Wege voller Steine. Porträt Frank Beyer_Mathias - DEFA

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Wege voller Steine. Porträt Frank Beyer_Mathias - DEFA
Wege voller Steine. Porträt Frank Beyer
Mathias Fuchs (film-dienst 13/1991)
Diese Auszeichnung werde ein Zeichen setzen gegen die Pauschalverurteilung von DDRKunst, sie werde auch die Möglichkeit bieten für eine sachliche Analyse der kulturellen
Entwicklung in jenem Lande. Das sagte ein Mann, mit dem es sein Staat nicht immer gut
gemeint hatte, der auf Widerspruch und Verdikte gestoßen war: Frank Beyer, dem kürzlich in
Berlin bei der Vergabe des Deutschen Filmpreises ein „Filmband in Gold“ für sein
Gesamtwerk überreicht wurde (vgl. Artikel in dieser Ausgabe). Die Juroren erkannten denn
auch „Bezüge zwischen seiner Biografie und einem durchgehenden Thema seiner Filme, der
Menschwürde in schwerer Zeit“. Gerade aber Frank Beyers Auseinandersetzungen mit seinem
Thema waren es, die immer wieder Anstoß erregten, bei den Machthabern des SED-Regimes
ebenso wie, unausgesprochen, bei den Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland, in der
die frühen Arbeiten Frank Beyers jedenfalls nicht in das reguläre Kinoprogramm gelangt sind.
Nur Institutionen – wie etwa die Freunde der Deutschen Kinemathek in Berlin – boten schon
zeitig einen Einblick in das frühe Werk des DEFA-Regisseurs. An Breitenwirkung hat es
somit, im Gegensatz zum Erfolg Frank Beyers in den Kinos der DDR, in der Bundesrepublik
Deutschland gefehlt. Erst als 1966 seine Inszenierung „Spur der Steine“ nach organisierten
Protesten schon kurz nach der Premiere auf Regierungsbeschluss aus den Kinos der DDR
entfernt wurde, horchte man auch im Westen auf: Frank Beyer wurde mit einem Male
interessant. Ein zweites Mal fand er Aufmerksamkeit, als sein Film „Jakob der Lügner“ 1975
auf dem Berliner Festival aufgeführt wurde: Vlastimil Brodski, der Protagonist, erhielt zu
Recht einen „Silbernen Bären“ als bester Darsteller des Festivals. Es war jenes Jahr, in dem
die osteuropäischen Staaten zum ersten Male am Wettbewerb der Internationalen Berliner
Filmfestspiele teilgenommen hatten; aus dem letztlich doch westlichen Ereignis war, bedingt
durch die veränderten äußeren politischen Bedingungen innerhalb der neuen Ostpolitik, ein
internationales Festival geworden mit Teilnehmern aus Ost und West. Frank Beyer kam dies
zustatten. Er sollte auch hinfort ein Mann bleiben, der sich beiden Seiten der noch immer
geteilten Welt verbunden fühlte. Ein zweites Mal – aber das war dann schon in der Spätphase
der DDR - fand er, wiederum in Berlin, allgemeines Aufsehen: als seine verbotene Arbeit
„Spur der Steine“ nach einem Vierteljahrhundert aus den Regalen des SED-Regimes
hervorgeholt wurde. Mit Erstaunen musste man da auf dem Berliner Festival konstatieren,
welche Lebendigkeit, welche Aktualität vor allem sich Frank Beyers Film über das Leben auf
einer der Großbaustellen der DDR über die Zeiten hinweg bewahrt hatte.
Versteckt im Programm
„Spur der Steine“ war jedoch nicht Frank Beyers einzige Arbeit, die jenseits der Elbe Anstoß
erregt hatte: seine Komödie „Das Versteck“ (1976/77) hatte zwar eine exzellente Besetzung,
zugleich jedoch auch die falsche zur falschen Zeit. Jutta Hoffmann und Manfred Krug waren
die Protagonisten einer munteren, witzigen Ehekomödie, in der ein Ehemann sich nach einem
Jahr der Trennung wieder Einlass zu seiner Frau verschafft, indem er sich als ein von der
Polizei Gesuchter einfindet. Es war weniger das Sujet, das ja auch einiges über die
Verhältnisse in der DDR mitteilt, als vielmehr die Tatsache, dass gerade zu diesem Zeitpunkt
Jutta Hoffmann und Manfred Krug – in der Folge der Biermann-Affäre – ihren Wohnsitz von
Ost nach West verlegt hatten, was dem Film Schwierigkeiten bereitete. Man legte ihn
gleichsam auf Eis, führte ihn ohne sonderliche Werbung erst Ende 1978 auf. Versteckt im
Programm wurde alsbald auch Frank Beyers Fernseh-Inszenierung „Geschlossene
Gesellschaft“. Hier ging es – wiederum mit Jutta Hoffmann sowie mit Armin Mueller-Stahl in
den Hauptrollen – in einer ehelichen Konfrontation um Auseinandersetzungen mit der
Gesellschaft, und die hatte Beyer eben anders gesehen und interpretiert, als es den
Vorstellungen von Staat und Partei entsprach. Es ist im übrigen eine von Beyers stillsten und
zugleich eindringlichsten Arbeiten. Und schließlich waren es auch noch polnische Interessen,
die hatten berücksichtigt werden wollen: Die DDR hatte 1983 Beyers „Aufenthalt“ für den
Wettbewerb der „Berlinale“ nominiert. Der Film war auch von westlicher Seite ausgewählt
und angenommen worden – bis Polen protestierte, das sich in der Geschichte zweier junger
Deutscher, die nach 1945 in die Gewalt Polens gelangen, nicht richtig gesehen fühlte. Der
eine der ehemaligen Soldaten wird zu Unrecht der Kriegsverbrechen verdächtigt und gequält,
der andere, als NS-Gewalttäter, zu Recht zum Tode verurteilt. Die Begegnung der beiden, das
Verhalten der polnischen Seite wird von Beyer – im Sinne unbestechlicher Menschlichkeit interpretiert. In West-Berlin erhielt daraufhin Frank Beyer 1980 demonstrativ den Preis des
Verbandes der deutschen Filmkritiker. Er erhielt ihn – zusammen mit seinem Autor Wolfgang
Kohlhaase – noch einmal, für seine Komödie „Der Bruch“, die zwar ein liebenswertes
Zeitbild zeichnet, doch nicht unbedingt zu Beyers stärksten Arbeiten zählt. Die Geschichte
eines Bankeinbruchs im Berlin der 20er Jahre bleibt letztlich doch etwas unverbindlich.
Überzeugend hingegen die ausgezeichnete Darstellerführung, die im übrigen in allen FrankBeyer-Filmen zu beobachten ist. Sie mag zu einem nicht geringen Teil zurückzuführen sein
auf die Ausbildung des Regisseurs, die er an der Prager Filmhochschule zu Beginn der 50er
Jahre absolviert hat. 1932 im thüringischen Nobitz geboren, arbeitete Beyer von 1950 an als
Kreissekretär des Kulturbundes in Altenburg und als Regieassistent am Theater in
Crimmitschau. In Prag lernte er sein Handwerk; sein Abschlussfilm, „Zwei Mütter“, gelangte
sogleich ins Kino. In ihm sind bereits stilistische Merkmale und thematische Vorlieben Frank
Beyers zu erkennen, die Freude vor allem, formal eigene Wege zu gehen, die fortwährende
Bereitschaft, sich mit der Wirklichkeit – und das bedeutet für Beyer mit der jüngsten
Vergangenheit wie mit der Gegenwart – auseinanderzusetzen. Der Streit zweier Mütter, einer
deutschen Frau und einer zwangsverschleppten Französin, in Kriegs- und Nachkriegstagen
um ein Kind bestimmt den Film. DDR-Wirklichkeit in der Epoche der Kollektivierung der
Landwirtschaft prägt die folgende (wiederum schwächere) Inszenierung „Eine alte Liebe“
(1958/59). Der spanische Bürgerkrieg, der ansonsten im DEFA-Film kaum Beachtung fand,
bestimmt die Geschichte kommunistischer republikanischer Spanien-Kämpfer (mit
Geschonneck, Mueller-Stahl und Krug), die Beyer ohne äußeres Pathos, ohne
Heldenverehrung in Szene gesetzt hat: „Fünf Patronenhülsen“ (1959/60).
Ohne Propaganda-Töne
Zu seinen eindringlichsten Arbeiten allerdings gehört seine Verfilmung von Bruno Apitz'
Roman „Nackt unter Wölfen“ (1962), ein gleichermaßen unerbittlicher und unparteiischer
Blick in ein KZ-Lager, Konfrontation der Charaktere, Menschlichkeit eines Kindes wegen,
das vor den NS-Schergen versteckt wird. Auch hier wieder Erwin Geschonneck und Armin
Mueller-Stahl in den Hauptrollen. Ein Film, der durch sein Engagement, durch seine
realistische Interpretation erschüttert, der durch den Verzicht auf jegliche Propaganda
beeindruckt. Mit „Spur der Steine“ wandte sich Beyer sodann der unmittelbaren Gegenwart
zu, die er mit Witz zeichnete, mit unterschwelliger Kritik bedachte, indem er einen Raufbold
von arbeitswütigem Zimmermann (Manfred Krug) den nur mit dem Munde engagierten
Funktionären gegenüberstellt. Das konnte 1966 in der DDR nicht gutgehen. Die vorgestellten
Missstände jedoch haben sich letztlich bis zum Ende der DDR erhalten, „Spur der Steine“ hat
sie überlebt.
Das Verbot von „Spur der Steine“ bewirkte jedoch für Beyer eine achtjährige Unterbrechung
seiner Tätigkeit als Filmregisseur. Ihm blieb das Theater, dem er sich in Dresden, Görlitz und
Ost-Berlin zuwandte, und es blieb ihm das Fernsehen, für das er die fünfteilige Serie
„Rottenknechte“ (1969/70) über die Hinrichtung deutscher Matrosen durch ein NSMilitärgericht nach Ende des Zweiten Weltkrieges inszenierte, sowie, vierteilig, „Die sieben
Affären der Dona Juanita“, die die Legende um einen weiblichen Don Juan demaskieren. Erst
1974 konnte wieder ein Kinofilm entstehen, der erwähnte „Jakob der Lügner“. Und von 1980
an drehte Beyer – in der Folge seiner DEFA-Inszenierungen „Das Versteck“ und
„Geschlossene Gesellschaft“ und den sich jeweils anschließenden Komplikationen in der
DDR – Fernsehspiele in der Bundesrepublik Deutschland, zunächst „Der König und sein
Narr“ (1980/81) über Friedrich Wilhelm I. und seinen Hofmann Gundling, sodann „Die
zweite Haut“ (1981, mit Angelica Domröse und Hilmar Thate), eine wenig überzeugende
Emanzipationsgeschichte. Und später noch einmal mit „Bockshorn“ (1983) eine
unausgeglichen wirkende Persiflage auf amerikanische Jugendkulte. Dazwischen lag als
wesentliche Arbeit „Der Aufenthalt“, in der Beyer – wie schon in seinen früheren
„Königskindern“ (1961/62) – sich ganz auf die Konfrontation zweier Gestalten beschränken
konnte. Und in der er eben auch wieder sein Hauptthema aufgreifen konnte, die
Auseinandersetzung mit der Geschichte. Sie zieht sich durch sein ganzes Oeuvre, bestimmt
den Grundklang seiner Inszenierungen, die immer auf eine eigene Bildsprache bedacht waren,
um neue Formen bemüht in den früheren Arbeiten, um Klarheit und Realität ringend in den
späteren. Er war, obgleich er all seine Filme bei der DEFA realisierte, nicht ein typischer
Regisseur der ostdeutschen Filmgesellschaft, aber er war einer ihrer besten, einer, der sich
nicht an staatliche Verordnungen und Trends anhängte, der eigene Wege suchte und fand. Vor
allem aber auch einer, der noch bei den bittersten Themen leisen Humor fand neben der
Melancholie und Verzweiflung. Und einer nicht zuletzt, der kraftvolle Komödien in Szene
setzen konnte. All das ist viel für einen deutschen Regisseur, der sich immer wieder auch mit
den Widrigkeiten der Gegenwart herumschlagen musste.