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Nick und der Flawiwo
N
ick und ich saßen vor dem Fernseher. Wir sahen das Training zum
Formel-1-Rennen an, weil es draußen regnete und wir nichts Besseres
mit unserer Zeit im mallorquinischen Ferienhaus anzufangen
wussten. Gerade eben hatte Nick meine Frage nach seinen
Geschenkewünschen zum fünften Geburtstag beantwortet („eine
Mion Flaschen Fanta und ein Fliegmotorrad“), nun staunte er über
den Kommandostand des Renault-Teams.
„Wer ist der Mann mit der blauen Brille?“ fragte Nick.
„Das ist Flavio Briatore, der Chef von den hellblauen Rennwagen.“
Nick war mäßig beeindruckt. Aber er ist auch mäßig beeindruckt von Naomi Campbell
und Heidi Klum. Andernfalls hielte er Flavio Briatore sicher für einen ganz tollen Hecht.
„Und was macht der Flawiwo da?“
„Der Flawiwo kontrolliert, ob seine Rennwagen genug Luft im Reifen haben, ob die
Bremsen zu heiß sind und ob noch genug Benzin im Tank ist.“
„Kontrolliert der auch, ob die Waffen haben?“
„Wer?“
„Die Rennfahrer. Wenn die Waffen hätten, könnten die sich gegenseitig volle Kanne aus
dem Auto schießen.“
Was für ein entzückender Gedanke. Boxenstopps wären dann noch viel spektakulärer,
weil man sie als Drive-By-Shootings inszenieren könnte. Ich verneinte trotzdem und Nick
verlor schlagartig das Interesse an der Formel-1. Wir beschlossen, einkaufen zu gehen und
fuhren zum großen Iper-Supermarkt.
Ich liebe dieses Geschäft, denn es ist riesig groß und auf wenige Grad über Null temperiert.
Nicht nur das Gemüse bleibt dort knackig frisch, sondern auch die Kunden. Bei Iper haben sie
lebende Langusten, die in einem Aquarium darauf warten, ihrem Schöpfer oder wenigstens
einem ambitionierten deutschen Hobbykoch entgegenzutreten. Das ist ein Grund für Nicks
begeisterte Teilnahme an Einkaufsfahrten. Der andere liegt zu tausenden in spanischen
Supermarktregalen: Geschenke. Kostenlose Beigaben. Er sucht überall danach und meistens
findet er etwas: Acht Gläschen Leberpastete mit Auflaufform. Hundefuttertüten mit
angeklebten Luftbefeuchtern. Marmelade mit sechs Tätowierungen. Haushaltsschwämme
mit Käsereiben. Diesmal bog er mit einer Verpackung um die Ecke, die nicht nur vier
Packungen Spaghetti aus spanischer Herstellung enthielt, sondern zusätzlich eine
batteriebetriebene Spaghettigabel mit sich drehender Spitze. Nick war außer sich.
„Eine Gabel, eine Drehgabel. Papaaaa, eine Gabel.“ Er hyperventilierte vor Begeisterung.
Ich liebe diesen Zustand bei ihm, also kauften wir die Nudeln mit der Gabel. Sie funktionierte
für genau 83 Sekunden, dann rührte Nick ein Blumenbeet vor dem Ferienhaus um, die Forke
brach vom Schaft ab und Nick fing an zu heulen. Aber der Motor im Inneren der Gabel surrte
weiter. Ich drückte auf den Knopf, mit dem Nick die Gabel in Bewegung gesetzt hatte.
„RRRRRRRRRR.“ Der Motor lief weiter, welch ein braves kleines Motörchen. Ich entnahm die
Batterien und setze sie erneut ein. „RRRRRRR.“ Der Motor lief. Er lief den ganzen Abend. Ich
hörte ihn in der Küche surren, als wir ins Bett gingen und als erstes am nächsten Morgen.
„RRRRRRRR.“
„Schmeiß das Ding weg,“ sagte Sara, der das Teil auf die Nerven ging. Also landete die
kaputte Gratisgabe in einer großen schwarzen Mülltüte, die ich vor der Fahrt zum Strand im
Kofferraum verstaute. Niemand im Auto sprach. „RRRRRRR.“ Ich hielt am Müllcontainer und
versenkte die Tüte darin. Einige Kilometer später sagte Nick, der offenbar noch nach einer
Rettungslösung für seine bereits entsorgte Batteriegabel suchte: „Ich habe eine Idee.
Vielleicht kann der Flawiwo mal kontrollieren, was mit der Gabel los ist.“
Ich grüble seitdem darüber nach. Was Flavio Briatore wohl denken würde, wenn er eine
surrende Spaghettigabel von einem deutschen Kind geschickt bekäme!? Wer weiß, vielleicht
freut er sich ja. Ich fahre nachher noch mal zum Container. •
13. SEPTEMBER 2007