neutrale
Haltung einzunehmen und den Kinderwunsch der Patientinnen in deren eigene
Entscheidungsmacht zu legen. Dabei betonten sie das Recht auf eigene reproduktive Entscheidungen und verwiesen auf historische Aspekte der Eugenik. „Ein
Teilnehmer der Untersuchung äußerte sich folgendermaßen: „But of course, it´s
more or less the same with all kinds of decision: in the end it´s the patient who
makes the decision (Psychologist_1, 336)” (Krumm et al. 2014: 5). Auch eine andere Studienteilnehmerin verwies auf die reproduktiven Rechte psychisch erkrankter Menschen, die es zu schützen gilt: “Thank god those times are gone. But I did
experience such times, when I first arrived here. There were many patients who
11
Jedoch muss natürlich bei Thematik der Elternschaft beachtet werden, dass Konflikte entstehen können,
wenn der Lebensentwurf von Frauen (z.B. aufgrund ihrer Erkrankung) schwer mit den Bedürfnissen eines
Kindes vereinbar scheint. Die Selbstbestimmung einer Person stößt somit dann an ihre Grenzen, wenn damit
das Wohl einer anderen Person (etwa des Kindes) gefährdet ist. „Es [gibt] schwerwiegende durch elterliche
Erkrankungen begründete Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit. In diesen Fällen muss zum Schutz des
Kindes eingegriffen werden „ (Grube/Dorn 2007: 67).
63
underwent forced sterilization (Nurses_1)” (ebd.: 5). Somit wurde unterstrichen,
dass jede/r PatientIn das Recht hat ein Kind zu bekommen.
Dennoch wurde ersichtlich, dass die Frage, inwieweit die Frauen aufgrund ihrer
psychischen Erkrankung darin beeinträchtigt sind eine autonome Entscheidung für
oder gegen ein Kind zu treffen, durchaus einen Unsicherheitsfaktor darstellt.
„Sometimes during an in-patient treatment one might think it is not a good idea
for a female patient to become pregnant (…) how far does our responsibility go
here (.). is it possible at all for a patient to make her own decisions in such a
case? (Psychiatrist_1)” (ebd.: 5).
Eine Unfähigkeit reproduktive Entscheidungen autonom zu treffen wurde dabei
von den ExpertInnen des Handlungsfeldes aber eher als Ausnahme denn als Regel beschrieben.
Im Zusammenhang mit ethischen Aspekten fällt auch auf, dass professionelle HelferInnen versuchten eine neutrale Haltung bezüglich reproduktiver Entscheidungen einzunehmen, sich dazu aber manchmal über ihre persönlichen Überzeugungen hinwegsetzen mussten. Dies wird durch eine Interviewpassage der Studie
deutlich, in der ein professioneller Helfer berichtet, explizit Abstand davon zu
nehmen, sich negativ zu äußern. Dazu ordnet er seine fachliche Einschätzung
dem Konzept der eigenen Entscheidung von Patientinnen unter:
„Of course, none of us are really non-judgmental. That´s a fact. Yes, you can´t –
can´t really be. But nevertheless you have to free yourself from that way of thinking. I have to say it´s not about valuations but about patients being able to decide for themselves (Psychiatrist_1)” (ebd.: 5).
Zudem konnte die Studie zur Einstellung professioneller HelferInnen offen legen,
dass diese häufig bezüglich einer Schwangerschaft psychisch erkrankter Klientinnen bzw. PatientInnen hin und her gerissen sind, wenn sie vermuten dass eine
Schwangerschaft zu einer Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes der
Frauen führen wird. Auf der einen Seite steht dabei die Verpflichtung der professionellen HelferInnen sich um das Wohl der Frauen zu sorgen. Auf der anderen Seite erleben die ProfessionistInnen eine Beeinflussung der Frauen, indem etwa die
eigene Meinung geäußert wird, als unvereinbar mit der professionellen Neutralität
(vgl. Krumm et al 2014: 6).
64
Des Weiteren betonten die professionellen HelferInnen auch die möglichen negativen Auswirkungen von einer psychischen Erkrankung der Mutter auf die Entwicklung des Kindes. Dieser Aspekt wurde kontrovers diskutiert:
„Some participants stressed the fact that they have a treatment mandate for the
adult patient rather than for the patient´s child. From this perspective, patients´offspring are subordinated to patient well-being. Of course, subordination
of child- well being does not imply that child welfare issues are ignored in the
treatment process. Rather, the issues of patients´children is accepted as one
among other important components within the treatment process” (ebd.: 7).
Die Darstellung der ethischen Aspekte verdeutlicht, dass die Reproduktion psychisch erkrankter Menschen sowohl die Betroffenen selbst als auch professionelle
HerlferInnen vor besondere Herausforderungen stellt. Dies führt unter anderem
dazu, dass die Reproduktion psychisch erkrankter Menschen aufgrund der ethischen Herausforderungen „ent-professionalisiert“ wird und somit kein bzw. ein
vermindertes Zuständigkeitsempfinden bei professionellen HelferInnen vorhanden
ist (vgl. ebd.: 7). Anstatt die Thematik jedoch als (ausschließlich) privaten Bereich
abzutun, der somit nicht mehr in den Verantwortungsbereich professioneller Helfer
fällt, wäre eine Qualifizierung der Fachkräfte und Thematisierung ethischer Konflikte wünschenswert. Nur dann kann die Klinische Soziale Arbeit ihrer Verpflichtung zur Umsetzung der Menschenrechte nachkommen.
Zusammenfassend soll betont werden, dass Unterstützung somit auf professioneller Basis nicht in Form von Beeinflussung oder durch die Äußerung der eigenen
Meinung stattfinden kann. Stattdessen können aber Informationen bereit gestellt
werden, sodass Frauen mit Kinderwunsch eine fundierte Entscheidung treffen
können. Ebenso gilt es Frauen, die sich für die Umsetzung ihres Kinderwunsches
entschieden haben, bestmöglich zu unterstützen und ihre eigene Gesundheit und
die des Kindes zu fördern. Welche Interventionsformen zur Unterstützung einer
gelingenden Elternschaft beitragen können, soll im nächsten Kapitel untersucht
werden.
65
6. Unterstützungsmöglichkeiten Klinischer Sozialer Arbeit
Nachdem gezeigt wurde, dass die Beratung und Begleitung bipolar erkrankter
Frauen mit Kinderwunsch und bipolar erkrankter Mütter ein Aufgabenfeld Klinischer Sozialer Arbeit darstellen, soll geklärt werden in welcher Form Unterstützungsmöglichkeiten für bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsch und bipolar
erkrankte Mütter geleistet werden können. Das folgende Kapitel soll daher genutzt
werden, um Interventionsformen und Konzepte vorzustellen, anhand derer eine
verstärkte Unterstützung bipolar erkrankter Frauen hinsichtlich reproduktiver Aspekte umgesetzt werden kann.
Zunächst wird auf die Klassifizierung der vier Typen der psychosozialen Versorgung nach Ludewig eingegangen, um zu veranschaulichen wodurch Beratung und
Begleitung als Hilfsformen gekennzeichnet sind bzw. worin sie sich unterscheiden.
Darauf folgend wird die psychosoziale Beratung als Interventionsform Klinischer
Sozialer Arbeit erläutert und aufgeschlüsselt, welche Expertise und Kernkompetenz Klinische Soziale Arbeit im Handlungsfeld der psychosozialen Beratung und
Behandlung aufweist. Damit soll veranschaulicht werden, dass Klinische Soziale
Arbeit als Fachdisziplin über Potentiale zur Gesundheitsförderung verfügt, die insbesondere im psychiatrischen Arbeitsfeld besonders bedeutsam sind.
6.1 Formen der psychosozialen Versorgung nach Ludewig
Zur Verortung von Beratung und Begleitung als Formen der psychosozialen Versorgung (von bipolar erkrankten Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankten
Müttern) soll in diesem Kapitel auf die Typisierung Ludewigs verwiesen werden.
Danach kann die Vielfalt an Hilfssystemen in vier Grundarten professionellen Helfens eingeteilt werden.
Klinische Hilfestellung kann somit in Form von Anleitung, Beratung, Begleitung
und Therapie erfolgen, wie in Abbildung 8 veranschaulicht wird. Ziel ist dabei immer die Linderung oder Beseitigung von Leiden, so Ludewig (vgl. Ludewig 1992:
121ff; Ludewig 2002: 171).
66
Abb. 8: Formen professioneller psychosozialer Versorgung
Quelle: In Anlehnung an Ludewig (2002): Leitmotive systemischer Therapie, S. 171.
Am Hilfe- bzw. Fürsorgeprozess sind stets zwei Parteien beteiligt, nämlichen zum
einen die hilfesuchende Person (bzw. die Person, der Hilfe verordnet wurde) und
zum anderen die Person, die Hilfestellung bietet. Die Hilfesuche kann durch verschiedene Motive initiiert werden: Entweder kann der Wunsch nach Erweiterung,
d.h. die Zunahme an Fähigkeiten, Entscheidungskriterien und Optionen im Vordergrund stehen, um mit Leiden besser umzugehen. Oder aber die Hilfesuche
(Verordnung dieser durch den Auftraggeber) ist direkt mit dem Wunsch verbunden, dass das Leiden nachlässt (Verringerung).
Das Muster der Versorgung, welches in der Graphik durch die Waagrechte dargestellt wird, „bedingt die Art und Weise, wie der Helfer seine Mittel – seine strukturellen Möglichkeiten – einsetzt“ (Ludewig 1992: 122). Auf der einen Seite steht hier
Konvergenz als Muster der Versorgung, d.h. es wird eine Bildung einer dauerhaften Beziehung angestrebt, der Helfer stellt seine Struktur zur Verfügung und es
kommt im Verlauf der Hilfestellung zu einer Angleichung der Struktur von Helfer
und Hilfesuchendem. Auf der anderen Seite kann die Differenz das Ziel der Hilfestellung sein. Dann fungiert der Helfer als Katalysator, der bei der hilfesuchenden
Person eigene Prozesse anregt. Die Entstehung einer überdauernden Beziehung
wird dabei nicht angestrebt und vermieden (vgl. Ludewig 2002: 170ff.).
67
In Abhängigkeit vom Auftraggeber des Hilfsprozesses unterscheidet Ludewig zwischen zwei Grundformen der psychosozialen Versorgung: Während Hilfe prinzipiell die Hilfesuche voraussetzt und es sich somit um einen frei ausgehandelten Vertrag handelt, kommt Fürsorge in Form einer Anordnung durch einen Auftraggeber,
wie etwa dem Jugendamt, zustande. Unter Fürsorge versteht Ludewig somit jene
Form der Versorgung, die durch Dritte zum Wohle anderer veranlasst wird (vgl.
Ludewig 2002: 171f.).
„Die Art und Weise, wie eine Maßnahme der psychosozialen Versorgung veranlasst wird, zeigt zwei unterscheidbare Grundformen: Hilfe und Fürsorge. Beide
Konzepte sind zwar in der Vergangenheit mehr oder weniger anrüchig geworden
– man denke zum Beispiel an die unliebsame Fürsorgerin früherer Epochen
bzw. an das bedrückende ‚Helfersyndrom‘ der siebziger Jahre –, sie bezeichnen
jedoch derart elementare und spezifische Formen des menschlichen Miteinanders, daß [sic!] sie es verdienen, ernst genommen und rehabilitiert zu werden“
(ebd.: 172).
Helfen kann daher nur dann stattfinden wenn eine Bitte um Hilfe geäußert wurde.
Fürsorge stellt hingegen eine Maßnahme dar, die von befugten und verantwortlichen Dritten veranlasst wird. Auftraggeber, Ausführende und Empfänger sind drei
verschiedene Instanzen. Dabei stellen beide Formen, Hilfe und Fürsorge, legitime
und notwendige Formen der sozialen Versorgung dar. Mittels der Trennung von
Hilfe und Fürsorge soll laut Ludewig kein Unterschied in der Wertigkeit beider
Formen herausgearbeitet werden. Vielmehr geht es darum, das Handeln und die
Hilfestellung am Auftrag ausrichten zu können (vgl. ebd.: 172; Ludewig 1999:
53ff.).
Abb. 9: Hilfe und Fürsorge
Quelle: In Anlehnung an Ludewig (1999): Leitmotive systemischer Therapie, S. 53ff.
68
Die Formen der psychosozialen Versorgung, Anleitung, Beratung, Begleitung und
Therapie sind daher je nachdem, ob die Bitte um Hilfe oder die Verordnung von
Fürsorge das Anliegen darstellen, zu unterscheiden. Anlass, Maßnahme und
Dauer sind hingegen bei Anleitung, Beratung, Begleitung und Therapie jeweils
vom Grund der Hilfe unabhängig (vgl. Ludewig 1999. 53ff.).
Die Einteilung in Hilfe und Fürsorge veranschaulicht auch das Spannungsfeld in
dem sich Soziale Arbeit bewegt, schließlich muss zwischen dem Wohl der Mutter
und dem Wohl des Kindes differenziert werden. Daraus können sich Interessenskonflikte zwischen dem Auftraggeber, der ausführenden Person und den Empfängern ergeben.
( 1. Anlass, 2. Maßnahme, 3. Dauer)
Abb. 10: Grundarten des Helfens und der Fürsorge
Quelle: In Anlehnung an Ludewig (2002): Leitmotive systemischer Therapie, S. 171.
69
Angewendet auf die Thematik der Beratung und Begleitung bipolar erkrankter
Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankter Mütter bedeutet diese, dass es
Ziel von Beratung sein muss, Frauen zur selbstbestimmten Nutzung ihrer Möglichkeiten zu befähigen. Dazu müssen vorhandene Strukturen gefördert werden. Die
Beratung zielt somit auf eine Erweiterung, z.B. von Kompetenzen. Während „Anleitung impliziert, dass die Strukturen der Klienten, ob es sich um Fertigkeiten oder
Wissen handelt, über die Zeit mit denen der Helfer ähnlicher werden“ geht es in
der Beratung hingegen darum, „die vorhandenen Strukturen der Klienten zu fördern und zu aktivieren, ohne eine Angleichung anzustreben“ (Ludewig 1999:
53ff.). Die Erteilung eines konkreten Rates kann in diesem Sinne keine Beratung,
sondern viel eher Anleitung sein.
Ziel von Begleitung ist es hingegen, Leid in unabänderlichen Problemlagen zu verringern, indem eine Stabilisierung durch fremde Strukturen geboten wird. „Begleitung strebt die Stabilisierung des Bedürftigen durch Einsatz einer fremden Struktur, etwa der des Helfers, an. Hierzu gehören Trost, Beistand, Stützung“ (Ludewig
1999: 53ff.).
Zur Trennung der vier Formen psychosozialer Versorgung ist anzumerken, dass
die schematische Darstellung von Anleitung, Beratung, Begleitung und Therapie
der besseren Übersichtlichkeit geschuldet ist. Tatsächlich ist die Darstellung aber
zu trennscharf, da Anleitung, Beratung, Begleitung und Therapie in der Praxis ineinander übergehen und sich gegenseitig ablösen können (vgl. Ludewig 2002:
175f.).
Klinische Soziale Arbeit kann somit in der psychosozialen Versorgung in allen vier
Quadranten agieren. Wenngleich Klinische Soziale Arbeit nicht auf Änderung innerpsychischer Probleme abzielt, wie dies in der Psychotherapie der Fall ist,
kommen jedoch auch in der Klinischen Sozialen Arbeit sozialtherapeutische Elemente zum Einsatz.
6.2 Klinisch-sozialarbeiterische Beratung und Behandlung
Nachfolgend soll definiert werden durch welche Alleinstellungsmerkmale die klinisch-sozialarbeiterische Beratung und Behandlung charakterisiert sind. Dazu wird
70
erläutert welcher Mittel sich Klinische Soziale Arbeit bedient und welche Veränderungen sie anstrebt und bewirken kann. Dadurch soll verdeutlicht werden, dass
Klinische Soziale Arbeit durch ihre Gesundheitsorientierung über besondere Potentiale im Handlungsfeld der Psychiatrie verfügt, die auch zur Unterstützung bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankter Mütter mit Kind
gewinnbringend eingesetzt werden können.
6.2.1 Definition klinisch-sozialarbeiterischer Beratung und Behandlung
Laut Pauls bestehen die klinisch-sozialarbeiterische Beratung und Behandlung
„aus zielgerichteten (a) beratenden, (b) unterstützenden und (c) sozialtherapeutischen Maßnahmen und Interventionen im Rahmen eines geplanten interaktionellen Prozesses zwischen Betroffenen, sozialem Umfeld und Fachkraft, getragen durch eine professionelle helfende Beziehung“ (Pauls 2011: 182).
Klinisch sozialarbeiterische Behandlung kann dabei auf drei Ebenen stattfinden:
1. Als erstes sind personen- und individuenbezogene Interventionen zu nennen, bei denen von der Fachkraft Gesprächsführungstechniken und beratend-therapeutische Methoden als Antwort auf die vom Klienten präsentierten Probleme angeboten und durchgeführt werden.
2. Zudem kann klinisch-sozialarbeiterische Behandlung auf der beziehungsbezogenen Ebene, z.B. durch die Arbeit mit Familien, stattfinden. Dabei
kommen Methoden zum Einsatz, die auf interpersonale Zusammenhänge
ausgerichtet sind und sich besonders für die Arbeit mit Familien eignen.
„Die spezifische Interventionsaufgabe liegt hier in der Veränderung von Beziehungen und Interaktions- und Kommunikationsmustern, d.h. es geht um interpersonale (distale) Maßnahmen in Bezug auf Familie, Angehörigem Nachbarschaft […]“
(ebd.: 181).
3. Zuletzt sind Interventionen auf der umgebungsbezogenen Ebene (Gemeinwesen) zu nennen, die auf eine Veränderung der Umgebung bzw. der Situation zielen. Angestrebt wird dabei eine Beeinflussung der Lebenslage und
der Lebenssituation „durch intersystemische und netzwerkbezogene funktionale und strukturale Maßnahmen“. Somit fallen auch die Arbeit mit dem
71
sozialen Netzwerk und das Case-Management unter die umgebungsbezogenen Arbeitsformen (vgl. ebd.: 181).
Daraus wird ersichtlich, dass in der klinischen sozialen Arbeit die bio-psychosoziale Perspektive die Grundlage der praktischen Arbeit bildet, sodass Personen
nicht isoliert in ihrer Problemlage betrachtet werden, sondern die Arbeit dem Ansatz „Person-in-environment“ folgt. Eine konstruktive Förderung einer gelingenden
Elternschaft kann daher weder die Mutter noch das Kind isoliert betrachten, sondern muss stets die drei Ebenen sozialarbeiterischer Behandlung in einem Gesamtkonzept integrieren (vgl. ebd.: 64).
Klinisch-sozialarbeiterische Beratung und Behandlung ist auf schwer belastete,
beeinträchtigte, gefährdete und/oder psychisch und somatisch – meist chronisch –
kranke und leidende Menschen als AdressatInnen abgestimmt.
Somit fällt auch die Gruppe bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankter Mütter in den Handlungsbereich der klinisch-sozialarbeiterischen
Beratung. Das grundsätzliche Ziel der Klinischen Sozialen Arbeit durch entlastende, klärende, anregende und fördernde Maßnahmen eine größere Unabhängigkeit
von Individuen zu fördern scheint auch für die Gruppe der bipolar erkrankten
Frauen gewinnbringend zu sein. Ebenso gilt es durch Ressourcenaktivierung, Hilfe
bei der Problem- und Belastungsbewältigung, sowie der Konfliktbearbeitung die
oftmals mehrfach belasteten Frauen (psychische Erkrankung, Stigmatisierung,
sozialer Drift etc.) zu entlasten. Durch verbale und nonverbale Kommunikation
(Beratung, Anleitung), Übung, lebenspraktische Hilfen, soziale Unterstützung und
soziale Netzwerkarbeit soll zudem eine Veränderung der Lebenslage und der Lebensweise erreicht werden. Denn Pauls betont, dass der konstruktive Verlauf psycho-sozialer Behandlung durch Veränderungen der Lebenslage und der Lebensweise gekennzeichnet sind (vgl. ebd. 182f.).
Veränderungen der Lebenslage zeigen sich durch die Verbesserung der sozialen
Integration in ein soziales Netz und einen verbesserten Gesundheitsstatus aus.
Darüber hinausgehend sind Veränderungen der Lebenslage auch durch eine Milderung objektiver Belastungsmerkmale der Lebenssituation zu erkennen, sowie an
72
der Verbesserung bzw. Aktivierung von Ressourcen. Auch eine Verbesserung der
sozial-emotionalen Beziehungen in der Partnerschaft und Familie sind Ziele der
Veränderung der Lebenslage, die für die Zielgruppe dieser Arbeit besonders relevant sind (soziale Unterstützung, kompensatorische Wirkung eines gesunden
Partners für das Kind etc.).
Ziele der Veränderung der Lebensweise sind etwa „die Entwicklung eines positiven und mit den eigenen Erfahrungen kongruenten Selbstbildes der Handlungsund Selbststeuerungsfähigkeit“ (ebd.: 183), welches durch psychische Erkrankungen oftmals ins Wanken gerät. Zudem sind Veränderungen der Lebenslage daran
zu erkennen, dass es Betroffenen durch den Abbau dysfunktionaler und den Aufbau funktionaler Problemlösungsstrategien besser gelingt externe und interne Belastungen zu bewältigen. Daneben ist die „Förderung des Bestrebens, dem eigenen Leben einen Sinn zu geben und die eigenen Lebensbedingungen mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen in Einklang zu bringen“ (ebd.:183) ein bedeutendes Ziel der Veränderung der Lebensweise, das in Verbindung mit dem Kohärenzgefühl Antonovskys steht (vgl. Antonovsky 1979). Führt man sich vor Augen,
dass reproduktive Aspekte für viele Menschen von hoher subjektiver Bedeutung
sind und der Kinderwunsch bei psychisch erkrankten Frauen häufig mit der Hoffnung auf eine Selbstheilung bzw. „Normalbiografie“ verbunden ist, wird ersichtlich,
dass die Frage, wie die Lebensbedingungen mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen in Einklang zu bringen sind, von besonderer Relevanz ist. Im Rahmen
der psycho-sozialen Behandlung könnte somit mit den betroffenen Frauen thematisiert werden, wie ein geäußerter Kinderwunsch mit den Lebensbedingungen vereinbart werden könnte. Zudem zielt die psycho-soziale Behandlung auf die Übernahme von Verantwortung für die eigene Lebensgestaltung. Auch in dieser Hinsicht scheint die Thematisierung reproduktiver Aspekte in diesem Rahmen angebracht, wenn diese für KlientInnen relevant sind (vgl. Pauls 2011: 183).
6.2.2 Bestimmung psychosozialer Beratung als Interventionsform der Klinischen Sozialen Arbeit
Nachfolgend soll überblicksartig auf die psycho-soziale Beratung als konstituierendes Element Klinischer Sozialer Arbeit eingegangen werden. Die psychosozia73
le Beratung ist als dialogischer Interaktionsprozess zu verstehen und stellt neben
der psychosozialen Diagnostik, der Sozialtherapie, der Sozialen Unterstützung,
der Krisenintervention und der psychosozialen Rehabilitation eine Interventionsform Klinischer Sozialarbeit dar (Pauls 2011: 255; Pauls 2013: 192). Im Rahmen
der klinisch sozialarbeiterischen Behandlung umfasst die psychosoziale Beratung
„verschiedene Strategien und Methoden zur Förderung heilsamer Veränderung
der Lebensweise und der Lebenslage von Subjekten“ (Pauls 2013: 192). Durch
Orientierungs-, Planungs-, Entscheidungs- und Handlungshilfen sollen Menschen
in sozialen und psychischen Krisen, sowie bei Orientierungs- und Handlungsdefiziten bzw. Belastungen und Konflikten, die oftmals mit schweren gesundheitlichen
Problemen im Zusammenhang stehen, unterstützt werden (vgl. Pauls 2011: 255).
Folglich ist die klinisch sozialarbeiterische Beratung auf die Unterstützung von
Menschen in psychosozialen Notlagen bzw. in Multiproblemsituationen, den sogenannten „hard-to-reach Clients“ abgestimmt. „Gegenstand der Beratung sind Probleme im Alltag und in der konkreten Lebenswelt des Klienten. […] Ziel der Beratung ist die Teilhabe des Klienten am Leben durch einen gelingenden Alltag“
(Ningel 2011: 212).
6.2.3 Die Gesundheitsorientierung Klinischer Sozialer Arbeit als Potential
zur Förderung einer gelingenden Elternschaft
Aus den bisherigen Erläuterungen geht hervor, dass Klinische Soziale Arbeit
Gesundheitsarbeit ist, die die Förderung von bio-psycho-sozialer Gesundheit zum
Ziel hat. Klinische Soziale Arbeit nimmt Gesundheit als Ressource wahr „und geht
von einer stetigen Möglichkeit zu recovery, Gesundung, aus“ (Ziegler 2010: 52).
Somit fungiert sie neben der medizinischen, pflegerischen und psychologischen
Versorgung als vierte Säule der Behandlung (vgl. HahnPauls 2008: 35f.).
Dabei weist die Klinische Soziale Arbeit folgende Kompetenzen in der Gesundheitsförderung auf, die sie für die Arbeit mit mehrfach belasteten und schwer zu
erreichenden KlientInnen, wie der Zielgruppe dieser Untersuchung, qualifiziert:
1. Ganzheitskompetenz: Klinische Soziale Arbeit (KSA) ist durch die biopsycho-soziale Perspektive in der Lage die Anliegen von Klientinnen in
ganzheitlicher Weise zu betrachten und somit auch lebensweltliche Umstände zu berücksichtigen.
74
2. Gesundheitsperspektive: KSA nimmt eine Gesundheitsperspektive ein, in
deren Rahmen sie salutogene Faktoren und Ressourcen zu identifizieren
versucht. Dadurch ist sie in der Lage das Gesundheitsmanagement der Klientinnen durch die Steigerung von Wohlbefinden und Lebensqualität zu unterstützen.
3. Klinische Kompetenz: Auf die klinische Kompetenz der KSA soll an dieser
Stelle besonders nachdrücklich verwiesen werden. Denn die psychosoziale
Kernkompetenz und klinische Fachkompetenz ermöglicht es Klinischen SozialarbeiterInnen an der Beratung und Begleitung schwer belasteter KlientInnen mitzuwirken und Behandlungssequenzen im multiprofessionellen
Team zu koordinieren. Bedenkt man, dass meist sehr viele Professionen an
der Beratung und Behandlung bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch
bzw. bipolar erkrankter Mütter beteiligt sind (PsychiaterInnen, PsychotherapeutInnen, GynäkologInnen, Frühförderung, Familienhilfe etc.) wird die Relevanz der Koordination der Hilfsangebote deutlich.
4. Organisationskompetenz: Durch fallübergreifende und organisationsbezogene Arbeit fördert KSA die Organisationsentwicklung und Kooperationsbereitschaft in sozialen Systemen und verbessert die Zufriedenheit. Dadurch trägt sie zur Erreichung von Organisationszielen bei.
5. Querschnittskompetenz: Die KSA übernimmt durch die lebensweltorientierte Unterstützung von KlientInnen eine Brückenfunktion. Damit schafft sie
Querverbindungen im Sinne des Case-Management, fördert nachhaltig
Ressourcen und kann zur sozialen Re-Intergration von (psychisch erkrankten) Personen beitragen (Mühlum 2008: 72; Ziegler 2010: 53).
Nachdem nun eine ausführliche theoretische Auseinandersetzung mit dem
Kinderwunsch und der Elternschaft bipolar erkrankter Frauen stattgefunden hat
und die Kernkompetenzen Klinischer Sozialer Arbeit zur Förderung einer gelingenden Elternschaft aufgezeigt wurden, sollen die bisherigen theoretischen Erkenntnisse in einer graphischen Zwischendarstellung zusammengefasst werden. Darauf aufbauend ist der nächste Abschnitt dieser Arbeit dann der empirischen Bearbeitung der Fragestellung gewidmet.
75
7. Zwischenbetrachtung
An dieser Stelle werden bis bisher dargestellten theoretischen Erkenntnisse in
einem graphischen Modell skizziert und dadurch ihre Zusammenhänge veranschaulicht. Im Rahmen dieses Forschungsfeldes soll dann die Fragestellung, inwiefern Klinische Soziale Arbeit durch Unterstützungsmöglichkeiten zur Förderung
einer gelingenden Elternschaft beitragen kann, bearbeitet werden.
7.1 Forschungsfeld
Die folgenden drei Annahmen können aus den erfolgten Darstellungen abgeleitet
werden und kennzeichnen das Forschungsfeld dieser Arbeit:
1. Der Kinderwunsch ist nicht isoliert zu sehen sondern steht vielmehr synonym für das „Großprojekt Familie“. Es sind somit zum einen die subjektiven
Bedeutungen, die Frauen dem Kinderwunsch im Rahmen ihres Lebensentwurfes beimessen, zu berücksichtigen, aber auch gesellschaftliche Normen, die auf die Kinderwunschgenese Einfluss nehmen (siehe auch Krumm
2010: 86).
2. Der Kinderwunsch / die Elternschaft bipolar erkrankter Frauen stellt für betroffene Frauen ein Spannungsfeld dar, indem sie zwischen eigenen krankheitsbezogenen Bedürfnissen und Bedürfnissen des (ungeborenen) Kindes
abwägen müssen. Mit dem Kinderwunsch gehen reproduktive Risiken einher, die sowohl die Gesundheit der Mutter, als auch die Gesundheit des
Kindes betreffen können. Diese reproduktiven Risiken müssen in der Beratung und Begleitung bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankter Mütter berücksichtigt werden.
76
3. Unterstützungsmöglichkeiten stellen eine moderierende Variable dar, durch
welche Resilienzfaktoren gefördert werden können, sodass die Vulnerabilität gegenüber Belastungen herabgesetzt wird. Professionen wie die Klinische Soziale Arbeit können somit durch ihr Potential zur Gesundheitsförderung zur Förderung einer gelingenden Elternschaft betragen.
Das untenstehende Modell zeigt die Zusammenhänge des Forschungsfeldes auf
und bildet die theoretische Fundierung dieser Untersuchung:
Abb. 11: Theoretisches Modell zu Kinderwunsch / Elternschaft bipolar erkrankter Frauen
Quelle: In Anlehnung an Krumm (2010): Biografie und Kinderwunsch bei Frauen mit schweren psychischen Erkrankungen S. 87.
7.2 Formulierung der Forschungsfrage
Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ergibt sich aus der bisher mangelnden Berücksichtigung des Aspekts der Unterstützung und ist somit auf folgende Frage
gerichtet:
77
„Inwiefern kann Klinische Soziale Arbeit durch Unterstützungsmöglichkeiten
zur Förderung einer gelingenden Elternschaft bipolar erkrankter Frauen beitragen?“
Der Fokus der Untersuchung wird somit auf Möglichkeiten gerichtet, anhand derer
bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsches bzw. bipolar erkrankte Mütter und
ihre Kinder unterstützt werden können. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf
die Förderung der bio-psycho-sozialen Gesundheit der Frauen und ihrer Kinder
gelegt, da diese ein bedeutender Bestandteil gelingender Elternschaft ist. Die Untersuchung beschränkt sich auf Unterstützungsmöglichkeiten, die im Zeitraum vom
Kinderwunsch bis zum dritten Lebensjahr des Kindes stattfinden können.
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden Leitfragen entwickelt. Diese lauten:
1. „Mit welchen besonderen Herausforderungen sind bipolar erkrankte Frauen
mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankte Mütter im Zeitraum von der Entstehung des Kinderwunsches bis zum dritten Lebensjahr des Kindes konfrontiert?“
2. „Welche Faktoren erleben / erlebten bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsch / bipolar erkrankte Mütter als besonders unterstützend und / oder
hinderlich
(a) während des Zeit des Kinderwunsches?
(b) während der Zeit der Schwangerschaft bis zum dritten Lebensjahr
des Kindes?“
3. „Welche Faktoren sind aus ExpertInnensicht für bipolar erkrankte Frauen
mit Kinderwunsch / bipolar erkrankte Mütter besonders unterstützend und /
oder hinderlich
(a) während des Zeit des Kinderwunsches?
(b) während der Zeit der Schwangerschaft bis zum dritten Lebensjahr
des Kindes?“
Die anhand dieser Leitfragen gewonnen Erkenntnisse sollen zur Beantwortung der
Forschungsfrage herangezogen werden, um sicherzustellen, dass die Vorschläge
78
zu Unterstützungsmöglichkeiten auch auf die Lebenssituation(en) der betroffenen
Frauen ausgerichtet sind.
Aufgrund der bisher eingeschränkten Datenlage wird keine quantitative Auseinandersetzung mit der Thematik angestrebt, durch welche bestehende Hypothesen
falsifiziert oder verifiziert werden könnten. Die Untersuchung ist somit durch einen
explorativen Zugang gekennzeichnet. Ziel ist es neue Erkenntnisse zu generieren
und Zusammenhänge sichtbar zu machen (vgl. Flick 2011: 27).
79
8. Der qualitativ empirische Zugang
Der empirische Forschungsteil dieser Arbeit folgt den Kriterien der qualitativ empirischen Sozialforschung, um die Forschungsfragen zu beantworten.
Die Wahl des qualitativen Forschungsdesigns ist dadurch begründet, dass der
Kinderwunsch und die Elternschaft bipolar erkrankter Frauen bislang kaum untersucht wurden. Trotz der hohen subjektiven Bedeutung reproduktiver Themen
standen in früheren Untersuchungen häufig Möglichkeiten einer adäquaten
Schwangerschaftsverhütung bei psychischer Erkrankung im Fokus. Von welch
hoher subjektiver Bedeutung ein Kinderwunsch im Leben junger Menschen mit
psychischer Erkrankung sein kann wurde hingegen in früheren Untersuchungen
nur unzureichend berücksichtigt. Insbesondere aus einer klinisch sozialarbeiterischen Perspektive wird dabei ersichtlich, dass die bisherige Fokussierung der
Risikofaktoren für Kinder psychisch kranker Eltern - im Sinne der Kindeswohlgefährdung - eine einseitige Betrachtungsweise darstellt und einer (auch) ressourcenorientierten Betrachtung von Elternschaft und Mutterschaft trotz bipolarer Erkrankung nicht gerecht wird (vgl. Krumm et al. 2010: 134).
Ziel dieser Arbeit ist es daher, zu untersuchen mit welchen besonderen Herausforderungen bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankte
Mütter konfrontiert sind und welche Bedürfnisse Betroffene durch diese Herausforderungen entwickeln. Somit kommt der Arbeit ein Innovationswert zu, da sie
bereits die Phase des Kinderwunsches und mögliche Entscheidungsdilemmata
berücksichtigt, welche bislang vernachlässigt wurden. Zudem gilt es, Erkenntnisse
zu gewinnen, inwiefern Klinische Soziale Arbeit durch Unterstützungsmöglichkeiten zur Förderung einer gelingenden Elternschaft betragen kann. Da sich die Klinische Soziale Arbeit bisher nicht mit der Thematik auseinandergesetzt hat, ist die
Wahl eines qualitativen Ansatzes zur Bearbeitung der Thematik naheliegend.
Denn „Ziel der Forschung ist dabei weniger, Bekanntes […] zu überprüfen, als
Neues zu entdecken und empirisch begründete Theorien zu entwickeln“ (Flick
2011: 27).
80
Zudem widmet sich qualitative Sozialforschung einer fallbasierten Erklärungsstrategie. Somit können Kausalmechanismen, die sozialen Prozessen innewohnen,
durch die möglichst vollständige Untersuchung von wenigen Fällen direkt aufgedeckt und Sinn oder subjektive Sichtweisen rekonstruiert werden (vgl. Sax 2010:
50). Bedenkt man, dass die Thematik des Kinderwunsches ein sehr privater Lebensbereich ist und der Zugang zu betroffenen Frauen zum einen durch die Anzahl bipolar erkrankter Frauen/Mütter in Wien an sich beschränkt ist und es sich
zugleich um eine schwer zu erreichende Personengruppe (hard-to-reach) handelt,
muss folglich ein Zugang gewählt werden, der anhand geringer Fallzahlen zu Erkenntnissen gelangt.
Lamnek hält fest, dass die Annahme, soziales Handeln sei sinnhaft, grundlegend
in der qualitativen Sozialforschung verankert ist (vgl. Lamnek 2002: 168). Will man
daher verstehen, warum Menschen im sozialen Kontext in einer bestimmten Art
und Weise handeln, und welche Dynamik dieses Handeln im sozialen Umfeld auslöst, bietet sich die Zuhilfenahme qualitativer Methoden an (vgl. Froschauer/Lueger 2003: 17). Auch Flick hält fest:
„Qualitative Forschung hat den Anspruch, Lebenswelten ‚von innen heraus‘ aus
der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben. Damit will sie zu einem
besseren Verständnis sozialer Wirklichkeit(en) beitragen und auf Abläufe, Deutungsmuster und Strukturmerkmale aufmerksam machen“ (Flick et al. 2007: 14).
Der Gebrauch der qualitativen Methodik ist auch dadurch begründet, dass anhand
qualitativer Methoden Theorien aus den Verhältnissen, in denen die Untersuchungsgegenstände verankert sind, gebildet werden können (vgl. Sax 2010: 50).
Gerade bei einem hoch normativ besetzten Untersuchungsgegenstand wie der
Mutterschaft/Elternschaft bipolar erkrankter Frauen, scheint es immer wichtig den
Untersuchungsgegenstand im Kontext, in den er eingebettet ist, zu betrachten.
Schließlich nimmt dieser wiederum Einfluss auf den Untersuchungsgegenstand
selbst.
Die Wahl einer qualitativen Methodik bietet sich zudem auch deshalb an, weil die
Kommunikation der Forschenden mit dem Feld und den Beteiligten in der qualitativen Forschung, wie sie in den Interviews zu Stande kam, zum expliziten Be-
81
standteil der Erkenntnis wird und nicht als Störvariable so weit wie möglich auszuschließen ist (vgl. Flick 1995: 15).
8.1 Zielgruppe
Im Rahmen der empirischen Untersuchung dieser Masterarbeit wurden sowohl
bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsch, als auch bipolar erkrankte Mütter als
Expertinnen aus eigener Erfahrung befragt. Ziel war es, dadurch die subjektive
Sicht der Betroffenen zu erforschen und zu erfahren, mit welchen besonderen
Herausforderungen bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsch / mit Kind konfrontiert sind und welche Faktoren die befragten Frauen als besonders unterstützend
und / oder hinderlich für die Umsetzung einer gelingenden Elternschaft erlebten.
Neben den Erzählungen von Frauen mit Kinderwunsch sollten zudem retrospektive Erzählungen von Frauen, die bereits Mutter sind, zur Bearbeitung des Forschungsgegenstandes hinzugezogen werden. Durch die Schilderungen der Bedürfnisse und Hilfebedarfe, welche die Frauen in der Zeitspanne vom Eintritt des
Kinderwunsches bis zum dritten Lebensjahr des Kindes erlebten, wurde ein weiterer wichtiger Informationsgewinn für die Ableitung von Implikationen für die Praxis
erwartet.
Als Einschlusskriterium für die Studie wurde das Vorliegen einer bipolaren Erkrankung (nach Selbstauskunft) festgelegt. Da oftmals ein sehr langer Zeitraum zwischen Erkrankungsbeginn und Diagnosestellung liegt (durchschnittlich vergehen
dazwischen 5 Jahre) (vgl. Simhandl 2013: 27) wurde als Einschlusskriterium für
die Stichprobe lediglich festgelegt, dass die Frauen sich vor Eintritt der Schwangerschaft bereits subjektiv krank fühlten. Eine diagnostizierte bipolare Erkrankung
vor Eintritt der Schwangerschaft war daher nicht formal notwendig, da diese häufig
erst zu einem späteren Zeitpunkt gestellt wurde.
Da die Arbeit auf Möglichkeiten zur Förderung einer gelingenden Elternschaft abzielt, sollten Frauen befragt werden, die einen Kinderwunsch haben bzw. denen es
gelungen ist, die Anforderungen, die mit einer Mutterschaft einhergehen, zu bewältigen. Da durch die Selbstauskunft der befragten Frauen nur schwer valide
Rückschlüsse auf die tatsächliche „Erziehungsfähigkeit“ getroffen werden können,
wurde als Kriterium formuliert, dass die Kinder bei der Mutter bzw. in der Familie
aufgewachsen sein mussten.
82
Um unterschiedliche Blickwinkel zur Bearbeitung der Thematik einzunehmen,
wurden neben den bipolar erkrankten Frauen auch ExpertInnen, die im untersuchten Handlungsfeld tätig sind, interviewt. Anhand der ExpertInneninterviews sollte
die fachliche Expertise der Befragten genutzt werden. Es stellte sich dabei die
Frage, welche Unterstützungsmöglichkeiten die ExpertInnen, aus ihrer fachlichen
Einschätzung heraus für bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar
erkrankte Mütter als sinnvoll erachten, um eine gelingende Elternschaft zu fördern.
Außerdem ist die Betrachtung spezifischer Risiken und Potentiale aus
ExpertInnensicht, die mit der Elternschaft bipolar erkrankter Frauen einhergehen
können, für die Bearbeitung des Forschungsgegenstandes zentral.
Interessant ist zudem, inwiefern sich die Einschätzungen verschiedener ExpertInnen bezüglich relevanter Unterstützungsmöglichkeiten affektiv erkrankter Frauen
decken und ob deren Einschätzungen den Äußerungen der befragten Frauen ähneln. Daher wurde eine Kombination aus Interviews mit bipolar erkrankten Frauen
als ExpertInnen aus eigener Erfahrung und Interviews mit professionellen HelferInnen, die im Handlungsfeld tätig sind, gewählt. Als Einschlusskriterium wurde
festgelegt, dass die professionellen HelferInnen in ihrem Berufsalltag mit der
Thematik der Elternschaft psychisch erkrankter Eltern in Kontakt kommen. Da das
untersuchte Handlungsfeld durch interdisziplinäre Zusammenarbeit geprägt ist,
wurde die Auswahl der InterviewpartnerInnen nicht auf SozialarbeiterInnen begrenzt. Jedoch sollte zumindest eine Klinische Sozialarbeiterin interviewt werden,
um den Bezug zur Klinischen Sozialen Arbeit herstellen zu können.
8.1.1 Zugang zum Untersuchungsfeld
Die Rekrutierung von Frauen mit bipolarer Erkrankung als InterviewpartnerInnen
erfolgte zu Beginn der Untersuchung über den Zugang einer in Wien ansässigen
Selbsthilfegruppe. Durch die telefonische Kontaktaufnahme mit dem/der Leiter/in
der Selbsthilfegruppe konnte diese/r als Schlüsselperson (Gatekeeper), die Umweltbeziehungen im untersuchten Feld kontrolliert, gewonnen werden. Nachdem
der Schlüsselperson das Forschungsvorhaben erläutert wurde, erklärte diese sich
bereit, Kandidatinnen - anhand der von der Forscherin formulierten Kriterien – für
die Untersuchung anzusprechen. Dazu wurde der Schlüsselperson eine kurze
83
schriftliche Beschreibung des Forschungsvorhabens und der Einschlusskriterien
der Interviewpartnerinnen per Mail übermittelt. Die Schlüsselperson sprach die
potentiellen Interviewpartnerinnen daraufhin an, ob Sie interessiert seien ein Interview als Expertin aus eigener Erfahrung zu geben und übermittelte die schriftliche
Beschreibung des Forschungsvorhabens an die Frauen. Dadurch ergab sich der
Vorteil der leichteren Kontaktaufnahme, da die Schlüsselperson eine Vertrauensbasis bei den potentiellen Interviewpartnerinnen schuf (vgl. Sax 2010: 61).
Insgesamt konnten durch diese Zugangsweise vier Frauen als Interviewpartnerinnen gewonnen werden, von denen drei Mitglied der Selbsthilfegruppe sind. Nachdem die Frauen sich zur Interviewteilnahme einverstanden erklärt hatten, erfolgte
eine persönliche Kontaktaufnahme per Telefon oder Mail über die von der Schlüsselperson übermittelten Kontaktdaten. Die Zielgruppe wurde dabei auch ermuntert
offene Fragen zu stellen und Anregungen zu äußern.
Durch den Kontakt zu professionellen HelferInnen im Rahmen der ExpertInneninterviews ergab sich zudem der Kontakt zu einer weiteren erkrankten Frau, die sich
ebenfalls bereit erklärte für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Dadurch konnte
sichergestellt werden, dass die einbezogenen Fälle eine größere Varianz aufweisen. Dies war wichtig, da die Rekrutierung der anderen Interviewpartnerinnen zunächst durch die Schlüsselperson erfolgte und für die forschende Person schwer
zu überprüfen ist, ob die Auswahlkriterien des Gatekeepers selektiv waren.
Die Rekrutierung der professionellen HelferInnen erfolge direkt über die Kontaktaufnahme per E-Mail. In diesem Rahmen wurde neben der Interviewanfrage auch
die Forschungsthematik erläutert und ihre Relevanz aufgezeigt. Grundlage für die
Auswahl der professionellen HelferInnen als InterviewpartnerInnen stellte dabei
das Tätigkeitsprofil der ExpertInnen dar, welches per Internetrecherche oder durch
den Austausch mit anderen professionellen Helfern (im Rahmen vorausgegangener Interviews) ermittelt wurde. Da sich erfreulicherweise alle per E-Mail angefragten InterviewpartnerInnen zur Interviewteilnahme bereit erklärten ergaben sich
keine Schwierigkeiten im Zugang.
84
8.1.2 Beschreibung der einbezogenen Fälle
Zur Untersuchung des Forschungsgegenstandes wurden insgesamt acht Interviews geführt. Drei davon mit ExpertInnen, die im beschriebenen Handlungsfeld
tätig sind. Entsprechend wurden

eine in einer Wiener Akutpsychiatrie tätige Klinische Sozialarbeiterin,

eine Sozialarbeiterin einer perinatalen Psychiatrie in Wien,

sowie der Präsident der österreichischen Gesellschaft für bipolare Störungen, der zugleich Psychiater in einem Bipolar-Zentrum ist, interviewt.
Des Weiteren wurden fünf Interviews mit bipolar erkrankten Frauen geführt. Das
Alter der Interviewpartnerinnen bewegte sich zwischen Anfang 30 und Mitte 60.
Der Erkrankungsbeginn hat zwischen ihrem 16 und 23 Lebensjahr stattgefunden.
Im Sampling sind alle „üblichen“ Beziehungskonstellationen vertreten (in Partnerschaft lebend, verheiratet, geschieden und verwitwet). Vier der Frauen haben bereits ein bis drei Kinder im Alter zwischen drei und 33 Jahren. Eine Frau äußerte
einen Kinderwunsch. Durch diese Große Altersspanne konnten zum einen Erfahrungen von Frauen mit kleinen Kindern bezüglich der Versorgungsituation erfragt
werden. Zum anderen flossen auch retrospektive Erzählungen von Frauen mit
heute bereits jugendlichen bzw. erwachsenen Kindern in die Auswertung mit ein.
Auffällig ist, dass nur bei drei der Interviewpartnerinnen die Diagnose der bipolaren Erkrankung im Jahr des erstmaligen Auftretens der bipolaren Erkrankung gestellt wurde. Bei zwei der InterviewpartnerInnen wurde die Diagnose der bipolaren
Störung erst lange Zeit nach Erkrankungsbeginn gestellt (20 bzw. 25 Jahre später).12 Die unten stehende Tabelle veranschaulicht die demographischen Daten
der Interviewpartnerinnen. Zur Gewährleistung der Anonymität erfolgte die Nummerierung der Interviewpartnerinnen nach aufsteigendem Alter. Die Nummerierung der Interviewpartnerinnen in der Tabelle entspricht somit nicht der Nummerierung der Interviewpartnerinnen bei zitierten Interviewpassagen der Ergebnisdarstellung.
12
Dies ist (laut Auskunft der betroffenen Frauen) darauf zurückzuführen, dass entweder lange Zeit gar keine
Diagnose gestellt wurde oder es sich um eine „Fehldiagnose“ (Depression) handelte.
85
Abb. 12: Soziodemographische Daten der Interviewpartnerinnen
Zur Qualität der Daten
Bezüglich der Aussagekraft der Daten muss kritisch reflektiert werden, dass es
sich um Frauen handelt, die bereits Mitglied einer Selbsthilfegruppe sind bzw.
langjährige Psychotherapieerfahrung haben. Die befragten Frauen haben sich mit
ihrer Biografie und Krankheitsgeschichte bereits meist ausführlich auseinandergesetzt und weisen in diesem Sinne „Compliance“ auf. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die Daten möglicherweise anders ausgefallen wären, wären
Frauen befragt worden, die bisher keinen Zugang zum Helfersystem hatten. Im
Zusammenhang mit psychischer Erkrankung fällt häufig das Schlagwort „hard-toreach“. Es ist somit anzunehmen, dass durch die Interviews somit nur eine bestimmte Zielgruppe erreicht wurde. Frauen die weniger gut an ein Helfersystem
angebunden sind, konnten somit nicht erreicht werden. Hier scheint sich der Zugang äußerst schwierig zu gestalten, da auch keine Kontaktaufnahme über bestehende Einrichtungen möglich ist, wenn die Frauen nicht an diese angebunden
sind. Zudem stellt sich die Frage, ob Frauen, die sich selbst in ihrer (prospektiven)
Erziehungsfähigkeit als erheblich beeinträchtigt wahrnehmen, überhaupt bereit
wären, über ihre Erfahrungen zu sprechen, da mit der Thematik häufig die Angst
verbunden ist, dass die Inanspruchnahme von Hilfen zu einer möglichen Kindesabnahme führen könnte.
Da jedoch die Arbeit auf Möglichkeiten zur Förderung einer gelingenden Elternschaft abzielt, sollten Frauen befragt werden, denen es gelungen ist, die Anforderungen, die mit einer Mutterschaft einhergehen, zu bewältigen. Diese konnten
auch problemlos erreicht werden. Da keine Rückschlüsse auf die tatsächliche „Er-
86
ziehungsfähigkeit“ getroffen werden können, wurde als Kriterium vorausgesetzt,
dass die Kinder bei den Mütter aufgewachsen sind.
8.2 Datenerhebung
Die Daten zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden in Form qualitativer
Befragungen erhoben. Dabei wurden in den durchgeführten Interviews Daten in
einer hochkomplexen und die Subjektivität der Beteiligten einbeziehenden Kommunikationssituation erzeugt. Die interviewten Personen wurden dabei aufgefordert Erfahrungen, Ereignisse, Handlungen und Wissen aktiv zu rekonstruieren
(vgl. Sax 2010: 70; Helfferich 2005: 7).
Da sowohl Frauen mit einer bipolaren Erkrankung interviewt wurden, als auch im
psychiatrischen Handlungsfeld tätige ProfessionistInnen, wurden zwei verschiedene Interviewformen zur Datenerhebung genutzt.
Für die Erhebung der Daten mit bipolar erkrankten Frauen als ExpertInnen aus
eigener Erfahrung wurden episodische Interviews gewählt. Der Erhebungsprozess
war dabei durch Prozesshaftigkeit gekennzeichnet: Zunächst wurden Frauen, die
über die Schlüsselperson der Selbsthilfegruppe als Interviewpartnerinnen gewonnen wurden, befragt. Da durch das Beziehungsnetz der InterviewpartnerInnen als
Mitglieder der Selbsthilfegruppe möglicherweise ein gemeinsamer „common sense“ zum Thema geprägt wurde, wurden zwei weitere Frauen befragt, die keinen
Kontakt zur Selbsthilfegruppe haben. Dadurch sollte eine größere Varianz erreicht
werden.
Die Interviews mit professionellen HelferInnen, die im untersuchten Bereich tätig
sind, wurden mittels leitfadengestützter ExpertInneninterviews durchgeführt. Auch
hier fand eine prozesshafte Erhebung statt: Nachdem ExpertInnen befragt wurden,
wurden die Daten geprüft und die Interviewleitfäden angepasst.
Die beiden Interwieformen des episodischen Interviews und des leitfadengestützten ExpertInneninterviews werden nachfolgend erklärt und damit einhergehend
87
begründet, warum die jeweilige Interviewform zur Befragung der Zielgruppe und
Bearbeitung des Forschungsgegenstandes geeignet erscheint.
8.2.1 Das episodische Interview
Das episodische Interview beruht auf der Annahme, dass Menschen ihre Erfahrungen zu einer bestimmten Thematik sowohl in Form narrativ-episodischen Wissens, als auch in Form semantischen Wissens abspeichern. Während narrativepisodisches Wissen erfahrungsnah ist und auf bestimmte Situationen und Umstände bezogen abgespeichert wird, enthält semantisches Wissen abstrahierte,
verallgemeinerte Annahmen. „Im ersten Fall stellt der Ablauf der Situation in ihrem
Kontext die zentrale Einheit dar, um die herum Wissen organisiert ist. Im zweiten
Fall sind Begriffe und ihre Beziehungen untereinander die zentralen Einheiten“
(Flick 2009: 239). Das episodische Interview wurde daher als Verfahren konzipiert,
um narrativ-episodisches Wissen über Erzählungen zu erheben und semantisches
Wissen durch konkret-zielgerichtete Fragen zu erforschen. Für die Bearbeitung
des Forschungsgegenstandes scheinen episodische Interviews geeignet, da sie
es den InterviewpartnerInnen ermöglichen ihre Erfahrungen in allgemeiner Form
darzustellen und gleichzeitig dazugehörige Situationen und Episoden zu schildern.
Das episodische Interview soll die in der Grafik skizzierten Bestandteile des Alltagswissens berücksichtigen und erfassen (vgl. Flick 2011: 273 ff.; Flick 2009:
239).
Abb. 13: Wissensformen im episodischen Interview
Quelle: In Anlehnung an Flick (2009): Qualitative Sozialforschung, S. 240.
88
Bestandteile des episodischen Interviews
Das episodische Interview basiert auf regelmäßigen Erzählaufforderungen der
interviewenden Person. Zur besseren Orientierung während des Interviewverlaufs
wurde im Voraus ein Interviewleitfaden erstellt. Somit sollte vermieden werden,
dass wichtige Themenbereiche während der Interviewdurchführung keine Beachtung finden.
Zu Beginn des Interviews wurden die befragten Frauen über das Grundprinzip des
episodischen Interviews informiert und erläutert, dass während des Interviews immer wieder Erzählaufforderungen formuliert werden (vgl. Flick 2009: 240f.). Zum
einen beinhaltet das episodische Interview Fragen, die mehr oder minder klar umrissene Antworten generieren sollen. Zum anderen zielt es auf die Schilderung von
Situationen ab, in denen die InterviewpartnerInnen bestimmte Erfahrungen gemacht haben (vgl. Flick 2011: 274).
Probleme der Interviewführung
Bei episodischen Interviews können, wie bei anderen erzählgenerierenden Interviewformen, Probleme auftreten, wenn die InterviewpartnerInnen Schwierigkeiten
haben zu erzählen. Im Unterschied zu narrativen Interviews wird jedoch nicht eine
umfassende Erzählung erbeten, sondern mehrere umgrenzte Erzählungen. Dadurch wird die Problematik der Generierung einer Erzählung relativiert. Ferner ist
unbedingt darauf zu achten, den InterviewpartnerInnen das Prinzip der Erzählung
von bestimmten Situationen verständlich zu vermitteln. Dadurch soll vermieden
werden, dass die InterviewpartnerInnen Erlebnisse nur benennen, nicht aber die
Situation erzählen (vgl. Flick 2009: 244). Da die befragten Interviewpartnerinnen
alle über gute Erzählfähigkeiten verfügten und der Großteil der Frauen bereits im
Rahmen einer Selbsthilfegruppe bzw. im Rahmen von Psychotherapie über die
eigene Krankheits- und Lebensgeschichte gesprochen und reflektiert hatte, konnten alle Frauen auf die gestellten Fragen eine Antwort/Erzählung generieren.
Beitrag zur allgemeinen Methodendiskussion
Ziel episodischer Interviews ist es, sowohl die Vorteile narrativer Interviews als
auch leitfadengestützter Interviews zu nutzen. Indem die interviewte Person Epi89
soden als Gegenstand ihrer Erzählung hervorbringt, liefert sie Zugang zu relevanten Erfahrungen des untersuchten Gegenstandes. Durch einen vorab erstellten
Leitfaden zu Situationen, die erzählt, und Begriffen, die definiert werden sollen,
kann die interviewende Person zudem steuernd in das Interview eingreifen. Episodische Interviews haben gegenüber narrativen Interviews den Vorteil, die künstliche Situation der durchgängigen Erzählung einer Person durch einen offeneren
Dialog abzulösen. Zudem entsprechen episodische Interviews durch ihre Verbindung von Erzählungen und Frage-Antwort-Sequenzen den Kriterien einer
triangulativen Datenerhebung (vgl. ebd.: 244f.).
Grenzen der Methode
Der Einsatzbereich episodischer Interviews bleibt auf die Analyse von alltäglichem
Wissen über bestimmte Gegenstände und Themen, sowie die eigenen Erfahrungen zur jeweiligen Thematik begrenzt. Episodische Interviews ermöglichen, wie
andere Interviewverfahren, keinen Zugang zu Interaktionen in konkreten Situationen. Jedoch können diese Interaktionen zumindest aus Sicht der interviewten
Personen rekonstruiert werden (vgl. ebd.: 245).
8.2.2 Das leitfadengestützte ExpertInneninterview
Für die Befragung der professionellen Helferinnen, die im psychiatrischen Bereich
tätig sind, wurde die Form des leitfadengestützten ExpertInneninterviews gewählt.
Der Begriff des Experten wird in der Sozialforschung allerdings sehr unterschiedlich definiert. Bogner und Menz bestimmen ExpertInnen als Personen, „die sich –
ausgehend von spezifischem Praxis und Erfahrungswissen, das sich auf einen
klar begrenzbaren Problemkreis bezieht – die Möglichkeit geschaffen haben, mit
ihren Deutungen das konkrete Handlungsfeld sinnhaft und handlungsleitend zu
strukturieren“ (Bogner/Menzel 2005: 45). Gläser und Laudel verstehen ExpertInnen als Menschen, „ die ein besonderes Wissen über soziale Sachverhalte besitzen. Sie haben eine besondere, mitunter sogar exklusive Stellung in dem sozialen
Kontext, der untersucht wird“ (Gläser/Laudel 2006: 10).
Das leitfadengestützte Interview zeichnet sich folglich dadurch aus, dass es zur
Befragung einen bestimmten Personenkreis heranzieht, der im Hinblick auf das
jeweilige Forschungsfeld über spezifisches Wissen verfügt. „Eine leitfadengestütz90
te Gesprächsführung mit Experten hat den Vorteil, dass sie dem thematischen
Fokus des Forschungsinteresses gerecht wird“ (Liebold/Trinczek 2009: 39). Beim
Leitfadeninterview kommt ein vorbereiteter, aber flexibel nutzbarer Katalog mit
Fragen zum Einsatz. Jedoch sind weder die Frageformulierungen noch die Reihenfolge der Fragen verbindlich (Sax 2010: 72; Gläser/Laudel 2006: 39). Der Fragebogen stellt das Resultat theoretisch-wissenschaftlicher Vorüberlegungen dar,
anhand derer die Forschenden die Feldphase vorbereiten. Nichtsdestotrotz stellen
„Offenheit“ und „Flexibilität“ wichtige Voraussetzungen für ein gelingendes leitfadengestütztes Interview dar. Das leitfadengestützte ExpertInneninterview wird daher trotz der konzeptionellen Vorüberlegungen durch eine offene Gesprächstechnik in der Erhebungssituation charakterisiert. Der interviewenden Person kommt
dabei die Funktion zu einerseits ein thematisch-kompetentes Gespräch zu initiieren und zu leiten und zum anderen durch eine zurückhaltend-interessierte Haltung
Gesprächssequenzen der ExpertInnen zu fördern. Die Leitfäden wurden den Befragten um eine Beeinflussung des Antwortverhaltens zu vermeiden, nicht im Voraus übermittelt, waren aber für die Befragten insofern sichtbar, dass sich die Interviewerin an der Vorlage orientierte (vgl. Sax 2010: 72).
Die Datengewinnung erfolgte dabei im Rahmen des leitfadengestützten ExpertInneninterviews als kommunikativer Akt. Der Forschungsablauf wurde prozesshaft
gestaltet. Indem die Daten schrittweise erhoben und geprüft wurden konnte die
Erhebungssituation jeweils in den darauffolgenden Interviews entsprechend adaptiert wurde. Durch die leitfadengestützten ExpertInneninterviews wurden somit die
Postulate interpretativer Sozialforschung „Offenheit“, „Kommunikation“ und „Prozesshaftigkeit im Forschungsprozess“ berücksichtigt. Folglich begründet sich die
Wahl des leitfadengestützten ExpertInneninterviews zur Bearbeitung des noch
wenig untersuchten Forschungsgegenstandes auch dadurch, dass es zur Exploration von Unbekanntem eignet (vgl. Liebold/Trinczek 2009: 36).
8.3 Interviewdurchführung
Die Datenerhebung fand im Zeitraum von Februar bis April 2014 statt. Die Dauer
aller geführten Interviews schwankte zwischen 30 Minuten und 2,5 Stunden. Daraus ergab sich Tonmaterial von mehr als 8,5 Stunden.
91
Die Interviews mit den professionellen HelferInnen fanden jeweils an deren Arbeitsplatz im Büro statt. Somit war eine ruhige und ungestörte Atmosphäre gegeben und die Interviewerin bekam zugleich einen Einblick in das Arbeitsumfeld der
ExpertInnen.
Im Rahmen der Interviews mit den betroffenen Frauen richtete sich die Interviewerin hinsichtlich des Erhebungsortes nach den Wünschen der Interviewpartnerinnen. Zwei der interviewten Frauen entschieden sich für ein Interview in den Räumlichkeiten der Selbsthilfegruppe, wo für die Zeit des Interviews ein gesonderter
Raum zur Verfügung stand. Zudem fand ein Interview mit einer betroffenen Frau
bei ihr zuhause im Wohnzimmer statt. Da zu diesem Zeitpunkt niemand anderes in
der Wohnung war, konnte das Interview ungestört geführt werden. Zwei weitere
Interviews wurden auf Wunsch der Frauen im Café-Haus durchgeführt. Zwar
herrschte dort ein relativ hoher Geräuschpegel, die Interviewtranskription war jedoch gut möglich.
Der Beginn der Interviews folgte einer einheitlichen Vorgehensweise: Nach einer
kurzen Erklärung des Forschungsvorhabens verwies die Forscherin auf die vertrauliche und anonymisierte Behandlung der Daten bzw. klärte diese ab. Des Weiteren wurde bei allen Interviews auf die auditive Aufnahme hingewiesen. Es folgte
die Interviewdurchführung. Nach dem Ende der Interviews und dem Dank für die
Interviewteilnahme schloss sich bei allen durchgeführten Interviews ein Abschlussgespräch an, welches nicht mehr aufgezeichnet wurde. Viele InterviewpartnerInnen nutzen dieses Gespräch, um weitere Fragen zum Forschungsvorhaben zu stellen.
8.4 Transkription
Die Interviews wurden auf Tonband aufgenommen. Dazu wurde von allen InterviewpartnerInnen das Einverständnis eingeholt und Fragen zur Anonymisierung
geklärt, sowie auf die Freiwilligkeit der Teilnahme verwiesen. Den InterviewpartnerInnen wurde der Beginn der Interviewaufzeichnung durch das Aufnahmegerät
angekündigt. Um mögliche Verunsicherungen oder Irritationen durch das Aufnahmegerät so gering wie möglich zu halten wurde darauf geachtet, dass die Inter92
viewerin nach dem Start der Tonbandaufnahme selbst noch eine Gesprächssequenz übernahm, etwa in Form der Erläuterung des Interviewablaufs. Somit sollten Verunsicherungen bei den InterviewpartnerInnen durch die Tonbandaufnahme
vermieden werden, wie sie entstehen können wenn der Start der Tonbandaufnahme zeitlich mit dem Beginn der ersten Antwortsequenz der InterviewpartnerInnen einhergeht.
Alle elektronisch aufgezeichneten Interviews wurden zeitnah zu deren Durchführung vollständig transkribiert und anonymisiert. Dabei wurden die Interviews mit
Frauen als ExpertInnen aus eigener Erfahrung nach den Richtlinien der Gesprächstranskription von Froschauer und Lueger (2003) transkribiert. Diese Form
der exakten Transkription des Textes ermöglicht es, den Text bzw. einzelne Passagen auch mittels der Feinstrukturanalyse auszuwerten. Da zum Zeitpunkt der
Interviewtranskription noch nicht absehbar war, ob die Interviews lediglich mittels
der Themenanalyse oder auch zusätzlich durch die Feinstrukturanalyse ausgewertet werden sollten, wurde diese etwas aufwendigere Transkriptionsform gewählt,
um die Möglichkeit, einzelne Interviewpassagen auch feinstrukturanalytisch auswerten zu können, nicht von vornherein auszuschließen. Die Transkription geschah nach folgenden Regeln:

Zeilennummerierung

Kodierung der GesprächsteilnehmerInnen (Interviewerin etwa mit I, die
befragte Person etwa mit B)

Pausen (pro Sekunde ein Punkt)

Nichtverbale Äußerungen wie Lachen oder Husten in runder Klammer
angeben, z.B. (B lacht)

Situationsspezifische Geräusche in spitzer Klammer angeben, z.B. >Telefon läutet>

Hörersignale bzw. gesprächsgenerierende Beiträge als normalen Text anführen, z.B. mhm, äh

Auffällige Betonung unterstreichen, z.B. etwa so

Unverständliches (Punkte in Klammer, jeder Punkt markiert eine Sekunde), z.B. (…)
93

Vermuteten Wortlaut bei schlechtverständlichen Stellen in Klammer
schreiben, z.B. (etwa so)

Sehr gedehnte Sprechweise mit Leerzeichen zwischen den Buchstaben,
z.B. e t w a s o
Da bei den Interviews mit den ExpertInnen aus dem psychiatrischen Bereich bereits zu Zeitpunkt der Interviewtranskription feststand, dass diese mittels der Themenanalyse auf manifeste Inhalte hin untersucht werden sollen, wurde der Text in
Standardsprache transkribiert und auf die möglichst exakte Transkription verzichtet (vgl. Froschauer/Lueger 2003: 223f.).
8.5 Auswertungsmethode
Die Auswertung des erhobenen Interviewmaterials erfolgt in Anlehnung an die
Themenanalyse nach Froschauer und Lueger (2003). Diese Form der Auswertung
von Gesprächen ermöglicht es, sich „einen Überblick über Themen zu verschaffen, diese in ihren Kernaussagen zusammenzufassen und den Kontext ihres Auftretens zu erkunden“ (Froschauer/Lueger 2003: 158).
Das themenanalytische Verfahren setzt einige Prämissen und Anwendungsbedingungen voraus, die bei der Wahl der Auswertungsmethode beachtet werden müssen. Folglich scheint die Themenanalyse zur Auswertung von Interviewdaten besonders dann geeignet:

wenn ein Überblick über eine große Textmenge gefragt ist;

wenn der manifeste Gehalt von Aussagen das Hauptaugenmerk der Untersuchung darstellt (etwa wenn Meinungen oder Einschätzungen erkundet
werden);

wenn Inhalte zusammenfassend aufbereitet werden sollen bzw. die interne
Differenziertheit eines Themas in den Blick genommen wird;

sowie wenn die Argumentationsstruktur in einem Gespräch beschrieben
werden soll (vgl. ebd.: 158).
Da das erhobene Interviewmaterial aller Interviews insgesamt mehr als 8,5 Stunden umfasst, scheint die Themenanalyse angebracht um einen Überblick über die
große Textmenge zu erhalten. Ferner ist die Wahl der Themenanalyse als Aus94
wertungsmethode für die durchgeführten Interviews mit erkrankten Frauen und
ExpertInnen naheliegend, da sie es ermöglicht die interne Differenziertheit eines
so vielschichtigen Themas, wie dem Kinderwunsch/der Elternschaft, herauszuarbeiten und die Thematik zusammenfassend darzustellen.
Innerhalb der Themenanalyse lassen sich zwei verschiedene Varianten unterscheiden. Zum einen ist hier das Textreduktionsverfahren zu nennen, welches den
Text weniger analysiert als vielmehr zentrale Themen zusammenfasst. Die andere Variante stellt das aufwendigere Codierverfahren dar, das sich eignet, um tiefer
in die Besonderheiten einer Argumentation einzudringen und begriffliche Strukturen von Themen und deren Zusammenhänge zu analysieren. Zur Auswertung des
erhobenen Interviewmaterials wird in dieser Arbeit das Codierverfahren herangezogen. „Ausgangspunkt ist der Gesprächstext, aus dem zentrale, für die Analyse
relevante Kategorien abgeleitet werden (keine vorherige Festlegung eines Kategoriensystems)“ (ebd.: 163). Das Codierverfahren ist somit sehr gut mit dem qualitativen exploratorischen Ansatz dieser Arbeit verknüpfbar, da vorab keine expliziten
Hypothesen formuliert werden müssen, die es dann zu verifizieren oder gegebenenfalls zu falsifizieren gilt. Durch die Erstellung von Begriffshierarchien im Rahmen des Codierverfahrens wird der Text nicht nur zusammengefasst sondern
auch analytisch erweitert.
Die praktische Durchführung des Codierverfahrens läuft in folgenden Schritten ab:
1) Themencodierung: Die einzelnen Textpassagen der Interviews werden anhand zentraler Aussagen codiert, dadurch werden Themenkategorien gebildet.
2) Die Themenkategorien werden auf Subkategorien untersucht, dadurch
entstehen hierarchische Netzwerke, die auch latente Sinnstrukturen enthalten.
3) Strukturierung der Themenkategorien: Die Themenkategorien werden
nach ihrer relativen Bedeutung im Text bzw. für die Forschungsfrage miteinander verbunden. Für besonders wichtige Themen werden Zentralkategorien gebildet.
4) Verknüpfung der Themenkategorien mit den Subkategorien.
95
5) Interpretation des hierarchischen Kategoriensystems, indem daraus Thesen in Hinblick auf die Forschungsfrage abgeleitet werden. Die zugrunde
liegenden Textpassagen können einer eingehenden Interpretation unterzogen werden.
6) Vergleichende Analyse verschiedener Texte mit dem Ziel der Theoriebildung. Dafür stehen verschiedene Analysemöglichkeiten zur Verfügung, wie
etwa:

der Vergleich verschiedener Texte auf Ähnlichkeiten und Unterschiede
ihrer Themen und ihrer Struktur;

die Entwicklung einer textübergreifenden Kategorisierung, wie etwa die
Suche nach Schlüsselkategorien, die in vielen verschiedenen Texten
zentral sind;

die Untersuchung von Schlüssel- und Subkategorien über die verschiedenen Texte hinweg mit dem Fokus auf ihre Substruktur und die
Vernetzung mit anderen Kategorien;

sowie die Analyse der inhaltlichen Dimension der Kategorien. Dazu
werden die konkreten Inhalte einer Kategorie aus verschiedenen Texten einer vergleichenden Analyse unterzogen (vgl. ebd.: 163f.).
Die Bildung der Kategorien und Subkategorien, sowie deren Verknüpfung fand in
einer dreiköpfigen ForscherInnengruppe, die aus der Autorin dieser Arbeit und
zwei weiteren Klinischen Sozialarbeiterinnen bestand, statt. Da es im Rahmen
dieser Masterarbeit nicht möglich war, die Erhebung und Interpretation personell
voneinander zu trennen, sollte durch die Diskussion und Bildung der Kategorien
im Team sichergestellt werden, dass die Kenntnisse der Interviewerin bezüglich
der Interviewverläufe nicht zu unbegründeten Vorannahmen hinsichtlich der „richtigen“ Interpretation der Interviews führen. Dies stünde im Gegensatz zur exploratorischen Kategorienbildung aus dem Text. Wenngleich die Themenanalyse weitestgehend auf die Untersuchung manifester Inhalte ausgerichtet ist und die Interpretation somit nicht so sehr von der eigenen Sichtweise abhängt, wirken zusätzliche InterpretInnen dennoch als Korrektiv für individuelle Wahrnehmungsfilter und
Vorurteile, die aus der Interpretation ausgeschlossen bleiben sollten (vgl. ebd.:
104, 158ff.).
96
9. Darstellung der Ergebnisse und Interpretation
Im Folgenden werden nun die Ergebnisse dargestellt, die mittels der Themenanalyse gewonnen wurden. Dazu werden die gebildeten Themen- und Subkategorien
vorgestellt und erläutert, die in Bezug auf die Fragestellung relevant sind. Anhand
des bereits oben erläuterten Codierverfahrens nach Froschauer und Lueger wurden sieben Themenkategorien gebildet, die wiederum durch zwei bis fünf Subkategorien unterteilt sind.
Die Themenkategorien lauten:
1. Bipolare Erkrankung
2. Kinderwunsch
3. Gesundheit bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankter Mütter
4. Gesundheit des Kindes
5. Elternschaft mit bipolarer Erkrankung
6. Unterstützungsmöglichkeiten
7. Versorgungssituation und gesellschaftlicher Umgang mit der Erkrankung
Die Themenkategorien und Subkategorien, die sich aus den Interviews herauskristallisiert haben, geben die begriffliche Struktur der Themen und ihrer Zusammenhänge wieder (vgl. Froschauer/Lueger 2003: 163).
9.1 Bipolare Erkrankung
Die erste Themenkategorie „Bipolare Erkrankung“ gliedert sich in die drei Subkategorien „Verlauf und Erleben der Erkrankung“, „ Diagnose / Kenntnis der Erkrankung“ sowie „krankheitsbedingte Einschränkungen“.
Die Aussagen der InterwiepartnerInnen zur bipolaren Erkrankung sind für die Forschungsfrage relevant, da sie veranschaulichen, wie vielgestaltig eine bipolare
Erkrankung ist und welche Auswirkungen sie auf die Lebenssituation der Betroffenen haben kann. Da sich die bipolare Erkrankung einer Mutter auf das ganze Familiensystem auswirkt, beeinflussen die Erkrankung und krankheitsbedingten Einschränkungen auch die Elternschaft. „Also sobald es mir gut geht, sobald ich stabil
97
bin kann ich genauso Mutter sein und Mutterpflichten erfüllen wie jede gesunde
Frau, nicht psychisch beeinträchtigte“ (IP 1, 251-252).
9.1.1 Verlauf und Erleben der Erkrankung
Die Auswertung der Interviews ergab, dass das erstmalige Auftreten der bipolaren
Erkrankung einen massiven Einschnitt in der Biografie der Frauen darstellte. Zwar
seien mit manischen Phasen auch positive Aspekte verbunden, die etwa durch
das Gefühl des „gottähnlich-seins“ zum Ausdruck kommen.
„Es gab es eine akut manische Phase in der ich einfach, wie soll ich mich ausdrücken, gottähnlich war. Mit verschiedensten Fähigkeiten zu denen ich mich fähig gefühlt habe. Meine Eltern damals dachten ich bin schwerst unter DROGEN
[…]“ (IP 2, 24-26).
Nichtsdestotrotz wird die destruktive Komponente der Erkrankung deutlich, wenn
die Frauen schildern, dass sie sich in depressiven Episoden antriebslos und gehemmt fühlten bzw. ihre Stimmungslagen (noch) nicht einordnen konnten.
„Die Manie habe ich genossen, die Depression war furchtbar. […] Ich habe nicht
gewusst was mit mir los ist und war verzweifelt“ (IP 5, 5-7).
Des Weiteren wird ersichtlich, dass insbesondere die manischen Phasen oftmals
erheblichen zerstörerischen Einfluss auf das soziale Umfeld und die berufliche
Situation der Betroffenen nahmen, sodass manische Episoden im Vergleich zu
depressiven Episoden von den erkrankten Frauen retrospektiv als viel zerstörerischer wahrgenommen werden. Dies ist dadurch zu erklären, dass stark ausgeprägte manische Episoden die „Funktionsfähigkeit“ der Betroffene erheblich vermindern können, sodass es ihnen nicht mehr möglich ist familiären Aufgaben
nachzukommen bzw. berufliche Anforderungen zu erfüllen (siehe Kapitel 2).
Zudem geht aus den Interviews hervor, dass die bipolare Erkrankung für die meisten Betroffenen eine „Erschütterung“ der bisherigen Überzeugungen und des Vertrauens in die Bewältigbarkeit von Aufgaben darstellt, welche die Frauen in ihrem
Selbsterleben verunsichert. In Folge dessen schildert eine Interviewpartnerin sich
durch die Erkrankung nicht mehr als handelndes Subjekt erlebt zu haben, sondern
als Objekt in der Geschichte mit dem umgegangen wurde (vgl. IP 2, 36-39).
Wenngleich die manischen Phasen zunächst als positiv erlebt wurden, folgte darauf oftmals eine Ernüchterung, die Betroffene durch das Gefühl der Hilflosigkeit
beschreiben.
98
„ […] Also die Manie, die ja immer für den Patienten was Positives ist, die hat alles betroffen. Also man weiß alles, man hat keine Hindernisse etc. Das Herunterholen mit Klinikaufenthalt war un-, also auch im Rückblick, UNFASSBAR ernüchternd. Also nicht, was fallen mir für Wörter dazu ein, nicht wertschätzend,
nicht aufklärend, nicht auf irgendetwas Rücksicht nehmend. Auch meinen Eltern
damals, also ich mein die waren von den Socken. Eine normale, was immer
normal bedeutet, ein normales Kind hat plötzlich einen [Psychiatrie]-Aufenthalt.
Ich mein das ist in Wien durchaus etwas sehr einschlägiges. Und sie wussten
nichts, ich wusste nichts und das war […] das Gefühl ein völliges Neutrum zu
sein. Also auch seitens der Ärzteschaft, seitens der Pflegerschaft keiner sprach,
keiner hat irgendwie gesagt es geht vorüber, man kann man kann dies oder das
tun.“ (IP 2, 48-57)
Durch den Vergleich des Erlebens der Erkrankung zwischen älteren und jüngeren
Interviewpartnerinnen wurde augenscheinlich, dass die psychiatrische Versorgung
einen Wandel durchlaufen hat. Zwar äußerten sich auch die jüngeren Interviewpartnerinnen dahingehend, die Erkrankung als sehr belastend empfunden zu haben. Jedoch fanden sich vor allem bei den älteren Interviewpartnerinnen Schilderungen von traumatischen Erinnerungen an die Erkrankung und die damit verbundenen verstörenden Klinikaufenthalte. Die älteren Patientinnen beschreiben, dass
sie nicht das Gefühl hatten, als zu respektierende menschliche Wesen in die Behandlung mit einbezogen worden zu sein.
„ […] also es war ein an der Patientin-Vorbeiarbeiten ja. Ich mein mich aktiv in
ein Positives einzubinden und auch zu erklären usw. das hatten wir überhaupt
nicht. […] Ich kann Ihnen durchaus sagen, dass ich Sachen auch noch miterlebt
[habe] in der Mitte der 80er Jahre wo ich mir gedacht habe das ist NICHT meine
Abteilung, also von Gitterbetten her, also nicht für mich. Und dieses Anbinden
von Patienten, die sich die Zigaretten auf den Armen und Händen ausgedrückt
haben und es war alles zusammengewürfelt ja. […] Kein Arzt hat dich also als
vollständig zu respektierendes menschliches Wesen angesehen. Das war es
vielleicht. Natürlich, man muss vorsichtig sein das ist natürlich eine sehr individuelle Empfindung. Es kann vielleicht schon der Versuch stattgefunden haben,
aber aufgrund der Masse auch an PatientInnen […] (IP 2, 110-123).
Diese Ausführungen lassen die Schlussfolgerung zu, dass die KrankheitsIdentitäts-Arbeit, sowie die Unterstützung im Umgang mit Brüchen wichtige Aufgabenfelder der Klinischen Sozialen Arbeit im psychiatrischen Handlungsfeld darstellen. Zudem verweisen die Erzählungen der Frauen darauf, von welch großer Bedeutung die Erfahrungen mit dem Helfersystem sind, wenn Personen erstmals
erkranken. Ziel muss es somit sein, die Versorgung psychisch erkrankter Menschen bestmöglich in einen wertschätzenden, respektierenden Rahmen einzubetten, damit die Bereitschaft erkrankter Personen, sich auch weiterhin in Krankheitsphasen in Behandlung zu begeben, besser erhalten werden kann.
99
9.1.2 Diagnose / Kenntnis der Erkrankung
Die Analyse der Interviews bestätigt zudem, die bereits in der Theorie getroffene
Äußerung, dass zwischen dem Erkrankungsbeginn von Personen und der (korrekten) Diagnosestellung sehr oft ein langer Zeitraum liegt.
„20 Jahre auf und ab mit Diagnosen, nur waren die alle falsch und kurios. Dann
war‘s halt wetterfühlig oder ja Belastungsstörung mit Dreifachbelastung. ALLES
MÖGLICHE HABEN SIE MIR DA EINREDEN WOLLEN. Diverse Medikamente
bekommen, Kreislauftropfen oder sie haben zu niedrigen Eisenspiegel, das ist
typisch, da kriechen Sie nur herum. So Sachen bekam ich zu hören“ (IP 1, 5155).
Auch eine andere Interviewpartnerin schildert ihre Krankheitsgeschichte ähnlich:
„Meine Therapeutin […] hat dann festgestellt, dass ich bipolar bin, nicht depressiv alleine, sondern bipolar. Die war die erste die das festgestellt hat obwohl ich
schon vorher viermal im Krankenhaus war wegen Depression. Die haben nie
nachgefragt oder nachgeschaut, sodass dir entweder eine Fehldiagnose gemacht wird im Schizophrenie-Bereich oder eben nur die Depression gesehen
wird“ (IP 5, 11-17).
Dies zeigt, dass eine fehlende oder fehlerhafte Diagnose für die Betroffenen sehr
belastend sein kann, wenn diese ihre sehr schwankenden Stimmungslagen und
ihr Verhalten nicht einordnen können. Zum anderen ist das Vorhandensein einer
Diagnose auch für den Aspekt des Kinderwunsches / der Elternschaft von Bedeutung. Schließlich können krankheitsspezifische Unterstützungsmöglichkeiten für
bipolar erkrankte Frauen (und ihre Kinder) nur dann stattfinden, wenn die bipolare
Erkrankung auch als solche erkannt und diagnostiziert wird. Außerdem steht die
Diagnostik der bipolaren Erkrankung häufig auch im Zusammenhang mit der
Krankheitseinsicht der Betroffenen und der damit verbundenen Inanspruchnahme
von Behandlung und Unterstützung. Entsprechend erzählt eine Interviewpartnerin
von einer Situation, in der sie Hilfe abgelehnte weil bei ihr keine Krankheitseinsicht
ohne Diagnose vorhanden war.
„Eine Kollegin dürft es [die Erkrankung] bemerkt haben. […] Die hat mir einen
Zettel in die Hand gedrückt, da ist drauf gestanden psychosozialer Dienst der
Stadt Wien. Da hab ich gedacht was will die und hab das weggeschmissen, leider. Das wäre wahrscheinlich die richtige Anlaufstelle gewesen.“ (IP 1, 102-107).
An anderer Stelle wird das Vorhandensein einer Diagnose auch mit Compliance in
Verbindung gebracht, welcher auch im Kontext von gelingender Elternschaft besondere Bedeutung zukommt.
100
„Ähm, vor allem das man es weiß. Dann kann man mit der Krankheit umgehen,
kann die Medikamente regelmäßig nehmen. Regelmäßig zum Arzt gehen also
auf sich selber schauen und dann klappt das auch mit den Kindern“ (IP 1, 244246).
Es bleibt somit festzuhalten, dass eine fehlende Diagnose bipolar erkrankte Frauen vor besondere Herausforderungen stellt, wenn einerseits Symptome der Erkrankung wahrgenommen werden, jedoch keine krankheitsspezifische Unterstützung zu Stande kommt. Zudem zeigt die Analyse der Interviews, dass eine Diagnose wichtig für die Krankheitseinsicht betroffener Frauen ist. Daraus ergibt sich
die Ableitung, dass eine rasche Diagnosestellung bei Erkrankungsbeginn zentral
ist. Führt man sich vor Augen, dass bipolare Erkrankungen häufig im jungen Erwachsenenalter auftreten, ist das rasche Erkennen und Diagnostizieren der Erkrankung von Bedeutung, um den Frauen noch vor Eintritt der Schwangerschaft
Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten Seite stellen zu können.
9.1.3 Krankheitsbedingte Einschränkungen
Die folgende Subkategorie bezieht sich auf krankheitsbedingte Einschränkungen,
welche die Interviewpartnerinnen aufgrund ihrer bipolaren Störung wahrnehmen
bzw. wahrnahmen. Die Kenntnis dieser Einschränkungen stellt eine Voraussetzung für die bedarfsgerechte Formulierung von Unterstützungsangeboten dar.
Anhand der Schilderungen der Interviewpartnerinnen wird deutlich, dass die bipolare Erkrankung bei allen Frauen Einfluss auf die gesamte Lebenssituation nimmt.
Die betroffenen Frauen fühlen sich während der Krankheitsepisoden im Alltag
stark eingeschränkt, sodass die Bewältigung alltäglicher Aufgaben, wie etwa das
morgendliche Aufstehen, in depressiven Phasen bereits mit großer Anstrengung
verbunden ist.
Eine Interviewpartnerin beschreibt die Einschränkungen folgendermaßen:
„Ja, schon allein das Aufstehen. Job muss man irgendwie funktionieren, so gut
als möglich. Aber zu Hause dann, also Weggehen oder sowas das kam nicht in
Frage, dazu war ich zu KO“ (IP 1, 38-40).
Die Äußerungen einer weiteren Betroffenen sind ähnlich:
„[In der Depression Anmerkung] da war es schon eine Leistung wenn ich in der
Früh duschen gegangen bin, also das war dann das quasi das Highlight des Tages und ja man wird einfach teilnahmslos, einfach eine leere Hülle“ (IP 3, 60-63).
101
Die Manie hingegen verleiht den Betroffenen zunächst unbändige Energie und das
Gefühl von Allmacht, wie aus den Schilderungen hervorgeht. Auch hier gleichen
sich die Beschreibungen der Frauen, die erzählen viele Dinge gleichzeitig angefangen zu haben und diese dann aber nicht zu Ende führen konnten, weil sie bereits wieder in die Depression „kippten“ (vgl. IP 5, 38-44).
Die krankheitsbedingten Auswirkungen sind für die Bearbeitung der Forschungsfrage zentral, da sie nicht nur Einfluss auf den Alltag der erkrankten Frauen selbst
nehmen, sondern auch das Zusammenleben mit den Kindern betreffen. Eine Interviewpartnerin schildert offen, dass ihr aufgrund ihrer Erkrankung oftmals die
Energie für Unternehmungen mit ihren Kindern gefehlt habe. Dadurch habe sie mit
Schuldgefühlen zu kämpfen gehabt, welche sich wiederum negativ auf den Krankheitsverlauf auswirken können. Die Interviewpartnerin relativiert jedoch ihre Erzählung indem sie die Aussage, dass die Bedürfnisse ihrer Kinder immer oberste Priorität hatten, hinzufügt. Somit sei sie stets bemüht gewesen, die Kinder nicht
durch ihre Erkrankung zu belasten. Die Sorge um die Kinder wird als ein Faktor
dargestellt, der trotz der Erkrankung gelungen sei.
„Depression war dann so schlimm, dass ich manches Mal mit meinen Kindern
nichts unternehmen konnte. Ich hab es nicht geschafft. […] Die Kinder sind in die
Schule und wurden von einem Schulbus abgeholt von zu Hause und auch nach
Hause gebracht. Also für mich war es nicht notwendig raus zu gehen. Somit hab
ich den ganzen Tag auf der Couch verbracht ohne viel anderes zu machen, geschweige denn mich anzuziehen oder herzurichten. Wie ich dann gesehen habe
die Uhr wie spät es ist habe ich angefangen damit. Und dann habe ich Stress
gehabt, ich habe mir selber Stress gemacht und Vorwürfe gemacht. Das einzige
was funktioniert hat war die Sorge um meine Kinder. Das hat funktioniert. Da
gab es was zu essen, die hatten immer saubere Wäsche, die wurden jeden Tag
gebadet. Nur um mich selber konnte ich mich nicht kümmern. Dann war es so,
die Kinder kamen nach Hause, dann habe ich gewartet und dann bin ich schnell
mit denen zum Spar ein paar Sachen einkaufen weil ich es alleine nicht geschafft habe“ (IP 5, 44-56).
Die Bedürfnisse der Kinder stellen somit einen nicht zu unterschätzenden Anreiz
dar, der die Interviewpartnerin (teilweise) befähigt sich über krankheitsbedingte
Einschränkungen hinwegzusetzen um die basalen Bedürfnisse der Kinder zu befriedigen. Leider findet der Zeitraum, in denen die Kinder im Kleinkindalter waren,
keine Berücksichtigung in der Erzählung der Interviewpartnerin, obwohl diese bereits zu diesem Zeitpunkt bereits erkrankt war. Ebenso kann aus der Erzählung
102
von Interviewpartnerin 5 nicht geschlussfolgert werden, wie die Kinder die Situation erlebten.
Spannenderweise bringt nur eine Frau die Einschränkungen der Erkrankung von
sich aus mit den Auswirkungen auf die Kinder in Verbindung (siehe dazu auch
Kapitel 4). Die anderen Interviewpartnerinnen erwähnen diesen Faktor erst, als die
Interviewerin direkt nach Herausforderungen fragt, die sich aufgrund der bipolaren
Erkrankung in der Elternschaft ergeben haben.
Auf übergreifender Ebene zeigen sich krankheitsbedingte Einschränkungen zudem dadurch, dass Betroffene ihr Vertrauen in sich selbst verlieren. Die Sinnhaftigkeit, Handhabbarkeit und Verstehbarkeit der eigenen Biografie ist durch die bipolare Erkrankung beeinträchtigt, woraus das Gefühl der Machtlosigkeit und ein
vermindertes Kohärenzgefühl resultieren. Die Frauen sind der Überzeugung Anforderungen nicht mehr bewältigen zu können.
„Ich hab mich eher ein bisschen selbst stigmatisiert vielleicht. Das ich mir gedacht habe, ich kann das nicht schaffen ich bin hab solche Krisen durchlebt und
jetzt schaffe ich das einfach nicht“ (IP 4, 483-489).
In Unterstützungsangeboten zur Förderung einer gelingenden Elternschaft bipolar
erkrankter Frauen sollten somit Konzepte von Empowerment und Recovery Berücksichtigung finden. Dadurch könnte daran gearbeitet werden, dass sich die
Frauen wieder als selbstwirksame Personen erleben und die Hoffnung auf Genesung nicht verloren geht.
9.2 Kinderwunsch
Die Themenkategorie „Kinderwunsch“ gibt Aufschluss über die Beweggründe bipolar erkrankter Frauen einen Kinderwunsch umzusetzen. Zudem wird ersichtlich
welche Ängste und Bedenken einige Interviewpartnerinnen im Hinblick auf die Erfüllung ihres Kinderwunsches hegen. Die Subkategorie „Prozess der Kinderwunscherfüllung“ veranschaulicht dann, dass die Erfüllung des Kinderwunsches
oftmals ein langwieriger Prozess ist, der mit vielen Hürden verbunden ist. Des
Weiteren wurde die Subkategorie „Thematisierung im medizinischen / psychiatrischen Kontext“ gebildet, die zeigt, dass Klinische SozialarbeiterInnen in ihrem Ar-
103
beitsalltag zwar mit der Elternschaft bipolar erkrankter Menschen konfrontiert sind,
der Kinderwunsch jedoch nicht im sozialarbeiterischen Kontext thematisiert wird.
9.2.1 Entstehung
Aus dem Interviewmaterial geht hervor, dass die Frauen in Abhängigkeit von ihren
individuellen biografischen Besonderheiten unterschiedlich mit der Kinderwunschthematik umgehen. Wie bereits im Theorieteil in Kapitel 4 beschrieben wurde,
zeigen sich verschiedene Muster im Umgang mit reproduktiven Aspekten. Diese
decken sich mit den Ergebnissen der Empirie, wobei die Muster in den Interviews
häufig ineinander übergehen und daher nur schwer isoliert zu betrachten sind. Als
ein Muster des Umgangs mit dem Kinderwunsch kann der stabile Kinderwunsch
als biografische Konstante genannt werden. Dabei bringen die Frauen zum Ausdruck, dass der Kinderwunsch schon immer bestand.
„Also ich mach das eigentlich weil ich IMMER schon Kinder wollte, ich bin mit
drei Geschwistern aufgewachsen und es war immer der Plan, dass ich Kinder
krieg oder irgendwann mal eine Familie gründen kann wenn der richtige Mann
kommt und das wollt ich jetzt einfach probieren. Weil wenn ich es jetzt nicht
mach dann brauch ich es gar nicht mehr machen. Weil auch sozusagen meine
biologische Uhr […] läuft“ (IP 3, 435-440).
Interessanter Weise reagierten einige Frauen, bei denen der Kinderwunsch als
biografische Konstante besteht / bestand, sichtlich irritiert auf die Frage, ob sie
sich noch erinnern könnten, wie es damals zum Kinderwunsch kam. Es ist naheliegend, dass explizite Erläuterungen der Beweggründe für die Frauen nicht relevant bzw. abrufbar sind, weil das Motiv „schon immer“ bereits die Selbstverständlichkeit des Kinderwunsches erläutert. Im Zusammenhang mit der Erkrankung der
Frauen wird jedoch ersichtlich, dass der Kinderwunsch durch die Erkrankung in
einigen Fällen nicht zeitnah zu realisieren war und verschoben werden musste.
Da die bipolare Erkrankung häufig im jungen Erwachsenenalter auftritt wird oftmals die Familienplanung auch durch die Erkrankung beeinflusst.
„[…] entweder ist es weil die über 30, also ich hab nie so diesen Kinderstress
gehabt, ich wollt immer Kinder haben, nur dann hat irgendwie mein Leben eine
andere Wendung genommen wie ich mir das vorgestellt hab. Weil dieser Ausbruch dieser Erkrankung hat irgendwie alle Pläne auf den Kopf gestellt die man
sich man sich halt so vorstellt […]“ (IP 3, 191-195).
104
Die Erkrankung kann somit zur Folge haben dass der Kinderwunsch verschoben
wird. Zwei Interviewpartnerinnen betonen, dass ihr Kinderwunsch dann aufgrund
ihres Alters und der Begrenztheit der reproduktiven Phase wieder an Aktualität
gewann.
„[…] das ist auch so ich bin zwei Jahre älter als mein Mann und ich denke das
hat eine gewisse Rolle gespielt, dass ich äh bisschen wegen des Alters schon
überlegt habe“ (IP 4, 147-149).
Eine andere Interviewpartnerin äußert hingegen einen situationsabhängigen Kinderwunsch. Für sie stellt die gesundheitliche Stabilität eine Voraussetzung dar
damit der Kinderwunsch überhaupt entsteht.
„Ja [die gesundheitliche Situation] davor [war] sehr gut, ausgeglichen. Sonst wär
wahrscheinlich auch der Kinderwunsch gar nicht gekommen“ (IP 1, 73-74).
Auch durch eine weitere Interviewpartnerin wird betont, dass ihre gesundheitliche
Stabilität eine wichtige Voraussetzung war, um ihren Kinderwunsch umzusetzen.
In ihrer Argumentation wird zudem ersichtlich, dass der Kinderwunsch für sie eng
mit dem Konzept der „Normalbiografie“ verbunden ist.
„Wie es zu dem Kinderwunsch kam? Ähm ganz ganz unkompliziert, wir haben
geheiratet […] und es war eigentlich kein Thema Kinder zu bekommen oder
nicht. Also sagen wir Kinder zu bekommen in Hinblick auf diese bipolare Erkrankung, wobei ich mich im Jahr der Schwangerschaft und auch zwei, drei Jahre
davor durchaus als GESUND, einfach als Herrin meiner Sinne und meines Erlebens, gefühlt habe“ (IP 2, 129-133).
Dass Mutterschaft bei vielen Frauen in das Konzept der „Normalbiografie“ eingebettet ist, wird auch durch das unten stehende Zitat offenkundig. Ob der Kinderwunsch auch vor allem deshalb für bipolar erkrankte Frauen relevant ist, weil er
einen nach außen hin sichtbaren Beleg der „Normalität“ darstellt, ist an dieser
Stelle fragwürdig. Schließlich äußert Interviewpartnerin 3 an anderer Stelle, dass
ihr Kinderwunsch schon immer bestand.
„[…]also wir wollen heiraten und alles. Also das das es ist es ist ein klassisches
kompaktes Familienmodell geplant wenn man das so sagen kann“ (IP 3, 252253).
Darüber hinausgehend wird deutlich, dass der Kinderwunsch auch Ausdrucksmittel der Gemeinsamkeit mit dem Partner sein kann.
„Ich habe dann mit meinem zweiten Mann einige Zeit gelebt, dann haben wir geheiratet und dann ich war schon am Anfang dieser zweiten Beziehung entschieden, oder wir waren beide entschieden, dass wir ein Kind haben wollen“ (IP 2,
90-92).
105
Die Äußerungen der Frauen lassen erkennen, dass der Kinderwunsch als Teil eines biografischen Gesamtkonzepts zu verstehen ist und daher von hoher subjektiver Bedeutung ist. Die Motive die bipolar erkrankte Frauen mit dem Kinderwunsch
verbinden unterscheiden sich nicht signifikant von den in der Theorie angeführten
Motiven, die sich nicht explizit auf den Kinderwunsch psychisch erkrankter Frauen
beziehen. Unterstützungsmöglichkeiten für bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsch sind somit aufgrund der hohen subjektiven Bedeutung der Thematik, im
Sinne einer subjektorientierten psychiatrischen Versorgung von Relevanz.
9.2.2 Ängste und Bedenken
Aus dieser Subkategorie geht hervor, dass der Kinderwunsch bipolar erkrankter
Frauen auch mit vielfältigen Ängsten und Bedenken verbunden ist. Diese sollen
nachfolgend kurz erläutert werden, da sie einen Teil der krankheitsspezifischen
Herausforderungen ausmachen, mit denen sich bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsch auseinander setzen (müssen).
Eine Interviewpartnerin bringt zu Ausdruck, dass sie sich der Vererbung der genetischen Prädisposition für die Erkrankung durchaus bewusst ist und somit lange
darüber nachgedacht habe, ob sie überhaupt Kinder bekommen soll.
„[…] U n d das Nachdenken über Kinder, ich mein natürlich, für jede Frau sind
Kinder immer irgendwann Thema aber ich habe sehr lange eigentlich mit mir g e
r u n g e n aufgrund dieser Erkrankung, ob ich mich überhaupt weitervermehren
soll. Weil ich das der nächsten Generation auf keinen Fall antun will“ (IP 3, 175178).
An anderer Stelle wird zudem erwähnt, dass der Medikamenteneinsatz und die
Auswirkungen auf das Kind mit Sorgen verbunden sind (vgl. IP 3, 451-452).
Umgekehrt stellt die Reduzierung der Medikamente, vor und während der
Schwangerschaft, ein Risiko für die psychische Stabilität der erkrankten Frauen
dar (vgl. IP 3, 461-462). Somit wird das Dilemma der Frauen ersichtlich, dass sie
oftmals zwischen der eigenen gesundheitlichen Stabilität und der Gesundheit des
Kindes abwägen müssen, da die Medikamenteneinnahme für die eigene gesundheitliche Stabilität wichtig ist, einige Medikamente aber ein Risiko für die Gesundheit des Kindes darstellen.
Die in den Interviews genannten Ängste und Bedenken im Kontext des Kinderwunsches beziehen sich auch auf den Zeitpunkt nach der Entbindung. Da die
106
Schwangerschaft eine vollkommen neue Erfahrung ist, bleibt zunächst ungewiss
ob bisherige Krankheitsbewältigungsstrategien weiterhin wirksam sein werden.
Ängste bestehen also auch hinsichtlich der Frage, ob es gelingen wird, die Anforderungen der Elternschaft zu bewältigen. Außerdem beschreibt eine Interviewpartnerin ihre Sorge aufgrund depressiver Episoden in ihrer Erziehungsfähigkeit
eingeschränkt zu sein.
„Ich hab Angst gehabt wie ich das mit dem Kind schaffen werde weil ich bin
schon ziemlich müde und ich war vor der Schwangerschaft schon müde. Ich hab
schon Angst gehabt dass die Gefühle, dass die Depression sehr negativ wirken
könnte und ja die Angst, ich hab schon ziemlich viel Angst gehabt (B lacht). Es
war etwas ganz Neues. Das war wirklich dass man Angst vor der neuen Situation hatte und dass man sich das nicht vorstellen konnte“ (IP 4, 155-160).
An anderer Stelle wird erkennbar, dass häufig auch die Partner der Frauen Bedenken in Bezug auf die Umsetzung des Kinderwunsches äußern.
„Also wenn es nach meinem Mann ginge wäre [unser Sohn] heute noch nicht auf
der Welt, weil es gab so ein großes Sicherheitsdenken. […] Und ich hab gesagt
du, also entweder man tut das wenn man halbwegs jung ist, halbwegs jung ist.
Also es war ein wirklich von Herzen willkommenes Kind […] Also gesundheitlich
hatte mein Mann wahrscheinlich mehr Bedenken als ich. Ja weil Frauen sind
dabei einfach stärker, ich sag es ganz grauslich“ (IP 2, 178-184).
9.2.3 Prozess der Kinderwunscherfüllung
Die Aussagen zum Prozess der Kinderwunscherfüllung stellen dar, dass es sich
bei der Erfüllung des Kinderwunsches häufig um einen langwierigen Prozess handelt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Umsetzung des Kinderwunsches
immer wieder weiter verschoben werden muss, wenn es aufgrund der Medikamentenreduzierung zu einer psychischen Destabilisierung und Krisen kommt.
„Äh aber es war überhaupt nicht leicht die Medikamente zu reduzieren weil ich weil ich
Lithium genommen habe, also Neurolepsin und dann äh wie hieß das das Medikament
Rivotril, das musste ich absetzten. Und das mit den Medikamenten das war das schwierigste wirklich. Weil in Folge des Versuchs mit den Medikamenten war ich dann zweimal
stationär […] im Krankenhaus weil es mir einfach schlecht gegangen ist. Zuerst war ich
manisch oder ich war ich war irgendwie äh ich hab ein bisschen außerhalb der Realität
gelebt, für ein paar Tage aber nur. Und dann hat sich mein Mann entschieden mit mir ins
Krankenhaus zu gehen und sie haben gemeint ich sollte dort bleiben.“ (IP 2, 92-101).
„Nach den zwei Aufenthalten hab ich wieder die ursprüngliche Dosis gehabt“ (IP 2, 247).
Es zeigt sich, dass die Medikamenteneinnahme sowohl für die Gesundheit der
Frau, als auch für die Gesundheit des (gewünschten) Kindes von besonderer Relevanz ist. Da weite Teile der Organentwicklung des Kindes bereits im frühen Stadium der Schwangerschaft stattfinden, in denen eine Schwangerschaft meist noch
107
nicht erkannt wird, kommt dem Aspekt der Schwangerschaftsplanung eine besondere Wertigkeit zu. Diese Schwangerschaftsplanung setzt voraus, dass die Frauen
in das Versorgungssystem eingebunden sind. Ist dies gegeben können Aspekte
der Medikamenteneinnahme bereits vor Eintritt der Schwangerschaft besprochen
werden, sodass Panikreaktionen der Frauen bei Eintritt einer Schwangerschaft
vermieden werden können, wenn zuvor keine Medikamentenanpassung stattgefunden hat. Die Beratung zur Medikamenteneinnahme liegt klar im medizinischen
Kompetenzbereich. Diese medizinische Beratung könnte durch ein Beratungsund Beziehungsangebot der Klinischen Sozialen Arbeit sinnvoll ergänzt werden,
indem den Frauen zum Beispiel Raum geboten wird ihren Kinderwunsch auch
über medizinische Aspekte hinausgehend zu thematisieren (siehe dazu Themenkategorie „Unterstützungsmöglichkeiten“).
9.2.4 Thematisierung im medizinischen / psychiatrischen Kontext
Die Thematisierung des Kinderwunsches im psychiatrischen Kontext ist für vier
der fünf befragten Frauen wichtig. Sie wünschen sich, dass eine frühzeitigere
Thematisierung der Kinderwunschthematik routinehaft angeboten wird.
„Aber wenn Sie die Frage gestellt haben, was würde ich mir für andere bipolare
Frauen wünschen, dann sage ich es ist sehr sinnvoll früher damit anzufangen.
[…] Ich musste warten bis es sich mit den Medikamenten klärt und mit diesen
zwei Spitalaufenthalten das hat einfach gedauert. Aber wenn man früher anfängt, wenn das geht, ist das natürlich besser“ (IP 4, 535-441).
Interviewpartnerin 4 schildert in diesem Zusammenhang, dass sie ihren Kinderwunsch aufgrund der Erkrankung immer weiter nach hinten verschoben habe.
Aufgrund ihres Alters sei es somit nicht mehr möglich gewesen ein weiteres Kind
zu bekommen, obwohl sie sich dies manchmal wünsche. Daher sein eine frühere
Thematisierung der Kinderwunschthematik wichtig.
Eine andere Interviewpartnerin, die selbst keine Beratung zum Kinderwunsch
durch professionelle HelferInnen erhalten hat, äußert rückblickend, froh darüber zu
sein. Sie geht davon aus, dass ihr in einer Beratung bzw. Thematisierung vom
Kinderwunsch abgeraten worden wäre. Da die Interviewpartnerin an mehreren
Stellen berichtet, dass innerhalb der psychiatrischen Versorgung nie nach ihrer
persönlichen Situation gefragt worden sei, ist für sie vermutlich schwer vorstellbar,
dass eine Beratung für sie auch eine Unterstützung hätte darstellen können.
108
„NIE. Bezüglich Partnerschaft wie es mir da geht, bezüglich ob ich einen Kinderwunsch habe kam NICHTS. Aber ich bin dankbar, weil vielleicht hätten sie
mich damals abgeschreckt. So dankbar, ich hab so tolle Kinder“ (IP 5, 241-243).
Anhand der Äußerung geht auch hervor, dass die psychosoziale Ebene in der
Versorgung aus Sicht der Frau vernachlässigt wurde. Klinische Soziale Arbeit
weißt jedoch gerade in der sozialen Diagnostik und Netzwerkarbeit Potentiale auf,
welche neben der medizinischen, psychologischen und pflegerischen Versorgung
in die praktische Arbeit mit einbezogen werden sollten.
Interessanterweise spielt der Kinderwunsch in der Sozialen Arbeit jedoch bislang
keine Rolle. Zwar ist die Elternschaft psychisch erkrankter Frauen im Arbeitsalltag
(Klinischer) SozialerbeiterInnen Thema, der Kinderwunsch hingegen nicht.
„Also mit Kinderwunsch habe ich keinerlei Erfahrungen muss ich sagen. Ich
kann mich nicht an eine Patientin erinnern, die eine bipolare Störung gehabt hätte und einen noch nicht erfüllten Kinderwunsch […]. Aber es gibt sehr viele
Frauen oder auch Männer mit bipolarer Störung die Kinder haben. Also keine
Seltenheit“ (Exp. 2, 25-29).
Dass der Beratung und Begleitung bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch
auch eine präventive Funktion zukommt wird bisher unterschätzt. Da offenkundig
ist, dass bipolar erkrankte Menschen Eltern werden, wäre es wünschenswert,
dass die Versorgung der erkrankten Frauen (durch die Klinische Soziale Arbeit)
bereits zum Zeitpunkt des Kinderwunsches einsetzt. Dies hätte den Vorteil, dass
zum einen bereits eine Beziehung aufgebaut werden könnte, die später den Zugang zu den Frauen erleichtert. Zudem käme einer frühzeitigen Beratung und Begleitung auch eine präventive Funktion der Gesundheitsförderung vom Mutter und
(potentiellem) Kind zu, wenn etwa Ressourcen erkannt und gefördert und Unterstützung angeboten wird.
Drei Interviewpartnerinnen erzählen, dass sie sich vor ihrer Schwangerschaft lediglich bei ihren PsychiaterInnen (und GynäkologInnen) hinsichtlich der Medikamenteneinnahme informiert haben (vgl. IP 3; IP 4; IP 2). Auch durch die Aussage
einer Sozialarbeiterin wird ersichtlich, dass die Thematisierung bislang eher dem
Aufgabenfeld der Medizin zugeordnet ist. Diese Aussage deckt sich mit den Erzählungen der Interviewpartnerinnen.
109
„Es wird schon glaub ich auch von ärztlicher Seite, also zumindest von manchen
Ärzten, stärker thematisiert, eben auch weil die Einstellung auf Valproinsäure,
das sag ich jetzt mal, doch eigentlich bedeutet, dass man verhüten sollte. Also
dass eine Schwangerschaft nicht günstig wäre. Dann wird das durchaus angesprochen ja. Oder bei Patientinnen aber das sind eher psychotische Patientinnen ja wo man weiß, die sind sexuell aktiv, vor allem in der Psychose. Die kümmern sich eigentlich um nichts. Viel wechselnde Partner. Dass man da versucht
das Thema Empfängnisverhütung naja nicht nur stärker ins Bewusstsein zu
bringen, sondern wirklich auch versucht den Weg in Richtung Dreimonatsspritze
oder Spirale anzubahnen. Aber wie gesagt bei bipolaren Störungen eher weniger“ (Exp. 2, 71-83).
Die Thematisierung einer sicheren Verhütung stellt einen wichtigen Faktor innerhalb der Klärung reproduktiver Aspekte dar. Vor dem Hintergrund der hohen subjektiven Bedeutung des Kinderwunsches kann die Besprechung sicherer Verhütungsmethoden jedoch nicht als ausreichend angesehen werden.
Da der Kinderwunsch der Frauen einen sehr privaten Lebensbereich darstellt, der
oftmals mit Stigmatisierung verbunden ist, ist für die Frauen von großer Bedeutung, dass die Thematisierung im professionellen Kontext stigmatisierungsfrei erfolgt. In diesem Zusammenhang beschreibt eine Interviewpartnerin ihre positiven
Erfahrungen in der Beratung durch zwei Ärzte. Diese informierten die Frau über
Risiken einer Schwangerschaft und gestalteten die Beratung ergebnisoffen.
„Ich hab ungefähr mitbekommen, dass es möglich ist [ein Kind zu bekommen].
Dass mir der Arzt oder beide Ärzte, sowohl Gynäkologin oder Psychiaterin nicht
davon abraten. Ich mein gut, dass dürfen sie ja auch nicht, aber sie haben jetzt
nicht irgendwie so viel Negatives aufgezählt, dass ich mir gedacht habe, dass
lassen wir lieber. Und ja ich glaub so funktioniert das dann ganz gut“ (IP 3, 376381).
9.3 Gesundheit bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch / bipolar
erkrankter Mütter
Die folgende Themenkategorie gliedert sich in die beiden Subkategorien „reproduktive Risiken“ sowie „salutogene und pathogene Faktoren“. Die Darstellung reproduktiver Risiken wird zur Beantwortung der Frage, mit welchen besonderen
Herausforderungen bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankte Mütter konfrontiert sind, herangezogen. Zudem ermöglicht die Erläuterung
salutogener und pathogener Einflüsse es, Faktoren zu identifizieren, die bipolar
erkrankte Frauen mit Kinderwunsch / bipolar erkrankte Mütter als unterstützend
und / oder hinderlich erlebten.
110
9.3.1 Reproduktive Risiken
Ein reproduktives Risiko, das sowohl in den ExpertInneninterviews als auch in den
Interviews mit den betroffenen Frauen häufig zur Sprache kommt, bezieht sich auf
die Medikamentenreduzierung. Da einige Medikamente zur Behandlung der bipolaren Erkrankung nicht oder nur in verringerter Dosis während der Schwangerschaft eingenommen werden sollten kann daraus eine Destabilisierung der psychischen Gesundheit der Frau resultieren.
„Ja, das ist alleine die Reduktion die man macht wenn jemand schwanger werden will ist eigentlich eine Destabilisierung. Das versucht man wirklich in monatlichen Schritten zu machen“ (Exp. 3, 498-500).
Auch eine Interviewpartnerin mit Kinderwunsch bringt zum Ausdruck, dass die
Reduzierung der Medikamente für sie mit der Angst verbunden ist ein Rezidiv zu
erleiden.
„Obwohl ich es auch schon mal jetzt probieren WOLLTE ohne Antidepressiva
aber es ist einfach diese ANGST noch zu groß und man merkt halt wie unruhig
ich werde und so also und ich merk ich hab zwar keine starken Phasen mehr
aber man kriegt sehr wohl mit dass irgendwas anders ist wie sonst“ (IP 3, 238241).
Eine andere Interviewpartnerin, die bereits Mutter ist, berichtet, dass sich ihre gesundheitliche Situation durch die Medikamentenreduzierung vor der Schwangerschaft erheblich verschlechtert habe.
„Äh und ich denke dass es mir eigentlich gut gegangen ist aber durch das Reduzieren der Medikamente hat es sich [die gesundheitliche Situation] sehr verschlechtert und äh ich hab das einfach nicht geschafft“ (IP 4, 221-223).
Reproduktive Risiken entstehen aber für bipolar erkrankte Frauen auch dadurch,
dass Schwangerschaft und Geburt als „life events“ das Rezidivrisiko erhöhen.
Dies ist zum einen auf die vielfältigen somatischen/hormonellem Umstellungen
zurückzuführen. Zum anderen stellt die neue Lebenssituation Frauen auch vor
psychologische Herausforderungen. Hinzu kommt, dass die Erkrankungswahrscheinlichkeit nochmals erhöht ist, wenn bereits Frauen früherer Generationen im
perinatalen Zeitraum erkrankten.
„Das Gerücht, dass die Schwangerschaft selbst vor Episoden schützt, das
stimmt nicht. Auch ich hab das noch gelernt, stimmt einfach nicht. Es gibt eine
Menge von depressiven Erkrankungen während der Schwangerschaft. Wir wissen und das ist hinlänglich bekannt, dass also die Entbindungszeit oder danach
das Jahr danach für die Mutter ein hohes Risiko darstellt“ (Exp. 3, 27-31).
111
Das Risiko einer (Wieder)Erkrankung wird im ersten Jahr nach der Geburt als besonders hoch eingestuft. Einer engmaschigen Betreuung kommt daher auch nach
der Entbindung große Bedeutung zu. Ebenso wie die Identifizierung unterstützender Faktoren zur Entlastung der Frau (siehe 9.3.2).
„ […] Das erste Lebensjahr ist da sicherlich das heikelste, weil von Seiten der
Frau da ein erhöhtes Risiko ist. Äh von der hormonellen Umstellung her, von
Seiten der bipolaren Erkrankung. Vor allem wenn man weiß, dass die Mutter
oder Großmutter das schon einmal gehabt hat oder diese Frau das schon einmal
gehabt hat ja. Dann ist die Wahrscheinlichkeit höher. Kann sein, muss nicht sein.
Wie gesagt wir arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten. Und der dritte Faktor ist der
einfache psychologische Faktor, dass das eine völlige Umstellung ist für die betroffene Person, für die Mutter, wie auch für die Familie. Das zweite und dritte
Lebensjahr ist das Risiko nicht ganz so hoch aber trotzdem geht‘s natürlich um
Umänderungen, um Umstellungen, die Rolle der Frau in der Familie“ (Exp. 3,
205-214).
Drei der Interviewpartnerinnen schildern auch ihre Krankheitserfahrungen nach
der Geburt. Es wird ersichtlich, dass sowohl die postpartale Psychose als auch die
postpartale Depression ernstzunehmende Erkrankungen darstellen, die nicht mit
dem „Baby Blues“ verwechselt werden dürfen.
„Nur wurde [meine Tochter] dann eine halbe Stunde nach der Entbindung in wegen Zyanose, das heißt, sie ist blau angelaufen, in ein Kinderspital gebracht.
Dann hab ich, ja ich hab keine Info bekommen na. Dann hab ich gesagt, das ist
nicht mein Kind, also mein Kind ist tot, so hat es angefangen. Dann hat mir mein
Mann ein Foto gebracht und ich hab gesagt, dass ist das ist nicht mein Kind, das
ist ein fremdes Kind, das hat nicht meine Fingernägel. Also da hab ich schon
eindeutig äh bin so leicht in eine Psychose gekippt. […] Das hat sich aber
schnell gegeben als ich meine Tochter dann nach sieben Tagen in den Armen
hielt“ (IP 1, 140-147).
„[Nach der Geburt] waren ein paar ordentliche, also [mein Psychiater] würde sagen depressive Zeit. Aber es waren einfach so GANZ große Hänger dabei. Wobei die nichts mit diesem Baby-Blues oder so zu tun haben also die wirklich also
schon viel tiefer gereicht haben. Die, ganz interessant wie der Mensch gebaut
ist, aber auch schon wieder vergessen sind. Ja also ich meine nicht vergessen
im Sinne von äh ausgeblendet gar nicht, sondern so sehr vergessen, dass man
sich auch traut auch ein zweites Kind zu bekommen, das eigentlich“ (IP 2, 333339).
Ebenso wird die Laktationspsychose im Kontext reproduktiver Risiken erwähnt.
Interviewpartnerinnen verzichteten aufgrund der Empfehlung ihrer ÄrztInnen darauf zu stillen. Dies wird zum einen durch die Gefahr einer Laktationsypsychose
begründet, zum anderen durch eine mögliche Gefährdung des Kindes, wenn dieses durch die Muttermilch Medikamente aufnimmt.
112
Auch an anderer Stelle wird noch gezeigt werden, dass der Verzicht aufs Stillen
eine Bewältigungsstrategie darstellt, um mit den Anforderungen der Elternschaft
zu Recht zu kommen (Kapitel 9.5.2).
„Aber ich hab nicht gestillt oder ich hab nicht stillen können oder mir wurde empfohlen nicht zu stillen weil meine Ärztin gemeint hat, dass es besser für mich ist
wieder die Medikamente zu nehmen und das eigentlich in der Stillzeit die Medikamente […] von der Mutter zu dem Kind noch anders übertragen werden und
das eigentlich besser wäre nicht zu stillen. Und auch wegen der, wie heißt das,
Laktationspsychose. Das wäre auch ein bisschen gefährlich in meinem Fall“ (IP
4, 290-296).
9.3.2 Salutogene und pathogene Faktoren
Im Folgenden werden in die den Interviews genannte Faktoren vorgestellt, die für
die Gesundheit der Frauen förderlich – oder im umgekehrten Sinn auch hinderlich
– sein können. Die Identifizierung dieser salutogenen und pathogenen Faktoren
bildet die Grundlage der Formulierung von Unterstützungsmöglichkeiten durch die
Klinische Soziale Arbeit, die darauf abzielt Ressourcen zu identifizieren und zu
stärken.
Da die von den Frauen und ExpertInnen erwähnten Faktoren, je nach Ausprägung, förderlich oder hinderlich für die gesundheitliche Situation der Frauen sein
können, wird auf eine getrennte Darstellung verzichtet.
Als erstes soll auf das soziales Netz verwiesen werden, welches durch alle Befragten als immens wichtig eingestuft wurde. Stehen den Frauen Familienmitglieder und Freunde unterstützend zur Seite, kommt ihnen eine wichtige Funktion zu.
Eine Interviewpartnerin erwähnt zudem, dass einige Freunde und Familie bereits
ein Feingefühl für ihre gesundheitliche Situation entwickelt haben, sodass ihnen
bei der Erkennung erster Krankheitsanzeichen eine wichtige Funktion zukommt.
„Auch hier ist es einfach mein Umfeld […] Mein Mann, der ein ziemliches Sensorium entwickelt hat, ah wenige die ein Sensorium dafür entwickelt haben zum
Beispiel in e-Mails wenn man plötzlich unfassbar blumig und sehr ausgeprägt
erzählt, da gab es schon manchmal so Hallo-Schreie, ist irgendetwas im
Busch?“ (IP 2, 379-383).
Auch durch die ExpertInnen wird betont, dass die Einbindung in ein soziales Netz,
welches die Frauen wertschätzt und nicht aufgrund ihrer Erkrankung verurteilt eine
stützende Funktion hat.
113
„Was ich am Wichtigsten halte, ein gut funktionierendes soziales Netz, Familie,
Freunde. Also ein wertschätzendes und vor allem auch eines das kein verurteilendes ist. Weil ich meine krank ist krank, ob Grippe oder bipolar spielt keine
Rolle und einer Mutter die mit 40 Grad im Fieber im Bett liegt macht auch keiner
Vorwürfe“ (Exp. 1, 140-143).
Im sozialen Netz sind vor allem Familienmitglieder und Freunde wichtig. Anhand
des untenstehenden Zitats wird erkennbar, dass freundschaftliche Beziehungen
auch eine kompensatorische Funktion übernehmen können wenn Frauen keine
Unterstützung durch die Familie erhalten.
„Ich bin so dankbar, dass ich so tolle Freunde habe, die mich da auch unterstützen irgendwie und das ist das allerwichtigste was es gibt. Die Familie kann man
sich nicht aussuchen aber die Freunde schon. Die Freunde können wie eine
Familie sein und das ist das Wichtigste“ (IP 5, 130-133).
Anhand der Aussagen einiger Interviewpartnerinnen ist jedoch ebenso zu erkennen, dass das soziale Netz auch pathogen wirken kann, wenn sowohl familiäre
Konflikte bestehen als auch der Verlust von Freundschaften zur Belastung wird.
„Familie blockt bei mir noch heute ab“ (IP 1, 46). „Der Freundeskreis ist in der
schweren Depression nach der Geburt meines Sohnes weggebrochen, ja. Musste mir dann erst mühsam wieder einen neuen aufbauen“ (IP1, 190-191).
„[…] es ist schwierig weil meine Mutter hat eine schizoaffektive Störung seit fünf
Jahren und davor war sie immer ziemlich stark depressiv. Und es scheint, dass
sie nie wirklich Raum oder Kapazität hatte über meine Probleme zu sprechen“
(IP 4, 129-131).
Den Partnern der Frauen kommt innerhalb des sozialen Netzes eine zentrale Rolle
zu. Vor allem in Hinblick auf die Elternschaft betont eine Interviewpartnerin, dass
ihr Partner für sie eine wichtige Stütze darstellt, die es ihr ermöglicht Hürden zu
überwinden.
„Wenn die Partnerschaft stimmt, wenn die Väter und die Mütter dabei bleiben,
dann gibt es fast nichts wo man nicht drüber kann“ (IP 2, 358-359).
Eine salutogene Wirkung kann nicht nur von Freunden und Familienmitgliedern
ausgehen. Die Einbindung in ein soziales Netz kann ebenfalls im institutionellen
Rahmen erfolgen, wie etwa durch Vereine oder Selbsthilfegruppen. Für bipolar
erkrankte Frauen kann somit die Einbindung in eine Peergroup mit ähnlichem Erfahrungshintergrund eine Möglichkeit darstellen, um sich über verbindende Erlebnisse und Belastungen auszutauschen.
„[…] ich hab am Anfang schon ziemlich oft Angst gehabt, dass ich Fehler machen könnte oder dass ich irgendwie nicht perfekte Mutter war (B lacht). Das
geht wahrscheinlich sowieso nicht (I und B lachen). Das hat mir eben [eine Frau
aus der Selbsthilfegruppe] gesagt, du willst die perfekte Mutter sein und das das
114
wirst du nie (B lacht), damit musst du dich versöhnen, dass du nicht die perfekte
Mutter bist“ (IP 4, 300-304).
Es ist naheliegend, dass die Frauen beim Austausch in der Selbsthilfegruppe weniger mit stigmatisierenden Einstellungen konfrontiert sind und somit auch problematische Aspekte der Elternschaft thematisieren können. Da die Frauen keine
negativen Konsequenzen fürchten müssen, wenn sie über schwierige Aspekte der
Elternschaft sprechen, kann diese Möglichkeit des Austauschs entlastend wirken
und somit von salutogener Wirkung sein. Auch an anderer Stelle wird erkennbar,
dass die Wertschätzung von gelingenden Aspekten von Elternschaft wichtig für die
Gesundheit der Frauen ist.
„[…] meine Schwiegermutter, die mich total abgelehnt hat, hat dann gesagt,
aber das mit den Kindern hat sie gut gemacht. Und das heißt was“ (IP 1, 198200).
Ebenso betonen mehrere Frauen in den Interviews die Bedeutung bestimmter
Hobbies. Besonders häufig wird dabei genannt, dass Literatur und Schreiben für
die Frauen wichtig ist und im Umgang mit ihrer Erkrankung unterstützt.
„Also[…] unterstützt hat mich […] immer lesen. […] Also Lesen war immer ein
Thema. Lesen, selber Schreiben […]“ (IP 2, 400-405).
Überdies finden sich in den Erzählungen der Frauen Hinweise darauf, dass die
eigenen Kinder auch als sinnstiftendes Element im Rahmen generativen Verhaltens fungieren. Somit kommt ihnen Bedeutung für die Gesundheit der Mutter zu.
„Es ist mit dem Kind zwar manchmal nicht leicht aber ohne das Kind wäre das
mindestens viel viel schlimmer. Und irgendwie würde das so bestimmte Leere
bedeuten und ich denke, dass ich gesundheitlich viel schlimmer dran wäre“ (IP
4, 467-469).
„[Kinder sind] eine ungeahnte Verantwortung ja, die ich aber jedem nur empfehle
sie zu haben und auch auszuloten, weil sonst existiert die Welt irgendwie nicht“
(IP 2, 351-353).
In einigen Erzählungen kommt zudem zum Ausdruck, dass die Kinder gewissermaßen auch ein Mittel zur Selbstheilung darstellen können. Im unten stehenden
Zitat erläutert die Interviewpartnerin, die sinnstiftende Funktion die ihre Tochter für
sie hat.
„Für mich war auch wichtig, dass ich jemanden hatte auf den ich mich konzentrieren musste ständig. Dass ich nicht über meine eigenen Probleme nachdenken
konnte. Dass ich dass ich wirklich eine Beschäftigung hatte, die Sinn hatte, die
einen unmittelbaren Sinn hatte. Äh weil ich hab früher immer Probleme äh mit
der Arbeit gehabt, dass ich nicht genug Sinn empfunden habe, davon was ich
machte. Und jetzt war das plötzlich so, dass ich nicht daran zweifeln musste,
115
dass das so unmittelbar war, dass der Sinn da war und dass es gut war, dass
ich mich mit meiner Tochter beschäftigt habe und ja (B lacht leise)“ (IP 4, 314321).
An anderer Stelle geht noch deutlicher hervor, dass eigene Kinder auch Mittel zu
Selbstheilung bzw. ein zentraler Motivator sind, um Anforderungen zu bewältigen.
Dies veranschaulicht das folgende Zitat sehr eindrücklich.
„Das war wirklich ein Ansporn für die Kinder da zu sein. Das ist so wie bei Drogenabhängigen denke ich mir, die Hunde die sie versorgen. Wenn sie für sich
schon nicht sorgen dann schaffen sie es und das hält sie am Leben. Und das,
ich muss ehrlich gestehen, ich glaube wenn ich meine Kinder nicht gehabt hätte,
ich würde heute nicht mehr da sitzen. Also wirklich nicht. Ich hab es wirklich nur
für meine Kinder, ich hab mir oft gedacht wenn meine Kinder nicht mehr ich will
nicht leben. Also das hat mir eigentlich das Leben gerettet im Grunde genommen“ (IP 5, 632-638).
Die Ergebnisse zeigen, dass Unterstützungsmöglichkeiten und Wege der
Gesundheitsförderung bipolar erkrankter Frauen sich dem bio-psycho-sozialen
Gesundheitsverständnis nach nicht nur auf medizinische Aspekte beschränken
können. Es wurde deutlich, dass ebenso vom sozialen Netz der Betroffenen erhebliche gesundheitsförderliche Wirkungen ausgehen können. Insbesondere die
unterstützende Wirkung der Partner wurde augenscheinlich. Daher kann die Ableitung getroffen werden, dass nahe Angehörige und wichtige Bezugspersonen der
Frauen ebenfalls in die Unterstützung mit einbezogen, informiert und entlastet
werden müssen. Somit kann dazu beigetragen werden, dass das soziale Netz vor
einer Überforderung geschützt wird und als Ressource erhalten bleibt. Die Einbindung der Partner in Unterstützungsangebote ist zudem wichtig, um diese zu entlasten. Steht der Partner den Frauen nicht mehr als Stütze zur Seite bedeutet dies
eine Mehrbelastung der Frauen.
„[Mein Partner] ist eine, also er ist mit Sicherheit eine GANZ große Stütze auch
im Normalleben in einem Ablauf, in einem halbwegs geregelten Ablauf, der
wahrscheinlich für bipolare Menschen ganz besonders wichtig ist. Auch wenn
man das in gewissen jugendlichen Revoluzzerphasen durchaus ablehnen würde
aber es hat etwas und es hilft wahnsinnig. Unterstützend auch, ich sag einmal
so, wie sich vielleicht jede Frau einen Mann wünscht, der, wenn sie sagt, dass
sie schwanger ist, dass er zur Decke springt vor Freude und nicht sagt wua irgendwas. Sondern einfach dabei ist. Ja ich mein er war dann auch in den folgenden äh Phasen, weil es ging natürlich nicht reibungslos durch verschiedene
Verkettungen. Er war einfach immer dabei ja. Das macht auch einen großen Teil
von Partnerschaft aus“ (IP 2, 191-199).
Zudem ist die Unterstützung der Partner auch wichtig, da diese für die Kinder eine
kompensatorische Wirkung übernehmen können. Frauen, die nicht in ein soziales
116
Netz eingebunden sind könnten durch die Klinische Soziale Arbeit bei der Reintegration unterstützt werden. In Bezug auf die Elternschaftsthematik könnten Frauen
z.B. über Angebote von Selbsthilfegruppen informiert werden. Ebenso könnte auf
Freizeitangebote in Vereinen verwiesen werden. Spezifischer könnten z.B. Babymassage-Kurse oder ähnliches angeboten werden, die sich auch positiv auf die
Mutter-Kind-Interaktion auswirken können und der Vernetzung der Frauen dienen.
9.4 Gesundheit des Kindes
Die Themenkategorie „Gesundheit des Kindes“ ist eng mit der vorausgegangenen
Themenkategorie, die sich auf die Gesundheit bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch bzw. Mütter bezieht, verbunden. Daher wirken viele reproduktive Risiken der Mütter sich auch direkt bzw. indirekt auf die Gesundheit der Kinder aus.
Nachfolgend werden daher nur jene reproduktiven Risiken, sowie salutogene und
pathogene Faktoren vorgestellt, die bisher unerwähnt blieben.
9.4.1 Reproduktive Risiken
Ein zentrales reproduktives Risiko, das bei vielen bipolar erkrankten Frauen in die
Überlegungen zum Kinderwunsch einfließt, stellt die Weitergabe der genetischen
Prädisposition dar. Diese erhöht das Erkrankungsrisiko des Kindes, später einmal
selbst eine bipolare Störung zu erleiden. Zudem kann die Einnahme gewisser
Psychopharmaka in der Schwangerschaft die physische Entwicklung des Kindes
gefährden. Dieser Faktor steht den reproduktiven Risiken der Mutter oftmals konträr gegenüber. Schließlich kann aus einer Medikamentenreduzierung, die darauf
abzielt die teratogenen Risiken für das ungeborene Kind möglichst gering zu halten, eine Destabilisierung der psychischen Gesundheit der Mutter resultieren.
Die Gesundheit des Kindes stellt zum Zeitpunkt des Kinderwunsches einen Unsicherheitsfaktor dar, da lediglich von Erkrankungswahrscheinlichkeiten gesprochen werden kann.
„[…] scheinbar, oder sagen wir allem Anschein nach [sind meine Kinder] nicht
betroffen. Weil das äh zum Teil genetisch bedingt ist. Es ist auch so, dass meine
Großmutter väterlicherseits eindeutig bipolar war. […] Mein Vater dürfte es weitergeleitet haben“ (IP 1, 121-125).
117
Im Rahmen einer medizinischen Beratung können zwar Erkrankungswahrscheinlichkeiten besprochen und die Auswirkungen der Psychopharmaka durch bisherige Erfahrungen (teilweise) eingeschätzt werden. Jedoch ist zum Zeitraum der Familienplanung weitestgehend unklar, inwieweit die mütterliche Erkrankung die
psychosoziale Entwicklung des Kindes beeinflussen wird – zumal diese multifaktoriell bedingt wird.
„Sie [die Psychiaterin] hat gemeint, sie hat halt schon einige Lithiumbabies zur
Welt gebracht, das hat super funktioniert und die haben nichts also zumindest
jetzt physisch. Was da psychisch ist, das wird man ja erst später merken“ (IP 3,
467-470).
Nach der Entbindung kann die elterliche bipolare Erkrankung Auswirkungen auf
die Mutter-Kind-Interaktion haben. Dies kann sich negativ auf den Aufbau einer
sicheren Bindung von Mutter und Kind auswirken (siehe Kapitel 4.1.2.1).
„Kind von einem psychisch kranken Elternteil zu sein ist immer schwierig. […]
Wenn ich mir vorstelle nach der Geburt wird eine Mutter schwer depressiv und
kann überhaupt keinen Kontakt zu dem Kind aufbauen und das Kind lernt dadurch in den ersten Wochen einfach diese Interaktion nicht, dass es geliebt wird,
dass es angeschaut wird, so eine Art Selbstwirksamkeit. Es liegt da und keiner
schaut es an. Irgendwann einmal sind Kinder soweit, dass sie wenn die Mutter
sie wickelt zum Beispiel automatisch wegschauen weil sie den Augenkontakt gar
nicht mehr suchen. Die sind dann einfach nicht mehr in Beziehung zu irgendjemand oder lernen nicht zur richtigen Zeit zu lächeln oder zu reagieren. Und
wenn das am Anfang ist ja, das zieht sich ja weiter […] es entsteht keine Bindung zwischen Mutter und Kind oder sehr schwer. Oder es kann zu einer Form
von Vernachlässigung kommen ja. […] Manche Mütter haben ja auch Schuldgefühle dann, weil sie merken sie sollten das Kind jetzt lieben und sind nicht in der
Lage dazu. […] Die psychische Erkrankung bietet keine Sicherheit ja. Und das
ist für ein Kind immer fatal“ (Exp. 1, 90-110).
9.4.2 Salutogene und pathogene Faktoren
Besteht ein Gleichgewicht salutogener und pathogener Faktoren, kann es Kindern
gelingen auch schwierige Lebenssituationen zu bewältigen. In den Interviews wird
vor allem betont, dass das Vorhandensein einer stabilen emotionalen Bezugsperson förderlich für die Gesundheit von Kindern ist. Dadurch können sie eine sichere
Bindung zu einer Person aufbauen und die Erfahrung machen, dass ihre Bedürfnisse erkannt und befriedigt werden. Stehen die Partner der Frauen oder andere
Personen den Kindern als Bindungsperson zur Verfügung, können diese eine
kompensatorische Wirkung haben. Ebenso ist wichtig, dass den Kindern Erfahrungsräume außerhalb des „kranken“ Kontextes geboten werden.
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„Ich denke, dass es für die Mutter-Kind-Beziehung immer ein Problem ist wenn
die Mutter ausfällt. […] Das wesentliche ist, dass es eine Bezugsperson gibt.
Und das kann der Partner sein und das [muss] dem Partner auch klar sein, dass
er dann versuchen soll das auch durchzuhalten (B lacht). Ah natürlich sagen alle
am Anfang ja. Ich versuch das schon näherzubringen, dass das durchaus realistisch ist, dass [eine Krise] eintreten kann“ (Exp. 3, 265-272).
Auch in einem weiteren ExpertInneninterview wird hervorgehoben, dass das soziale Netzwerk, genau wie für die Mütter, auch für die Kinder von zentraler Bedeutung ist.
„Netzwerk, absolut Netzwerk. Ich hab auch eine Patientin […] die war über
Freundin und Nachbarin sehr sehr gut versorgt. Die hatte drei Kinder und das
war immer eine klare Anlaufstelle ja wenn die halt komplett jenseitig war, dass
die Kinder rauf gehen konnten, dass die auch ganze Wochen dort verbringen
konnten. Da war eine stabile andere Bezugsperson da“ (Exp. 2, 154-159).
Ähnlich wie in der ExpertInnenaussage beschreibt auch eine Mutter, dass Mitglieder der Familie wichtige Bezugspersonen ihres Kindes sind.
„[…] Der Vater und mein Schwiegervater, also der Opa von der Kleinen, die sind
beide sehr wichtig“ (IP 4, 400-401).
Daneben kommt zu Ausdruck, wie wichtig es ist, dass die Personen, welche Kinder im Kleinkindalter betreuen, die Bedürfnisse des Kindes erkennen und angemessen befriedigen können. Nur dann wirkt das soziale Netz tatsächlich salutogen
auf die Kinder.
„[Helfen] kann ich nur wenn ich Bescheid weiß, wie helf ich einem Kind. Ja das
hat einen Hunger und will was zu essen haben oder es ist nass und will trocken
werden oder es hat Schmerzen und will schmerzfrei werden. Das sind so die
wenigen Bedürfnisse eines Kindes (B lacht), eh sehr bescheiden aber wenn man
verunsichert ist wird das extrem schwierig“ (Exp. 3, 389-393).
Es bleibt festzuhalten, dass das Vorhandensein stabiler Bezugspersonen für Kinder im Kleinkindalter von großer Bedeutung ist. Klinische Soziale Arbeit kann folglich zur Förderung einer gelingenden Elternschaft beitragen, wenn sie Mütter und
andere Bezugspersonen des Kindes darin unterstützt Bedürfnisse des Kindes zu
erkennen und zu befriedigen. Ebenso wird erneut deutlich, wie wichtig es ist, das
Familiensystem in die Arbeit mit einzubeziehen, sodass etwa der Partner des Kindes mögliche krankheitsbedingte Ausfälle der Mutter kompensieren kann.
119
9.5 Elternschaft mit bipolarer Erkrankung
Die Themenkategorie „Elternschaft mit bipolarer Erkrankung“ untergliedert sich in
drei Subkategorien. Die erste Subkategorie repräsentiert Herausforderungen, die
mit der Elternschaft bipolar erkrankter Frauen einhergehen. In der zweiten Subkategorie wird auf Bewältigungsstrategien eingegangen, die es den Frauen ermöglichen die Herausforderungen zu bewältigen. Themenkategorie drei zeigt auf, dass
die Krankheitserfahrung einiger Frauen auch von diesen als Erziehungsressource
wahrgenommen wird.
9.5.1 Herausforderungen
Durch die Darstellung krankheitsbedingter Einschränkungen wurde bereits gezeigt, dass die Auswirkungen der bipolaren Erkrankung alle Lebensbereiche der
erkrankten Personen betreffen. Somit stellt die bipolare Erkrankung Frauen, die
bereits Mütter sind, vor spezifische Herausforderungen. Zum einen beschreiben
die Frauen, dass die Elternschaft per se eine Herausforderung darstellt, da sie mit
vielen neuen Erfahrungen verbunden ist.
„Ja man muss schon bereit sein, dass die Situation wirklich neu ist und dass
Dinge passieren können die man nicht erwartet oder dass man die dann in dem
Moment lösen muss und dass man vielleicht auch damit rechnen soll, dass man
etwas lernt daran. Dass die Situation äh an einen Ansprüche stellt und dass man
dadurch lernen kann“ (IP 4, 463-467).
Aufgrund der Erkrankung wird die Elternschaft jedoch teilweise nicht nur als herausfordernd, sondern auch als überfordernd erlebt.
„Ich hab in meiner Verwandtschaft keine Kinder gehabt muss ich dazu sagen ja.
Ich war dadurch schon wahrscheinlich überfordert. Das erste Mal so ein so ein
Winzling da liegen gehabt und dann die Depression noch dazu, das war nicht
sehr leicht“ (IP 1, 66-69).
Die Schilderung einer konkreten Alltagssituation lässt erahnen, dass die Bewältigung des Alltags mit dem Kind durch die Erkrankung erheblich erschwert wurde.
„Also das erste Jahr nach der Geburt meines Sohnes war furchtbar. Ich war
schwerst depressiv, ich erinner mich an eine Begebenheit noch dazu war das
ein Reihenhaus mit 100 Stufen davor und vier Etagen. An sich für eine gesunde
Frau ein Horror. Dieses ewige hin und her rennen, wirklich, das oben, das unten
und so weiter. Und einmal hab ich mit geschlossenen Augen das Kind an mich
gepresst, die Treppe, also an der Wand entlang geschoben, um irgendwie herauf zu kommen zum Wickeltisch. Na, ich war fix und fertig. Das war schwer zu
ertragen“ (IP 1, 131-136).
120
Die krankheitsbedingten Einschränkungen der Frauen gehen oftmals mit hohen
Anforderungen an die eigene Erziehungskompetenz einher. Folglich setzen sich
Frauen erheblich unter Druck, wenn sie die Anforderungen, eine perfekte Mutter
sein zu müssen, an sich selbst stellen. Da Elternschaft immer mit einer neuen unbekannten Rolle verbunden ist äußern viele Frauen ihre Verunsicherung und hinterfragen, ob sie den Erziehungsaufgaben gerecht werden können. Möglicherweise stehen die hohen Anforderungen der Interviewpartnerinnen auch im Zusammenhang mit dem Versuch, mögliche negative Auswirkungen ihrer Erkrankung auf
die Kinder zu kompensieren. In diesem Kontext sind zudem gesellschaftliche Repräsentationen „guter Mutterschaft“ zu bedenken, welche psychisch erkrankte
Frauen möglicherweise zusätzlich unter Druck setzen.
„[…] vor der Schwangerschaft hab ich das mehr als Aufgabe empfunden […] die
ich entweder schaffen werde oder in der ich scheitern werde. Ob ich gut genug
bin, das ist immer eine Frage, die für Bipolare ziemlich wichtig ist. Ob ich gut genug bin, ob ich das schaffe? Und wenn nicht werde ich depressiv. Wenn ja dann
ist es toll und so weiter. Also die Situation dann mit dem Kind hat noch […] weitere Dimensionen. Einerseits natürlich geht es darum, dass man das möglichst
gut macht. Aber es ist mit dem Kind noch anders, da es eine andere Persönlichkeit ist, dass man sich mit jemandem so nahe ist der da gekommen ist und der
sich entwickelt. Der zum ersten Mal das macht, sich zum ersten Mal die Zähne
putzt oder zum ersten Mal läuft, das ist so spannend. Und also diese Dimension
sollte man nicht verlieren. […] Ich hab das Gefühl, dass die Bipolaren, dass sie
sich ständig daran orientieren, ob sie das schaffen. Das ist natürlich auch wichtig
aber man muss viele andere Dinge auch sehen, damit man nicht das Ganze verliert. […] Ja genau die Anforderungen die sind riesengroß. [...] Ja es ist einem
sehr wichtig gut zu sein und manchmal stört das einfach (B lacht)“ (IP 4, 568584).
Eine weitere Interviewpartnerin erzählt zudem, dass ihr Entscheidungen, die ihre
Kinder betrafen, sehr schwer fielen. Sie habe stets befürchtet möglicherweise zum
Nachteil ihrer Kinder zu handeln.
„Hm, Entscheidungen sind irrsinnig schwer, die die Kinder betreffen. Also Entscheidungen fallen Bipolaren meiner Meinung nach überhaupt einmal nicht gerade leicht. Ich hab Monate gerungen, ob ich meinen Sohn früher in die Schule
geb oder nicht. […] Es waren für mich, das klingt jetzt harmlos aber es waren
furchtbare Monate. Und als ich mich dann entschieden hab, ich geb ihn in die
Schule und jetzt sagt er ich will noch spielen, bin ich fast in eine Depression gekippt und hab gedacht was hab ich dem armen Kind angetan. Ja, dünnhäutiger.
Man nimmt alles viel vielmehr ernst nehm ich an“ (IP 1, 161-170).
Es wird erkennbar, dass die Klinische Soziale Arbeit bei der Fällung von Entscheidungen und der Klärung von Erziehungsfragen beratend zur Seite stehen sollte.
Somit könnte die Gesundheit von Mutter und Kind auch präventiv gefördert wer121
den, wenn Sozialarbeiterinnen zum einen die Befriedigung kindlicher Bedürfnisse
berücksichtigen und zum anderen die Mütter beratend unterstützen. Der Unterstützung kommt auch dahingehend Relevanz zu, wenn es gelingt die Frauen dadurch zu entlasten und von Schuldgefühlen zu befreien. Schließlich wirken sich
Schuldgefühle der Frauen wieder negativ auf deren Gesundheit und somit auch
auf ihre Erziehungsfähigkeit aus.
Anhand der Interviews wird erkennbar, dass aus den hohen Anforderungen teilweise auch überfürsorgliches Erziehungsverhalten resultiert. Dies wird durch die
Frauen selbst als solches wahrgenommen und reflektiert.
„Vielleicht war ich ü b e r vorsichtig sogar. Mein Sohn war auch einer, der zwar
sehr gescheit war, aber ähm wie soll ich sagen, sich überhaupt nicht gewehrt
hat. Ich bin da rein wie der Zerrorus immer, hab die anderen fast angeschrien.
Wenn ihn wer nicht zur Schaukel gelassen hat na dann Zack war ich dort. Also
vielleicht hab ich da übertrieben, ja. Wahrscheinlich auch ein Zeichen DIESES
PROBLEMS“ (IP 1, 216-221).
In einer anderen Erzählung betont eine Interviewpartnerin die Belastung, welche
sie aufgrund von Zwangsgedanken erlebt.
„Ich hab zu bestimmter Zeit wirklich Probleme mit Zwangsgedanken gehabt.
Dass ich mir vorgestellt habe ich könnte meiner Tochter etwas antun oder ich
könnte ihr weh tun irgendwie oder mhm also ein bisschen unangenehm darüber
zu sprechen, aber es ist ähm ich weiß, dass das vorkommen kann“ (IP 4, 337340).
Zudem äußern fast alle Mütter, dass sie aufgrund ihrer Elternschaft nur noch wenig Zeit für sich selbst finden. Dadurch wird auch die Befriedigung eigener krankheitsbezogener Bedürfnisse erschwert (vgl. IP 1, IP 2, IP 4).
9.5.2 Bewältigungsstrategien
Um die Herausforderungen der Elternschaft trotz der Erkrankung bewältigen zu
können, haben die meisten Frauen Bewältigungsstrategien entwickelt. Diese beziehen sich zum einen auf die Gestaltung des Alltags, der einer Tagesstruktur
folgt, sodass die Frauen ihren Tag-Nacht-Rhythmus einhalten können. Zum anderen wird auch erläutert, dass die aktive Inanspruchnahme von Hilfen, das Einholen
von fachlichem Rat und Einüben von Strategien Komponenten der Bewältigung
darstellen.
122
„Ja es ist immer das Selbe, Fragen stellen oder sich nicht scheuen, Fragen zu
stellen“ (IP 2, 548-549).
Zudem berichtet eine Interviewpartnerin, die nach der Entbindung mit Zwangsgedanken zu kämpfen hatte, dass sie sich aktiv informiert hat und durch Literatur und
Gespräche mit ihrer Ärztin fachlichen Rat einholte. Somit sei es ihr gelungen Strategien einzuüben, die sie in den Situationen, in denen Zwangsgedanken auftreten,
anwenden kann.
„Ich hab das auch gelesen, mit meiner Ärztin besprochen und so aber da muss
man lernen irgendwie damit umzugehen. Zum Beispiel wenn einem so etwas
einfällt, dann muss man sich auf etwas anderes schnell konzentrieren und auf
etwas anderes denken und ähm einfach nicht dem Kopf die Freiheit lassen irgendwelche unangenehmen Gedanken zu produzieren oder so. […] man muss
wirklich lernen, wie man damit umgehen kann. Und dass das vorkommen kann,
das ist klar, das kommt ab und zu vor und. Aber äh das ist immer so, dass man
bestimmte Strategien entwickelt für Probleme die es gibt“ (IP 4, 340-349).
Damit Frauen vom Expertenwissen professioneller HelferInnen profitieren können,
ist es folglich wichtig, dass Frauen Anlaufstellen kennen, an die sie sich wenden
können, wenn Unterstützungsbedarf besteht. Klinische Soziale Arbeit könnt hierbei durch ihre Schnittstellenkompetenz über verschiedene Angebote informieren
und diese – falls erforderlich - auch für die betroffenen Frauen koordinieren.
Zum anderen stellt die „krankheitsgerechte“ Gestaltung des Alltags eine wichtige
Bewältigungsstrategie dar. In Bezug auf die Elternschaft kommt dabei der Strategie „sich entbehrlich machen“ besondere Bedeutung zu. Indem die Frauen ihre
Kinder beispielsweise nicht stillen, können die Partner der Frauen vermehrt Aufgaben in der Versorgung der Kinder übernehmen. Den Frauen gelingt es dadurch,
ihren Tag-Nacht-Rhythmus besser einzuhalten. Dies ist wichtig, da gerade für bipolar erkrankte Menschen ein regelmäßiger Tagesablauf von Relevanz ist.
„Beide Kinder sind […] aus einem einzigen Grund nicht gestillt worden, weil es
geheißen hat Schlafunterbrechung ist für bipolare Menschen extrem, also VIEL
schlimmer von der Wertigkeit als ein Kind das nicht gestillt wird. Und das hab ich
auch/ [der Psychiater] war eine Respektsperson, das ist er bis heute in seiner
wissenschaftlichen Arbeit. Und das war eine Aussage, die war einfach klar zu
akzeptieren und dann gab es überhaupt nichts darüber zu diskutieren“ (IP 2,
205-211).
„Aber wir haben wir haben großes Glück, dass unsere Tochter eigentlich sehr
gut geschlafen hat und auch dadurch, dass ich sie nicht gestillt habe war das für
mich ein bisschen leichter. […] Ja ja jaja, das [mein Mann] sie auch füttern konn-
123
te. Ja das war einiges leichter als ich das erwartet habe oder als ich gefürchtet
habe“ (IP 4, 424-429).
9.5.3 Ressourcen
Sowohl im Rahmen der ExpertInneninterviews als auch in den Erzählungen der
betroffenen Frauen wurde wiederholt erwähnt, dass die Einbindung von Müttern
und Kindern in ein soziales Netz, aufgrund ihres salutogenen Potentials, auch eine
zentrale Ressource der Elternschaft bipolar erkrankter Menschen darstellt. Stehen
Partner und andere nahe Angehörige Mutter und Kind in Krisenzeiten zur Verfügung können sie die Versorgung des Kindes zeitweise übernehmen. Ist somit eine strukturierte Vorgehensweise und Versorgung des Kindes im Sinne eines Notfallplans gegeben stellt dies eine wichtige Ressource dar. Aufenthalte in Krisenzentren und die damit abrupte Trennung von Bezugspersonen, die speziell für
Säuglinge und Kleinkinder sehr schwierig ist, können dadurch vermieden werden.
„Also ich glaube wichtig ist gerade in der ersten Zeit wenn es sehr akut ist, dass
die Frauen […] wissen, dass Alles versorgt ist. Dass die Kinder versorgt werden
und dass sie nicht so isoliert sind, dass sie nicht alleine sind den ganzen Tag.
Angenommen in ihrer Depression alleine in der Wohnung hocken und ein Kind
versorgen sollen, das sie nicht versorgen können. Das wäre das Um und Auf
glaube ich als erstes“ (Exp. 1, 143-148).
„[Es] hängt halt auch viel vom sozialen Umfeld ab. Welche Unterstützung habe
ich? Eh wie bei allen Leuten. Elternschaft alleine ist immer schwieriger als wenn
ich, als wenn es da Großeltern gibt, wenn es vor allem einen Partner gibt oder
eine Partnerin, die das mitträgt, auch Freunde. Also ich denke mal das ist für jeden wichtig. Und wenn ich eine psychische Erkrankung habe und einfach auch
weiß ich habe ein gewisses Maß an Ausfällen wo ich vielleicht ins Spital muss,
ist es natürlich viel besser, wenn das familiär strukturiert aufgefangen wird und
das Kind nicht in ein Krisenzentrum muss, während ich im Spital bin“ (Exp. 2,
114-121).
„Wenn das Umfeld stimmt, also wenn der Kreis größer wird ist es natürlich noch
leichter, denk ich“ (IP 2, 534-536).
Klinische Soziale Arbeit sollte daher im Rahmen sozialer Diagnostik einen besonderen Fokus auf die Einbindung erkrankter Frauen in ein soziales Netz legen.
Ebenso kommt der Erstellung eines Notfallplans (Wer ist in einer Krise zu informieren? Wer übernimmt welche Funktion?) besondere Bedeutung zu.
Des Weiteren bringt eine Expertin zum Ausdruck, dass die Krankheitseinsicht und
die damit verbundene Compliance wichtige Ressourcen bipolar erkrankter Mütter
sind, die es durch Psychoedukation und Krankheits-Identitäts-Arbeit zu fördern
124
gilt. Die Bereitschaft der Frauen zur Medikamenteneinnahme wird als zentrale Voraussetzung für den Erfolg weiterer Unterstützungsangebote angeführt.
„Es [gibt] auch Möglichkeiten je nach Reflexionsgrad, die Erkrankung gut in den
Griff zu bekommen. Vielleicht ist das auch ein täuschender Eindruck, aber ich
habe immer den Eindruck, dass die Leute, die unter einer bipolaren Störung leiden, sofern sie medikamentöser Einstellung zugänglich sind, eigentlich die Erkrankung recht gut in den Griff kriegen können. Das ist vielleicht, was es auch
leichter macht im Gegensatz zu Menschen mit Psychosen oder Persönlichkeitsstörung. Das ist einfach, auch das Erleben der Extreme und sag ich jetzt vor allem einmal die Phase nach der Manie wenn einiges zu Bruch gegangen ist dann
auch ein verstärktes Interesse entsteht, die Erkrankung in den Griff zu bekommen. Also vielleicht überhaupt ein höherer Reflexionsgrad, ein höheres Potential
diesbezüglich“ (Exp. 2, 105-114).
Im Sinne einer ressourcenorientierten Sichtweise wird durch zwei Frauen zudem
betont, dass ihre Krankheitserfahrung auch eine Erziehungsressource darstellt.
Eine Interviewpartnerin, die selbst bereits lange Zeit vor der Diagnosestellung erkrankt war, schildert ihre Annahme, dass es ihr durch ihre eigene Krankheitserfahrung möglich wäre sensibel auf erste Krankheitsanzeichen ihres Kindes zu reagieren und dem Kind somit zu schnellerer Behandlung zu verhelfen. Während sie
selbst erst 25 Jahre nach der Erkrankung eine Diagnose erhielt, könne sie zumindest im Falle einer psychischen Erkrankung eines ihrer Kinder die Leiden vermindern, indem durch das Erkennen der Erkrankung Hilfe in Anspruch genommen
werden kann. Eine andere Interviewpartnerin führt ebenfalls die Möglichkeit der
Früherkennung einer Erkrankung des Kindes als Ressource an, die es ihr ermöglichen würde angemessen auf erste Krankheitsanzeichen zu reagieren. Die Kenntnis der Erkrankung wird somit als Ressource der Elternschaft erlebt. Jedoch soll
auch erwähnt werden, dass die Theorie der vollständigen Beherrschung der Erkrankung und die Möglichkeit diese „stoppen“ zu können auch eine Umdeutung
darstellt, in der das Erkrankungsrisiko reframed wird.
„Und meine Tante […] hat auch gemeint, naja weil ich gesagt habe Adoption
würde ja auch im Raum stehen und sie hat gesagt, naja wenn du selbst ein Kind
bekommst dann wissen wir zumindest was es ist wenn es auftaucht, wenn die
Zeichen kommen. Aber wenn du eins adoptierst, keine Ahnung was dann sein
kann, ob man dann die Zeichen von irgendetwas anderem nicht erkennt“ (IP 3,
221-225).
„Aber ääh mein Vorteil ist, dass ich wenn‘s eines meiner Kinder betreffen würde
oder betroffen hätte sicher helfen könnte ähhh wesentlich besser helfen hätte
können als sogar ein Arzt. Weil ich´s erkenne und weil ich es zeitgerecht stoppen kann. Ja ich glaub, das ist das Wichtigste. Ich glaube nicht, dass eines meiner Kinder SO rein gerasselt wär und sowas mitgemacht hätte wie ich“ (IP 1,
271-276).
125
9.6 Unterstützungsmöglichkeiten
Die folgende Themenkategorie steht in direktem Bezug zur Forschungsfrage, inwieweit Klinische Soziale Arbeit durch Unterstützungsangebote zur Förderung einer gelingenden Elternschaft bipolar erkrankter Frauen beitragen kann. Sie gliedert sich in fünf Subkategorien, die nachstehend erläutert werden. Die Subkategorien geben Aufschluss über Voraussetzungen und Hürden gelingender Hilfen. Zudem wird gezeigt, dass die Beratung und Begleitung bipolar erkrankter Frauen für
Klinische SozialarbeiterInnen ein Spannungsfeld darstellt, indem zwischen Hilfe
und Fürsorge bzw. Autonomie und potentieller Überforderung der Frauen abgewogen werden muss.
9.6.1 Wichtige Voraussetzungen
In dieser Subkategorie werden Formulierungen der ExpertInnen angeführt, die
beschreiben, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, dass Unterstützungsangebote überhaupt möglich und wirksam sind.
Zum einen nennen die ExpertInnen hier das Fachwissen über die bipolare Erkrankung über das die HelferInnen verfügen müssen.
„[Es wird] viel zu wenig berücksichtigt, dass da für die Sozialbetreuung sehr wohl
sehr viel mehr Wissen über die Erkrankungen sein sollte. […] Die einfache Frage, wie viele Stunden schlafen Sie, an eine Mutter ist ja nicht schwierig, ist auch
nicht kompliziert, verletzt nicht die Intimsphäre. Ja aber wenn mir jemand erzählt,
ich schlafe gut, frage ich wie viele Stunden? Und wenn eine junge Mutter sagt
drei Stunden, dann weiß ich dass das zu wenig ist. Das ist eine Reizüberflutung
für das Kind wenn die Mutter dauernd unterwegs ist und in der Manie dann ist“
(Exp. 3, 415-423).
HelferInnen können demnach nur dann professionell unterstützen, wenn sie über
ausreichendes Fachwissen der bipolaren Erkrankung verfügen und darüber hinausgehend auch die Relevanz der Medikamenteneinnahme richtig einschätzen.
Mangelnde Kompetenzen und fehlendes Fachwissen können ein großes Problem
in der Versorgung darstellen, da die Helferinnen sowohl als positive als auch als
negative Verstärker der KlientInnen agieren können. Deshalb dürfen Aussagen zur
Medikamenteneinnahme nicht unüberlegt getroffen werden, da dies die KlientInnen verunsichern kann.
126
Zum anderen wird darauf hingewiesen, dass eine kontinuierliche Betreuung eine
wichtige Voraussetzung gelingender Unterstützung darstellt. Dies wird dadurch
begründet, dass Kontinuität besonders für bipolar erkrankte Menschen ein stabilisierender Faktor ist.
„Es gibt prinzipiell bei bipolaren Menschen oder bipolar erkrankten zwei wesentliche Dinge: Wissen um die Erkrankung und Kontinuität. Weil Kontinuität und
Struktur sind ein wesentlicher stabilisierender Faktor. Das heißt, wenn dann sollte es eine Person durchgehend geben die betreut. Der Wechsel von Personen
ist da kontraproduktiv, wie in den meisten Betreuungen. Da ganz im Besonderen. Und das zweite ist auch die Klarheit, das Wissen um die Medikamente, den
Stellenwert der Medikamente. Es gibt nichts destabilisierenderes wie wenn eine
Person aus dem Betreuungs-, Freundes-, Familienkreis sagt, was du nimmt Medikamente. Das ist das destabilisierendste überhaupt. Oder was so viel? Ja gerade in der Schwangerschaft versucht man die Medikamente niedrig dossiert
aber über den Tag verteilt, das schaut natürlich viel mehr aus. Ja aber in der
Gesamtdosis ist es nicht viel. Wenn dann jemand kommt, na muss das sein?
Das ist die Katastrophe schlechthin. Darin sehe ich eigentlich das Hauptproblem,
dass der Großteil der Menschen keine Ahnung hat wie wichtig Medikamente
sind. Und Medikamente quasi die halbe Miete sind. Medikamente ersetzen nicht
das Gespräch, ersetzen nicht die Wärme, ersetzen nicht das Da-sein für einen
Menschen, überhaupt nicht. Nur sie sind die halbe Miete. Wenn jemand manisch
wird und einen Rückfall bekommt ja dann können Sie stundenlang reden, Sie
werden diesen Menschen nicht erreichen. Und wenn Sie ihn erreichen, Sie drehen sich um und gehen sind schon wieder die anderen Ideen wichtiger wie das
was Sie gerade drei Stunden lang geredet haben. Und das muss man wissen.
Mit Manikern diskutiere ich zum Beispiel nicht. Ja da muss man klare Richtlinien
vertreten und anbieten (B lacht) und nicht glauben, dass man einen Maniker
überzeugen kann von etwas. Das hält genau die Zeit bis Sie sich umgedreht haben. Und in der Depression, auch wenn Sie das wohlwollend erklären, die Depression ist stärker, der Zweifel ist stärker. Als Betreuungsperson können Sie
nicht 24 Stunden dabei sein. Können Sie nicht. Sie können als Betreuungsperson aber sehr wohl bestärken also positiver Verstärker können Sie sehr wohl
sein. Und leider genauso negativer Verstärker von etwas (B lacht). […] Und
wenn […] eine Person sagt aha wirklich? Die Sprachmelodie alleine und es
kracht. Und das ist das Problem, dass das Unverständnis über bipolare Erkrankung, das Unverständnis über welche Medikamente sind sinnvoll, welche sind
weniger sinnvoll, das ist das Problem, also darin sehe ich das Problem. Weil ich
denk mir immer um jemandem zu helfen muss ich wissen worum geht es. Nur
viel Liebe und Enthusiasmus ist zu wenig. Bipolare wollen und das erlebe ich
hier grade speziell durch die Beratungen, da sind Menschen dabei, die sagen ich
hab das alles noch nie gehört was Sie mir erzählt haben. Da sag ich hören Sie,
das gibt es nicht, denn seit zehn Jahren haben Sie die Diagnose. Zehn Jahre
futtern Sie Medikamente (B lacht)“ (Exp. 3, 312-347).
Die Kontinuität der Betreuung sollte in der Begleitung möglichst vom Zeitpunkt des
Kinderwunsches bis zum dritten Lebensjahr des Kindes gegeben sein. Dabei betonen die InterviewpartnerInnen die Relevanz der Nachbetreuung. Eine Begleitung
sollte nicht nur in akuten Krisen, sondern regelmäßig stattfinden.
127
„ […]Wenn die erste Krise vorbei ist und alles gut, das heißt noch nicht dass
nicht zwei Monate später die Depression oder die Manie kommt und das wird
immer wieder vergessen. Das ist ein wiederkehrendes Geschehen und vor allem
wenn keine Medikamente genommen werden, wenn Medikamente unregelmäßig
genommen werden. Nach der Entbindung, das ist eine riesen Umstellung von
Hormonen und Flüssigkeitshaushalt von der Frau, da muss man besonders sensibel sein und das nachbetreuen. […] Dieses Nachbetreuen denk ich, das wird
auch sehr oft völlig vergessen“ (Exp. 3, 423-438).
„Das was ich auch erlebe, viele [HelferInnen] sagen kommen Sie wenn Sie etwas brauchen. Das ist keine gute Behandlung für mich. Also wenn ich weiß,
dass eine hohe Rückfallrate ist, ja dann hab ich regelmäßig Termine. Das wissen wir auch aus der Literatur, dass die, die regelmäßig Termine haben, dass da
das Outcome besser ist, wie bei denen, die sagen kommen Sie wenn Sie was
brauchen“ (Exp. 3, 442-446).
Des Weiteren wird durch die Analyse der Interviews deutlich, dass Unterstützungsangebote an den Rhythmus der Mütter angepasst werden müssen, da die
Einhaltung eines regelmäßigen Tagesablaufes für bipolar erkrankte Menschen
besonders wichtig ist (vgl. Exp. 3, 393-402).
9.6.2
Anlässe der Unterstützung
Wie bereits in der zweiten Themenkategorie zum Kinderwunsch gezeigt wurde,
findet eine Thematisierung des Kinderwunsches eher im medizinischen Kontext
durch PsychiaterInnen (und Gynäkologinnen) statt. SozialarbeiterInnen kommen
hingegen seltener mit der Kinderwunschthematik in Kontakt. Die tiefergehende
Analyse der Anlässe, in denen Unterstützung stattfindet, unterstreicht diese Annahme. Während in Rahmen der Beratung durch Psychiater über Risiken, Erkrankungswahrscheinlichkeiten und die Medikamenteneinnahme gesprochen wird (vgl.
Exp. 3, 18-57), findet die Zeitspanne vor Eintritt einer Schwangerschaft durch SozialarbeiterInnen kaum Berücksichtigung. Stattdessen steht vielmehr Unterstützung bei akuten Problemstellungen im Vordergrund bzw. eine Thematisierung von
Schuldgefühlen der Mütter, die oftmals retrospektiv nach den Krankheitsphasen
entstehen.
„Ja insofern minderjährige Kinder im Haushalt sind und aufgrund der Erkrankung
sag ich jetzt wirklich grobe Problemstellungen auftreten sehr wohl. Wo es auch
Kontakte mit dem Jugendamt gibt. Teils weil die Leute schon in Betreuung sind,
teils neu“ (Exp. 2, 34-36).
„[Thema ist] also vor allem auch rückwirkend, dass dann auch oft Schuldgefühle
da sind. Dass halt aufgrund der Erkrankung und vielleicht bis zu einem gewissen
128
Grad auch aufgrund des Lebenswandels die Kinder sehr haben leiden müssen
(Exp. 2, 56-58).
9.6.3 Klinische Soziale Arbeit im Spannungsfeld zwischen dem Wohl des
Kindes und dem Wohl der Mutter
Wenngleich sich die Klinische Soziale Arbeit bislang kaum mit der Kinderwunschthematik psychisch erkrankter Frauen auseinandergesetzt hat, so weist sie dennoch vielfältige Potentiale auf, die in der Beratung und Begleitung bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch und bipolar erkrankter Mütter gewinnbringend eingesetzt werden könnten. Eine Interviewpartnerin hebt hervor, dass Klinische Soziale
Arbeit aufgrund ihrer Expertise in Bezug auf psychische Erkrankungen, sowie ihr
bio-psycho-soziales Krankheits-/Gesundheitsverständnis über besondere Wirkungsfähigkeiten verfügt.
„Ja also ich meine die Grundausbildung vermittelt ja so durchaus grobe Inhalte,
aber was das Thema psychische Gesundheit betrifft hat die Klinische Sozialarbeit schon eine spezielle Expertise und die wäre auch gewinnbringend einzubringen“ (Exp. 2, 245-249).
Nichtsdestotrotz bewegen sich ProfessionistInnen in einem äußerst herausfordernden Spannungsfeld, da sie sowohl das Wohl der Mutter, als auch das Wohl
des (potentiellen) Kindes im Blick behalten müssen.
Innerhalb der Beratung zum Kinderwunsch wird auf die Relevanz einer professionellen Haltung verwiesen, die ethisch korrektes Verhalten voraussetzt. In einem
ExpertInneninterview wird zum Ausdruck gebracht, dass Professionalität bedeutet,
mit den Frauen einen Dialog zu führen und Informationen bereitzustellen, sodass
die Frauen selbstbestimmt eine fundierte Entscheidung für oder gegen ein Kind
treffen können. Von einer Verantwortungsübernahme distanzieren sich die GesprächspartnerInnen.
„Ich sag immer, ich bin nur der Berater, ich kann nur sagen, was wissen wir anhand der Forschung, was wissen wir aus der Literatur, was weiß ich aus meiner
Erfahrung aus meiner persönlichen. Äh wie sich eine Familie entscheidet, das ist
deren Verantwortung, da will ich auch nicht Verantwortung für jemanden übernehmen, geht ja bekannter Weise auch nicht wirklich.“ (Exp. 3, 57-61).
In der Beratung und Begleitung von Frauen, die bereits Mütter sind, scheint das
Spannungsfeld noch größer zu sein. Die beiden InterviewpartnerInnen mit
sozialarbeiterischer Ausbildung akzentuieren die ethische Herausforderung, die
sie aufgrund der Abwägung zwischen dem Wohl des Kindes und dem Wohl der
129
Mutter erleben. Diese Herausforderung ist eng mit der in Kapitel 6.1 erläuterten
Differenzierung zwischen Hilfe und Fürsorge verbunden. Während Hilfe auf Freiwilligkeit beruht, wird Fürsorge angeordnet. Da die Profession der Sozialen Arbeit
auch einen Kontrollauftrag hat und somit sicherstellen muss, dass es zu keiner
Kindeswohlgefährdung kommt, muss sie sowohl im Kontext von Hilfe, als auch im
Kontext von Fürsorge, beraten und begleiten. Sind die Bedürfnisse des Kindes
nicht mit denen der Mutter vereinbar, wird dies als Problem wahrgenommen. Eine
Interviewpartnerin betont daher, wie wichtig es für sie ist, ihren Auftrag den KlientInnen gegenüber transparent zu machen.
„Ich mein es ist ein Problem [der Sozialen Arbeit] bis zu einem gewissen Grad,
für mich zumindest. Weil […] je mehr ich weiß, desto eher bin ich dazu geneigt,
mich mit der MAG11 in Verbindung zu setzen. Ich mein, ich sag das den PatientInnen natürlich vorher, dass ich das tun werde und warum ich das machen werde und nicht hinterrücks“ (Exp. 2, 334-337).
Durch die Aussage einer bipolar erkrankten Mutter kann die beschriebene Problematik teilweise aufgelöst werden. Im Sinne einer advokatorischen Ethik weist die
Gesprächspartnerin darauf hin, dass das Wohl des Kindes im Wohl der Frau liege.
Sei eine bipolar erkrankte Mutter „handlungsunfähig“, so würde im Sinn der Betroffenen gehandelt werden, wenn auf das Wohl des Kindes achtgegeben wird.
„Ja aber das Wohl des Kindes liegt im Wohl der Frau, also die Antwort kann man
schon geben, oder? Also ich mein wenn die Frau unfähig wird zu agieren, und
also ich mein es können ja furchtbare Sachen passieren. Außerdem darf man
sich, also wir sind politisch und überhaupt so korrekt geworden man muss wirklich jetzt aufpassen, dass man diesen gewissen Menschenverstand nicht außer
Acht lässt, der einem einfach sagt dort brennt es und dann muss man einschreiten“ (IP 2, 593-598).
Für die Forschungsfrage relevant ist auch die Einschätzung, dass die Angst vor
negativen Konsequenzen oftmals die Inanspruchnahme von Hilfen bzw. die Thematisierung schwieriger bzw. überfordernder Aspekte von Elternschaft verhindert.
Ein niedrigschwelliger Zugang, in dessen Rahmen zwischen den HelferInnen und
Frauen Vertrauen aufgebaut werden kann, ist demnach sehr bedeutsam.
„Generell glaube ich, die Leute, die bereits Kinder haben, haben eine sehr große
Scheu, davon zu sprechen, was alles nicht geht. Also da ist, sag ich jetzt einmal,
die ersten Takte es geht eh alles. Es ist eh alles OK. Und erst später und es ist
dann aber glaub ich egal mit welcher Berufsgruppe, wenn dann mehr Vertrauen
gefasst ist, ja dann kommen eigentlich erst langsam diese "ma total überfordert"
oder "dieses oder jenes geht nicht" ja. Also der erste Impuls ist sowieso eine
Fassade aufrecht zu erhalten und Dinge auch zu beschönigen“ (Exp. 2, 337343).
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Gelingt es nicht, die Ängste der Frauen abzubauen, kann keine - oder nur sehr
schwer - Unterstützung stattfinden. Zudem ist zu bedenken, dass die vordergründige Wahrnehmung des Jugendamtes in seiner Kontroll- und weniger in seiner
Unterstützungsfunktion die Inanspruchnahme von präventiven Hilfen verhindert.
Diese kann wiederum zu einer Krisenzuspitzung führen, die eine Kindesabnahme
zur Folge haben kann (siehe auch Kaschta 2008: 57).
„Nein hab gar nichts gesagt. Weil ich nicht wusste, welcher Person ich gegenüber stehe, äh wie die darauf reagieren würde und welche Konsequenzen sie
setzen würde“ (IP 5, 300-302).
„[…] zum Jugendamt bin ich nicht gegangen weil ich Angst hatte davor. Meine
Therapeutin hatte das auch gemeint und ich hab gesagt, nein auf keinen Fall“
(IP 5, 525-527).
„Ich denke mal gerade im Hinblick auf die Depression […] ist sicher die Wahrscheinlichkeit an einer postnatalen Depression zu erkranken bei den Frauen
auch erhöht. Und da wäre es natürlich günstig wenn man jetzt von vornherein
[…] die Möglichkeit hätte zu unterstützen. Wobei es auch immer eine heikle Sache ist, ich denke mal wenn ich da jetzt als Frau davon betroffen bin, dann hätte
ich vielleicht auch die Angst, dass da […] tausend Augen darüber wachen ob
ich denn jetzt endlich quasi eine Depression entwickle. Und ich denke mir, […]
sich in der Mutterrolle neu zu finden und in der Situation das ist eh eine Anspannung an und für sich. Und wenn ich dann auch noch die Angst im Nacken habe,
alle warten darauf, dass ich da jetzt was sage oder dass die Depression kommt,
das ist vielleicht auch keine schöne Situation. Also ich denke mir, das bedarf
schon einer entsprechenden Betreuung und Begleitung. Und wenn [die Frauen]
es den Hebammen und Ärzten nicht sagen ja. Wünschenswert wäre es, aber ich
verstehe auch wenn das eben jetzt nicht das entsprechende Vertrauensverhältnis ist ja, das man sich dann damit vielleicht auch gar keinen Gefallen täte wenn
man das offenbart“ (Exp. 2, 191-206).
9.6.4 Weitere Schwierigkeiten im Zugang / der Versorgung
Schwierigkeiten im Zugang zum Helfersystem und in der Versorgung entstehen
zudem durch unzureichend definierte Zuständigkeitsbereiche verschiedener Hilfsdisziplinen. Die Klinische Soziale Arbeit etwa klammert den Kinderwunsch aus
ihrem Handlungsfeld aus, obwohl sie im Arbeitsalltag mit der Elternschaft psychisch erkrankter Menschen konfrontiert ist. Die Thematisierung des Kinderwunsches verorten die befragten SozialarbeiterInnen im Zuständigkeitsbereich der
Medizin. Möglicherweise ist dies auch darauf zurückzuführen, dass durch die Sozialarbeit keine harten Fakten produziert werden können, während ÄrztInnen aber
zumindest verbindliche Aussagen in Hinblick auf Erkrankungswahrscheinlichkeiten
und die Psychopharmaka-Einnahme treffen können. Die Aussparung der Kinder131
wunschthematik ist sicher auch Ausdruck der Schwierigkeit, zwischen der Autonomie der Frau und einer potentiellen Überforderung, abzuwägen.
„Ich weiß von meiner Kollegin, von der Ärztin, dass es immer wieder Frauen gibt,
die sagen sie haben einen Kinderwunsch. Aber in welchem Rahmen und wie
viele Frauen tatsächlich kommen um das vor zu besprechen weiß ich nicht, das
wäre wahrscheinlich eine ärztliche Frage. Ich hab das kaum erlebt, dass jemand
zu mir kommt um das zu besprechen. Ich würde mich da auch nicht zuständig
fühlen weil ich weiß nicht was für Medikamente der nimmt und wie das dann
geht. Ich kann mir von meinem Dings her denken, so wie ich diesen Menschen
erlebe, ob ich glaube, dass es eine Chance hätte. Aber nicht wirklich mit fundierter fachlicher Aussage. Das geht wirklich eher über den Arzt. Also bei uns jetzt
hier und ich arbeite halt auch im Krankenhaus. Es wird Institutionen geben wo
die Frauen vielleicht anders arbeiten aber bei mir, wir sind hier ein Krankenhaus
und die erste Anlaufstelle ist die Ärztin und erst dann zu mir“ (Exp. 1, 236-249).
Die Potentiale Klinischer Sozialer Arbeit werden bislang nicht erschöpfend genutzt. Dass ebenso Fragestellungen zu Bedürfnissen eines Kindes und der Vereinbarkeit mit der bipolaren Erkrankung durch die Soziale Arbeit besprochen werden könnten bleibt unerwähnt. Ebenso wäre es wünschenswert, dass Frauen über
Anlaufstellen informiert werden, bei denen sie Unterstützung erhalten, wenn sie
sich für die Umsetzung des Kinderwunsches entscheiden.
„[…] mit Kinderwunsch kommt man nicht zu mir. Also mit Kinderwunsch und bipolar, da müssten Sie sich eher an die Ärztin wenden. Ich weiß, dass oft schizophrene Patienten oder Borderline-Patienten kommen mit Kinderwunsch oder
schon Leute die in Betreuung sind, in Behandlung sind und Medikamente nehmen. Wegen bipolar wüsste ich jetzt nicht und da bin ich auch nicht die Anlaufstelle also das kann ich schwer beantworten“ [Exp. 1, 29-34).
Ebenso belegen die Aussagen der InterviewpartnerInnen die Bedeutung des interprofessionellen Austausches. Bislang scheinen fallbezogene und fallübergreifende Vernetzungen jedoch unzureichend durch verbindliche Richtlinien festgelegt
zu sein, sodass diese stark personenabhängig sind. Zur Qualitätssicherung der
Versorgung wären daher einheitliche Standards und Richtlinien wünschenswert, in
denen Aufgabenbereiche klar zugeordnet sind. Die Qualität der Vernetzung wird
von den InterviewpartnerInnen unterschiedlich beurteilt.
„Ohja, [Vernetzung gibt es] immer wieder. Das gibt es schon aber das hängt halt
sehr von den betreuenden Personen ab. Also immer wieder kommt es vor, dass
die Ärztin wo anruft oder ich wo anrufe. Wir haben ja auch […] so ein Netzwerktreffen für die Perinatalpsychiatrie, wo wir uns immer wieder zusammensetzen
und schauen, was gibt es neues, was ist gelaufen oder auch Fallbesprechungen
machen. Aber jetzt so rein, das sind dann mehr so organisatorische Sachen.
Rein vom Arbeitsalltag kommt es immer wieder vor, dass ich beim Jungendamt
anrufe oder die Ärztin im AKH anruft und sagt, du hast mir die geschickt, was ist
mit der los? Oder eine/ ein Facharzt hier anruft und sagt er hat jetzt jemanden
132
überwiesen weil er glaubt, dass da irgendetwas nicht stimmt, also das funktioniert schon“ (Exp. 1, 256-265).
„Äh derzeit ist die Vernetzung ganz ganz schlecht. […] Ich könnte Ihnen jetzt nur
eine Idealvorstellung sagen. (I: Ja) Dass also sofort der Arzt Sozialarbeit, so das
notwendig ist, Sozialpädagogen, informiert“ (Exp. 3, 451-459).
Ersichtlich wird jedenfalls, dass viele verschiedene HelferInnen in die Versorgung
bipolar erkrankter Frauen und Mütter involviert sind. Da verschiedene Versorgungssysteme für Kinder, Jugendliche und Erwachsene meist unabhängig voneinander arbeiten, können erhebliche Lücken im Versorgungsnetz entstehen (siehe
auch Albermann et al. 2012: 1523). Klinischer Soziale Arbeit könnte dabei eine
Schnittstellenfunktion der Koordination und Vernetzung zukommen.
Auch die befragten Frauen erleben unklare Zuständigkeiten in der fächerübergreifenden Versorgung als Hürde.
„Überhaupt nicht […] es ist glaube ich die Schwierigkeit der fächerübergreifenden Geschichte, die in allen Fächern, wenn man den Stempel hat ich bin jetzt
Mutter, die gerade entbunden hat, dann hab ich den Stempel 1 und dass sich
das überlagert mit einer zweiten Geschichte ist ja fast schon wieder unheimlich
und sehr arbeitsintensiv und sehr schwierig, ja“ (IP 2, 301-304).
Zudem können Stigmatisierungserfahrungen der Frauen die Inanspruchnahme
von Hilfen verhindern. Zwar wird durch die Interviewpartnerin kein kausaler Zusammenhang hergestellt, jedoch schildert sie ihre Wahrnehmung, dass psychisch
erkrankte Menschen noch immer eine Sonderstellung inne haben. Daher wäre
denkbar, dass die Verinnerlichung dieser Überzeugung einer Inanspruchnahme
von Hilfe konträr gegenüber steht.
„Es gab doch oder gibt immer noch eine Plakatwerbung. […] Da steht drauf, eine psychische Erkrankung ist wie ein Gipsfuß. […] Das ist interessant, weil die
Wirklichkeit ist komplett anders, ist IMMER noch komplett anders“ (IP 2, 450455).
9.6.5 Formen der Unterstützung
In der folgenden Subkategorie wird der Fokus auf verschiedene Formen der Unterstützung der Frauen und ihrer Kinder gelegt, die durch die InterviewpartnerInnen genannt wurden.
Dabei wurde die Bedeutung von Beratung vor Eintritt einer Schwangerschaft /
während der Schwangerschaft hervorgehoben. Ziel einer solchen Beratung sollte
es sein, die Frauen (möglichst unter Einbezug ihres Partners) über Risiken und
133
Schwierigkeiten aufzuklären, sowie Möglichkeiten des Krisenmanagements zu
besprechen. Ebenso sollte erklärt werden, wo Hilfsmöglichkeiten in Anspruch genommen werden können. Der Begleitung kommt somit eine präventive Funktion
zu, die bislang aber noch wenig Berücksichtigung findet.
„Wenn man eine Familie gründet oder da am Anfang steht wird das oft nicht bedacht […] oder die Partner wissen das oft nicht, was heißt das, wenn da jetzt
sechs Wochen Depression ist, ja. Können sie das alles wirklich übernehmen?
Meistens nein wenn sie im Arbeitsprozess stehen ja. Wäre auch eine völlige
Überlastung und ist auch nicht Sinn und Zweck. Es geht darum, dass sie dazu
stehen, und dass sie auch mithelfen zu organisieren und eben das Netzwerk mit
organisieren und mit betreuen. Und da ist es ganz wichtig, welche Stationen gibt
es da. Ah von Caritas, Volkshilfe gibt‘s eine Menge Sachen, von Sozialarbeit
gibt‘s eine Menge von Sachen. Ahm die Ansprüche, die man auch hat, finanzieller Art, dass man da eine Hilfestellung hat. Und natürlich die Familienangehörigen. Wer steht wirklich zur Verfügung nämlich auch tagsüber und so ein Tag
kann ja sehr lange werden. Bis hin zu dem Punkt, kann jemand in der Familie
das Kind übernehmen, wer will das Kind übernehmen. Das sind Dinge, wo ich
denke das ist wichtig, die im Vorfeld abzuklären und nicht in der Akutsituation
ah, wo der Stress sowieso hoch ist“ (Exp. 3, 244-257).
Ebenso stellen Mutter-Kind-Gruppen bzw. Eltern-Kind-Gruppen eine Unterstützungsform dar, die in den Interviews Erwähnung fand. Ziel dieses Gruppenangebotes ist es, die Mutter-Kind-Interaktion zu trainieren, sowie Beziehung zu den
Frauen aufzubauen. Daneben können Erziehungsfragen geklärt werden. Zusätzlich fördern die Mutter-Kind-Gruppen die Vernetzung der Frauen untereinander.
„Ich mach noch die Mutter-Kind-Gruppe oder Eltern-Kind-Gruppe, wo die Leute
eben, die Mütter mit den Kindern oder eben auch die Eltern, ich hab auch gerne
Väter dabei, wenn Sie kommen wollen, wo wir einfach mehr so auf die Interaktion schauen. Oder wenn wir besonders schwierige Patientinnen haben, wo wir
das Gefühl haben, da muss man Beziehung aufbauen damit die in Behandlung
bleiben. Oder es kann auch ein Punkt sein, dass man Frauen, die sich zum Beispiel nicht alleine auf die Straße trauen, dass man einfach mit ihnen zu arbeiten
beginnt. Kommen Sie da rein mit dem Baby, dann sind Sie hier, hier kennen Sie
sich aus. Aber eben die Betreuung dieser Mutter-Kind oder Eltern-Kind-Gruppe
eben, teils aus Beziehungsgründen, teils auch um die Mütter zu vernetzen beziehungsweise um so eine Art Gruppenberatung zu machen. Und eben der dritte
Punkt wäre also die Interaktion zwischen Mutter und Kind zu beobachten oder
auch nur das Kind zu beobachten wenn eine Mutter gerade sehr depressiv ist,
also wie geht es diesem Baby“ (Exp. 1, 13-25).
Die Erziehungsberatung stellt auch aus Sicht der Frauen ein sehr wichtiges Unterstützungsangebot dar. Da die Frauen häufig sehr hohe Anforderungen an ihre eigene Erziehungskompetenz stellen, wünschen sie sich mehr fachliche Anleitung in
Erziehungsfragen. Diese Bereitschaft, Hilfe in Anspruch zu nehmen stellt eine
wichtige Ressource dar, deren Nutzung auch den Kindern zugutekommt wenn es
134
gelingt die elterliche Erziehungskompetenz durch fachliche Anleitung zu stärken.
Eine Expertin schlägt vor, dass hierfür das Institut für Erziehungshilfe als Anlaufstelle genutzt werden könnte.
Aus den Interviews geht auch hervor, dass alle befragten Frauen über die Bedeutung einer kindgerechten Aufklärung informiert sind. Allerdings bestehen Untersicherheiten, wie die Aufklärung dem Entwicklungsalter des Kindes entsprechend
umgesetzt werden kann. Die Unterstützung bei der kindgerechten Aufklärung sollte daher im professionellen Kontext stärker thematisiert werden, um Kindern den
Umgang mit Auswirkungen einer elterlichen bipolaren Erkrankung zu erleichtern
und Resilienzprozesse zu aktivieren. Die Erläuterungen in Kapitel vier machen
deutlich, dass eine kindgerechte Aufklärung auch schon spielerisch im Kleinkindalter möglich ist.
„Ja, wie man dann mit Kindern umgeht und ihnen eben beibringt, dass man die
Krankheit hat. Das wäre meiner Meinung nach das wichtigste“ (IP 1, 269-270).
„[…] wir haben noch nicht gesprochen, das ist ein heikles Thema, das ist wissen
meine Kinder über mich Bescheid? […] Ich ertappe mich selber dabei, dieses
Thema immer wieder auszublenden bei meinen EIGENEN Kindern, was mich
ärgert“ (IP 2, 625-632).
Befinden sich Mütter in schwerwiegenderen gesundheitlichen Krisen wird oftmals
eine Unterstützung in Form eines stationären Aufenthaltes notwendig. Dabei bieten sogenannte „Rooming-in-Kliniken“ die gemeinsame stationäre Aufnahme von
Mutter und Kind an.
„Bei manchen Menschen ist das sinnvoll, [wenn das Kind zur Behandlung mitgenommen wird ins Spital] weil sich die Mütter sonst nicht behandeln lassen. Weil
sie sagen ich lass mein Kind nicht alleine, was ungeschickt ist. Das ist dann das
schlechte Gewissen und ich bin keine gute Mutter und so weiter, […] die ganzen
Mechanismen, die da auch eine Rolle spielen natürlich. Aber ich meinte es ist
nicht ganz so leicht ein Spital zu finden (B lacht), viele bieten das schon an. Aber
das dann auch das Bett frei ist, also der Platz frei ist, das Zimmer frei ist, das ist
nicht immer gegeben“ (Exp. 3, 231-237).
Des Weiteren wird von Frauen der Wunsch nach einer aufsuchenden Unterstützung geäußert, die z.B. in Form von Hausbesuchen durch die Sozialpädagogische
Familienhilfe erfolgen könnte. Dadurch erhoffen sich die Frauen, „in dunkleren
Phasen“ auch noch an das Helfersystem angebunden zu sein. Beispielsweise
wenn nach der Entbindung eine gravierende Belastung besteht. Dieser
niedrigschwellige Zugang würde sich auch anbieten, um Frauen nach einer stationären Behandlung nach zu betreuen.
135
„ […] wenn ich mich jetzt erinnere also nach gewissen dunkleren Phasen nach
der Entbindung hätte es mir sicher gut getan wenn mich wer besucht hätte. […]
mein Mann war zu gewissen Zeiten durchaus überlastet mit mir (B lacht). Keine
Frage. Ja er hat es trotzdem durchgehalten ja. Also jemand der ein bissel was
von der Sache versteht und irgendwie vielleicht auch ein bissel dieses Sensorium hat, was ist da jetzt wirklich los muss man da vielleicht in irgendeine Richtung agieren? Wäre also wäre sicherlich nett gewesen ja, so als Begleitprogramm, wäre toll. Ja und ist ich mein es ist auch diese ähm diese Begleitung
hätte auch den Sinn, dass man sich zum Beispiel also in gröberen Phasen und
wenn man auch in eine Psychiatrie eingeliefert wird denke ich ist es kostenintensiver als wenn man hier prophylaktisch mit Leuten arbeiten kann. Eben Fragen
stellen kann, Besuch bekommt“ (IP 4, 575-585).
Ferner wird der Peerberatung in Form von Müttergruppen großes Unterstützungspotential beigemessen. Dadurch könnten Hürden abgebaut werden, welche verhindern, dass die Frauen gewisse krankheitsbezogene Problemstellungen ansprechen.
„Weil ich sag jetzt mal in der Elternberatung sitzen auch verschiedene Leute, aber wenn
mein Thema bipolare Störung und Kind ist, dann komme ich mir vielleicht auch komisch
vor zwischen den anderen Eltern und mach das vielleicht auch nicht unbedingt zum Thema. Und gerade der Erfahrungsaustausch mit anderen Müttern, ja, wie haben die das
gemacht, welche Erfahrungen haben sie diesbezüglich, was ist hilfreich, was ist schwierig? Ich denke mal das wäre ein günstiger Weg. Also Peerberatung“ (Exp. 2, 213-222).
Da eine professionelle Haltung zudem stets durch Neutralität gekennzeichnet sein
sollte, betont eine professionelle HelferIn, die Grenzen professioneller Beratung.
Anders als bei der Beratung durch eine Peergroup muss Beratung im professionellen Kontext ergebnisoffen sein. Dies verhindere eine positive Bestärkung der
Frauen in ihrer Elternrolle. Daher wäre es anzustreben, dass Beratung im professionellen Kontext aber auch in der Peergroup stattfindet.
Eine der Mütter schildert:
„Das war nämlich auch ein Grund warum ich in meiner Umgebung andere Frauen gesucht
habe, die das entweder geschafft haben oder auch schaffen wollten. […] Das hat mir eigentlich sehr geholfen. […]Ich habe gewusst, dass sie das irgendwie schaffen, das war
mir wichtig, das war mir sehr wichtig. Und wenn man eine Geschichte liest, über einen
Menschen der etwas oder eine Frau die etwas geschafft hat da wirkt das als eine Inspiration oder eine Art Unterstützung, für Frauen die sich nicht trauen oder die sehr unsicher
sind“ (IP 4, 160-175).
Dies deckt sich mit der Einschätzung einer professionellen Helferin:
„Ich glaube das Wesentlichste wäre wirklich entsprechende Peerberatung und es hat ja
dieses Psychosenetz gegeben, diese Plattform, […] wo auch von den Frauen verschiedenste Erfahrungen diesbezüglich geschildert worden sind und da hat man wirklich alle
möglichen Einstellungen und aber auch alle möglichen Erfahrungen und auch Ratschläge
gesehen. In Richtung Unterstützung der MAG11 wahrnehmen, und es kann gelingen und
wirklich […] diese positive Resonanz, diese Ermutigung, wie sie glaube ich in der Fach136
welt nie stattfinden wird. Also ich kann mir nicht vorstellen, bei allem Wohlwollen, dass
wär auch meiner Meinung nach nicht ganz professionell, ob Sozialarbeiter, Therapeut
oder sonst irgendwer ja zu raten, na machen Sie, Sie werden sehen Mutterschaft ist ein
tolles Ding ja, es kann gelingen. Da ist man immer eher zurückhaltend und versucht halt
zu schauen in welche Richtung tendiert die Person und halt alles durch zu besprechen.
[…] Wie gesagt, Ratschläge oder tendenziöse Ratschlag gibt man ja ohnedies nicht. Einfach das Positive und das Negative durch besprechen und dann ist es eh die Entscheidung der betreffenden Person. Aber ich sage wirklich so diese Ermutigung und dieses
Positive, dass hat man wenn dann, nur von einem nicht professionellen Umfeld. Und ich
glaube, das wäre auch ganz wichtig“ (Exp. 2, 404-427).
9.7 Versorgungssituation und gesellschaftlicher Umgang mit der
Erkrankung
Die siebte Themenkategorie bildet den Abschluss der Ergebnisdarstellung. Durch
die Unterteilung in zwei Subkategorien wird der Ist-Zustand der Versorgung erläutert und sich daraus ergebende erforderliche Veränderungen abgeleitet.
9.7.1 Ist-Zustand der Versorgung
Durch die Erzählungen der Interviewpartnerinnen kommt wiederholt zum Ausdruck, dass die derzeitige Versorgung bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch
und bipolar erkrankter Mütter lückenhaft und unzureichend ist. Eine positive Bestärkung der Frauen in ihrer Elternrolle findet kaum statt. Stattdessen wird noch
immer der Fokus auf eine sichere Verhütung der Frauen gelegt. Alle interviewten
ExpertInnen verweisen auf Mängel im Versorgungssystem.
„Ich glaube, dass das Thema Kinderwunsch und psychiatrische Versorgung
überhaupt bis jetzt nicht gut unter einen Hut zu bringen ist. Also sicher am allerwenigsten im Sinne einer Unterstützung. Außer das Angebot des OWS, die perinatale Psychiatrie, das ist schon ein sehr spezifisches Angebot. Aber ich meine
man sieht es auch an der Versorgungslandschaft in Österreich. Und ich denke
mir, wenn in einem ganzen Land Versorgungseinrichtungen fehlen, dann sagt
das auch was aus ja. Das ist kein Zufall und entweder wird es wenig wahrgenommen, dass psychisch erkrankte auch Eltern sind. Sofern es nicht ein grobes
Problem ist steht der erkrankte Mensch im Vordergrund. Und ein Kinderwunsch
mit sag ich jetzt einmal wird wenig thematisiert. Von beiden Seiten aus, weil wie
gesagt, es geht jetzt um gesundheitliche Aspekte und weswegen Empfängnisverhütung günstig wäre. Und sicher nichts, was so, also wozu die Leute ermutigt
werden oder unterstützt werden im Sinne, Sie haben zwar eine psychische Erkrankung, aber Sie können, es steht Ihnen natürlich trotzdem frei Kinder zu bekommen. So in die Richtung, ja. Also es wird auch immer misstrauisch beäugt ja,
so quasi zuerst werden Sie einmal gesund und dann ja“ (Exp. 2. 266-281).
137
Dass ein spezifisches Angebot, das die Anliegen der Frauen ernst nimmt und auf
Augenhöhe berät, selten ist, wird auch im unten stehenden Zitat deutlich.
„Das ist interessant, dass die Betroffenen oft zwei oder zweieinhalb Stunden Autofahrt für eine Beratung in Kauf nehmen. Wenn sie das Gefühl haben, dass sie
ernst genommen werden und wenn man all diese wenn und aber versucht zu
berücksichtigen. […] Es ist natürlich die Zeit nicht nur der Schwangerschaft sondern dann so rund um die Entbindung. Was ist zu tun, worauf ist zu achten?
Welche Information sollte der Gynäkologe haben? Welche Information sollte die
Hebamme haben? Äh welche Information sollte die erweiterte Familie haben?
Äh ein Problem ist, dass natürlich viele Gynäkologen viel zu wenig darüber wissen, auch Hebammen viel zu wenig wissen, teilweise nur Bücherwissen haben,
da laufen ganz falsche Beratungen betreffend der Medikamente zum Beispiel.
Äh also das ist wirklich also oft, also dass die Patienten dann völlig verunsichert
sind, welche Medikamente man geben darf oder nicht geben darf. Das da veraltete Empfehlungen noch immer gegeben werden.“ (Exp. 3, 105-117)
Eklatante Mängel entstehen vor allem durch die sehr beschränkten Kapazitäten,
sodass Frauen in akuten Phasen bisher nicht ausreichend unterstützt werden
können.
„Es gibt jetzt für bipolar nicht mehr oder weniger als für andere. Und wir, die hier
arbeiten mit den Müttern mit kleinen Kindern wissen dass es zu wenig ist. […] Es
gibt die eine Tagesklinik auf Pavillon 5 im Wilhelminenspital aber sonst, es gibt
ja nichts. Und diese Frauen sind dann auf sich allein gestellt. Es gibt kaum was
und das ist, ob bipolar oder was anderes, das ist egal. Also es gibt nicht viel Angebot, um diese Frauen in einer akuten Phase aufzufangen. Nur zum Arzt gehen
alle zwei Wochen [reicht oft nicht aus]. Wenn ich merke es geht nicht und wir
brauchen eine Familienhelferin und es geht aber dann erst in vier Wochen oder
länger das ist schwierig für uns. Wenn du sagst, die braucht eine Aufnahme, die
braucht ein Bett, die tut mit Kind und das AKH ist zu auf Monate hin, das ist wirklich schwierig, es gibt wirklich nicht genug“ (Exp. 1, 221-231).
Die Möglichkeiten erkrankte Frauen gemeinsam mit ihren Kindern aufzunehmen
sind in Wien sehr begrenzt. Ist es allerdings nicht möglich, dass Frauen gemeinsam mit ihren Kindern aufgenommen werden, stellt dies für viele Frauen eine nicht
zu unterschätzende Hürde dar, um sich in Behandlung zu begeben.
„Und [wenn Frauen] kleine Kinder zuhause haben und sich plötzlich nicht mehr
kümmern können weil sie einen akuten Schub haben wurscht in welche Richtung ist das schon problematisch ja. […] Auf der Akutstation können Kinder nicht
mit aufgenommen werden, aber in der Spezialambulanz genauso wenig, wir haben keine Plätze für Mütter mit Kindern. Und oft ist es ja nicht nur ein Kind sondern zwei oder drei. Also jemand der zum Beispiel bipolar ist und merkt er fühlt
sich wieder nicht so wohl und könnte natürlich […] in die normale Ambulanz
dann kommen wenn die Kinder schon über ein Jahr alt sind. Wenn sie bis zum
ersten Lebensjahr sozusagen irgendwann einmal in der Spezialambulanz angedockt haben, dann können sie auch wenn die Kinder vier oder fünf sind noch
kommen“ (Exp. 1, 66-81).
138
Die Schilderungen der interviewten Frauen unterstreichen ebenfalls die unzureichenden Versorgungskapazitäten, sowie die ungenügende Vernetzung des Helfersystems. Beispielsweise nennen sie den Mangel an Psychotherapieplätzen und
sehr langen Wartezeiten bei ihren PsychiaterInnen. Die Frauen sind dadurch verunsichert, ob in akuten Krisen eine schnelle Unterstützung und Behandlung möglich wäre (vgl. IP 2; IP 3).
9.7.2 Erforderliche Veränderungen
Im Rahmen der geführten Interviews wurden durch die GesprächspartnerInnen
Aussagen zu erforderlichen Veränderungen in der Versorgung bipolar erkrankter
Frauen mit Kinderwunsch und bipolar erkrankter Mütter getroffen. Ebenso wurden
wünschenswerte Veränderungen im gesellschaftlichen Umgang mit psychischen
Erkrankungen zur Sprache gebracht.
Als Erstes ist zu nennen, dass eine Bewusstseinsbildung stattfinden muss, in der
die Tragweite perinataler Erkrankungen angemessen berücksichtigt wird. Nur
dann kann entsprechende Unterstützung und Hilfe stattfinden.
„Und was auch noch wichtig ist, gerade die Perinatalzeit muss endlich mal als
Erkrankung akzeptiert werden. Und nicht als etwas, das geht schon wieder vorbei, jetzt reiß dich ein bisschen zusammen. Also es wird ja immer so abgetan mit
Babyblues, aber Babyblues ist was anderes. […] Es wird als harmlos abgetan,
aber es kann eine sehr schwere Erkrankung sein, die bis zum Suizid führt und
wenn man Pech hat bis zum erweiterten Suizid. Also ich glaube da fehlt es immer noch an Bewusstseinswerdung in der Gesellschaft und dadurch auch in der
Politik“ (Exp. 1, 326-332).
Zudem wird aufgrund der mangelnden Versorgungskapazitäten der Ausbau kontinuierlicher Betreuungsmöglichkeiten gefordert. Es wird deutlich, dass professionelle HelferInnen im Arbeitsalltag mit mangelnden Ressourcen zu kämpfen haben.
Daher erscheint die Erweiterung bestehender Angebote und die Implementierung
innovativer Versorgungsmöglichkeiten dringend notwendig.
„[…] Es braucht sicher viel mehr, es braucht Tagesklinikplätze, es braucht stationäre Plätze und das ist eine Frage die sich sehr schwer und doch sehr leicht
beantworten lässt. […] Es wird ja gerade das Sozialsystem gekürzt. Das Jugendamt hat Fallzahlen, das ist erschreckend. Die kommen nicht nach. Was soll
ich sagen, außer dass die Sozialpolitik einfach ausgeweitet werden müsste und
dass mehr dafür zur Verfügung gestellt werden müsste. Und dann glaube ich
wenn wir mehr Ressourcen zur Verfügung hätten, im Sinne, dass man mehr zur
Verfügung stellen kann. Ich mein, wenn es die Situation ist, es ist Freitagnachmittag und die Frau sagt, Sie geht mit dem Kind nicht mehr Heim, weil Sie bringt
es sicher um. Was machen? Weil ich kann die nicht aufnehmen, ich hab nie139
manden dann, wem soll ich das Kind geben? Alles was ich genannt habe gehört
einfach ausgeweitet und noch viel mehr was ich wahrscheinlich nicht genannt
habe, weil es mir jetzt nicht einfällt. Aber so schlicht ist es und so schwierig“
(Exp. 1, 321-339).
Zuletzt deckt sich die Einschätzung der InterviewpartnerInnen mit der in Kapitel
3.6 vorgenommenen Darstellung negativer gesellschaftlicher Repräsentationen
psychisch erkrankter Mütter. Damit eine Destigmatisierung umgesetzt werden
kann, ist auch ein Wandel der medialen Darstellung der Elternschaft psychisch
erkrankter Mütter notwendig. Diese wird bislang sehr einseitig, zum Nachteil der
Betroffenen, gestaltet.
„Es ist natürlich, psychische Erkrankung und Mutterschaft ist weder medial noch
sonst wie positiv besetzt. Ganz im Gegenteil, man hört immer nur die Horrormeldungen wenn sag ich jetzt mal Kinder sehr darunter leiden ja, dass die Mutter
psychisch erkrankt war. Aber auch wenig Beiträge von, wenig gelingende Beiträge ja. Trotz psychischer Erkrankung hat Mutter zwei Kinder großartig großgezogen, könnte mich nicht erinnern, wann ich das gehört habe“ (Exp. 2, 287-297).
Für die Betroffenen stellt die Konfrontation mit Stigmatisierung und Labeling einen
zusätzlichen belastenden Faktor dar, der Frauen unter Rechtfertigungsdruck setzen kann.
„[…] also wenn man wenn man Medien hört und ich lese das Wort [„psychisch
krank“] weil also irgendeine schreckliche Geschichte passiert, weil die Mutter
war depressiv und ist in psychiatrischer Behandlung. Da bekomme ich schon 97
Pünktchen im Gesicht vor Zorn weil es nichts aussagt und immer negativ konnotiert wird ja. Oder was immer an Untaten passiert, war wenn jemand in psychischer Behandlung, psychiatrischer Behandlung war. Ist immer mit negativem
Zusammenhang. Was unerhört ist […]“ (IP 2, 393-398).
Der Aufklärung und Bewusstseinsbildung auf gesellschaftlicher Ebene, sowie der
Enttabuisierung psychischer Erkrankungen kommt daher besondere Bedeutung
zu, um Frauen den Zugang zum Helfersystem zu erleichtern.
„Wo ich Probleme sehe? ÄH ich denke, dass davon eigentlich nicht viel gesprochen wird in der Öffentlichkeit oder etwas. Bei mir hat das ziemlich lange gedauert bis ich mir meinen Weg gefunden habe. Und ich denke, dass schon einiges
erleichtert werden könnte, grade dadurch, dass man darüber mehr spricht und
dass man Möglichkeiten hat, sich zu beraten“ (IP 4, 475-479).
140
10. Der Kinderwunsch / die Elternschaft bipolar erkrankter Frauen
– ein Resümee
Den Ausgangspunkt dieser Arbeit stellte die Beobachtung dar, dass die Thematik
des Kinderwunsches / der Elternschaft bipolar erkrankter Frauen in der psychiatrischen Versorgung bislang nur unzureichend berücksichtigt wird. Da die Fokussierung von Risikofaktoren der Kinder psychisch erkrankter Eltern eine einseitige Betrachtungsweise darstellt, war es Ziel der Arbeit, problematische Aspekte der Mutterschaft bipolar erkrankter Frauen auch im Kontext mangelnder Unterstützungsangebote zu betrachten und nach Unterstützungsmöglichkeiten zu fragen. Die
Forschungsfrage „Inwiefern kann Klinische Soziale Arbeit zur Förderung einer gelingenden Elternschaft beitragen?“ wird durch die Verknüpfung theoretischer Erkenntnisse und empirisch gewonnener Ergebnisse beantwortet.
Die theoretische Auseinandersetzung zu Beginn dieser Arbeit konnte veranschaulichen, dass bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankte
Mütter mit zahlreichen spezifischen Herausforderungen konfrontiert sind. Diese
ergeben sich zum einen aus reproduktiven Risiken für Mutter und Kind und zum
anderen aus Stigmatisierungserfahrungen. Zudem wurde in Kapitel vier aufgezeigt, dass die bipolare Erkrankung einer Mutter, neben den rein reproduktiven
Risiken, auch weitergehende Auswirkungen auf die bio-psycho-soziale Entwicklung von Kindern haben kann. Um Ableitungen hinsichtlich potentieller Unterstützungsmöglichkeiten zu treffen, wurden in diesem Kontext kind-, familien- und umweltzentrierte Resilienzfaktoren identifiziert. Daran anschließend konnte in Kapitel
fünf gezeigt werden, dass Klinische Soziale Arbeit als Menschenrechts- und Lebenskunstprofession dem Auftrag der Förderung von selbstbestimmter Familienplanung nachkommen muss. Anhand der Darstellung der vier Hilfsformen Anleitung, Beratung, Begleitung und Therapie in Kapitel sechs wurde aufgeschlüsselt,
dass Klinische Soziale Arbeit sich im Spannungsfeld zwischen Hilfe und Fürsorge
bewegt. Daraus können sich für professionelle HelferInnen ethische Herausforderungen ergeben, wenn sie zwischen dem Wohl der Mutter und dem Kindeswohl
abwägen müssen. Nichtsdestotrotz geht hervor, dass Klinische Soziale Arbeit
141
durch ihre Ganzheits-, Querschnitts- und klinische Kompetenz, sowie ihre
Gesundheitsperspektive über Potentiale verfügt, welche in der Unterstützung gewinnbringend einsetzbar sind.
Diese theoretischen Annahmen bildeten den Ausgangspunkt der empirischen Untersuchung und werden nachfolgend im Rahmen der Hypothesenbildung mit den
empirischen Erkenntnissen zusammengeführt.
10.1 Hypothesenbildung
Die Analyse und Interpretation des erhobenen Interviewmaterials fand im Rahmen
eines qualitativ-explorativen Forschungszugangs statt. In Hinblick auf die Beantwortung der Forschungsfrage wurden die folgenden fünf Hypothesen generiert:
1) Die hohe ethische Komplexität, die sich aus dem Spannungsfeld zwischen
Autonomie und potentieller Überforderung der Mutter bzw. Wohl der Mutter
und Kindeswohl ergibt, begünstigt, dass professionelle HelferInnen die
Elternschaftsthematik aus ihrem Handlungsbereich ausklammern.
Da Klinische SozialarbeiterInnen sowohl im Kontext der Hilfe als auch im Kontext
der Fürsorge Interventionen setzen, werden sie mit ethischen Herausforderungen
konfrontiert. Diese ergeben sich aus dem Abwägen zwischen der Autonomie einer
Frau mit Kinderwunsch und einer möglichen Überforderung bzw. aus dem Abwägen zwischen dem Wohl der Mutter und dem Wohl des Kindes. Dabei kann angenommen werden, dass durch die hohe ethische Komplexität die Ausklammerung
der Kinderwunsch- und Elternschaftsthematik aus dem Handlungsfeld begünstigt
wird. Daraus resultiert die Verlagerung der Thematik in den privaten Bereich der
Frauen. Dadurch wird das Potential frühzeitiger präventiver Gesundheitsförderung
für Mutter und Kind bislang nur unzureichend ausgeschöpft. Wichtig wäre daher,
dass professionelle HelferInnen persönliche und organisationsgebundene Einstellungen zur Reproduktion psychisch erkrankter Menschen kritisch hinterfragen. Zudem sollten professionelle HelferInnen, die im Handlungsfeld tätig sind, spezifisch
geschult werden, um einer Überforderung entgegenzuwirken. Darüberhinausgehend wäre die Formulierung verbindlicher Richtlinien wünschenswert, welche die
Zuständigkeits-, und Handlungsbereiche der verschiedenen Disziplinen klar definieren.
142
2) Niedrigschwellige Unterstützungsangebote und eine kontinuierliche Betreuung können die Bereitschaft bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankter Mütter erhöhen, Unterstützungsangebote in
Anspruch zu nehmen.
Der Kinderwunsch und die Elternschaft bipolar erkrankter Frauen scheinen oftmals
schwer mit gesellschaftlichen Repräsentationen von „guter Mutterschaft“ vereinbar. Zudem erfahren bipolar erkrankte Frauen teilweise auch im professionellen
Kontext Stigmatisierung. Um die Frauen dennoch erreichen zu können, sind
niedrigschwellige stigmatisierungsfreie Unterstützungsangebote von zentraler Bedeutung. Ebenso kommt der kontinuierlichen Betreuung durch eine Person besondere Relevanz zu. Dadurch kann es gelingen, dass Frauen Vertrauen zum
Helfersystem aufbauen und in Folge dessen auch Ängste vor negativen Konsequenzen, wie beispielsweise einer Kindesabnahme verringert werden. Der Abbau
von Hürden im Zugang zum Helfersystem und der Aufbau einer vertrauensvollen
Beziehung bilden die Basis gelingender Hilfe, in der Frauen auch weniger gut gelingende Aspekte der Elternschaft thematisieren können. Die transparente Erläuterung des Auftrags professioneller HelferInnen, ist dabei wichtig, damit die KlientInnen mögliche Konsequenzen richtig einschätzen können.
3) Um eine wirkungsvolle Destigmatisierung der bipolaren Erkrankung im
professionellen Betreuungsumfeld zu ermöglichen, ist auch eine gesamtgesellschaftliche Bewusstseinsbildung notwendig.
Zwar sollten reformpsychiatrische Veränderungen die soziale Distanz zwischen
psychisch erkrankten und nicht erkrankten Menschen verringern, jedoch bestehen
bis heute gesellschaftlich verankerte Stigma. Diese beinhalten die Repräsentation
der Erziehungsunfähigkeit psychisch erkrankter Mütter. Auch die mediale Darstellung der Elternschaft psychisch erkrankter Frauen ist durch eine einseitige Darstellung der Defizite geprägt. Da den Frauen diese gesellschaftlichen Repräsentationen nicht verborgen bleiben, ist davon auszugehen, dass durch Stigmatisierung
zum einen die Vulnerabilität der Frauen erhöht wird und zum anderen ihre Bereitschaft, Hilfe anzunehmen herabgesetzt wird. Hinzu kommt, dass auch Professionelle HelferInnen durch bestehende gesellschaftliche Repräsentationen in ihrem
143
Verhalten beeinflusst werden. Daher erfordert gelingende Unterstützung zwingend
die Anregung gesellschaftlicher Bewusstseinsbildungsprozesse, die auf die
Destigmatisierung und Enttabuisierung psychischer Erkrankungen abzielen.
4) Klinische Soziale Arbeit kann bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsch
und bipolar erkrankte Mütter, sowie ihre Kinder bei der Exploration und
Stärkung von personalen und umweltbezogenen Ressourcen unterstützen.
Klinische Soziale Arbeit nimmt eine bio-psycho-soziale Gesundheitsperspektive
ein, in der sie salutogene Faktoren und Ressourcen zu identifizieren versucht. Dadurch kann sie bipolar erkrankte Frauen bei der Exploration von Ressourcen unterstützen und diese stärken (z.B. durch soziale Diagnostik). Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass vom sozialen Netz - insbesondere den Partnern der Frauen - ein erhebliches salutogenes Potential ausgehen kann. In der Unterstützung
bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankter Mütter und
ihrer Kinder sollten daher nahe Angehörige und die Partner der Frauen in die professionelle Zusammenarbeit mit einbezogen werden. Zum einen kann so das
Unterstützungspotenzial für die Frauen verstärkt werden. Zum anderen können
dadurch auch die Partner selbst und andere wichtige Bezugspersonen unterstützt
und entlastet werden. Die Arbeit mit dem Familiensystem ist folglich auch von Relevanz, um das soziale Netz als Ressource erhalten zu können. Vor dem Hintergrund der Bedeutung stabiler emotionaler Bezugspersonen für Kinder im Alter von
null bis drei Jahren, veranschaulicht dies nochmals die Notwendigkeit Unterstützungsangebote nicht ausschließlich auf die erkrankten Frauen auszurichten.
5) Durch eine verbesserte interprofessionelle Zusammenarbeit könnte die
Effektivität bestehender Angebote verbessert werden. Der Klinischen Sozialen Arbeit kommt dabei aufgrund ihrer klinischen Kompetenz besondere Bedeutung zu.
Da die bisherige interprofessionelle Vernetzung und Koordination von Unterstützungsangeboten für bipolar erkrankte Frauen mit Kinderwunsch bzw. bipolar erkrankte Mütter und ihre Kinder lückenhaft ist, werden die wenigen vorhandenen
Ressourcen im Versorgungssystem nicht optimal genutzt. Insbesondere wenn die
Erziehungsverantwortung bipolar erkrankter Frauen im Betreuungs- und Bera144
tungskontext keine Berücksichtigung finden, können keine spezifischen unterstützenden Leistungen bereitgestellt werden. Ebenso ist eine interprofessionelle Zusammenarbeit wichtig, damit auch die Kinder der erkrankten Frauen ausreichend
Unterstützung erhalten und nicht unberücksichtigt bleiben. Die institutionelle Kooperation von Erwachsenenpsychiatrie sowie Kinder- und Jugendhilfe und anderen Institutionen, welche die Mutter-Kind-Interaktion fördern, muss daher gestärkt
werden. Klinischer Sozialer Arbeit kommt in der Verbesserung der Zusammenarbeit aufgrund ihrer psychosozialen Kernkompetenz und ihrer klinischen Fachkompetenz besondere Bedeutung zu. Diese Kompetenzen ermöglichen es SozialarbeiterInnen an der Beratung und Begleitung mehrfach belasteter KlientInnen mitzuwirken und Unterstützungsangebote verschiedener Professionen zu koordinieren. Dadurch kann Klinische Soziale Arbeit die Effektivität bestehender Angebote
erhöhen.
Resümierend kann festgehalten werden, dass Klinische Soziale Arbeit durch
Unterstützungsmöglichkeiten auf der Mikro-, Meso- und Makroebene zur Förderung einer gelingenden Elternschaft beitragen kann. Besondere Bedeutung kommt
dabei präventiven Angeboten zu. Unterstützung könnte in verschiedenen Formen
angeboten werden:

Durch die frühzeitige, niedrigschwellige Beratung und Begleitung bipolar erkrankter Frauen mit Kinderwunsch und bipolar erkrankter Schwangerer.

Durch eine fest verankerte Einbeziehung der Kinder bei Krankenhausaufenthalten oder bei ambulanter Behandlung der Mütter.

Durch den Ausbau stationärer und teilstationärer Behandlungsmöglichkeiten für bipolar erkrankte Frauen und ihre Kinder. Diese Angebote sollten
auch die Stärkung der Mutter-Kind-Beziehung zum Ziel haben und entwicklungsfördernde Unterstützungsangebote für Kinder bereitstellen.

Durch eine kontinuierliche Begleitung von Familien. Somit ist es möglich,
die Entwicklung der Kinder zu beobachten und bei Bedarf rasch und gezielt
zu unterstützen. Eine kontinuierliche Begleitung kann auch im Gruppenkontext erfolgen, z.B. in einer Mutter-Kind-Gruppe. Dadurch kann zugleich die
soziale Vernetzung der Frauen gefördert werden.
145

Zuletzt kann Unterstützung durch eine gesellschaftliche Bewusstseinsbildung für psychische Erkrankungen und eine damit einhergehende Enttabuisierung und Destigmatisierung erfolgen (vgl. Deneke et al. 2008: 68).
Da die derzeitige Versorgungssituation noch sehr fragmentarisch ist, könnte sich
Klinische Soziale Arbeit aufgrund ihres Kompetenzprofils gut in der bestehenden
Versorgungslücke etablieren.
10.2 Limitationen der Untersuchung
Da diese Arbeit durch einen qualitativ-explorativen Zugang zum Forschungsfeld
gekennzeichnet ist, konnten keine „harten Daten“ produziert werden, sodass eine
numerische Verallgemeinerung der Ergebnisse unzulässig ist. Die Hypothesen,
welche durch die Analyse von drei ExpertInneninterviews und fünf BetroffenenInterviews abgeleitet wurden, stellen daher eine erste vorläufige Annahme hinsichtlich der Unterstützungsmöglichkeiten zur Förderung einer gelingenden Elternschaft dar.
Limitationen der Untersuchung bestehen vor allem darin, dass die für ein Interview
gewonnenen Gesprächspartnerinnen größtenteils über eine in Wien ansässige
Selbsthilfegruppe akquiriert wurden. Dadurch waren die Frauen bereits gut an das
Helfersystem angebunden und konnten reflektiert über ihre Biografien berichten.
Folglich kann kritisiert werden, dass nur Frauen befragt wurden, die gesundheitlich
relativ stabil sind und bereits Zugang zum Helfersystem gefunden haben. Probleme in der Elternschaft sind jedoch eher bei jenen Frauen zu erwarten, die keine
Krankheitseinsicht haben und daher auch nur schwer zu erreichen sind.
Des Weiteren ist anzumerken, dass mittels der Themenanalyse nach Froschauer
und Lueger lediglich manifeste Inhalte der Interviews deskriptiv dargestellt wurden.
Da jedoch der Kinderwunsch und die Elternschaft psychisch erkrankter Frauen
durch zahlreiche gesellschaftliche Normen „guter Mutterschaft“ beeinflusst werden, könnte eine Beachtung latenter Inhalte bei der Interviewauswertung sicherlich
noch tiefer gehende Ergebnisse hervorbringen. Die Interviews wurden so transkribiert, dass eine feinstrukturanalytische Auswertung möglich gewesen wäre. Diese
146
konnte jedoch im Rahmen dieser Masterarbeit nicht umgesetzt werden. Die feinstrukturanalytische Auswertung der Interviews mit einer Fokussierung latenter Inhalte stellt somit einen fruchtbaren nächsten Schritt dar.
10.3 Ausblick
Anhand der durchgeführten Untersuchung wurde deutlich, dass bipolar erkrankte
Frauen reproduktionsbiografische Entscheidungen heutzutage – zumindest theoretisch – selbstbestimmt treffen können. Das Recht auf Familienplanung beinhaltet
auch, dass Frauen hinsichtlich reproduktiver Aspekte angemessen informiert und
unterstützt werden. Die derzeitige Versorgungssituation bipolar erkrankter Frauen
in Wien weist allerdings noch vielfältige Lücken und Verbesserungsbedarfe auf.
Daher ist es wünschenswert, dass die unzureichenden spezifischen Unterstützungsmöglichkeiten für bipolar erkrankte Mütter und ihre Kinder ausgebaut werden und bestehende Angebote verschiedener Disziplinen besser koordiniert werden. Dazu braucht es Schulungen der HelferInnen, die mit der Thematik befasst
sind und klare Richtlinien, die Zuständigkeitsbereiche definieren. Vor dem Hintergrund der hohen ethischen Anforderungen, mit denen professionelle HelferInnen
konfrontiert werden, erweist sich die Etablierung von Supervision als Möglichkeit,
mit diesen Anforderungen professionell umzugehen.
Damit die Beratung und Begleitung bipolar erkrankter Frauen nachhaltig gelingen
kann, sind zudem gesellschaftliche Bewusstseinsbildungsprozesse erforderlich,
die einer Stigmatisierung psychisch erkrankter Menschen entgegenwirken. Ebenso verhindert die fehlende Finanzierung innovativer Unterstützungsformen den
Ausbau des Versorgungssystems. Bewusstseinsbildung ist daher auch speziell
auf sozialpolitischer Ebene erforderlich. Somit bleibt festzuhalten, dass die Realisierung von spezifischen Hilfen „trotz des klar erkennbaren Unterstützungsbedarfs
von psychiatrisch erkrankten Eltern und deren Kindern […] an ihre Grenzen
[stößt], wenn es an geeigneten Angeboten fehlt oder wenn Eltern befürchten, das
Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren“ (Grube/Dorn 2007: 67).
147
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Abbildungsverzeichnis
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Abb. 2: Einteilung affektiver Störungen nach ICD-10 ...................................................................... 11
Abb. 3: Schematische Darstellung des modifizierten Labeling-Ansatzes nach Link et al. (1989) ... 33
Abb. 4: Wechselwirkungen entwicklungsbeeinflussender Faktoren bei Kindern bipolar erkrankter
Mütter....................................................................................................................................... 36
Abb. 5: Bio-psycho-soziale Auswirkungen einer elterlichen bipolaren Erkrankung auf Kinder ...... 37
Abb. 6: Fragebogen zur Einschätzung des Belastungspotentials der Kinder .................................. 48
Abb. 7: Die drei Faktorengruppen der Resilienz .............................................................................. 52
Abb. 8: Formen professioneller psychosozialer Versorgung ........................................................... 67
Abb. 9: Hilfe und Fürsorge ............................................................................................................... 68
Abb. 10: Grundarten des Helfens und der Fürsorge ........................................................................ 69
Abb. 11: Theoretisches Modell zu Kinderwunsch / Elternschaft bipolar erkrankter Frauen ............ 77
Abb. 12: Soziodemographische Daten der Interviewpartnerinnen .................................................. 86
Abb. 13: Wissensformen im episodischen Interview ........................................................................ 88
157

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