des Artikels

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Wir erinnern an
Wir erinnern an
Das Buch von San Michele
Vor 150 Jahren wurde Axel Munthe geboren
Von Manfred P. Bläske
1875. Während der Ferien auf Capri
lernte ein schwedischer Medizinstudent
die kleine Kapelle „San Michele“ in Anacapri kennen, die hoch am Berg auf den
Trümmern einer Villa gebaut worden war,
die einst dem römischen Kaiser Tiberius
gehört hatte. Das herrliche Stück Erde begeisterte den Achtzehnjährigen so sehr,
das der Wunsch, es zu besitzen, ihn nie
wieder losließ. Dieser Student wurde einer der berühmtesten Ärzte seiner Zeit
und neben Selma Lagerlöf der erfolgreichste Schriftsteller seines Landes, ein
Modearzt, den die Adligen Europas und
die Reichen Amerikas konsultierten, Leibarzt einer Königin und Armenarzt in
Paris und Rom, Kämpfer gegen Tollwut
und Cholera. Er war ein feinsinniger
Ästhet, der sich seinen Traum verwirklichte und auf Capri ein Refugium schuf.
– Mit seinem „Das Buch von San Michele“ schrieb Axel Munthe eines der im
vergangenen Jahrhundert meist gelesenen Erinnerungsbücher.
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Als Sohn eines Apothekers wurde Axel
Munthe am 31. Oktober 1857 in Oskarshamm im schwedischen Götaland geboren.
Bereits als Kind entwickelte er naturwissenschaftliches Interesse und sammelte – eine
Leidenschaft, die er mit seiner Schwester
Anna teilte – Insekten, Schlangen und Säugetiere; Hunden und Pferden galt ihre ganze
Zuneigung. Nach glänzender Reifeprüfung
ging Axel nach Uppsala, um Medizin zu studieren. Später wechselte er zur berühmten
medizinischen Fakultät von Montpellier, wo
er sich für die Frauenheilkunde entschied,
und ging dann zum Examen nach Paris.
1880 folgte die Promotion mit dem Thema
„Prophylaxe und Behandlung der Blutungen
nach der Geburt“, womit er im Alter von 23
Jahren der jüngste Arzt war, der bis dahin in
Paris promoviert hatte.
Im gleichen Jahr heiratete Munthe. Auf
Capri, Ort der Hochzeitsreise, brach eine
Typhusepidemie aus – für seinen selbstlosen Einsatz ehrte ihn die italienische Regierung mit einem Orden. Kurz darauf wurde
die Nachbarinsel Ischia von einem Erd18
der Psychiatrie zuwandte. Munthe konnte
zuhören, vor allem jenen, die besessen waren
von der Unheilbarkeit ihrer eingebildeten
und wirklichen Leiden. Spektakuläre Behandlungserfolge des vermeintlichen Wunderdoktors sprachen sich in den „gehobenen
Kreisen“ von Paris schnell herum, so dass
man ihn bald auch im Ausland begehrte.
Eine florierende Praxis in Rom, die ihn seinem geliebten Capri näher brachte, beschleunigte seinen Ruhm auch in den USA.
Axel Munthe
(1857 – 1949)
beben heimgesucht – wieder war Munthe
einer der ersten unermüdlichen Helfer.
Im Herbst 1881 kehrte er nach Paris zurück
und eröffnete eine Praxis als allgemeiner
Arzt. Um sein Einkommen aufzubessern,
schrieb Munthe als „Paris-Korrespondent“
Berichte für Dagbladet und Aftonbladet in
Stockholm. Mitzuteilen gab es genug, die
schwedische Kolonie in Paris war groß und
der musizierende Kunstliebhaber Munthe
war bei den Künstlern nicht nur als Arzt
beliebt. Carl Larsson, Nils Forsberg, Carl
Skånberg und Ernst Josephson zählten
neben Guy de Maupassant und anderen zu
seinen Freunden.
Die Absicht, sich als Gynäkologe zu spezialisieren, ließ Munthe unter dem Eindruck
fallen, den der große Neurologe Jan Martin
Charcot*) auf ihn machte. Der Begründer
der Neurologie hatte sich um 1885, als auch
Sigmund Freud in Paris weilte, neben der
Hypnose der Hysterie zugewandt; Munthe
wurde dessen Schüler und von ihm so
nachhaltig beeinflusst, dass er sich in seiner
Praxis mit Gewinn (im doppelten Wortsinn)
*) siehe Heft 6/2000, Seite 10
Reichtum war ihm sicher, doch sein soziales
Gewissen blieb: „Zum Glück hatte ich auch
andere Patienten, sogar reichlich, und sie bewahrten mich davor, restlos zum Scharlatan
zu werden.“ In den Armenvierteln kämpfte
er erbittert und unermüdlich, unter Einsatz
eigenen Geldes gegen Thyphus, Diphtherie
und Spekulation mit Hinterhof„wohnungen“. Zugleich konnte er nun mit der Verwirklichung seines Jugendtraums auf Capri
beginnen, seines Refugiums, das weltbekannt wurde. Hier entstand „Das Buch
von San Michele“, das – in 30 Sprachen
übersetzt – eine Gesamtauflage von über
25 Millionen erreichte. 1948 verfügte
Munthe in seinem Testament, „dass mein
Besitz auf Capri mit dazugehörigen Gebäuden und Anlagen sowie alle dort befindlichen Kunstwerke, Bücher, Inventarien und
andere bewegliche Habe bei meinem Tode
dem schwedischen Staat zufallen soll, zu
Nutz und Frommen der kulturellen Beziehungen zwischen Schweden und Italien.“
Als im Juni 1940 Italien Partner NaziDeutschlands wurde, war für den Humanisten Munthe auf Capri kein Platz mehr.
Da er auch Leibarzt der schwedischen Königin Victoria († 1930 in Rom) gewesen
war, lebte er in seinen letzten Lebensjahren
auf Einladung König Gustavs im Südflügel
des königlichen Schlosses in Stockholm.
Doch der Abschied von Anacapri belastete
ihn sehr. Schon vor zwanzig Jahren hatte er
ein Auge verloren, jetzt drohte das andere
zu erblinden. Er wollte noch Bücher schreiben und nach Capri reisen, doch der Körper
verfiel. Zu seinem 91. Geburtstag 1948 belebten ihn Ehrungen aus der ganzen Welt,
aber dann erlosch sein Lebenswille. Am
11. Februar 1949 fand er einen leichten Tod.
KVS-Mitteilungen Heft 11/2007

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