Leitsatz: Nimmt ein Betriebsratsmitglied in einer Vielzahl von Fällen

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Leitsatz: Nimmt ein Betriebsratsmitglied in einer Vielzahl von Fällen
LAG Berlin-Brandenburg: Beschluss vom 12.11.2012 - 17 TaBV 1318/12
Autor des Artikels: Tim Wybitul, Of Counsel, Frankfurt, E-Mail: [email protected]
Leitsatz: Nimmt ein Betriebsratsmitglied in einer Vielzahl
von Fällen fortgesetzt unberechtigt Einblick in die
elektronisch geführten Personalakten, kann dies zum
Ausschluss aus dem Betriebsrat führen.
Das LAG Berlin-Brandenburg hatte kürzlich über einen Fall zu entscheiden, in dem ein
Betriebsratsvorsitzender in 253 Fällen von einem Personalcomputer des Betriebsrats aus
unberechtigt auf das Personalinformationssystem zugegriffen und Einsicht in Personalakten
genommen hatte. Der Betriebsratsvorsitzende war nach § 38 Betriebsverfassungsgesetz
(BetrVG) zur Erfüllung von Betriebsratsaufgaben von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt. Das
Betriebsratsmitglied hatte sich zu Beginn seines Arbeitsverhältnisses schriftlich dazu verpflichtet,
personenbezogene Daten nicht unbefugt zu verarbeiten oder zu nutzen. Im Gerichtsverfahren
konnte der Arbeitgeber zwar nicht nachweisen, dass das Betriebsratsmitglied sich unter
Überwindung einer Passwortsperre Zugang zu den fraglichen Personalakten verschafft hatte. Es
war aber unstreitig, dass das Betriebsratsmitglied sich unerlaubt Zugang zum Personalsystem
verschafft hatte. Der unbefugte Datenzugriff des Betriebsratsmitglieds auf Beschäftigtendaten
wurde durch die zufällige Beobachtung eines Personalreferenten bemerkt. Der Arbeitgeber
wollte das Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsrat hierauf kündigen. Für den Fall, dass das Gericht
die Kündigung nicht für berechtigt halten sollte, stellte der Arbeitgeber den Antrag, das
Betriebsratsmitglied aus dem Betriebsrat auszuschließen.
Das LAG Berlin-Brandenburg hielt die fristlose Kündigung zwar für unwirksam, da der Zugriff auf
Personalakten in erster Linie im Zusammenhang mit der Amtstätigkeit als Betriebsrat stand. Den
Datenschutzverstoß wertete das Gericht hingegen als hinreichend schweren Verstoß gegen die
Amtspflichten als Betriebsratsmitglied, um einen Ausschluss aus dem Betriebsrat nach § 23
BetrVG zu rechtfertigen.
Aufgaben und Stellung des Betriebsrats bei Fragen des Datenschutzes
Grundsätzlich hält es die Rechtsprechung für zulässig, dass der betriebliche
Datenschutzbeauftragte zudem Mitglied des Betriebsrats ist. Denn aus der Mitgliedschaft im
Betriebsrat folgt nach Auffassung des BAG keine generelle Unzuverlässigkeit des Arbeitnehmers
für die Ausübung des Amtes eines Beauftragten für den Datenschutz (BAG, Urteil vom
23.03.2011 - 10 AZR 562/09).
Der Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen, dass die zum Schutze
der Arbeitnehmer geltenden Rechtsvorschriften eingehalten werden. Zu diesen
Rechtsvorschriften zählt auch das BDSG (BAG, Beschluss vom 17.03.1987 – 1 ABR 59/85).
Zudem hat der Betriebsrat die Persönlichkeitsrechte der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer
zu schützen, § 75 Abs. 2 BetrVG.
Auskunfts- und Unterrichtungsrechte des Betriebsrats
Betriebsräte haben weitreichende Informationsrechte. Unter anderem muss der Arbeitgeber den
Betriebsrat rechtzeitig und umfassend alle Angaben zur Verfügung stellen, die der Betriebsrat
zur Durchführung seiner gesetzlichen Aufgaben benötigt, § 80 Abs. 2 BetrVG. So hat der
Betriebsrat beispielsweise ein umfassendes Einsichtsrecht in Gehaltslisten (vgl. LAG
Niedersachsen, Beschluss vom 18.04.2012 – 16 TaBV 39/11). Der Betriebsrat kann Klardaten
von sämtlichen Arbeitnehmern verlangen, die so lange arbeitsunfähig waren, dass sie berechtigt
sind, an Maßnahmen des betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements (BEM)
teilzunehmen. Dies gilt sogar dann, wenn die Arbeitnehmer einer solchen Einsichtnahme
ausdrücklich widersprochen haben (BAG, Beschluss vom 7.2.2012 – 1 ABR 46/10). Nach
Auffassung des BAG gehen die Kontrollrechte des Betriebsrats dem Recht auf informationelle
Selbstbestimmung insoweit vor, als dass die Ausübung dieser kollektiven Rechte nicht zur
Disposition einzelner Arbeitnehmer gestellt werden soll.
Nach der Rechtsprechung hat der Betriebsrat hingegen nicht das Recht, ohne Zustimmung des
jeweiligen Arbeitnehmers Einsicht zu nehmen, vgl. § 83 BetrVG (BAG, Beschluss vom
20.12.1988 – 1 ABR 63/87).
Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg
Das LAG Berlin-Brandenburg hielt den Verstoß des Betriebsrats gegen seine Pflichten für so
schwerwiegend, dass dies den Ausschluss aus dem Betriebsrat rechtfertigte. Bei
Betriebsratsmitgliedern kann der Arbeitgeber auf Pflichtverstöße entweder mit den üblichen
arbeitsrechtlichen Mitteln Abmahnung, ordentliche oder außerordentliche Kündigung reagieren.
Hinzu kommt das Recht des Arbeitgebers, den Ausschuss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat
zu fordern, wenn dieser seine gesetzlichen Pflichten in grober Weise verletzt, § 23 Abs. 1
BetrVG. Hierfür muss sich das Verhalten des Betriebsrats in erheblicher Weise nachteilig auf die
weitere Arbeit des Betriebsrats auswirken. Bei Verletzungen von Amtspflichten, die im
Zusammenhang mit der Tätigkeit des Betriebsrats stehen, geht § 23 Abs. 1 BetrVG anderen
Sanktionsmöglichkeiten grundsätzlich vor. Abmahnungen und Kündigungen sind daneben nur
dann möglich, wenn das Betriebsratsmitglied nicht nur gegen seine Amtspflichten, sondern auch
gegen seine Arbeitspflichten verstoßen hat.
Oft gehen die Arbeitsgerichte bei Verhalten, das überwiegend im Zusammenhang mit der
Tätigkeit als Betriebsrat steht, nur von einer Amtspflichtverletzung aus, die einen Ausschluss aus
dem Betriebsrat, nicht aber eine Abmahnung oder Kündigung rechtfertigt. So war es auch im
vorliegend vom LAG Berlin-Brandenburg entschiedenen Fall. Das Gericht ging davon aus, dass
das Betriebsratsmitglied wegen seiner Freistellung ausschließlich Betriebsratsaufgaben
wahrnahm. Sein Verhalten im Betrieb habe daher von vornherein eher einen Bezug zu seiner
Amtstätigkeit als zu seiner Arbeitstätigkeit. Daher überwiege eindeutig der Amtspflichtverstoß,
als Sanktion komme daher nur ein Ausschluss aus dem Betriebsrat in Frage.
Den Datenschutzverstoß des Betriebsratsmitglieds bewertete das LAG Berlin-Brandenburg
eindeutig als schweren Pflichtverstoß. Denn jeder unerlaubte Einblick in eine elektronisch
geführte Personalakte verletze § 5 und beeinträchtige den betroffenen Arbeitnehmer in seinem
Persönlichkeitsrecht. Damit habe das Betriebsratsmitglied gegen das BDSG verstoßen, anstatt
darüber zu wachen, dass es eingehalten wird. Ferner habe er die Persönlichkeitsrechte der
Arbeitnehmer verletzt, die er ja gerade schützen sollte.
Folgen für die Praxis
§ 5 BDSG verbietet es den bei der Datenverarbeitung beschäftigten Personen,
personenbezogene Daten unbefugt zu erheben, verarbeiten oder zu nutzen (Datengeheimnis).
Handelt es sich bei diesen Personen um Arbeitnehmer, ist die Beachtung des
Datengeheimnisses eine gesetzliche Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis. Unbefugt handeln
bei der Datenverarbeitung beschäftigte Personen im Anwendungsbereich des BDSG, soweit der
fragliche Umgang mit personenbezogenen Daten nicht nach § 4 Abs. 1 BDSG erlaub ist.
Nach § 5 Satz 2 BDSG muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei der Aufnahme seiner
Tätigkeit auf das Datengeheimnis verpflichten. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, kann
es ihm verwehrt sein, bei Verstößen gegen das Datengeheimnis arbeitsrechtliche Schritte wie
Abmahnungen oder Kündigungen einzuleiten. Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg
unterstreicht, wie wichtig es für Arbeitgeber sein kann, die Vorgaben von § 5 Satz 2 BDSG zu
beachten und Mitarbeiter auf das Datengeheimnis zu verpflichten.
Die Entscheidung zeigt auch, dass der Betriebsrat sich Informationen aus IT-Systemen des
Arbeitgebers grundsätzlich nicht selbst beschaffen darf. Bei Streit darüber, welche Angaben der
Betriebsrat zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben benötigt, muss er seine
Informationsrechte gegebenenfalls gerichtlich durchsetzen.
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