Die erste Stufe oder der General treibt Unfug
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Die erste Stufe oder der General treibt Unfug
Die erste Stufe oder Der General treibt Unfug Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Diplom-Ingenieurs der Fachrichtung Architektur von Lisa Rossian und Christoph Schwarz Technische Universität Graz Erzherzog-Johann Universität durchgeführt am Institut für Gebäudelehre Begutachterin Univ.-Ass. Dipl.-Ing. Dr.techn. Ulrike Tischler Graz, 2004 1 2 „Nobody in Panama City only turns up once. Like a play with a small cast the same actors were always reappearing in different roles.” Graham Greene, Getting to know the General 3 4 INHALTSANGABE Prolog 6 Mein lieber König 8 Panamaland 10 Monsieur de Lesseps baut keinen Kanal 15 Der erste Präsident und ein Kanal 23 Hipólito 31 Die Kanalübergabe 34 Der General und Graham Greene 38 Grabgespräche 45 Manuel Noriegas Zellenmonolog 52 CNN 60 Die Marionettenregierung 68 Wahlkampf 2004 73 Die Hitchcock´sche Konstante 83 Meer 89 Die Barrios von Panama City 99 El Mercado de los Mariscos 109 El Mercado Publico 117 El Chorrillo, Teil 1 125 El Chorrillo, Teil 2 137 5 Prolog Du gibst Unwissen von dir. UNsinniges, UNinteressantes, UNzusammenhängendes, UNnützes Wissen. Was soll ich damit anfangen? Mach damit, was du möchtest. Wissen ist dazu da, es weiterzugeben. Wissen ist dazu da, es für sich zu behalten. Warum konntest DU es nicht für DICH behalten? Ich habe es aufgedeckt. Ich bin der Oberkellner des Wissens – ich habe aufgedeckt, also muss ich auch servieren. Ich habe nichts von deinem Geschwätz bestellt. Ich wollte nicht aperitifisch wissen, dass der wohl gigantischste Passagier, der je den Panamakanal durchquert hat, King Kong war, als ihn die „Wanderer“ von seiner Schädelberginsel im Ostindischen Meer nach New York schiffte, um dort seinen finalen Showdown durchzuführen, und ich wollte nicht hors-d’oevrisch wissen, dass Richard Halliburton, der 1928 den Kanal durchschwamm, aufgrund seiner 63 Kilogramm Körpergewicht nur 36 Cents Durchfahrtsgebühr zahlte, ob brustschwimmend oder im Schmetterlingsstil. Der Hinweis, dass King Kong mindestens das 30-fache bezahlt haben muss, und dass er billiger durchgekommen wäre, wenn sich D.W.Lovelace dazu durchgerungen hätte, seinen Schundroman zwei Jahre früher zu schreiben, bevor 1974 die Gebühr pro Ladegewichtstonne von 90 Cents auf 1,08 Dollar erhöht wurde, war das verachtenswerte Salatblatt am Rand des Tellers. Ich wollte auch nicht, dass du mir als Hauptgang Tupperware hinstellst – um es nach deiner verqueren Analogie auszudrücken – indem du mir erzählst, der gute alte erfindungsreiche Tupper habe sich damals die Isla San José gekauft, um dort ein Ferienresort hochzuziehen, sei aber unverrichteter Dinge wieder abgerückt, nachdem er feststellen musste, dass sein Paradies vor Rückständen der USamerikanischen Chemiewaffentests nur so triefe und das ja nun wirklich nichts mit seinem keimfreien Plastikidealismus gemein habe. Dann das fette Dessert, dass du der in Panama City zur Miss Universe 2003 beförderten Miss Panama, hart genuger Schicksalsschlag, wünschen würdest, sie könne irgendwann wieder so ein normales Leben führen wie ihre russische Vorgängerin, die aufgrund ihrer Freude-am-LebenGewichtszunahme frühzeitig aus dem Amt gestoßen wurde. Und zum Abschluss deiner Informationen und meines Magens der Käse, dass der Bau der panamaischen Interozeanischen Eisenbahn als Reaktion auf den kalifornischen Goldrausch erfolgte, um die Transportzeiten von West nach Ost zu beschleunigen, und folglich Leute wie….Lucky Luke oder die Daltons….maßgeblich daran beteiligt waren/in Folge arbeitslos wurden…. Aber du hast mich gebeten, dir etwas über Panama zu erzählen, und nichts 6 anderes habe ich getan. Du wolltest etwas über den Panamakanal erfahren, über die Geschichte, über die Menschen und über das Land. Es kommt alles vor. Und es sind die Unwichtigkeiten, entschuldige, UNwichtigkeiten, banale, belanglose Geschichten, die das Große Ganze erst interessant machen. Bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla und anschliessend der Vortrag über die kleinen großen Dinge, das unterschätzte Nichts und die Überbewertung von Daten und Fakten, der erste Schritt macht den Weg und das schwächste Glied die Kette zunichte bla bla. Jetzt hör aber auf, schließlich hast du dir alles gemerkt! 7 Santa Maria de Belén, Irgendwo in Asien, 16. April 1503 Mein lieber König, Am dreihundertunddreißigsten Tag meiner nunmehr vierten Reise in Deinem Dienste, die wie all die vorangegangenen Fahrten unter dem Zeichen der Entdeckung eines Seeweges nach Indien stand, einem Weg für Deine so zahlreichen und stattlichen Flotten, muss ich Dir meine baldige Heimkehr an die Küsten Spaniens ankündigen. Ohne Umschweife will ich Dir gestehen, dass das Vorhaben gescheitert ist; nach meinen neuesten Erkundungen gibt es jenen Wasserweg nicht. An den Insulis Indie angekommen, segelten wir darauf stets Richtung Süden, entlang der asiatischen Küste. Wochenlang verfolgten unsere Blicke zu Seiten Steuerbords den Verlauf der Gestade, während sich von Osten die endlose See um uns gischtete, die beidseitigen Horizonte so verschieden wie sie nur sein können, doch eins in ihrer natürlichen Wildheit. Aber es tat sich vor uns kein Seeweg auf, der uns gen Westen die Durchfahrt erlaubt hätte, kein Anzeichen einer Schleuse und kein Ende der Landmasse. Niemals bin ich mit leeren Händen zu Dir zurückgekehrt, und wenn ich denn keinen Seeweg gefunden habe, so habe ich dir doch, neben den ganzen Eroberungen unter deiner Krone, auch Reichtümer mitgebracht, die ich vor Ort erbeutete. Dieses Mal wollte ich Dir das königlichste aller Mitbringsel darbieten. Auf den Insulis Indie erfuhren wir von einem sagenhaften Goldland im Süden des Kontinents, glänzende Erde würde uns erwarten, wohin wir unseren spanischen Fuß auch stellen. So gingen wir, den Südkurs bis dahin streng beibehalten, schließlich vor Anker und an Land. Hier gründete ich Dir eine neue Siedlung, die unter deiner Krone gedeihen möge: Santa Maria de Belén. Sie sollte uns als Ausgangspunkt für unsere Expeditionen dienen, die wir auf der Suche nach Deinem Gold führen wollten, ebenso wie sie den Grundstein für eine neue Kolonie, Deinem Reiche untertan, legen sollte. Doch als welch ein dummes Gewäsch stellte sich die narrende Rede vom Goldland heraus! Nichts als harten Steinboden und nachgiebigen Sumpf fanden wir im Landesinneren vor, am einen wie am anderen Ort nur schlechtgesinnte Tiere. Hier lauern einem fletschende Raubkatzen auf, dort blutdürstende Moskitos und Krokodile, und wären wenigstens die Einheimischen freundlich und wohlgesonnen, ach was, umgänglich zumindest! Aber selbst die können uns nicht leiden. Kleine, dunkelhäutige Gesellen sind sie, die unsere Sprache nicht beherrschen noch verstehen; ihr gezieltes Zuwiderhandeln auf jeden unserer Befehle jedoch lässt mich arg daran zweifeln. Darüber hinaus haben wir knapp ein Dutzend Mann an Krankheiten verloren, ein weiteres Dutzend liegt gelbglühend in den Betten und wartet auf die Erlösung. Wo sie sich ansteckten ist uns ein Rätsel, sie schwören allesamt darauf, keinen intimen Kontakt mit Einheimischen gepflegt zu haben, in Wahrheit sagen sie, sie würden drauf pfeifen. Wir versuchen sie zu erretten, allein es scheint uns zu misslingen. Die Kost, die wir ihnen vorsetzen können, die wir alle hier vorgesetzt bekommen, lässt einen mehr erkranken denn gesunden. Sie lässt stark zu wünschen übrig und ist mangelhaft. Die Eingeborenen verschwenden keine Zeit darauf, uns die Zubereitung ihrer merkwürdigen Knollen zu erklären. So bleibt uns 8 nur der Fisch, des Seefahrers kulinarischer Feind. Das Alles macht mich des Suchens nach Gold überdrüssig, vielmehr noch, es verleidet mir, noch einen Tag länger hier zu bleiben. Ich packe die kränkelnden Seemänner ins Heck und werde Befehl geben, die Segel in den heimwärtsführenden Wind zu spannen. Wenn es denn günstig bläst, werden wir in nicht weniger als neunzig Tagen in Spanien anlegen und ich werde Dir genauen Bericht erstatten, so Gott helfe und ich weder der Krankheit erliege noch den Stürmen des Meeres. Auf bald, Dein Cristóbal Colón 9 Panamaland Vorwärts und rückwärts, mehr Bewegungsmöglichkeiten gibt es in Panama nicht, der Seitwärtsschritt bleibt den Krebsen vorbehalten. Wie kann das sein, wirst du dich fragen, immerhin ist die Welt in Breitengrade und Längengrade aufgeteilt, und alles, was nicht nur seiltänzerisch auf einer dieser Linien balanciert, ist ein Land oder ein Meer und bereits graphisch zweidimensional, und dann wirst du darauf pochen, dass jedes Land, und somit auch Panama, schon allein deswegen auch noch eine dritte Dimension hat, weil es sich aus dem Meer erhebt und sich die Z-Koordinate hochrankt, und selbst ein Einäugiger ohne räumlichem Vorstellungsvermögen vermag sich in alle Richtungen zu bewegen. Ich will dir nicht widersprechen und muss es doch, auch wenn dein Einwand seine Richtigkeit hat; du hast meine Übertreibung allzu wörtlich genommen, denn dass ich selbst in Panama imstande war, mich um meine eigene Achse zu drehen und meinen rotierenden Fuß zu jeder Seite hin abzustellen, das schien mir keiner Erwähnung wert. Aber das Land mit dem Auto zu bereisen ist eine lineare Angelegenheit, die nur zwei Richtungen zulässt, denn ein und dieselbe Straße erschließt ganz Panama – soweit es überhaupt erschlossen ist. Ein Großteil des Landes ist undurchdringlicher Dschungel, ein wuchernder Nebeneffekt der tropischen Klimazone, in dem es kein Fortkommen gibt, außer für würmerjagende Beutelratten und beutelrattenjagende Raubkatzen und raubkatzenjagende Indios, die sich allesamt geschmeidig zwischen den Luftwurzeln dem Geruch und den Fährten nach verfolgen, doch für die Starre einer Karosserie gibt es weder Weg noch Ziel. Noch bevor du das Ende der Straße freigeschlagen hast, werden sich die Pflanzen über ihren Anfang stülpen, bevor du das Kiesbett eingefüllt hast, treiben die ersten Keime bereits darin aus, bevor du die Asphaltdecke verlegt hast, springen schon Horden von Brüllaffen über deinem Kopfe hinweg durch die Baumkronen, und wenn du dann fertig bist und dich nach deiner Straße umblickst, wirst du sie nicht wiederfinden. Wenn du glaubst, die Interamericana, eben jene von West nach Ost verlaufende einzige Straße, würde sich davon unbeeindruckt zeigen, dann bist du auf dem Holzweg, und während ich noch über meinen gelungenen Wortwitz lache, stell du dir das Ausmaß der pflanzlichen Beeinträchtigung vor, die den Asphalt beliebig knickt und faltet, ihm gierig Stücke aus den Seiten beißt und schließlich kurz vor Kolumbien das Vorhaben zum Scheitern brachte, eine transkontinentale Verbindung von Alaska nach Feuerland zu bauen. Auf eben jene Interamericana schwenkte ich in Panama City ein, ich fuhr auf der Puente de las Americas über den Kanal und sah die Containerschiffe unter mir geduldig auf die Einfahrtserlaubnis warten, ich fuhr durch die karge Landschaft von Coclé und sah riesige graue Wolkenberge, die sich beim Näherkommen jeder Illusion entledigten und als echt herausstellten, echte unglaubwürdige Berge, ich fuhr gemächlich auf der lochfreieren Überholspur, bis sie verschwand und mich hinter morschen Huhn- und Bananen-LKWs einordnete, die sich nicht scherten um den Zustand des Straßenbelags und Stoßstangen wie Geflügel in alle Richtungen warfen, ich fuhr, um anderen Leuten den Nachmittag zu verschönern und Abwechslung zu bieten, die in ihren Plastikstühlen vor der Haustür saßen und den Verkehr beobachteten, manche saßen im Haus und hatten sich den Fernseher so neben den Eingang gestellt, dass sie beides überblickten, die Straße und die 10 Telenovela, aber was war schon ein absehbares Liebesdrama gegen eine meiner absehbaren Pannen, wenn mein Kühlwasser überkochte sanken die Einschaltquoten und mein Fluchen wurde zum Hauptabendprogramm. Ganze Familien klatschten johlend in die Hände, wenn ich im Schlepptau eines Lastwagens an die nächste Werkstatt gezogen wurde, es gab keinen Kopf im Umkreis von zehn Kilometern, der nicht unter meiner Motorhaube gesteckt und mit fachkundiger Miene Ayayay, es bastante caliente gesagt hätte, und diese Umkreise überlappten sich immer mehr, je weiter ich mich auf der Interamericana fortbewegte. Am Anfang schuf Gott die Straße, am zweiten Tag erschuf er die Pflanzen, auf dass sie ab dem dritten Tage den Asphalt spröde werden ließen und die Zunft der Mechaniker hervorbrächten; was er dazwischen anfertigte, berührt mich nicht, aber mein Auto schuf er am siebten Tag, dabei hätte er doch ruhen sollen. Aber ich will kein weiteres Wort über den Zustand der Straßen verlieren, denn eine Beschreibung all jener abzweigenden Schotterwege, auf denen Löcher groß wie Tierfallen die Fahrt zu einem einzigen Ausweichmanöver gestalteten, würde mich zu keinem Ende bringen. Jede weitere Stadt neben Panama City kam nur schwerlich über die Ausmaße eines Dorfes hinaus und war ein Abziehbild ihrer Nachbarstadt. Die Lücken zwischen Kirche, Markt und Busbahnhof waren mit Schuluniformen und Plastiktieren aufgefüllt, die sich vor den Geschäften auf dem Gehsteig stapelten, und die gelegentlichen Lücken wiederum, die sich zwischen diesen Ramschläden auftaten, füllten die kleinen Schiebewägen, von denen aus Kokosmilch und Rohrzuckersaft verkauft wurde. Außerhalb der Stadt aber, wo der Dschungel kaum Freiräume ließ, stieß man auf nicht viel mehr als chinesische Supermärkte, in denen Kondensmilch und Macheten die Verkaufsschlager darstellten. Die zwei Jahreszeiten, die den Rhythmus der Natur vorgaben, waren mir albern erschienen, solange ich mich in der Stadt aufgehalten hatte, denn sie zeigten keine Unterschiede in der Temperatur, sondern variierten bloß die Feuchtigkeit. Aber außerhalb der Stadt, inmitten von Dschungel und wuchernden Ebenen, konnte man das Wasser in den Pflanzen rauschen hören. Mit einem Schlürfen sogen es die Wurzeln aus der Erde, und selbst das entfernteste Blatt gierte danach und füllte sich, bis der Baum voller kleiner Kugeln hing. Daran lag es vermutlich, dass selbst nach der darauf folgenden achtmonatigen Trockenzeit nicht eine Pflanze verwelkt oder verdörrt war, vielleicht schaffen sich aber auch Pflanzen, die sich schon über der Erde so hemmungslos ausbreiten, auch unterirdische Vorratskammern, indem sie sich mit ihren Wurzeln Hohlräume schieben und Flüssigkeit horten. Die Einwohner Panamas störten sich im Gegensatz zu mir nicht im Geringsten am Regen. Wenn ein Wolkenbruch niederging, und man muss wissen, dass es keine Nebenformen oder Unterarten von Regen gab, kein Nieseln und keinen leichten, anhaltenden Regen, sondern immer nur Regen in dieser einen Form, kurz und gewaltig, dann stand das Leben eben für die Dauer des Unwetters still. An der Karibik wurde das Schlagen der Tropfen mit Reggae übertönt, in den kleineren Städten im ganzen Land waren die Lokale bis zum letzten Platz besetzt, und die Eingeborenenstämme zogen sich in ihr Sitzungshaus aus Bambus zurück und beratschlagten, während in ihrer Mitte in fünf parallel schwingenden Hängematten die Dorfältesten schliefen. Ich hingegen war bis zum letzten Tag meines Aufenthalts nicht im Besitz eines Schirmes, einen Regenmantel hielt ich für schweißtreibend und 11 einen Plastiksack für unschön, und es dauerte eine Zeit, bis ich einer Musestunde unter einem baufälligen Balkon etwas abgewinnen konnte. Das Leben in Panama geht gemächlich vor sich; man ist schnell verleitet zu behaupten, Gemächlichkeit wäre eine Eigenschaft, die man sich leicht aneignen könnte, denn sie ist ohne Zweifel wünschenswert. Aber dennoch wird es zu einer Frage der Übung, wenn es darum geht, seine Wege, wenn man sie erst einmal für dringend erachtet hat, unverdrossen zu unterbrechen und dem Wetter nicht nachzutragen, wenn die Erledigung erst am nächsten Tag gemacht werden kann. 12 13 14 Monsieur de Lesseps baut keinen Kanal Auf dem Dielenfußboden hatten sich gläserne Pfützen gebildet, die sich keiner besonderen Entstehungsgeschichte bewusst waren, sie waren einfach ihrer begrenzten Logik gefolgt und hatten sich von der Wärme, die hier im Haus herrschte, aus ihrer ursprünglichen Schneeklumpenform schmelzen lassen. Weder wussten sie, welchem Umstand sie es zu verdanken hatten, dass sie nun in den nächsten Aggregatzustand eingetreten waren, noch wer sie hierher gebracht hatte. Sie hatten sich einfach in das erstbeste Profil gesetzt, das auf sie getreten war, und hatten den Mann über den Schuhen ohne bestimmtes Ziel durch Paris getragen. Zur gleichen Zeit ereignete es sich, dass sich auch am Parkettboden des benachbarten Salons Wasser sammelte, das in kleinen Tropfen herabfiel. Aber es war kein schimmerndes Badewasser, das von einer vergessenen Wanne der Dachgeschoßwohnung herrührte, und auch kein nach Hagebutte duftendes Wasser aus einer umgekippten Teekanne, die sich über den Tischrand entleerte. Vielmehr waren es Tränen, und der Mann, aus dessen Augen sie flossen, hieß Ferdinand de Lesseps. Monsieur de Lesseps saß in seinem Lehnstuhl, den weißhaarigen Kopf auf die Hände gestützt, und ließ seine Trauer ungehindert gewähren. „Es ist unmöglich. Es ist beschämend, “ wiederholte er unablässig, während seine Frau lautlos neben ihm stand und nicht versuchte, ihn zu beruhigen. Er soll sich in Ruhe ausweinen, dachte sie sich, den Arm auf seine Schulter gelegt, nichts, was ich zu ihm sage, könnte ihm jetzt mehr von Nutzen sein als mein stilles Verständnis. Um zu begreifen, was vorgefallen war, dass wir hier einen Mann von 83 Jahren, dessen Gesicht nicht von Spuren der Verhärmung oder des Unglücks gefaltet ist, sondern für gewöhnlich stolze und zufriedene Linien aufweist, beim Weinen beobachten, muss man wissen, was sich im Laufe dieses Tages und der ihm vorangegangenen zugetragen hatte. Ferdinand de Lesseps war ein Mann von großem Genie, aber was nützt der aufgeweckteste Geist unter misstrauischen Geistern wie den unseren, wenn man nicht die Gabe zur Überzeugung besitzt. Nun, in Bezug auf Ferdinand de Lesseps bleibt diese Frage eine rein rhetorische, denn wenn man behaupten kann, dass er etwas in noch größerem Ausmaß besaß als Genie, dann war das die Fähigkeit, andere Menschen für seine Ideen zu gewinnen. Er hatte die nötige Selbstsicherheit, in der man seine guten Absichten lesen konnte, genauso wie seine Zuversicht und sein Gottvertrauen, und diese Ausstrahlung hatte eine magnetisierende Wirkung auf die Leute. Er hatte sich einen Namen als großartiger Ingenieur gemacht, der den Bau des Suezkanals in Angriff genommen und vollbracht hatte, trotz aller topographischen und finanziellen Schwierigkeiten. Nun hatte er sich daran gewagt, neue Maßstäbe in der Geschichte des Kanalbaus zu setzen: die Verbindung des Pazifischen Ozeans mit den karibischen Ausläufern des Atlantik. Die Bauarbeiten des Panamakanals waren schon seit längerem im Gange, und Ferdinand de Lesseps hatte verkünden lassen, die bisher hervorgebrachten Anstrengungen könnten als mehr als die Hälfte aller notwendigen Anstrengungen betrachtet werden. Allein, seine Sicht der Dinge war reine Fiktion. Das Datum der Fertigstellung, sagte er auch, hätte sich ein wenig verzögert, und die ursprüngliche Kostenschätzung von1,200,000,000 Francs wäre zu niedrig angesetzt worden, aber derlei Ankündigungen blieben unwidersprochen. Hinzu kam, dass im Dezember des Jahres 1885 ein Orkan über 15 die Karibik raste, der zuhauf Schiffe an die Küste warf, fünfzig Seeleute ertrinken ließ und gewaltige Regenschauer mit sich brachte, die den Fluss Chagres innerhalb weniger Stunden um dreißig Fuß ansteigen ließen, wodurch Meilen der Bahnlinie und der Kanalgrabungen überflutetet wurden und unter all dem Schlamm den Anschein erweckten, als gäbe es von einer Baustelle dieser Dimension nicht die geringste Spur. Die Skeptiker zuhause in Frankreich nährten sich mit Schlagzeilen, die das fürchterlichste finanzielle Desaster des 19. Jahrhunderts proklamierten und die Unternehmung als unverzeihlichen Humbug beschimpften. Und doch, de Lesseps, heiter wie immer, erinnerte daran, dass es beim Bau des Suezkanals nicht ein Jahr ohne Krise gegeben hätte. Die Karawane würde weiterziehen. Um die fehlenden 600 Millionen Francs aufzutreiben, sollten Kanalanleihen mit beigefügten nummerierten Tickets verkauft werden, von denen einige, die gewinnbringenden Tickets, große Geldsummen wert wären. Genau jene Art der Lotterie-Aktien hatten im letzten Jahr des Suezkanals, als das Ausstellen herkömmlicher Schuldverschreibungen nicht ausgereicht hatte, um genügend Kapital zur Fertigstellung der Arbeit einzutreiben, den Kanal gerettet. Darüber hinaus besaßen die gleichen Pfandbriefe jetzt den doppelten Wert. Das einzige, was noch ausstand, war die Genehmigung der Regierung. Den ganzen Sommer über trafen Petitionen der Panama Aktionäre in der Abgeordnetenkammer ein, um das Vertrauen, das die Leute in Monsieur de Lesseps hegten, zu bekunden. Und um noch die letzten Bedenken über die Situation am Isthmus zu zerstreuen, erklärte der Ingenieur, er würde ein weiteres Mal nach Panama gehen, um nach dem Rechten zu sehen. Als er zu dieser, seiner zweiten Reise an den Isthmus aufbrach – zu seinem ersten tatsächlichen Blick auf den Panamakanal – war Ferdinand de Lesseps achtzig Jahre alt. Und der Ansicht seiner tausenden Aktieninhaber nach war genau das die kritische Ziffer in der Gleichung, wichtiger als jeder Aktienkurs oder alle Ausgrabungsstatistiken. Es war keine Gesellschaft, an die sie glaubten, oder ein Kanal durch Panama, sondern einzig dieser außergewöhnliche Mensch. Für sie war er la grande entreprise. Die unverblümte Frage war also, wie lange konnte diese sterbliche Hülle noch andauern und Großtaten vollbringen? Nach zwei Wochen in Panama, in denen de Lesseps die Moral wieder hergestellt hatte und von der Bevölkerung bejubelt worden war, als er mit wehendem Mantel in prächtigen Farben den Hügel bei Culebra hinaufgaloppiert war, verkündete er in Paris seinen guten Glauben an die schnelle Vollendung der Arbeiten. Aber in praktisch dem gleichen Atemzug, leicht und stillvergnügt, als würde er eine vorteilhafte und wünschenswerte Wendung der Ereignisse ankündigen, gab er zu, dass Panama eine zehnfach schwierigere Unternehmung darstellte als Suez. Der Rousseau-Report erschien wenig nach de Lesseps´ Rückkehr. Rousseau, ein anerkannter und hochgestellter Ingenieur, hatte den Kanal etwa zur gleichen Zeit begutachtet und nun einen Bericht über die Fortschritte in Panama veröffentlicht. Den Kanalbau jetzt einzustellen wäre undenkbar, schloss er. Es würde ein Desaster darstellen, nicht bloß für tausende Aktionäre, sondern auch für das Ansehen Frankreichs. Die Fertigstellung wäre aber sowohl zeitlich als auch finanziell nur dann möglich, wenn die Kanalbaugesellschaft radikalen Abänderungen ihrer Pläne zustimmen würde. Und die einzige mögliche Modifikation wäre, das Vorhaben eines Kanals auf Meeresniveau fallen zu lassen, solange dazu noch Zeit sei. Man muss 16 wissen, dass Ferdinand de Lesseps ein Axiom hatte, einen Grundsatz, in dem er sich nicht widersprechen ließ, und das war eben jener Traum eines schleusenfreien Kanals auf Seehöhe. Genau das war für ihn auch der Grund gewesen, Panama den anderen möglichen Standorten vorzuziehen, weil er es hier für machbar hielt. Nun aber behauptete Rousseau, die Hoffnungen, die Ferdinand de Lesseps schürte, wären ohne Begründung – hinsichtlich Zeit, Geld und, was am wichtigsten wäre, des Kanals, den er den Franzosen all die Jahre verkauft hatte. Man kann verstehen, weswegen der alte Monsieur de Lesseps so verzweifelt auf seinen Fußboden weint, schon an dieser Stelle der Geschichte, denn immerhin zerfiel sein Traum jäh in Unmachbarkeit und wurde obendrein als Eselei der ersten Sekunde abgetan. Aber aus allein diesem Grunde vergoss er keine Tränen, dazu war sein Gemüt zu zuversichtlich und sein Glaube an eine wunderbare Schicksalsfügung, die auf irgendeine Weise die Krise lösen und den Kanal auf Meeresniveau ermöglichen konnte, zu stark. Nein, es kam noch weitaus schlimmer. Die Geldreserven in Paris schrumpften zusehends, und seit der Rousseau-Report sich für einen Schleusenkanal stark gemacht hatte, war die Regierung nicht bereit, das System der Lotterie-Anleihen zu unterstützen, bevor nicht der alte Kanalplan verworfen war. Jeder Tag, den sich die Entscheidung hinauszögerte, war ein Tag von enorm kostspieligen, verschwendeten Anstrengungen am Isthmus. Philippe BunauVarilla, ein Ingenieur und Mitglied von de Lesseps´ Gesellschaft war es schließlich, der auf die Lösung des Problems kam. Sein Vorschlag war, die Kanallinie in eine Serie von künstlichen Becken aufzugliedern und diese mit Schleusen zu verbinden. Man würde das Ausgrabungsmaterial einfach wegflößen können, anstatt es wie bisher umständlich über die Bahnlinie abzutransportieren, und beizeiten diesen Kanal zu einer ununterbrochenen Passage auf Meeresniveau verwandeln. Das Geniale aber dieses Vorschlags und sein enormer Wert zu jenem Zeitpunkt war nicht seine technische Raffiniertheit. Es war das Grundprinzip, dass ein Schleusensystem nur ein vorübergehender Schritt auf dem Weg zum alten Endziel eines Kanals auf Seehöhe sein musste. Es stellte keinen Verrat an de Lesseps´ Traum dar und bot ihm eine ehrenvolle Alternative. Mit diesem Plan konnte sich Ferdinand de Lesseps anfreunden, und so schrieb er wenig später zwei Briefe: einer ging ans Finanzministerium und bat ein weiteres Mal darum, Lotterie-Anleihen verkaufen zu dürfen. Der andere war an seine Aktionäre adressiert und enthielt die bewegende Ankündigung, dass er an diesem Morgen Alexandre Gustave Eiffel verpflichtet habe, die Schleusen, die Panama den Schiffen aus aller Welt öffnen würden, zu gestalten und zu bauen. De Lesseps betrachtete den Namen Eiffels als eine goldene Bereicherung. Gerade hatte er den Eiffelturm für die Weltausstellung 1889 geplant, als größtes Bauwerk der Erde. Für die große Mehrheit der Franzosen stellte der Turm, genauso wie der Kanal in Panama, eine kräftige Bestätigung des französischen Genies dar, französische Überlegenheit in der Kunst der Zivilisation. Eiffel selbst schien es der perfekte, brillante Streich, voranzuschreiten und sich mit de Lesseps zu verbünden, der sich von derlei Verkündungen in unglaublicher Weise aufs Neue antreiben ließ, auch wenn er sie selbst eingefädelt hatte. Er erklärte ein weiteres Mal in positivem, vertrauensvollen Ton, dass noch 600 Millionen Francs zur Fertigstellung nötig wären, um einen Kanaltypus zu bauen, von dem er immer schon gelehrt hatte, ihn als minderwertig 17 und daher unakzeptabel anzusehen. Jedem anderen hätte man vermutlich seine Pläne um die Ohren geschmissen, aber als schließlich auch noch die Kammer die Lotterie billigte, stiegen die Aktien augenblicklich. Wenn der nun folgende Rest der Geschichte erst gelesen ist, was gäben wir darum, dass sie an dieser Stelle geendet hätte. Wir wären der beruhigenden Überzeugung, Monsieur de Lesseps´ Tränen waren vorübergehend und die Frau der Stille könnte ihren tröstenden Arm wegnehmen, um ihn als liebenden Arm wieder auf die Schulter ihres Mannes zu legen. An dem Morgen, da die Anleihen auf den Markt gestellt wurden, gab jemand in Paris ein Telegramm an jede Hauptstadt auf, an London und an New York, in dem er verkündete, Ferdinand de Lesseps wäre verstorben. Kein Funken Wahrheit war daran, die Kanalbaugesellschaft sandte einen sofortigen Widerruf aus, aber der Schaden war schon angerichtet. Börsenspekulanten stießen zwei Tage später ihre Aktien ab und der Preis verfiel. Die Wertpapiere konnten jetzt für hundert Francs weniger erstanden werden als angedacht war, und am Ende waren von den zwei Millionen Anleihen nicht einmal die Hälfte verkauft. Man muss nicht viel Ahnung von Wirtschaftsmathematik haben um zu erkennen, dass dies eine klare Niederlage bedeutete – Ferdinand de Lesseps aber sah die Mathematik auf seine Weise. Wenn es auch stimmte, dass nur 800,000 Anleihen verkauft worden waren, so waren sie doch von 350,000 Personen unterzeichnet worden, und das bedeutete für ihn nichts anderes als 350,000 Männer und Frauen, die immer noch glaubten, die immer noch hinter ihm und der Ehre Frankreichs standen. Der Verkauf der Anleihen hatte gezeigt, dass nach acht Jahren, nach all den Rückschlägen, den durch Gelbfieber verlorenen Menschenleben, seine Beliebtheit größer war als je zuvor. Bei einem darauffolgenden Zusammentreffen der Aktionäre war er bejubelt worden wie noch nie, schon seine bloße Anwesenheit hatte eine magnetisierende Kraft. Er war inspirierend, herzzerreissend, stattlich, all das gleichzeitig; er war die Stimme der Autorität, das zeitlose personifizierte Wahrzeichen französischer Begeisterung und Größe. Er appellierte an alle Franzosen, deren Vermögen bedroht war, sie sollten sich entschließen, denn das Schicksal läge in ihren eigenen Händen. Am letzten Tag des Verkaufs, dem 12. Dezember 1889, für den der Ausgabestop der Aktien festgelegt worden war, drängte sich eine aufgeregte Menge in die Büros der Kanalgesellschaft. Als de Lesseps unerwartet auftauchte und für eine Sensation sorgte, machte man ihm den Weg frei und er kletterte auf einen Tisch am Ende des Raumes. Er winkte um Ruhe. „Meine Freunde, die Subskription ist sicher!“ gab er unter Tränen bekannt. „Unsere Gegner sind besiegt! Wir benötigen keine Hilfe von Financiers, denn ihr habt euch durch euren eigenen Einsatz gerettet! Der Kanal steht!“ Die Mengen, die sich am nächsten Morgen in die Gesellschaftsbüros in der Rue Caumartin drängten, waren gekommen, um einen Siegeszug abzuhalten. Wiederholte Rufe verlangten nach Ferdinand de Lesseps, vielleicht eine Stunde lang, bis sich jemand durch die Menschen bewegte und auf den altbekannten Tisch kletterte. Der Sohn Charles de Lesseps stand an eben jener Stelle, an der vortags sein Vater den Triumph verkündet hatte, und sagte Ich weiß, Sie wollen Monsieur de Lesseps sehen, woraufhin ihm ein Getöse der Zustimmung entgegenschallte. „Mein Vater wird immer erfreut sein, Sie zu sehen, aber ich denke, Sie alle warten auf mehr 18 Informationen. Wir sitzen bei einem wichtigen Vorstandstreffen zusammen, das ich für einen Augenblick verlassen habe, um hierher zu kommen. Ich weiß nicht, auf welche Entscheidung diese Besprechung hinauslaufen wird, aber ich werde Ihnen alles sagen, was ich weiß.“ Die Menge war plötzlich still geworden. Er musste seine Stimme kaum anheben, um gehört zu werden. „Ich werde vollkommen offen zu Ihnen sein, nur machen Sie mich nicht dafür verantwortlich, wenn Sie morgen etwas anderes erfahren. Wenn Sie gerne noch eine Stunde abwarten würden, werde ich Sie das ganze Ergebnis unserer Beratungen wissen lassen, aber würden Sie lieber gleich erfahren, was ich Ihnen mitteilen kann?“ Alle stimmten diesem Vorschlag zu. Er fragte, welche Art von Information sie gerne hätten, und nachdem er darum gebeten worden war, das Ergebnis der Subskription mitzuteilen, fuhr er in einem bedachten Ton fort. Die Subskription, sagte er, umfasste soweit 180,000 Aktien. „Das liegt unter dem Minimum, das Monsieur de Lesseps festgelegt hat, daher werden wir morgen mit der Rückerstattung der Einzahlungen beginnen. Sie sehen, ich sage Ihnen genau, wie die Dinge stehen.“ Die Leute begannen zu murmeln, dass…ja, dass das die beste Lösung sei; ja, es müsse eine andere Subskription geben. Es war, als ob sie den Sinn seiner Aussage nicht verstanden hätten. Viele Leute waren so verwirrt, dass sie wie angefroren dastanden, nichts sagend, ohne jeden Ausdruck auf ihrem Gesicht. Als jemand letztendlich fragte, wie sich das Bild über Nacht so drastisch geändert haben konnte, antwortete Charles: „Mein Vater ist im Geiste jünger als ich es bin. Seine Aussagen tätigte er aufgrund eines hoffnungsvollen Berichts, den ich ihm erstattet hatte. Das Ergebnis ist der Bankrott oder die Auflösung der Gesellschaft.“ Am Morgen danach schob die Gesellschaft die Auszahlungen auf und bat die Regierung um ein dreimonatiges Moratorium für Rechnungen und Verzinsung, sodass eine neue Gesellschaft gegründet werden könne, um die Arbeit fortzuführen. Es war ein Reporter von Le Figaro, der nur zehn Minuten nach der Abstimmung der Abgeordnetenkammer ausrichtete, wie das Ergebnis lautete. De Lesseps wurde furchterregend blass und konnte nur flüstern: „Das ist unmöglich! Das ist beschämend!“ Nun wissen wir, weswegen an jenem Abend im Dezember die Wohnung von Ferdinand de Lesseps sich mit Tränen flutete. Die Pfütze der Schneeschmelze und die Pfütze der Trauer trafen sich womöglich an der Schwelle zwischen den beiden Räumen, während der Atlantik und der Pazifik sich immer weiter voneinander entfernten. 19 20 21 22 Der erste Präsident und ein Kanal Der Ingenieur Ferdinand de Lesseps war nicht der einzige gewesen, der dem Scheitern eines Kanalbaus unter französischer Flagge nachgeweint hatte. Der Generaldirektor der Kanalbaugesellschaft tat es ihm gleich, als er mitansehen musste, wie alles in den Konkurs schlitterte, doch noch bevor seine Tränen versickert waren, wobei sich eben jener Philippe Bunau-Varilla lediglich zu einer Art platonischer Tränen hatte hinreißen lassen, die nur den Geist, nicht aber die Augen verwässerten, hatte er den Beschluss gefasst, seine Landsleute um sich zu scharen und die Arbeiten fortzusetzen. Es war nun einmal nicht seine Art, sich auf unbestimmte Zeit in Selbstmitleid zu baden, und so verhielt er sich gegenüber dem großen Abenteuer Panama bald nicht weniger leidenschaftlich als in früheren Jahren. Jetzt war er Mitte Vierzig, ein wenig beleibter als zuvor, der Haaransatz hatte sich in Richtung Hinterkopf zurückgezogen, und was an Haaren noch da war, legte er streng an den Kopf. Er hatte sich auch einen gewissen starren Blick ungestümen Stolzes zugelegt. Seine Erscheinung war makellos, stocksteif und unbeirrbar. Ein übertriebener Schnurrbart dominierte nach wie vor sein Gesicht, nur dass er nun mit gewachsten Spitzen in den Himmel zeigte und übertrieben ornamental wirkte. Roosevelt nannte es die Aufmachung eines Duellanten. Er hatte eine Obsession für die erste Person Singular in allem, was er schrieb, die selbst dem tolerantesten modernen Leser so absurd einseitig erschien, so aufgebläht von Selbstinteresse, dass es lachhaft wirkte. Wer auch immer ihn angriff oder seiner Sichtweise zu widersprechen wagte, wurde von ihm als niederträchtig, geistig umnachtet oder einfach nur dumm dargestellt. Diejenigen aber, die die Dinge so sahen wie er, waren Gentlemen von äußerster Größe, ungewöhnlich intelligent und geprägt von einem enormen Sinn für moralische Lebensinhalte. Philippe Bunau-Varilla hatte die Vision eines französischen Schicksals, dass es immer noch zu schaffen sei, dass Frankreich den Panamakanal baut. Doch die finanziellen Schwierigkeiten bestanden nach wie vor, und so eilte er nach St. Petersburg, um Zar Alexander III davon zu überzeugen, dass Russland das Kapital zur Vollendung des Kanals stellen sollte. Die französische Regierung war erstaunt über das, was er zu berichten hatte, und hoch interessiert, aber als die russische Regierung kurz danach zerfiel und Alexander III ermordet wurde, stand er wieder am Anfang. Bis zu diesem Zeitpunkt war ihm nicht in den Sinn gekommen, die USA könnten in Panama das Kommando über den Kanalbau übernehmen, doch nun, da die ganze Welt vermutete, der Kanal würde in Nicaragua gebaut werden, wie es die alte amerikanische Lösung vorsah, richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Verhandlungen mit Amerika zur Übernahme der französischen Kanalpläne. Verehrtes Publikum, sprach er zu seinen Zuhörern, die er in nahezu allen größeren Städten Amerikas von den Vorteilen einer Panamaroute zu überzeugen gedachte, Ich beteuere Ihnen meine Unabhängigkeit. Ich vertrete hier keine privaten Interessen, sondern sehe meine Aufgabe darin, eine großartige und noble Mission zu verteidigen, die mir viele glückliche Jahre des Kampfes und der Gefahr beschert hat, während denen ich mich nicht ein einziges Mal an ein Gefühl der Verzweiflung erinnern kann. Das ist nicht gelogen, dachte sich Bunau-Varilla nach diesem Auftakt, meine einzige Verzweiflung betraf schließlich den vermeintlichen Zusammenbruch 23 des Projekts, während ich dem Projekt selbst stets Hoffnung entgegenbrachte. Aber es wird besser sein, ich behalte die Tatsache für mich, dass ich Aktionär der neuen Gesellschaft bin. Bauen Sie einen Kanal in Panama, so misst er nur ein Drittel der Länge eines Kanals in Nicaragua. Das bedeutet weniger Kurven, weniger Ausgrabungen, weniger Schleusen, mit einem Wort: weniger Geld. An dieser Stelle hielt er inne und sah sich die rechnenden Gesichter im Publikum an, während er zufrieden seinen Schurrbart tanzen ließ. Immer schon hat eine unsichtbare Kraft Männer dazu verleitet, in Panama zu bauen, fuhr er fort. Was mit dem spanischen Goldpfad begonnen hatte, führte unweigerlich zum Bau der Interozeanischen Eisenbahn und zum Kanal des Monsieur de Lesseps. Alle zeitweiligen Überlegungen, woanders zu bauen, haben sich nach kurzer Zeit im Sand verlaufen und lenkten die Bestrebungen wieder zurück nach Panama, und so wird es auch in der Zukunft sein. Die größte Wirkung aber erzielte er mit einem eher zufälligen Punkt seiner Rede, der aus technischer Sicht völlig nebensächlich war, als er davon sprach, dass es in Panama nicht einen einzigen Vulkan gab, ob aktiv oder inaktiv, der sich näher als 180 Meilen an der Kanallinie befand, wogegen es keinen Flecken auf dem Globus gab, der so voll war von Vulkanen wie Nicaragua. Er erinnerte an den Ausbruch des Coseguina ein paar Jahrzehnte zuvor, der zwei Tage hindurch alle sechs Minuten genug Asche und Gestein hinausgeschleudert hatte, um einen Kanal durch Nicaragua aufzufüllen. Interessant, diese Reaktionen, dachte Phillipe Bunau-Varilla bei sich und begann, den Humbug auszuschlachten, indem er die Bevorzugung der Nicaragua-Route gegenüber der in Panama als genauso unsicher verwarf, als würde man sich für eine Pyramide entscheiden, die auf ihrer Spitze ruhte anstatt auf ihrer Basis. Er veröffentlichte ein Pamphlet mit dem Titel Panama oder Nicaragua?, ließ tausende von Kopien anfertigen und verschickte sie an alle Kongressabgeordneten, alle Präsidenten aller Staaten, an tausend Bankpräsidenten, hunderte Schiffseigner, an bekannt wohlhabende Kaufleute, an die Herausgeber viertausender verschiedener Zeitungen und Magazine, hunderte von Handelskammern und an jeden, dessen Name ihm einfiel. Und doch schien es, als hätten alle Bemühungen nichts geholfen, denn die Kommission, die mit der Prüfung der Routen beauftragt worden war, hatte sich für Nicaragua entschieden. Ob Philippe Bunau-Varilla in diesem Moment ein weiteres Mal der Verzweiflung nahe war, wissen wir nicht, aber wie wir ihn inzwischen kennen schmiedete er eher bereits neue Pläne anstatt sich einer wehleidigen Gefühlsregung hinzugeben, als er ein Telegramm eines Reporters der Chicago Times erhielt. VERTRAULICHE INFORMATION – STOP – KOMMISSION SENAT AKZEPTIEREN WOMÖGLICH ANGEBOT 40 MILLIONEN – STOP – UNBEDINGT NICHT HÖHER – STOP – HANDELN SCHNELL. Sofort eilte er zum Aktionärstreffen und verlangte, dass ein Preis festgelegt werden müsse. Die Zeit liefe davon, und gestern hätten sie vielleicht noch 60 oder 70 Millionen verlangen können, aber heute mussten sie sich mit 40 Millionen zufrieden geben. Und noch bevor alles entschieden war, wobei verraten sei, dass es zwar überhastet von Bunau-Varilla gewesen sein mag und man ihm seine Zuversicht nachsehen möge, aber schließlich fiel die Entscheidung auch tatsächlich zugunsten des Verkaufs aus, sendete er ein Antworttelegramm an die Amerikaner, in dem er 24 verkündete: BESCHLUSS BEINAHE SICHER - STOP – DEFINITIVER ANGEBOTSPREIS 40 MILLIONEN WIRD MORGEN TELEGRAPHIERT UND MONTAGS OFFIZIELL PRÄSENTIERT – STOP – VARILLA. Auf der anderen Seite des Ozeans, genauer gesagt, am Ozean selbst, doch vor den Küsten Amerikas, unternahm zwei Jahre später Dr. Manuel Amador Guerrero eine Schiffsreise nach New York. Er wollte sich dort unter allen Umständen mit William Nelson Cromwell treffen, dem Mann, der für den Verkauf der begonnenen französischen Kanalarbeiten an die USA verantwortlich war und der ihn nebenbei zum Präsidenten machen sollte. Denn nach wie vor war Panama nichts weiter als eine unbeachtete Provinz Kolumbiens, aber Amador wusste, es würde nicht so bleiben. Immerhin war er Mitglied des geheimen Kreises, in dem man sich auf den näher rückenden Tag der Revolution vorbereitete, und so wie sich die Kolumbianer zierten, einen Vertrag mit den USA über den Kanalbau auszuhandeln, standen die Chancen für die verhandlungswilligen Revolutionäre ausgezeichnet. Als Manuel Amador dummerweise während der Überfahrt das Geld ausging, wäre beinahe alles gescheitert, Man wird mich von Bord werfen und ich werde niemals Präsident, befürchtete er, doch er sah zwei Möglichkeiten, wie er seine Weiterreise finanzieren könne, als Schiffsmaat Kartoffeln schälen und die Decks schrubben oder am Spieltisch sein Glück versuchen. Die erstere der beiden Lösungen schien ihm eines angehenden Präsidenten doch ein wenig zu unwürdig, und so nahm er sein letztes Geld und beschloss, beim Poker zu gewinnen. Vermutlich lag es an seiner wilden Entschlossenheit, dass dieser Plan tatsächlich aufging, man stelle sich vor, er hätte sich zögerliche Gedanken über Wahrscheinlichkeit und Glück erlaubt. Die Erfüllung seiner Mission verlangte von Manuel Amador größte Vorsicht. Es galt, keinen Verdacht zu erwecken, der die geplante Revolution den Kolumbianern verraten hätte, denn würde bekannt werden, dass sich der Doktor zu William Cromwell begab, um mit ihm die nötige Unterstützung der USA auszuhandeln, also Waffen und Geld aufzustellen und militärischen Rückhalt einzufordern, dann hätte Kolumbien sofort sein Militär mobilisiert, um alles zu zerschlagen. Also hatte er ein getürktes Telegramm seines in den Staaten lebenden Sohnes in der Tasche, das ihn mit den Worten Ich bin krank. Komm. aus anderen, verständlichen Gründen herzitierte. Doch die Gespräche mit Cromwell verliefen alles andere als zufriedenstellend, anders als gewohnt zeigte sich William Cromwell unerwartet rüde und teilnahmslos und verweigerte weitere Gespräche mit den Verschwörern Panamas, was sich Amador beim besten Willen nicht erklären konnte. Schließlich wusste er nicht, dass bereits am Tag zuvor ein anderer Panamese, ein Handelsmann namens Duque, der, wie es der Zufall will, durch sein Pech am Pokertisch zum Hauptfinancier Amadors Reise geworden war, mit Cromwell die gleiche Sache zu einer positiven Antwort gebracht hatte, um am nächsten Tag schon den kolumbianischen Botschafter in alles einzuweihen und ein falsches Spiel zu treiben. Nur ein einziges Wort telegraphierte Amador zu den in Panama auf Antwort wartenden Freunden – Enttäuscht. Nicht nur, dass seine Mission fehlgeschlagen hatte, es ging ihm auch das erspielte Geld wieder aus, denn selbst die billigste Absteige in New York überstieg seine kühnsten Träume vom natürlichen Zusammenhang zwischen Preis und Leistung. Frustriert und mit der Ratlosigkeit der Verzweiflung machte Manuel Amador sich 25 auf, sein letztes Geld in ein feudales Frühstück im Waldorf Astoria umzusetzen, aber wieder kommen wir an einen Punkt, wo uns das Schicksal eines Besseren belehrt, denn weder musste er einen dreifach nobler bekleideten Kellner um Vergebung für das ausbleibende Trinkgeld bitten, noch war seine Enttäuschung von längerer Dauer. In der Hotellobby traf Manuel Amador unvermutet auf jenen Mann, von dem wir bereits um seine unerschütterlichen Ambitionen den Kanalbau betreffend wissen, Philippe Bunau-Varilla. Die beiden kannten einander bereits aus früheren Begegnungen am Isthmus, doch heute sollte es das erste Mal sein, dass sie sich unterhielten. Im Hotelzimmer Bunau-Varillas klagte Manuel Amador sein ganzes Leid und ging in seiner Entrüstung sogar so weit, dass er Cromwell töten würde, sollten seine Freunde in Panama auffliegen und hingerichtet werden. Er hielt einen Betrag von 6 Millionen Dollar für nötig, um die Kosten für die Kriegsschiffe und alle weiteren militärischen Notwendigkeiten abzudecken. Phillipe Bunau-Varilla musste nicht lange überlegen, ob es moralisch recht wäre, sich als Außenstehender für eine Revolution stark zu machen, denn die Rechtfertigung fand er in der offensichtlichen Politik kolumbianischer Piraterie, die nur auf die Zerstörung kostbarer französischer Arbeit abzielte, und so versicherte er Amador, er werde die weiteren Dinge in die Hand nehmen. Wenig später, nachdem Bunau-Varilla sich mit Präsident Roosevelt getroffen hatte, der zwar, wie in der Politik üblich, nur kryptische Andeutungen von sich gegeben hatte, aus denen der Franzose aber herausgehört hatte, dass die Amerikaner sich bereit erklärten, als Schutzmacht zu fungieren, berichtete er dem wartenden Amador, es wäre demnach nicht notwendig, Kriegsschiffe zu kaufen. Die einzige Investition, die zu tätigen sei, wären 100.000 Dollar, die als Bestechungsgeld an die in Panama stationierten kolumbianischen Generäle auszuzahlen wären, wobei sich Bunau-Varilla sogar bereit erklärte, diese Summe aus eigener Tasche vorzustrecken. Doch nachdem er die militärischen Schachzüge mit dem amerikanischen Staatssekretär ausgehandelt hatte und Amador ein weiteres Mal von den erreichten Fortschritten berichtete, knüpfte Bunau-Varilla noch eine Bedingung an – er sollte zum panamaischen Botschafter in Washington ernannt und darüber hinaus dazu autorisiert werden, die Kanalverträge auszuhandeln. Man kann sich Amadors Freude vorstellen, als er seine Mission in die richtigen Bahnen geleitet sah, und eiligst ließ er seine Frau einen ersten Entwurf für die Flagge der neuen Republik Panama nähen, während er selbst sich der Unabhängigkeitserklärung widmete. An dem Tag nun, da die eigentliche Revolution stattfand, am 3. November 1903, war vom vermuteten Schlachtgetümmel nichts zu sehen. In den Häfen von Panama City und Colón lagen kampfbereite amerikanische Schlachtschiffe, die so furchterregend viel größer waren als die anrückenden kolumbianischen Kutter, dass diese umgehend kehrtmachten, bevor sie sich noch auf zehn Seemeilen genähert hatten. Das einzige Vorkommnis dieses ersten Tages der Revolution ereignete sich in der Abenddämmerung, während der Gemeinderat gerade dabei war, die Junta um Amador formell anzuerkennen. Das kolumbianische Kanonenboot Bogotá feuerte fünf Geschoße nach Panama City ab, wobei ein chinesischer Ladeninhaber, der sich gerade zu Bett begeben hatte, und ein Esel ums Leben kamen, aber als von der Küste aus die Antwort mit schwerem Geschütz erfolgte, verzog sich das Boot in eine nahegelegene Bucht und wurde nie wieder 26 gesehen. Auch die kolumbianischen Truppen an Land vermochten nichts gegen die Revolution auszurichten. Man versagte ihnen einfach die Benutzung der Eisenbahn, um sich zusammenzurotten, und so blieben sie in den Städten Colón und Panama City derart in der Minderheit, dass sie nicht einmal daran zu denken wagten, sie könnten etwas gegen die Amerikaner ausrichten. Und diejenigen, die den Versuch unternommen hatten, sich durch den Darién anzupirschen, hatten genug mit dem Dschungel selbst zu kämpfen, sodass sie unverrichteter Dinge wieder umkehrten. Obwohl der damals noch gültige Vertrag zwischen den USA und Kolumbien eine unantastbare Souveränität Kolumbiens festhielt, berief Roosevelt sich auf die Verletzung jener Klausel, in der bestimmt war, dass der Bau eines Kanals am Isthmus auf jeden Fall gesichert werden müsse. Der Bau des Panamakanals hätte nie stattgefunden, wenn ich nicht zugepackt hätte, denn wenn ich nach den traditionellen oder konservativen Methoden gearbeitet hätte, wäre ich von einem beachtenswert umfangreichen Staatspapier aufgehalten worden, das auf mehreren hundert Seiten dem Kongress alle Details geschildert hätte und erst auf dessen Zustimmung warten hätte müssen. In diesem Fall wären haufenweise exzellente Reden zu diesem Thema gehalten worden, die Debatte würde zu diesem Zeitpunkt noch geistvoll weiterlaufen, und der Beginn der Kanalbauarbeiten läge fünfzig Jahre in der Zukunft. Zum Glück entwickelte sich die Krise zu einem Zeitpunkt, da ich ungehindert handeln konnte. Daher nahm ich den Kanal, ich begann mit dem Kanal, denn Bunau-Varilla brachte ihn auf einem silbernen Tablett zu mir, und ich verließ den Kongress, der nun nicht über den Kanal debattierte, sondern über mich. Dr. Manuel Amador Guerrero wurde also Präsident von Panama, sein nicht sehr einfallsreicher Spitzname, der im Gegensatz zu den meisten in Panama entwickelten Spitznamen nicht auf irgendeiner physiognomischen Benachteiligung beruhte, sagte es ohnehin schon aus, El Presidente. Monsieur Bunau-Varilla wiederum wurde wie versprochen zum panamaischen Vertrauensmann in Washington und reiste ein weiteres Mal zu Staatssekretär Hay nach New York, um den Kanalvertrag auszuhandeln. Doch sein Verhandlungsgeschick war von seiner fixen Idee beeinträchtigt, die Vorarbeit von Ferdinand de Lesseps zu keinem allzu tragischen Ende zu führen, und so, um eine Ratifizierung durch den amerikanischen Senat abzusichern, ließ er den Vertrag sehr vorteilhaft für die USA ausfallen. Eine Gesandtschaft aus Panama war auf dem Weg nach New York, unter ihnen Manuel Amador, die Bunau-Varilla ausrichten ließ, er solle mit der Unterzeichnung unbedingt auf ihre Ankunft warten. Aber der arme Bunau-Varilla war durch den Druck, den Staatssekretär Hay und seine eigene Ungestümheit auf ihn ausübten, so nervös, dass er zwei Stunden vor dem Eintreffen der Panamesen seine Unterschrift als voll befugter Verhandlungsberechtigter hinkritzelte. Natürlich war die panamaische Delegation höchst unzufrieden mit all den Rechten, die der Vertrag den Amerikanern einräumte, noch unzufriedener aber mit Phillipe Bunau-Varilla. Aber an die Verweigerung einer Ratifizierung war nicht zu denken, denn Bunau-Varilla drohte mit dem Abzug der amerikanischen Truppen, was die Republik Panama ohne Zweifel wieder zurück zu Kolumbien geführt hätte. So war es nicht Manuel Amador und das frisch gegründete Panama, die als wahre Sieger der Revolution hervorgingen, sondern zwei vermeintlich Außenstehende: Phillipe Bunau-Varilla und Theodore Roosevelt. 27 28 29 30 Hipólito „Wie ein Gockel gehen sie, wie ein Gockel stehen sie“ sagte Hipólito, stützte seine Hände in die Hüften, beugte seinen Oberkörper vor und setzte ellbogenflatternd einen Fuß vor den anderen. „Hipó, Pólito, Pollito, Pollo, vergiss nicht zu gackern!“ Und wahrend Hipó, Pólito, Pollito, Pollo gackerte, immer wieder stehenblieb und ruckartig den Kopf reckte und einen Hahnenschrei zum Richtungswechsel seines Tanzes ausstieß, krümmten sich seine Freunde vor Lachen, bogen sich und verdrehten sich und fielen schließlich vor Lachen von der Regentonne. „Macht Platz für mich, hier kommt der allesbegluckende Gringo-Gockel, der mächtigmächtigste Gringockel, der schnuckelige Grin-GoGo-ckel, ich tanze für euch GoGo, denn ich bin die Prostituierte, die jeder hier haben will!“ Hipólito folgte seinem Wandel choreographisch, strich sich jetzt mit einer Hand über die Brust, weiblich schon und nicht mehr Hühnchen-, und tätschelte mit der anderen seinen Hintern, während er sich in lasziven Windungen Raúl näherte. Die Jungfrau Carmen, der die Kirche geweiht war und somit bestimmt auch der Seiteneingang, unter dem wir uns befanden, verabschiedete ihre Jungfräulichkeit. „Venga, mamita, I love you! Ich gehöre dir!“ Raúl breitete seine Arme aus und wartete mit geschlossenen Augen und einem Grinsen auf Stunden-Hipólito. Doch der, chamäleonisch, wechselte abermals seine Farbe. Vom Hähnchen zur Prostituierten zum Pólitologen. „Así!“ fuhr Hipólito wütend auf und stieß Raúl mit den knöchernen Fingern gegen die Stirn. „Das ist es! Die Parabel der panamaischen Geschichte! Die Hure Amerika bietet ihre Dienste an, und ohne zu fragen, was die Nacht kostet, legen wir uns mit ihr ins Bett. Querverweis: Centenario. Oh, hundert Jahre Unabhängigkeit von Kolumbien. Wir könnten ebensogut die hundertjährige Abhängigkeit von den USA feiern! 1903: Panama löst sich von Kolumbien. Aber unter welchen Bedingungen?“ Hipólitologito sprang auf die zweite, die oberste Stufe des Kirchenaufgangs, entfaltete eine imaginäre Schriftrolle und versetzte seine Stimme mit notarieller Trockenheit. „Die Republik Panama gestattet den USA auf ewige Zeit die Benutzung, Eingemeindung und Kontrolle über eine je 5 Meilen breite Landzone beidseitig des noch zu konstruierenden Kanals, den Bau, Unterhalt, Betrieb und Schutz des Kanals. Die Republik Panama überträgt den USA alle Rechte, Befugnisse und Amtsgewalten innerhalb der erwähnten Landzone.“ Dramaturgische Pause. Er hob die Augenbrauen und den Zeigefinger, verbot auf diese Weise jeden Zwischenruf und verlangte Stillschweigen und Aufmerksamkeit. Dann stieg er die Stufen herab, drehte sich um, drehte sich in Richtung des unsichtbaren Theodore Roosevelt, der er gewesen war, der immer noch auf dem obersten Treppenabsatz stand und auf Antwort wartete, und Hipólito ließ die Schultern nach vorne fallen, ließ den Kopf nach vorne fallen, ließ den Oberkörper nach vorne fallen, fiel in seiner ganzen Demut fast vorneüber und sagte kopfnickend „Sí, Señor, jawohl, Señor, überaus gerne.“ Dann schnippte er mit dem Finger, als wäre ihm, dem personifizierten Panama, gerade eine gute Idee gekommen, ein blendender Gedanke, und fügte hinzu: „Und weil uns unsere Unabhängigkeit so viel 31 wert ist legen wir noch eins drauf: Interveniert und dirigiert und schickt euer Militär, wann und wo immer ihr seht oder auch nur zu sehen meint, dass unsere öffentliche Sicherheit gefährdet ist.“ Hipólito blickte fragend um sich, fragend und kopfschüttelnd und die Schultern angehoben, dann pfiff er durch die Zähne, ließ seine ganze Luft langsam herausströmen, bis seine Schultern in das entstandene Luftloch absackten, pfiff und pfiff und pfiff sich so luftleer und winzig, dass er nicht mehr zu sehen war. Und ich dankte seiner ausgepusteten Hülle nochmals, dass er mich mit dem Regenschirm vor dem Wolkenbruch bewahrt und unter das Kirchendach geführt hatte, und setzte mit hochgezogenen Hosenbeinen meinen Weg durch die postregentischen Strassenflüsse fort. 32 33 Die Kanalübergabe Es ist Ihrer, sagte Jimmy Carter und breitete die Arme aus, um der Präsidentin Panamas, Mireya Moscoso, die Größe des Geschenks zu verdeutlichen. Ein Kanal ist nun einmal nicht so leicht und handlich zu übergeben wie ein Pferd oder ein Sack voll Geld, und ebenso wenig lässt er sich mit der linken Hand dankend in Empfang nehmen, während die Rechten sich schütteln. Aber auch wenn Mireya Moscoso nicht einmal einen symbolischen Bootswimpel oder eine Miniaturschleuse und somit eigentlich nichts entgegennahm, aus der bescheidenen Sicht derer bemerkt, deren Geschenke bisher immer noch klein genug waren, um sie anzufassen, so war sie doch weit davon entfernt, die leeren Hände verlegen in den Rocktaschen zu vergraben. Sie hob sie stattdessen so hoch in die Luft, dass ihr korrektes Kostüm den Bauchnabel freizulegen drohte, und unter den zweitausend geladenen Gästen jubelten so unterschiedliche Gestalten wie Fidel Castro, Marlon Brando und zahlreiche Staatsoberhäupter der südamerikanischen Welt pünktlich zur vertraglich fixierten Übergabe am Jahresende 1999. Hingegen waren der amtierende Präsident Bill Clinton und seine Außenministerin Madeleine Albright der Zeremonie ferngeblieben, um ihren Unwillen auszudrücken, den die Aufgabe der Kontrolle über die strategisch noch immer nicht ganz unwichtige Wasserstraße in ihnen hervorrief. In den letzten Jahren, als die amerikanische Regierung mit Schrecken feststellen musste, dass ihnen die Zeit am Isthmus davonlief, hatten sie zahlreiche Hintertüren gezimmert, um ihre Truppenpräsenz in irgendeiner Weise doch noch über dieses Datum hinaus zu verlängern. Die erste Panik vor dem Verlust der Kontrolle über den Panamakanal schien die USA bereits in den 60ern befallen zu haben, was beinahe hysterisch erscheinen mag, wo doch noch nicht einmal der Vertrag zwischen Jimmy Carter und Omar Torrijos ausgehandelt war. Bis dahin hatten die Amerikaner schon vierzig Jahre lang chemische Waffen in Panama zum Einsatz gebracht, erst, um den Kanal zu verteidigen, und anschließend, um die chemischen Waffen unter den einzigartigen tropischen Bedingungen auszutesten. Nun aber planten sie, einen weiteren Kanal zu bauen, der diesmal tatsächlich auf Meeresniveau funktionieren sollte, denn nach Ansicht der für dieses Projekt abgestellten Militäroffiziere wäre ein schleusenfreier Kanal nach einem feindlichen Anschlag wesentlich schneller wieder hergestellt und würde obendrein größere und breitere Schiffe fassen, und somit auch die Flugzeugträger der US Navy. Der verwegene Teil dieser Idee war aber, den Kanal durch den Dariéndschungel im Osten Panamas mittels Atombomben freizulegen. Im Unterschied zu den geheimen Chemiewaffentests war die Aussicht auf einen nuklear ausgehobenen Kanal ein Projekt, das Stolz hervorrief und zu einer Reihe von Vorschlägen gehörte, wie man die Atombombe von ihrem schlechten Image, das sie sich in Hiroshima und im Kalten Krieg zugelegt hatte, reinwaschen könnte. 250 bis 300 Wasserstoffbomben sollten im Darién abgesetzt werden, jede einzelne Explosion zwischen zwanzig- und zweitausendfach gewaltiger als die Hiroshimabombe. Von Anfang an ging die größte Anziehungskraft dieser Idee von ihrem günstigen Preis aus – die Kanalaushebungen würden etwa nur ein Drittel kosten verglichen mit der konventionellen Methode, und dadurch, dass der Erdboden bei der Explosion ausgeworfen werden würde, müsste er nicht von Hand weggeschafft werden. 34 Das Projekt hätte allerdings 40.000 Menschen aus ihrer Wohngegend verdrängt, hauptsächlich die im Darién ansässigen Kuna-Indianer, Fenster in einem Umkreis von 500 Meilen wären zersprungen, und eine Beschädigung des bereits bestehenden Kanals durch Erdrutsche wäre anzunehmen gewesen. Unter dem Namen Project Plowshare (Pflugschar) lief aber auch der Versuch der Einführung des „friedlichen Atoms“, der nukleare Explosionen für industriellen und zivilen Nutzen anwenden wollte. Die Ideen reichten von nuklear freigelegten Häfen bis zur Freisetzung von Erdgas, Erdöl und Minen und zum Bau hunderter Reaktoren, um radioaktive Bestrahlung als Pestizid und Schutzmittel für Ackerbepflanzungen zu verwenden. Doch trotz Abermillionen von Dollars und vierzehn Jahren, die damit verbracht wurden, die Durchführbarkeit eines nuklearen Kanals zu bestimmen, schloss die Interozeanische Kanalkommission 1970, dass eine nukleare Freibombung weder technisch noch politisch realisierbar sei. Außerdem plädierte die panamaische Bevölkerung zunehmend für Souveränität über die Kanalzone und den gesamten Isthmus und verlangte die Kontrolle über jeden neuen Kanal, ohnehin die Risiken eines Konstruktionsprojektes unter amerikanischer Führung scheuend. Ohne direkte amerikanische Kontrolle über den Kanal aber waren die Militärbasen an seinen Ufern immer schwerer politisch zu rechtfertigen. Ein anderer Geniestreich zwei Jahre vor dem Truppenabzug waren die Verhandlungen zur Gründung eines Multilateralen Anti-Drogenzentrums auf dem Gelände der ehemaligen Luftwaffenbasis in der Nähe des Panamakanals. Im Gegensatz zum Drogenkampf, der 1989 einzig und allein auf Noriega ausgerichtet war, fasste man nun in erster Linie Kolumbien, Peru und Bolivien ins Auge und wollte verdächtige Schiffe von der Küste Panamas aus mit Radar durchleuchten. Tiefstaplerisch wurde bekannt gegeben, es würde sich nur um einen Haufen vor Computerbildschirmen und Radios sitzender Leute handeln, die zufällig Spezialisten des Militärs sein müssten, um die Apparate bedienen zu können. Für zwölf Jahre mit Option auf Verlängerung war dieses Projekt vorgesehen, was den Amerikanern wieder auf unbestimmte Zeit einen Fuß in die Tür gesetzt hätte. Als sich aber eine landesweite Bewegung gegen den Verbleib der US-Truppen im Land formierte, verließ den damaligen Präsidenten Panamas Ernesto Peréz Balladares der Mut und er verweigerte die Zustimmung. Verständlich also, dass Clinton, der es als letzter in der Hand gehabt hätte, den Verbleib seiner Truppen in Panama durchzusetzen, nun der enttäuschenden Übergabe ferngeblieben war, und das einzige, was er darüber hinaus noch aus Trotz veranlassen konnte, war, alles stehen und liegen zu lassen, so wie es war. Darum hatten die panamaischen Bauleiter auch erhebliche Schwierigkeiten, die Militärgelände in der Kanalzone, über die das Hoheitsrecht ebenfalls an Panama gegangen war, einem zivilen Nutzen zuzuführen, denn tausende Quadratmeter waren durch Munition und chemische Giftstoffe verseucht. 35 36 37 Der General und Graham Greene Nun, da der Leichenzug an ihnen vorübergefahren war und der blankpolierte Feuerwehrwagen nur noch seine Rücklichter zeigte, stellte die Krankenschwestervereinigung des Kinderhospitals ihr Fahnenschwenken ein, ließ ihren Gewerkschaftswimpel in die trauernde Menge hinabtauchen und machte sich stoßend auf den Weg zur Kathedrale. Nach und nach folgten ihnen die Salzsieder von Aguadulce, die Rinderzüchter von Los Santos, die Shrimpfischer von Monagrillo, die Bananenverpacker von Changuinola, die Hutflechter von Penonomé, die Tonpüppchenmacher von El Valle, die Naturparkaufseher von der Isla Iguana, die Schleusenwärter von Pedro Miguel, die Lagerarbeiter der zollfreien Handelszone von Colón, die Hummerbändiger von Ticantiquí, die Mitglieder des Dominoclubs von Herrera, alle Gruppierungen verschiedenster Aufgaben- und Interessensgebiete aus allen Winkeln des Landes bekundeten mit wehenden Symbolen ihres Wirkungsbereichs ihr Beileid und drängten sich die Via España entlang, um der Abschiedsmesse beizuwohnen. Flatternde Fischfahnen der Netzund Schnurfischer AG wurden über den Köpfen des dahinziehenden Aufgebots vom Sackleinen des Polizeireviers Calle 34E gefangengenommen, Milchkühe drehten an Glücksrädern, Garnelen schlangen sich um Äskulapstäbe, ein Fruchtsalat aus Kokosnüssen, Erdbeeren und Mangos fiel dem Justizministerium, Abteilung 13, mindere Strafdelikte, zum Opfer, und als sie alle weitergezogen waren und der nimmermüde Putztrupp sich an die ersten Aufräumungsarbeiten machte, nicht ohne zuvor selbst die Kehrbesen zum letzten Gruß erhoben zu haben, da sah es unter der obligatorischen Schicht aus leeren Bierdosen am Asphalt kaum anders aus als ein paar Minuten eher in der Luft. Als der in die panamaische Flagge eingehüllte Sarg mit dem Leichnam Omar Torrijos´ vorbeifuhr, drapiert mit dessen Pistolenhalfter an der Stelle, wo man die Hüften des Generals vermutete, und mit seinem dunkelgrünen Leinenhut mit hochgeklappten seitlichen Krempen, wo sein Kopf liegen mochte, übersät von aufgeworfenen Rosenblättern, brach ein Ordensbruder der Trappisten sein lebenslängliches Schweigegelübde durch ein Schluchzen, der stemmige Pferdekutscher Aurelio Villalopéz fiel wie ein Kleinkind weinend auf die Knie, eine totgeglaubte, in ihrem Rollstuhl herangekarrte Urgroßmutter kippte mit einem knappen Wehschrei über ihre Trauer wahrhaftig tot aus ihrem Rollstuhl, drei Schönheitsköniginnen scherten sich einen Dreck um ihre zerfließende Mascara, und José de Jesús Martínez alias Sergeant Chuchu eilte ans nächste Münztelephon, um Graham Greene über den tragischen Tod seines Freundes zu informieren. „Señor Greene“, brüllte er in einem Moment abgeflauten Umgebungswehklagens durch die transatlantischen Glasfaserkabel, „ein Flugticket liegt für Sie in Amsterdam bei KLM bereit!“ Aber Señor Greene, Mister Greene, konnte nicht kommen, es war August 1981 und eine private Angelegenheit machte ihm zu schaffen, irgendeine Tochter seines besten Freundes, die irgendeinen Tunichtgut geheiratet hatte, der sie seinem zwielichtigen Milieu eingemeinden wollte, so was in der Art, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, die Mister Greene seine vor kurzem entfernten Eingeweide bescherten, oder eher die Leere und der Wust an unbewältigten angefallenen Aufgaben, die sie hinterlassen hatten. Erst eineinhalb Jahre später, nachdem ihn Chuchu in kontinuierlichen Abständen hatte wissen lassen, dass sein Ticket schön 38 langsam Staub anlegte und Rumpunschtrinken alleine nicht so recht Spaß machte, entschloss sich Graham Greene, Panama seinen letzten Besuch abzustatten. Als sein Flugzeug den Atlantik überquert hatte und seine Schleife über den Dariéndschungel in Richtung Pazifik zog, fiel der Schriftsteller in leidige Depressionen, die er mit zwei Gläsern Champagner und einem Gin zu vertreiben suchte. Die Vorstellung von einem Panama ohne Omar Torrijos erschien ihm fremder als ein England ohne Queen, und so stimmte es ihn nur noch betrüblicher, als er den Namen des geliebten Generals in großen, toten Buchstaben über dem Flughafengebäude prangen sah, er fühlte sich verloren, als Chuchu ihn zu einem grandiosen, neu erbauten Luxushotel fuhr und ihm die Tür zur Präsidentensuite im dreizehnten Stock aufhielt, einer Suite, deren Barbereich allein schon mehr Raum einnahm als seine gesamte Wohnung in Antibes, anstatt wie die Jahre zuvor in einem ganz gewöhnlichen, jetzt schäbig erscheinenden Hotelzimmer des Continental untergebracht zu werden, sein Herz sank, als Chuchu ihm seinen Bodyguard vorstellte, eine kleine Aufmerksamkeit des Sicherheitschefs, der ihm vierundzwanzig Stunden am Tag nicht von der Seite weichen sollte, statt wie bisher unter der alleinigen Obhut Chuchus und seines knorrigen Revolvers zu stehen. Doch seine Laune besserte sich allmählich im Laufe des Abends, nach einigen Gläsern Whisky verlor die Präsidentensuite an erdrückender Weite und der Leibwächter stellte sich als durchwegs umgänglicher Geselle heraus. Chuchu war der festen Überzeugung, dass weder Treibstoffmangel noch ein Pilotenfehler dazu geführt hatten, dass Omar Torrijos´ Flugzeug an einem Berg bei Coclecito zerschellt war, sondern die Ursache des Absturzes auf eine Bombe zurückging, und er legte einen unwiderbringlichen Beweis nach dem anderen vor, um Graham Greene von der naheliegendsten und banalsten Sache der Welt zu überzeugen. Doch weder die Zeitungsartikel, die Ronald Reagan in den Täterkreis schoben, noch die Beschuldigungen, dass der Tod des Generals sowohl von den Konservativen als auch vom salvadorianischen Militär herbeigesehnt worden war, schienen ihm mehr als nur waghalsige Beweisversuche zu sein, er schenkte Chuchus Ausführungen nur wenig Glauben und senkte den Kopf lieber in seinen Whiskyschwenker, um eine dringliche Beschäftigung vorzutäuschen, wenn es zu dem Punkt der erhofften Zustimmung kommen würde. Eines aber ließ ihn aufhorchen: gegen Ende seiner verzweifelten Beweisführungen brachte Chuchu die Ungewöhnlichkeit vor, dass der General die letzten vier Tage vor seinem Tode bei seiner Frau geschlafen habe. Es war, als hätte er sein Ende vorhergeahnt und seine Loyalität gegenüber seiner Untreue herausstreichen wollen. Die amerikanischen Analytiker wollten in Torrijos einen Marxisten erkannt haben, was damals im Schlachtgetümmel des Kalten Krieges nicht weniger hieß, als jemanden den Teufel selbst zu nennen; aber Omar Torrijos lachte nur über die Kurzsichtigkeit der Amerikaner, schüttelte den Kopf und sagte: „Die einzige Beziehung, in der man mich als Kommunisten bezeichnen kann, ist, wenn es um die Liebe geht.“ Ein andermal wieder entgegnete er einem Journalisten auf die Frage, ob er ein Marxist sei, mit den Worten: „Ein Interview ist kein Beichtstuhl, ich muss Ihnen keineswegs meine Gedanken verraten. Sollte ich Sie fragen, ob Sie ein Päderast sind?“ Für den folgenden Tag hatten sie verabredet, dass Chuchu um neun Uhr morgens Graham Greene in dessen Hotel abholen würde, um ihn zum kubanischen Botschafter zu begleiten, da Fidel Castro den Schriftsteller nach Havanna eingeladen 39 hatte und erst noch ein Visum ausgestellt werden müsse. Doch um zehn war Chuchu immer noch nicht da, Graham Greene hatte sich inzwischen schon dreimal seinen Scheitel von links nach rechts und wieder zurück gelegt, er hatte seine Fingernägel mit gleicher Inbrunst wie Ungeduld an den Armlehnen des Fauteuils poliert, dass sie bereits wie lackiert wirkten, während er sich darüber ärgerte, seine Schuhe nicht zum Putzen abgegeben zu haben damit sie den gleichen Glanz vorwiesen, in der Befürchtung, sie könnten nicht wieder rechtzeitig zu Chuchus Eintreffen zurück sein. Er saß knurrend mit übereinandergeschlagenen Beinen da und starrte auf die Bar. Um halb elf goss er sich einen Drink ein, zog seine Schuhe aus und begann, sie mit dem beblümten Zierkissen aus seinem Rücken blank zu reiben, als Chuchu breit grinsend die Tür öffnete, ihm eine Nummerntafel in die Hand drückte und ins Badezimmer verschwand, um zu urinieren. „Was ist geschehen?“ rief ihm Graham Greene durch die sporadisch zugeworfene Tür nach, doch mehr als ein Plätschern bekam er nicht zur Antwort. Erst als Chuchu wieder im Zimmer erschienen war, fragte er „Erinnerst du dich noch an das kleine Missgeschick mit dem Hellenen, das uns vor ein paar Jahren widerfuhr?“ und neigte sich über die Bar, um sich ebenfalls ein Gläschen einzuschenken, „So was in der Art“ fügte er erklärend hintenan. Graham Greene erinnerte sich nur zu gut an diesen Vorfall. Es war der Tag, seit dem ihn nichts mehr in seiner Zuneigung zu Chuchu erschüttern konnte. Besonders standhaft hatte sich Chuchu nicht an die panamaische Sitte halten können, wochentags nichts weiter als Milch und unalkoholische chichas zu trinken, die Einführung von Planter´s Punch als täglichen Programmpunkt war wohl ein Verdienst, der auf die Freundschaft mit Graham Greene zurückging, und so hatte er sich eines Morgens in einem nachtragend rauschigen Zustand unfähig gezeigt, den Wagen in der Straßenspur zu halten und war durch eine Absperrung gedonnert und, ein parkendes Auto anrempelnd, im Buchladen eines griechischen Kriegshelden zum Stehen gekommen. „Wir müssen ihn zu deiner Party am Freitag einladen“ war alles, was er an Kommentar über den Unfall verloren hatte. „Ich fürchte, wir kommen nicht mehr rechtzeitig ins Konsulat“ stirnrunzelte Graham Greene. „Ach was“ erwiderte Chuchu beschwichtigend, während er für die Eiswürfel aus seinem Whiskyglas eine bessere Verwendung gefunden hatte und sie sich an die Schläfen presste, „dort müssen wir sowieso erst in zwei Stunden eintreffen. Ich wollte nur sichergehen, dass du nicht verschläfst, und ich muss zuvor noch etwas erledigen.“ Es stellte sich heraus, dass die Erledigung darin bestand, im benzinschwangeren Dunkel einer Hinterhofgarage zwei Maschinengewehre gegen eintausend Ladungen Handfeuerwaffenmunition einzutauschen. „Für die Sandinisten?“ fragte Graham Greene, als Chuchu sich wieder zu ihm in den Wagen setzte. „Nein, die Sandinisten haben alles, was sie brauchen. Für El Salvador“ antwortete Chuchu, und Graham Greene konnte nicht anders, als sich überglücklich zu zeigen, darüber, dass sein Freund, der Professor der Mathematik, Poet und seinerzeit engster Vertrauter und Sicherheitswache des Generals, unbeirrt seiner zweckmäßigen Arbeit nachging, und darüber, dass das Panama von heute doch nicht so sehr von dem seiner Erinnerung abwich. Mochte der General auch verstorben sein, der Torrijismo schien weiterzuleben. Panama war weiterhin ein Hafen für die Flüchtlinge Süd- und 40 Mittelamerikas, für diejenigen, die vor Samoza, Videla und Pinochet flohen, und auf dem Weg in Richtung Sozialismus, den Omar Torrijos eingeschlagen hatte, folgten seinem unsterblichen Geist nach wie vor tausende Anhänger. Man hatte nicht vergessen, dass es dem Verhandlungsgeschick dieses Mannes zu verdanken war, dass der Panamakanal mit dem Ende des Jahrtausends endlich in die eigenen Hände übergeben würde und die USA ihren Rückzug anzutreten hätten. Alles, was Panama weltwirtschaftlich ausmachte, war der Kanal, und doch war er nicht Panama und die Zone eine andere Welt. In dem Moment, da man die Kanalzone betrat, konnte man den Unterschied schon allein anhand der niedlichen einfallslosen Häuschen und der gepflegten Rasenflächen ausmachen, wo Bataillone von Rasenmähern den Dschungel unterworfen und zu unzählbaren Golfparcours adaptiert hatten. „Und im Wind hörst du: Hier sind ehrbare, gottlose Leute; ihr einziges Denkmal die asphaltierte Straße und tausende verloren gegangene Golfbälle.“ Graham Greene hatte Omar Torrijos über seinem Schreibtisch zusammengekauert vorgefunden, als dieser im Begriff war, die Rede zur Feier der Vertragsunterzeichnung zu schreiben, die die Übergabe des Kanals bedeuten sollte. Er war unglücklich über Carters Beschluss, nahezu alle Militärdiktatoren Südamerikas zur Zeremonie einzuladen und hätte es lieber gesehen, wenn er sich mit den gemäßigteren Anführern Kolumbiens, Venezuelas und Perus begnügt hätte, die einen besseren Leumund vorzuweisen hatten. Umgeben von Videla aus Argentinien, Banzer aus Bolivien, Stroessner aus Paraguay, García aus Guatemala und allen voran Chiles Pinochet würde eine Demonstration in den Straßen Washingtons keinen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen machen, es gab in amerikanischen Köpfen nur böse und am Bösesten, wenn es sich um südamerikanische Staatsoberhäupter handelte, warum dann also nicht gleich gegen alle ins Feld ziehen? Torrijos hatte ihm die Rede vorgetragen, eine Generalprobe in ihrer ganzen Doppeldeutigkeit, und Graham Greene hatte ihn dazu ermutigt, sie beizubehalten, wie sie war. Auch hatte er eine Zeile hinzugefügt, und selbst wenn niemand es erfahren hatte und seine Hinzufügung an Unwichtigkeit nicht zu überbieten gewesen war, so war er doch stolz darauf, Geschichte geschrieben zu haben. Am Tag der Unterzeichnung in Washington saßen sie in Landesgruppen eingeteilt zwischen den Amerikanern und Venezuela. Die panamaische Gesandtschaft bestand nicht nur aus dem General, Chuchu und Graham Greene, sondern wurde neben anderen auch noch durch den peruanischen Schriftsteller Gabriel García Márquez und eine Mutter verstärkt, deren Sohn bei den Studentenunruhen des Jahres 1964 von einem Marinesoldaten ermordet worden war. Während sie alle auf dem erhöhten Podest Platz nahmen, wirbelten auf dem unteren Boden Fernsehsternchen und Altpolitiker herum auf der Suche nach ihren Sitzen, Henry Kissinger schubste sich seinen Weg mit einem weltumspannenden Grinsen frei, Rockefeller bezirzte mit einer angestrengten Liebenswürdigkeit Mrs. Lyndon B. Johnson „Ladybird“ und Henry Ford stach mit frisch blondiertem Haar ins Auge, es war ein Sehen und Gesehenwerden im Inferior, und die feingesellschaftliche Frage „Was, DU auch hier?“ beherrschte das Parkett. Die Hauptdarsteller auf der Plattform dagegen boten vielleicht einen unangenehmeren Anblick, doch auch einen imposanteren: alle Generäle hatten sich hier eingefunden, Videla mit seinem in so wenig Raum gequetschten Gesicht, dass seine fuchsigen Augen kaum noch 41 Platz fanden, Banzer, der kleine furchtsame Mann mit dem sich stark machenden Schnurrbart, und Pinochet, der den Status sofortiger Wiedererkennung erlangt hatte und mit amüsierter Verachtung die hochbezahlten frivolen Hollywoodmenschen unter sich ansah. Graham Greene war nicht der einzige, dessen Blick permanent auf Pinochet zu ruhen schien, der nicht zu sprechen brauchte, nicht einmal zu grunzen, um die Szene zu beherrschen. Zu den Klängen der Nationalhymnen betraten Omar Torrijos und Jimmy Carter die Bühne, bereit, ein Bündnis zu unterzeichnen, das sich in den letzten dreizehn Jahren ständiger Modifikationen und Herumfingerei zu einem Ladenhüter gewandelt hatte. Carter sah jämmerlich unglücklich aus und hielt eine kleine, banale Rede in so zaghafter Lautstärke, dass sie selbst ungeachtet der vielen Mikrophone keinen fünf Sitzreihen standhielt. Torrijos dagegen durchschnitt die Stille, und Graham Greene empfand als zeitweiliger Panameño Stolz für diesen Mann. Er begann seine Rede so, wie er sie ihm vorgetragen hatte, abrupt und ohne eine Begrüßung an den Präsidenten oder die Exzellenzen zu richten, sodass sogar die Berühmtheiten unter ihm zuzuhören begannen. Für einen Moment schien es, als würde er den Vertrag attackieren, den er im Begriff war, zu unterzeichnen. „Der Vertrag ist sehr zufriedenstellend, von gewaltigem Vorteil für die Vereinigten Staaten von Amerika, und, wie wir zugeben müssen, nicht so sehr von Vorteil für Panama.“ Eine Pause und der General fügte hinzu: „US-Staatssekretär Hay, 1903.“ Die Senatoren zeigten sich wenig amüsiert. Aber es war mehr als ein Scherz, den Torrijos sich erlaubt hatte. Er brachte seinen Missmut gegen ein Abkommen zum Ausdruck, das nicht nach seinen Vorstellungen ausgehandelt worden war, denn es quälte ihn, dass sich die Übergabe der totalen Kontrolle über den Kanal bis ins Jahr 2000 hinauszögern würde und dass eine Ausweichklausel eingefügt worden war, die es den Amerikanern erlauben würde, selbst nach diesem Datum zu intervenieren, wenn sie die Neutralität des Kanals gefährdet sehen würden. Wenn der Senat die Ratifizierung des Vertrags verweigert hätte, wäre es für Omar Torrijos kein Grund zur Trauer gewesen, hatte Graham Greene den Eindruck gehabt. Er wäre dann vor der einfachen Lösung gestanden, mit Gewalt seinen Willen durchzusetzen, ein Gedanke, den er schon oft erwogen hatte, zwischen Begehren und Befürchtung schwankend wie in einer sexuellen Begegnung. „Wir könnten Panama City für achtundvierzig Stunden halten“ hatte er einmal gesagt. „Der Kanal ist einfach zu sabotieren, man braucht nur ein Loch in den Gatún Damm zu sprengen, und alles Wasser würde in den Atlantik ausfließen. Die Reparatur des Damms mag zwar nur ein paar Tage in Anspruch nehmen, doch es würde drei Jahre voller Regen brauchen, um den Kanal wieder aufzufüllen, und während dieser Zeit würde ein Guerrillakrieg herrschen. In den Zentralkordillieren bei Costa Rica und in der Undurchdringlichkeit des Darién bei Kolumbien könnten wir zwei Jahre Widerstand leisten – lange genug, um das Gewissen der Welt wachzurufen.“ Im darauffolgenden Jahr, 1978, war Graham Greene ein weiteres Mal auf Einladung von Omar Torrijos nach Panama gekommen. Auf dem Weg nach Farallón, wo der General in seinem Haus am Pazifik auf ihn wartete, hatte er die Rede von Arnulfo Arías gelesen, dem entmachteten Präsidenten, der aus der sicheren Entfernung von Miami aus Schimpftiraden losließ. Er hatte Torrijos als einen Tyrannen beschrieben, 42 der seine Feinde aus Flugzeugen stürzte und Gefangene folterte, als einen ehrlosen Prinzipienverräter, der das Vaterland für eine Handvoll Kleingeld verkaufte wie Judas den Herrn, und wie Judas versuche er, seinem Gewissen durch Ignoranz zu entfliehen, sich selbst einschläfernd mit Alkohol und Rauschgiften. „Sei nicht überrascht, wenn der Psychopath, der in eine Klinik für Geisteskranke eingewiesen gehört, einst in seinem eigenen Hinterhof von einem Baum herabhängt.“ Der Psychopath hatte in seiner Hängematte gelegen, sich mit einem Bein in schaukelnden Schwingungen gehalten und fröhlich mit ihm über die Zukunft diskutiert. Er hatte vor, die Politiker zu überraschen, indem er eine Partei auf die Beine stellte, um sich aus allem herauszuhalten, während sie glauben würden, er täte das, um weiterhin Teil des Systems zu sein. Die interne Politik hatte ihn müde gemacht und war ihm langweilig geworden. Sie würden ihre Waffen in die falsche Richtung feuern und ihre wertvolle Munition in den Wind streuen, um dann festzustellen: Dieser Hurensohn ist wahrlich unvorhersehbar! Mit einem schelmischen Grinsen fügte er an: „Alles, was ich brauche, ist ein Haus, Rum und ein Mädchen.“ Nun schienen die heroischen Tage Panamas vorüber und es fehlte an einem ebenbürtigen Nachfolger, der sich wie Torrijos darauf verstand, mit den Köpfen der Welt zu kommunizieren, sei es Tito, Fidel Castro, Jimmy Carter oder der Papst. Chuchu hatte bemerkt, dass sich Graham Greene während der Fahrt in Stillschweigen gehüllt hatte, auch wenn er sich dafür aufgrund seiner whiskypochenden Schläfen eher dankbar zeigte als besorgt. „Grüble nicht, mein Freund“ sagte er, „du hast für heute noch zu wenig getrunken, um schon in deprimierende Gedanken zu verfallen.“ Nachdem sich bei der Botschaft herausgestellt hatte, dass die Einladung nicht von Fidel Castro ausgesprochen worden war, sondern von der Casa de las Américas und einen Abend mit Tanz und Musik in Havanna betraf, ließ Graham Greene ausrichten, er sei nur an der politischen Situation interessiert und hätte keine Zeit für einen kulturellen Besuch. „Ich hoffe, du bist nicht zu sehr enttäuscht“ entschuldigte sich Chuchu. „Ach was, es tut mir nur ein wenig leid um die Zigarren, die Castro immer so freigiebig ausgeteilt hat. Vielleicht hätte er sogar noch welche mit der Banderole gehabt, auf der Omar Torrijos´ Name stand. Es wäre ein schönes Andenken gewesen.“ 43 44 Grabgespräche Omar Torrijos lag in dichter Dunkelheit. Du bist gewachsen, mein Sohn, stellte er fest und besah sich mit geschlossenen Augen den bäuchigen Mann, der zu Besuch gekommen war. Nun ja, Papito, du hast mich lange nicht gesehen, erwiderte dieser verlegen. Außerdem stehe ich gut vier Meter über dir, das mag ein wenig verzerren. Zugleich kam ihm in Erinnerung, dass nach den Regeln der Perspektive seine Erscheinung dennoch mehr gestaucht denn gestreckt sein würde, und er straffte sein Hemd, strich die Falten hinter den Hosenbund und stellte sich auf die Zehenspitzen, um zumindest nicht noch dicker zu wirken, als er war. Was gibt es, Martín, dass du mich an einem Sonntag aufsuchst? fragte der General aus der Tiefe, beeindruckt vom Grollen seiner eigenen Stimme, das sich in der Enge seines Sarges aufbaute und durch die Erdschichten nach oben sickerte. Er fühlte sich versucht, noch ein markerschütterndes UUAAAH nachzuschleudern, um die Resonanzeffekte bis zu ihrem Höchstpegel auszutesten, unterließ es aber, um seinen Sohn nicht zu verschrecken. Martín strammte seine Haltung bis zum Äußersten, hinderte den Wind daran, in dieser ehrwürdigen Situation respektlos an seiner Krawatte zu zupfen, indem er sie mit der linken Hand fest an seinen Bauch drückte, und mit dem rechten Arm zeichnete er einen Halbkreis, dessen Verlaufsspur zu seiner eigenen Ehre von überspannten Fingern gezeichnet in Kopfhöhe endete, als er sagte Ich bin Präsident! Dem General entkam ein Pfiff der Anerkennung. Respekt! rief er seinem Sohn zu. Wann hast du den Präsidentschaftspalast besetzt? Und bei welcher Gelegenheit? Nein, nein antwortete Martín kopfschüttelnd, nicht besetzt in dem Sinne, Vater. Ich wurde vom Volk gewählt. Ich bin rechtmäßiger Präsident von Panama für die nächsten fünf Jahre. So richtig mit Demokratie und dem ganzen Schnickschnack? Omar Torrijos wälzte sich ungläubig in seinem Grab. Er dachte daran, wie er 1968 an die Macht gekommen war. Rechtmäßiger Präsident, PAH! Arnulfo Arias war auch rechtmäßiger Präsident gewesen, und den hatte er zum Frühstück verspeist. Ganze zehn Tage war er im Amt, dann besuchte er abends mit irgendeiner Liebschaft das Filmtheater, und währenddessen hatte sich Omar des Präsidentschaftspalastes, der Fernsehund Radiostationen, ja der ganzen Nation bemächtigt. Zugegeben, Arnulfo Arias war ein eigenes Kapitel. Von den drei Malen, da er Präsident gewesen war, wurde er eben jene drei Mal aus dem Amt katapultiert, und davon wiederum zweimal, während er sich als Hausfreund einer seiner Damen hingab. Seinen Erfahrungen und Überlegungen nach war das Präsidentenamt so ziemlich der instabilste Posten, den dieses Land zu bieten hatte, und er war sich nicht sicher, ob er sich nicht mehr um seinen Sohn sorgen sollte, als sich für ihn zu freuen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich nicht mehr um dich sorgen sollte, als mich für dich zu freuen, zögerte der General und setzte dazu an, seine Bedenken auszusprechen, aber Martín war schneller und ließ ihn mit stummgeöffnetem Mund liegen. Ich weiß was du denkst und deine väterliche Sorge rührt mich, zumal es keinen sorgenfreieren Zustand als den deinen gibt, aber was weißt du schon von der politischen Situation, in der sich unser Land heute befindet? Seit 23 Jahren 45 liegst du hier am Friedhof Amador, und es würde mich wundern, wenn sich die Ereignisse bis zu dir herumgesprochen hätten. Du weißt nichts von Manuel Noriegas Diktatorendrogenpolitik oder seiner Gefangennahme, die im Zuge der Invasion amerikanischer Truppen stattfand, von der du auch nichts weißt, die das Hauptquartier der PDF, deiner ehemaligen Nationalgarde, zerbombten, aber weit harmloser zerbombten, als die anscheinend extrem treffsicheren ärmlichen Behausungen El Chorrillos, du weißt nichts von Hugo Spadaforas in milchigen Umständen erfolgtem Tod; du weißt nicht, dass seit zwölf Jahren Präsidenten demokratisch gewählt werden, ohne ein paar Tage darauf wieder in der Senkgrube zu verschwinden, nur weil irgendjemand mit dem Wahlergebnis nicht konform geht und seine Nichtanerkennung zur großen Revolte hochstilisiert, du weißt nicht, dass ich schon einmal für das Präsidentschaftsamt kandidiert habe, als die von dir gegründete Partei PRD beschloss, den historischen Kreis, den du mit der Aushandlung der Kanalübergabe an Panama angezirkelt hast, mit der genetischen Selbstverständlichkeit meines Nachnamens zu schließen. Damals habe ich gegen die Arnulfisten verloren und Mireya Moscoso wurde Präsidentin, aber heute verkünde ich dir meinen Präsidentschaftssieg, und es gibt keinen militärischen General, der mich in absehbarer Zeit stürzen könnte, denn es gibt kein Militär, keine Nationalgarde und keine organisierten Bataillone mehr. So wie ich es sehe gibt es keine ernst zu nehmende Alternative zu mir. Omar Torrijos dachte daran, dass er die Alternative immer schon spannender gefunden hatte als die eigentliche Lösung, die für ihn stets etwas Vermeintliches hatte, und gerade der Mangel an Alternativen war es, der auf die Lösung des einhelligen Zuspruchs ein Zwielicht warf und sie als Problem erscheinen ließ. Fragen, die nur eine richtige Antwort erlaubten, waren ihm suspekt. Er hatte wahrlich genug Zeit gehabt, sein Leben zu reflektieren, über seine Macht und Diktatur und was er darin umgesetzt hatte nachzudenken, und im Endeffekt konnte er sich mit der Gewissheit umhüllen, dass die Leute ihn liebten. Er war nicht der Patriarch aus García Márquez´ Roman, der sich diese Liebe einreden musste, er war nicht mal Teil des Konglomerats südamerikanischer Diktatoren, die allesamt charakterliche und amtsanmaßende Vorlagen für jene närrische Figur abgaben, jenen Instantpatriarchen, der um drei Uhr nachmittags aus einer Verwirrung heraus befehlen konnte, es war acht am Abend, und sich Sterne aus Goldpapier an die Fenster seines Palastes kleben ließ, um Recht zu behalten, der aus drei Säcken Billardkugeln ziehen ließ, um das Volk sein Glück beim Lotteriespiel versuchen zu lassen, und doch immer nur selbst gewann, indem er die Kugeln seiner Zahlenkombination Tage zuvor einkühlte, um sie im Gemenge problemlos erfühlen zu können. In Wahrheit sah er sich selbst nicht einmal als Patriarchen, denn wie sehr konnte eine Diktatur überhaupt noch Diktatur sein, wenn sie vom Großteil der Bevölkerung gutgeheißen und beglaubigt wurde? Worin sollte denn zum Teufel die diktatorische Facette seines Traumes von einem sozialdemokratischen Zentralamerika liegen, das unabhängig von den Vereinten Staaten von Amerika existierte und doch keinen Anlass zu militärischen Interventionen bot? In seiner Selbstbeschau hatte er beschlossen, dass er kein Diktator war, sondern ein ungewählter Anführer, wobei er ungewählt in im Geiste ersehnt umwandelte, und in diesem Moment, da sein Sohn über ihm stand und sich stolz Präsident nannte, das Krawattenende zwischen den speckigen Fingern 46 zwirbelnd, wurde ihm bewusst, dass es keinen größeren Liebesbeweis, keinen größeren Ausdruck posthumen Zutrauens der Bevölkerung zu ihm gab, als seinen eigenen Sohn aus freier Entscheidung zum Präsidenten zu wählen. In gleichem Ausmaß wie dieser Gedanke den Alten mit Zufriedenheit sättigte, dass die Bohlen seines Sarges unter dem Druck der Gefühlsblähungen zu Knarzen begannen, ließ er den Sohn über seine unabhängige Einzigartigkeit zweifeln, und sein Erfolg schmälerte sich im Schatten seines mythischen Vaters ebenso wie er selbst. Man fragt sich, ob ich aus den USA nach Panama zurückkehrte, um der Partei zu helfen oder sie zu erben, ob ich zur Politik berufen bin, warum ich Präsident werden will, oder, wie es die Tageszeitung Prensa unumwunden formulierte, was ist dieser Mann in seinen Vierzigern mit seinen tiefschwarzen Augen und dem schwierigen Lächeln noch, außer einfach Omar Torrijos´ Sohn? Sie halten dich für mein zweischneidiges Schwert, das mit der Schneide deiner Popularität für mich den Weg zum Herzen des Volkes freischlägt, aber dessen Einsatz mich zu einem gesichtslosen Nachfolger macht. Sie wollten einen Torrijos, und den Lebendigen von uns beiden haben sie gewählt, in Ermangelung des Toten. Es mag ein wenig Lobhudelei in den Worten von Martín Torrijos gelegen haben, ein letztes Kompliment für seinen alten Vater, der in einem mahagonihölzernen Sarg mit Plüschauswandung und aus Seidengarn gefertigten Stickereien auf eine Bestätigung warten mochte, genauso mag es auch seine ernste Ansicht gewesen sein, die psychoanalytisch nach mehreren Sitzungen zur Steigerung des Selbstbewusstseins verlangt hätte, aber der Antrieb war dem General egal, er hatte keine Lust, die Psyche seines Sohnes zu exhumieren, während er seine Selbstbestätigung bereits in seinen eigenen Gedanken gefunden hatte, und so konnte er mit Überzeugung widersprechen Ich habe damit nichts zu tun. Man weiß, wo ich seit Jahrzehnten zu finden bin, und wer mich sucht, kommt auch zu mir. Ein Volk, das nicht nach seinen Toten sieht, sieht auch nicht nach seinen Lebenden. Ich aber kann von Glück sagen, dass ich fast täglich jemandes Beine von unten sehe, dass mich die Wurzeln von Honolulurosen, Petrea und Hibiskus umschlingen und der Steindeckel meines Grabes von Kerzen beschwert wird, auch wenn sie während der Regenzeit keinen anderen Zweck erfüllen. Bei meinem Begräbnis haben die Tausenden von Trauergästen, die keinen Platz mehr am Cementerio Amador fanden, mit einem derartigen Höllenlärm die Friedhofsmauer umgestürzt, dass ich nahe dran war, aus der Totenruhe wieder aufzuwachen. Ich wurde genug geehrt, um den Rest meiner Fäulnis mit Würde zu erleben. Jetzt ehren sie dich, aber das Andenken an mich ist getrennt davon zu betrachten, denn niemand wählt einen Toten, genauso wie niemand aus purer Melancholie und Vergangenheitsverliebtheit einen Familiennamen wählt. Ein angenehm väterliches Gefühl schlich sich beim General ein, das ihn an Zeiten erinnerte, wo er einen ermunternden Fehler beim Dominospiel begangen hatte, um sich am lauthalsen Erfolg seines Sohnes mitzufreuen, doch schließlich war es einfach die fehlende Notwendigkeit eines Siegestanzes in Gruftschuhen. Martín Torrijos, Präsident, zeigte ein dankbares Lächeln, er küsste den Grabstein, strich sein glattgegeltes Haar zurück, als er sich wieder aufrichtete, er lockerte seine Krawatte ein wenig, während er sich die Schuhe an den Hosenbeinen seiner eigenen Waden säuberte und verließ das Grab seines Vaters. Kubikmeter um Kubikmeter 47 Erde mit all ihren Mikroorganismen war wieder das Einzige, wovon der General umgeben lag, und in der Stille des Besucherschwundes hörte niemand, wie sich ein dröhnendes UUAAAH seinen Weg an die Luft polterte, das von der dichten Graberde in flutwellenartige Schwingungen hochgeschaukelt wurde, gefolgt von einem leisen Kichern. 48 49 50 51 Manuel Noriegas Zellenmonolog „To solve a problem, you have to create the problem.“ Henry Kissinger Mit der ganzen Strenge, die seine buschgrüne Generalsuniform aus widerständigem Drillich ausdünstete, behängt mit den Abzeichen seines militärischen Rangs und den Orden seines militärischen Ruhmes, jagte Manuel Antonio Noriega den fliegenden Ameisen nach, die sich vor dem spätsommerlichen Regenguss in seine Zelle geflüchtet hatten und jetzt zum Zeitvertreib seine Tomatenpflänzchen umschwirrten. Behutsam stülpte er seinen urinverkrusteten Nachttopf über die eine, seinen Stiefel über eine andere Pflanze, verbarg sein ganzes Grün unter Eimern, Gläsern und Schirmkappen, zimmerte einen Unterschlupf aus Bauklötzen und schirmte mit kopfunter verdrehter Mikrowelle seine Zöglinge gegen die einströmenden Insekten ab, und als ihm die Gefäße ausgingen und noch eine Pflanze übrig war, die es zu beschützen galt, besann er sich des letzten gottgegebenen Hohlraums und steckte sie in den Mund, er plusterte seine Backen zu einer Grotte auf und umfasste mit liebevoll zusammengepressten Lippen den Stengel, während er begann, eine Ameise nach der anderen im Flug zu erledigen. Die Letzte erschlug er, als sie gerade Reißaus nehmen wollte und im Regen die geringere Bedrohung erkannt hatte, auf ihrem Weg zurück zum Fenster, an dessen Gitterstäben die Klimazonen kollidierten, die drückende Schwüle eines Sommers in Miami draußen und die klimagekühlte Eisluft seines Gefängnisappartements innen ließen mikroskopisch kleine Gewitterwölkchen entstehen, und er war sich sicher, in höheren Atmosphären würden sie sich addieren, würden verschmelzen und zu riesigen zementfarbenen Wolkenbergen werden, und alles Unwetter, das sich über der Welt entlädt, hätte seinen Ursprung an der Schwelle seines Parapets. Er ballte seine leichengepunkteten Handflächen zu Fäusten und reckte sie hoch in die Luft, und mit dem vertrauten Gefühl der gewohnten Siegespose verwässerten sich seine Augen melancholisch, er hatte gewonnen und brauchte genau jetzt bestätigende Anerkennung, also stolzierte er in den kleinen Vorraum, wo der wachhabende Gefängniswärter zeitungslesend in seinem Stuhl hing, streckte ihm die steifgeöffneten Innenseiten seiner Hände entgegen und verkündete mit selbstfeierndem Pathos Zweiundfünfzig, wobei die so intim behütete Tomate auf den Boden klatschte. Bewahre deinen Glauben, Tony, hörte er einen anderen Gefängnisinsassen ihm durch die vergitterte Eingangstür zurufen, der gerade auf die Behandlung seiner Altweibermigräne oder seiner Messerstichwunde oder seines Genickbruchs in der benachbarten Krankenstation wartete, und reflexartig zuckte er wieder in die Haltung seiner Boxweltmeistergeste und trottete zufrieden in seine Zelle zurück. Im Badezimmer wusch er sich mit pfirsichduftender Seife das Blutpürree von den Händen und betrachtete sich beim Neonschein der Spiegelleuchte im Alibert, und Gut gemacht, Herr General, lobte ihn sein Gegenüber, bravouröse Leistung, und Kinkerlitzchen hörte er sich sagen, sie waren im Angriff strategisch unausgegoren. Hiermit widerrufe ich meine eigene weinerliche Feststellung, ich wäre wehrlos seit dem Tag, da man mir in der vatikanischen Botschaft von Panama City meine letzte Waffe genommen hat, die mir heimlich zugeschanzt worden war und zwischen den 52 päpstlichen Schaumgummimatratzen meines Bettes im so spartanisch möblierten Asylzimmer der Nuntiatur versteckt lag, im polyesterumgarnten Halbschlaf, Uzi meiner Versicherung gegen den inszenierten Ansturm des brodelnden Mobs, dem durch einen einfachen Beschluss zur Aufhebung der botschaftlichen Immunität wider alle internationalen Gesetze und Konventionen der Weg freigestanden wäre, um mit mir „das Mussolini-Ding durchzuziehen“, wie es General Thurman nicht unfreudig in Aussicht gestellt hatte, Tod durch Erhängen und negative Vorbildwirkung durch schaustellerisches Hängenlassen. Ironischerweise war es der Patensohn des illegal in der Nacht der Invasion angelobten Präsidenten Guillermo Endara, der damals die Zimmer reinigte, unschwer zu erraten, wer im Bettspalt nach meiner Waffe fingerte. Ironischerweise bin ich es, der wegen Drogenhandels zu vierzig Jahren Gefängnis verurteilt wurde und nicht Guillermo Endara, der jahrelang als Bankdirektor kolumbianischen Drogenhändlern beim Waschen ihres Geldes zur Hand ging, der als Anwalt eine Scheingesellschaft für Willie Falcon und Sal Magluta gründete, ehemalige Speedboatfahrer, die Tonnen von Kokain in die USA schmuggelten und in Zusammenhang mit zahlreichen unnachgewiesenen Morden zu unbegnadigbaren zweihundertundfünf Jahren verurteilt wurden, nicht Endara, der Verbindungen zu mehr als drei mit Interbanco verknüpften Gesellschaften hatte, einer Bank, die von der Drug Enforcement Administration im Zuge ihrer Untersuchungen der Geldwäscherei für schuldig befunden worden war. Noriega im Spiegel schüttelte verständnislos den Kopf. Das ist weit mehr als du getan hast, sagte er. Wie könnte es weniger sein? Wir beide wissen doch nur zu gut, dass die Zeugenaussagen gegen mich von verurteilten Drogenhändlern mit Nachsichtigkeit und Strafaufhebung erkauft wurden oder von politischen und militärischen Rivalen stammten, genauso wie sämtliche Dokumente über die Beziehungen zwischen mir und der CIA und den gemeinsamen Kampf gegen den Drogenhandel aus meinem Büro verschwunden sind, noch bevor überhaupt der Versuch unternommen wurde, mich zu haschen, alles, was die USA in Verlegenheit bringen hätte können oder meine Verteidigung glaubwürdig gemacht hätte, wurde gestohlen oder zerschnitzelt oder vom Richter unnachgiebig abgelehnt, in die Verhandlung aufgenommen zu werden. Nicht nur, dass wir mit der CIA kooperiert haben, Drogenkönige zu fassen, ich habe auch die erste Drogenkonferenz der südlichen Hemisphäre auf den Plan gerufen und auf der Isla Contadora organisiert. Die Lächerlichkeit der Anklage wegen Drogenhandels manifestierte sich im Schlussplädoyer, als der Staatsanwalt forderte Verurteilen Sie diesen Diktator! Der greifbare General sah sich nach einer Sitzgelegenheit um, denn das Waschbecken stützte ihn nur unzureichend. Er ging ins Nebenzimmer seines Arrests und ließ sich erschöpft in den zerschlissenen Lehnstuhl fallen, dessen Sprungfedern an seiner Hose nagten, als ihm einfiel, dass er seinen Gesprächspartner im Badezimmer zurückgelassen hatte und wieder aufstand, um den Alibert aus seinen Wandhaken zu heben und ihn ebenfalls ins Nebenzimmer zu bitten, doch er fand keinen zweiten Sessel für ihn, und wenn er nicht selbst am Boden liegen wollte um eine Konversation mit Füßen zu vermeiden, dann musste er den Spiegelschrank wohl auf adäquater Höhe positionieren. Durch die kleine Küche, wo er sich beim Anblick der leeren Stellfläche zur späteren Erinnerung vorsagte, er müsse die 53 Mikrowelle wieder an ihren Platz zurückstellen, da das Gefecht ja vorbei sei, ging er in den angrenzenden Innenhof, zerrte seinen antiquarischen Hometrainer aus der Ecke und durch die Küche zurück in seinen Aufenthaltsraum und klemmte den Badezimmerschrank zwischen Lenker und Fahrradsitz gegenüber seines Lehnstuhls fest. Dann nahm er wieder Platz, richtete den Neigungswinkel seiner Wirbelsäule auf sein Gegenüber aus, sodass er mehr im Sessel hing als aufrecht zu sitzen, und war bereit, die Konversation wieder aufzunehmen. Das Problem, das die Ideologen mit Panama hatten, bestand darin, dass sie nicht aus uns schlau wurden, fuhr er fort. Wir machten uns Freunde nach unserem eigenen Wertesystem, unser Militär pflegte respektvolle Beziehungen zu seinen chilenischen Gegenstücken, und als Pinochet an die Macht kam, boten wir so vielen Leuten wie möglich Asyl an. Wir hatten Verständnis für die Revolution der Sandinisten und das nationalistische Streben der Guerillas in El Salvador, während wir den Krieg, den die Amerikaner gegen die salvadorianische Armee führten, für verantwortungslos und unbalanziert hielten. Und dennoch wurde ich von der CIA beharrlich um Unterstützung in ihren Angelegenheiten mit Zentralamerika angefleht, denn ich war an Effektivität nicht zu übertreffen, wenn es darum ging, mit ihrem hartnäckigsten Problemkind zu verhandeln – Fidel Castro. Wie geht die Rinderzucht in Panama vor sich? Wie viele Hektar Land habt ihr pro Kuh? fragte mich Fidel, und ich antwortete mit Stolz: Nun, ich bin kein Agronom oder Rancher, ich kann nur aus meinen Beobachtungen berichten, und wir haben jede Menge Weideland. Ich würde sagen, das Verhältnis von Land zu Kuhkopf entspricht der maximalen Distanz, die eine Kuh innerhalb eines Weidetages zurücklegen kann. Das kann doch nicht sein, erwiderte Fidel bestürzt, wenn die Kühe so viel herumgehen, dann werden sie doch hager und die Milchproduktion leidet. Die Theorie besagt, dass ein zu großes Weidegebiet die Fettungskapazität von Kühen mindert. Mit seinem Sachverstand auf dem Gebiet der Rinderhaltung hat mich Castro ganz schön vorgeführt. Die beiden Noriegas lachten; fast wäre der eine vom Stuhl gerutscht und der andere vom Fahrrad gefallen, aber die Beherrschung fand sie schnell wieder. Die Umkehrung der Verhältnisse, die mich in weiterer Folge als Feind erscheinen ließ, war ein Resultat der Intrigen der amerikanischen Propagandamaschinerie, kombiniert mit taktischen Fehlern von meiner Seite, Opportunismus der wohlhabenden panamaischen Elite und der Blutlust der US-Regierung unter Reagan und Bush. Ich sagte einmal zu oft Nein, als ich mich weigerte, mein Land den Amerikanern als Sprungtisch für Angriffe auf Nicaragua und El Salvador zu Verfügung zu stellen, und das hatte meine öffentliche Dämonisierung als die Inkarnation des Bösen zur Folge, alles aufgebauschte Propaganda, um Rechtfertigung für die Invasion zu erlangen. In Wahrheit gibt es drei Gründe für die Invasion, die alle nichts mit dem legitimen Interesse nach Sicherheit zu tun hatten: Der ausschlaggebendste war wohl der Feiglings-Faktor. Bush wollte dem wachsenden Image von Schwächlichkeit seiner Regierung entgegenarbeiten und die Befürwortung seines Tuns aufrechterhalten. Unsere Erfolglosigkeit in der Unterstützung gegen den Iran und die Besorgnis der rechtsstehenden US-Regierung, mit der anstehenden Übergabe des Panamakanals Einfluss auf die dortigen Operationen zu verlieren, noch dazu wo Japan wirtschaftlich schon in den Startlöchern stand, spielten den Amerikanern weitere Anlässe zum Einmarsch zu. 54 Die Invasion hätte aber vielleicht gar nicht stattgefunden, wenn du dich im März 1988 ein wenig kooperativer verhalten und das Angebot der Amerikaner angenommen hättest, bemerkte der Spiegelschrank, in abnehmender Lautstärke noch vor dem ersten Relativsatz, als er erkannte, dass sich der zusammengesunkene General aufzuregen begann. Walker und Kozak und dieser Psychiater! Auf wessen Seite bist du eigentlich? Ruf dir in Erinnerung, woraus dieses Angebot bestand! General, es wartet in diesem Moment ein Flugzeug auf Sie. Sie können Ihre Familie, Ihre Freunde und alle Übrigen zusammenpacken und sich auf den Weg zum Flughafen machen. Der Präsident hat mich darüber hinaus dazu autorisiert, Ihnen auf der Stelle zwei Millionen Dollar und einen Orden als Ehrung für ihre jahrelangen Verdienste zu übergeben. In diesem ganzen Theater hatten sich Walker und Kozak, die beiden Gesandten des Außenministeriums, ihre Rollen in guter Cop und böser Cop aufgeteilt, während im Hintergrund ein Psychiater saß und mitzählte, wie oft ich blinzelte und mich räusperte, um aus dem Summenergebnis Rückschlüsse auf meine Schwachstellen zu ziehen und die psychologische Kriegsführung in die Wege zu leiten. Hätte ich mich auszahlen lassen sollen und mein Land einfach so den Amerikanern aushändigen? Ich bedaure meine Entscheidung nicht und habe keinerlei Gewissensbisse, aber was in weiterer Folge geschah schmerzt mich, auch wenn das Endresultat dasselbe war – die Amerikaner zwängten uns eine Regierung auf und entließen die Streitkräfte, aber es brauchte dazu einen Kriegsakt, der die Neutralität und alle Grenzen zivilen Benehmens sprengte. Sie nahmen sich die gesteigerte Unzufriedenheit der Öffentlichkeit zum Anlass, die sie selbst hervorgerufen hatten, indem sie zuvor durch Sanktionen unsere Wirtschaft zerstört hatten, auf genau die gleiche zynische Weise, wie sie es mit Kuba und Fidel Castro gemacht hatten, um dann mich der Unfähigkeit zur Aufrechterhaltung der Lebensqualität zu beschuldigen. Als ich noch ein junger Offizier war, gab es zahlreiche Arbeiterstreiks, zu deren Schlichtung man sich an die Nationalgarde wandte, da die zivile Regierung nicht zu ihrer Lösung imstande war. Das Militär hatte eine natürliche Führungsrolle inne, denn die so genannten traditionellen politischen Parteien waren nichts anderes als Interessengruppen, von der wohlhabenden, amerikafreundlichen Schicht gegründet, deren Volksnähe sich darauf beschränkte, in Wahlzeiten in populistischen Wassern zu baden. Im Gegensatz dazu stand die von Omar Torrijos gegründete PRD, die auf dem Volk aufgebaut war und direkten Kontakt zu ihm pflegte. Ich hatte eine klare Vorstellung meiner Macht und verstand mich auf die Politik, aber was ich nicht akzeptieren konnte, war Befehle von den Amerikanern zu erhalten und mich den Launen und Interessen der reichen Elite Panamas unterzuordnen, die einen Hass auf das Militär hegte und alles, wofür es stand. Die Bankiers und Autohändler und Rechtsanwälte waren zugleich die Tennispartner und Dinnergäste der Amerikaner, darum musste der Brutplatz der Korruption ihrer Meinung nach eindeutig beim Militär liegen. Essen, General, rief von draußen ein Gefängniswärter und schlug mit dem Dessertlöffelchen gegen die Gitterstäbe der Zellentür, däng däng, Holen Sie sich’s solange es noch warm ist, und schob es durch die Klappe. Entschuldige mich, sagte Manuel Noriega zu seinem gleichfalls verschwindenden Gegenüber, um gleich darauf mit einem Serviertablett in Händen wiederzukehren. Vergeblich zupfte er am 55 Cellophan, in dem das antisuizidäre Plastikbesteck hygienisch eingeschweißt war und biss es schließlich mit seinen Eckzähnen auf, Die tägliche Vorspeise, bemerkte er murrend, während er lustlos in seinen Kartoffeln herumstocherte, er bekleckerte seine Uniform noch bevor die Gabel zum ersten Mal seinen Mund erreichte und Drecksessen entfuhr es ihm, während er den Teller von sich weg schob. Wenn er sich schon aufregte, dann doch lieber über George Herbert Walker Bush. Während die Invasion vor sich ging und die Stadt unter den Schuttwolken keuchte, erschien George Bush im Fernsehen, lobte seine Truppen und behauptete, seine Invasion – alles, wozu ein Schwächling mit einem Minderwertigkeitskomplex fähig ist - sei eine Befreiung und die Mission lautete, mich zu fangen und der Gerechtigkeit vorzuführen. Was für eine Lüge! Die Amerikaner hatten 12.000 permanent in Panama stationierte Soldaten, sie hätten keine weiteren 20.000 Mann schicken müssen, wenn es nur darum gegangen wäre, mich zu fangen. Wenn du mich töten willst, dann bietest du eine Million Dollar Kopfgeld an für den, der meinen fachmännisch hingerichteten Körper vorweisen kann. Wenn du mich fangen willst, stellst du die gleichen zwei Millionen in Aussicht, mit denen du mich auskaufen wolltest und sparst dabei all das Steuergeld der braven Bürger, das bei der Invasion draufgegangen wäre. Der Grund, warum die Amerikaner nicht so vorgingen, war, weil ihnen ein Gesetz verbot, ausländische Führer zu meuchelmorden; andererseits hatten sie kein Gesetz gegen den Einmarsch in einen souveränen Staat und die Vernichtung hunderter ziviler Menschenleben. Nein, Ziel war nicht, mich zu fangen; sie wollten mich tot. Die PDF sollte zerstört werden, und wenn es Zeit sein würde, den Kanal zu übergeben, dann sollte er sich zumindest im Besitz einer panamaischen Schoßhündchenregierung befinden, die kaum bis keine Besitzansprüche äußern würde. Der General sprach mit Leichtigkeit noch weitere zwei verbitterte Stunden über die Schieflage der Welt, das politische Ungleichgewicht der Macht zwischen nördlicher und südlicher Hemisphäre, die Hinterhältigkeit und Scheinheiligkeit der Amerikaner und ihrer Kunst, Diskreditierungspropaganda zu betreiben, er sprach von unbelastenden Zeugenaussagen und wie sie zu einer Verurteilung werden konnten, von Bush und Reagan und der CIA, Verschwörungen und Komplotten, ohne auch nur ein einziges Mal einer Ablenkung zu folgen oder zu bemerken, wie sein Spiegelbild schon seit geraumer Zeit eingeschlafen war. Schließlich musste es täglich das gleiche Lamento über sich ergehen lassen. 56 57 1 3 1 Wir wollen Frieden, und ihr? Ihr werdet uns nie wieder beugen, denn uns vereint der 2 Yankees raus aus meinem Territorium! 3 Bush: Geh nach Hause! Deine ehemaligen Drogenabhängigen 4 Yankees…erinnert euch an Vietnam und Giron Beach. Selbst eure Mütter rufen „Geht 2 4 Anlass und die Moral. Raus aus Panama! heim!“…Weit weg aus meinem Vaterland! 58 1 3 uns vereint der ter rufen „Geht 1 1 2 2 Danke Amerikaner für eure Anwesenheit Es war keine Invasion, es war eine Befreiung! Es lebe die Freundschaft zwischen Panama und den USA! 3 4 3 4 Just Cause! Nie wieder F.D.P. – Dieser Blödsinn ist aus und vorbei Bush, Endara, Arias, Calderon und Ford und das Südkommando der Vereinigten Staaten - sie leben hoch! 59 CNN Dolores Ryce saß im Senderaum und wartete auf die Visagistin, die sich ihrer unter dem Scheinwerferlicht glänzenden Stirn annehmen sollte, und blätterte lustlos durch die Schlagzeilen. Ich mach dir einen Pony, verkündete diese, nachdem sie getupft und Puder aufgeblasen hatte, ohne dass die Spiegelung auf der Haut der Nachrichtensprecherin auch nur ein wenig matter geworden war, und mit ihrer Rollbürste zupfte sie ein paar Fransen nach vorne und ließ sie verspielt zwischen den Augenbrauen tanzen. Mit geschickten Fingern klemmte Dolores das Mikrophon an den Kragenumschlag ihres Taftkleides, rückte die Schulterpolster zurecht, ließ die Visagistin unangebracht unwirsch wissen, dass sie aus dem Bild gehen solle, und drei, zwei, eins, wir sind auf Sendung. Dolores: Guten Abend, es begrüßt Sie Dolores Ryce zu den CNN News vom 3. Jänner 1990. Manuel Antonio Noriega wurde heute in Panama City festgenommen und wird nach Miami, Florida, überstellt, wo er sich vor Gericht wegen Drogenhandels und Geldwäscherei verantworten wird müssen. Der jahrelange Diktator Panamas hatte sich die letzten elf Tage in der Vatikanischen Botschaft verschanzt, bevor es den US-Einheiten dank psychologischer Kriegsführung gelungen war, ihn zur Aufgabe zu zwingen. Wir schalten nun live nach Panama City zu unserem Korrespondenten Mark Bushbaum. Mark: Guten Abend. Wir befinden uns hier vor der Vatikanischen Botschaft in der Calle 50, wo vor wenigen Minuten der Tyrann des 20. Jahrhunderts das Handtuch 60 warf und sich der amerikanischen Übermacht beugte. Am Heiligen Abend hatte Manuel Noriega in der Nuntiatur um Asyl angesucht, nachdem er vier Tage lang von Versteck zu Versteck gehetzt war, unsere amerikanischen Soldaten dicht auf den Fersen. Papst Johannes Paul der Zweite hatte mitteilen lassen, er werde Noriega nicht an die Besatzungsmacht ausliefern, wolle ihm aber auch kein politisches Asyl gewähren, nichts anderes als eine Scharade, die dem Diktator als „Gast“ zu Unterschlupf verhalf. Neben mir steht jetzt José Sebastián Laboa, der katholische Nuntius. Hochwürden, wieso macht sich die katholische Kirche die Mühe, ein bequemes rhetorisches Hintertürchen zu erfinden, um einen der größten Tyrannen vor seiner verdienten Festnahme zu bewahren? Nuntius: Guter Mann, soviel ich weiß war unsere Botschaft nicht die erste Wahl Noriegas. Aber da Ihre Truppen sowohl die kubanische als auch die lybische Botschaft belagert hatten und der General schlau genug war, zu erkennen, dass er womöglich auch noch als Ausrede für eine Verletzung der Immunitätsrechte gegen die Kubaner herhalten sollte, hatte er sich bereit erklärt, zu uns zu kommen. Mark: Wie meinen Sie das, er hatte sich bereit erklärt? Haben Sie ihn denn etwa eingeladen? Nuntius: Ja natürlich! Mark: Ich würde das Beihilfe zur Flucht nennen! Nuntius: Ich bitte Sie! Wie sollte er denn fliehen? Doch keine zwei Minuten, nachdem er in der Nuntiatur angekommen war, hatten schon 500 Soldaten und Dutzende Panzer das Gebäude umstellt. Ziel war schließlich nicht, ihm eine sichere, bequeme Unterkunft zu bieten, bis Ihre Leute zermürbt wieder abziehen würden, sondern ihn zur Aufgabe zu überreden. Mark: Sie haben also Ihren Gast schlecht behandelt? Nuntius: Lassen Sie es mich so sagen: Wir haben ihn einiger Annehmlichkeiten beraubt. Ich nahm ihm die Waffen ab, schaltete die Klimaanlage aus, sorgte dafür, dass der Fernseher nicht funktionierte und bot ihm keine alkoholischen Getränke an. Mark: Klingt nicht besonders rigoros… Nuntius: Es reichte aus, um seine Nerven zu lockern. Den Rest haben die 10.000Megawatt-Lautsprecher besorgt, die ihr Amerikaner rund ums Gebäude aufstellen ließt, um uns rund um die Uhr mit ohrenbetäubendem Rock zu beschallen, vorzugsweise Go to Hell, Beat it und Nowhere to run. Mark: Das war ein grandioser Schachzug, nicht wahr? Man kann also behaupten, Alice Cooper, Michael Jackson und die Kiss-Formation hätten einen wesentlichen Beitrag zur Aufgabe Manuel Noriegas geleistet. Wie ich sehe, sind die Lautsprecherboxen noch nicht entfernt worden, darum werden wir Ihnen, liebe Zuseher, einen Eindruck vermitteln, was sich in den letzten elf Tagen rund um die vatikanische Botschaft hier in Panama City abspielte. (Auf ein Zeichen Mark Bushbaums hin werden die Boxen angeworfen und geben in infernalischer Lautstärke die siegesreiche Rockmusik wieder, während die Kamera versucht, die vergangene Dramatik in Bildern festzuhalten. Am unteren Rand des Fernsehers werden die Liedertexte eingeblendet und die Zuseher mit einem von Wort zu Wort hüpfenden Ball zum Mitsingen angehalten.) Mark (laut schreiend): Genial! Zurück ins Sendestudio. Mark Bushbaum, CNN. 61 62 63 Dolores: Danke, Mark. Nach insgesamt zweiundzwanzig Jahren hat damit die Diktatur in Panama ein Ende gefunden und das Land liegt wieder in den Händen eines anständigen Präsidenten. Den Dreck, den Manuel Noriega am Stecken hatte, hat unsere Redaktion aus Anlass zu dessen Festnahme in einem kurzen Dokumentarfilm zusammengefasst. Film ab. (Zur Kennmelodie von The Munsters reihen sich Photos und kurze Filmsequenzen aneinander, die alle den General zeigen, bei Ansprachen, beim Erteilen von Befehlen, beim Bad in der Menge, in Uniform, Tarnanzug und Trainingsanzug.) Sprecher aus dem Off: Manuel Antonio Noriega ist gefasst. Panama liegt nicht länger „in den Klauen dieses interessanten Monsters“, wie es der amerikanische Autor und Journalist Richard Kostner formuliert. In seinem Buch In the Time of the Tyrants erstellt Kostner folgendes treffende Psychogramm des Diktators: Klein und untersetzt, angespannt in Haltung und Gebärden, sein rundes Kinn für gewöhnlich kampfeslustig vorgereckt, seine runzligen Wangen oftmals aufgebauscht in unzüchtigem Grinsen, bot General Noriega ein verachtenswert närrisches Bild, nicht wirklich böse, sondern mehr ein Zeichentrickdämon oder B-movie Gangster, ein sich selbst imitierender Edward G. Robinson. Aber wenn seine Züge im Zorn oder Hass schlaff wurden und seine flachen, glasigen Augen zu Eis erstarrten, ließ er durchblicken, wer er wirklich war: der Welt schädlichster Einwohner. Er war einer der großen Rauschgift- und Waffenhändler, mit einem persönlichen Vermögen von vielleicht einer Milliarde Dollar. Er war der absolute Herrscher von Panama, konnte alles von jedem erledigt haben. Und er handelte schweinisch, von Natur aus genauso wie im Auftrag. Als Leutnant vergewaltigte er ein dreizehnjähriges Mädchen und schlug ihren zwölfjährigen Bruder brutal zusammen. Er war federführend, als ein regimekritischer Priester, Pater Héctor Gallego, 1971 aus einem Helikopter in den Tod geworfen wurde. Und als der erwachsene Sohn eines prominenten Juweliers dabei gefasst wurde, wie er Graffiti-Parolen gegen die Regierung an eine Wand sprühte, befestigte Noriega selbst die Elektroden an den Hoden des Jungen und jauchzte vor Freude bei jedem Schrei und jeder Zuckung. Niemand weiß, wer Noriegas Vater war. Seine Mutter starb ein oder zwei Tage nach seiner Geburt. Er wurde von einer ihrer Freundinnen aufgezogen, in einem Slum nahe dem öffentlichen Markt in Panama City. Mit vierzehn wurde er von einem älteren Mann verführt. So steht am Anfang eine tiefe Unsicherheit. Seine Mutter verließ ihn – dass sie starb, macht keinen Unterschied. Und es entsteht eine verzweifelte Sehnsucht nach Liebe, infolgedessen seine Bisexualität, der Versuch, Liebe mit sexuellen Gefälligkeiten zu erkaufen. Addieren wir Selbstekel und die Verachtung der anderen, und während das unheimliche Gesetz des lateinamerikanischen Machismo die Penetration als männlich rühmt, ganz egal, woran sie sich zu schaffen macht – Frau, Mann, Bestie, Melone, was auch immer – beschimpft es das Opfer ohne Mitleid. Unsicherheit züchtet einen unstillbaren Durst nach Macht. Selbstverachtung lindert das Schuldgefühl, das sich aus dem Verlangen nach Macht entwickelt. Lustknabe und Vergewaltiger in einer Person, zwei Perversionen, die sich gegenseitig ausbalancieren. Und, letztendlich, große Willensstärke und Verstand, oder der mittellose Straßenjunge würde wohl kaum überleben, noch weniger zu einem milliardenschweren Despoten werden. 64 Am 20. Dezember 1989, um 0 Uhr 46, schlägt in Panama-Stadt eine Rakete ein und trifft das Hauptquartier Noriegas. Die von Präsident George Bush in die Wege geleitete Operation „Just Cause“ – „Gerechte Sache“ – hat ihren Anfang gefunden. Der Diktator verbarrikadiert sich in seinem Gebäude, während sich seine Elitetruppe Machos del Monte weigert, ihn auszuliefern. Die Amerikaner antworten mit schwerer Artillerie und Luftbombardement. Innerhalb kürzester Zeit stehen ganze Straßenzüge in El Chorrillo in Flammen, es entwickeln sich Straßenkämpfe zwischen Noriegas paramilitärischen „Bataillonen der Würde“ und den US-Soldaten, mehrere hundert Menschen kommen zu Tode. In den nächsten Stunden marschieren zusätzliche 24.000 eingeflogene US-Soldaten ein und bringen binnen weniger Stunden das Land unter Kontrolle, doch von Noriega fehlt jede Spur. Den Ereignissen vorangegangen war eine am 15. Dezember vom panamaischen Parlament ausgesandte Erklärung, das Land befinde sich im Kriegszustand mit den USA, kurz nachdem sich General Noriega zum Regierungschef und zum „obersten Führer der nationalen Befreiung“ ernannt hatte. Als am darauf folgenden Tag ein US-Leutnant erschossen wird, ergreift Bush die Gelegenheit, seinen Ruf als Waschlappen loszuwerden und bläst zum Angriff. Noriega, der mehr als 16 Jahre lang auf der Gehaltsliste des CIA stand und wertvolle Hilfe in Mittelamerika geleistet hatte, vor allem in Nicaragua und Kuba, fiel 1987 in Ungnade, einerseits durch die Entdeckung der CIA, dass er gleichzeitig für den kubanischen Geheimdienst arbeitete, anderseits durch den Vorwurf des Drogenhandels und der Geldwäsche. Zwar war Noriega gerade noch wegen seines angeblich entschiedenen Kampfs gegen die Rauschgiftkriminalität von der USDrogenbekämpfungsbehörde DEA schriftlich belobigt worden, doch jetzt musste er sich selbst vor einem Gericht in Florida gegen gerade diese Anklage verteidigen – immerhin hatte die US-Regierung just in diesem Moment Drogen zur größten Bedrohung der amerikanischen Gesellschaft erklärt. Heute sind die Straßen von Panama City mit jubelnden Menschen bevölkert, die das Ende der Tyrannei feiern. General Manuel Antonio Noriega wird seiner gerechten Strafe zugeführt werden, wegen Drogenhandels, Waffenschmuggels, Geldwäscherei. Und wegen zahlreicher Morde. Dolores: Der Nachrichtensender ABC hatte während der Invasion eine Umfrage in Auftrag gegeben, um die Zustimmung der amerikanischen Bevölkerung auszuloten. Dabei haben sich 80 Prozent eindeutig für einen militärischen Schlag gegen Noriegas Diktatur ausgesprochen, wie wir anhand des eingeblendeten Ergebnisses sehen können. Wir dürfen dabei jedoch nicht vergessen, dass auch 27 amerikanische Soldaten den Tod fanden. Darum haben wir für Sie aufgedeckt, was im Zuge der Invasion schief gelaufen ist. Erstens leisteten Noriegas paramilitärische Organisationen, die sich hauptsächlich rund um sein Hauptquartier in El Chorrillo angesiedelt hatten, weitaus heftigeren Widerstand als erwartet. Das amerikanische Militär war fälschlicherweise davon ausgegangen, dass man Noriega angesichts der Übermacht der US-Streitkräfte freiwillig ausliefern würde. Daraus ergaben sich unerwartet viele Verletzte auf unserer Seite. Und schließlich wurden auch einige US-Soldaten als Geiseln genommen und gerieten damit in die Schusslinie. Auf manchen Dächern der 65 Wohngebäude in Chorrillo hatten sich Scharfschützen versteckt und hielten so über längere Zeit unsere Männer in Schach. Amerika trauert um seine verlorenen Söhne und spricht ihnen seinen Stolz aus, für eine gute Sache, Just Cause, ihr Leben gelassen zu haben. Dolores Ryce für CNN. 66 67 Die Marionettenregierung Unbeeindruckt von seiner dreifachen Amtsenthebung als Präsident und mit der Erlaubnis Omar Torrijos´, er dürfe aus seinem Exil in Miami nach Panama heimkehren, gerade noch rechtzeitig vor dem tödlichen und mysteriösen Flugzeugabsturz des Generals ausgesprochen, schickte sich Arnulfo Arias an, den vierten Präsidentschaftswahlkampf seines Lebens zu führen. Er addierte die Stimmen aller Anhänger oppositioneller Parteien, die eine Koalition gebildet hatten und an deren Spitze er stand, und kam zu dem Schluss, dass die Aussichten auf einen weiteren Wahlsieg gut stünden. Außerdem würde er dieses Mal nicht zulassen, dass weibliche Verlockung seinen Blick auf etwaige Putschversuche verstellen würde, und so heiratete er seine um fünfzig Jahre jüngere Sekretärin, denn die Ehe schien ihm verglichen mit einem losen Verhältnis weit besser dazu geeignet, seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zu widmen als den Frauen. Gleichzeitig ließen zwei weitere Kandidaten ebenfalls ihr Interesse an der Präsidentschaft verkünden. Der eine, Nicolas Ardito Barletta, ließ seinen 76.000Dollar-Job bei der Weltbank sausen, um für die regierungstreue Demokratische Revolutionäre Partei ins Rennen zu gehen, während der andere, Ruben Dario Paredes, seinen Platz an der Spitze der PDF Manuel Noriega überlassen hatte, unter der Bedingung, dass dieser ihn bei seiner Kandidatur unterstützen werde. Allerdings musste er feststellen, dass Noriega nicht bereit war, seinen Teil der Abmachung einzuhalten, nachdem er seinen uniformierten Hosenboden bereits im Stuhl des obersten Befehlshabers des Militärs wetzte, denn er verweigerte Paredes jede Art militärischer Unterstützung für den Fall eines Wahlsieges, was Paredes dazu zwang, unter dem Banner einer anderen Partei anzutreten, und so wurde er als weit abgeschlagener Dritter gehandelt. Ob aus übersteigerter Selbstsicherheit oder aus bloßer Ungeduld, Arnulfo Arias rief sich zwei Tage nach dem Wahlsonntag im Mai 1984 selbst als Präsidenten aus, und wohl wissend, dass die Anhänger der Regierung und das Militär nicht auf seiner Seite waren, warnte er vor gewalttätigen Auseinandersetzungen, sollte sein Wahlsieg nicht anerkannt werden. Aber all seine Vorahnungen bestätigten sich, als es zu Zusammenstößen zwischen seinen Anhängern und denen der Regierung kam und der drittplazierte Paredes verkünden ließ, dem Militär wäre es herzlich egal, dass Arias gewonnen hätte, sie würden den Sieg tatsächlich nicht anerkennen. Zwei Wochen später wurde Barletta, der Kandidat der Regierung, als offiziell gewählter Präsident Panamas angelobt, mit einer angeblichen Mehrheit von 1700 Stimmen, und mit dem Jubelgeschrei über den knappsten Wahlsieg der Geschichte in den Ohren waren alle Reklamationen, dass Arias mit einem Vorsprung von mehr als 20.000 Stimmen gesiegt hätte, übertönt. „Betrug ist nicht gleichbedeutend mit Sieg,“ polterte Arias. „Aber wir haben es hier mit Macht in ihrer rohesten Form zu tun, mit militärischer Macht, die selbst das Wahlkomitee ein Benehmen an den Tag legen lässt, das weit entfernt von jeder normalen Prozedur liegt. Unter solchen Umständen kann man keine Berufung einlegen.“ Am Tag nach Barlettas Angelobung rief Ronald Reagan an, um dem neuen Präsidenten zu gratulieren, und die Schnelligkeit seiner Anerkennung ließ keinen Zweifel aufkommen, dass Barletta nicht nur der bevorzugte Kandidat Noriegas war, 68 sondern auch bei den Vereinigten Staaten Wohlwollen hervorrief. Sie hatten ihren handverlesenen Präsidenten, und dass dieser vom Volk Fraudito gerufen wurde, der kleine Betrüger, tat ihrer Freude keinen Abbruch. Wenn Arnulfo Arias in diesen Tagen gewusst hätte, was sich eineinhalb Jahre später ereignen würde, so hätte er sich seinen Zorn für ein andermal aufgehoben und stattdessen dem Gefühl der Schadenfreude Platz gemacht, oder zumindest einem befriedigenden Glauben an ausgleichende Gerechtigkeit, denn Barletta erlitt das gleiche Schicksal wie Arias selbst schon so oft zuvor – seine Präsidentschaft endete abrupt und unfreiwillig. Das Militär verstrickte sich in den Mordfall Hugo Spadafora, und es wäre Barlettas Aufgabe gewesen, jeden Verdacht zu zerstreuen, der die PDF und Manuel Noriega damit in Verbindung brachte. Barletta aber tat nichts dergleichen, und so wurde er umgehend durch den Vizepräsidenten ersetzt, einen wohlhabenden Zuckerbaron, der sich mehr auf dem Gebiet der Pferderennen als der Führung eines Staates auskannte. Die nächsten Präsidentschaftswahlen im Mai 1989 verliefen um keinen Deut ruhiger. Die Regierungspartei konnte auf die volle Unterstützung des Militärs zählen und sich im Schatten der Illegalität ihre Stimmen einholen, indem sie Mitarbeiter der Regierung unter Androhung sofortiger Kündigung zum Parteibeitritt zwang, genauso wie sie die Gehaltsschecks nur noch an diejenigen aushändigten, die bei den Wahlkampfveranstaltungen der PRD teilnahmen. Die Regierung hatte ihren eigenen Fernsehsender, ihre eigenen Radiostationen und die Macht über das einzige Printmedium des Landes, und ihre Kandidaten wurden mit Militärhubschraubern im ganzen Land bekannt gemacht. Die Opposition dagegen hatte so gut wie keine Ressourcen, und die Regierung achtete darauf, dass das auch so blieb. Busfahrern, die sich für den Transport der oppositionellen Parteien zu den Wahlkampforten bereit erklärten, wurde mit der Entziehung ihres Führerscheins gedroht, und die Medien wurden dazu angehalten, keine Werbespots auszusenden. Aber Guillermo Endara, der Präsidentschaftskandidat der Opposition, trieb gemeinsam mit Billy Ford seinen Wahlkampf verbissen voran, der angeblich von den USA mit 10 Millionen Dollar unterstützt wurde. Es ähnelte psychologischer Kriegsführung, wie jede Seite der Bevölkerung zu versichern suchte, sie würde als Sieger aus der Wahl hervorgehen, um dadurch schwankende Wähler auf die Gewinnerseite zu ziehen. In den letzten Wochen des Wahlkampfes veröffentlichten die Parteien hausgemachte Umfrageergebnisse, in denen sie klar vor den Gegner führten. Während im Mai 1989 die Wahlergebnisse ausgezählt wurden, konzentrierten sich alle Augen auf die Calle 50, wo die Reichen zur Protestkundgebung in ihren Mercedeswägen vorfuhren und ihre parfumgetränkten Gattinnen mit gestärkten weißen Taschentüchern wedelten, in Aufopferung für die gute Sache für ein paar Stunden vom Tennismatch oder vom Pokerspiel im Union Club losgesagt, und wenn die Abendhitze sie zu sehr erschöpfte, ließen sie ihre Dienstmädchen an ihrer Stelle weitermachen und schickten sie los, um auf blankpolierten Teflonpfannen einen wohlklingenden Protestrhythmus zu schlagen. Man hatte mitansehen müssen, wie in gewohnt betrügerischer Manier Anhänger der PDF ihre Stimme abgegeben hatten, um es anschließend an anderer Stelle zu wiederholen. Aber es reichte nicht aus, um einen klaren Sieg der Opposition zu verhindern, und dieses Mal sammelten 69 die Oppositionellen den Großteil der Auszählungsakten der Wahllokale, um ihren Triumph sicherzustellen. Als die Regierungspartei sich aber gleichgültig zeigte und sich trotzdem als Sieger ausrief, führten Guillermo Endara und Billy Ford den Protestmarsch durch die Altstadt von Panama City an. Als sie über den Plaza Santa Ana kamen, wurden sie von Noriegas Bataillonen der Würde attackiert, deren eigentliche Aufgabe die Verteidigung des Landes gegen US-Aggressionen war. Mit Eisenstangen prügelten sie auf Endara und Ford ein, und Bilder von Billy Ford in einem blutgetränkten Hemd gingen um die Welt, der sich nicht bemühte klarzustellen, dass der Großteil des Blutes das seines neben ihm erschossenen Chauffeurs war. Noch am selben Tag wurde die Wahl für ungültig erklärt, während Präsident George Bush amerikanische Zivilisten aus Panama zurückrief und weitere 1900 Truppen sandte, um die Streitkräfte in Panama zu unterstützen. 70 1 1 Guillermo Endara wurde umzingelt und verprügelt, bis er eine große Menge Blut verloren hatte, als er sich dem Militär und dessen Partei entgegenstellte. 2 Billy Ford, gemeinsam mit Guillermo Endara, bot dem Tyrannen Noriega und seiner Partei öffentlich die Stirn. Wir alle erinnern uns, wie Don Billy mit dem Volk an einem Strick zog, während er durch die Knüppelhiebe, die ihm das Militär und die anderen Freundchen versetzten, blutete. Das Alles für die Verteidigung der Demokratie... 2 71 72 Wahlkampf 2004 Hemos caminado juntos, dependiendo la bandera, de la patria llamamos, de esta tierra nuestra. Desde cel momento, de sembrar un gran futuro Con tus manos y las mias, la esperanza nos guía. Vamos que llegamos, juntos de la mano La esperanza de la gente es Martín Presidente Qué bien, con Martín vamos bien La esperanza se siente con Martín Presidente Qué bien, con Martín vamos bien La esperanza de la gente es Martín Presidente La esperanza del pueblo, la esperanza presente (Wir sind gemeinsam gegangen, unserer Fahne treu, Aus dem Vaterland rufen wir, aus dieser, unserer Heimat. Ab diesem Moment sorgen wir für eine großartige Zukunft Mit deinen Händen und den meinen, die Hoffnung führt uns. Wir werden Hand in Hand weiterziehen, Die Hoffnung der Menschen ist Martín als Präsident. Wie gut, mit Martín gehts uns gut, Die Hoffnung wird spürbar mit Martín als Präsident. Wie gut, mit Martín gehts uns gut, Die Hoffnung der Menschen ist Martín als Präsident. Die Hoffnung des Volkes, die gegenwärtige Hoffnung.) Auch wenn es mir unangenehm ist und anmaßend erscheinen mag, da ich dem Leser die natürlichste Voraussetzung der Welt abzusprechen scheine, derer es zum Lesen bedarf, so sehe ich mich dennoch dazu gezwungen, für diese Zeilen um verschärfte Aufmerksamkeit zu bitten. Die vorkommenden Verwicklungen und Verwirrungen erfordern nämlich einen zielgerichteten Geist, und niemand, der nicht ganz und gar bei der Sache ist, wird imstande sein, sie zu lösen, so wie niemand, dem vom Sohn der angeheirateten Frau des Großvaters erzählt wird, wie aus der Pistole geschossen ach dein Onkel sagen wird. Zu allem Übel spare ich nicht mit Namen und Erwähnungen von Zugehörigkeiten, mit Verweisen und geschichtlichen Belangen, und ich selbst muss gestehen, dass ich mich schon öfters im Wirrwarr verlor und an anderer Stelle wieder auftauchte, wo ich gar nicht hin wollte. Aber so ist das nun einmal, wenn man das Phänomen der personellen Verknüpfungen 73 ergründen möchte, und wahrscheinlich ist es nicht einmal ein Phänomen, sondern weit weniger, der ganz normale Umstand, dass ein begrenztes Territorium auch nur eine begrenzte Anzahl an Einwohnern hervorbringt. Zu der Zeit, da ich mich in Panama aufhielt, war der Wahlkampf um die Präsidentschaft in vollem Gange. Vier Parteien hatten vier Männer ins Rennen geschickt, die nun um die Stimmen der Bevölkerung kämpften, und es mag durchaus sein, dass sich ihre Parteiprogramme unterschieden, doch sie waren sich alle einig, wenn es darum ging, lauthals gegen die Korruption zu wettern, der eine den anderen dieses Vergehens beschuldigend und die Taschen voll von Bestechungsgeldern. Was gleich den ersten Verweis zur damals noch amtierenden Präsidentin Mireya Moscoso auftauchen lässt, die jedem der einundsiebzig Abgeordneten des Parlaments nach einer kleinen Gefälligkeit eine Cartier-Uhr zukommen ließ, aber zu ihr kommen wir erst später. In einem Land, in dem es acht Monate im Jahr regnet, würden sich papierene Wahlplakate dank der hohen Luftfeuchtigkeit wellen und falten und die Gesichter der Kandidaten boswillig entstellen, hier eine Delle am Kinn, da eine Frau mit Stiernacken und dort, hinter der aufgedunsenen Nase, bestimmt der Rest eines Mannes, bevor sie sich beim ersten Schauer in Nichts auflösen und sich als Pappmachékugeln auf die Kanalgitter setzen, die Köpfe von vier angehenden Präsidenten und zweihundert zur Wahl stehenden Abgeordneten aller Parteien reduziert auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner, Zellulose. Natürlich ist dies nicht der einzige Grund, weswegen die Wahlwerbung sich also jeder Hauswand und jeder Friedhofsmauer bemächtigte, händisch und ohne Schablonen aufgemalt, denn immerhin gibt es noch den weniger romantischen Grund des Preisvergleichs zwischen Wandfarbe und Plakatdrucken, aber was uns hier mehr interessiert als die Intentionen, weswegen etwas gemacht wurde, ist, was gemacht wurde. In den ärmeren Barrios von Panama City gab es kaum ein Haus, dessen Wandflächen ihre ursprüngliche Farbe behielten; vermutlich kann man sagen, dass das kein Schaden ist, denn von einer Farbe war zumeist schon lange nichts mehr zu erkennen, und so ergriff man die Möglichkeit eines geschenkten Anstrichs, wo sie sich bot, ungeachtet der eigenen politischen Ausrichtung, was ich aus dem Grund zu mutmaßen wage, da sich manche Wohnhäuser gleich allen vier Parteien verschrieben. Im Dschungel aber, wo sich außer ein paar Indianerhütten aus Holz und Bambus, die sich nicht zum Bemalen eigneten, nichts weiter am Straßenrand befand als dichtes Grün, hatten die Wahlhelfer die Aufgabe, vereinzelte freiliegende Steine und Felsen aufzuspähen und diese mit den Farben der Partei zu überziehen. Wenn man nun so wie ich zu Beginn der Werbeoffensive durch die Tropenwälder von Chiriquí fährt und noch nicht auf den parteipolitischen Identifikationsprozess angesprungen ist, wundert man sich nicht unerheblich über leuchtend türkise Steine, die das Dunkelgrün des Dschungels in den Hintergrund drängen. Für die Partido Revolucionario Democratico (PRD) trat Martín Torrijos an, der Sohn des großen Generals, der Mann mit dem größten Repertoire an Wahljingles. Dabei ist Jingle ein viel zu liebliches Wort für das, was hier wirklich darunter zu verstehen war, nämlich keine kurze, einprägsame Parteimelodie, sondern ganze Lieder über friedliche Nachbarschaften und saubere Gehsteige, die mit der Stimmenabgabe für den richtigen Kandidaten endlich Wirklichkeit würden. Und Martín Torrijos erlangte den Status der Omnipräsenz im nationalen Langwellenradio, denn immerhin hatte 74 er sieben mitsingtaugliche Lieder anzubieten, die sich strategisch gefuchst in die Kategorien Ballade, Merengue und Reggae aufteilten und somit in jeder ethnischen Region des Landes eine klare Botschaft verbreiteten. Darüber hinaus hatte er Rúben Blades für einen Song gewinnen können, einen der berühmtesten Sänger Süd- und Mittelamerikas, einen Schauspieler, der sich mit Johnny Depp in Irgendwann in Mexico duellierte und neben Jeremy Irons in China Box auftrat, von dem aber nur die wenigsten wissen, dass er aus Panama stammt. Weshalb dieser Rúben Blades nun so sehr von Interesse ist, hat wiederum damit zu tun, dass auch er sich bereits einmal um das Amt des Präsidenten beworben hatte. 1994 trat er mit seiner alternativen Bewegung Papa Egoro (Mutter Erde) zur Wahl an und landete mit 18 Prozent der Stimmen auf dem dritten Platz, doch wie es in seiner Biographie steht, was macht das schon, Panama hat zwar einen potentiellen Präsidenten ziehen lassen, aber der Salsa wird nach wie vor von einem seiner schönsten Söhne bewahrt. Ein anderer Kandidat neben Martín Torrijos hieß Ricardo Martinelli von Cambio Democratico, der sich selbst die große Auszeichnung verlieh, el candidato que camina en los zapatos del pueblo zu sein, der Mann, der in den Schuhen des Volkes wandelt, was ihn letztendlich dazu anspornte, seinen blanken Bauch im Fernsehen und auf Wahlplakaten zu zeigen, um zu demonstrieren so bin ich, nicht schön, aber ehrlich, ich helfe mit freiem Oberkörper alten Fischern, ihre Netze ins Boot zu ziehen. Im Widerspruch dazu stand sein Reichtum als einer der großen Unternehmer Panamas, denn man möge die Schuhe des Volkes und die Schuhe eines Mannes vergleichen, der nicht nur Präsident der größten Supermarktkette des Landes und einer Importfirma ist, sondern obendrein Teilhaberschaften in Banken, Zuckerfabriken, Bäckereien, Schlachthöfen, Salzfabriken, Mühlen, Wurstproduktionen, Fernsehstationen, Versicherungen, Burger King und Diskotheken besitzt. Kein Wunder also, dass Martinelli bei seiner freizügigen Auflistung der finanziellen Unterstützer seines Wahlkampfes im Internet selbst an erster Stelle stand, wohl Wunder aber, dass auch eine Firma mit 5000 Dollar notierte, deren Präsidentin Vivian Torrijos ist, die Ehefrau seines Konkurrenten. Dann war da noch José Miguel Aleman, der einer einflussreichen Politikerfamilie entstammte und die Partido Arnulfista anführte, die ihren Namen ihrem Gründer Arnulfo Arias Madrid verdankte, dreimaligem Präsidenten Panamas. Nebenbei gesagt war Arias alle dreimal abgesetzt worden; seine erste Präsidentschaft endete nach nur einem Jahr. Er hatte amerikanischen Handelsschiffen verboten, unter panamaischer Flagge zu fahren, um bewaffnet sein zu können, und als er nach Kuba flog um einer seiner Liebeleien einen Besuch abzustatten, meldeten die Amerikaner umgehend der panamaischen Regierung, dass ihr Präsident illegal das Land verlassen hätte und ein neuer Präsident wurde eingesetzt. Ähnlich verlief es bei seinen weiteren Amtsperioden, doch letztendlich wurde der umtriebige Arnulfo Arias sesshaft und heiratete seine Sekretärin, und hier nehme ich nun Wetten entgegen auf den Namen der Ehefrau, die Quote wäre höher, hätte ich bisher schon mehrere weibliche Personen eingeflochten, doch nachdem die kubanische Geliebte und die Sekretärin nicht ein und dieselbe Person sind, bleibt nur noch ein Name übrig: Mireya Moscoso. Eben jener Arnulfo Arias beschloss im Juni 1987, als endlich bekannt gegeben wurde was ohnehin schon alle wussten, nämlich dass ihm das Militär unter General Noriega 75 1984 den Wahlsieg geraubt hatte und daher die Via España voll von Leuten war, die gegen die Regierung demonstrierten, dem Volk entgegenzutreten. Sein Bodyguard stand schon bereit, doch Arias verlangte nach einem Auto mit Sonnendach, um sich im Falle umherschwirrender Wurfgeschoße schnell zurückziehen zu können, und wie es der Zufall will, war der junge Anwalt José Miguel gerade anwesend und der einzige, der einen Wagen mit Sonnendach besaß. Jener Chauffeursdienst markierte José Miguels endgültigen Eintritt in die Politik, auch wenn der Ausgang für Arias damit endete, von Noriegas paramilitärischen Dobermännern in die Flucht geschlagen zu werden, nachdem Arias auf der Welle tausender Gegner des Militärregimes versucht hatte, das Präsidentschaftsamt zurückzufordern. Und schließlich kandidierte noch Guillermo Endara, ein wohlbekannter Name in der panamaischen Politikschleife. Er führte das Land bereits von 1989 bis 1994 an, nachdem er in der Nacht der Invasion und dem Sturz Noriegas angelobt worden war, doch das ist eine eigene Geschichte, die hier nicht ihren Platz finden würde. Seine Spitznamen, und hier sei gesagt, dass Spitznamen in Panama die Visitenkarte eines Kandidaten darstellen und es Abgeordnete mit so klingenden Namen wie „die Blonde“, „der Hässliche“ und Ricardo „Ricardito“ Ricardo gibt, hafteten wohl noch aus der Vergangenheit an ihm, auch wenn er nicht schmäler geworden war, doch das Rennen um den größten Bauchumfang verlor er eindeutig gegen Ricardo Martinelli, und so rief man ihn dennoch Gordito das Dickerchen und Pan de dulce das süße Brot. Und jetzt kommen wir an den Punkt, wo sich alle Fäden kreuzen und die Verwicklungen ihren Höhepunkt erreichen, denn der Präsident der größten Bankengruppe Panamas und zugleich Präsident von Endaras Partei Solidaridad unterstützte gleich lauthals wie finanziell die Kandidatur José Miguels, während der Cousin von Ricardo Martinelli, Guido Martinelli, mit der Schwester Guillermo Endaras verheiratet war und demnach sein Schwager, und General Omar Torrijos, Vater von Martín, hatte seinerzeit Gordito in Arrest genommen und ihn samt Familie nach Miami ins Exil geschickt. Um die Angelegenheit nicht noch unnötig zu verkomplizieren behalte ich weitere Querschläger für mich, wie die schräg gegenüber der Martinellis wohnende Schwiegermutter José Miguels, denn man muss nicht erst die physische Nähe der Kandidatenfamilien erwähnen, um sich ihrer Wegkreuzungen bewusst zu werden. 76 77 78 79 80 81 82 Die Hitchcock´sche Konstante Meine Schilderung mag verwirrend klingen, wenn ich hier versuche, etwas Fantastisches wiederzugeben, doch es spiegelt nur meine eigene Verwirrung, die mich für Wochen und Monate plagte, auf der Suche nach einer Erklärung für etwas Unfassbares, und ich meine nicht unfassbar im verständnisvollen Sinne, denn dazu hätte ich überhaupt erst wissen müssen, was mich verfolgt, sondern eben nicht fassbar, nicht einmal in Worten. Und wenn der Mangel des Fassbaren schon bei den Worten anfängt, wie soll es sich dann erst beschreiben lassen. Natürlich läuft meine Erzählung darauf hinaus, dass ich letztendlich groß proklamieren werde Heureka, ich habe den Schlüssel gefunden, und im Grunde könnte man einwenden, wieso dann nicht gleich damit rausrücken und die Sache nicht weiter unnötig erschweren, doch erst gilt es, nach Verbündeten des unruhigen Gefühls eines Dauer-déjà-vus zu heischen. Jeden Tag, mehrmals womöglich, schien etwas wiederzukehren, doch stets tauchte es in einer anderen Form auf und wechselte wie der Teufel selbst die Gestalt – nicht, dass es sich in schwefelige Wolken hüllte und mir Todesangst bescherte, ach was, eine lächerliche Gemütsregung höchstens, von der ich nicht einmal wusste, dass es sie ausgelöst hatte – doch wie gesagt, es war Grund genug für eine Erinnerungstäuschung, die mir vorgaukelte, eben jenes schon einmal gesehen oder erlebt zu haben. Der richtige Umgang mit derlei Rückbezüglichkeit auf Gegenwärtiges schien mir, im Moment, da es auftauchte, jede Bewegung und jeden Gedanken sofort einzustellen und die Konzentration in vollem Maße auf die Umwelt zu richten. Irgendwann würde ich es entdecken, so wie man Alfred Hitchcock entdeckt, als Schaulustigen, der bei einer Festnahme zusieht, als den Mann, der das Cello trägt, als Passagier neben Cary Grant im Autobus, selbst auf dem Rettungsboot voll mit Schiffbrüchigen in Lifeboat. Das ist meine Lieblingsrolle, und ich muss sagen, dass es mich lange und angestrengte Überlegungen gekostet hat, das Problem zu lösen. Im Allgemeinen spiele ich doch Passanten, doch wo kriegt man auf dem Ozean Passanten her? Ich dachte daran, eine Leiche darzustellen, die in einiger Entfernung auf dem Meer schwimmt, aber ich hatte zu große Angst zu ertrinken. Und es war mir unmöglich, einen der neun Überlebenden zu spielen, denn die Rollen mussten alle von kompetenten Schauspielern und Schauspielerinnen gespielt werden. Schließlich kam mir eine ausgezeichnete Idee. Ich machte damals gerade eine sehr strenge Abmagerungskur, also beschloss ich, meine Abmagerung zu verewigen und gleichzeitig zu meiner Nebenrolle zu kommen, indem ich Modell stand für die „Vorher“ - und „Nachher“ – Photos. Diese Photos illustrierten dann die Reklame in einer Zeitung und priesen ein famoses Mittel mit dem Namen „Reduco“ an. Man sah die Anzeige und mich selbst, wenn William Bendix eine alte Zeitung aufschlug, die wir im Boot untergebracht hatten. Das war mein Plan, und dennoch, zumeist erkennt man die Zusammenhänge erst, wenn man sie nicht vor Augen hat, und so war es in dem Moment, da ich morgens das Handtuch um die Hüften schwang und an nichts weiter dachte als die tropische Hitze, die mich in absehbarer Zeit wieder unter die Dusche treiben würde, als ich nicht nur innerlich und nicht in genauem Wortlaut ausrief Heureka, ich habe den Schlüssel gefunden, Heureka verwende ich äußerst selten im täglichen Sprachgebrauch. Mein Hitchcock war nichts anderes als Botschaften unterschiedlichster Art, die 83 sich fremder Gegenstände als Trägerobjekte bemächtigten, mehr symbiotisch als parasitär. Die Bierdosen transportierten aus Anlass der Feier zur hundertjährigen Unabhängigkeit Panamas von Kolumbien kleine Auszüge über die wichtigsten großartigen Ereignisse der panamaischen Geschichte, Photographien vom Bau der Puente de las Americas, vom Bau des Kanals, von Omar Torrijos. Auf den fahrbaren Ständen der Chicha-Verkäufer und den Schildern über den Köpfen der Fischhändler im Markt prangten Bibelzitate, ohne jeden Zusammenhang zur angepriesenen Ware gewählt. Die Nummerntafeln, die nur am Heck das Kennzeichen verrieten, vorne am Wagen jedoch frei wählbar waren, waren Ausdruck eines Glaubensbekenntnisses wie Jehova es mi pastor oder einer Zuneigung wie Yo amo Gloria. Die Hauswände verkündeten bunt bemalt den nächsten Präsidenten. Und im Telefonbuch fanden sich zwischen den einzelnen Nummern Hinweise darauf, dass man seine Arbeit lieben solle und die Kinder nicht allein zuhause lassen. Selbst Graham Green entdeckte seinerzeit in den gelben Seiten von Panama den Aufruf an die Bevölkerung, wie man sich im Falle eines Atomunfalls zu verhalten hätte, auch wenn es ihm seltsam erschien, Zuflucht unter einem geparkten Auto zu suchen. Eben jene Mitteilungen, die erzieherische Maßnahmen, Religionsbekenntnisse oder Ausdruck der eigenen Identität waren und Dinge zweckentfremdeten, deren eigentliche Funktion in einem ganz anderen Bereich lag, hatten sich in meine offenherzige Rezeption eingeschlichen, wie die dem Gerücht nach in Kinofilmen auf der Leinwand auftauchenden Hundertstelsekundenbilder von Getränken und Unterwäsche. Man weiß nicht, woher das plötzliche Verlangen nach Pepsi oder Wollford Strümpfen kommt, doch man giert danach, es zu befriedigen. Nun gut, der Vergleich hinkt womöglich ein wenig im Effekt, denn weder hatte ich das Bedürfnis zu konvertieren noch mich in Gloria zu verlieben, doch ich hatte mein Vergnügen daran gefunden, das Auftauchen der Hitchcock´schen Konstante zu entlarven. 84 85 86 1 6 1 2 3 7 8 4 9 5 6 2 7 3 8 10 9 4 5 11 10 11 Die Welt liegt in euren Händen – Beschützt sie! Rauchen schadet Ihrer Gesundheit Machen Sie Gebrauch von den Fußgängerübergängen, vermeiden Sie Unfälle Lassen Sie Medikamente nicht in der Reichweite von Kindern und alten Leuten Sparen Sie elektrische Energie Halten Sie die Bestimmungen der Verkehrsordnung ein Fördern Sie unter Ihren Kindern den Sport Machen Sie keinen Missbrauch von öffentlichen Telephonen Bringen Sie Ihrer Arbeit Liebe entgegen Bringen Sie Ihrer Arbeit Liebe entgegen Lassen Sie Kinder nicht allein zuhause 87 88 Meer Nie wird man sicher wissen, ob die Schilderungen eines Binnenländers wahrheitsgetreu und objektiv sind, wenn er vom Meer erzählt. Sobald einer dieser geographisch traurig Benachteiligten den Ozean erblickt, trüben sich ihm die Augen vor romantischer Wehmut, und während er fassungslos vor dem weiten Blick niedersinkt, dem kein Haus, kein Wald und kein Berg dazwischenfunkt, sondern der nichts weiter wiedergibt als Wasser und Himmel, wird er beschließen, im Alter ans Meer zu ziehen. Das ständige Schlagen der Wellen ist ihm Musik in den Ohren und der angeschwemmte Unrat ist eine geheime Mitteilung von einem anderen Kontinent. Nun, wie soll ich sagen: Panama hat gleich zwei Meere. Hätte Österreich ebenso viel Küstenlinie wie Panama, es wäre eine Insel. Der logische Verstand würde behaupten, im Osten trifft der Atlantik auf Panama und im Westen der Pazifik, denn die Meere genauso wie der amerikanische Kontinent verlaufen für ihn von Polkappe zu Polkappe, jeder Atlas und jeder Globus wird es bestätigen. Und doch muss ich dem widersprechen, denn ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Nie geht die Sonne über dem Meer auf oder unter, und das genügt mir, neben dem Verweis auf die detailliertere Kartographie, als Beweis dafür, dass sich die Meeresufer Panamas im Norden und im Süden befinden. Entgegen den Gesetzen der Dramaturgie beginne ich mit der Schilderung des Atlantiks, der Karibik, die für binnenländisches Empfinden die Krone der Schöpfung darstellt, und somit nehme ich das Beste vorweg, denn sie ist nicht mehr zu übertreffen. Aber wir wollen im Meer vor der Stadt enden, denn dessen Beschreibung ist grob gesagt der eigentliche Sinn dieser Geschichte. Wenn man seinen Fuß ins Wasser stellt oder ein Boot betritt oder einen Angelhaken auswirft, hat man Angst, die Karibik zu wecken. Die einzige Regung der Wasseroberfläche scheint man selbst hervorzurufen, denn nicht einmal die Fische springen. Schwimmer simulieren starken Seegang, und Bugwellen werden zu Flutwellen. Die Strände sind nicht aus Sand, sondern aus zerstoßenen Korallen, und in Ermangelung von zermalmender Wasserkraft bleibt nur die Theorie übrig, herabfallende Kokosnüsse hätten die Zerkleinerungsarbeit übernommen. Die Klarheit des Wassers stellt schonungslos alles zur Schau, was sich unter der Oberfläche befindet, denn es gibt nichts zu verbergen. Riesige Seesterne liegen auf dem Meeresgrund, und wenn man sie über dem Kopf im Kreis schleudert, sodass die Zentrifugalkraft das Wasser aus ihren Enden spritzen lässt, dann schwimmen sie für kurze Zeit obenauf, in jedem Fall wird ihnen davon aber schwindlig. Hauslose, wurstdicke Schnecken liegen regungslos zwischen den Korallen und tarnen sich mit unscheinbarem Braun, doch berührt man sie, dann stoßen sie purpurfarbene Tinte aus. Und erst die Fische! Gemächlich tummeln sie sich knapp unter der Oberfläche und blenden mit selbstbewussten Lichtreflexen die sturzfliegenden Möwen. Zwischen der Provinz Bocas del Toro, die sich an der Grenze zu Costa Rica befindet, und dem Gebiet der Kuna Indianer, das im Osten an Kolumbien stößt, verzahnt sich die Karibik fast die ganze Küste entlang freundschaftlich mit den mangrovenbewachsenen Ufern, in denen Alligatoren und kleinere Kaimane den Fischreichtum bewundern. Einzig rund um Colón, der Stadt der zollfreien 89 Handelszone, der zweiten Kanalmündung und der ungeschlagen hohen Verbrechensrate, die nordwestlich von Panama City liegt, gibt es vereinzelt wirkliche Ufer an dieser bodenlosen Küste. Die Korallenstrände, von denen ich vorhin erzählt habe, umringen fast ausnahmslos kleine Inseln, und Inseln hat Panama so viele wie das Jahr Tage. Einmal fuhr ich mit einem Kuna in seinem Einbaum fischen. Mit schweren Paddeln aus Tropenholz schoben wir das Boot voran, während wir nach jedem zwanzigsten Paddelschlag Halt machten, um mit einem alten Blechhelm das einsickernde Wasser zurück ins Meer zu schöpfen, bis zu der Stelle, wo der Indianer einen Mangrovenbaum versenkt hatte, ein alter Trick seines Großvaters, denn am Geäst der Pflanze fangen sich kleine Wasserflöhe und Krebse und locken die Fische an. Unsere Ausrüstung bestand aus nichts weiter als einer Schnur mit Haken und einem Stück Bewehrungseisen anstelle der winzigen Bleikugeln, und kaum dass man den Köder sinken gelassen hatte, konnte man die Leine samt Thunfisch oder Bananenfisch oder Rotbarsch auch schon wieder einholen. Der Pazifik aber ist völlig anders. Die Friedfertigkeit, die sein Name anpreist, ist ihm fremd, er schlägt wütende Wellen, die sich in dem Moment widerwillig zu Türmen aufbäumen, da das Meer beschließt, sich zurückzuziehen. Er markiert seine Flutgrenze mit Spitzmuscheln, Plattsternen und Wasserschneckenhäusern, die er in den Sand spuckt, um bei der nächsten Flut über die Leichtgläubigkeit der Menschen zu lachen und noch weiter vorzustoßen. Nach Belieben zieht er einem den Boden unter den Füßen weg, saugt palmblattgedeckte Ranchos und neugierige Hunde ein, um alles an anderer Stelle in willkürlicher Schichtung wieder freizugeben. Neben der unterschiedlichen Ideologie der beiden Meere hat der Pazifik noch etwas aufzuweisen, was im Vergleich der Karibik zu fehlen scheint: Gezeiten. Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut kann hunderte Meter ausmachen, horizontal betrachtet, und sechs Meter in der Höhe. Aber nirgends ist diese Differenz so stark zu bemerken wie in Panama City, wo der Meersgrund nur kaum spürbar abfällt. Zwölf Stunden am Tag meint man, es gäbe keinen Pazifik, Panama City würde nicht am Meer liegen und die Frachtschiffe, die in Colón die Karibik verlassen und sich durch den Kanal zwängen, würden spätestens nach der letzten Schleuse ihren Rumpf im Schlamm vergraben. Man hält Ausschau nach aufgebrachten Kapitänen, die in lendenhohen Gummistiefeln durch den Meeresgrund waten und Betrug schreien, eiligen Taxifahrern, die der Verkehrsstopfung auf den Straßen ein Schnippchen schlagen und mit angezogener Handbremse Blumenmuster in den weichen Boden zirkeln, und nach Molchen und Leguanen und Pumas, die die Herrschaft über das unbebaute Territorium an sich reißen wollen und den Dschungel mit sich bringen. In der Luft liegen Stoßgebete von verzweifelten Fischern, die die Götter um eine Wiederkehr ihrer Einnahmequelle anflehen, doch niemand stapft hinaus in die Richtung, wo das Meer sein sollte, und stellt demütig Kerzen zur Verdeutlichung seines Anliegens im Schlamm ab, Tausende Lichter, die eine flackernde Linie vor der Küste bilden und das Eintreten der Flut mit einem ohrenbetäubenden Zischen ankündigen. Es scheint, nur ich hätte beim Anblick des ausgefransten Horizonts nicht genug Vertrauen in die Gezeiten, denn von alledem geschieht nichts. Irgendwann, wenn der Mond es bestimmt, wälzt der Pazifik sich wieder aus seinem Versteck an 90 die Küstenmauern, lässt die Schiffe schwimmen und die Pumas ertrinken. Kein dankbares Jubeln oder überraschtes Raunen begrüßt die Rückkehr des Meeres, das nicht mehr zu sehen war und nichts hinterlassen hatte als ein paar schmierige Muschelbänke und graubraunen Schlamm, ein unansehnliches Niemandsland, das weder der Stadt angehört noch dem Ozean. Jedes Mal aufs Neue tauchen entlang der Küstenlinie ein paar rostige Fischkutter auf und verschwinden wieder, an den Wänden der Hafenmolen zählt man fünfzig übereinander gestapelte Autoreifen in endlosen Reihen nebeneinander, die das Zerschellen der Boote bei jedem Wasserstand verhindern sollen, bevor sie sich am Meeresboden für die nächste Flut ausruhen; alles, was die Ebbe freilegt, ist bevölkert von kreischenden Pelikanen, und alles, was die Flut mitnimmt, ist Unrat und Vogeldreck. 91 92 93 94 95 96 97 98 Die Barrios von Panama City Womöglich gibt es so etwas wie globale Schnittpunkte, die von besonderem Interesse für die Weltpolitik oder Kleingruppen versessener Verschwörungstheoretiker sind, die jahrelang in modrigen Kellern insistieren, es kann sich einfach um keinen Zufall handeln, dass die Datumsgrenze in exakt rechtem Winkel auf eine imaginäre Verbindungslinie zwischen Washington und Moskau trifft. In diesem Fall möchte ich die Bedeutungsschwere der Lage Panama Citys zur Sprache bringen. Der Kreuzungspunkt, auf dem die Stadt aufgebaut ist, könnte nicht eindrucksvoller sein, denn in ihm schneiden sich die Verbindungslinie zweier Weltmeere und die zweier Kontinentspitzen. Darüber hinaus sind diese Linien nicht einmal nur rein imaginär, sondern sie sind baulich verdeutlicht, mit reichlich Beton und Asphalt. Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass dort, wo der Panamakanal und die Interamericana und somit ungeahnte Mengen künstlichen Gesteins aufeinandertreffen, eine Stadt entstand. Auch brauche ich nicht weiter zu erklären, wie einfach es für den Piraten Sir Henry Morgan gewesen sein muss, die Ursprünge dieser Stadt zu brandschatzen, wo er sich doch nur an der größten Schatzkarte der Welt zu orientieren brauchte, mit dem Atlas in der Hand und dem unübersehbaren Kreuz, das ihm die Beute signalisierte. Aber von einer Stadt zu sprechen, wenn von Panama City die Rede ist, erscheint hoffnungslos untertrieben, denn vielmehr haben sich über eine große Fläche viele kleine Städte so eng aneinander gedrängt, dass man meinen könnte, es handle sich um eine einzige. Wie bei einem ein lang gestreckten Fleckenteppich heften sich die einzelnen Stadtteile aneinander, die so verschieden sind wie Tag und Nacht, während man die verbindenden Nähte sucht und auf skurrile, manchmal unüberwindbar erscheinende Übergänge stößt. Das einzige Verbindungsglied, das in nahezu jedem Viertel wiederkehrt, ist eine Avenida, die sich vom Westen der Stadt an der amerikanischen Besatzungszone bis zu ihrem östlichen Endpunkt, dem internationalen Flughafen, durchzieht. Sprunghaft wechselt sie mehrmals ihr Aussehen, ihre Breite und ihren Namen, doch an ihr orientiert sich alles und wächst aus ihr heraus. Der Anfang dieses Stadtbandes befindet sich auf einer Halbinsel unweit der Einmündung des Kanals in den Pazifik, im Casco Viejo, was nichts anderes meint als die alten Stadtviertel. Die Häuser hier sind im spanischen Kolonialstil erbaut, doch nur die wenigsten sind restauriert, und die große Mehrzahl wartet auf Zuwendung oder ihren Einsturz. Hier beginnt die Straße der Stadt unter dem Namen Avenida Central, als eine von Geschäften gesäumte Fußgängerzone, wo alles und nichts verkauft wird, durchsetzt von kleinen Wägen und Bauchläden, die durch lautes Schreien auf ihr Angebot aufmerksam machen wollen, Kokosnüsse, Zuckerrohr, Bananen, Raspado, Billigschuhe und illegal erhältliche Dekorationen für die Polizei. Ein paar hundert Meter weiter pumpt eben jene Hauptschlagader der Stadt die Menschenmassen aus dem regen Treiben der Fußgängerzone hinaus und geht eine gefährliche Verbindung mit Kraftfahrzeugen jeder Größenordnung ein. Man wird in das nächste Viertel gespült, ob vom tropischen Regenguss oder von einem enormen Atemstoß der Avenida Central, die, gleichzeitig da sie sich auf einmal von hunderten von Leuten entlastet, im nächsten Moment gerade die gleiche Zahl wieder in sich 99 hinein saugt. Hier ist das Viertel der Möbelverkäufer, der Armut und Kleinkriminalität, in dem die kleinen Straßengeschäfte nur um das massiver und standfester gebaut sind, um etwaige Käufer vor dem Wahnsinn führerscheinloser Busfahrer zu beschützen. Die zaghafte Romantik der Altstadt hat sich in Calidonia in eine bunte, schreiende und allgegenwärtige Attacke verwandelt. Im Anschluss und wieder entlang der Avenida Central, die sich jetzt Via España nennt, befindet man sich an der Schnittstelle zu dem Teil der Stadt, der Banken, Luxuswohnhochhäuser, teure Geschäfte hinter Panzerglas und streng bewachte Parkplätze im Angebot hat. Selbst dort zwängen sich in den Zwischenräumen aus Glas und Stahl und dem Spagat der Klimazonen zwischen drinnen und draußen Chorizobuden, die dem traditionsverbundenen Panameño eine letzte Zufluchtsstätte vor globalisierten Menüs und angepassten Geschmacksrichtungen bieten. Klingende Namen wie World Trade Center, Marriott und Maserati erleuchten überlegen die umliegenden Barrios, und daneben Brachen, die nie die Vermutung zulassen würden, dass man sich in dem Teil der Welt befindet, der die zweithöchste Bankendichte nach den Cayman Islands und noch vor der Schweiz aufweist. Alles ist breiter, höher, glänzender, und nur manchmal deutet ein verwegener Windstoß die Nähe zu den anderen Gesichtern der Stadt an. Ich stieß mich an der Aversion gegen die Süßigkeit und die glänzenden Fassaden ab und landete wieder ein Stück weiter östlich, umgeben von unzähligen gleichen Hochhäusern, die sich einst nur in der Farbe unterschieden, denn von der Farbe war nicht mehr viel zu sehn. Vielmehr war alles grau, braunrotgelblich und trotz der fünfzehn Geschoße konnte ich keinen Lift finden. Der große Omar Torrijos hatte in einem Anfall von sozialer Verbundenheit gegenüber den ärmeren Gesellschaftsschichten mit diesen Blöcken seinen guten Willen kundgetan. Ohne ein wirkliches Bild, sondern mehr mit einer Zusammenstellung aus Bildern einer anderen Welt, kehrte ich nach Balboa zurück. Zurück in die ehemalige Zone, wo in amerikanischer Manier mit symbolträchtigen Elementen eine kontext- und bedeutungslose Kolonie westlicher Zivilisation gegründet worden war. Natürlich lassen sich vereinzelte Elemente in allen Vierteln wiederfinden, wie die Überdachungen von Zufahrten und Eingängen zu öffentlichen Gebäuden, die die gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe erfüllen müssen, einen Besucher in der Regenzeit trockenen Fußes aus seinem Fahrzeug ins Gebäude zu leiten. Auch vermengt sich das tropische Gründickicht an jeder Stelle, der für kurze Dauer der Rücken zugekehrt wird, mit dem Stadtdickicht, schlängelt sich Fassaden hoch und treibt Wurzeln in Fensterbänken und Mauervorsprüngen. Aber die Gemeinsamkeiten zwischen den Stadtvierteln lassen sich an einer Hand abzählen, denn der extreme finanzielle und somit soziale Sprung lässt keine Annäherungen zu. 100 101 102 103 104 105 106 107 108 El Mercado de los Mariscos Man kann es eine olfaktorische Zwickmühle nennen: kommt man frühmorgens auf den Fischmarkt in San Felipe, steigt einem der Geruch von frischem Fisch und Limonen in die Nase, ein angenehm hungernder Duft, wäre der gewöhnliche Magen so zeitig schon ansprechbar. So aber lässt er die Milch im Frühstückskaffee stocken und verleidet einem für den Rest des Tages den Appetit. Entschließt man sich dagegen, den Fischmarkt erst am Nachmittag aufzusuchen, wenn man seine Einstellung gegenüber der Essensaufnahme schon gefestigt hat, dann hat sich der so feine Geruch vom Morgen in eine duellierende Beleidigung verwandelt. Die Frischheit der Fische ist unwiderruflich dahin; sie schreien nach einer Seebestattung, in dem Moment, wo sich der letzte kühlende Eiswürfel um sie in Nichts auflöst. Der Duft der Limonen wird von nasebeißendem Chlor überdeckt, weggespült wie die Leichenteile am Fliesenfußboden, die im Laufe des Tages von den Tischen geglitscht sind. Um drei Uhr beginnt die Reinigungsmannschaft mit der Beseitigung der Schuppen, Gräten, Gedärme, Schwimmblasen und Köpfe. Vom einen Eingang wird das literweise vergossene Chlor mit einem Feuerwehrschlauch verteilt; aus jeder Ecke gesellt sich ein Stück Fisch dazu, da eine Rückenflosse, dort ein Satz Eingeweide, dazwischen die Überreste der Meeresfruchtgesellen, Muschelschalen, Langustenfühler, Krabbenscheren. Sie fügen sich im Wasserstrudel zu Fabelwesen zusammen, schwimmen ein Stück weiter und trennen sich abschiedslos beim nächsten Tischbein. Die ganze Markthalle flutet sich knöcheltief, und schließlich schwappen zweihundert Quadratmeter brodelnde Bouillabaisse am gegenüberliegenden Tor hinaus, ein Wellenbrecher wie aus einem Horrorfilm, fischblutiges Skelettwasser. Draußen stürzen sich Pelikane, Möwen und Aasgeier auf die erbärmliche Beute, zerhacken und zerzupfen sie abermals und verstreuen die Einzelteile auf ihrer Suche nach einem ungestörten Platz zum Verschlingen im ganzen Hafengelände. Kreischende Verfolgungsjagden ziehen sich über die Molen, abgemagerte Hunde entdecken ihr Interesse an Fischgedärmen und versuchen, ihren Anteil abzubekommen. In diesem Spektakel mag man nicht mehr recht ans Fischkaufen denken. Die Mittagszeit stellte sich für meine den wilden Gerüchen und Anblicken von kollidierenden Schlachtresten abgeneigten Ansprüche als beste Besuchszeit des Fischmarktes heraus. Schnell hatte ich auch im Abschauverfahren gelernt, dass es der Langlebigkeit toter Fische zuträglich war, eine Kühlbox mitzunehmen, um den Heimtransport des Einkaufs durch die zersetzende Hitze ohne Vorgarung zu bewältigen. Der Fischmarkt war in einer zweistöckigen Halle untergebracht. Zu drei Seiten hatte er Eingänge: in Richtung des Meeres, in Richtung der beginnenden Avenida Balboa und einen im Westen; dessen übergeordnete Richtung stellte der Besucherparkplatz dar. Die östliche Seite enthielt über die ganze Länge der Wand zwei kleine, billige Marktlokale, in denen die Fischer ihre Mahlzeiten einnahmen. Dementsprechend wurde hier Hühnchen und Rind serviert. Darüber befand sich im Obergeschoß ein Fischrestaurant für die Besucher, ansonsten war es fast zur Gänze frei. Ringsum bildete sich eine Galerie aus, von der aus man dem Treiben an den Ständen zusehen konnte. So stellte ich mir immer den Blick unter die Wasseroberfläche aus einem 109 Glassbottom-boat vor – dass hier kein Glas, kein Boot, nicht einmal das Meer zugegen war, dass die reglosen, schleieräugigen Fische keine funkelnd dahineilenden Lichtreflexe zu mir hochschnellen ließen, beeinflusste meine Vorstellung nicht. Es hätte mich auch nicht verwundert, wenn sie, bei der direkten Methode der Kanalentleerung der Stadt und dem ebenso inkontinenten Schiffsverkehr, gleich so, wie sie hier lagen, einfach mit Netzen aus dem Wasser gezogen würden. Aber es war die Vielzahl der Fische, die mich faszinierte, ihre Aufteilung in Schwärme und die scheinbar strategische Entfernung zu ihrem natürlichen Feind – dem doppeltgrößeren Fisch. Die Anordnung, in der Corvina, Merluza, Pargo rojo, Thunfisch, Dorada, Hai und all die anderen Fischarten lagen, steigerte sich stets von der kleinsten zur größten Sorte. So hatte jeder Fisch zu seiner Rechten einen nur unscheinbar kleineren liegen und zu seiner Linken einen unscheinbar größeren; wären die Schwärme zu Lebzeiten so durchs Meer geschwommen, sie hätten in größter Eintracht gelebt…und wären verhungert. Zu Häufen geschüttet, zu Bergen geschlichtet lagen sie übereinander, selbst tot sichtbar mit der fehlenden Schwerelosigkeit und dem Gewicht der Artgenossen über ihnen kämpfend. Der oberste von jedem Stapel musste als Vorzeigeexemplar hinhalten, er war derjenige, der immer so lange den Besuchern feilbietend unter die Nasen gehalten und anschließend wieder obenauf geklatscht wurde, bis ihn endlich jemand kaufen wollte. Bei den Langusten zeigte man ausgeprägteres Sozialverhalten – sie ließ man in Kleingruppen durch die Finger rieseln, ebenso wie die Muscheln. Und was die Bottiche voll von fertigen Meeresfrüchtecocktails, entschalten Shrimps und Ceviche (rohem, in Limettensaft kaubar gesäuertem Fisch) anging, so plantschten die Verkäufer ein wenig mit der Schöpfkelle darin herum, füllten den Löffel voll und ließen ihn sich aus beachtlicher Höhe wieder in den Trog entleeren. Fünfzig hinter blutbeschmierten, fischfettstakenden Leinenschürzen versteckte Meeresschlächter buhlten so um meine Aufmerksamkeit, von meiner leer geschwenkten Kühltruhe und meinem unentschlossenen Umherschlendern in den glubschäugigen Alleen angestachelt. Deutete ich auf einen Fisch, griff sich der Verkäufer triumphierend seine Machete, unter dem verärgerten salvenartigen Aufklatschen von neunundvierzig Fischbäuchen seiner neunundvierzig beleidigten Kollegen, und zack war die Schwanzflosse ab, zack die Rückenflosse, zack und zack die Seitenruder, ZACK der Kopf. An der Hüfte vorbei wischte er den Schädel und die Außenborder auf den Fliesenfußboden, packte den kompakten, quaderförmigen Restfisch in einen dünnwandigen Plastiksack, knotete ihn zu, in noch einen Plastiksack, knotete ihn zu, und ich breschte mit meinem kunststoffumhüllten Nochsushi von der Sonne verfolgungsgejagt nach Hause. 110 111 112 113 114 115 116 El Mercado Publico Wenn ich dir zuletzt mit der Schilderung der Aufräumarbeiten am Fischmarkt von San Felipe die Magensäure in Wallung brachte, dann solltest du nun, wo ich vorhabe, vom Mercado Publico zu erzählen, weghören. Denn die Anblicke und Vorgänge am Fischmarkt nehmen sich gegen diese aus wie Schneewittchen gegen das Kettensägenmassaker. Nur wenige hundert Meter die Avenida Pablo Arosemena am Meer entlang – und wenn ich hier Meer sage, dann meine ich nicht das hochglänzend klare Türkiswasser der Urlaubsprospekte, sondern die städtische Brühe aus Schlamm und Abfällen, die das Tankeröl dir als Klumpen gegen die Beine spuckt – liegt der Mercado Publico, der öffentliche Markt, der alles anbietet, was sich in der Nahrungskette hinter den Menschen reiht. Das Angebot macht ihn ungleich größer als den Fischmarkt; der größte Indikator aber, der den Zustrom zu einem öffentlichen Gebäude anzeigt, sind die Heerscharen von Lotterielosverkäufern, die sich davor mit ihren klappernden Holztischen aufbauen. Die ganze Frontseite der Markthalle war ein einziges Glücksspiel, und die papierenen Croupiers schleuderten provisionsgetrieben Zahlenkombinationen in die Menge, in der Hoffnung, eine ihrer Numerologien würde in die Aberglaubenslücke eines Spielers treffen und ihn zum Kauf jenes Loses bewegen. Der zweistöckige Markt war ein dunkelrot blätterndes Betongebäude, dessen Obergeschoß sich regenabschirmend über die Losverkäufer und Lieferanten stützte. Stählerne Insektenwaben bildeten die Fassade der Eingangsseite, nicht nur, um den Durchzug feuchter Luft zu erlauben, sondern auch grob genug, die bettelnden Vögel hindurchfliegen zu lassen. Im hohen unteren Raum verengten kleine Stahlkäfige den Zugang, aus denen kleine Verkäufer mit zerrissenen Haarnetzen lugten und händereibend auf kleinen Hockern auf Kundschaft warteten. Die Buden weiter links behängten ihre Gitterwände mit goldenen Kommunionsschuhen und reiz- wie baumwollloser Unterwäsche, während sich die rechtsliegenden Verkaufsbatterien hinter einer aufsteigenden Nebelwand aus Küchendunst und Frittierwolken versteckten. Winzige Garküchen beriefen sich durch ihre Marktnähe auf die Frischheit ihrer Zutaten und schafften es dennoch, Eintöpfe zu produzieren, die in ihrem Geruch und Anblick einen Hauch von Verwesung verströmten. Die Verkaufsausgucke wie die Gänge zwischen den Buden waren zu schmal, um sich für die Dauer der Mahlzeit dort aufzuhalten. Man hatte die Wahl, sich entweder in den größeren Doppelkäfigen zur Köchin zu gesellen und gegen die Friteuse zu lehnen, oder sein dampfendes Plastikgeschirr im Umherwandern mit glühender Hand zu verfluchen. So kam es, dass auch im Reich der linksliegenden Textilstände kreisrunde Portionsteller vereinzelte Dampfsäulen aufsteigen ließen, bis sie sich beim nächsten stahlgefilterten Windstoß wie Fragezeichen in unsichtbaren Geruch auflösten. Hatte man sich durch die Verengungen gerempelt und entschuldigt, lichtete sich allmählich auch der Kochtopfnebel, und der Raum hatte wieder seine volle Höhe erlangt. Zwischen den einzelnen Stützen, die Boden und Decke des Erdgeschoßes zu einer Halle spreizten, standen grobe, massive Stahltische mit mattweißen Arbeitsplatten. Darüber waren fingerdicke Stahlseile gespannt, an denen träge 117 Fleischerhaken baumelten. Wohin man auch sah, lagen auf den Tischen wild in ihre Gliedmaßen zerstückelte Rinder und Schweine, rot über die Tischkante tropfende Bäuche schmiegten sich an grauverschleierte Hüften, auf einem Hackblock lehnten sich staubtrockene Rinderrippenpaare gegeneinander, und über alledem schwebten in erhabener Teilnahmslosigkeit Oberschenkel und Kopfhälften auf ihren Haken. Fast unsichtbar und genauso reglos standen inmitten des Schlachtviehpuzzles die Fleischhauer, im Tarnanzug der weißroten Metzgersschürze, und warteten auf ihren Einsatz. Hatten sie den Auftrag zur weiteren Zerkleinerung eines Fleischstückes erhalten, dann setzten sie die Machete irgendwo zwischen Fett- und Muskelgewebe an, spalteten die lederne Tierhaut ab und hieben so lange auf den fasrigen Fleischbrocken ein, bis die gewünschte Größe erreicht war. Wenn der Verkauf so gut lief, dass ihr Stand bereits an Verlockung einbüßte, gingen sie zum Kühlraum der Markthalle, luden sich eine weitere fliegende Schweinehälfte auf die Schulter und stapften mit knickenden Knien und konvex geschwellter Brust zu ihrem Geschäft zurück. Die Blutspuren am Betonfußboden verrieten, wer sich wie oft schon um Nachschub sorgen durfte; jeder kriminalistische Anfänger bei der Spurensicherung konnte mit Leichtigkeit feststellen, wohin das Opfer geschleift wurde. Ein paar Tische weiter lag ausgebreitet ein Überblick über das heimische Geflügel. Es waren eindeutig nicht alles Hühner, und auch wenn ich mich keinen Hobbyornitologen nenne, so kann ich doch einen Truthahn von einer Wachtel unterscheiden. Aber von innen sehen alle Vögel für mich gleich aus, und diese hier lagen in zwei Hälften gespalten vor mir, durch einen Längshieb vom Hals abwärts getrennt, und nur noch der alles verbindende Kopf stärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl der halben Hühner. Dazwischen lagen stolz einzwei Eier, die eindeutig nicht mehr die Zeit gefunden hatten, gelegt zu werden; war das Huhn aber doch noch dazu gekommen, oder handelte es sich um einen Hahn, dann waren anstelle der Eier Zitronen in die Eingeweide drapiert. Als ich dem Blick eines vom Tisch herabhängenden Hühnerkopfes folgte, starrten wir beide einer Kakerlake nach. Fast konnte man sich in ihren paradiesischen Zustand hineinversetzen; in Wahrheit aber war ich noch nie so über den Anblick einer Küchenschabe erfreut, denn sie brachte als einzige Leben in den von Kadavern besetzten Raum. Und die Verwirrung über diese Wiedersehensfreude, gepaart mit dem festen Entschluss, mein Geld woanders anzulegen, war es, die mich zum Aufbruch veranlasste und mich weitertrieb in das obere Stockwerk. Eine geknickte Rampe führte hinauf ins Obergeschoß. An ihrem Zwischenpodest, von dem aus sie die Richtung des Aufgangs um hundertachtzig Grad wendete, befand sich eine hochgestreckte Mauernische mit einem Kreisbogen. Eine händefaltende Marienstatue betete darin, in Plastikblumen und Lichterketten eingebettet, um ausreichend Nahrungsmittel für alle Marktbesucher, und mit ihr beteten zwei davor stehende alte Frauen, ihre Verschnaufpause mit zusätzlichem Sinn füllend. Überhaupt ließen nur die wenigsten die Marktmadonna unbeachtet, und wenn sie sich nicht auf ein Ave Maria dazugesellten, so fanden sie immer noch eine Kusshand, die sie ihr im Vorbeigehen über den steinernen Fuß rieben. Nicht stehen zu bleiben schien fast so pietätlos, wie auf der Scala Santa in Rom an den versunkenen Nonnen vorbeizuknien, und so hielt auch ich kurz an, mehr aus Neugierde als aus Sorge um die Marktwirtschaft, und bekam einen anerkennend lächelnden Blick der religiösen 118 Verbundenheit von meiner Gebetsschwester neben mir zugeworfen. Noch vor ihrem letzten Amen hatte ich sie überholt und neigte mich weiter die Rampe hinauf. Ein Gang führte geradeaus an Toiletten und einem öffentlichen Telefon vorbei, zwei Einrichtungen, die den hohen Stellenwert dieses Gebäudes kennzeichneten. Aber bedürfnisfrei wandte ich mich nach rechts, wo sich das Obergeschoß als Abziehbild des Erdgeschoßes wieder zu einer Halle öffnete, doch hier lagen keine Schenkel und Flügel tot ausgebreitet auf den Tischen, sondern friedfertig geerntetes Obst und Gemüse. Den meisten Platz nahmen Bananen in allen ihren Variationen ein, bräunlich gesprenkelte Chiquitas verschwanden hinter Bergen von dunkelgrünen Plátanos, die womöglich eine Vielfalt an Zubereitungsmöglichkeiten boten, aber hier doch zumeist unter dem Namen Patacones den Weg in die Friteuse fanden. Dazwischen lagen Yuccaknollen und Yamswurzeln und untropische Kartoffeln. In Summe, schien mir, beschränkte sich die heimische Produktion auf blasses Frittiergemüse. Aber vereinzelt tauchten kräftige unerwartete Farbtöne zwischen den Langweilergemüsen auf, frische Erdbeeren aus dem vulkanischen Boquete im Westen Panamas retteten die farbliche Eintönigkeit ebenso wie Ananas, Papayas, Melonen und Mangos. Es blieb den Südfrüchten überlassen zu schillern. Alles, was hier in diesem Markt angeboten wurde, stammte aus Panama selbst, tropenkompatibles Obst und Gemüse, das aus allen Ecken des Landes über die Interamericana seinen Weg in die Stadt fand. Wenn man aber auf der Suche nach exotischem Gemüse war, was in diesem Fall nichts anderes hieß als die Außergewöhnlichkeit von Karfiol oder Spinat, dann musste man sich an einen der Supermärkte wenden, die ausnahmslos alles führten, von italienischem Parmesan über französische Rotweine, bayrische Weißwürste und zur Weihnachtszeit sogar importierte kanadische Fichtenchristbäume, die mit einer dem Geruch nach an Autoduftbäume erinnernden Glasur lackiert wurden, um nicht bereits am Tag ihrer Einfuhr alle Nadeln noch bei der Grenze abzugeben. Es schien, als müsse jedes Schiff, das den Kanal durchquerte, neben den zu entrichtenden Gebühren ebenso einen kulinarischen Wegzoll hinterlassen. 119 120 121 122 123 124 El Chorrillo, Teil1 Eine Menge Leute haben mich heute prophetisch umgenietet. Mit prophetischen Macheten, die aus gesäbelter Luft bestanden, und prophetischen Revolvern, die sich aus ausgestreckten Zeigefingern und rechtwinkligen Daumenabzügen zusammensetzten und aus zerrissenen Hosentaschenhalftern gezogen wurden, wurde ich prophetisch überfallen und ausgeraubt. Doch an den Anfang der Geschichte, und die beginnt an der Stelle, da ich, und diesmal nicht auf prophetische Weise sondern beschworen real, fast dreifach umgekommen wäre. Ich war in einem Taxi auf dem Weg nach Hause, in einer dieser stoßdämpferlosen Bodenschleifmaschinen, die mehr Kontakt zum Asphalt durch scheppernde Unterböden als durch Gummireifen herstellten und die Erosion der Straßen unaufhaltsam vorantrieben. Die Fliehkraft bereitet einem in solch einem Gefährt nackte Angst, man sieht den Wagen in jeder Kurve zerfallen und versucht sich mit den beschützenden Göttern anzufreunden, die auf dem Armaturenbrett zu einem Tribunal aufgereiht dahocken und einen strafend anstarren. Ich habe nie bereitwilliger zu den Zeugen Jehovas, zu den Anglikanern, sogar zu einem scheinbar heiligen Krokodil konvertiert, als während dieser Taxifahrten. Aber selbst die Pluralität der Glaubensbekenntnisse konnte nichts ausrichten, als im gewöhnlichen Chaos des Spätnachmittagsverkehrs einer dieser Höllenbusse auf unsere Fahrbahn schwenkte, unnötig zu sagen, dass er das nicht vor oder hinter uns tat, sondern auf gleicher Höhe. So schwenkten wir notgedrungen und spontan auch, und in Sekundenschnelle hatte sich der gesamte Richtungsverkehr auf allen Fahrstreifen um eine Bahn verschoben und der arme Teufel rechts außen landete im Graben. Ich werte dies als meinen ersten Tod. Der zweite tat sich in Form eines offenen Kanalschachtes spurtreu vor uns auf, als wir durch Curundú fuhren. In der Regenzeit lagen die Kanaldeckel selten auf ihrem Platz, denn sie behinderten das Abfließen der Wassermassen und das Entweichen des Kloakengestanks, der sich so explosionsartig über die Stadt legte, dass ich der Meinung war, er selbst habe die Deckel abgehoben und weggeschossen, und irgendwo über Nevada würde es Meldungen über erneute UFO-Sichtungen geben. Auf den dritten Tod warte ich hingegen täglich, denn seit ich dem Taxifahrer nicht den verlangten Betrag ausgezahlt habe, sondern auf der üblichen Pauschale bestand, lastet ein Fluch auf mir. Darum wird mein Entschluss verständlich erscheinen, als ich am folgenden Tag den Versuch wagte, von Balboa aus zu Fuß nach San Felipe zu gelangen. Ich spazierte den Cerro Ancón hinab, vorbei an den gepflegten, himmelblau und sanftgelb getünchten Wohnhäusern, die die Amerikaner hinterlassen hatten, an den großzügigen Villen der Kanalkapitäne, die inmitten immerfrisch gestutzter, domestizierter Dschungelpflanzen lagen, vorbei an Mi Pueblito, einer umzäunten Zusammenstellung der verschiedensten Baustile Panamas, wo sich Gebäude im Kolonialstil mit Indianerhütten und Karibenhäusern abwechselten und dem Dreitagestouristen auf disneysche Weise die Vielseitigkeit des Landes verkauften, ich spazierte durch die verträumte heile Welt der ehemaligen Besatzungszone und stieß mit einem Mal an ihre Grenze, die Avenida de los Martires. Vierspurig trennte sie die gediegene Kleingartenidylle Balboas vom Wildwuchs aufgerissener Asphaltstraßen 125 El Chorrillos, ohne die übliche Verbindung durch einen Fußgängerübergang anzubieten. Eine Überquerung schien unerwünscht; die einzige Ampel, beim einzigen, vom Verkehr wegretuschierten Zebrastreifen, war auf Kurzgrün eingestellt, gerade so, als wollte sie den von Balboa Kommenden warnen und den von El Chorrillo Entkommenden zurückhalten. Ich schaffte den Hechtsprung in der Millisekunde der Autorotphasen und prallte an meinen ersten Propheten. Er stellte sich mir in den Weg und fragte, wohin ich wolle, und ich wankte zwischen trotziger Verweigerung an der Teilnahme dieses Verhörs und prophylaktischer Dankbarkeit für die wegweiserische Hilfsbereitschaft, bevor ich ihm erklärte, genau hierhin, genau hier durch, auf meinem Weg nach San Felipe. Und da war sie schon, die erste Ankündigung meiner Sterblichkeit, die erste knochige Fingerpistole, die vor mir herumfuchtelte und mir den Weg in die entgegengesetzte Richtung wies. Wenn ich hier weiterginge, würde ich a) beraubt und b) erschossen, bei nebensächlicher Wertigkeit in der Reihenfolge der Abläufe, denn ich sei weiß, was gleichzusetzen wäre mit reich und eindeutig nicht von hier, hätte unvorsichtigerweise eine Tasche bei mir, die schon allein durch ihr Beuteldasein suggeriert, sie wäre durch Wertsachen so aus der Form, und würde ich in den Spiegel sehen, könnte ich auf meiner Stirn lesen: !HCIM LLAFREBÜ Ich versuchte Hiob klarzumachen, ich hätte nichts bei mir, was einen Diebstahl rechtfertigen würde, ich sei zwar weiß, aber dennoch gleichzusetzen mit mittellos, und das einzige, was in meiner Umhängetasche Beulen verursache, sei mein Teleskopregenschirm, denn zumindest sei ich dafür gewappnet, falls mich der Regen überfallen sollte. Mein sturer Wunsch, El Chorrillo zu durchqueren, festigte ihn in seiner Meinung, meine Einstellung sei nicht gerade lebensbejahend, und so ließ er es sich nicht nehmen, mich zum Schutz zu begleiten, doch an jeder folgenden Straßenecke unternahm er den Versuch, mich von meinem Weg abzubringen. Je weiter wir nach El Chorrillo vordrangen, desto mehr Leute scharten sich um uns und begannen meinen armen Begleiter zu beschimpfen, wie verantwortungslos es von ihm wäre, mich hier durchzuführen, während sie mir ihr ganzes Arsenal improvisierter Fingerwaffen unter die Nase hielten. Eine beleibte Frau befand es schließlich für das Beste, auf der nächsten Polizeistation um ein bis zwei Beamte zu bitten, die mich durch das Viertel begleiten sollten. Also machten wir im Rudel kehrt und gingen die Straße zurück, niemand ließ es sich nehmen, dem Schutztrupp beizuwohnen, aber vor der Polizei angekommen lösten sich alle in Luft auf. Der Schreibtisch des Kommandanten stand auf einem so furchterregend hohen Podest, dass man den Kommandanten selbst aus dem Winkel des Bittsuchenden gar nicht sehen konnte. Ins Leere hinein brachte ich mein Anliegen vor, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass diese Idee nicht mir selbst entsprungen war und mir dennoch sehr unangenehm, woraufhin der Schreibtisch in schallendes Gelächter ausbrach. Dazwischen dachte ich ein mehrmaliges Nein vernommen zu haben, aber ich schien mich getäuscht zu haben, denn drei Polizisten kamen aus dem Hinterzimmer und deuteten mir, mich in den Streifenwagen zu setzen. Während ich noch versuchte ihnen klarzumachen, dass ich keine Photosafari unternehmen wolle, sondern zu Fuß durch El Chorrillo gehen, wurde mir schnell bewusst, dass es auch gar nicht ihre Absicht war, mich durch das Viertel zu chauffieren. Ganz im 126 Gegenteil fuhren sie mich zu den Kollegen des nächsten Reviers und riefen mir beim Aussteigen lachend zu, ich könnte ja hier einmal nachfragen. Aber die Reaktion auf dieser Dienststelle unterschied sich nicht im Geringsten von der vorherigen. Bei diesem allgemeinen Widerstand wagte ich mich an diesem Tag kein weiteres Mal an die Grenzen von El Chorrillo, zumal die Polizeistelle, an der ich abgesetzt worden war, sich ohnehin in meinem ursprünglichen Ziel San Felipe befand. Und gegen Ende des Tages erschien es mir wieder bei weitem ungefährlicher, meinen Heimweg in einem Taxi anzutreten. 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 El Chorrillo, Teil 2 Der Mann, von dem wir zu einem späteren Zeitpunkt erfahren werden, dass er über die Schönheit der Gräber am nahe gelegenen Friedhof wacht und Unkraut gegen Goldkelch und Jasmin tauscht, stand in seiner Wohnungstür und schabte sich mit einem hundertjährigen Einwegrasierer den weißen Bart, und im Rhythmus des Merengue, der sich aus seinem Wohnzimmer an ihm vorbei schlich und über die Straße legte, die Stadt einzunehmen hatte er sich für später vorbehalten, klopfte er die Klinge am Türstock aus. Die tiefe Sonne blendete ihn und der Mann zwinkerte, für einen derartigen natürlichen Reflex hielt es zumindest die Nachbarin, aber hätte man ihre Tochter nach dem Auslöser für das Zwinkern des Friedhofsgärtners gefragt, sie hätte ohne Eitelkeit sich selbst als Grund angegeben, denn auf sie richteten sich die meisten der Augenaufschläge. Gleichzeitig drehte ein wenig weiter die Straße hinunter eine Frau ihre Chorizos über einem rostigen Ölfassgrill, die Würste rankten sich in Spiralen die Holzspieße hinauf, während die Flammen unter den Salven der Fetttropfen nach ihnen ausschlugen. Ihre Kinder, die in naher Zukunft in einem steinernen Becken das beruhigte Meerwasser wieder aufschäumen lassen werden, ließen verschiedenste Gegenstände in einen offenen Kanalschacht fallen und lauschten den Geräuschen, die aus der Tiefe nach oben schallten, je nach Gewicht und Größe der Dinge erfreute sie ein schläfriges Gurgeln genauso wie ein lautes Aufklatschen. Eine Hauswand warb in Rot, Gelb und Violett für einen Señor Abraham, macht Abraham zu eurem Abgeordneten, denn er ist derjenige, der sehr wohl arbeitet, während die nachfolgende Wand dem zwar nicht widersprach, doch sich für Sergio „Chello“ Galvez aufgrund seines großen Herzens stark machte. Davor hatte sich eine ganze Familie auf ihren Plastikstühlen niedergelassen und tat nichts weiter, als die anderen Familien zu beobachten, die nichts weiter taten und so weiter, gelegentlich unterhielten sie sich mit lauten Rufen über die Straße, die sich durch meine offenen Seitenfenster den Weg bahnten, als ich an ihnen vorbeifuhr, und einige der Worte schleifte ich im Innenraum meines Autos ein Stück mit, bis sie bei einer anderen Familie wieder freikamen und Verwunderung über die brüchige Botschaft hervorriefen. Die Wohnräume von El Chorrillo, die sich gleich hinter den Eingangstüren befanden und ohnehin völlig einsichtig waren, um eigentlich den gegenteiligen Effekt des unbehinderten Ausblicks zu gewähren, stülpten sich an regenfreien Tagen auf die Straße. Ich fuhr zwischen Esstischen und Fernsehapparaten hindurch, zwischen schlafenden Großvätern und bohnenklaubenden Köchinnen, in jeder Straße von El Chorrillo stand ich unmittelbar im Privatleben der Bewohner. Die, die in den mehrstöckigen Gemeindebauten zuhause waren, trugen nur das Nötigste hinunter auf die Straße und waren zu Gast bei den Holzhausbewohnern und denen, die in vergitterten Ziegelhäusern wohnten, mit Vogelkäfigfenstern und Tigerkäfigbalkonen. Ich will nicht verhehlen, dass mein Blick auf dieses Stadtviertel womöglich durch wildromantische Fantastereien ein wenig verfälscht war. Es mögen Leute kommen und sagen, auch ich war in El Chorrillo, aber ich sah etwas völlig anderes als du, meine Erzählungen würden sich aus Hauptworten wie Armut und Kriminalität und Adjektiven wie schmutzig, zerfallen und unsicher zusammensetzen. Ich gebe zu, dass Worte dieser Art mir ebenso in den Sinn kamen. Der Grund, warum meine 137 Schilderungen dennoch beschönigend wirken, liegt darin, dass El Chorrillo meiner Vorstellung von Panama City am nächsten kam. Es ist eines der wenigen ursprünglichen Barrios, deren Leben und Straßenbild nicht von nordamerikanischer Künstlichkeit verzerrt ist. Es ist das Erscheinungsbild, das bleibt, wenn man die Fassade von internationalen Banken, Geldwäscherei und Korruption verschwinden lässt. Darum mag jemand anderer erzählen, er sah, wie zwischen den Wohnhäusern von El Chorrillo ein alter Mann auf einem Schutthaufen saß und Altmetall in seinen Beutel sammelte, aber ich werde womöglich sagen, der König des Mühlespiels suchte nach einheitlichen Bierkapseln als Spielsteine für seine nächste Partie. 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 Erstmalig im Weltengeschehen schien der Pazifik eine Winzigkeit weniger Wasser zu führen an dem Tag, da ihm Rogelio Agustines Marón während der Flut ein Becken mit den Ausmaßen zwei mal zwei mal fünf Meter voll abzweigte. Deswegen werden die Schiffskiele auch nicht am Boden schleifen, hatte er sich gedacht, und keine Frage, dass er Recht behielt. So wie Rogelio es sich vorstellte, sollten mit der Flut camarones über seinen Beckenrand geschwemmt werden, und da jedermann weiß, dass nur dressierte Zirkusshrimps wahre Meister im Hochsprung sind, würden es jene manövrierunfähigen Allerweltsshrimps nicht zurück über die Mauer schaffen, wenn erst wieder die Ebbe einsetzte, und somit hätte Rogelio Unmengen erstklassiger Fischköder. Allerdings hatte Rogelio nicht mit der Überzeugungskraft seiner Kinder gerechnet, die, kaum dass er das Becken fertiggestellt hatte, stock und steif behaupteten, es wäre wesentlich sinnvoller, sie würden das Bassin als Schwimmbad benutzen anstelle der Shrimps, was mehr Sauberkeit hinter den Ohren und ein Ende der Schürfwunden, die der beizeiten recht wütende Ozean verursachte, bedeuten würde. Und da Rogelio einsah, dass Langusten und Kinder nicht in Eintracht miteinander baden konnten, da stets einer den anderen zwickte oder zertrat, baute er ein zweites Becken vor dem ersten, ein wenig niedriger, damit nicht versehentlich Shrimps über den Rand schwappten, um seine Kinder machte er sich keine Sorgen, die schwappten nicht so bald wo über. Als er damit fertig war erschien es ihm jedoch wunderlich, dass die Ausbeute bei Weitem nicht so groß war wie erhofft, nicht einmal eine Handvoll Köder sammelte er in der ersten Woche ein. Was er sich aber noch weniger erklären konnte waren die kopfüber im Schlamm steckenden toten Fische, die sich jedes Mal bei Ebbe rund um das Shrimpsbecken befanden. Um dem Rätsel auf die Spur zu kommen, legte er sich auf die Lauer, und es war ein ernüchterndes Schauspiel als er mitansehen musste, wie gleichzeitig mit den Shrimps etliche Fische von den Wellen ins Becken gehoben wurden, die sich paradiesisch grinsend sofort daran machten, alles zu vertilgen, noch bevor man die Möglichkeit gehabt hätte, einen Angelhaken mit ins Spiel zu bringen, um dann in diesem orgiastischen Durcheinander das Einsetzen der Ebbe zu übersehen und mit einem panischen Seehechtsprung und deutlich gemästet über die Beckenkante in den Morast zu fallen. Rogelio musste sich eingestehen, dass er etwas Derartiges nicht einmal annähernd bedacht hatte, aber schon nach nur einem grüblerisch zugebrachten Abend hatte er die Lösung ausgearbeitet. Gleich am nächsten Tag befestigte er zuallererst ein grobmaschiges Gitter über dem Shrimpsbecken, um ein Eindringen der Fische zu verhindern, bevor er sich daran machte, ein drittes Becken zu bauen, denn der umherliegende Fischreichtum hatte ihn zugegebenermaßen nicht kalt gelassen, und wenn es auf diese Art möglich war, Fische zu fangen, dann konnte er die Köder genauso gut verkaufen, oder umgekehrt, je nach Bedarf. Währenddessen konnten diejenigen, die Rogelios Treiben schon seit längerem beobachtet hatten, ihre Begeisterung wie ihren Neid nicht mehr verbergen, erst recht nicht, nachdem auch der Plan mit dem Fischfangbecken aufgegangen war, denn um die Fische vor ihrem Todessprung zu bewahren hatte Rogelio zwei Handbreit unter dem Rand Löcher gebohrt, durch die das Wasser abfließen konnte und somit die Entfernung zwischen Wasseroberfläche und Freiheit zur unüberwindbaren Distanz machte. Bald grenzten also an Rogelios Schwimmbecken, Shrimpsbecken und Fischfangbecken zahlreiche weitere Becken, aber nicht, weil man fürchtete, der 153 Bestand an camarones oder Fischen könnte bald erschöpft sein, sondern weil nun einmal jeder seine eigenen Vorlieben hat, spezialisierte sich der eine auf Krebsfang und wieder ein anderer errichtete einen Auffangbehälter für angeschwemmtes Altmetall, das zwar nur zehn Cent pro Pfund einbrachte, aber sich in derart rauen Mengen ansammelte, dass man meinen konnte, Mutter Natur würde ihren Lieblingsrohstoff ausscheiden. Wenn die Flut hochstieg und die Beckenlandschaft unter dem Wasser verschwand war kein Unterschied auszumachen, aber sobald sich das Meer zurückzuziehen begann, standen Rogelio und die anderen aufgereiht an der Ufermauer und betrachteten, wie sich die Shrimps dahin, die Fische dorthin aufteilten, als gäbe es ein übergeordnetes Leitsystem, und nichts anderes war es ja wohl auch, was sie geschaffen hatten. 154 155 156 157 Señor Valeño würde wohl als der geschäftstüchtigste Mann seines Viertels in die Geschichte eingehen, wäre bekannt, wie er es geschafft hatte, sein Geschäft zum Florieren zu bringen. So aber, weil die Gründe für seine höheren Einnahmen einer glücklichen Schicksalsfügung zugeschrieben wurden, wurde er lediglich als des Viertels prächtigstes Glückskind gehandelt. Niemand hatte das Erdbeben gespürt, niemand hatte von den Regalen gefallene Gläser oder gar geborstene Hauswände zu beklagen, und so schrieb man es Gottes Umsicht zu, dass er die tektonischen Platten mit so zarter Zurückhaltung verschoben hatte, ohne dabei jemandem auch nur den geringsten Schaden zuzufügen. Genauer gesagt beschränkte sich das Ausmaß dieser unscheinbaren Verwüstung auf eine kaum mehr als drei Finger hohe Stufe, die sich über die Calle 31 zog, von einer Straßenseite zur anderen. Die einen meinten, die Erde müsse über Nacht beschlossen haben, sich ein neues Aussehen zuzulegen, während die anderen behaupteten, sie hätte wohl nur schlecht geträumt und sich im Schlaf ein wenig gewälzt, aber da die Stufe plötzlich am darauffolgenden Tag nun einmal da war und mit Bestimmtheit gesagt werden konnte, dass es sie am Vortag noch nicht gegeben hatte, war man sich zumindest einig, das Beben hätte sich in aller Dunkelheit zugetragen. Aus nur allzu verständlicher Gottesfurcht sympathisierten die Bewohner der Calle 31 mit ihrer unverhofften Stufe und stellten Kerzen und Gebetskärtchen an ihre Ränder, die zwar nicht darum baten, weitere Stufen zu senden, doch für den Fall, dass dies vorgesehen wäre, sollten sie die zaghaften Dimensionen der ersten beibehalten. Unter eben jenen Andächtigen befand sich auch Señor Valeño, der es sich nicht nehmen ließ, täglich ein kleines religiöses Opfer zu hinterlassen, was wiederum niemanden verwunderte. Denn, wie bereits angemerkt, hatte die Stufe nicht unerheblichen Einfluss auf sein Geschäft genommen. Señor Valeño war Mechaniker, und seine Autowerkstätte befand sich genau an der Stelle, wo sich die Erde das Bisschen aufgebäumt hatte, nur wenig unterhalb der vielbefahrenen Avenida A. Dennoch war vielbefahren eine relative Einschätzung der Lage, denn wer nicht eben diese Straße für seinen Heimweg benutzen musste, der umfuhr diesen zwielichtigen Stadtteil auf der Interamericana. Und wer auf der Interamericana eine Panne hatte, der konnte damit rechnen, dass ihm sein Wagen direkt vor einer Werkstatt einging, so groß war das Angebot. Berechtigterweise, muss man sagen, denn der Zustand der Asphaltdecke war für derlei Reparaturdienste eine wahre Goldgrube. Also beschränkte sich Señor Valeños Kundschaft auf die nähere Nachbarschaft, und er hätte sein Auskommen damit gefunden, wenn nicht der Teufelskreis der Freundschaftsrabatte in seiner Kasse das Sagen gehabt hätte. Gab er einen Preisnachlass, dann blieb ihm weniger als ihm seine monatliche Abrechnung abverlangte, gab er keinen, dann blieben ihm die Kunden fern, so oder so hatte er einen Mangel zu bewältigen. Nun allerdings, durch diese wunderliche Bodenerhebung, nahm die Zahl fremder Kundschaften zu, die nicht liebäugelnd auf Vergünstigungen pochen konnten. Beim allgemein miserablen Zustand der abgewetzten Autoreifen hatte es noch nie viel gebraucht, um diese zum Platzen zu bringen, doch hier und jetzt hatten sie die Möglichkeit, ihre Güte auf die Probe zu stellen. Das bescherte Señor Valeño zumindest einen Kunden täglich, an guten Tagen bis zu drei, denen er zum vollen Preis die Reifen flicken konnte. Nun aber zu der Stelle, wo der Geschäftsmann Señor Valeño ins Spiel kommt. Aus 158 den besagten Gründen der Auftragslosigkeit und Geldknappheit war in Wirklichkeit er der Schöpfer der Stufe, nicht Gott und nicht die alptraumgeplagte Mutter Natur. In seiner Verzweiflung hatte er daran gedacht, mit einem Presslufthammer die Straße aufzureißen, um jenen Effekt der platzenden Reifen herbeizulocken, doch der Lärm hätte ihn verraten. Also hatte er in der Nacht heimlich eine Stufe asphaltiert. Er tat nicht minder verwundert als die übrigen Straßenbewohner, als die Stufe am nächsten Morgen entdeckt wurde, und wenn er zu Gesprächen hinzukam, wie in aller Welt denn etwas derartiges geschehen könne, ließ er wie nebenbei die Bemerkung fallen, die tektonischen Platten könnten sich doch verschoben haben. Die Kerzen, die er anzündete, hatten nichts mit Gotteslästerung im Sinn, aber im Gegensatz zu allen anderen dankte er für die Zunahme seiner Aufträge und Gottes Gnade in diesem Belang. Es wäre aber nicht angebracht, Señor Valeño wegen seiner Unternehmung vorschnell zu verurteilen. Er handelte aus einer moralischen Verpflichtung heraus, die vielleicht nicht auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen mag, aber dennoch ihre Berechtigung findet. Zumindest hatte er es sich soweit eingeredet, dass er letztendlich davon überzeugt war, eine gute Tat vollbracht zu haben, und irgendwann würde er mit der richtigen Argumentation seinen Freunden davon erzählen. Die Stufe, würde er sagen, fungiert als erhobener Zeigefinger. Jeder weiß um den schlechten Zustand seiner Reifen, und keiner tut etwas dagegen. Sie warten nur darauf, dass alle Viere zugleich die Luft aushauchen, aber es kommt ihnen nicht in den Sinn, dass das bei voller Geschwindigkeit geschehen könnte. Meine Stufe liegt in einer ruhigen Nebenstraße, man fährt mit gedrosseltem Tempo über sie hinweg, und wenn nichts passiert, schön. Aber wie glücklich kann man sich doch schätzen, wenn einem bei diesem lächerlichen Höhensprung und dieser lachhaften Geschwindigkeit ein ganzer Satz Reifen zu verstehen gibt, dass er ausgewechselt werden möchte! Wie dankbar kann man sein, dass ein weitaus schlimmeres Unheil durch einen kleinen Patzen Asphalt abgewendet wurde! 159 160 161 Die Entstehung der dreiundzwanzigsten aller bisherigen Stufen war ein Resultat übermäßiger Betrunkenheit jener Arbeiter, die von der Stadtverwaltung den Auftrag bekommen hatten, die paar Bäume, oder wie es in der Verwaltungssitzung beschönigend ausgedrückt worden war, den kleinen Park am südlichen Ende der Calle 31 mit Randsteinen zu umfassen, um den Ausweichverkehr zwischen den alten Mimosen und den jungen Marañonstämmen in Zaum zu halten. Nach schwellüberschreitendem Trinken weißen Industrierums sahen sie mehr Bäume, als in Wirklichkeit vorhanden und ihnen lieb waren, und fluchend versetzten sie einen Stein um den anderen, bis sie schließlich am gegenüberliegenden Straßenrand umfielen und ihren Rausch ausschliefen. Somit endete die Einfassung des Parks abrupt in einem unbebauten Landstrich hinter der Ruine des einstmaligen Mercado Peripherico. Als der Bezirksrat die Nachricht erhielt, er könne die fertige Arbeit nun besichtigen, fielen ihm zuallererst die sanftmütig unter den Bäumen parkenden Autos auf, denn in der leidenschaftlichen Zuwendung, die der unendlich scheinenden Längsseite des Parks entgegengebracht worden war, hatten die Arbeiter die übrigen drei Seiten grob vernachlässigt und aus Mangel an Randsteinen offen gelassen. Hingegen war ausreichend Zement geliefert worden, um die Steine richtiggehend darin zu versenken und für die Ewigkeit festzukleistern, und diesen Teil der Arbeit musste man ihnen zugestehen mit Bravour erledigt zu haben. Es blieb dem Bezirksrat nichts anderes übrig, als bei der nächsten Versammlung kryptisch zu verkünden, die Randsteine wären verlegt, denn auf das anstehende Gelächter seiner Kollegen konnte er gut verzichten, und mit einer Bewilligung für eine weitere Ladung Randsteine war ohnehin nicht zu rechnen. Geistesgegenwärtig oder zumindest erstaunlich wach für den Zustand heftiger alkoholischer Beeinträchtigung hatte darüber hinaus einer der Arbeiter, bevor er sich zu den anderen auf den Boden gelegt hatte, den verbliebenen Haufen Randsteine mit der verbliebenen Schubkarre Zement übergossen, damit sie nicht nachts heimlich entwendet würden, sodass am Stufenrand hinter dem Markt ein beachtlicher Block die Straße begrenzte. Dann war er daran gelehnt eingeschlafen, den feuchten Zement im Nacken, was ihm am nächsten Morgen nicht nur einen steifen Hals, sondern obendrein den Verlust einiger Haupthaare bescherte. Neben diesen Haaren hinterließ er auch eine unschöne Ausbuchtung, doch für eine Aufmauerung, die ohnehin nicht gedacht und dennoch unverrückbar war, machte das keinen allzu großen Unterschied mehr. Allerdings hatte er sich für seinen Block gerade jenen Platz ausgesucht, an dem der straßeneigene Raspadoverkäufer gewohnt war, seinen Wagen aufzustellen und sein Wassereis zu verkaufen. Als dieser am Morgen nach der verpfuschten Randsteinverlegung sein Geschäft zu dieser Stelle schob, fand er seinen Platz bereits von einem unförmigen Monstrum besetzt und begann lauthals zu schimpfen, da ihm sein Aberglaube einredete, jede Verrückung des Wagens um nur wenige Zentimeter würde Pech bringen und die standortgewöhnte Kundschaft fernbleiben lassen. Widerwillig sah er keine andere Möglichkeit, als sich des Steinblocks zu bemächtigen und ihn als neue Verkaufstheke zu verwenden. In stundenlanger mühseliger Arbeit stemmte er an der der Straße abgewendeten Seite ein Loch, in dem er seine Eisblöcke verstauen konnte, befestigte die Haltevorrichtung für die Sirupflaschen mit einem eigens geschweißten Haken und zerlegte seinen Wagen bis zur letzten Schraube, um jeden einzelnen Teil wieder rund um die 162 Aufmauerung anzubringen. In die Delle des schlafenden Arbeiters zementierte er eine Marienstatue, weniger der Religiosität als der Ästhetik wegen. Natürlich war ihm sonnenklar, dass der Grund für die Stabilität seiner Einnahmen auf die beharrliche Beibehaltung des Standortes zurückzuführen war, als die ersten Kunden eintrafen, und als manche von ihnen sogar noch ein zweites Eis aßen, wäre er am liebsten losgerannt und hätte sich Lotterielose gekauft, um seine Glückssträhne reichlich auszunutzen. Die Leute ließen sich mit ihrem Raspado auf den Ausläufern des Blocks nieder, beobachteten in Ruhe den Verkehr und das geschäftige Treiben vor der Werkstatt Señor Valeños weiter die Straße oben und lobten die gläserne Frische ihres steingekühlten Wassereises. 163 164 165 Ein dumpfes Grollen, das seinen Ursprung im Grab Omar Torrijos´ zu haben schien und der Erde beängstigende Töne entlockte, der Tonerde sozusagen eine neue Bedeutung verlieh, begleitete den Friedhofsgärtner auf seinem Weg vom Cementerio Amador nach Hause. Er war dadurch nicht weiter beunruhigt, der General sollte seine Scherze treiben wie es ihm beliebte, dafür sei der Tod ja immerhin da. In seinem Handwagen hatte er alle Gerätschaften verstaut, die er brauchte, um die Gräber in Ordnung zu halten, für deren Instandhaltung er beauftragt worden war, nicht von der Friedhofsadministration, die es nicht für nötig empfand, einen eigenen Gärtner anzustellen, da der Totenkult in südamerikanischen Ländern bekanntlich aufmerksam genug ist, sondern von privaten Grabanverwandten, denen die regelmäßige Zuwendung zu mühsam geworden war. Und da er nicht im Dienste der Öffentlichkeit stand, war ihm auch kein Geräteschuppen am Friedhofsgelände zur Verfügung gestellt worden. Dem Gärtner wars einerlei, denn er wohnte ohnehin auf der gegenüberliegenden Straßenseite, und ein Schuppen, der womöglich an der westlichen Mauer des so weiträumigen Friedhofs gestanden hätte, hätte ihm einen wesentlich längeren Heimweg beschert. Als er seinen Karren über die Calle 31 schob, begann er wie stets zu fluchen und stemmte sich seitlich gegen den Wagen, ein gewohntes Bild, denn die Straße zerrte mit ihrem Gefälle an den metallenen Schwenkrollen. Bereits mehrmals hatte sich dem Friedhofsgärtner in einem unachtsamen Moment der Wagen aus den Händen entrissen und war die Straße hinunter gedonnert, bis er auf sein erstbestes Hindernis aufgeschlagen war. In solchen Schrecksekunden konnte er gerade noch Zeit finden, ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken, die Teufelsfahrt möge an irgendetwas Leblosem ihr Ende finden, Herr, schicke eine Bordsteinkante oder ein vorspringendes Hauseck, denn selbst die bereits erlebten mehrmaligen Zusammenstöße hatten der Spurtreue der Räder nichts anhaben können, die den Wagen sirrend die Straße hinuntersteuerten. Aber an schlechten Tagen, an denen das Schicksal übellaunig war, hatte der pfeifende Karren schon seine Opfer bestimmt. Auf den Bemitleidenswertesten unter ihnen war er zum Halten gekommen, nach anderen hatte er in blinder Wildheit Unkrautharken und Laubrechen geschleudert, sodass man in der Straße zürnte, der Friedhofsgärtner sei unausgelastet und trachte nach mehr Beschäftigung. Daher blieb auch jede einzige Gegenstimme aus, als der Gärtner eines Tages den Vorschlag unterbreitete, er werde seinen Arbeitsweg begradigen, um dem Handwagen das Eigenleben zu verwehren, und schon am nächsten Tag nach dem Beschluss machte er sich unter Mithilfe zahlreicher lebensfroher Nachbarn daran, das Gefälle der Straße mittels einer Stufe zu korrigieren. Fortan sprach man in höchsten Tönen von den Vorzügen, die eine Horizontale doch bietet, wenn der Friedhofsgärtner ohne weitere Zwischenfälle seine Wege erledigte, niemand presste sich mehr in Hauseingänge in der Erwartung eines Unglücks, die Straße war durchgehend belebt und blieb es auch, und nach einer vergangenen Woche konnten die sprungbereit konditionierten Bewohner sogar darüber lachen, wenn der Gärtner beim gefahrlosen Überqueren der Straße einen anschwellenden Pfiff von sich gab, der schlechten alten Zeiten zum makabren Gedenken. 166 167 168 Das Anwachsen der Treppe in der Calle 31 war nicht mehr zu bremsen. Den Bewohnern war es bald Grund genug, Stufen um der Stufen Willen zu bauen, ohne dadurch ein Missgeschick vertuschen oder ein Unglück abwenden zu wollen. Sie hatten Gefallen gefunden an der Aufmerksamkeit, die sie auf ihren Wegen den Stufen entgegenbringen mussten, an der bedachten Langsamkeit, die sie provozierten und an ihrer liebenswerten Art, Niemandsländer für eine Benutzung zu öffnen. Man beantragte bei der Stadtregierung die Lieferung von einem Lastwagen voll Asphalt, das war die genaue Angabe, wir wollen einen Lastwagen voll Asphalt, um unsere Straße ausbessern zu können. Das Wesentliche an dieser Forderung schien ihnen, möglichst ungenaue Angaben über die Art der Ausbesserung zu machen, denn sie waren sich nicht sicher, ob der Bau von Stufen auch im Auge des stadtpolitischen Betrachters als Besserung erscheinen würde. Dagegen konnten sie sich bei der Frage über die benötigte Asphaltmenge einfach beim besten Willen nicht einig werden, und nachdem sie schon allein Stunden mit der Diskussion zugebracht hatten, ob man die Bestellung in Kubikmeter, Liter oder Kilogramm aufgeben müsse, da ja Asphalt zwischen den stofflichen Erscheinungsformen nur so schwanke, kamen sie zu dem Entschluss, in einem Lastwagen müsse er sowieso geliefert werden, also könnte das Straßenbauamt diesen auch gleich voll füllen. Am Tag, als der Asphalt ankam, standen nahezu alle männlichen Bewohner der Straße mit Schaufeln und Plätteisen bereit, die Frauen hatten warme Tamales und Salchichas zur freien Entnahme vor ihren Haustüren auf kleinen Holztischen bereitgelegt und die Kinder wurden dazu angehalten, sich das Treiben von den Fenstern aus anzusehen, bis der Asphalt gehärtet sei. Derjenige von ihnen, der mit den meisten Stimmen zum Bauleiter gewählt worden war, ordnete an, dass in exakten Abständen reichlich Asphalt abgelassen werden sollte, der anschließend mit den Schaufeln verteilt und mit den Eisen zügig zu Stufen verarbeitet werden sollte. Die Exaktheit der Entfernung von Haufen zu Haufen litt ein wenig unter der rutschenden Kupplung des Lastwagens, wie sich herausstellte, genauso wie die rechtwinklig zur Straßenflucht gedachte Ausrichtung der Stufen dem Augenmaß der jeweiligen Bearbeiter ausgeliefert war. Bald schien es, als hätte man den Bauleiter seiner Aufgabe entbunden und die Kreativität der Bewohner hielt Einzug, ob gewollt oder versehentlich. Man machte Vorsprünge und Einschnitte, wo es ein Kanal oder der Zufall wollte, und nach vorübergehender Traurigkeit über den Verlust seines Postens fand selbst der Bauleiter Vergnügen an der unorthodoxen Vorgehensweise. Am Ende standen sie vor siebzehn charakterstarken Stufen, die ihnen einen anhaltenden verzückten Beifall an sich selbst wert waren, und jeder Menge übriggebliebenem Asphalt, der an der falschen Stelle abgeladen worden war, um als weitere Stufen zu dienen. Das anstehende Problem machte einstimmig aus dem ehemaligen Bauleiter in Windeseile wieder den diensthabenden Bauleiter, und gerührt beschloss er, man werde zusätzlich noch einen Teil der Fläche zwischen den angrenzenden Wohnhäusern asphaltieren, so weit der Asphalt eben reiche, da der Boden ohnehin einem verwahrlosten Acker glich. Für den nächsten Arbeitsschritt sah er vor, diese Fläche teilweise zu unterhöhlen, um den so entstandenen Raum dann als überdachte Stellfläche für entweder die schönsten oder die marodesten Autos der Straße zu verwenden, denn bei den einen sei es noch nicht zu spät, sie vor dem rostbringenden Regen zu schützen, und den anderen konnte man so 169 noch eine kleine Galgenfrist zugestehen. An diesem Abend feierten die Bewohner ihre gelungene Ausbesserungsarbeit, sie saßen selig auf den Stufen und tranken Dosenbier, und diesmal gab es nicht eine einzige Dose, die nicht ihren Weg in den Müllcontainer gefunden hätte, so sehr hatten sie sich in ihren neuen Straßenabschnitt verliebt. Die Parkplätze unter der Asphaltdecke bekamen aber noch eine andere Funktion, als ein paar Wochen später von der Regierung der neue Maßnahmenkatalog Harte Hand zur Verbrechensbekämpfung in Kraft trat. Dieser sah nämlich vor, dass Minderjährige ab sofort zu bestimmten Tageszeiten unter Hausarrest zu stellen wären und sich somit nach 21 Uhr nicht mehr auf der Straße befinden dürften. Kein Winkeladvokat hätte ein besseres Schlupfloch finden können als die erbosten Minderjährigen, die sich ab diesem Zeitpunkt spät abends in der bekannten Aushöhlung verabredeten, da sie sich hier ja schließlich unter der Straße befänden. Eine rhetorische Feinheit, deren Argumentation die abgestellten 15.000 Sicherheitskräfte vermutlich herzlich wenig Gehör geschenkt hätten, aber so weit kam es gar nie, denn die Höhle war von der Straße aus völlig uneinsichtig. 170 171 Als jeder, der sich in der Calle 31 eine Stufe geschaffen hatte, aus seiner gebückten Haltung erhob und die Straße entlang blickte, die Bewohner des oberen Abschnittes hinunter zum Meer und die von unten hinauf zum Cementerio Amador, wurde ihnen zum ersten Mal bewusst, dass sie nach und nach alles mit Stufen überzogen hatten. Keiner konnte mehr sagen, wo die erste Stufe ihren Ursprung gehabt hatte oder welche die letzte gewesen war, genauso wie niemand eine logische Erklärung für diese offensichtliche Kettenreaktion geben hätte können. Sie hatten sich des gesamten Straßenraums bemächtigt, der Fahrspuren und der Gehwege, der offenen Hauseinfahrten und der brachliegenden Zwischenräume, der angrenzenden Höfe und sogar des Meeres, und hatten den Schwung des sachten Gefälles in Bruchstücke unterteilt. Die Straße wirkte auf sie breiter als zuvor, weil ihre Querrippen die gegenüberliegenden Häuser scheinbar voneinander entfernten, und gleichzeitig schmäler, weil die offenen Flächen, die sie zuvor ebenso für sich beansprucht hatte, nun durch Vorsprünge und Verschiebungen in den Stufen ihren Raum für sich zurückforderten. Sie wirkte ruhiger, weil die Absätze Geschwindigkeit zollten, aber zugleich belebter, mag sein, durch das Anstauen der verschiedenen Geschwindigkeiten, aber auf jeden Fall auch durch die neue Benutzbarkeit der Niemandsländer, die zwar nach wie vor keine besondere Funktion und keine Gestalt aufwiesen, aber sich dem übrigen Leben angeschlossen hatten. Die Stufen hatten zwischen den verwahrlosten Niemandsländern und der belebten Straße unmittelbare Bezüge hergestellt, die sich in nichts weiter als Linien ausdrückten. Sie hatten die Betonwohnbauten der linken Straßenseite, die den während der Invasion zerstörten Wohnhäusern nachgefolgt waren, mit den ursprünglichen, verschont gebliebenen Holzhäusern der rechten Seite verbunden. Und sie besaßen die Eigenheit, Blicke zu lenken und Dinge in den Vordergrund zu rücken. Man sah nicht mehr nur einfach das hinter dem Chaos der Straße verborgene Meer, sondern man sah das Meer, denn so wie die Stufen in den Ozean mündeten, machten sie das Ziel und Ende der Straße bewusst und zogen sie dennoch weiter, genauso wie die übrigen vernachlässigten Plätze gliederten sie das Meer ein und ließen seine Zugehörigkeit zur Straße erkennen. Die Bewohner hatten sich Podeste an den Stellen gebaut, wo sie Übersicht schätzten und tiefer liegende Flächen, wo sie uneingesehen und in Ruhe ihre Unterhaltungen und Spiele führen wollten, und wo es ihnen ums Verweilen und das geschäftige alltägliche Treiben ging, hatten sie ihre Stufen ungebrochen durchgezogen. Natürlich blieb die Veränderung der Calle 31 in El Chorrillo nicht unbemerkt. Mit verwundertem Interesse hatten die angrenzenden Bewohner zugesehen, wie diese oder jene Stufe entstanden war und hatten keinen Sinn darin entdecken können, eine zwar löchrige, aber doch gut zu benutzende Straße noch holpriger zu machen, als sie es ohnehin schon war. Und doch konnte man in den benachbarten Straßen schon vereinzelte Stufen sehen, die denen der Calle 31 um nichts nachstanden. Der eine wollte dem Großvater mit dem verkürzten Bein seinen Weg über die Straße erleichtern, der andere lenkte das durch seine Wohnungstür fließende Regenwasser ab, die Gründe für die Stufen sind zahlreich und nicht weiter bekannt, vielleicht liegen sie auch in der Erkennung der Vorzüge, die sie in der Calle 31 mit sich brachten, aber fest stand, dass überall, wo sich der Straßenraum durch eine Stufe unterteilte, in Windeseile mehrere Stufen entstanden. 172 173 174 175 176 177 178 179