Downloads_files/Stress und Beziehungskrisen Uni St.Gallen 2016
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Büro für Psychosoziale Beratung Gilles Schmid, www.psychosoziale-beratung.ch 10.05.2016 1 ! /!7 Vorlesungsreihe im Rahmen der öffentlichen Vorlesungen an der Universität St.Gallen unter der Leitung von Dr.phil. U. Germann Stress und Partnerschaft: Stress und Beziehungskrisen Grundsatz des heutigen Abends: • Die Geheimwaffe gegen Stress: Achtsamkeit… d.h. den Stress wahrnehmen, dazu stehen, vielleicht vorerst auch mal akzeptieren, reflektieren, miteinander besprechen, Strategien entwickeln • Das was ist, das ist… Die Realität akzeptieren… bzw. zumindest das, was sich nicht ändern lässt. Ich kann mich verändern, nicht aber mein Gegenüber… • Ein gutes Gespräch ist höchst Anspruchsvoll und wie ein Musikstück, das beide mit ihrem persönlichen Instrument spielen; jeder muss bei sich bleiben können und gleichzeitig auf den anderen hören… Man muss seine eigenen Schwächen kennen und versuchen, die Schwächen des Gegenübers zu stützen. • Üben, Üben, Üben… und dran bleiben, dran bleiben, dran bleiben… Übung: Reden – Zuhören: (Übung zur Achtsamkeit) wenn im Stress eine positive oder konstruktive Kommunikation nicht möglich ist, dann die nachfolgende Übung machen. 1 Mal pro Woche (lieber klein anfangen und steigern). Vereinbaren Sie mit ihrem Partner/ ihrer Partnerin einen Zeitpunkt, an dem Sie sich beide in einem ruhigen, entspannten Rahmen treffen können. Gestalten Sie den Rahmen (Kerzenlicht, einen Kaffee dazu oder ein Glas Wein etc.), machen Sie es sich gemütlich und schützen Sie diesen Rahmen (Telefon ausschalten, schauen, dass die Kinder schlafen oder auswärts sind etc.). Vereinbaren Sie, wie viel Zeit jeder zum Reden hat (je 5-10 Minuten). Beginnen Sie mir kurzen Zeitabschnitten, die Sie dann je nach Belieben ausweiten können. Experimentell können Sie auch Mal versuchen, je eine ½ Stunde zu reden (gar nicht so einfach). Der Redner: Inhalt des Redens/Erzählens; was habe ich erlebt an diesem Tag oder in dieser Woche (schöne wie auch schwierige Erlebnisse, kleine wie auch bedeutende Erfahrungen), wie geht es mir, was geht mir durch Kopf und Herz, was beschäftigt mich? Es gibt keine Pflicht zum Reden. Wenn einem nichts in den Sinn kommt; Zeit lassen. Der Zuhörer darf dem Redner auch einfach beim Schweigen zuhören. Büro für Psychosoziale Beratung Gilles Schmid, www.psychosoziale-beratung.ch 10.05.2016 2 ! /!7 Der Zuhörer: Der Zuhörer hört aktiv zu, ist gefühlsmässig und mit der Aufmerksamkeit beim Gegenüber. Das Besondere; zuhören ohne Wertung und Bewertung, ohne inneres Korrigieren des Gehörten. Das heisst, Sätze wie, das stimmt doch nicht, das war doch alles ganz anders, das ist doch nicht so schlimm, das ist doch übertrieben sind tabu!!! Und wenn es doch auftaucht, innerlich unterbrechen, stoppen und sich dem Gegenüber wieder öffnen. Also eher; was sagt er/sie genau? Wie steht er/sie dazu? Ich bin ganz neugierig darauf jede Einzelheit von dem Gesagten zu verstehen und wahrzunehmen, ich möchte meinen Partner so wahrnehmen, wie er ist (egal ob das mir gefällt oder nicht). Der Wechsel: Nachdem der eine geredet hat, legen Sie bitte eine kurze Pause ein, um den Übergang zu würdigen und sich auf die neue Rolle einzulassen (der Zuhörer besinnt sich wieder auf sich selber, der Redner richtet die Aufmerksamkeit auf den anderen). Nach dem Wechsel soll der jetzige Redner nicht beginnen sich bezüglich des Gehörten zu rechtfertigen. Zum Schluss: Sitzen bleiben und einfach sein! Oder die Sitzung beenden und jeder geht für den Rest des Abends seinen Weg. Bitte keine Diskussion beginnen! Wie mit Verletzungen umgehen: «Verzeihen ist die beste Münze im Haus» Text von: Felix Häne, Psychotherapeut SPV Die Menschen, die mich auf der Beratungsstelle aufsuchen, bringen brisante Fragen mit: Wie kann die Liebe von Dauer sein in Zeiten, in denen Scheidungen fast etwas Normales sind? Gibt es berechtigte Hoffnung für das Gelingen einer Partnerschaft? Welche Bausteine sind wichtig; welche Leitideen hilfreich und welche Wege führen zum Ziel? Wer mit einer falschen Wegbeschreibung unterwegs ist, wird sich verirren. Genauso verhält es sich, wenn Männer und Frauen einen Weg suchen, um in Partnerschaft und Ehe glücklich zu werden. Es sind derart viele falsche Informationen, unsinnige Ideen und überhöhte Ideale über das Leben als Paar im Umlauf, dass sich viele untaugliche «Strassenkarten» für ihre Reise ins Glück zurechtgelegt haben, mit denen sie auf Nebenstrecken gelangen, die in die Irre führen oder in Sackgassen enden. Wegbeschreibungen zu dauerhafter und gelingender Partnerliebe geben – dieser Wunsch leitet mich in meiner täglichen Arbeit, aber auch beim jährlichen Verfassen meines Tätigkeitsberichtes. Erfolgreich mit Verletzungen umgehen Das Wegstück, das ich im Folgenden beschreibe, halte ich für besonders wichtig: Wie gehen wir in unseren Paarbeziehungen erfolgreich mit Verletzungen um? Dafür gibt es wohl nur einen wirklich guten Weg: Indem wir einander verzeihen und uns versöhnen. Büro für Psychosoziale Beratung Gilles Schmid, www.psychosoziale-beratung.ch 10.05.2016 3 ! /!7 Verzeihen und Versöhnen – das liegt nicht gerade im Trend und ist nicht sehr gesellschaftsfähig. Manche fühlen sich allein von den Worten schon peinlich berührt. Sätze wie «Ich bitte dich um Verzeihung.» – «Ich will dir vergeben.» – «Ich möchte mich mit dir versöhnen», kommen vielen kaum über die Lippen. Dennoch: Verzeihen und Versöhnen ist «die beste Münze im Haus», wie ein chinesisches Sprichwort sagt, oder, um im Bild vom Weg zu bleiben: Es ist die via regia, der Königsweg in der Liebe. Jedes Paar muss diesen Weg gehen, wenn seine Liebe überlebensfähig sein soll. Allerdings ist Verzeihen und Versöhnen oft Schwerstarbeit für die Seele. Statt zu verzeihen trennen sich viele Gekränkte. Statt versöhnen wählen sie zerstören, statt Dialog den Krieg. Das ist keine sinnvolle Strategie. Tiefe seelische Schäden und Wunden bleiben zurück und wirken bis in die Generation der Kinder, Enkel und Urenkel hinein. Verzeihen und Versöhnen ist nicht nur ein schwieriger Weg, sondern auch eine fantastische Möglichkeit, das Leben leichter und für Leib und Seele gesünder zu gestalten. Enge seelische Grenzen werden gesprengt; der Horizont weitet sich, und die Liebe zwischen den Partnern findet eine neue Gestalt. Der Weg zum Verzeihen und Versöhnen führt jedoch über eine Reihe von Stationen, von denen keine vermieden oder ausgelassen werden darf. Einige davon möchte ich näher erläutern. Sie heissen: Ansprechen – Verstehen – Anerkennen – um Verzeihung bitten – Verzeihung gewähren – Wiedergutmachen. Dabei sind mir neue Publikationen der bekannten Paartherapeuten Hans Jellouschek und Michael Cöllen zu diesem Thema sehr hilfreich. Verletzungen sind unvermeidbar Meinen Erläuterungen muss ich allerdings ein paar Bemerkungen voranstellen: In einer Beziehung, das weiss jeder aus eigener Erfahrung, sind Verletzungen unvermeidbar. Das gilt für die Partnerschaft zwischen Mann und Frau noch mehr als für jede andere Beziehung; denn hier lässt sich die glatt polierte Oberfläche, die wir sonst nach aussen zeigen, nicht aufrechthalten. Da zeigen wir uns wie wir wirklich sind, auch mit all unseren Schattenseiten. Unsere Verschiedenheiten stossen aneinander. Es gibt Missverständnisse. Schlechte Gewohnheiten kommen zum Vorschein und auch charakterliche Mängel. Und oft prallen unterschiedliche Bedürfnisse und Vorstellungen hart aufeinander. Bei aller Liebe und bei allem Bemühen: Es ist unvermeidlich, dass wir einander verletzen und so aneinander auch schuldig werden – gerade an den Menschen, die wir am meisten lieben. Das ist unser Schicksal, dem wir nicht entkommen. Ein altes Sprichwort formuliert es so: «Der dich liebt, wird dich auch zum Weinen bringen.» Ungeeignete Versuche Wenn wir über keine Möglichkeiten verfügen, solche Verletzungen zu bereinigen und zu überwinden, nimmt die Liebe Schaden. Oft ist eine Trennung der Schlusspunkt nach einer Reihe nicht verziehener Verletzungen, die – nach aussen oft kaum sichtbar – Wunden in der Seele hinterlassen haben, an denen die Liebe im Laufe der Zeit zugrunde gegangen ist. Die Zeit allein heilt eben solche Wunden nicht. Das stimmt vielleicht für Kleinigkeiten oder für Verletzungen, die uns von uns nicht wirklich wichtigen Menschen zugefügt wurden. Aber die Wunden, die uns ein naher Mensch, der Partner, die Partnerin zugefügt hat, können wir nicht vergessen; es ist unmöglich zu tun, als ob nichts gewesen wäre; wir können nicht einfach darüber hinweggehen. Das wäre nämlich wie ein Verband, den man über eine Wunde wickelt, ohne diese angemessen versorgt zu haben. Sie heilt dann schlecht oder gar nicht und hinterlässt Narben, die bei jeder Berührung schmerzen. Also: Vergessen, verleugnen, verdrängen, wegstecken, unter den Teppich kehren … das sind für den, der verletzt wurde, ungeeignete Formen mit seinen Gefühlen umzugehen. Sie schwelen weiter und vergiften die Liebe. Einen anderen, aber ebenso Büro für Psychosoziale Beratung Gilles Schmid, www.psychosoziale-beratung.ch 10.05.2016 4 ! /!7 ungeeigneten Umgang versuchen oft jene, die verletzt haben: Sie beteuern, dass sie nicht verletzten wollten. Das trifft häufig auch zu. Verletzungen passieren, ohne dass wir den anderen bewusst und absichtlich verletzen wollten. Deswegen wird eine Verletzung nicht kleiner oder gar ungeschehen gemacht. Im Gegenteil: Der Satz «Ich wollte Dich gar nicht verletzen», vermittelt dem anderen den Eindruck, dass man ihm die Berechtigung seiner Gefühle abspricht und sie nicht wirklich respektiert. Deshalb heisst eine weitere Voraussetzung für einen heilsamen Umgang mit Verletzungen: Wir müssen die Tatsache, dass der andere sich verletzt fühlt, ernst nehmen und den Grundsatz akzeptieren: Ob wir den Partner verletzt haben, entscheidet sich nicht daran, ob wir das wollten oder nicht, sondern an dem, was unser Verhalten beim anderen ausgelöst und bewirkt hat. Soviel zur Beschreibung zweier ungeeigneter Versuche zur Bewältigung von Verletzungen. Die zu Beginn gestellte Frage aber lautet: Wie heilt man Verletzungen? Die Antwort gebe ich, indem ich nun beschreibe, was durchaus in unterschiedlicher Abfolge und Akzentuierung von Bedeutung ist, um in einer Paarbeziehung Verletzungen, die geschehen sind, erfolgreich zu überwinden. Ansprechen Wer sich verletzt fühlt, muss diese Verletzung auch ansprechen. Natürlich dürfen wir die eigene Empfindsamkeit zuerst überprüfen, uns auch fragen, ob wir allenfalls überreagiert haben oder ob der andere es wirklich so gemeint hat. Das kann ein wichtiger Beitrag zum konstruktiven Umgang mit Verletzungen sein. Das Gefühl zu bagatellisieren oder zu verleugnen, ist es sicher nicht. Es gerät sonst in den Untergrund und taucht, wenn das Mass voll ist, auf wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Darum ist es besser, Verletzungen, die wir empfinden, deutlich anzusprechen: «Das hat mich jetzt verletzt.» «Was Du da sagst, kränkt mich.» «Nach dem Gespräch gestern habe ich mich sehr schlecht gefühlt.»Ein Partner, der sich so äussert, ist vielleicht nicht gerade pflegeleicht. Aber solche Reaktionen sind wichtig und nötig, damit es nicht zu destruktiven Entwicklungen kommt, die viel schwerer zu bewältigen sind. Verstehen Die Überwindung von Verletzungen scheitert oft daran, dass die Beteiligten nicht verstehen, was eigentlich geschehen ist. Deshalb geht es darum, sich dem vergangenen Geschehen nochmals ausführlich zu widmen, nicht mit der Absicht, es ungeschehen zu machen oder nachträglich zu verändern. Es geht darum, es nochmals genau anzuschauen, um neue Möglichkeiten des Verstehens zu gewinnen und dadurch die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Mit diesem Verstehen ist aber nicht einfach ein intellektuelles Verstehen, ein Erkennen neuer Aspekte – was natürlich auch schon viel wert ist – gemeint, sondern ein emotionales Verstehen, ein gemeinsames tiefes Verstehen von dem, was geschehen ist. Ein solches Verstehen kann die Partner aus dem Täter-Opfer-Muster heraus- und wieder zusammenführen und dazu beitragen, einen langen Kampf zu beenden und die Vergangenheit zu lassen wie sie war. Dieses Verstehen ist in vielen Fällen längst vergangener, aber unerledigter Verletzungen der wesentliche Schritt zur Heilung. Das Gefühl der Verletzung verschwindet. In anderen Fällen muss über das Verstehen hinaus noch etwas dazukommen: Dass die Täterin oder der Täter die Tatsache, verletzt zu haben, ausdrücklich anerkennt. Anerkennen Die Tatsache anerkennen, das ist über das hinaus, was man verstehen und nachempfinden kann, für die Bewältigung von Verletzungen von grösster Bedeutung. In den Gesprächen mit Ratsuchenden höre ich immer wieder: «Wenn der Partner nur anerkennen würde, dass er mich verletzt hat, dann könnte ich mich mit ihm wieder Büro für Psychosoziale Beratung Gilles Schmid, www.psychosoziale-beratung.ch 10.05.2016 5 ! /!7 versöhnen.» Dass jemand nicht von alten Verletzungen loskommt, hat oft seinen Grund darin, dass der Partner sie nie wirklich anerkannt hat: «Ja, es ist so – ob ich es nun wollte oder nicht: Ich erkenne es an, dass ich Dich mit meinem Tun, meinem Unterlassen oder meinen Worten wirklich verletzt habe.» Das wäre oft der erlösende Satz, der bewirken könnte, dass die Verletzung als störender Faktor aus dem Leben der Partner verschwindet. Dazu braucht es aber ein Stück Demut. Ohne diese lässt sich eine Verletzung nicht aus der Welt schaffen. Warum fällt uns dieses Anerkennen oft so schwer? Das hat viele Gründe: Vielleicht ist es für uns wichtig, eine «weisse Weste» zu haben, und wir würden es als schlimm empfinden, wenn dunkle Flecken darauf sichtbar würden. Oder es ist eine Angst vor schlimmen Konsequenzen da, die weit zurückreichen kann, wenn wir zu einem Fehler stehen würden. Es mag auch sein, dass wir es als furchtbare Demütigung empfänden, etwas zuzugeben. Da lohnt es sich schon, dass wir über solche Zusammenhänge reflektieren und uns über die Hintergründe unseres Verhaltens klar werden. Anerkennen wird vielleicht auch leichter, wenn wir uns bewusst werden, um wie viel grosszügiger und souveräner wir uns dem Partner zeigen, wenn wir in anerkennender Art und Weise über Verletzungen sprechen als wenn wir sie ängstlich und krampfhaft wegargumentieren müssen. Um Verzeihung bitten Meistens ist es mit dem Anerkennen noch nicht getan, auch wenn das Eingeständnis und die Übernahme der Verantwortung für das Geschehene ohne Ausflüchte und Entschuldigungen dem Verletzten den Schritt des Verzeihens sehr erleichtert. Derjenige, der verletzt wurde, spürt: Ich brauche noch etwas von ihm, von ihr. Das ist vor allem bei schwer wiegenden Verletzungen so. Es braucht die ausdrückliche Bitte um Verzeihung. Es braucht ohne «Wenn» und «Aber» den Satz: «Ja, ich habe dich sehr verletzt. Es tut mir leid. Bitte verzeih mir.» Dieser Schritt der ausdrücklichen Bitte um Verzeihung fällt vielen sehr schwer. Er bedeutet, dass wir den Selbstschutz aufgeben. Es ist ein Akt der Demut, der sehr viel Mut braucht, weil wir uns dem anderen ein Stück weit ausliefern. Viele Verletzte sehnen sich danach, einen solchen Satz vom Partner zu hören. Wenn dieser seine Bastion der Selbstverteidigung verlässt, wird es auch ihnen leichter fallen, die Bastion ihrer Verletztheit und ihrer Rachefantasien aufzugeben und sich wieder zu öffnen. Das Eingeständnis des verletzenden Tuns und die Bitte um Verzeihung sind darum entscheidende Schritte von Seiten des Verletzers. Verzeihung gewähren Zur Versöhnung braucht es aber auch einen Schritt des Verletzten. Er oder sie muss bereit sein, Verzeihung zu gewähren, und das heisst, die Verletzung loszulassen:»Ich habe gehört, was du gesagt hast, und ich nehme es an. Ich verzeihe dir, und für mich ist damit die Sache in Ordnung.» Diesen Schritt machen viele Verletzte nicht, auch wenn ihnen von Seiten des Partners die Bitte um Vergebung ehrlich und glaubhaft entgegengebracht wird. «Das verzeihe ich dir nie», sagen sie. Oder sie sagen es nicht so, aber holen bei jeder Kleinigkeit das ganze Sündenregister aus der Vergangenheit wieder hervor und machen den anderen damit klein. Verzeihung gewähren ist eben auch ein Stück Verzicht auf Macht. Wer auf der Unverzeihlichkeit einer Verletzung besteht, verfolgt eine Strategie der Rache. Diese verunmöglicht einen wirklichen Ausgleich zwischen der verletzenden und der verletzten Person und setzt eine endlose Spirale der Vergeltung in Gang. Zu verzeihen heisst, die Sache endgültig gut sein zu lassen und deshalb die Verletzung loszulassen. Das beinhaltet den Verzicht, sie als Waffe je wieder in Auseinandersetzungen hervorzuholen. Damit Verletzungen wirklich überwunden werden können, ist dies der notwendige Beitrag, den die verletzte Person ihrerseits zu leisten hat. Büro für Psychosoziale Beratung Gilles Schmid, www.psychosoziale-beratung.ch 10.05.2016 6 ! /!7 Der Akt des Verzeihens bedeutet jedoch nicht ohne Weiteres: Jetzt lieben wir uns wieder. Das Verzeihen schafft wohl eine neue Offenheit für den Partner, aber es bedeutet zunächst und in erster Linie: «Ich trage es dir nicht mehr nach.» Es heisst aber noch nicht unbedingt, dass wieder eine neue Beziehung zueinander möglich ist. Die Beziehung kann an dieser Stelle auch zu Ende sein. Allerdings geschieht es viel häufiger, dass das verzeihende Loslassen der negativen Gefühle und die neue Offenheit für den Partner auch wieder einen Weg zueinander öffnet. Die Liebe bekommt wieder Raum, und ein Neuanfang wird möglich. Wiedergutmachen In vielen Fällen fehlt für wirkliche Versöhnung immer noch ein wichtiger Schritt. Die blossen Worte reichen der verletzten Person nicht, um wirklich und von innen heraus zu verzeihen. Es muss noch eine «Tat» hinzukommen, eine Wiedergutmachung durch konkretes Tun. Dieses Tun bedeutet, dass das Paar sichtbar und greifbar eine Art «Sonderleistung» des «Täters» vereinbart, mit der dieser zum Ausdruck bringt, dass es ihm wirklich ernst ist: Indem er beispielsweise dem Verletzten einen lang gehegten Wunsch erfüllt, ihm ein besonderes Geschenk macht… Da gibt es tausend Möglichkeiten. Allerdings kann der «Schuldige» die Art der «Wiedergutmachung» nur vorschlagen. Anerkennen und akzeptieren, dass damit die Angelegenheit ein für alle Mal erledigt ist, das ist ausschliesslich Sache des Verletzten: «Ja, ich freue mich, wenn du das für mich tust. Und damit soll es auch gut sein.» Sonst besteht die Gefahr einer nie endenden Geschichte, und die verletzte Person kann immer wieder sagen: «Nein, es ist noch nicht genug» oder «Noch nicht das Richtige» – und ein richtiges Katz- und Maus-Spiel würde beginnen. Und was dazu noch zu sagen ist: Eine Wiedergutmachung im Tun, eine versöhnende Tat hat immer nur einen symbolischen Charakter: «Ich tue das für dich, ich gebe dir das als Zeichen dafür, dass es mir wirklich ernst ist.»Das ist keine Wiedergutmachung im geschäftlichen Sinn. Wenn wir eine Schuld beispielsweise durch Rückzahlung getilgt haben, sind die Beteiligten «quitt». Das gilt für Schuld in Beziehungen nicht. Sie wird nur getilgt durch das Verzeihen des anderen. Eine vereinbarte Wiedergutmachung im Tun kann dieses Verzeihen fördern und erleichtern – mehr nicht. Arbeit für eine verzeihende Liebe Wenn ich auf meine Tätigkeit zurückblicke, fällt mir auf, dass ich im Laufe der Jahre immer deutlicher wahrgenommen habe, wie sehr unerledigte Verletzungen die Liebe zwischen den Partnern behindern, stören und gar zerstören können. So wurde es mir zunehmend zu einem wichtigen Anliegen, Paare in der beschriebenen Art und Weise anzuleiten, mit vergangenen, aber immer noch wirksamen Verletzungen umzugehen: Ich habe sie ermutigt, über die Verletzungen nochmals sorgfältig zu reden, diesen die nötige Anerkennung zu geben und sie im Licht der Äusserungen des Partners neu zu verstehen. Und oft gelang es auch Partner dazu zu bringen, um Verzeihung zu bitten und Verzeihung zu gewähren und dies mit einer konkreten Wiedergutmachung oder auch nur mit einem Handschlag zu besiegeln. Wenn immer dies geschah: Es war jedes Mal eine grosse Befreiung – wie von einer schweren Last. Der Weg für einen neuen Anfang wurde frei. Im Gefühl einer neuen Verbundenheit konnte so manches Paar den gemeinsamen Lebensweg hoffnungsvoll und auch zufrieden weitergehen. Verzeihen, versöhnen und wiedergutmachen: Das sind wirklich Schlüsselqualifikationen für die Paare, die sich – auch heute noch – nichts mehr wünschen als das dauerhafte Gelingen ihrer Liebe. Das Verzeihen schliesst das unerträgliche Vergangene ab und befreit von seelischen Altlasten. Das Versöhnen Büro für Psychosoziale Beratung Gilles Schmid, www.psychosoziale-beratung.ch 10.05.2016 7 ! /!7 ermöglicht ein friedliches Miteinander in der Gegenwart. Das Wiedergutmachen richtet sein Bemühen auf die Zukunft der Liebe und ihre Neugestaltung. Ich persönlich verstehe meine Arbeit auch als Einsatz für mehr verzeihende Liebe zwischen den Partnern. Ich bin glücklich über die Möglichkeit, mich in vielen Beratungsgesprächen dafür zu engagieren. Darüber hinaus kann ich die Leserinnen und Leser dieses Tätigkeitsberichtes auch direkt ansprechen und sie für eine «Kultur des Verzeihens» motivieren. Jede und jeder von uns hat die Chance, aber auch die Aufgabe, das Glück des Partners und damit sein eigenes Glück und die gemeinsame Liebe durch den Weg des Verzeihens zu vertiefen. Damit bereichern wir nicht nur unser eigenes Leben. Es ist letztlich auch eine Friedensarbeit, deren Früchte nicht nur wir selber ernten, sondern auch die Umwelt und die Gesellschaft, bis hin zu unsern Kindern und Enkeln. Verzeihen, versöhnen und wiedergutmachen: Über unsere persönlichen und privaten Beziehungen hinaus hat das auch öffentliche und politische Bedeutung, weil wirkliche Liebe zwischen Menschen nur so ihren Platz bekommt und bewahrt. Rorschach, Dezember 2010 Lic. phil. Felix Häne, Psychotherapeut SPV Literatur: Jellouschek, Hans (2011). Achtsamkeit in der Partnerschaft. Was dem Zusammenleben Tiefe gibt. Kreuz Verlag. Jellouschek, Hans (2000). Wie Partnerschaft gelingt – Spielregeln der Liebe. Beziehungskrisen sind Entwicklungschancen. Herder Verlag. Jellouschek-Otto, Bettina & Hans (2000). Lebensübergänge meistern: Vom Paar zur Familie. Eigenverlag. Kabat-Zinn, Myla & Jon (1997). Mit Kindern wachsen. Die Praxis der Achtsamkeit in der Familie. Arbor-Verlag. Zurhorst, Eva-Maria & Wolfram (2010). Beziehungsglück. Wie „Liebe dich selbst“ im Alltag funktioniert. GU-Verlag. G. Schmid-Heeb Buchs, den 10.05.2016