Volltext - oops/ - Oldenburger Online-Publikations

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Volltext - oops/ - Oldenburger Online-Publikations
Schriftenreihe Oldenburger Forschungsnetz
Wirtschaft – Recht – Bildung
Band 4
Bettina Graue
Britta Alexandra Mester
Günter Siehlmann
Magnus Westhaus
(Hrsg.)
International – Europäisch – Regional
BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
BIS-Verlag, Oldenburg, 2007
Verlag / Druck / Vertrieb
BIS-Verlag
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Postfach 25 41
26015 Oldenburg
Tel.: 0441/798 2261, Telefax: 0441/798 4040
E-mail: [email protected]
Internet: www.ibit.uni-oldenburg.de
ISBN
978-3-8142-2052-9
Vorwort der Herausgeber
7
Thomas Heinicke
Verfassungsrechtlicher Umweltschutz in Deutschland und
Südafrika – von der jungen Demokratie lernen
15
Magnus Westhaus
Supply Chain Controlling-Publikationen – Eine Analyse
internationaler Referenzen
35
Andreas Eiselt/Inge Wulf
Wesentliche Bilanzierungsunterschiede bei Rechnungslegung
nach International Financial Reporting Standards (IFRS) und
US-Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP)
65
Martin Duensing
Wie machen es die Nachbarn?- Familienpolitik im Vergleich
97
Dirk Höner
Institutionalisierung qua Internationalisierung – Die Entwicklung
der Unternehmensberatung aus neo-institutionalistischer
Perspektive
119
Herbert Schulze/Peter Wengelowski
Transkulturelle Kompetenz – eine akteursorientierte
Perspektive
143
Tobias Menz
Demographischer Wandel und Umweltqualität
177
Bettina Reich
Die Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS
199
Udo Bonn
Theorie Optimaler Währungsräume und ökonomische
Konvergenz
227
Sarah Müller
Epistemologische Überzeugungen zu Wissen und Wissenserwerb
im europäischen Vergleich
247
Chege, Victoria
The Interaction of Race and Gender in EU Equality Law
267
Romy Morana, Judy Libra
Internationalisierung regionaler Produktkreisläufe
289
Anne Rubens-Laarmann
Tageszeitungen im Umbruch – Implikationen für das regionale
Anzeigenmarketing
305
Jörg Hammermeister
All business is local - Möglichkeiten der strategischen
Differenzierung durch regionale Markenführung – Am Beispiel
von Marken der Unternehmen EWE, InBev und Rügenwalder
329
Vorwort der Herausgeber
Inzwischen liegt der vierte Band des Forschungsnetzwerkes Wirtschaft /
Recht / Bildung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg vor. Bereits im Jahre 2003 startete der erste Band mit dem Titel „Umwelt / Arbeit /
Bildung“. Hierauf folgte der zweite Band mit dem Titel „Information / Wissen / Kompetenz“ und der dritte zu den Themenkomplexen „Beratung Evaluation - Transfer“. In Fortsetzung dieser Reihe wendet sich der vierte
Mittelbauband einer „internationalen, europäischen und regionalen“ Themenstellung zu. Die Wissenschaftlerinnern und Wissenschaftler des Mittelbaus der Fakultät II präsentieren unter dieser Thematik ihre wirtschaftspädagogischen, rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsfelder.
In Analogie zu den ersten drei Bänden bedient sich auch der vierte eines
Dreiklangs und will die vielfältigen Forschungsschwerpunkte innerhalb des
Mittelbaus in ihrer gesamten Bandbreite aufgreifen. Der gewählte Dreiklang
steht für unterschiedliche aktuelle politische und gesellschaftliche Ebenen
der Veränderung, die von der Wissenschaft aufgegriffen werden. Zu nennen
sind die vielfach diskutierte Internationalisierung der Wirtschaft, der europäische Einigungsprozess und die Wechselwirkungen der beiden erstgenannten Bereiche mit der regionalen Entwicklung. Der Titel „international,
europäisch, regional“ stellt nicht drei Begriffe isoliert nebeneinander, sondern betont vielmehr deren Potentiale einer integrativen Verflechtung.
Die Gliederung des Sammelbandes orientiert sich an der gewählten Thematik. Es beginnt mit Beiträgen zu internationalen Forschungsfragen. Daran
schließen sich Beiträge an, die den Fokus auf europäische Aspekte des wissenschaftlichen Diskurses legen. Den Schluss des Dreiklangs bilden Beiträge, die sich einer regionalen Ausrichtung verpflichtet sehen.
Im Folgenden werden die verschiedenen Beiträge entsprechend dem Gliederungsschema zugeordnet und kurz inhaltlich eingeführt.
8
International
Den Beginn zu diesem ersten Themenblock macht der Autor Thomas Heinicke. Er vergleicht in seinem Beitrag „Verfassungsrechtlicher Umweltschutz
in Deutschland und Südafrika – von der jungen Demokratie lernen“ die
Verfassungen Deutschlands und Südafrikas im Hinblick auf das hier und
dort verankerte Umweltgrundrecht miteinander. Während Art. 20a GG als
bloße Staatszielverpflichtung nur den Staat zur Gewährleistung und Sicherung der natürlichen Ressourcen auffordert, stellt sich Sec. 24 (a) der Verfassung Südafrikas (SAC) als weit reichendes und einklagbares Grundrecht auf
eine Umwelt dar, die weder die Gesundheit noch das Wohlbefinden des
Einzelnen beeinträchtigen darf. Darüber hinaus wird über Sec. 24 (b) SAC
ein Anforderungskatalog entwickelt, der u.a. das umweltrechtliche Vorsorgeprinzip beinhaltet. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass Art. 20a GG
auf der Basis der aus der südafrikanischen Verfassung gewonnenen Erkenntnisse erhebliche Schwächen insbesondere mit Blick auf die fehlende Verbindlichkeit des Nachhaltigkeitsprinzips zeigt.
Der Beitrag von Magnus Westhaus trägt den Titel „Supply Chain Controlling – Eine Analyse internationaler Referenzen“. Die Diskussion um ein
Supply Chain Controlling wird vornehmlich im deutschsprachigen Raum
geführt. Hiervon unabhängig fließen dennoch internationale Erkenntnisse in
Form von Referenzen in die Veröffentlichungen zum Supply Chain Controlling ein. Das Anliegen des Beitrages ist die Analyse der enthaltenen angloamerikanischen Referenzen mittels einer Zitatenanalyse. Ausgehend von
einer Darstellung der Grundlagen des Supply Chain Managements, des Controllings und des Supply Chain Controllings wird die Forschungsmethodik
der Zitatenanalyse dargestellt. Daran schließt sich die Darbietung der Analyseergebnisse an. Es werden interessante Einblicke in den Einfluss internationaler Publikationen auf die deutschsprachige Diskussion bezüglich des
Supply Chain Controlling gegeben, so dass die Untersuchung einen weiteren
interessanten Baustein zur Forschung zum Supply Chain Controlling darstellt.
Der Aufsatz von Andreas Eiselt und Inge Wulf wendet sich der Thematik
„Wesentliche Bilanzierungsunterschiede bei Rechnungslegung nach International Financial Reporting Standards (IFRS) und US-Generally Accepted
Accounting Principles (US-GAAP)“ zu. IFRS und US-GAAP stellen für
international tätige Unternehmen bzw. Konzerne die gegebenenfalls anzuwendenden Rechtsvorschriften dar. Zwischen beiden Standards bestehen
9
jedoch Unterschiede. Der Artikel wendet sich daher den wesentlichen Differenzen in den Ausweis-, Ansatz- und Bewertungsvorschriften der beiden
Rechnungslegungsvorschriften zu, wobei der Fokus auf börsennotierte Handels- und Industrieunternehmen gelegt wird. Hierzu wird zunächst auf Unterschiede in den Rahmenbedingungen eingegangen. Im Anschluss daran
folgt eine Gegenüberstellung der Differenzen in den Zielen und Grundsätzen
der jeweiligen Rechnungslegung. Daran schließen sich Ausführung zu den
Unterschieden in der formalen Ausgestaltung der Abschlussbestandteile und
der bilanzorientierten Darstellung der wesentlichen Bilanzierungsunterschiede an. Als Resümee lässt sich festhalten, dass der Prozess der Angleichung der beiden Rechnungslegungssysteme als noch nicht abgeschlossen
angesehen werden muss.
Der Beitrag von Martin Duensing trägt den Titel „Wie machen es die Nachbarn? – Familienpolitik im Vergleich“. Hier wird unter Familienpolitik der
Eingriff des Staates durch direkte und indirekte monetäre Maßnahmen in
einzelwirtschaftliche Kalküle verstanden, der das Ziel verfolgt, die Geburtenrate zu beeinflussen. Zunächst werden Ausführungen geboten, wann eine
Familienpolitik aus ökonomischer Sicht gerechtfertigt ist. Daran anschließend wird anhand von statistischem Datenmaterial aus verschiedenen westlichen Industriestaaten aufgezeigt, auf welche Bedingungen Familienpolitik
zu reagieren hat und was Familienpolitik zu leisten im Stande ist. Die international gewonnenen Erkenntnisse werden abschließend zu möglichen Empfehlungen für eine deutsche Familienpolitik zusammengefasst.
Dirk Höner greift in seinem Beitrag die Thematik „Institutionalisierung qua
Internationalisierung – Die Entwicklung der Unternehmensberatung aus
neo-institutionalistischer Perspektive“. Hier wird untersucht, mit welcher
Berechtigung von einer Institution Unternehmensberatung gesprochen werden kann und wie ein derartiger Status entsteht. Für eine diesbezügliche
Erklärung wird im Rahmen der Arbeit auf den Theorie-Ansatz des Neo-Institutionalismus zurückgegriffen. Um die Zielsetzung der Arbeit zu erreichen, wird zunächst auf die Institutionalisierungsprozesse im Rahmen des
neo-institutionalistischen Theorieansatzes eingegangen. Danach folgt eine
eingehende Auseinandersetzung mit der Institutionalisierung der Unternehmensberatung, bevor auf die Bedeutung des Institutionen-Status für die Unternehmensberatung eingegangen wird. Abschließend wird resümiert, dass
die Unternehmensberatung zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgrund ihrer
Institutionalisierung über ein Legitimationskapital verfügt. Daran anknüp-
10
fend wird ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungslinien der Unternehmensberatung gegeben.
Herbert Schulze und Peter Wengelowski thematisieren „Transkulturelle
Kompetenz – eine akteursorientierte Perspektive“. Zunächst wird hierzu in
globale und interkulturelle Aspekte des Managements eingeführt. Im zweiten
Kapitel wird kritisch auf die traditionelle Sichtweise eingegangen, dass eine
effiziente Gestaltung von Strategie, Strukturen und System den Unternehmenserfolg garantiert. Das dritte Kapitel zeigt auf, dass dieser Ansatz im
internationalen Kontext nicht mehr haltbar ist und es zu einer Berücksichtigung von Strategie, Kultur und Unternehmen kommen muss. Das vierte
Kapitel diskutiert abschließend, ob die transkulturelle Kompetenz als ein
weiterführender Ansatz begriffen werden kann.
Der Artikel von Tobias Menz zum Demographischen Wandel und Umweltqualität“ stellt den Einfluss der demographischen Veränderungen der kommenden Jahrzehnte auf den Umweltverbrauch bzw. die Umweltverschmutzung vor. Er konstatiert dabei weltweit regionale Unterschiede am Beispiel
der Luftverschmutzung durch Kohlendioxid (typisch globale Umweltemission), Schwefeldioxid (typisch regionale Umweltemission) und Kohlenmonoxid (typisch lokale Umweltemission). Die vorgenommene Differenzierung
nach High Income Countries (HIC), Middle Income Countries (MIC) und
Low Income Countries (LIC) macht deutlich, dass Kohlendioxid vornehmlich in den HIC, Schwefeldioxid in den MIC und Kohlenmonoxid tatsächlich
am stärksten in den LIC ausgestoßen wird. Der Autor räumt ein, dass seine
Untersuchung lediglich erste Anhaltspunkte liefern kann, jedoch weitere
wertvolle Erkenntnisse aus einer feineren Gliederung der regionalen Aufteilung der Länder mit ähnlicher Demographie und Wohlstandsniveau gezogen
werden können. Abschließend sieht er im demographischen Wandel auch
Einflüsse auf die Umweltpräferenzen und Konsummuster der Bevölkerung
begründet, die seiner Ansicht nach näherer Untersuchung bedürfen.
Bettina Reich behandelt in ihrem Beitrag die „Bilanzierung immateriellen
Vermögens nach IFRS“. Der Wandel der Industriegesellschaft hin zu einer
Dienstleistungs-, Hochtechnologie- und Informationsgesellschaft geht einher
mit einem zunehmenden Bedeutungsverlust materieller Unternehmenswerte.
Demgegenüber steigen immaterielle Vermögenswerte kontinuierlich an und
stellen sich als zukünftiger Garant für Unternehmenserfolge und –werte dar.
Im deutschen Bilanzrecht sind diese immateriellen Werte aber nur dann
auszuweisen, wenn sie entgeltlich erworben wurden, so dass die Autorin der
11
Frage nachgeht, wie über die International Financial Reporting Standards
(IFRS) neben der Bilanzierung der entgeltlichen immateriellen Vermögenswerte nach HGB auch selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte aktiviert werden können. Sie wirft dabei auch einen Blick auf die EU-Verordnung Nr. 1606/2002 und kommt zu dem Ergebnis, dass sich über die IFRS
entscheidungsrelevante und dem True-and-Fair-View entsprechende Informationen ergeben. Darüber hinaus fordert sie für immaterielles Vermögen
eine qualitative Offenlegung i.S.v. Intellectual-Capital-Berichten sowie eine
quantitative Standardisierung.
Europäisch
Der Artikel von Udo Bonn trägt den Titel „Theorie Optimaler Währungsräume und ökonomischer Konvergenz“. Der Autor untersucht, ob die in
Artikel 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft angestrebte ökonomische Konvergenz durch eine monetäre Integration gefördert
wird. Hierzu werden zunächst die Ansätze der Monetaristen und Ökonomisten der klassischen Theorie zu Optimalen Währungsräumen betrachtet
und deren Einfluss auf die ökonomische Konvergenz abgewogen. Es folgen
Ausführungen zu neueren Entwicklungen der OCA-Theorie. Hier wird zwischen der Haltung der Europäischen Kommission, die eine gemeinsame
Währung als einen Beschleuniger des Konvergenzprozesses sieht, und der
Auffassung, dass die monetäre Integration zu Spezialisierungstendenzen und
somit zu divergenten Entwicklung führt, unterschieden. Abschließend werden gängige empirische Methoden bezüglich der Bewertung Optimaler Währungsräume erläutert, bevor als Resultat die Sichtweise der Katalysatortheorie eine Bestätigung findet.
Die Arbeit von Sarah Müller behandelt die Themenstellung „Epistemologische Überzeugungen und Wissenserwerb im europäischen Vergleich“. Menschen besitzen individuelle Überzeugungen beziehungsweise Systeme zu
Wissen und Wissenserwerb, die unmittelbaren Einfluss auf Verstehen, Problemlösen und Handeln haben und selbst einem Entwicklungsprozess unterliegen. Nach Begriffsklärungen gibt die Autorin eine Einführung in Theorien
und Modelle zu epistemologischen Überzeugungen. Im Anschluss daran
wird der empirische Part der Arbeit dargeboten, der sich mit dem Wissen
und Wissenserwerb von Lehrerinnen und Lehrern aus Deutschland und Österreich auseinandersetzt. Die Untersuchung zu deren epistemologischen
Überzeugungen wird mit Hilfe eines Fragebogens durchgeführt. Abschlie-
12
ßend wird festgestellt, dass hinsichtlich der Auswirkungen der epistemologischen Überzeugungen auf das unterrichtliche Handeln noch ein erheblicher
Forschungsbedarf besteht.
Victoria Chege beschäftigt sich in ihrem Artikel mit der „Wechselwirkung
von Rasse und Geschlecht im europäischen Gleichstellungsrecht“ (The Interaction of Race and Gender in EU Equality Law). Es geht darum, dass
Diskriminierungen u.a. aufgrund des Geschlechts und der Rasse häufig nicht
isoliert voneinander stattfinden, sondern miteinander korrespondieren. In
diesem Zusammenhang wird auch von der Mehrfachdiskriminierung gesprochen. Die Autorin verdeutlicht, dass zwischen geschlechts- und rassisch
bedingten Diskriminierungen Zusammenhänge bestehen, die zwar einen
europarechtlichen Rahmen durch Art. 13 EG-Vertrag und die Antidiskriminierungsrichtlinien erhalten haben, jedoch nach wie vor Schwierigkeiten bei
der Erfassung der sich überschneidenden Tatbestände bieten. Sie folgert aus
dem Gender-Mainstreaming-Instrument der EU, dass es die Einbeziehung
von Mehrfachdiskriminierungen in Bezug auf das Geschlecht erst ermöglicht, allerdings auch die Problematik der Hierarchisierung von Diskriminierungstatbeständen birgt.
Regional
Der Beitrag von Romy Morana und Judy Libra behandelt die „Internationalisierung regionaler Produktkreisläufe“. Wie im Titel erkennbar wird,
zeichnet sich der Artikel dadurch aus, dass er sowohl internationale als auch
regionale Aspekte aufgreift, wobei letztgenannte dominieren und die Zuordnung in die regionale Rubrik unterstreichen. Die Textilkette zeichnet sich
durch vielfältige soziale und ökologische Probleme aus. Um die mit ihr verbundenen Umweltprobleme zu verringern, bietet sich die Einführung von
Produktkreisläufen an. In der Arbeit werden zwei regionale Kreisläufe thematisiert und deren internationale Ausweitung diskutiert. Hierzu wird einleitend die globale Textilkette mit ihren sozialen und ökologischen Auswirkungen skizziert, bevor sich dem Kernanliegen der Arbeit – den Produktkreisläufen „ECOLOG“ und „GETEX“ zugewandt wird. Insbesondere für
letztgenanntes wird eine internationale Ausweitung nahe gelegt. „ECOLOG“
hingegen muss seine Probleme zunächst noch auf regionaler Ebene lösen.
Anne Rubens-Laarmann setzt sich in ihrem Artikel mit dem Thema „Tageszeitungen im Umbruch – Implikationen für das regionale Anzeigenmarke-
13
ting“ auseinander. Tageszeitungen sind traditionell ein Medium mit hoher
Bedeutung sowohl auf dem Rezipienten- als auch Werbemarkt. In Deutschland ist insbesondere ein hoher Anteil an lokalen und regionalen Zeitungen
festzustellen. Insbesondere für Werbetreibende, die in deren Einzugsgebiet
tätig sind, stellen sie ein Basismedium dar. Allerdings ist für den regionalen
Anzeigenmarkt zu beobachten, dass dieser zunehmend an Bedeutung verliert
und somit die Einnahmen aus dem Anzeigengeschäft für die Verlage verloren gehen. Vor diesem Hintergrund setzt sich der vorliegende Artikel mit
den aktuellen Entwicklungslinien im Anzeigengeschäft regionaler Tageszeitungen auseinander und untersucht die Konsequenzen für das Marketing
im regionalen und lokalen Raum. Mit Hilfe des Dienstleistungsmarketing als
ein Rahmenkonzept soll ein auf die Bedürfnisse regionaler Kunden abgestimmtes Anzeigenmarketing im Rahmen dieses Beitrages entworfen werden.
Jörg Hammermeister behandelt unter dem Titel „All business is local –
Möglichkeiten der strategischen Differenzierung durch regionale Markenführung – Am Beispiel von Marken wie EWE, InBev und Rügenwalder“ die
wachsende Bedeutung regionaler Marken als Identitätsstifterinnen in der
Lebenswirklichkeit der Menschen innerhalb Europas, welches auch das
zukünftige Konsumverhalten entscheidend mitprägen wird. An Beispielen
aus der Metropolregion Bremen – Oldenburg wie Haake Beck Bier oder
Rügenwalder Teewurst werden identitätsstiftende Gefühle wie „Frische des
Nordens“ oder kleindörfliche Idylle nachgezeichnet, die der jeweiligen Marke ihr positives und unverwechselbares Image verleihen und die den Transfer zwischen der Region und der Marke herstellen. Er kommt zu dem
Schluss, dass ein zielgerichtetes identitätsbasiertes Markenmanagement den
Aufbau starker Marken fördert. Will eine Marke allerdings den Sprung über
die Region hinaus schaffen und weitere Konsumenten erreichen, ist neben
der regionalen Verankerung auch die Perspektive auf das Land bzw. die
Welt erforderlich. Ein markenstrategische „Königtum“, so das engagierte
Plädoyer des Verfassers, ist aber nur dort möglich, wo der Kunde als König
begriffen wird – damit steht und fällt der Unternehmenserfolg gerade auch
beim Vertrieb regionaler Marken, die den Käufern gleichzeitig Orientierungsmuster zur Verfügung stellen.
14
Wir bedanken uns bei allen Autorinnen und Autoren, die an diesem Mittelbauband mitgewirkt haben. Jeder Beitrag für sich eröffnet Möglichkeiten
weiterführender Diskussionen.
Wir danken darüber hinaus der Fakultät II der Carl von Ossietzky Universität
Oldenburg für die finanzielle Unterstützung bei der Publikation.
Diese Schriftenreihe wird 2007 fortgesetzt und behandelt im fünften Band
die Thematik „Kapital / Kompetenz / Konflikte“.
Oldenburg, Dezember 2006
Bettina Graue, Britta Alexandra Mester, Günter Siehlmann, Magnus Westhaus
Thomas Heinicke
Verfassungsrechtlicher Umweltschutz in Deutschland und
Südafrika – von der jungen Demokratie lernen
1 Einführung – Umweltschutz und Verfassungsrecht
Breuer stellte schon vor 25 Jahren fest, dass der Umweltschutz „die Schicksalsaufgabe des modernen Staates” darstelle1. Angesichts des drastisch gestiegenen Verbrauchs natürlicher Ressourcen seit dieser Zeit sowie neu hinzugetretener Umweltgefahren2 trifft diese Einschätzung zu Beginn des neuen
Jahrtausends verschärft zu. Wird der Umweltschutz in wirtschaftlich weniger
prosperierenden Zeiten auch gerne als Luxusgut abgetan, entspricht dies
nicht der Bedeutung des Umweltschutzes für das Leben der heutigen und die
Möglichkeiten der künftigen Generationen. Ein auf den Menschen bezogenes
Umweltschutzverständnis ist darauf gerichtet, die Grundlagen des menschlichen Lebens dauerhaft zu sichern. Daher erscheint die Einordnung des Umweltschutzes als Schicksalsaufgabe nicht vermessen, wenn auch neben dem
Umweltschutz eine Vielzahl anderer, ebenfalls bedeutsamer Staatsaufgaben
anzuerkennen sind, die teilweise in Widerspruch zum Umweltschutz stehen3.
1
Breuer, Der Staat 20 (1981), 393 (393).
2
Eingehend Steinberg, Verfassungsstaat, S. 21 ff.
3
Vgl. z.B. das Staatsziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Art. 109 Abs. 2 GG
16
2 Das Prinzip nachhaltiger Entwicklung als Leitlinie der
Umweltpolitik
Der Umweltschutz bewegt sich im Spannungsfeld unterschiedlichster
Staatsaufgaben. Neben dem Umweltschutz ist es auch Aufgabe eines Staates,
lenkend in den Wirtschaftsprozess einzugreifen und eine Infrastruktur zu
schaffen und zu erhalten.
Das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung („sustainable development4) zeigt
einen kompromissfähigen Mittelweg zwischen widerstreitenden Interessen
auf und bricht mit dem Absolutheitsanspruch des Umweltschutzes5. Der
Begriff beinhaltet ein ausdrückliches Bekenntnis zu einer wirtschaftlichen
Entwicklung, solange diese nachhaltig ist und damit Belange des Umweltschutzes, der Ressourcenschonung und Interessen der künftigen Generationen im Rahmen von wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Entscheidungsprozessen berücksichtigt6.
2.1 Die Verfassung als Grundlage einer Entscheidung zwischen
konfligierenden Staatsaufgaben
Auf nationalstaatlicher Ebene kann Umweltschutz nur in der Verfassung als
rechtlicher Grundordnung eines Staates sinnvoll verankert werden. Die Verfassung legitimiert staatliches Handeln auf dem Gebiet des Umweltschutzes,
sowohl unter dem Aspekt der finanziellen Aufwendungen für Forschung und
Förderung7, als auch im Hinblick auf die mit Umweltschutz verbundenen
z.T. erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigungen für Umweltnutzer8. Angesichts der Bedeutung des Umweltschutzes für das Leben und die Gesundheit
4
Vgl. hierzu den Bericht der sog. Brundlandkomission aus dem Jahre 1987, in welchem
sustainable development wie folgt definiert wurde: .„... development that meets the need of
the present without comprising the ability of future generations to meet their own needs”,
World Commission on Environment and Development, Our common future, 1987, S. 43.
5
Wolf in AK-GG, Art. 20a Rn. 24; Sieben, NvwZ 2003, 1173 (1175).
6
Glazewski, Environmental Law, S. 15.
7
Beispielsweise auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien, insbesondere der Windkraft.
8
Beispielsweise mit Blick auf die Betreiber von Kernkraftwerken und den Atomausstieg.
17
der Menschen stellt sich die Frage nach der angemessenen verfassungsrechtlichen Absicherung staatlichen Umweltschutzes als einer Schicksalsaufgabe
des modernen Staates. Hierbei sind die deutsche und die südafrikanische
Rechtsordnung gegenüberzustellen.
2.2 Schnittmenge und Unterschiedlichkeiten zwischen deutschem und
südafrikanischem Verfassungsrecht
Ein Vergleich zwischen dem Grundgesetz und der südafrikanischen Verfassung9 mutet zunächst merkwürdig an, da beide Länder faktisch in vielfacher
Hinsicht unterschiedlich sind und keine besonderen Bezüge der Rechtsordnungen untereinander zu bestehen scheinen.
Allerdings weisen beide Verfassungen bei näherer Betrachtung weitgehende
Parallelen auf, die einen Vergleich erst vernünftigerweise möglich machen.
Diese Parallelen treten insbesondere auf der Ebene der eine Verfassung
kennzeichnenden Staatsstrukturprinzipien10, aber auch anhand der grundsätzlichen Ausrichtung auf den Schutz der Menschenwürde als oberstem
Verfassungswert11 sowie in einem in weiten Teilen vergleichbaren bzw.
identischen Grundrechtskatalog12 zutage. Die erstaunlichen Parallelen zwischen beiden Verfassungen rühren zum einen daher, dass das Grundgesetz
neben anderen Verfassungen als explizites Vorbild der südafrikanischen
Verfassung diente und zum anderen überproportional viele deutsche Staatsrechtler in den Prozess der Verfassungsberatung involviert waren.
Im Unterschied zu den ursprünglichen historischen Motiven des deutschen
Verfassunggebers aus dem Jahre 1949, der das Grundgesetz in der Erwartung der kurzfristigen Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands
lediglich als Übergangsstatut sah, stellt die südafrikanische Verfassung aus
dem Jahre 1996 einen Dauerhaftigkeitsanspruch auf und ist darauf gerichtet,
9
Constitution of the Republic of South Africa, Act 108 of 1996, hiernach SAC.
10
So finden sich die im Grundgesetz verankerten Republik-, Demokratie- und Aspekte des
Rechtsstaatsprinzipien auch in Sec. 1 SAC wieder, während die südafrikanische Verfassung das Bundesstaatsprinzip nicht kennt und Elemente des Sozialstaatsprinzips an mehreren Stellen der Verfassung zum Ausdruck kommen, Vorschrift abgedruckt bei Grupp, Südafrikas neue Verfassung, Anhang.
11
Vgl. Sec. 1 SAC.
12
Vgl. Sec. 9-26 SAC.
18
die Transformation der ehemals geteilten Gesellschaft Südafrikas zu einem
an Freiheit, Gleichheit und gemeinsamen Wohlstand ausgerichteten Staatswesen voranzutreiben. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich der südafrikanische Verfassungsgeber dazu entschieden, die Grundrechte – anders als in
klassischen Verfassungsordnungen wie dem Grundgesetz – auch für das
Verhältnis unter Privaten für verbindlich zu erklären.
Im Grundsatz sowie im Detail bestehen daher auch zahlreiche Unterschiede
zwischen beiden Staatsordnungen, was insbesondere auch im konkreten
Vergleichspunkt, der Frage nach der angemessenen verfassungsrechtlichen
Anerkennung des Umweltschutzes, der Fall ist.
3 Umweltgrundrecht oder Staatszielbestimmung als
Ausgestaltungsmöglichkeiten verfassungsrechtlichen
Umweltschutzes
Der Frage nach der angemessenen Absicherung des Umweltschutzes ist auf
zwei Ebenen nachzugehen. Zum einen ist zu untersuchen, in welcher verfassungsrechtlichen Form der Umweltschutz gewährleistet wird, zum anderen,
welchen Inhalt die Absicherung hat. Im Rahmen dieser Darstellung kann in
formeller Hinsicht nur auf die Ausgestaltungsformen Staatszielbestimmung
und Grundrecht und in materieller Hinsicht auf die Verkörperung des Nachhaltigkeitsprinzips eingegangen werden13. Es werden zunächst die Unterschiede zwischen Staatszielbestimmung und Grundrecht aufgezeigt.
3.1 Begriff der Staatszielbestimmung
Staatszielbestimmungen weisen dem Staat normativ verbindlich eine Sachaufgabe zu, aus der eine Rechtspflicht zur Befolgung des Inhalts für den
Staat und seine Organe folgt. Nach gängiger Definition sind Staatszielbestimmungen „Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der
Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Auf-
13
Eine nähere Untersuchung erfolgt im Rahmen der Dissertation des Verfassers, „Verfassungsrechtlicher Umweltschutz in Deutschland und in der Verfassung der Republik Südafrika – eine vergleichende Betrachtung“ (Universität zu Köln), die 2006 abgeschlossen
wurde.
19
gaben – sachlich umschriebener Ziele – vorschreiben“14. Ein praktisch relevanter Unterschied insbesondere zum Grundrecht ist ihr objektiv-rechtlicher
Charakter, der die Staatszielbestimmung zu einer lediglich staatsintern wirkenden Norm werden lässt. Weder ist der Einzelne durch eine Staatszielbestimmung adressiert, noch kann er aus ihr einen Anspruch auf Befolgung der
Rechtspflicht ableiten15.
3.2 Begriff des Grundrechts
Im Unterschied zu Staatszielbestimmungen definieren sich Grundrechte
dadurch, dass sie durchsetzbare und damit einklagbare16 Ansprüche auf
Unterlassen oder positives Tun gewähren und die Verfassungspflicht damit
zumindest auch subjektive Rechte gewährleistet17. Es werden zwei Ausformungen von Grundrechten unterschieden. Zum einen stellen Grundrechte in
ihrem klassischen, liberalen Verständnis als Beschränkungsform staatlicher
Macht Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe dar18. Jedoch vermag alleine
die Freiheit von staatlichem Zwang den Anforderungen an die Grundrechtsverwirklichung im modernen Verfassungsleben, in welchem der Staat maßgeblichen Einfluss auf vielerlei Umstände der Grundrechtsverwirklichung
ausübt, nicht auszureichen. Daher gewährt die Verfassung neben den klassischen, liberalen Abwehrrechten in begrenztem Umfang Leistungs- und Teilhaberechte, die dem Einzelnen einen Anspruch auf positives staatliches
Handeln gewähren, der über das bloße Unterlassen einer Handlung hinausgeht19.
Neben der subjektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte beinhalten diese
ebenso wie die Staatszielbestimmungen eine objektiv-rechtliche Ebene. Sie
besitzen als Wertentscheidungen der Verfassung Ausstrahlungswirkung auf
14
Bericht der Sachverständigenkommission Gesetzgebungsaufträge/Staatszielbestimmungen,
Rn. 7.
15
Murswiek in Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 12.
16
Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S. 28.
17
Dreier in ders. (Hrsg.), GG, vor Art. 1 Rn. 30.
18
Z.B. das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.
19
Z.B. das Recht auf Berufs-, Ausbildungs- und Studierfreiheit in Art. 12 Abs. 1 GG in
Bezug auf die Einrichtung von Studienplätzen
20
die gesamte Rechtsordnung20. Auch wenn Private im deutschen Verständnis
nicht grundrechtsgebunden sind, werden die in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Schutzgüter des Einzelnen auch gegen Beeinträchtigungen von privater Seite im Rahmen der staatlichen Schutzpflichten geschützt.
Hieraus resultiert jedoch kein direkter Abwehranspruch des Geschädigten
gegen den Schädiger, sondern in von der Rechtsprechung in einzelnen Fallgruppen näher bestimmten Grenzen kann der Geschädigte gegen den Staat
einen Anspruch auf Einschreiten gegen den Schädiger geltend machen.
Im folgenden sind die umweltspezifischen Bestimmungen von Grundgesetz
und südafrikanischer Verfassung gegenüberzustellen.
4 Die Entwicklung des Umweltschutzgedankens im
Grundgesetz
Die ökologische Herausforderung an den Staat war noch nicht absehbar, als
das Grundgesetz nach dem zweiten Weltkrieg beraten und geschaffen wurde21. Entsprechend hatte das Grundgesetz in seiner ursprünglichen Fassung
den natürlichen Lebensgrundlagen weder durch die Grundrechte, noch durch
objektiv-rechtliche Prinzipien hinreichenden Schutz gewährt22.
Im Zuge des Erwachens eines allgemeinen Umweltbewusstseins ab Ende der
sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts23 stellte sich die Frage nach
der verfassungsrechtlichen Antwort auf die drängenden Umweltprobleme der
Zeit. Im Anschluss an eine Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt
aus dem Jahre 1972, in welcher er als Ziel seiner Regierung die Einfügung
eines Umweltgrundrechts in das Grundgesetz ausgab, entbrannte eine langjährige Diskussion über Möglichkeiten und Risiken eines Umweltgrund-
20
Ständige Rechtsprechung des BVerfG seit BVerfGE 7, 198 (208 f.).
21
So auch Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission Staatszielbestimmungen /
Gesetzgebungsaufträge, BT 12/6000, S. 65, hiernach Verfassungskommission; Bock, Umweltschutz, S. 112 f; Scholz in Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20a (Stand: Oktober 1996)
Rn. 19.
22
Verfassungskommission, S. 65. Alleine in den Kompetenzbestimmungen thematisierte die
Ursprungsfassung Aspekte des Umweltschutzes.
23
Bock, Umweltschutz, S. 53 f.; Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rn. 82 ff.
21
rechts, die jedoch zunehmend auf eine Ablehnung subjektiv-rechtlicher
Umweltschutzgewährleistungen hinauslief24. Begründet wurde diese ablehnende Auffassung insbesondere mit Hinweis auf die Gefahr, dass die Rechtsprechung, die bei einer grundrechtlichen Ausgestaltung des Umweltschutzes zur Konkretisierung des notwendigerweise abstrakt gehaltenen Rechts
aufgerufen wäre, an Stelle des Gesetzgebers und an diesem vorbei Umweltrecht gestalten könnte. Wohl auch unter dem Eindruck der ablehnenden
Literaturauffassung erklärte Bundeskanzler Schmidt 1976 die Abkehr von
der subjektiv-rechtlichen Lösung hin zur Prüfung der Aufnahme einer objektiv-rechtlichen Umweltschutzbestimmung in das Grundgesetz. Auch an
diese Entscheidung knüpfte sich eine längere Diskussion an, die in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts annähernd verstummte und erst
durch die Verfassungsreformen im Zuge der deutschen Wiedervereinigung
wieder aktuell wurde25.
5 Die Staatszielbestimmung Umweltschutz - Art. 20a GG
als Grundnorm verfassungsrechtlichen Umweltschutzes
im Grundgesetz
Während zahlreiche ausländische Staaten bereits ab den siebziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts subjektiv-rechtliche Umweltschutzgewährleistungen in ihre Verfassungen aufnahmen26, entschied sich der deutsche verfassungsändernde Gesetzgeber für die Aufnahme einer objektiv-rechtlichen
Staatszielbestimmung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Art.
20a GG in das Grundgesetz. Am 27.10.1994 wurde mit dem 42. Änderungsgesetz zum Grundgesetz27 der Umweltschutz in Art. 20a a.F. GG eine expli-
24
Zusammengefasst bei Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, S. 1 ff.
25
Ausführliche Diskussionsdarstellung bei Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S. 37 ff.
26
Vgl. Art. 21 der niederländischen Verfassung vom 17.02.1983 Art. 66 Abs. 1, 3 der Verfassung Portugals vom 02.04.1976 Art. 56 Abs. 1, 2 der Verfassung der Türkei vom
07.11.1982
27
Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994, BGBl. I, 3146.
22
ziten Umweltschutzklausel verankert und durch die Grundgesetzänderung
vom 26.07.200228 um den Aspekt des Tierschutzes ergänzt:
„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die
natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und
Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung”.
Bei Art. 20a GG handelt es sich nach dem Wortlaut der Norm und der Intention des verfassungsändernden Gesetzgebers um eine Staatszielbestimmung29. Im Folgenden ist der Inhalt der Umweltschutzklausel zu untersuchen.
5.1 Der Bezug auf das Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit
Art. 20a GG bekennt sich nicht ausdrücklich zum Prinzip nachhaltiger Entwicklung, fordert jedoch den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen
„auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“. Hiermit bezieht
sich die Norm inhaltlich30 auf das völkergewohnheitsrechtlich anerkannte31
Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit (principle of intergenerational
equity)32, welches ein Unterprinzip des umfassenderen Nachhaltigkeitsprinzips darstellt33. Das Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit hält jede
Generation dazu an, ihre natürlichen Ressourcen und das kulturelle Erbe in
einer Art und Weise zu entwickeln und zu benutzen, dass sie an künftige
Generationen in einem Zustand weitergegeben werden können, der nicht
schlechter ist als der Zustand, in dem die Güter empfangen wurden34.
Fraglich ist, welche Rechtsfolgen sich an die verfassungsrechtliche Anerkennung des Prinzips intergenerationeller Gerechtigkeit knüpfen.
28
Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 26.07.2002, BGBl. I, 2862.
29
Verfassungskommission, S. 67 f.
30
So auch Schulze-Fielitz in Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 34.
31
So Weeramantry in Advisory opinion on the legality of the threat or use of nuclear weapons, ICJ Rep. 1996, 266; Birnie/Boyle, International Environmental Law, S. 90 f.
32
Vgl. Hierzu die Darstellung bei Birnie/Boyle, International Environmental Law, S. 89.
33
Birnie/Boyle, International Environmental Law, S. 89.
34
Birnie/Boyle, International Environmental Law, S. 89.
23
5.2 Folgen der Bezugnahme auf das Prinzip intergenerationeller
Gerechtigkeit
Die Bestimmung erweitert die Perspektive der von der Bestimmung adressierten Staatsorgane, in dem unkonkretisierte, künftige Generationen in den
staatlichen Schutzauftrag einbezogen werden35. Die perspektivische Erweiterung hat zum einen Einfluss auf die Auslegung des Schutzgegenstandes der
natürlichen Lebensgrundlagen und zum anderen auf das durch die Verfassung gebotene Maß an Umweltschutz.
Hinsichtlich des Schutzgegenstandes herrscht in der Literatur Einigkeit darüber, dass die natürlichen Lebensgrundlagen nicht völlig unberührte Natur
beschreiben36, da diese in Deutschland praktisch nicht mehr vorzufinden
ist37. Die Einbeziehung künftiger Generationen in den Schutzauftrag erlaubt
darüber hinausgehend, den Schutzumfang um Elemente einer zukünftig
immer weiter urban geprägten Lebenswirklichkeit zu erweitern38. Dies bewirkt entgegen der Auffassung von weiten Teilen der Literatur39 eine Annäherung von soziologischem und natürlichem Umweltbegriff. Diese Auslegung steht auch im Einklang mit der Einschätzung des verfassungsändernden
Gesetzgebers, wonach Art. 20a GG als Staatsziel einen „dynamisch(en), auf
die künftige Gestaltung sozialer Lebensverhältnisse zielend(en) Gehalt“
aufweist40.
35
Tsai, Staatliche Umweltschutzpflichten, S. 86; kritisch Schulze-Fielitz, der eine Überforderung der heutigen Generation befürchtet,. in Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 31.
36
Scholz in Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 36; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 108; Kloepfer in BK-GG, Art. 20a Rn. 52.
37
Kloepfer in BK-GG, Art. 20a Rn. 52; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 108, Wolf
in AK-GG, Art. 20a Rn. 19.
38
Demnach besitzen auch nicht originär umweltspezifische Fragestellungen wie das Begrünungsschema einer Großstadt, Belüftungskorridore, Lichteinfallswinkel etc. des modernen
Stadtlebens eine umwelterhebliche Dimension.
39
Steiger in Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, S. 4; Murswiek in Sachs
(Hrsg.), GG, Art, 20a Rn. 27; Kloepfer in BK-GG, Art. 20a Rn. 52.; ders., Umweltrecht, §
1 Rn. 15; Tsai, Staatliche Schutzpflichten, S 19 ff.
40
Verfassungskommission, S. 67; auch Scholz geht von einem „weithin – gerade auch in die
Zukunft hinein – gestaltungsoffenen Begriff auf“, ders. in Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art.
20a; Rn. 36; ähnlich Epiney in von Mangold/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 17b;
Bernsdorff, NuR 1997, 328 (332).
24
Des Weiteren bewirkt die durch Art. 20a GG unterstrichene Langzeitverantwortung eine Veränderung der Beurteilung von aktuellen Umweltrisiken.
Die perspektivische Einbeziehung von unbestimmten künftigen Generationen erweitert den Schutzauftrag des Staates weit über die heute lebende
Bevölkerung hinaus. Entsprechend sind heutige Risiken auch im Hinblick
auf Langzeitfolgen oder die Gefahr der Akkumulation zu untersuchen und
im Rahmen der Verpflichtung auszuschließen41.
Ebenfalls als Ausprägung der Langzeitverantwortlichkeit und im Hinblick
auf die Bedürfnisse künftiger Generationen ergibt sich die staatliche Verpflichtung, bei nicht erneuerbaren Ressourcen das Prinzip der Sparsamkeit42
anzuwenden und bei erneuerbaren Ressourcen das Nachhaltigkeitsprinzip43
zu beachten. Begründen lässt sich dies mit der Verpflichtung des Staates,
gleiche Möglichkeiten der Ressourcennutzung für künftige Generationen zu
wahren44 oder aber gleichwertige Alternativen z.B. auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien zur Verfügung zu stellen.
5.3 Art. 20a GG als gehaltvolle Anforderung an die deutsche
Umweltpolitik
Art. 20a GG stellt bereits unter dem Aspekt der Generationenverantwortlichkeit eine tragfähige Vorgabe für nachhaltigen Umweltschutz dar. Der Norm
liegt ein weites Verständnis des Schutzobjekts der natürlichen Lebensgrundlagen zugrunde, und sie erklärt das Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit zur Grundlage der Umweltpolitik.
Diesem Befund ist die südafrikanische Rechtslage gegenüberzustellen.
41
Petersen, Umweltrecht, Rn. 150, 153; Schulze-Fielitz in Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn.
36; Epiney in von Mangold/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 31.
42
Petersen, Umweltrecht, Rn. 151; Schulze-Fielitz in Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 36.
43
Hier verstanden im ursprünglichen, im deutschen Forstrecht entwickelten Sinne, vgl.
Petersen, Umweltrecht, Rn. 152., der letztlich aber doch die Berücksichtigung des weitergehenden Principle of sustainable development als maßgeblich erachtet.
44
Birnie/Boyle, International Environmental Law, S. 89.
25
6 Der südafrikanische Ansatz: Gewährung eines
einklagbaren Umweltgrundrechts
Die südafrikanische Verfassung gewährt in Sec. 24 SAC ein aus zwei Elementen bestehendes Umweltgrundrecht.
Zum einen garantiert Sec. 24 (a) SAC jedermann eine Umwelt, die sich nicht
schädlich auf die Gesundheit oder das Wohlbefinden auswirkt, während Sec.
24 (b) SAC ein Recht auf positiven Umweltschutz gewährt45.
Der Text von Sec. 24 SAC lautet:
„[Sec. 24 SAC] Environment
Everyone has the right –
(a) to an environment that is not harmful to their health or well-being;
and
(b) to have the environment protected, for the benefit of present and future generations, through reasonable legislative and other measures
that –
(i)
prevent pollution and ecological degradation;
(ii)
promote conservation; and
(iii)
secure ecologically sustainable development and use of
natural resources while promoting justifiable economic and
social development.”
Im südafrikanischen Schrifttum wurde die Aufnahme der Umweltschutzklausel begrüßt46.
45
Loots, SAJELP 1997, 57 (57); Devenish, Bill of Rights, S. 331.
46
Glazewski betont sogar, dass Sec. 24 SAC den wichtigsten Schritt zur Entwicklung des
südafrikanischen Umweltrechts darstellt, ders., Environmental Law, S. 77.
26
6.1 Sec. 24 (a) SAC als Grundnorm individualschützenden Umweltrechts in der Verfassung der Republik Südafrika
Sec. 24 (a) SAC konstituiert ein Grundrecht mit zwei Schutzrichtungen. Die
Norm beinhaltet einen Abwehranspruch gegen eine die Gesundheit
(„health“) oder das Wohlbefinden („well-being“) beeinträchtigende Umwelt.
Der Begriff der Gesundheit in Sec. 24 (a) SAC umfasst primär die physische
Integrität des Menschen47, während die Bedeutung von „well-being“ umstritten ist. Zum Teil wird angenommen, dass „well-being“ die psychische
Gesundheit des Menschen umfasse48. Andere Literaturvertreter lösen den
Begriff des „well-being“ von der Gesundheit und sehen hierin ein Abwehrrecht gegen durch Umweltbelastungen vermitteltes emotionales und ästhetisches Unwohlsein49 oder schlicht eine Beeinträchtigung der umweltrechtlichen Interessen des Einzelnen50.
Das Grundrecht findet Anwendung gegenüber jeder Form von privater oder
öffentlicher Umweltbeeinträchtigung51 und hat sich in der südafrikanischen
Rechtspraxis zu einer bedeutenden Vorschrift zur Erzwingung umweltrechtlicher Standards entwickelt52.
6.2 Sec. 24 (b) SAC
Trotz der schwerlich überschaubaren Weite eines solchen Anspruchs gewährt Sec. 24 (b) SAC jedermann unabhängig von der Betroffenheit in Gesundheit oder Wohlbefinden oder sonstigen Rechten53 ein Recht auf einen an
den in Sec, 24 (b) (i) bis (iii) genannten Faktoren ausgerichteten Umweltschutz. Der Anspruch aus Sec. 24 (b) SAC ist angesichts der aufgezählten
47
Vgl. du Bois/Glazewski, The Environment and the Bill of Rights, 2 B 18.
48
Winstanley, SAJELP 1995, 85 (94).
49
Liebenberg in Fundamental Rights in the Constitution, S. 260.
50
Glazewski, Environmental Law, S. 86.
51
Glazewski, Environmental Law, S. 89; De Waal/Currie/Erasmus, The Bill of Rights Handbook, S. 405; Loots, SAJELP 1997, 57 (59).
52
Glazewski, Environmental Law, S. 77.
53
Devenish, South African Constitution, S. 334; Liebenberg in Fundamental Rights in the
Constitution, S. 260.
27
Faktoren auf ein positives Handeln des Grundrechtsverpflichteten gerichtet54.
In inhaltlicher Hinsicht ähnelt die Norm einer Staatszielbestimmung55, da sie
die Verpflichtung des Staates ausdrückt, eine adäquate Umweltgesetzgebung, -verwaltung und -rechtsprechung zu schaffen56.
Die Norm zählt in Sec. 24 (b) (i)-(iii) SAC Anforderungen an den zu verlangenden Umweltschutz auf, die das umweltrechtliche Vorsorgeprinzip57 umfassen (Sec. 24 (b) (i)-(ii) SAC) und eine Ausrichtung des Umweltschutzes
anhand des Prinzips nachhaltiger Entwicklung58 erfordern (Sec. 24 (b) (iii)
SAC) 59. Im Hinblick auf die letztgenannte Verpflichtung muss der alleine
grundrechtsverpflichtete Staat nachhaltige Entwicklung sicherstellen und
zugleich eine vertretbare wirtschaftliche und soziale Entwicklung fördern.
Hiermit wird dem Grundrechtsverpflichteten eine schwierige Abwägungsaufgabe übertragen, da die verschiedenen Vorgaben, die an anderer
Stelle in der Verfassung konkretisiert werden60, miteinander in Konflikt
stehen61.
54
Du Bois/Glazewski, The Environment and the Bill of Rights, 2B-28; de Waal/ Currie/
Erasmus, The Bill of Rights Handbook, S. 406; Glazewski, Environmental Law, S. 87;
Winstanley SAJELP 1997, 135 (138).
55
Glazewski, Environmental Law, S. 85.
56
De Waal/Currie/Erasmus, The Bill of Rights Handbook, S. 406.
57
Du Bois/Glazewski, The Environment and the Bill of Rights, 2B-29.
58
Liebenberg in Fundamental Rights in the Constitution, S. 261; Devenish, South African
Bill of Rights, S. 334 f.
59
Du Bois/Glazewski erkennen in Sec. 24 (b) eine Vielzahl umweltrechtlicher Prinzipien
verankert, u.a. das Verursacherprinzip sowie das Prinzip geteilter, aber differenzierter Verantwortung, dies., The Environment and the Bill of Rights, 2B-29 f.; Devenish sieht die
Anforderungen des Sec. 24 (b) SAC auf das Nachhaltigkeitsprinzip reduziert, ders., South
African Bill of Rights, S. 335.
60
Vgl. z.B. das Grundrecht auf angemessenen Wohnraum in Sec. 26 SAC.
61
Liebenberg in Fundamental Rights in the Constitution, S. 261; Grupp spricht von “Gegenpol”, ders., Südafrikas neue Verfassung, S. 71.
28
Weiterhin verlangt Sec. 24 (b) SAC ausdrücklich ein Handeln im Interesse
heutiger und künftiger Generationen. Hiermit bezieht sich die Norm nochmals inhaltlich auf das Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit62.
Die in der Norm aufgezählten Anforderungen an den Umweltschutz sind,
wie die Prinzipien, die sie verkörpern, nicht isoliert voneinander, sondern im
Zusammenhang zu betrachten63.
6.3 Gerichtliche Durchsetzbarkeit von Sec. 24 (a) und Sec. 24 (b) SAC
Fraglich ist, ob die Grundrechte auch gerichtlich für den Einzelnen durchsetzbar sind, was insbesondere in der deutschen Diskussion um die Möglichkeiten eines Umweltgrundrechts aus Gründen der Gewaltenteilung abgelehnt
wurde. Gegen die gerichtliche Durchsetzbarkeit der südafrikanischen Umweltgrundrechte werden im Wesentlichen die gleichen Argumente wie bei
der parallelen deutschen Diskussion um die Aufnahme eines Umweltgrundrechts in das Grundgesetz vertreten.
So bestehen Bedenken zunächst im Hinblick auf die politische Umstrittenheit angemessenen Umweltschutzes. Es existiere in modernen Gesellschaften
zu wenig Konsens über die Gültigkeit oder die Weite von umweltschützenden Leitprinzipien oder deren konkreter Umsetzung, als dass die Gerichte
konstruktiv tätig werden dürften. Soweit eine Umsetzung durch die Gerichte
erfolge, bestehe die Gefahr, dass die Gerichte an Stelle des Gesetzgebers
konstruktive und politische Entscheidungen treffen64, die überdies den
Staatshaushalt belasten.
Des Weiteren sei die Fassung des Umweltgrundrechts so vage, dass die konkrete Normanwendung die Gerichte vor schwer lösbare Aufgaben stellt, die
eine Aushöhlung des Umweltgrundrechts zum symbolischen Umweltschutz
befürchten lassen65.
62
De Wall/Currie/Erasmus, The Bill of Rights Handbook, S. 406; Winstanley SAJELP 1997,
135 (138).
63
Devenish, Commentary on the South African Bill of Rights, S. 335; Vgl. auch Winstanley,
SAJELP 1997, 135 (138), die den abschließenden Charakter der Aufzählung und das Fehlen einer Auffangbestimmung kritisiert.
64
Du Bois in Human Rights Approaches to Environmental Protection, 157.
65
Gutto, SAJELP 1995, 1 (6).
29
Abseits aller kompetenzieller Bedenken wird darauf hingewiesen, dass die
Gerichte nicht die Mittel und Erfahrungen von Exekutivorganen besitzen,
um die mit dem Umweltschutz zusammenhängenden komplexen Probleme
zu erfassen und den Umweltschutz in das Gesamtbild staatlichen Handelns
einzuordnen66.
6.4 Vereinbarkeit von Umweltschutz und Grundrecht
Die vorgebrachten Argumente überzeugen jedoch nicht.
Als Verfassungsbestimmung ist Sec. 24 (a) SAC bewusst offen formuliert,
um in Einklang mit dem Ewigkeitsanspruch der endgültigen südafrikanischen Verfassung gegen den durch sie zu bewirkenden sozialen Wandel zu
bestehen. Des Weiteren sind auch klassische liberale Abwehrrechte durch
einen hohen Grad an Abstraktion und politischer Gestaltungsmöglichkeit
geprägt und in ihrer Justiziabilität unbestritten.67.
Der Constitutional Court hat betont, dass alleine die Tatsache, dass die Umsetzung eines Grundrechts zu Belastungen des Staatshaushalts führe, nicht
seine Durchsetzbarkeit hindere, zumal auch die Umsetzung klassischer liberaler Grundrechte oft finanzielle Konsequenzen habe68. Die Justiziabilität
von Sec. 24 (a) SAC wurde durch den Supreme Court of Appeals ausdrücklich bestätigt69.
Sec. 24 (b) SAC hingegen ähnelt, wie oben dargestellt wurde, eher einer
Staatszielbestimmung. Obgleich die Norm als Grundrecht anzusehen ist,
stellt sie die Umsetzung ihres leistungsrechtlichen Anspruchs in das weite
Ermessen des hier alleine grundrechtsverpflichteten Staates70. Alleine in
66
Du Bois/Glazewski, The Environment and the Bill of Rights, 2B-11.
67
So wurde das Recht auf Leben und das Recht auf Menschenwürde in Südafrika durch den
Constitutional Court angeführt, um gegen den Willen von Parlament und Bevölkerung die
Todesstrafe abzuschaffen, vgl. SA Constitutional Court in President of the Republic of
South Africa v Hugo, 1997 (4) SA 1 (CC).
68
SA Constitutional Court in Ex Parte Chairperson of the Constitutional Assembly in : Re
Certification of the Constitution of the Republic of South Africa, 1996, 1996 (4) SA 744
(CC), Rn. 77 f.
69
Supreme Court of Appeals, Director: Mineral Development, Gauteng region, and another v
Save the Vaal environment and others, 133/98, SA Law Reports 1999 (2), 709.
70
Du Bois/Glazewski, The Environment and the Bill of Rights, 2B-34.
30
Fällen evidenter Vernachlässigung der staatlichen Umweltschutzpflicht kann
daher von einem gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf positives Tun oder
Unterlassen ausgegangen werden71.
Es ist zusammenfassend festzustellen, dass Sec. 24 (a) SAC umfänglich, Sec.
24 (b) SAC unter den genannten Beschränkungen gerichtlich durchsetzbare
Ansprüche des Einzelnen normieren.
7 Vergleichende Betrachtung der Ansätze – die deutsche
Position im Lichte des realisierten Umweltgrundrechtsschutzes in der Verfassung der Republik Südafrika
Die südafrikanische Rechtsordnung stellt ein gelungenes Beispiel für die
Normierung einer Umweltschutzklausel zu Beginn des 21. Jahrhunderts dar.
Während Sec. 24 (a) SAC dem von einer Umweltbelastung Betroffenen ohne
Rücksicht auf die Art der Verursachung einen Anspruch auf Herstellung
einer nicht gesundheitsgefährdenden Umwelt zubilligt, ist Sec. 24 (b) SAC
als verfassungsrechtliche Notbremse staatlicher Umweltpolitik zu sehen. Die
Norm erklärt umweltrelevante Prinzipien des Völkerrechts wie das Nachhaltigkeitsprinzip und das Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit sowie das
Vorsorgeprinzip für den staatlichen Umweltschutz verbindlich. Dabei wahrt
die Norm gleichzeitig die Grenzen des gesetzgeberischen Ausgestaltungsspielraums sowie der Ermessensgrenzen der übrigen Gewalten, indem weder
Instrumente vorgegeben, noch dem Umweltschutz relativer oder absoluter
Vorrang gegenüber anderen verfassungsrechtlich normierten Aufgaben eingeräumt wird. Es obliegt daher primär dem Gesetzgeber, in weiterer Hinsicht
Exekutive und Judikative, die Abwägungsprozesse vorzunehmen. Besondere
Bedeutung kommt hier der ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Entscheidung für das Nachhaltigkeitsprinzip zu. Hiermit entschärft der Verfassungsgeber die zwangsläufig auftretenden Konflikte zwischen dem Umweltschutz
und dem verständlichen Entwicklungsbedürfnis Südafrikas.
An der südafrikanischen Regelung werden zugleich die Schwächen der deutschen Rechtslage offenbar. Diese liegen aus Sicht des Umweltschutzes zu-
71
De Waal/Currie/Erasmus, The Bill of Rights Handbook, S. 439.
31
nächst in der formalen Ausgestaltung desselben als Staatszielbestimmung
begründet. Ein Großteil der von der Bevölkerung zu tragenden Umweltverschmutzung wird von Art. 20a GG nicht adressiert, da sie alleine auf private
Emissionen zurückgeht72. Selbst dem im Vergleich geringen staatlich verursachte Teil der Umweltverschmutzung steht kein direkter grundrechtlicher
Anspruch auf Umweltschutz gegenüber. Alleine unter Rückgriff auf andere
grundrechtliche Gewährleistungen wie Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) sowie Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) lassen sich
Ansätze umweltspezifischer Grundrechte begründen73. Diese lassen sich nur
unter Bezugnahme auf die weitere Anforderungen stellende, fallgruppenorientierte Schutzpflichtenrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen private Immissionen anführen.
Zum anderen fehlt Art. 20a GG ein eindeutiges Bekenntnis zum Nachhaltigkeitsprinzip als Leitlinie einer dauerhaften Umweltpolitik. Der Bezug auf das
Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit in Art. 20a GG stellt jedoch ohne
Zweifel eine bedeutsame Zäsur für das deutsche Umweltrecht dar. Sie ist
jedoch keine vollständige Kompensation für die fehlende Verbindlichkeitserklärung des Nachhaltigkeitsprinzips, da alleine das Nachhaltigkeitsprinzip
die Basis einer kompromissbereiten Umweltpolitik darstellt, die keinen Absolutheitsanspruch aufweist, sondern Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt
neben sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten berücksichtigt und die
größtmögliche Verwirklichung der konfligierenden Staatsaufgaben anstrebt.
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Brönneke, T. (1999): Umweltverfassungsrecht, Baden-Baden
72
Kloepfer in BK-GG, Art. 20a Rn. 18.
73
Murswiek in Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 153; Bock, Umweltschutz, S. 126 ff.
32
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135-140
World Commission on Environment and Development (1987), Our Common
Future
Magnus Westhaus
Supply Chain Controlling-Publikationen –
Eine Analyse internationaler Referenzen
1 Einleitung
Sowohl die konzeptionelle als auch die empirische Forschung bezüglich
eines Supply Chain Controlling finden in jüngster Zeit zunehmend Beachtung bei Wissenschaftlern und Praktikern. Hiervon zeugt beispielsweise der
Sammelband von Stölzle und Otto.1 So werden unternehmerische Erfahrungen in der Umsetzung eines Supply Chain Controlling genau so wie Überlegungen zu dessen konzeptionellen, und dabei insbesondere funktionalen und
instrumentellen, Ausgestaltungsmöglichkeiten dargeboten.
In Bezug auf die Diskussion um ein Supply Chain Controlling ist auffällig,
dass es sich um eine lediglich im deutschsprachigen Raum geführte Auseinandersetzung zu handeln scheint. Zumindest sind nach Erkenntnisstand des
Autoren, in quantitativer und qualitativer Hinsicht, keine vergleichbaren
internationalen Veröffentlichungen vorzufinden, die sich der Thematik des
Supply Chain Controlling zuwenden. Als Ursache hierfür lassen sich gegebenenfalls die heterogenen Auffassungen über ein Controlling anführen, die
ihren Eingang in den möglichen Gegenstandsbereich eines Supply Chain
Controlling finden. Hierbei handelt es sich um eine vornehmlich im deutschsprachigen Raum anzutreffende Kontroverse, während die Diskussion um
die Inhalte eines Supply Chain Managements auch international geführt
wird.
Auch wenn, wie bereits oben stehend dargelegt, die Diskussion um ein
Supply Chain Controlling vornehmlich im deutschen Sprachraum geführt
1
Stölzle/Otto 2003.
36
wird, so fließen unabhängig davon Erkenntnisse internationaler Publikationen in Form von Referenzen in die Veröffentlichungen zum Supply Chain
Controlling ein. Das Anliegen des vorliegenden Beitrages ist die Analyse der
in den Beiträgen zum Supply Chain Controlling enthaltenen anglo-amerikanischen Referenzen. Hierbei sollen folgende Fragen beantwortet werden:
−
In welchem Jahr sind die enthaltenen Referenzen publiziert worden?
−
In welchen Medien wurden die Referenzen vornehmlich veröffentlicht?
−
Was sind die zumeist zitierten Publikationen?
−
Von welchen Autoren (-gruppen) werden die meisten unterschiedlichen Publikationen zitiert?
−
Welche Zeitschriften und Sammelbände werden bevorzugt zitiert?
Zur Umsetzung dieses Vorhabens wird nachfolgende Vorgehensweise gewählt. In Kapitel 2 werden zunächst Einblicke in das Supply Chain Management und Controlling sowie Anmerkungen zu ihrer Synthese im Rahmen
eines Supply Chain Controllings gegeben. Das Kapitel 3 dient einer Einführung in die Forschungsmethode der Zitatenanalyse und Kapitel 4 beinhaltet
die Ergebnisse der Analyse der Supply Chain Controlling-Publikationen.
Abschließend erfolgt eine Reflexion und ein Fazit in Kapitel 5.
2 Grundlagen
2.1 Supply Chain Management
In der internationalen Diskussion über ein Supply Chain Management
(SCM) werden insbesondere zwei Sichtweisen vertreten. Auf diese und ihre
Konsequenzen für eine Konzeptionalisierung soll im Folgenden kurz eingegangen werden. Zum einen wird SCM als eine (vorläufig) letzte Entwicklungsstufe der Logistik begriffen, die dadurch zu charakterisieren ist, dass
nun nicht mehr die Ebene des einzelnen Unternehmens im Blickpunkt der
Logistik steht und stattdessen der Fokus auf unternehmensübergreifende
37
Aspekte ausgeweitet wird.2 Als Konsequenz bedeutet dieses, dass dem SCM
eine eigenständige Problemstellung fehlt und innerhalb eines Logistik-Konzeptes aufgeht. Demgegenüber existieren Ansätze, die zum einen nicht nur
auf unternehmensübergreifende Logistikprozesse abstellen3, sondern zusätzlich die Notwendigkeit einer kooperativen Dimension des Supply Chain
Managements betonen.4 Auf erste Aussage verweisen insbesondere Cooper
et al. hin, die auch eine unternehmensübergreifende Forschung und Entwicklung in Betracht ziehen.5 Eine ausdrückliche Beachtung der Kooperationsdimension findet sich bei Seuring, der eine Integration, und somit ein
simultanes Management der unternehmensübergreifenden Material- und
Informationsflüsse unter Berücksichtigung der Gestaltung des Netzwerkes
und der Optimierung der Schnittstellen zwischen den beteiligten Supply
Chain Unternehmen fordert.6 Gerade in dieser Integration kann die eigenständige Problemstellung eines Supply Chain Managements gesehen werden,
so dass der Anspruch einer eigenständigen Konzeptionalisierung – also losgelöst von einem Logistikverständnis – entsteht. Unabhängig von der Existenz einer eigenständigen Problemstellung besitzt das Supply Chain Management eine hohe empirische Relevanz und wird in zahlreichen Veröffentlichungen theoretisch fundiert. Erstes zeigt sich insbesondere in zahlreichen Umsetzungsberichten von Praktikern.7 Für zweites wird insbesondere
auf die Neue Institutionenökonomie, und vor allem auf die Transaktionskostentheorie, zurückgegriffen.8
2.2 Controlling
Die Diskussion über ein Controlling hingegen stellt lediglich ein facettenreiches Themengebiet im deutschsprachigem Raum dar. Einigkeit besteht
nur dahingehend, dass es sich um eine Führungsunterstützungsfunktion han2
Vgl. bspw. Simchi-Levi/Kaminsky/Simchi-Levi 2000, S. 3; Göpfert 2001, S. 348.
3
Vgl. bspw. Cooper/Lambert/Pagh 1997, S. 1f., 4.
4
Vgl. Stölzle 2002, S. 289ff. , der sich auf die Ausführungen bei Kraege 1997 bezieht.
5
Vgl. Cooper/Lambert/Pagh 1997, S. 1, 5ff..
6
Vgl. Seuring 2001, S. 16ff..
7
Vgl. hierzu bspw. die Beiträge in Stölzle/Otto 2003.
8
Vgl. zu dieser Aussage im Zshg. mit Netzwerken Corsten 2001, der auf die Arbeiten von
Williamson verweist.
38
delt, die auf einer Informationsversorgungsfunktion beruht, aber kontextabhängig in ihrer funktionalen Breite auf weitere Führungsteilsysteme ausgedehnt werden kann.9 Hinzu treten unterschiedliche Auffassungen bezüglich
der funktionalen Tiefe eines Controlling-Konzeptes. So lassen sich vier Typen differenzieren. Zum einen existieren Ansätze die in Controlling eine
Substitution von Führungsaktivitäten sehen.10 Eine zweite Gruppe betont die
Koordination des Führungssystems als Aufgabe eines Controllers. 11 Drittens wird die Rationalitätssicherung der Führung als Controllingfunktion
angeführt.12 Abschließend seien als vierte Gruppe die reflexionsorientierten
Ansätze genannt.13 Auch wenn unterschiedliche konzeptionelle Ausprägungen sowie empirisch verschiedene Controllingsysteme feststellbar sind, so ist
der Anspruch des Controlling, eine eigenständige Konzeption darzustellen,
nach Ansicht des Autors nicht zu verneinen. Auch wenn unterschiedliche
konzeptionelle Lösungsansätze zur Verfügung gestellt werden, ist die Funktion der Führungsunterstützung immanent gegeben. Darüber hinaus ist Controlling in der Unternehmenspraxis weit verbreitet. Zu einer theoretischen
Fundierung bedienen sich einige Autoren der Neuen Institutionenökonomie
– im Speziellen der Principal-Agent-Theorie .14
2.3 Supply Chain Controlling
Supply Chain Controlling stellt eine Synthese aus Supply Chain Management und Controlling dar. Unter Beachtung der, in den vorstehenden Abschnitten behandelten, Heterogenität der Kontroversen innerhalb der beiden
Disziplinen sind für das Supply Chain Controlling eine Vielzahl an unterschiedlichen konzeptionellen Ausgestaltungsmöglichkeiten denkbar. So sind
die beiden oben vorgestellten Ausprägungen des Supply Chain Managements anzutreffen.15 In Bezug auf die Muterdisziplin Controlling finden sich
9
Vgl. Weber 2002a, S. VII.
10
Vgl. hierzu bspw. Hahn/Hungenberg 2001 und Bramsemann 1993.
11
Vgl. hierzu bspw. Horvath 2006 und Küpper 2001.
12
Vgl. hierzu Weber/Schäffer 2006.
13
Vgl. hierzu Pietsch 2003; Becker 2003.
14
Vgl. z.B. Küpper 2001, S. 45-61.
15
Vgl. bspw. für das logistikorientierte Verständnis Göpfert 2001 und die zweite Ausprägungsform Westhaus 2007.
39
Anregungen die Informationsversorgungsfunktion, die Koordinations- oder
die Rationalitätssicherungs- und Reflexionsfunktion des Controllings zu
berücksichtigen.16 Durch die Kombination der vielfältigen Ausprägungen
innerhalb der Mutterdisziplinen, wird also die potenzielle konzeptionelle
Mannigfaltigkeit des Supply Chain Controllings bestimmt. Bisherige konzeptionelle Überlegungen beschränken sich zumeist auf die instrumentelle
Komponente, und vernachlässigen die Erarbeitung einer eigenständigen
Problemstellung, seiner Funktion, eines Supply Chain Controllerships und
die Beschäftigung mit der institutionellen Komponente.17 Neben dieser als
primär „instrumentell-konzeptionellen“ Forschungsbestrebungen bezüglich
des Erkenntnisobjektes, ist zu attestieren, dass auch allgemein akzeptierte
Definition bislang ausstand, was sich aus der oben geschilderten Heterogenität ableiten lässt. Einen Versuch, einen kleinsten gemeinsamen definitorischen Nenner zu ermitteln, haben Westhaus und Seuring im Rahmen einer
Delphi-Studie unternommen, in deren Verlauf 25 Fachvertreter um eine
Definition des Supply Chain Controlling gebeten worden sind.18 Die meiste
Zustimmung erhielt dabei die Definition von Stölzle, die auch den Abschluss
dieses Abschnittes darstellen soll:
Supply Chain Controlling stellt eine auf die Führungsunterstützung in der
Supply Chain ausgerichtete Ausprägung des Controllings dar. Die Führungsunterstützung erstreckt sich auf die im Vorfeld zu treffenden Integrationsentscheidungen (Auswahl von Partnern, Prozessen und Managementkomponenten) sowie auf die konzeptionelle Gestaltung und Koordination des
Informations- sowie Planungs- und Kontrollsystems für die Zwecke der Logistik.19
16
Vgl hierzu Stölzle 2002, S. 300-306.
17
Vgl. hierzu auch Weber 2002b, S. 185f. und Westhaus 2007.
18
Vgl. Westhaus/Seuring 2005.
19
Vgl. hierzu auch ausführlich Stölzle 2002, S. 283-309.
40
3 Forschungsmethodik: Zitatenanalyse
3.1 Forschungskonzeptionelle Verortung
Einleitend erfolgt eine forschungskonzeptionelle Verortung der Zitatenanalyse. Erstens kann festgehalten werden, dass es sich um reine Forschung
handelt, da keine Gestaltungsempfehlungen zur Lösung einer spezifischen
Problemstellung im Sinne einer angewandten Betriebswirtschaftslehre gegeben werden. Analysiert werden lediglich Publikationen von Autoren mit
akademisch-wissenschaftlichem Hintergrund. Veröffentlichungen von Praktikern werden in der Studie nicht berücksichtigt. Bei dem untersuchten Ausgangsmaterial handelt es sich um empirisch vorliegende Quellen, die nicht
erst durch den Forscher geschaffen werden müssen. Folglich liegt eine Sekundärforschung vor. Als Forschungszugang wird sowohl eine quantitative
als auch qualitative Herangehensweise verfolgt. Zum einen erfolgt aufgrund
des Charakters der Zitatenanalyse eine Auszählung der in den Publikationen
enthaltenen Referenzen hinsichtlich der bereits im ersten Kapitel vorgestellten Fragestellungen. Darüber hinaus wird aber auch eine qualitative Interpretation bzw. Reflexion der erhaltenen Ergebnisse vorgenommen. Grundsätzlich stellt die Forschungsstrategie einer Zitatenanalyse eine Form der
Dokumentenanalyse dar. Als Forschungsziel wird eine zeitraumbezogene
Deskription der in den Supply Chain Publikationen enthaltenen Referenzen
angestrebt.
3.2 Grundlagen der Zitatenanalyse
Die wesentlichen Charakteristika einer Zitatenanalyse lassen sich in einer
Definition von Gorraiz wiedergeben:
„Die Zitatenanalyse ist ein Gebiet der Bibliometrie, das sich dem Studium
der Beziehungen zwischen zitierten und zitierenden Arbeiten und ihrer Anwendung als bibliometrische Untersuchungsmethode beschäftigt. Als bibliometrische Parameter verwendet die Zitatenanalyse die Zählung der auf eine
bestimmte Arbeit, ein bestimmtes Dokument oder einen bestimmten Verfas-
41
ser entfallenden Zitate. Je größer die Zitierhäufigkeit ist, desto höher wird ihr
Wert veranschlagt.“20
Im Mittelpunkt dieser Arbeit soll insbesondere die Identifikation „klassischer“ Arbeiten, die mit einer größeren Häufigkeit innerhalb der Publikationen zum Supply Chain Controlling zitiert werden, oder die Auswirkung einer
individuellen Arbeit und/oder die Eminenz eines bestimmten Forschers bzw.
Forschergruppe, stehen.21 Dieses Bestreben soll mittels einer regelgeleiteten
Materialerhebung, -aufbereitung und -analyse umgesetzt werden. Hierzu
wird im Folgenden das Ablaufmodell der Zitatenanalyse beschrieben.
3.3 Ablaufmodell der Analyse
3.3.1
Publikationserhebung
Im Rahmen dieses Abschnitts ist erstens offen zu legen, was als Publikation
aufgefasst werden soll sowie zweitens wie und wo recherchiert wurde. In
Bezug auf die erste Fragestellung kann festgehalten werden, dass Buchhandelsmedien (Bücher, Zeitschriften, Habilitations- und Dissertationsschriften),
Graue Literatur (Arbeits- und Forschungsberichte) und Internet-Dokumente
im World Wide Web Eingang in die Zitatenanalyse finden. Für eine Übersicht zu verschiedenen Publikationsmedien sei auf Stock verwiesen.22 Im
Folgenden wird auf die zweite Fragestellung eingegangen. Es werden drei
Wege zur Identifikation beschritten:
−
Suche anhand relevantere Titel- und Schlagwörter (-kombinationen)
in Online-Katalogen;
−
Suche nach weiteren Publikationen bereits bekannter Fachvertreter;
−
Suche anhand des „Schneeballverfahrens“ in bereits identifizierten
Publikationen.
In einem zweiten Schritt innerhalb des Ablaufmodells sind die Aufbereitung
der in den Veröffentlichungen enthaltenen Referenzen darzulegen sowie
Fragestellungen an das Material zu formulieren.
20
Gorraiz 1992, S. 2.
21
Vgl. hierzu die Aufzählung von Anwendungsmöglichkeiten bei Smith 1981.
22
Vgl. Stock 2001, S. 14.
42
3.3.2
Aufbereitung und Fragestellungen
Einleitend zur Beschreibung der Aufbereitung der in den Publikationen enthaltenen Referenzen sollen die Begriffe des Zitats und der Referenz kurz
definiert werden, um die Begriffe voneinander abzugrenzen:
„Enthält eine Veröffentlichung X eine bibliografische Note, in der die Veröffentlichung Y beschrieben oder verwendet wird, dann enthält X (Zitierende
Publikation) eine Referenz zu Y, und bekommt Y (Zitierte Publikation) ein
Zitat von X.“23
Um die zitierten Publikationen einer Analyse zugänglich zu machen, werden
sie in einer Excel-Tabelle aufgelistet. Hierzu werden spaltenweise die recherchierten Supply Chain Controlling-Publikationen, und zeilenweise – in
alphabetischer Reihenfolge - die in ihnen enthaltenen Referenzen gelistet.
Dabei sollen vier Arten von Zitationen differenziert werden, die wie folgt
kenntlich gemacht werden:
−
X: Zitation einer fremden Publikation,
−
Y: Zitation einer eigenen Publikation,
−
Z: Zitation eines eigenen Sammelbandes und
−
ZZ: Zitation einer eigenen Publikation aus einem eigenen Sammelband.
Anhand dieser Verfahrensweise können die Summen aller Fremd- und Eigenzitate gebildet werden, die eine Publikation in den Veröffentlichungen
zum Supply Chain Controlling erhält. Beispielhaft wird die Vorgehensweise
in Tabelle 1 wiedergegeben, bevor in diesem Kapitel abschließend auf die
Art und Weise der Interpretation der gewonnenen Erkenntnisse eingegangen
wird. In Bezug auf die Formulierung der Forschungsfragen sei auf oben
stehenden Abschnitt 1 verwiesen.
23
Gorraiz 1992.
43
Referenz
auf
Publikation A
Referenz
Publ.
Publ.
Pub.
Sum
Sum
Sum
Sum
Sum
Sum
1
2
3
x
y
z
zz
x+z
y+zz
X
auf
Publikation B
Referenz
X
Z
Y
ZZ
auf
Publikation C
X
2
1
1
1
3
1
2
1
...
Tabelle 1: Beispiel: Excel-Tabelle zur Zitatenanalyse.
Quelle: eigene.
3.3.3
Interpretation
Zur sowohl quantitativen als auch qualitativen Auswertung der gewonnenen
Erkenntnisse wird folgendermaßen verfahren. Zunächst ist es erforderlich
das eigene Vorverständnis, beziehungsweise seine Erwartungen an die mittels der Forschungsfragen erhobenen Ergebnisse zu formulieren. Vor diesem
Hintergrund sind die Ergebnisse zu diskutieren, in dem zum einen Übereinstimmungen dargelegt, aber auch Abweichungen offengelegt werden. Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang der Versuch der Begründung denkbarer Ursachen sowie das Aufzeigen unterschiedlicher Deutungsmöglichkeiten. Im Folgenden werden nun die Ergebnisse der internationalen Zitatenanalyse der Publikationen zum Supply Chain Controlling
dargeboten.
4 Analyseergebnisse
4.1 Ergebnisse der Publikationserhebung
Berücksichtigt werden in der Zitatenanalyse 99 Beiträge zum Themengebiet
des Supply Chain Controlling. Diese stellen natürlich nur eine Momentaufnahme dar, die idealerweise ständig zu aktualisieren wäre. Im Rahmen des
44
Beitrages ist es nicht möglich sämtliche berücksichtigten Publikationen einzeln aufzuführen. Auch eine Negativabgrenzung – im Sinne einer Aufzählung nichtberücksichtiger Veröffentlichungen – ist nicht gänzlich möglich. Dennoch sollen einige jüngst erschienene akademische Beiträge gelistet
werden, die nicht in die Analyse eingeflossen sind. Zu nennen sind die Dissertationsschriften von Hieronimus, Liebetruth oder Jehle.24 Aufgrund ihres
Monographiecharakters sind im Gegensatz zu Zeitschriftenveröffentlichungen zahlreiche Referenzen zu erwarten, die nicht in die Analyse mit einfließen. Im Folgenden wird eine zweidimensionale Verteilung der Publikationen, bezüglich des Erscheinungsjahres als auch des Mediums, in Tabelle 2
gegeben. Hierbei ist nach Auffassung des Autors zu erwarten, dass zunächst
Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Sammelbänden dominieren
werden, bevor Qualifikationsschriften im Sinne von Habilitations- und Dissertationsschriften zum Themengebiet anzutreffen sind. Begründung hierfür
ist, dass Forschungsergebnisse häufig bereits in Fachzeitschriften vorgestellt
werden und erst anschließend die kumulierte Publikation in einer Qualifikationsschrift erfolgt. Ein Grund hierfür kann beispielsweise Werbung für die
folgende Arbeit sein.
24
Hieronimus 2006; Liebetruth 2005; Jehle 2005.
45
Jahr
Diss Habil
LB SR DB 4.1.1.1.1
I
SB Z
2006
2005
2
2004
1
2002
2001
1
1
2
5
10
1
6
5
13
1
11
5
17
7
13 24
4
9
16
2
5
8
1
3
4
1
1
1
2003
2
1
2
1
2000
1
1
1999
1998/1999
1998
1
1997
2
1996
1
Sum
8
4.1.1.1.2
Sum
1
2
1
2
4
2
2
1
1
34
47 99
Abkürzungen. Diss: Dissertation, Habil: Habilitation; LB: Lehrbuch; SR: Schriftenreihe; DB:
Diskussionsbeitrag; I: Internetzdownload; SB: Publikation in einem Sammelband und Z:
Publikation in einer Zeitschrift.
Tabelle 2: Publikationsverteilung nach Jahr und Medium.
Quelle: eigene.
Die anteilig meisten Publikationen sind in den Jahren 1999 und 2005 erschienen. Sie decken ungefähr 89% aller Veröffentlichungen ab. Während
dieser Zeitspanne ist ein stetiger Anstieg bis in das Jahr 2002 (24 Publikationen) zu beobachten. Danach ist die Anzahl der Publikationen wieder fallend.
Als erste Veröffentlichungen im Feld sind die Arbeiten von Zäpfel & Piekarz
sowie die Dissertation von Halusa zu nennen.25 Die letzte berücksichtigte
Publikation aus dem Jahr 2006 stammt von Seuring, der in einem Zeitschriftenartikel einen Überblick bezüglich des Status Quo der deutschspra-
25
Zäpfel/Piekarz 1996; Halusa 1996.
46
chigen SCC-Diskussion gibt.26 Insgesamt scheint sich insgesamt die Erwartung zu bestätigen, dass zunächst Zeitschriften- und Sammelbandbeiträge
dominieren und im Anschluss daran Dissertations- und Habilitationsschriften
folgen. So erreichen erstere ihre Höchststand in den Jahren 2002/2003 und
sind danach zurückgehend, während letztgenannte Publikationsmedien ab
dem Jahr 2002 zunehmen. Im Anschluss an diese kurze Vorstellung der
identifizierten Publikationen zum Supply Chain Controlling folgt nun die
Präsentation der Ergebnisse der Zitatenanalyse.
4.2 Ergebnisse und Interpretation der Zitatenanalyse
In den 99 Publikationen sind insgesamt 1527 Referenzen enthalten, die in
englischer Sprache verfasst sind. Beeinflusst wird die Anzahl dieser Referenzen maßgeblich durch die Habilitations- und Dissertationsschriften im
Forschungsfeld. Tabelle 3 gibt einen Überblick bezüglich der Schriften, die
die meisten anglo-amerikanischen Referenzen enthalten.
26
Vgl. Seuring 2006.
47
Schrift
Anzahl
Otto, A. (2002): Management und Controlling von Supply Chains – Ein Modell 368
auf Basis der Netzwerktheorie, Wiesbaden.
Bacher, A. (2004): Instrumente des Supply Chain Controlling: Theoretische 272
Herleitung und Überprüfung der Anwendbarkeit in der Unternehmenspraxis,
Wiesbaden.
Kraege, R. (1997): Controlling strategischer Unternehmenskooperationen – 221
Aufgaben, Instrumente und Gestaltungsempfehlungen, München, Mering.
Hippe, A. (1997): Interdependenzen von Controlling und Strategie in Unterneh- 165
mensnetzwerken, Wiesbaden.
Winkler, H. (2005): Konzept und Einsatzmöglichkeiten des Supply Chain Cont- 149
rolling – Am Beispiel einer Virtuellen Supply Chain Organisation (VISCO),
Wiesbaden.
Ries, A. (2001): Controlling in virtuellen Netzwerken: Managementunterstützung 115
in dynamischen Kooperationen, Wiesbaden.
Stüllenberg, F. (2005): Konzeption eines modularen Kooperationscontrolling, 82
Herne, Berlin.
Halusa, M. (1996): Supply-Management-Controlling – Ein aktivitäts- und koope- 81
rationsorientierter Ansatz, Bamberg.
Hess, T. (2002): Netzwerkcontrolling – Instrumente und ihre Werkzeugunterstüt- 78
zung, Wiesbaden.
Tabelle 3: Anzahl enthaltener anglo-amerikanischer Referenzen.
Quelle: eigene.
Darüber hinaus sind auch Referenzen enthalten, die in anderen Sprachen
verfasst sind. Deren Anteil ist allerdings gering, so dass sie im Rahmen der
Analyse nicht weiter berücksichtigt werden sollen. Die enthaltenen Referenzen sollen nun vor dem Hintergrund der gestellten Fragestellungen untersucht werden. Begonnen wird mit:
−
In welchem Jahr sind die enthaltenen Referenzen publiziert worden?
48
Im Rahmen dieser Fragestellung findet die Vermutung eine Bestätigung,
dass die verwendeten Referenzen jüngeren Datums sind. Eine Übersicht
hierzu bietet Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden..
114
120
100
82
Anzah
80
66
60
40
19
20 12 1415
42
32 35
23
81
71
64 61
56 56
62
57
79
68
61
34
22
13
2 1
2006
2004
2002
2000
1998
1996
1994
1992
1990
1988
1986
1984
1982
1980
0
Erscheinungsjahr
Abb. 1
Erscheinungsjahr der Referenzen.
Quelle: eigene.
Die Abbildung der Referenzen beginnt im dem Jahr 1980, da ab diesem ein
beinahe kontinuierlicher Zuwachs an verwendeten Referenzen innerhalb der
nachfolgenden Jahre zu verzeichnen ist. Der Höchststand wird im Jahr 1998
erreicht. Seitdem ist die Anzahl wieder fallend, wobei insbesondere im Übergang von 2002 auf 2003 ein großer Sprung zu verzeichnen ist. Eine Begründung für diese Verteilung kann die bewusste Verwendung aktueller
Referenzen sein. So stammen die ersten analysierten SCC-Publikationen aus
dem Jahr 1996 und der überwiegende Anteil der untersuchten Veröffentlichungen (70 Prozent der untersuchten SCC-Beiträge) ist in den Jahren 2001
bis 2004 erschienen, so dass ein Großteil der verwendeten Referenzen in den
fünf bis zehn vorangegangenen Jahren erschienen sein könnte. Darüber hin-
49
aus ist – nach Einschätzung des Verfassers – bezüglich der Publikationen in
den Mutterdisziplinen „Supply Chain Management“ und „Controlling“ seit
dem Anfang der 80er Jahre ein Zuwachs an Publikationen zu verzeichnen.
Beispielsweise wird der Begriff „Supply Chain Management“ nach Auffassung vieler Autoren erstmals im Jahre 1982 durch die Autoren Oliver und
Webber verwendet.27 Letztendlich kann festgehalten werden, dass insbesondere Referenzen jüngeren Datums in den Publikationen Verwendung finden,
was sich wahrscheinlich darauf zurückführen lässt, dass es sich um ein noch
junges Forschungsgebiet handelt. Als nächstes soll die Frage geklärt werden:
−
Anhand welchen Mediums sind die Referenzen veröffentlicht
worden?
Erwartungsgemäß handelt es sich bei den zumeist genutzten Medien der
Referenzen um Bücher, Sammelbandbeiträge und Veröffentlichungen in
Zeitschriften. Einen Überblick zu deren Verteilung auf die Medien bietet .
27
Oliver/Webber 1982.
50
900
798
800
700
Anzahl
600
449
500
400
300
175
200
100
19
25
18
8
8
21
(S
Z
on
de
rh
ef
t)
SB
(H
rs
g.
)
Z
SB
(H
W
B)
SB
I
B
(A
B
rb
ei
ts
pa
pi
er
B
)
(s
on
st
ig
e)
0
Publikationsmedien
Abb. 2
Publikationsmedien der Referenzen.28
Quelle: eigene.
Ausführlicher soll demgegenüber die nachfolgende Fragestellung abgehandelt werden.
−
Was sind die zumeist zitierten Publikationen?
Im Hinblick auf diese Fragestellung hatte der Autor keine speziellen Erwartungen, so dass zugleich die Analyseergebnisse präsentiert werden. Eine
Übersicht bezüglich der am häufigsten zitierten Publikationen wird dabei
anhand der Tabelle 1 gegeben. Nachfolgend werden die ersten drei Publikationen angeführt und Begründungen für ihre Platzierung erwogen, bevor
sämtliche 17 Referenzen anhand von vier Kategorien systematisiert werden.
Den ersten Rang der zumeist zitierten Publikationen teilen sich die Zeit-
28
Die Abkürzungen in der Abbildung seien nachfolgend erläutert, sofern bereits nicht in
Klammern geschehen: B: Buch, I: Internetdokument, SB: Sammelband; SB (HWB): Sammelband (Handwörterbuch), Z: Zeitschrift, SB (Hrsg.): Sammelband (Herausgeberschaft).
51
schriftenartikel von Brewer und Speh29 sowie Cooper, Lambert und Pagh30.
Beide Veröffentlichungen werden in je 14 Publikationen zum Supply Chain
Controlling zitiert. Der erste Artikel widmet sich der Anwendungsmöglichkeit der Balanced Scorecard zur Messung der Supply Chain Performance. Seine häufige Zitation kann auch als Beleg für die zahlreichen Versuche einer Nutzung der – traditionell auf Einzelunternehmensebene beschränkten – Balanced Scorecard (BSC) für unternehmensübergreifende
Problemstellungen gesehen werden. In zahlreichen Veröffentlichungen wird
auf diese instrumentelle Teil-Komponente einer SCC-Konzeption eingegangen, wobei sich die Arbeiten dahingehend differenzieren, ob überhaupt und
wenn ja, wie weitgehend, eine Modifikation der traditionellen BSC an die
Bedürfnisse des SCM erfolgt.31 Die Arbeit von Cooper, Lambert und Pagh32
belegt ebenfalls den ersten Rang. Es handelt sich hierbei um einen Artikel,
der eine zentrale Stellung in der Wahrnehmung der Fachvertreter und Autoren zum Supply Chain Controlling einzunehmen scheint. Dieses wird auch
im Rahmen einer Delphi-Studie zur Definitionsfindung eines Supply Chain
Controlling bestätigt. So erhielt diejenige SCC-Definition die höchste Zustimmung, die in wesentlichen Bestandteilen auf vorgenannten Artikel von
Cooper, Lambert und Pagh fußt.33 Abschließend sei noch das Lehrbuch von
Handfield und Nichols34 angeführt, das den zweiten Rang bekleidet. Hierbei
scheint es sich demnach um eines der meist beachteten Lehrbücher zu handeln, das auch im Rahmen der Diskussion von 12 Monographien bei Müller,
Seuring und Goldbach sowohl als gehaltvoll als auch anschaulich und somit
zugleich interessant für Praktiker sowie Wissenschaftler eingestuft wird.35
Nachdem nun einleitend die drei am häufigsten zitierten Publikationen herausgestellt wurden, sollen anhand von vier induktiv ermittelten Kategorien
sämtliche 17 Veröffentlichungen systematisiert werden. Dabei sollen Mehrfachzuweisungen von Veröffentlichungen von den vier Kategorien zugelas29
Brewer/Speh 2000.
30
Cooper/Lambert/Pagh 1997.
31
Vgl. bspw. die Arbeiten von Bacher 2004; Lange/Schäfer/Daldrup 2001; Stölzle/ Heusler/Karrer 2001.
32
Cooper/Lambert/Pagh 1997.
33
Westhaus/Seuring 2005.
34
Handfield/Nichols 1999.
35
Müller/Seuring/Goldbach 2003, S. 428f., 434.
52
sen sein. Als erstes sollen diejenigen Publikationen genannt werden, die sich
mit „Instrumenten“ für ein SCM bzw. SCC auseinandersetzen, wobei diese
in vier Arbeiten eine Messung der Performance entlang der Supply Chain
ermöglichen sollen.36 Die Arbeiten von Brewer und Speh, Kaplan und Norton sowie Liberatore und Miller beschäftigen sich unter anderem mit der
Anwendbarkeit einer Balanced Scorecard (BSC) im SCM bzw. deren grundsätzlichen Ausgestaltung.37 Letztgenannte Autorengruppe fokussiert darüber
hinaus auf das Zusammenspiel der BSC mit einem Activity-Based Costing
(ABC). Ebenfalls auf ein ABC in Supply Chains ist der Beitrag von Dekker
und Van Gooer ausgerichtet.38 Mit Fragestellungen eines Costings in der
Supply Chain setzen sich die Artikel von LaLonde und Pohlen sowie Cooper
und Slagmulder, in Bezug auf ein Interorganisational Cost Management,
auseinander.39 Ein letztes Instrument zum Management bzw. Controlling
einer SC ist das SCOR-Modell, dessen Version 5.0. am Häufigsten zitiert
wird.40 Der zweiten hergeleiteten Kategorie werden Publikationen zugeordnet, die sich mit dem „Supply Chain Management“ auseinandersetzen. SCM
stellt als eine der beiden Mutterdisziplinen – neben dem Controlling – einen
wesentlichen Eckpfeiler einer jeden SCC-Konzeption dar. Zu nennen sind
die bereits angeführte Arbeit von Cooper, Lambert und Pagh sowie die Artikel von Bechtel und Jayaram als auch Croom, Romano und Giannakis.41
Ebenfalls in die Kategorie aufzunehmen ist die Arbeit von Lee, Padmananbhan und Whang.42 Diese setzt sich mit dem so genannten „Bullwhip Effect“
auseinander, der von vielen Autoren als Grund für eine unternehmensübergreifende Planung und Steuerung der Material- und Informationsflüsse angesehen wird.43 Der Effekt wird auch im Rahmen der „System Dynamics“Perspektive - als eine von sechs Argumentations-Linien der SCM-Literaten 36
Hier sind die Arbeiten von Brewer/Speh 2001; Brewer/Speh 2000; Kaplan/Norton 1996
und Beamon 1999 zu nennen. Die Arbeit von Kaplan/Norton 1992 liefert die Grundlagen
für die beiden Publikationen von Brewer/Speh 2001, 2000.
37
Brewer/Speh 2001; Brewer/Speh 2000; Kaplan/Norton 1992; Liberatore/Miller 1998.
38
Dekker/Van Gooer 2000.
39
LaLonde/Pohlen 1996; Cooper/Slagmulder 1999.
40
Supply Chain Council 2002.
41
Cooper/Lambert/Pagh 1997; Bechtel/Jayaram 1997, Croom, Romano, Giannakis 2000.
42
Lee/Padmanabhan/Whang 1997.
43
Vgl. bspw. Otto 2002, S. 161-167.
53
in der Habilitationsschrift von Otto aufgegriffen.44 Als nächstes folgt die
Vorstellung der dritten Kategorie „Lehrbücher“. Hier werden die Werke von
Handfield und Nichols sowie Christopher identifiziert.45 Für eine tiefer gehende Übersicht zu diesen Arbeiten sei wiederum auf den bereits oben angeführten Artikel von Müller, Seuring und Goldbach verwiesen.46 Als abschließende und vierte Kategorie sei die der „Klassiker“ erwähnt. Hierbei
handelt es sich um Publikationen, die schon seit einem längeren Zeitraum am
Veröffentlichungsmarkt erhältlich sind und dennoch immer noch oder wieder in den untersuchten Publikationen zum Supply Chain Controlling Berücksichtigung finden. Zum einen ist hier die Arbeit von Coase aus dem Jahr
1937 zu nennen.47 Die Einordnung als Klassiker erfolgt auch in einer Ausgabe der „Logistik Management“, in der selbiger nachgedruckt wurde.48 Bei
dem zweiten Werk handelt es sich um die Arbeit von Williamson zur Transaktionskostentheorie im Rahmen der Neuen Institutionenökonomie, die in
zahlreichen Veröffentlichungen zum SCM bzw. SCC als eine theoretische
Grundlage herangezogen wird. Als nächstes wird sich den am Häufigsten
zitierten Autoren(-gruppen) zugewandt.
44
Otto 2002, S. 160ff..
45
Handfield/Nichols 1999; Christopher 1998.
46
Müller/Seuring/Goldbach 2003.
47
Coase 1937, in: Logistik Management, H. 1, 2000.
48
Coase 1937, in: Logistik Management, H. 1, 2000.
54
Rang
Publikation
Zitationsanzahl
1
Brewer, P. C.; Speh, T. W. (2000): Using the Balanced Scorecard to 14
Measure Supply Chain Performance, in: Journal of Business Logistics,
21. Jg., H. 1, S. 75-93.
1
Cooper, M. C.; Lambert, D. M.; Pagh, J. D. (1997): Supply Chain 14
Management: More than a new Name for Logistics, in: The International Journal of Logistics Management, 8. Jg., H.1, S. 1-14.
2
Handfield, R. B.; Nichols, R. L. (1999): Introduction to Supply Chain 13
Management, Upper Saddle River, N. J..
3
Dekker, H. C.; Van Gooer, A. R. (2000): Supply Chain Management 12
and Management Accounting: A Case study of Activity-Based Costing, in: The International Journal of Logistics: Research and Applications, 3. Jg., H. 1, S. 41-52.
4
Brewer, P. C.; Speh, T. W. (2001): Adapting the Balanced Scorecard 11
to Supply Chain Performance, in: Supply Chain Management Review,
5. Jg., H. 2, S. 48-56.
4
LaLonde, B. J.; Pohlen, T. L. (1996): Issues in Supply Chain Costing, 11
in: The International Journal of Logistics Management, 7. Jg., H. 1, S.
1-12.
5
Kaplan, R. S.; Norton, D. P. (1992): The Balanced Score Card. Meas- 9
ures That Drives Business performance, in: Harvard Business Review,
70. Jg., S. 71-79.
6
Bechtel, C.; Jayaram, J. (1997): Supply Chain Management: A Strate- 8
gic Perspective, in: The International Journal of Logistics Management, 8. Jg., H. 1, pp. 15-34.
6
Lee, H. L.; Padmanabhan, V.; Whang, S. (1997): The Bullwhip Effect 8
in Supply Chains, in: Sloan Management Review, 38. Jg., S. 93-102.
7
Beamon, B. M. (1999): Measuring Supply Chain Performance, in: The 7
International Journal of Operations and Production Management, 19.
Jg., H. 3, S. 275-292.
7
Christopher, M. (1998): Logistics and Supply Chain Management. 7
55
Strategies for Reducing Cost and Improving Service, 2. Aufl., London.
7
Coase, R. H. (1937): The Nature of the Firm, in: Economica, 4. Jg., 7
Nr. 11, S. 386-405.
7
Cooper, R.; Slagmulder, R. (1999): Supply Chain Development for the 7
Lean Enterprise: Interorganizational Cost Management, Portland, OR.
7
Croom, S.; Romano, P.; Giannakis, M. (2000): Supply Chain Man- 7
agement. An Analytical Framework for Critical Literature Review, in:
European journal of purchasing and supply management, 6. Jg., H. 1,
S. 67-83.
7
Liberatore, J. L.; Miller, T. (1998): A framework for integrating 7
activiy based costing and the balanced scorecard into the logistics
strategy development and monitoring process, in: Journal of Business
Logistics,19. Jg., H. 2, S. 131-152.
7
Supply Chain Council (2002): Supply-Chain Operations Reference- 7
Model. Version 5.0, Pittsburgh.
7
Williamson, O. E. (1985): The Economic Institutions of Capitalism. 7
Firms, Markets, Relational Contracting, 11. Aufl., New York.
Tabelle 4: Die 17 meist zitierten anglo-amerikanischen Publikationen.49
Quelle: eigene.
−
Von welchen Autoren (-gruppen) werden die meisten unterschiedlichen Publikationen zitiert?
Auch zu dieser Forschungsfrage hat der Autor keine bestimmten Erwartungen gehabt, außer, dass eventuell Autoren(-gruppen), die sich Instrumenten
zuwenden, besonders häufig zitiert werden. Diese Vermutung wird sich im
Verlauf der Untersuchung allerdings nicht bestätigen. Im Rahmen dieser
Fragestellung ist zunächst sicherzustellen, dass die Zitationsanzahl durch
Fremdzitationen zu determinieren ist. Allerdings können Eigenzitationen
weitestgehend vernachlässigt werden, da nur einer der gelisteten Autoren
Veröffentlichungen innerhalb der untersuchten SCC-Beiträge vorweißt. Bei
dieser Ausnahme handelt es sich um den Autor Seuring, der den siebten
49
Aufgrund der ausführlichen Angabe der Referenzen in Tabelle 4 werden diese nicht nochmals im Literaturverzeichnis aufgeführt, sofern sie nicht an einer anderen Textstelle zitiert
werden.
56
Rang einnimmt. Bei den Eigenzitationen handelt es sich um seine Veröffentlichung „Green supply chain costing - joint cost managment in the polyester
linings supply chain“, die in der Zeitschrift Greener Managment International, No. 33, 2001, pp. 71-80, erschienen ist. Diese wurde folglich in der
Auszählung nicht berücksichtigt. Im Folgenden werden nun kurz Autoren(gruppen) analysiert, wobei deren meist beachtete Publikationen hervorgehoben werden. Den ersten Platz bekleidet der Autor Williamson. Von diesem
werden 14 unterschiedliche Publikationen berücksichtigt. Am Häufigsten
wird die bereits im vorstehenden Abschnitt beschriebene Arbeit „The Economic Institutions of Capitalism. Firms, Markets, Relational Contracting”
zitiert.50 Auf Rang zwei findet sich die Erstausgabe aus dem Jahr 1975.51
Hieran zeigt sich, dass im Rahmen dieses Beitrages Neuauflagen als eigenständige Publikationen angesehen werden. Am Dritthäufigsten wird der
Zeitschriftenartikel „The economics of organization: The transaction cost
approach. Markets and Hierarchies: Analysis and Antitrust Implications. A
Study in the Economics of Internal Organization” zitiert.52 Dieser erhält drei
Fremdzitationen. Zusammenfassend zeigt dieses wiederum, dass die Arbeiten zur Neuen Institutionenökonomie eine umfangreiche Beachtung im
Rahmen der deutschsprachigen SCC-Forschung finden. An Platz zwei findet
sich Porter wieder. Von diesem werden 11 verschiedene Publikationen zitiert. Die größte Aufmerksamkeit mit sechs verschiedenen Fremdzitationen
erfährt dabei sein Werk „Competitive Advantage: Creating and sustaining
superior performance”.53 Den Rang drei bekleidet die Autorin Ellram mit
neun verschiedenen berücksichtigten Publikationen, wobei keine durch eine
besonders hohe Fremdzitation hervorsticht. Auf Rang vier ist der Autor
Cooper anzutreffen. Von diesem werden acht verschiedene Arbeiten in den
untersuchten Referenzen der SCC-Publikationen berücksichtigt. Zitiert wird
er in den Qualifikationsschriften von Veil, Hess und Halusa, so dass nicht
von einer breiten Wahrnehmung gesprochen werden kann.54 Den selben
Rang bekleiden Kaplan und Norton, deren Arbeiten zur Balanced Scorecard
Beachtung finden. Hier sticht der bereits oben angeführte Artikel „The Ba-
50
Williamson 1985.
51
Williamson 1975.
52
Williamson 1981.
53
Porter 1985.
54
Veil 2001; Hess 2002; Halusa 1996.
57
lanced Score Card. Measures That Drives Business Performance” hervor.55
Den fünften Platz teilen sich Christopher und Harrigan, die in je sechs verschiedenen SCC-Publikationen als Referenzen angeführt werden. Bei Erstgenanntem wird sein insbesondere an Praktiker gewandtes Buch „Logistics
and Supply Chain Management. Strategies for Reducing Cost and Improving
Service” sowohl in der Erst- als auch Zweitauflage stark beachtet. Die Platzierung von Harrigan, der sich in seinen Arbeiten mit Vertikalen Kooperationen, Strategischen Allianzen und Joint Ventures auseinandersetzt, ist einzig
und allein auf die Dissertationsschrift von Kraege zurückzuführen.56 Den
sechsten Platz haben die Autoren Lorange, der in den Arbeiten von Kraege,
Ries und Veil zitiert wird, und Yin , dessen Arbeiten ausschließlich in der
Publikation von Bacher berücksichtigt wird, inne.57 Auf Platz sieben folgt
abschließend mit Seuring der einzige deutschsprachige Autor, dessen Publikationen in der Dissertationsschrift von Winkler fremdzitiert werden.58 Ein
Überblick über die vorstehenden Ausführungen wird in Tabelle 5 gegeben.
Abschließend erfolgt die Vorstellung der Ergebnisse, in welchen Zeitschriften und Sammelbänden die zumeist zitierten Publikationen erschienen sind.
Rang
Autor(-engruppe)
Zitationsanzahl
1
Williamson, O. E.
14
2
Porter, M. E.
11
3
Ellram, L. M.
9
4
Cooper, R.
8
4
Kaplan, R. S.; Norton, D. P.
8
5
Christopher, M.
6
5
Harrigan, K. R.
6
55
Kaplan/Norton 1992.
56
Kraege 1997.
57
Kraege 1997; Ries 2001; Veil 2001; Bacher 2004.
58
Winkler 2005.
58
6
Lorange, P.
5
6
Yin, R. K.
5
7
Seuring, S.
4
Tabelle 5: Die 10 meist zitierten Autoren(-gruppen).
Quelle: eigene.
−
Welche Zeitschriften und Sammelbände werden bevorzugt zitiert?
Die Vorüberlegungen zu dieser Fragestellung führten zu der Annahme, dass
bevorzugt hochrangige Journals oder Sammelbände bekannter Autoren(gruppen) Verwendung finden. Diese These bestätigte sich im Laufe der
Untersuchung, allerdings finden sich in den Top Ten keine Sammelbände
wieder, sondern ausschließlich Zeitschriften. Für die Zeitschriften wird des
weiteren deren Ranking ermittelt. Hierzu findet zum einen das Ranking der
VHB-JOURQUAL: Gesamtranking aller BWL-relevanten Zeitschriften des
Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. (Kat. 1) und zum
anderen das der WU Journal Rating (Kat. 2) der Wirtschaftsuniversität Wien
(Stand: 11.10.2006) Verwendung. Es zeigt sich, dass sich die zumeist verwendeten Zeitschriften der Kategorie A+ bis B zuordnen lassen. Die Ergebnisse werden in Tabelle 6 wiedergegeben, bevor im letzten Kapitel 5 im
Rahmen eines Fazits eine Reflexion der Vorgehensweise und der Ergebnisse
erfolgt.
Nr.
Medium
Anzahl
Kat.1
Kat.2
1
Harvard Business Review
57
A
C
2
Long Range Planning
36
A
B
3
Strategic Management Journal
33
A
A
4
International Journal of Physical Distribution and Logis- 31
B
B
tics Management
5
Academy of Management Review
29
A+
A+
6
Administrative Science Quarterly
28
A+
A+
7
Sloan Management Review
25
A
B
59
7
Supply Chain Management Review
25
B
-
8
International Journal of Logistics Management
24
A
B
9
Journal of Cost Management
20
-
C
Tabelle 6: Die 10 meist zitierten Medien.59
Quelle: eigene.
5 Reflexion und Fazit
Die Zitatenanalyse hat sich grundsätzlich als eine geeignete Methodik erwiesen, um Erkenntnisse in der Diskussion um ein Supply Chain Controlling zu
gewinnen. Allerdings ist das erhobene Ausgangsmaterial hierfür entsprechend aufzubereiten, wie in Tabelle 1 veranschaulicht wird. Des Weiteren
darf die sich anschließende Analyse nicht nur quantitativ erfolgen, sondern
ist explizit unter qualitativen Aspekten durchzuführen. Dies bedeutet, dass
die gewonnen Zahlen nicht für sich allein stehen sollen, sondern vor dem
Hintergrund eines eventuellen Vorverständnisses und der zugrunde gelegten
Fragestellung zu interpretieren sind.
Die gewonnenen quantitativen Ergebnisse sind als valide und reliabel zu
bezeichnen. Die qualitativ vorgenommenen Auslegungen sind letztendlich
als forscherabhängig einzustufen. Aus diesem Grund sind die erhaltenen
Ergebnisse argumentativ zu rechtfertigen. Unabhängig von der Interpretation
der Erkenntnisse sind diese als gewinnbringend zu bezeichnen, da sie interessante Einblicke, Begründungsmöglichkeiten und Denkanstöße für die
SCC-Forschung darstellen.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Untersuchung der Verwendung von
Referenzen, die in englischer Sprache verfasst sind, als ein weiterführender
Baustein in der Forschung zum Supply Chain Controlling zu bezeichnen ist.
Auf ihrer Grundlage lassen sich mögliche Impulse dieses Sprachbereichs auf
die eher als deutsch zu bezeichnende SCC-Diskussion aufzeigen.
59
Fehlende Angaben bedeuten, dass das betroffene Medium in dem entsprechenden Ranking
nicht gelistet ist.
60
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Andreas Eiselt/Inge Wulf *
Wesentliche Bilanzierungsunterschiede bei
Rechnungslegung nach International Financial Reporting
Standards (IFRS) und US-Generally Accepted Accounting
Principles (US-GAAP)
1 Einleitung
Durch die Umsetzung der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rats durch das Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG)
in deutsches Recht sind seit 2005 kapitalmarktorientierte Unternehmen verpflichtet, ihren Konzernabschluss unter Beachtung der IFRS zu erstellen und
zu publizieren. Für Unternehmen, die in den USA gelistet sind und ihren
Abschluss unter Beachtung der US-GAAP erstellen müssen, und solche
Unternehmen, die einen organisierten Kapitalmarkt ausschließlich mit
Fremdkapitaltiteln in Anspruch nehmen, gilt derzeit eine Übergangsfrist bis
Ende 2006. Allerdings hat die Securities and Exchange Commission (SEC)
die Anerkennung von IFRS-Abschlüssen für 2009 in Aussicht gestellt. Bereits im Oktober 2002 haben International Accounting Standards Board
(IASB) und FASB im sog. „Norwalk Agreement“ eine Vereinbarung über
eine Zusammenarbeit mit dem Ziel getroffen, die US-GAAP und IFRS zu
verbessern und gleichzeitig Differenzen zwischen den Standards zu beseitigen. Auch die SEC und das Committee of European Securities Regulators
(CESR) intensivieren mittlerweile ihre Zusammenarbeit. Ziel ist die konsistente Anwendung der IFRS sowie der US-GAAP durch international tätige
Unternehmen sowohl in den USA als auch innerhalb der Europäischen Union. Viele Rechnungslegungsunterschiede hat das IASB bereits im Rahmen
*
Dipl.-Kfm. Andreas Eiselt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dr. Inge Wulf ist wissenschaftliche Assistentin bei Univ.-Prof. Dr. Laurenz Lachnit am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen (Wirtschaftsprüfung und Controlling) der Universität Oldenburg.
66
des „Improvements Project“ im Jahre 2003 und 2004 beseitigt, jedoch bestehen noch einige bedeutende Rechnungslegungsunterschiede zwischen IFRS
und US-GAAP, die beide Standardsetter auf dem Weg zu einer (weitgehenden) Konvergenz noch überwinden müssen.
Im Folgenden werden die wesentlichen bestehenden Unterschiede in den
Ausweis-, Ansatz- und Bewertungsvorschriften dargestellt. Der Betrachtungsschwerpunkt wird auf die allgemeinen Vorgaben für börsennotierte
Handels- und Industrieunternehmen gelegt. Sonderregelungen für z.B. Banken oder Versicherungen, Unterschiede im Rahmen der Konzernrechnungslegung oder erstmaligen Anwendung werden hier nicht berücksichtigt.1
2 Unterschiede in den Rahmenbedingungen
Die wichtigsten Verlautbarungen der US-GAAP werden vom privatwirtschaftlich organisierten Financial Accounting Standards Board (FASB) in
Form von „Statements of Financial Accounting Standards (SFAS)“ herausgegeben. Insgesamt basieren die US-GAAP auf einer komplexen Zusammensetzung verschiedener Vorschriften oder Verlautbarungen, die hierarchisch aufgebaut unter dem Begriff „House of GAAP“ bekannt sind. Dieses
System umfasst fünf Rechnungslegungsschichten: Die unterste Schicht entstammt dem Bereich der US-amerikanischen Abschlussprüfung, wird auch
als GAAP i.e.S bzw. als formelle Verfahrensnormen und Grundsätze bezeichnet und stellt die verpflichtende Rechnungslegungsebene dar. Hierzu
zählen neben den vom FASB erlassenen Statements und Interpretations auch
noch Regelungen, die von der Vorgängerorganisation, dem Accounting Principles Board (APB), in Form von Opinions (APBO) erlassen wurden sowie
die von der Wirtschaftsprüfervereinigung herausgegebenen Accounting
Research Bulletins (ARB). Zusammen mit den vier weiteren Schichtungen
ergeben sich die GAAP i.w.S.. Die folgende Darstellung verdeutlicht diese
Zusammenhänge:
1
Vgl. dazu z.B. Coenenberg 2005; Pellens/Fülbier/Gassen 2006.
67
HOUSE of GAAP
FASB
Concept
E
AICPA
Issue Papers
IASB
GASB
FASBAB
Regulators
(SEC)
Other
D
AICPA Accounting Interpretations
FASB Implementation Guides (Q&A)
C
AICPA Practice Bulletins
FASB Emerging Issues Task Force (EITF)
B
FASB Technical Bulletins
A
FASB Statements
Abb. 1
AICPA Industry Audit and
Accounting Guides
FASB
Interpretations
APB Opinions
AICPA Statements of
Position
AICPA Accounting
Research Bulletins
House of GAAP
Quelle: In Anlehnung an KPMG (Hrsg.) 2003, S. 3.
Es bleibt anzumerken, dass die SEC mittlerweile eine Reduzierung dieser
Hierarchie auf lediglich zwei Ebenen fordert2 und das FASB die Gesamtheit
der US-GAAP bis zum Jahr 2010 innerhalb eines geschlossenen, themengegliederten Gesamtwerkes systematisieren möchte („Codification and Retrieval Project“).3
Die IFRS entstammen einer länderübergreifenden Zusammenarbeit von
Berufsverbänden der Wirtschaftsprüfer mit dem Ziel, durch die Veröffentlichung von Rechnungslegungsstandards eine weltweite Harmonisierung der
Abbildungskonzeptionen zu erreichen. Die Rolle des privaten Standardsetters obliegt seit 2001 dem IASB, dem Nachfolgegremium des am 29. Juni
1973 in London gegründeten IASC. Das IASB gibt Verlautbarungen heraus,
die sich ähnlich wie nach US-GAAP hinsichtlich ihres Verpflichtungscharakters unterscheiden. Die Hierarchie dieser Verlautbarungen lässt sich in
Anlehnung an die Darstellung nach US-GAAP wie folgt darstellen:
2
Vgl. SEC (Hrsg.) 2003, S. 39-40.
3
Vgl. Diehm 2005, S. 229.
68
Abb. 2
House of IAS/IFRS
Quelle: In Anlehnung an Lüdenbach 2004, S. 39 und Heyd/Lutz-Ingold
HOUSE of IAS/IFRS
5. Ebene
Verlautbarungen nationaler Gesetzgeber oder anderer Standardsetter
4. Ebene
Leitlinien zu Implementierung (IAS Implementation Guidances)
3. Ebene
Vorwort (Preface)
2. Ebene
Rahmenkonzept (Framework)
1. Ebene
IAS/IFRS
SIC/IFRIC
2005, S. 18.
Wie die Abbildung verdeutlicht, umfassen die IFRS zum einen die vom
IASB verabschiedeten IFRS, die zunächst vom Vorgänger des IASB, dem
International Standards Committee (IASC), erlassenen und in 2001 vom
IASB übernommenen International Accounting Standards (IAS) sowie zum
anderen die vom International Financial Reporting Interpretations Committee (IFRIC) und dem Vorgängergremium, dem Standing Interpretations
Committe (SIC), veröffentlichten Interpretationen. Diese speziellen Rechnungslegungsregeln dem Rahmenkonzept (Framework) vor. „Lediglich in
den Fällen, in denen Rechnungslegungsthemen durch keinen Standard abgedeckt werden oder nicht eindeutig in einem IFRS adressiert sind, bildet das
Framework ... die Grundlage von eigenen Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden.“4 Verpflichtenden Charakter auf der dritten Ebene besitzt weiterhin das Vorwort (Preface), obwohl es nur wenige spezifische Grundlagen
4
Hinz, 2005 S. 48-49.
69
enthält.5 Mit den Leitlinien zur Implementierung (Implementation Guidances) entstand im Jahr 2000 eine weitere Kategorie, der allerdings nur eine
Empfehlungswirkung zugesprochen wird.6 Schließlich kann der Bilanzierende bei bisher vom IASB ungelösten Rechnungslegungsfragen auf Verlautbarungen anerkannter nationaler Gesetzgeber oder anderer Standardsetter
zurückgreifen, wobei diese Regelungen hierarchisch auf der fünften und
letzten Ebene anzusiedeln sind.
3 Unterschiede in den Zielen und Grundsätzen der
Rechnungslegung
Die zentrale Aufgabe eines nach US-GAAP und IFRS aufgestellten Abschlusses besteht in der Vermittlung entscheidungsrelevanter und verlässlicher Informationen für den Kapitalmarkt. Dabei ist nach US-GAAP unbedingt der Grundsatz der „Fair Presentation“ zu beachten, der eine wahrheitsgemäße Darstellung der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens sicherstellen soll.7 Dieser Forderung sind alle anderen Bilanzzwecke und -grundsätze untergeordnet, so dass zur Einhaltung dieses Grundsatzes sogar von
Einzelvorschriften abgewichen werden darf, wenn trotz Beachtung der
Rechnungslegungsstandards das wirtschaftliche Gesamtbild des Unternehmens verzerrt dargestellt würde, womit diese Norm als „Overriding Principle“ fungiert.8
Ursprünglich wurde gem. IFRS die Forderung nach einer „Fair Presentation“ lediglich im Rahmenkonzept im Zusammenhang mit der Erfüllung der
qualitativen Anforderungen erwähnt. Seit der Überarbeitung des IAS 1 im
Jahre 1997 ist diese Forderung explizit in IAS 1.13 verankert. Damit ist die
Bedeutung der „Fair Presentation“ signifikant gestiegen, gleichwohl diese
Forderung in der aktuellen Kommentierung nicht von allen Autoren im Sin-
5
Vgl. Heyd/Lutz-Ingold 2005, S. 16.
6
Vgl. Heyd/Lutz-Ingold 2005, S. 19.
7
Vgl. Siebert 1996, S. 409.
8
Vgl. Lachnit 1993, S. 193.
70
ne eines „Overriding Principle“ interpretiert wird.9 Vielmehr resultiert nach
IAS 1.15 aus der sachgemäßen Anwendung der IFRS inklusive der Interpretationen unter nahezu allen Umständen ein Abschluss, der dem Gebot der
„Fair Presentation“ genügt. Ein Abweichen von den Regelungen eines IFRS
ist nach IAS 1.17 nur in extrem seltenen Ausnahmefällen und in Verbindung
mit umfangreichen Angaben zulässig.
4 Darstellung wesentlicher Unterschiede in der formalen
Ausgestaltung der Abschlussbestandteile
Sowohl nach IFRS als auch nach US-GAAP besteht der jährlich aufgestellte
und publizierte Abschluss eines kapitalmarktorientierten Unternehmens aus
einer Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) mit dem Ergebnis je
Aktie, Kapitalflussrechnung, Eigenkapitalveränderungsrechnung und einem
Anhang.10 Neben diese Rechenwerke tritt eine Segmentberichterstattung,
obwohl diese im Regelwerk der IFRS und US-GAAP nicht explizit als eigener Bestandteil bezeichnet wird.
Der Anhang als eigenständiger Teil des Jahresabschlusses dient im wesentlichen der Erläuterung, Ergänzung und Entlastung der Abschlussbestandteile.11 Die bei der Ausgestaltung des Anhangs wesentlichen Unterschiede
werden im Folgenden bei der Behandlung der einzelnen Abschlussbestandteile behandelt.
Ein erster grundlegender Unterschied in der Ausgestaltung der Rechenwerke
ergibt sich aus der Tatsache, dass die SEC zu sämtlichen Rechnungslegungsinformationen grundsätzlich für zwei Vorperioden Vergleichswerte
fordern und gemäß IAS 1.36 Vergleichsinformationen lediglich für die vorangegangene Periode erforderlich sind.12 Lediglich in der Bilanz genügt
nach US-GAAP der Ausweis von einfachen Vorjahreswerten.13
9
Vgl. Hinz 2005, S. 79 mit weiteren Nennungen.
10
Vgl. F.7 bzw. IAS 1.8 und SFAC 5 und 6 bzw. CON 5.13.
11
Vgl. Krawitz 2005, S. 15-16; Wulf 2004, Rz. 506
12
Vgl. Regulation S-X, Rule 3-02 (a) und Regulation S-X, Rule 3-04.
13
Vgl. Regulation S-X, Rule 3-01 (a)
71
4.1 Bilanz
Die Vermögenswerte und Schulden in der Bilanz sind gemäß IAS 1.51
grundsätzlich nach der Fristigkeit zu klassifizieren und zwar in langfristige
und kurzfristige Vermögenswerte und Schulden. Latente Steueransprüche
bzw. -schulden sind nach IAS 1.70 stets als langfristig zu klassifizieren. Nur
in Ausnahmefällen ist eine reine Gliederung nach Liquiditätsnähe gem. IAS
1.51 zu bevorzugen. Eine derartige Gliederung ist z.B. nach RIC 1.23 nur bei
Versicherungsgesellschaften oder Finanzinstituten denkbar, wenn sich die
Bilanz fast nur aus Finanzinstrumenten zusammensetzt.14
Anders als nach IFRS sind nach US-GAAP die Aktiva nach abnehmender
Liquidierbarkeit und die Passiva nach zunehmender Restlaufzeit zu ordnen,
wobei jeweils eine Unterteilung in kurz- und langfristige Posten vorzunehmen ist.15 Latente Steueransprüche und -schulden sind in Abhängigkeit von
der zu Grunde liegenden Bilanzposition als lang- oder kurzfristig zu klassifizieren.
Ein striktes Gliederungsschemata ist nach IFRS nicht vorgeschrieben. In IAS
1.68 werden lediglich einige Posten aufgezählt, die zumindest in der Bilanz
auszuweisen sind. Dahingegen ist nach US-GAAP gem. Rule 5-02 der Regulations S-X ein relativ detailliertes Mindestgliederungsschemata für börsennotierte Commercial and Industrial Companies gefordert.16
Minderheitenanteile sind nach IAS 27.33 in der Konzernbilanz innerhalb des
Eigenkapitals getrennt vom Eigenkapital des Mutterunternehmens auszuweisen, wohingegen dieser Korrekturposten nach US-GAAP außerhalb des
Eigenkapitals auszuweisen ist.
Ein bedeutender Unterschied resultiert aus der Tatsache, dass nach USGAAP keine Notwendigkeit zur Erstellung eines ausführlichen, separaten
Anlagenspiegels besteht, wie z.B. nach IAS 16.73e gefordert. Wesentliche
14
In Deutschland hat zur „Bilanzgliederung nach Fristigkeit gemäß IAS 1“ das Rechnungslegungs Interpretations Committee (RIC) des Deutschen Rechnungslegungs Standards
Committee e.V. (DRSC) am 19. Juli 2005 die Rechnungslegungs Interpretation (RIC) 1
veröffentlicht, die sich mit der Ausgestaltung der Bilanz nach IFRS auseinandersetzt. Im
Anhang von RIC 1 findet sich eine detaillierte Empfehlung zur Gliederung der Bilanz in
Anlehnung an IAS 1.
15
Vgl. Winnefeld 2006, Kapitel F, Rz. 1120.
16
Die Regulation S-X bezieht sich auf Financial Statements Requirements, während sich die
Regulation S-K auf Nonfinancial Statements Requirements bezieht.
72
Informationen, wie z.B. kumulierte Abschreibungen oder Anschaffungskosten sind jedoch aus der Bruttodarstellung ersichtlich. Daneben sind weitere
Erläuterungen notwendig, wozu für jede wesentliche Sachanlagekategorie
die Pflicht zur Angabe der Abschreibungen des Geschäftsjahres und der
aktivierten Zinsen zählt.17
4.2 Gewinn- und Verlustrechnung
Auch für die Ausgestaltung der Gewinn- und Verlustrechnung bestehen nach
IFRS nur wenige verbindliche, formale Anforderungen. In IAS 1.81 und IAS
1.82 werden lediglich einige Posten aufgezählt, die zumindest auszuweisen
sind. Grundsätzlich ist sowohl eine Aufstellung nach Konto- oder Staffelform möglich, obwohl die Staffelform üblich ist. Ein explizites Wahlrecht
besteht gem. IAS 1.88 bei der Möglichkeit zur Aufgliederung der operativen
Aufwendungen nach dem Umsatz- oder Gesamtkostenverfahren. Eine weitere Aufgliederung der Aufwendungen kann wahlweise auch im Anhang
erfolgen. Allerdings wird ein Ausweis in der Gewinn- und Verlustrechnung
in IAS 1.89 empfohlen. Sofern das Umsatzkostenverfahren gewählt wird,
sind zusätzliche Angaben zu machen. Dazu gehören nach IAS 1.93 die Höhe
der planmäßigen Abschreibungen und die Leistungen an Arbeitnehmer (Personalaufwand). Ein außerordentliches Ergebnis darf nach IAS 1.85 weder in
der Gewinn- und Verlustrechnung noch im Anhang ausgewiesen werden.
Demgegenüber sind die Vorgaben bei Bilanzierung nach US-GAAP stringenter. Unternehmen, die gegenüber der SEC berichtspflichtig sind, haben
bei der Ausgestaltung der GuV das relativ detaillierte Gliederungsschema
gem. Rule 5-03 der Regulations S-X zu beachten. Es lassen sich drei generelle Unterschiede zu den IFRS festhalten: Erstens ist die GuV zwingend in
Staffelform aufzustellen, zweitens sind die Aufwendungen nach dem Umsatzkostenverfahren (UKV) aufzugliedern und drittens ist der Ausweis eines
außerordentlichen Ergebnisses nach APB 30.10 verpflichtend. Daneben ist
eine gesonderte Angabe der Leistungen an Arbeitnehmer - wie nach IAS
1.93 gefordert - nicht verpflichtend.
Fall ein Ergebnis aus außerordentlichen Vorgängen ausgewiesen wird, ergibt
sich ein Unterschied aus der Verpflichtung nach SFAS 128.37 ein Ergebnis
je Aktie für dieses Ergebnis darzustellen.
17
Vgl. Hayn/Waldersee 2004, S. 52.
73
Letztlich besteht ein weiterer Unterschied darin, dass bei der Berechnung des
Ergebnisses je Aktie die Bestimmung der Anzahl der potenziellen Stammaktien nach IAS 33 im Gegensatz zu SFAS 128 unabhängig von der Zwischenberichterstattung erfolgt.18
4.3 Kapitalflussrechnung
Den Ausgangspunkt von Kapitalflussrechnungen bildet der Finanzmittelfonds, dessen Veränderung im Laufe des Geschäftsjahres durch den Fondsnachweis über die Angabe des Cashflow aus operativer Tätigkeit, aus Investitionstätigkeit und aus Finanzierungstätigkeit erklärt wird. Nach beiden
Rechnungslegungsstandards sind in den Finanzmittelfonds grundsätzlich
Zahlungsmittel und Zahlungsmitteläquivalente einzubeziehen.19 Ferner setzt
IAS 7.7 voraus, dass die Zahlungsmitteläquivalente als Liquiditätsreserve
dienen.
Unterschiedlich regulieren die Standards auch die Möglichkeit, jederzeit
fällige Bankverbindlichkeiten in den Finanzmittelfonds einzubeziehen. Im
Sinne von IAS 7.8 bilden Kontokorrentkredite u.U. einen wichtigen Teil der
Zahlungsmitteldisposition des Unternehmens und sind deshalb in den Finanzmittelfonds einzubeziehen.20 Dahingegen ist die Einbeziehung von
Kontokorrentlinien in den Finanzmittelfonds nach US-GAAP nicht gestattet
(SFAS 95.7-95.10).
Ein verbindliches Gliederungsschema für den Aufbau der Kapitalflussrechnung ist in beiden Systemen nicht vorgeschrieben, allerdings enthalten SFAS
95 und IAS 7 mehrere Beispiele zum Aufbau einer Kapitalflussrechnung.
Daneben finden sich sowohl nach IFRS als auch US-GAAP einige verbindliche Angabepflichten. Anders als die US-GAAP sieht IAS 7 einige Ausweiswahlrechte für spezielle Posten vor. Dies betrifft im Einzelnen erhaltene und
gezahlte Zinsen, erhaltene und gezahlte Dividenden sowie gezahlte Ertragsteuern. Dahingegen sind gezahlte und erhaltene Zinsen, Zahlungen für Ertragsteuern sowie erhaltene Dividenden nach SFAS 95.21-23 grundsätzlich
18
Vgl. auch Coenenberg 2005, S. 547.
19
Vgl. IAS 7.6; SFAS 95.7.
20
In einer Studie zur Bilanzierungspraxis nach IFRS wurde festgestellt, dass 6 der 100
untersuchten Unternehmen auch Bankverbindlichkeiten als Zahlungsmittel definieren. Vgl.
Keitz 2005 S. 222.
74
der betrieblichen Tätigkeit zuzuordnen, während gezahlte Dividenden nach
SFAS 95.20 der Finanzierungstätigkeit zugeordnet werden müssen, wie
folgende Darstellung zeigt:
Vorgänge
Abb. 3
IAS 7
SFAS 95
Erhaltene Zinsen
Operativer Bereich
Investitionsbereich
Operativer Bereich
Gezahlte Zinsen
Operativer Bereich
Finanzierungsbereich
Operativer Bereich
Erhaltene
Dividenden
Operativer Bereich
Investitionsbereich
Operativer Bereich
Gezahlte
Dividenden
Finanzierungsbereich
Operativer Bereich
Finanzierungsbereich
Gezahlte
Ertragsteuern
Operativer Bereich
Operativer Bereich
(Investitionsbereich/
Finanzierungsbereich)
Ausweisentscheidungen im Rahmen der Kapitalflussrechnung,
Quelle: eigene
4.4 Eigenkapitalveränderungsrechnung
Für die Darstellung der Eigenkapitalveränderungen existieren gem. IAS 1.8
(c) zwei grundsätzliche Möglichkeiten. So können erstens sämtliche Eigenkapitalveränderungen oder zweitens nur diejenigen Veränderungen des Eigenkapitals, die keine Kapitalmarkttransaktionen sind, abgebildet werden.21
Bei der weniger umfangreichen zweiten Variante ist also lediglich das
Comprehensive Income (CI) aufzugliedern. Darüber hinaus sind im Anhang
die weiteren Veränderungen des Eigenkapitals zu erläutern. Nur die erste
Variante verdient die Bezeichnung „Eigenkapitalveränderungsrechnung“, da
sämtliche Eigenkapitalkomponenten von Periodenanfang bis zum -ende
21
Die bloße Darstellung der ergebnisneutralen Eigenkapitalveränderungen ist allerdings
kaum von Bedeutung, wie eine empirische Studie von Haller/Schloßgangl belegt. Vgl.
Haller/Schloßgangl 2003, S. 323.
75
innerhalb des Rechenwerkes abzubilden sind.22 Zusätzlich ist die Darstellung von Veränderungen der Minderheitenanteile in IAS 1.96 vorgeschrieben.
In die Eigenkapitalveränderungsrechnung ist nach US-GAAP im Unterschied zur Regelung nach IFRS zudem gem. Regulation S-X, Rule 3-04 die
Entwicklung der Anzahl der Aktien und die Dividende je Aktie für jede
einzelne Aktiengattung offen zu legen. Daneben ist im Abschluss nach SFAS
130 die Entwicklung der Gewinnrücklagen abzubilden. Diese wird üblicherweise in die Eigenkapitalveränderungsrechnung integriert, kann aber auch
als separates Rechenwerk gezeigt werden.23
Für die Darstellung des Comprehensive Income stellen die Vorschriften des
SFAS 130 drei verschiedene Ausweisformate zur Auswahl. Kennzeichnend
für den One Statement Approach ist der kombinierte Ausweis des in der
GuV erfolgswirksam erfassten Periodenergebnisses und der erfolgsneutral
im Eigenkapital erfassten Veränderungen des Eigenkapitals. Die erfolgsneutral erfassten Gewinne und Verluste werden unmittelbar im Anschluss an das
in der GuV ermittelte Periodenergebnis dargestellt.24 Im Gegensatz zu dieser
integrierten Darstellung erfolgt beim Two Statement Approach eine klare
Untergliederung des Ausweises von Jahresergebnis und Other Comprehensive Income. So ist in der üblichen Form ein Statement of Income und zusätzlich ein gesondertes Statement of Comprehensive Income als eigene
Rechnung darzustellen.25 Alternativ räumt SFAS 130 eine dritte Möglichkeit
der Darstellung ein. In diesem sog. „Statement of Changes in Equity Approach” werden die Veränderungen sämtlicher Eigen-kapitalpositionen während einer Periode gezeigt. Das Periodenergebnis und die erfolgsneutral
erfassten Beträge sowie der Gesamterfolg als Summe dieser beiden Komponenten sind direkt in der Eigenkapital-veränderungsrechnung zu zeigen.
Während nach IFRS auch Beträge aus der Folgebewertung von immateriellen Vermögenswerten und Sachanlagen zum beizulegenden Zeitwert und aus
versicherungsmathematischen Gewinnen/Verlusten bei der Bewertung von
Pensionszusagen in der Eigenkapitalveränderungsrechnung enthalten sein
22
Vgl. Pellens/Fülbier/Gassen 2006, S. 167.
23
Vgl. Niehus/Thyll 2000, Tz. 1070.
24
Vgl. Lachnit/Müller 2005, S.1638.
25
Vgl. Appendix B zu SFAS 130.
76
können, besteht nach US-GAAP unter bestimmten Voraussetzungen die
Pflicht zur erfolgsneutralen Berücksichtigung einer Mindestpensionsverpflichtung.
4.5 Segmentberichterstattung
Die Segmentberichterstattung soll das Zustandekommen des Unternehmenserfolgs vor allem bei solchen Unternehmen transparenter machen, die in
unterschiedlichen Branchen und/oder Regionen tätig sind. Basierend auf den
relevanten Rechnungslegungsstandards IAS 14 und SFAS 131 ergeben sich
wesentliche Unterschiede aus der Abgrenzung der Berichtseinheiten, den
geforderten Segmentangaben und der zu Grunde liegenden Ermittlungs- und
Bewertungsmethode der Segmentinformationen.
So bestimmt nach SFAS 131 die interne Organisation die Aufteilung des
Unternehmens in einzelne berichtspflichtige Segmente (sog. „Management
Approach“). Eine Abgrenzung kann dabei sowohl nach Kundengruppen,
Produkten, Dienstleistungen oder geografischen Regionen erfolgen. Dadurch
wird eine konvergente Darstellung im Spannungsverhältnis von interner und
externer Abbildung sichergestellt, zumal auch für die externe Berichterstattung die wesentlichen Erfolgs- und Risikoquellen aus dem Blickwinkel des
Managements berichtspflichtig sind.26
Dahingegen erfolgt die Abgrenzung der berichtspflichtigen Segmente nach
IAS 14 zwingend nach Geschäftsbereichen (business segments) und geografischen Aspekten (geographic segments). Dabei ist nach IAS 14.26 zwischen
einer primären und einer sekundären Segmentierungsebene zu unterscheiden.
Dieser Ansatz gestattet den gesetzlichen Vertretern der segmentierenden
Unternehmen auf Grund fehlender Regelungen nicht unerhebliche Freiheitsgrade, so dass eine von der tatsächlichen Organisations- und Berichtsstruktur
völlig losgelöste Segmentabgrenzung möglich und damit die Aussagekraft
des Segmentberichtes fraglich ist.27 Als Ergebnis der Konvergenzbemühungen zwischen FASB und IASB ist hier jedoch der Exposure Draft 8 „Operating Segments“ zu sehen, der sich inhaltlich nahezu vollständig an SFAS 131
ausrichtet.
26
Vgl. Ammann/Müller 2006, S. 102f.
27
Vgl. Müller/Peskes 2006, S. 34.
77
Die folgende Tabelle stellt die geforderten Angaben zu den einzelnen Segmenten nach IAS 14, SFAS 131 und ED 8 im Überblick dar. Dabei beziehen
sich die Angabepflichten nach IAS 14 auf das primäre Berichtsformat, ansonsten auf das sog. operative Segment:
78
Angabe
IAS
SFAS
14
131
ED 8
(Rz.)
(Rz.)
(Rz.)
Segmenterlöse mit fremden Dritten
51
27
Konzerninterne Segmenterlöse
51
27*
22*
Segmentergebnis
52
27
22
Segmentvermögen
55
27
22
Segmentschulden
56
-
-
Anschaffungskosten des SAV und immateriellen Vermögens
57
28*
23*
Segmentabschreibungen (planmäßig)
58
27*
22*
Andere (wesentliche) nicht zahlungswirksame Posten
61
27*
22*
Segmentergebnisbeiträge aus at equity-bewerteten Beteiligungen
64
27*
22*
Buchwerte von at equity-bewerteten Beteiligungen
66
28*
23*
Zinsaufwendungen und Zinserträge
-
27*
22*
Ertragsteuern
-
27*
22*
Ungewöhnliche od. außerordentliche Aufwendungen und Erträge
-
27*
-
67
32
27
74ff.
33ff.
30ff.
*
22*
Überleitungsrechnung von Segmentangaben zu Posten des Konzern- bzw. Einzelabschlusses
Zusatzinformationen
Tab. 1 Angabepflichten im Rahmen der Segmentberichterstattung nach IAS
14 und SFAS 131 und ED 8
Quelle: In Anlehnung an Alvarez 2004, S. 178.
*
Angabe nur erforderlich, soweit der Unternehmensleitung die entsprechenden Informationen regelmäßig vorliegen und zur Steuerung der Segmente genutzt werden.
79
Die Tabelle 1 verdeutlicht die grundsätzlich unterschiedlichen Angabepflichten nach IFRS und US-GAAP, die bei Umsetzung des ED 8 in einen
endgültigen Standard nicht mehr bestehen werden. Nur nach SFAS 131.39
sind zudem Angaben zu wesentlichen Kunden verpflichtend, wenn mit diesen mindestens 10% der Gesamtumsätze abgewickelt werden.
Die Segmentberichterstattung nach US-GAAP gewährt einen tieferen Einblick in die Entscheidungsgrundlage der Unternehmensführung, ist aber
weniger normiert. Der Wertansatz der Vermögensgegenstände und Schulden,
Aufwendungen und Erträge orientiert sich vollständig an der Methode zur
internen Berichterstattung.28 Anders als IAS 14 folgt auch ED 8 hinsichtlich
der Datenbasis ausnahmslos dem Management Approach nach SFAS 131.
5 Bilanzorientierte Darstellung wesentlicher
Bilanzierungsunterschiede
5.1 Immaterielle Vermögenswerte
Für den Ansatz von immateriellen Vermögenswerten, die dauerhaft dem
Unternehmen dienen sollen, ist sowohl nach IFRS als auch US-GAAP die
Art des Zugangs zum Unternehmen nicht unmittelbar entscheidend. Vielmehr ist eine Aktivierung grundsätzlich an die Erfüllung von in SFAS 141
und 142 sowie IFRS 3 und IAS 38 bestimmten Ansatzkriterien geknüpft, so
dass neben der grundsätzlichen Aktivierungspflicht bei entgeltlich erworbenen auch selbst erstellte immaterielle Vermögenswerte grundsätzlich einer
Ansatzpflicht unterliegen.
Nach IAS 38 sind immaterielle Werte immer dann anzusetzen, wenn sie zum
einen die Definitionskriterien erfüllen (IAS 38.8) sowie zum anderen die
Wahrscheinlichkeit des künftigen Nutzenzuflusses an das Unternehmen und
eine zuverlässige Bewertungsfähigkeit der immateriellen Werte gegeben ist
(IAS 38.18 und 38.21). Da die dort genannten Ansatzkriterien für selbstgeschaffene immaterielle Vermögenswerte eine mangelnde Praktikabilität
aufweisen, wird hilfsweise eine Unterteilung in eine Forschungs- und Entwicklungsphase vorgenommen (IAS 38.51-52). Die Abgrenzung zwischen
28
Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003 S. 161.
80
Forschungs- und Entwicklungsphase ist insofern von Bedeutung, als damit
über den Ansatz von immateriellen Werten entschieden wird.29 Während die
Ausgaben der Forschungsphase sofort als Aufwand zu erfassen sind (IAS
38.54), besteht für die Ausgaben in der Entwicklungsphase eine Aktivierungspflicht, wenn die in IAS 38.57 genannten Kriterien kumulativ erfüllt
sind. Ein konkretes Aktivierungsverbot besteht jedoch nach IAS 38.63 für
selbst erstellte Markennamen, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten sowie
ähnliche Vermögenswerte.
Für die Ansatzentscheidung über selbst erstellte immaterielle Werte werden
nach SFAS 142.10 dagegen Kriterien definiert, die eine aufwandswirksame
Verrechnung der Ausgaben für immaterielle Werte zur Folge haben (sog.
Negativ-Abgrenzung). Ein bedeutender Unterschied zu den Regelungen nach
IFRS ergibt aus der Tatsache, dass für die Bilanzierung von immateriellen
Werten zahlreiche, weitere spezielle Regelungen verabschiedet worden sind.
Insgesamt werden die US-Regelungen als kasuistisch bezeichnet, da sie zum
Teil bei Erfüllung bestimmter Kriterien ein Aktivierungsgebot vorschreiben,
wie z.B. für Urheberrechte, Software-Entwicklung oder gewerbliche Schutzrechte. Zum Teil existieren aber auch konkrete Ansatzverbote, wie z.B. gem.
SFAS 2 für Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen; einzige Ausnahme sind Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Rohstoff abbauenden Industrie, die einem Aktivierungsgebot unterliegen.30
Hinsichtlich der Folgebewertung ergeben sich nach IFRS zwei grundsätzliche Vorgehensweisen: Zum einen die Fortführung von Anschaffungs- bzw.
Herstellungskosten gem. IAS 38.74 oder zum anderen die Ermittlung und
Fortführung des beizulegenden Zeitwertes (Neubewertungsmethode) gem.
IAS 38.75-87. Da zur Bestimmung des beizulegenden Zeitwertes ein aktiver
Markt notwendig ist (IAS 38.75), kommt eine Neubewertung nur in seltenen
Fällen in Frage.31 Ein Wertansatz über den historischen Anschaffungskosten
ist nach US-GAAP grundsätzlich nicht erlaubt. Zudem existieren Unterschiede hinsichtlich der außerplanmäßigen Abschreibung. Gem. IAS 36.59
ist ggf. auf den niedrigeren beizulegenden Zeitwert abzuschreiben. Dagegen
29
Vgl. Wulf 2001, S. 126-127.
30
Vgl. Fülbier/Honold/Klar 2000, S. 835.
31
In einer Studie zur Bilanzierungspraxis nach IFRS wurde festgestellt, dass keines der 100
untersuchten Unternehmen von der Neubewertungsmethode gebraucht gemacht hat. Vgl.
Keitz 2005, S. 43.
81
erfolgt die Ermittlung des Abschreibungsbedarfs nach US-GAAP über zwei
Stufen: Auf der ersten Stufe sind gem. SFAS 144.7 die zukünftigen, nicht
abgezinsten Zahlungsströme dem Buchwert des Vermögenswerts gegenüber
zu stellen. Ist der Buchwert höher als der undiskontierte Erwartungswert,
muss auf der zweiten Stufe der Abwertungsbetrag gem. SFAS 144.22 i.V.m.
SFAC 7 ermittelt werden. Dies kann dazu führen, dass eine außerplanmäßige
Abschreibung bei Bilanzierung nach IFRS früher ausgelöst wird als bei Bilanzierung nach US-GAAP. Unterschiede existieren zudem im Detail bezüglich der Ermittlung der Abschreibungsbedarfe auf der Basis von Barwertmodellen. Vergleichbare Unterschiede bestehen bei immateriellen Werten mit unbegrenzter Nutzungsdauer, wozu der Goodwill zählt. Darüber
hinaus besteht nach IAS 36.114 im Falle der Werterholung – abgesehen vom
Goodwill - eine Zuschreibungspflicht, während der korrigierte Buchwert
gem. SFAS 144.15 als neue Wertbasis gilt, so dass eine Zuschreibung nicht
erlaubt ist.
5.2 Sachanlagevermögen
Sachanlagen sind nach IFRS und US-GAAP grundsätzlich mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen. Dabei dürfen nach IAS 23
bzw. müssen nach SFAS 34 Fremdkapitalkosten aktiviert werden, soweit
diese direkt dem Erwerb oder der Herstellung eines qualifizierten Vermögenswertes zugeordnet werden können.32 Im Rahmen der kurzfristigen Eliminierung von Abweichungen zwischen IAS 23 und SFAS 34 hat das IASB
beschlossen, das Wahlrecht zur Aktivierung von Fremdkapitalkosten zu
streichen und entsprechend SFAS 34 eine Aktivierungspflicht einzuführen.33
Künftige Entsorgungs-, Rekultivierungs- und ähnliche Verpflichtungen sind
in der Regel nach IAS 16.18 mit ihrem Barwert bei der Ermittlung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu berücksichtigen - nach US-GAAP
nicht.34
32
In einer Studie zur Bilanzierungspraxis nach IFRS wurde festgestellt, dass lediglich fünf
von 100 untersuchten Unternehmen, von dem Wahlrecht einer Aktivierung von Fremdkapitalkosten gebraucht gemacht haben. Vgl. Keitz 2005, S. 54.
33
Vgl. ED-IAS 23.10.
34
Vgl. Pellens/Fülbier/Gassen 2006, S. 314.
82
Anders als nach US-GAAP ist im Rahmen der Folgebewertung nach IAS
16.29 als alternativ zulässige Methode ein Ansatz zum beizulegenden Zeitwert über die Buchung einer Neubewertungsrücklage möglich.35 Ebenso
bestehen Unterschiede hinsichtlich der außerplanmäßigen Abschreibung und
anschließender Zuschreibung, wie bereits bei den immateriellen Werten
dargestellt.
5.3 Als Finanzinvestition gehaltene Immobilien
Ausschließlich nach IFRS ist im Gegensatz zu US-GAAP eine Aufspaltung
des Immobilienbestandes in eigenbetrieblich genutzte Immobilien und Anlageimmobilien bzw. Renditeliegenschaften (Investment Properties) vorzunehmen.36 Letztere sind gem. IAS 1.68 in der Bilanz gesondert auszuweisen.
Die Regelungen zur Bilanzierung von als Finanzinvestition gehaltenen Immobilien finden sich in IAS 40. Dabei hat die Zugangsbewertung solcher
Immobilien gem. IAS 40.20 zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten unter
Berücksichtigung von Nebenkosten, nachträglichen Anschaffungskosten und
Preisminderungen zu erfolgen. Im Rahmen der Folgebewertung gewährt IAS
40.30 ein explizites Wahlrecht: Die Immobilien dürfen alternativ zu fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder zum beizulegenden
Zeitwert bewertet werden. Zur Bestimmung des beizulegenden Zeitwertes
kommen verschiedene Verfahren in Betracht, wobei erhebliche Ermessensspielräume zu konstatieren sind.37 Gewinne oder Verluste aus der Bilanzierung zum Zeitwert sind stets erfolgswirksam unter Gegenrechnung von Steuerlatenzen zu erfassen. Sofern die als Finanzinvestition gehaltenen Immobilien im Rahmen der Folgebewertung zu fortgeführten Anschaffungs- oder
Herstellungskosten angesetzt wurden, ist gem. IAS 40.79 der beizulegende
Zeitwert dieser Immobilien anzugeben, soweit dieser verlässlich ermittelt
werden kann.38
35
In einer Studie zur Bilanzierungspraxis nach IFRS wurde festgestellt, dass eines von 100
untersuchten Unternehmen die Neubewertungsmethode im Sachanlagevermögen angewandt hat. Vgl. Keitz 2005, S. 59.
36
Zu den folgenden Ausführungen vgl. auch Beck 2004, S. 498-505.
37
Vgl. Engel-Ciric/Freiberg 2006, § 16, Rz. 92.
38
Zur Bewertung von Investment Properties vgl. Kormaier 2006, S. 378-385.
83
5.4 Wertpapiere und Derivate
Insbesondere Investitionen in Gesellschaftsanteile und sonstige Wertpapiere
stellen marktgängige Wertpapiere dar.39 Ein Unterschied bei der Bilanzierung solcher Wertpapiere ergibt sich für Eigenkapitaltitel, die nicht am Kapitalmarkt notiert sind (z.B. GmbH-Anteile). Diese sind nach US-GAAP
grundsätzlich mit ihren Anschaffungskosten zu bewerten. Nach IAS 39.46
kommt jedoch eine Bewertung zum beizulegenden Zeitwert in Betracht,
soweit dafür ein Wert verlässlich ermittelbar ist.40
Nur nach IFRS besteht das explizite Wahlrecht, sämtliche Wertpapiere,
unabhängig von dessen Merkmalen und Verwendungsabsichten erfolgswirksam zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten. Allerdings arbeitet auch das
FASB seit März 2004 an einem entsprechenden Projekt und hat am 25. Januar 2006 einen Entwurf eines Standards veröffentlicht. Nach IFRS ergibt
sich das konkrete Wahlrecht gem. IAS 39.9 durch die sog. „Fair Value Option“.41 Hier kann eine erfolgswirksame Erfassung von Wertänderungen
aktiver Finanzinstrumente erreicht werden, die ansonsten gar nicht oder
lediglich erfolgsneutral erfasst worden wären. Dieses explizite Wahlrecht ist
allerdings sofort nach dem Zugang auszuüben; eine Umklassifizierung gem.
IAS 39.50-54 ist nicht bzw. kaum möglich. Voraussetzung ist weiterhin, das
für das Finanzinstrument ein aktiver Markt vorhanden ist. An einem einheitlichen Konzept zur Bestimmung von beizulegenden Zeitwerten mangelt es in
beiden Rechnungslegungssystemen bislang.42
Ferner bestehen Unterschiede hinsichtlich der Erfassung von außerplanmäßigen Wertminderungen bei den Held-to-Maturity- oder Available-for-SaleSecurities. Nach IFRS bedarf es objektiver Wertminderungskriterien, während nach US-GAAP verschiedene Faktoren im Hinblick auf die Dauerhaftigkeit miteinander abzuwägen und zu würdigen sind, sofern der Zeitwert
geringer ist als die Anschaffungskosten.43 Auch ergeben sich Unterschiede
im Falle einer späteren Zuschreibung. Während nach US-GAAP eine Zuschreibung bei Held-to-Maturity-Securities verboten ist, sind Zuschreibun39
Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 57.
40
Vgl. auch Meyer/Bornhofen/Homrighausen 2005, S. 285-299.
41
Vgl. auch Schmidt 2005, S. 269-275; Jerzembek/Große 2005, S. 221-228.
42
Vgl. Lüdenbach/Freiberg 2006, S. 437.
43
Vgl. Dusemond/Harth/Heusinger 2005, S. 97.
84
gen bei Available-for-Sale-Securities erfolgsneutral vorzunehmen. Demgegenüber sind nach IFRS Zuschreibungen für beide Arten von Wertpapieren
bis zu den Anschaffungskosten erfolgswirksam vorzunehmen; darüber hinaus sind weitere Werterhöhungen nur im Falle der Available-for-Sale-Securities erfolgsneutral zu buchen.
Unterschiede bestehen zudem in der Behandlung der Cashflow-Hedges.
Übereinstimmend sind nach IFRS und US-GAAP Wertänderungen, die den
effektiven Teil des Cashflow-Hedges betreffen, zunächst erfolgsneutral abzugrenzen. Die Auflösung erfolgt nach US-GAAP erfolgswirksam über die
Nutzungsdauer des gesicherten Grundgeschäftes, sobald das Grundgeschäft
die Erfolgsrechnung über die vorzunehmende Abschreibung berührt. Bei
Bilanzierung nach IFRS kann zum einen eine vollständige erfolgswirksame
Auflösung vorgenommen werden, wenn das Grundgeschäft die Erfolgsrechnung beeinflusst; zum anderen kann die Auflösung über die Umbuchung aus
dem Eigenkapital und Berücksichtigung beim Anschaffungswert des Grundgeschäftes im Zeitpunkt der Einbuchung erfolgen (IAS 39.97-98).
5.5 Vorräte
Die Herstellungskosten für Vorräte umfassen nach IAS 2.12-14 und USGAAP die produktionsbezogenen Vollkosten.44 Somit sind neben den Einzelkosten auch variable und fixe Produktionsgemeinkosten in die Herstellungskosten einzubeziehen. Fixe Gemeinkosten werden dabei nach IFRS
auf Grundlage einer Normalauslastung berücksichtigt und Leerkosten sofort
als Aufwand verrechnet. Nach US-GAAP sind die Leerkosten der Periode
anteilig bei den Kosten der umgesetzten Leistungen und den Herstellungskosten der Vorräte zu berücksichtigen. Gemäß IAS 2.23-24 und ARB 43
sind Vorräte grundsätzlich einzeln zu bewerten. Aus Wirtschaftlichkeitsoder Vereinfachungsgründen ist gemäß IAS 2.25 und ARB 43.6 für größere
Stückzahlen von austauschbaren Vorratsgegenständen die Anwendung von
Bewertungsvereinfachungsverfahren zulässig. Dabei besteht gem. IAS 2.25
ein explizites Wahlrecht zur Anwendung des First-in-First-out-Verfahrens
(FIFO) oder des Durchschnittsverfahrens. Alternativ ist eine Bewertung nach
44
Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 47-48.
85
der tatsächlichen Verbrauchsfolge zulässig. Zusätzlich ist nur nach USGAAP das Last-in-First-out-Verfahren (LIFO) erlaubt (ARB 43.6). 45
An jedem folgenden Bilanzstichtag ist der vorhandene Bestand des zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten bewerteten Vorratsvermögens auf seine
Werthaltigkeit hin zu überprüfen. Liegt dabei der aus geschätztem Verkaufspreis abzüglich noch anfallenden Produktions- oder Vertriebskosten ermittelte Nettoveräußerungswert am Abschlussstichtag unterhalb der Anschaffungs- oder Herstellungskosten ist gem. IAS 2.9 zwingend eine Abschreibung auf den Nettoveräußerungswert vorzunehmen. Wird später festgestellt,
dass die Gründe für eine Wertminderung nicht mehr bestehen, muss nach
IAS 2.33 die vorgenommene Abwertung rückgängig gemacht werden.
Auch nach US-GAAP sind die Vorräte einem Niederstwerttest zu unterziehen, bei dem die Anschaffungs- oder Herstellungskosten mit den aktuellen
Wiederbeschaffungskosten verglichen werden. Diese Wiederbeschaffungskosten werden nach ARB 43 Ch. 4.9 zudem mit dem Verkaufspreis abzüglich aller noch anfallenden Kosten (Nettoveräußerungspreis) als Wertobergrenze und dem voraussichtlichen Nettoveräußerungspreis abzüglich einer
gewöhnlichen Gewinnmarge als Wertuntergrenze verglichen.46 Die Obergrenze verhindert dabei einen Wertansatz, der nicht durch den voraussichtlichen Verkaufspreis gedeckt ist, während durch die Untergrenze eine Abwertung nur in der Höhe erfolgt, als der Wert nicht durch den zukünftigen
Verkaufspreis gedeckt ist.47 Eine Wertaufholung ist nach US-GAAP nicht
zulässig.
5.6 Langfristige Auftragsfertigung
Bei Erfüllung der in IAS 11.22-24 genannten Voraussetzungen sind die
Auftragserlöse und -kosten nach dem Fertigstellungsgrad gemäß der Percentage-of-Completion-Method (PoC-Methode) zu erfassen.48 Dabei ist
insbesondere von Bedeutung, dass Gesamterlöse, Gesamtkosten und Fertig45
In einer Studie zur Bilanzierungspraxis nach US-GAAP wurde festgestellt, dass 239 von
600 untersuchten Unternehmen eine Bewertung der Vorräte nach LIFO durchgeführt hat.
Vgl. AICPA (Hrsg.) 2005, S. 169-170.
46
Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 55.
47
Vgl. Niehus/Thyll 2000, Tz. 837.
48
Zu den folgenden Ausführungen vgl. auch Pottgießer/Velte/Weber 2005, S. 310-318.
86
stellungsgrad zuverlässig ermittelt werden können und ein späterer Nutzenzufluss wahrscheinlich ist.49 Kann das Ergebnis des Fertigungsauftrages
nicht verlässlich geschätzt werden oder werden die weiteren Voraussetzungen nicht erfüllt, so ist gem. IAS 11.32 eine Ertragsrealisation nur in Höhe
der bereits angefallenen und durch korrespondierende Erträge wahrscheinlich gedeckten Kosten vorzunehmen. Dieses Vorgehen wird als modifizierte
Completed-Contract-Method (CC-Methode) bezeichnet.50 Ein erwarteter
Verlust aus dem Fertigungsauftrag ist unabhängig von der anzuwendenden
Methode sofort in der Periode, in der dieser erstmals erwartet wird, als Aufwand zu erfassen (IAS 11.362).
Nach US-GAAP ergibt sich ein wesentlicher Unterschied zur Bilanzierung
von langfristigen Fertigungsaufträgen nach IAS 11 dann, wenn die Anwendungsvoraussetzungen der PoC-Methode nicht erfüllt sind. In diesem Fall ist
die reine CC-Methode anzuwenden. Bei dieser Methode werden die angefallenen Kosten laufend aktiviert und bereits gestellte Rechnungen hiervon
abgesetzt. Dabei wird in der GuV vor der Fertigstellung im Gegensatz zu den
Regelungen nach IFRS grundsätzlich kein Umsatz ausgewiesen (ARB 45.914). Eine Konvergenz wird im laufenden Projekt „Revenue Recognition“
angestrebt - mit einem ersten Diskussionspapier ist im zweiten Halbjahr
2007 zu rechnen.51
5.7 Leasing
Entscheidend für die Bilanzierung von Leasingverträgen ist die Frage der
Zurechnung des Leasinggegenstandes zum Leasingnehmer oder -geber.
Diese richtet sich grundsätzlich sowohl nach IFRS und US-GAAP danach,
wie die mit dem Leasingobjekt verbundenen Risiken und Chancen verteilt
sind. Die zivilrechtlichen Verhältnisse werden dabei nicht berücksichtigt.
Grundsätzlich ist zunächst festzustellen, dass IAS 17 bei den entscheidenden
Zurechnungskriterien im Rahmen der Abgrenzung von Finanzierungsleasing
und operativem Leasing sehr vage bleibt und keine quantitativen Kriterien,
49
Vgl. IAS 11.32; SOP 81-1.23; ARB 35.3 u. 35.
50
Vgl. Pellens/Fülbier/Gassen 2006, S. 370.
51
Vgl. IASB (Hrsg.) 2006 (a).
87
wie z.B. Nutzungsdauer, Mietverlängerungs- oder Kaufoption, nennt.52 Diese Unbestimmtheit eröffnet dem Bilanzierenden einen gewissen Einschätzungsspielraum. Konsequenterweise hat das IASB daher ein Leasingprojekt
zur Überarbeitung des IAS 17 initiiert.53 Die vom IASB diskutierten Vorschläge würden zu einer Abkehr von der Bilanzierung eines Leasingverhältnisses beim wirtschaftlichen Eigentümer führen.54
Trägt der Leasingnehmer die wesentlichen Chancen und Risiken aus der
Nutzung des Leasingobjektes, wird das Leasingverhältnis nach IAS 17.8 als
Finanzierungsleasing (finance lease) klassifiziert. Nach SFAS 13.6 wird bei
gleicher Definition der Begriff „capital lease“ verwendet. Liegt kein Finanzierungsleasing vor, d.h. die wesentlichen Chancen und Risiken aus der
Nutzung des Leasingobjektes verbleiben beim Leasinggeber, wird das Leasingverhältnis übereinstimmend nach IFRS und US-GAAP als operatives
Leasing (operating lease) klassifiziert.55
Beim Finanzierungsleasing hat der Leasingnehmer übereinstimmend nach
IFRS und US-GAAP zu Beginn des Vertragsverhältnisses den Leasinggegenstand zu aktivieren und in gleicher Höhe eine Verbindlichkeit in Höhe
der künftigen Leasingzahlungen auszuweisen. Der Wertansatz ergibt sich
dabei aus dem beizulegenden Zeitwert des Leasinggegenstandes oder – sofern niedriger – aus den abgezinsten Mindestleasingzahlungen.56 Der insofern erforderliche Abzinsungsfaktor ist nach IAS 17.20 üblicherweise der
Zins, der dem Leasingverhältnis zu Grunde liegt. Ist dieser nicht in praktikabler Weise ermittelbar, so ist der Grenzzinssatz des Leasingnehmers anzuwenden. Dies ist der Zinssatz, den der Leasingnehmer zu Beginn des Leasingverhältnisses vereinbaren müsste, wenn er für den Kauf des Vermögensgegenstandes Fremdkapital für die gleiche Dauer aufnehmen würde. Nach
US-GAAP ist bei der Berechnung der abgezinsten Mindestleasingzahlungen
grundsätzlich letzterer Zinssatz zu Grunde zu legen. Sollte jedoch der in dem
52
Vgl. Engel-Ciric/Freiberg 2006, § 15, Rz. 121.
53
Vgl. Fülbier/Pferdehirt 2005, S. 276.
54
Vgl. dazu insbesondere Engel-Ciric/Freiberg 2006, § 15, Rz. 117-119.
55
Vgl. IAS 17.8; KPMG (Hrsg.) 2003, S. 211.
56
Vgl. IAS 17.20; SFAS 13.10.
88
Leasingvertrag implizite Zinssatz niedriger sein als der Grenzzinssatz, so hat
er diesen anzusetzen.57
Beim operativen Leasing hat der Leasinggeber den Leasinggegenstand
gem. IAS 17.49 bzw. SFAS 13.19 zu aktivieren und abzuschreiben. Dabei
sind gem. IAS 17.52 auch die anfänglichen direkten Kosten zu berücksichtigen. Nach SFAS 13.19 kann bei unwesentlichen Beträgen auch eine sofortige Aufwandsverrechnung erfolgen.
Unterschiede bei der bilanziellen Behandlung von Sale-and-Lease-BackGeschäften nach IFRS und US-GAAP resultieren aus der Abgrenzung von
Gewinnen und Verlusten der Sale-and-Lease-Back-Transaktion: Dabei ist
zunächst wie bei jedem anderen Leasingverhältnis eine Klassifizierung des
Geschäftsvorfalles durchzuführen. Bei Vorliegen eines Finanzierungsleasingverhältnisses darf ein aus dem Verkauf entstandener Ertrag nach IFRS
und US-GAAP nicht sofort erfolgswirksam verbucht werden, sondern muss
vom Verkäufer bzw. Leasingnehmer abgegrenzt und gem. IAS 17.59 über
die Laufzeit des Vertrages bzw. gem. US-GAAP über den Abschreibungszeitraum erfolgswirksam verteilt werden. Im Falle eines operativen Leasingverhältnisses erfolgt nach US-GAAP die Ergebnisabgrenzung über die Laufzeit des Mietvertrages, dagegen ist nach IAS 17.61 grundsätzlich eine sofortige Erfassung von Gewinnen oder Verlusten vorgesehen.
5.8 Pensionsrückstellungen
Ein Unterschied zwischen IAS 19 u. 26 und SFAS 87, 88 bzw. 132 besteht
bei der Bewertung von Verpflichtungen aus leistungsorientierten Versorgungsplänen mit dem versicherungsmathematischen Barwert. Nach IAS
26.23 kann dabei entweder das gegenwärtige oder das erwartete Gehaltsniveau berücksichtigt werden. Zudem ist nach IAS 19.78 als Diskontierungszinssatz der am Bilanzstichtag für erstrangige, festverzinsliche Industrieanleihen geltende Marktzinssatz heranzuziehen, während nach SFAS 87.44 der
stichtagsbezogene Kapitalmarktzins zu berücksichtigen ist, zu dem die Pensionsverpflichtung am Markt auf einen anderen übertragen werden könnte.
Die zu berücksichtigenden Gewinne und Verluste aus der Korrektur von
Fehleinschätzungen, die aus Abweichungen zwischen den tatsächlichen
57
Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 210.
89
Daten und den versicherungsmathematischen Annahmen resultieren, können
nach US-GAAP und IFRS unterschiedlich behandelt werden: Für die Erfassung dieser versicherungsmathematischen Gewinne/Verluste bestehen nach
IAS 19 folgende vier Möglichkeiten: Entweder können diese unter Berücksichtigung der sog. Korridormethode verteilt über die durchschnittliche
Restdienstzeit der Arbeitnehmer bzw. auch schneller erfolgswirksam (IAS
19.92 u. 93), sofort erfolgswirksam (IAS 19.93) oder sofort erfolgsneutral
(IAS 19.93A) erfasst werden.58
Dahingegen sind die versicherungsmathematischen Gewinne/Verluste nach
SFAS 87 bzw. 88 entweder sofort in voller Höhe oder nach der Korridormethode über die durchschnittliche Restdienstzeit zu verrechnen. Daneben
fordert SFAS 87 den Ansatz einer Mindestverpflichtung, wenn der Barwert
der erdienten Anwartschaften ohne Berücksichtung künftiger Gehaltserhöhungen nicht durch das Fondsvermögen gedeckt ist.59 Die Berücksichtigung
der Mindestverpflichtung erfolgt dabei nicht erfolgswirksam, sondern erfolgsneutral über die Bildung einer Rückstellung und eines immateriellen
Postens. Dieser Posten ist jedoch auf die Höhe des noch nicht zu erfassenden
Aufwands für rückwirkend in Vorjahren erworbene Versorgungsansprüche
begrenzt.60 Im Dezember 2005 hat das FASB ein umfangreiches Projekt zur
grundlegenden Überarbeitung von SFAS 87 und 106 in seine Agenda aufgenommen und in der ersten Phase bereits einen Exposure Draft veröffentlicht.
Dieser sieht vor, dass der Finanzierungsstatus von Pensionsplänen in voller
Höhe in der Bilanz der Unternehmen abzubilden ist, d.h. die Korridormethode wird nicht mehr anwendbar sein. Sämtliche versicherungsmathematischen Gewinne/Verluste sind dementsprechend sofort ergebniswirksam zu
erfassen. Eine Ausnahme soll für die bisher nicht bilanziell berücksichtigten
Komponenten verbleiben, da diese zunächst erfolgsneutral zu erfassen sind
und erst in den Folgejahren ergebniswirksam nach den bisherigen Verteilungsregeln zu berücksichtigen sind.61
Demgegenüber existiert mit IAS 19.58 die Besonderheit, dass die Höhe des
Vermögenswertes, der sich ggf. aus der Verrechnung der Anwartschaftskor-
58
Vgl. auch Mühlberger/Schwinger 2006, S. 71.
59
Vgl. Lachnit/Müller 2004, S. 498.
60
Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 125.
61
Vgl. FASB (Hrsg.) 2006.
90
rekturen gem. IAS 19.54 ergibt, nicht höher sein darf als der Barwert des
ökonomischen Nutzens, den das Unternehmen aus der Überdotierung des
Fonds hat zuzüglich der noch nicht amortisierten versicherungsmathematischen Verluste und nach zu verrechnenden Dienstzeitaufwendungen. Um zu
verhindern, dass durch die aufgeschobene Erfassung neu entstandener versicherungsmathematischer Verluste/Gewinne der zu aktivierende Vermögenswert erfolgswirksam erhöht/vermindert wird, sind gem. IAS 19.58A versicherungsmathematische Verluste/Gewinne und nach zu verrechnende Dienstzeitaufwendungen sofort zu berücksichtigen, sofern sie die Verminderung/
Erhöhung des Barwerts des wirtschaftlichen Nutzens nach IAS 19.58(b)(ii)
überschreiten.62 Eine Reduzierung der Bilanzierungsunterschiede zwischen
IFRS und US-GAAP ist zukünftig zu erwarten, da die Bilanzierung von
Pensionsverpflichtungen auf dem Programm „Memorandum of Understanding between the FASB and the IASB“ steht.63
5.9 Sonstige Rückstellungen
Unterschiede bei der Bilanzierung von sonstigen Rückstellungen ergeben
sich hier in einzelnen Detailfragen, die u.U. zu wesentlichen Unterschieden
führen können. Dies betrifft unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsgrenzen im
Rahmen der Ansatzentscheidung. Gem. IAS 37.15 ist eine Rückstellung anzusetzen, wenn von einer Eintrittswahrscheinlichkeit über 50% auszugehen
ist (more likely than not).64 Demgegenüber besteht nach US-GAAP eine
Ansatzpflicht, wenn sehr wahrscheinlich mit einer Verpflichtung zu rechnen
ist, wobei eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 85% angenommen wird.65
So gilt für Drohverlustrückstellungen bei höchstwahrscheinlich zu erwartenden Verlusten aus schwebenden Beschaffungs- oder Absatzgeschäften
eine Ansatzpflicht, während ein Ansatz von Personalstrukturmaßnahmen und
sonstigen Strukturmaßnahmen bspw. nur möglich ist, wenn bei Personal-
62
Vgl. Müller, 2003 S.169.
63
Vgl.
http://www.iasb.org/uploaded_files/documents/10_774_FinalMOU(clean)24Feb06.pdf.
64
Vgl. Haaker 2005, S. 9.
65
Vgl. Ammann/Müller 2006, S. 187-188; Wulf 2001, S. 195-196
91
strukturmaßnahmen ein detaillierter Plan vorliegt sowie die Öffentlichkeit
und vor allem die Arbeitnehmer informiert wurden.66
Grundsätzlich erfolgt die Bewertung nach IFRS und US-GAAP zu einem
Betrag, der nach bestem Wissen ermittelt wurde. Existiert bei der Schätzung
der Werte eine Bandbreite, so ist der Wert mit der höchsten Realisationswahrscheinlichkeit zu wählen, wobei im Falle von gleichen bzw. nicht feststellbaren Wahrscheinlichkeiten nach den FASB-Interpretation 14.3 der
untere Grenzwert und gem. IAS 37.39 der Mittelpunkt der Bandbreite anzusetzen ist. Zusätzlich schreibt IAS 37.39 vor, dass bei einer großen Anzahl
gleichartiger Vorgänge eine Bewertung zum Erwartungswert mittels statistischer Schätzungsverfahren erfolgt, indem die möglichen Ergebnisse mit
ihren Wahrscheinlichkeiten gewichtet werden.
5.10 Latente Steuern
Sowohl IAS 12 als auch SFAS 109 sehen zur Ermittlung der latenten Steuern
die Bilanzansatzmethode vor. Demnach werden aus temporären Unterschieden resultierende latente Steuerverbindlichkeiten für zu erwartende
Steuerbelastungen und latente Steuerforderungen für wahrscheinlich zu
erwartende und verlässlich bewertbare Steuerminderungen bzw. für Vorteile
aus steuerlichen Verlustvorträgen gebildet. Die Realisierbarkeit latenter
Steueransprüche ist jährlich zu prüfen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeitsgrenze für eine künftige Steuerentlastung in IAS 12.24 nicht näher konkretisiert, so dass ein Einschätzungsspielraum gegeben ist. Demgegenüber
muss nach US-GAAP diese Wahrscheinlichkeit mehr als 50% betragen (more likely than not).67 Liegt die Wahrscheinlichkeit für eine künftige Steuerentlastung unter 50%, ist nach SFAS 109.17 ein Sicherheitsabschlag zu berücksichtigen.68 Ein solches Vorgehen ist nach IAS 12 nicht vorgesehen, so
dass ein Wertansatz generell unterbleibt – im Rahmen des im September
2002 gestarteten Projektes „Income Taxes“ erwägt das IASB jedoch eine
Angleichung an die Regelungen der US-GAAP.69
66
Vgl. Ammann/Müller 2006, S. 187.
67
Vgl. SFAS 109.17.
68
Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 282.
69
Vgl. IASB (Hrsg.) 2006.
92
Ein weniger bedeutender Unterschied kann sich bei der Bewertung der latenten Steuern ergeben: Nach IAS 12.47 sind dabei Steuersätze zu Grunde zu
legen, deren Gültigkeit für die Periode erwartet wird, in der ein Vermögenswert realisiert oder eine Schuld erfüllt wird. Dabei werden die Steuersätze
(und Steuervorschriften) verwendet, die zum Bilanzstichtag gültig oder angekündigt sind. Nach SFAS 109 müssen die aktuell gültigen oder konkret
verabschiedeten (z.B. durch Unterzeichnung des Bundespräsidenten) feststehenden zukünftigen Steuersätze angewandt werden.70
6 Zusammenfassung
Seit einigen Jahren bemühen sich IASB und FASB intensiv um eine weitgehende konvergente Ausgestaltung der Vorschriften beider Rechnungslegungssysteme. Beispielswiese wurde nach kontroverser Diskussion der
SFAS 123 überarbeitet, so dass im Rahmen der Bilanzierung von Aktienoptionen aus bedingtem Kapital eine Angleichung der Regelungen erfolgte.
Das IASB hat mit dem Improvements Project eine umfangreiche Überarbeitung für eine Vielzahl von Standards vorgenommen, die spätestens seit 2005
anzuwenden sind. Dennoch bestehen nach wie vor zum Teil erhebliche Unterschiede in der Bilanzierung nach IFRS und US-GAAP, wie die Ausführungen gezeigt haben. Dies überrascht umso mehr, als auch bei den jüngsten
(vorgeschlagenen) Änderungen Divergenzen festzustellen sind, wie z.B. bei
der Erfassung von versicherungsmathematischen Gewinnen/Verlusten im
Rahmen der Bilanzierung von Pensionsverpflichtungen. Nach wie vor besteht ein großer konzeptioneller Unterschied bei der Folgebewertung von
immateriellen Vermögenswerten und Sachanlagen oder der Zuschreibung
nach erfolgter außerplanmäßiger Abschreibung sowie der Aktivierung von
Entwicklungskosten. Weitere Bilanzierungsunterschiede liegen teilweise in
Detailregelungen begründet, was z.B. für die Bilanzierung von Finanzierungsleasing hinsichtlich des Zinssatzes sowie für die Bewertung von sonstigen Rückstellungen gilt.
70
Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 281.
93
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Martin Duensing
Wie machen es die Nachbarn?- Familienpolitik im Vergleich
1
Einführung1
1.1 Familienpolitik in der Kontroverse
Familienpolitik2 ist stets Gegenstand wirtschafts- und sozialpolitischer Debatten. Sowohl ihre konkrete Ausgestaltung wie auch gar ihr Existenzrecht
sind alles andere als unumstritten.
Einerseits umgibt den politisch interessierten Beobachter das omnipräsente
Werben für eine deutliche Steigerung der Geburten. In Deutschland löst die
Familienpolitik sich damit vom historischen Stigma der „aktiven Bevölkerungspolitik“ des Dritten Reiches. Untermalt werden die Forderungen nach
Geburtenförderung, die sich auf einen relativ breiten gesellschaftlichen Konsens berufen können, mit Schreckensszenarien wie Überalterung und dem
Kollaps der Sozialsysteme.
Andererseits wird gegen auf Geburtensteigerung gerichtete Politik der Einwand erhoben, die Begleiterscheinungen des demografischen Wandels seien
nicht überwiegend negativ, wenn nicht sogar positiv3: Die Menschen würden
nicht nur länger leben, sondern auch länger gesund leben und damit arbeiten
können.
1
Udo Ebert und Tobias Menz sei für Ihre hilfreichen Hinweise herzlich gedankt.
2
Im Folgenden wird unter dem Begriff Familienpolitik ein Eingriff des Staates durch direkte und indirekte monetäre Maßnahmen in einzelwirtschaftliche Kalküle verstanden, der das
Ziel verfolgt, die Geburtenrate zu beeinflussen.
3
Vgl. z.B. jüngst etwa Joffe 2006.
98
Dieser Beitrag geht insbesondere auf zwei Fragen dezidiert ein. Zum einen
beschreibt er die Gründe, wann Familienpolitik – aus ökonomischer Sicht –
gerechtfertigt ist. Dies geschieht im Abschnitt 2, der allokationstheoretische
und distributive Überlegungen anstellt und verschiedene Ansätze, wie Kinder in der finanzwissenschaftlichen Theorie betrachtet werden, erläutert.
Diese sind für die Ausgestaltung familienpolitischer Maßnahmen entscheidend.
Zum anderen zeigt der Beitrag anhand von statistischen Datenmaterialien aus
verschiedenen westlichen Industriestaaten auf, auf welche Bedingungen
Familienpolitik zu reagieren hat und was Familienpolitik zu leisten imstande
ist – und was nicht. Dies geschieht im Abschnitt 3, der die Situation von
Familien in ausgewählten Staaten hinsichtlich der Arbeitszeiten der Eltern
und einiger soziodemografischer Faktoren kurz beleuchtet und die Verteilung von familienpolitischen Leistungen untersucht.
Im schließenden Abschnitt 4 werden die Erkenntnisse aus dem Vorangegangenen zu möglichen Lehren für die spezifische Situation Deutschlands zusammengefasst.
1.2 Motivation
Dass die totalen und altersspezifischen Fertilitätsraten in beinahe allen westlichen Industrieländern in den vergangenen Jahrzehnten gesunken sind, ist
bekannt, jedoch betrifft dies die Staaten in unterschiedlichem Maße, wie
Abbildung 1 zeigt.
So schafft es (mit Ausnahme der USA) kein Staat aus eigener Kraft, die
Bevölkerungszahl konstant zu halten.
99
3,00
2,75
2,50
2,25
2,00
1,75
70
75
1,50
80
85
90
95
00
1,25
1,00
0,75
0,50
0,25
0,00
Ger many
Abb. 1
France
Finland
Italy
United
Kingdom
United
States
Nor way
Austr alia
Fertilitätsraten ausgewählter Staaten (1970-2000).
Quelle: OECD 2006.
Weiterhin zeigen die Aufwendungen der westlichen Industrieländer für Familienpolitik (diese lagen 2002 nur in 2 von 23 OECD-Staaten kaufkraftbereinigt unter ihrem Niveau von 1980 und ihre Wachstumsrate lag größtenteils oberhalb der des Bruttoinlandsprodukts), dass die Förderung von Familien mit dem Zweck, die Geburtenrate zu beeinflussen, innerhalb der staatlichen Budgetplanung eine wichtige Rolle spielt. Gleichzeitig weisen die Steigerungsraten der Ausgaben für die Familien und die Fertilitätsraten in vielen
Fällen keine positive Korrelation auf: Deutschland steigerte seine Ausgaben
seit 1985 um jährlich 3,38 % und musste im gleichen Zeitraum eine sinkende
Fertilitätsrate hinnehmen, während bspw. die USA ihre Ausgaben kürzten
und dennoch die Geburtenzahlen steigern konnten. Es liegt der Schluss nahe,
dass familienpolitische Maßnahmen sich in ihrer Effektivität voneinander
unterscheiden, gar, dass manche völlig wirkungslos sind.
Dieser Gesichtspunkt ist die Motivation der folgenden Analyse.
2
Ökonomische Rechtfertigungen für Familienpolitik
Prinzipiell ließe sich ein Eingriff des Staates in die einzelwirtschaftlichen
Kalküle nur dann rechtfertigen (zumindest allokativ), wenn die Wirtschaftssubjekte nicht zu einem effizienten Ergebnis kämen, in irgendeiner Form
100
also Marktversagen aufträte. Dies könnte der Fall sein, wenn die private
Entscheidung der Eltern über ihre Kinderzahl Auswirkungen auf Dritte hätte,
also Externalitäten vorlägen.
Ein häufig mit diesem Argumentationsstrang in Verbindung gebrachtes Argument berührt die Arbeitsnachfrage der Unternehmen. Diese haben ein
Interesse an Arbeitskräften (sowohl qualitativ als auch quantitativ), das morgen nur mit den Kindern von heute befriedigt werden kann. An deren Kosten
beteiligen die Unternehmen sich jedoch – von Ausnahmen abgesehen –
nicht. So plausibel dieser Einwand klingt, so lässt er doch außer Acht, dass
die Nachfrage nach Arbeitskraft morgen durch den Unternehmer durch den
Lohn an die dann erwachsenen Kinder abgegolten wird. Dass diese ihr Einkommen dann in der Regel nicht an die Eltern transferieren, um ihre Erziehungskosten abzugelten, kann nicht den Unternehmen angelastet werden.
Denkbar sind auch gesamtgesellschaftliche externe Effekte wie der zusätzliche Nutzen durch den Existenzwert von Kindern. Da vom Genuss dieses
Existenzwertes niemand ausgeschlossen werden kann, weist er die Charakteristika eines öffentlichen Gutes auf4, was eine staatliche Förderung von Kindern rechtfertigen könnte. Dieser Existenzwert ist jedoch schwer nachzuweisen, kaum zu messen und sicherlich intersubjektiv sehr verschieden und
taugt somit höchstens für eine sehr abstrakte Stützung der Argumentation für
aktive Familienpolitik.
Konkreter und besser begründbar ist das Vorhandensein von Externalitäten
in umlagefinanzierten Rentensystemen, deren Rendite (anders als kapitalgedeckte Alterssicherungssysteme) stark von der Entwicklung des „biologischen Zinses“, also von der Wachstumsrate der Bevölkerung, abhängt: Zwar
zahlen alle rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer ein und profitieren
von der Rendite des Umlageverfahrens, die Kosten zur Erbringung dieser
Rendite jedoch tragen zum größten Teil die Eltern. Als Ausfluss dieser
Sichtweise sind auch die periodisch erhobenen Forderungen nach Rentenkürzungen für Kinderlose zu verstehen, welche im Grunde der möglichen
Förderung von Eltern eine Bestrafung von Kinderlosen gegenüberstellen.
Neben allokativen Aspekten sind auch distributive Motive für eine Förderung von Kindern denkbar, wenn die notwendige Trennung zwischen allgemeiner Umverteilungspolitik und auf Kinder fokussierter Umverteilung auch
4
Vgl. bspw. Cigno 1983.
101
nicht immer erkennbar ist. Es ist schwierig und nicht ohne Rückgriff auf
normative Wertungen zu begründen, warum jedes Gesellschaftsmitglied
seine Ressourcen mit neuen Mitgliedern teilen muss, auf deren Eintreten es
keinerlei Einfluss nehmen kann5. Versuche, dies zu tun, sind legitim, jedoch
der ökonomischen Analyse nur begrenzt zugänglich.
Ist eine politische Entscheidung über das „Ob“ der Förderung von Kindern
getroffen, ist die genaue Ausgestaltung, das „Wie“, davon abhängig, wie die
politischen Verantwortlichen Kinder (aus ökonomischer Sicht) klassifizieren.
Dabei können grob fünf sich gegenseitig teilweise ausschließende Ansätze
unterschieden werden:
1. Investitionsgut-Ansatz6: Kinder werden als Investitionsgüter (bspw. zur
Altersvorsorge ihrer Eltern bei unvollständigen Kapitalmärkten) behandelt, mit der Folge, dass Förderung durch das Steuerrecht gewährleistet
wird. Dies geschieht in Form von Abzugs- oder Grundfreibeträgen, wobei
Eltern mit hohem Grenzsteuersatz eine höhere absolute Entlastung
erfahren als solche mit niedrigem Grenzsteuersatz.
2. Konsumgut-Ansatz: Werden Kinder als Konsumgut ihrer Eltern
betrachtet, so besteht für den Staat -aus allokationstheoretischer Sichtkeinerlei Veranlassung zur Förderung.
3. Elitaristischer Ansatz: Der Staat hat vor allem ein Interesse daran, dass
gut ausgebildete (und damit meistens auch gut verdienende) Bürger Kinder großziehen. Dieses könnte (neben der Gewährung von Freibeträgen)
durch ein Familiensplitting (ohne Deckelung), wie es früher in Frankreich
praktiziert wurde, realisiert werden, da Eltern mit hohem Bruttoeinkommen die größte Förderung erführen.
4. Wohlfahrts-Ansatz7: Überwiegt die Deutung, dass alle Kinder identische
externe Effekte produzieren, sollte der Staat im Umkehrschluss, um diese
abzugelten, allen Eltern eine identische Subvention (pro Kind) zukommen
lassen. Dieses kann theoretisch sowohl im Steuer- (durch Absetzbeträge
wie bspw. im Vereinigten Königreich) als auch im Transfersystem (durch
Sozialtransfers) geschehen.
5
Vgl. bspw. Rakowski 1991, S. 153 ff.
6
Vgl. bspw. Nerlove/Razin/Sadka 1993.
7
Vgl. bspw. Messere/De Kam/Heady 2003, 92.
102
5. Input-Ansatz: Kinder können als im Haushalt produzierte Güter betrachtet werden, die als Input (viel) Betreuungs- und Erziehungszeit erfordern.
Diese kann durch Eltern selbst geleistet werden (und steht dann nicht als
Marktarbeitszeit zur Verfügung) bzw. eingekauft werden oder durch den
Staat durch öffentliche Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden,
bspw. durch einen Ausbau von Betreuungsplätzen.
Sowohl der zweite als auch der dritte Ansatz finden in den gegenwärtigen
Familienfördersystemen der Industrieländer de facto keine oder kaum Berücksichtigung, sind aber nach wie vor Gegenstand juristischer und finanzwissenschaftlicher Debatten.
3
Kinder und Kinderförderung – Stilisierte Fakten
Für die folgende Analyse wurden, des Umfangs wegen, acht Industriestaaten
ausgewählt, die in ihrer jeweiligen Familienpolitik mehr oder minder deutlich einigen der in Abschnitt 2 vorgestellten Sichtweisen zugeordnet werden
können.
So fördern das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten und auch
Australien schwerpunktmäßig durch Absetzbeträge, jedoch kaum durch
öffentliche Betreuungsinfrastruktur. Teilweise – dies betrifft bspw. den australischen Family Tax Benefit – sind diese durch das Steuerrecht gewährten
Beträge einkommensabhängig. Ähnliche Regelungen gelten in Italien.
Der deutsche Familienleistungsausgleich ist in der Hauptsache durch das
Kindergeld gekennzeichnet, das ein hybrides Element zwischen einer Pauschalzahlung und einem steuerlichen Abzugsbetrag darstellt (dualer Familienleistungsausgleich). Frankreich gewährt zwar auch pauschale Leistungen,
weist darüber hinaus jedoch ein hoch entwickeltes System von konditionalen
Beihilfen und Steuerabzugsbeträgen auf (z.B. für im Elternhaus stattfindende
Betreuung durch Dritte). Als eines der wenigen Länder kommt außerdem
eine Veranlagung nach dem Prinzip des Familiensplittings in Betracht, das
jedoch Höchstgrenzen unterliegt.
Die Familienförderung Finnlands und Norwegens ist dagegen traditionell
von einem hohen Grad an garantierten staatlichen Betreuungsmöglichkeiten
gekennzeichnet; zwar finden auch hier pauschale und steuerliche Leistungen
Anwendung, schwerpunktmäßig folgen beide Staaten jedoch dem in allen
103
skandinavischen Ländern typischen Muster einer hohen Abdeckungsrate in
der Kindertagesbetreuung8.
Im Folgenden werden zum einen die Situation von Familien mit Kindern
(und hier insbesondere die Frage, ob Bildungs- und Einkommenssituation
der Eltern mit der Kinderzahl korreliert sind, sowie die Implikation von
Kindern für das Arbeitsangebot der Eltern), zum anderen die distributiven
Wirkungen der familienpolitischen Leistungen untersucht. Datengrundlage
ist das Projekt Luxembourg Income Study, welches mehrere Wellen von
Mikrozensus-Daten aus 30 Staaten zur Verfügung stellt9.
Es werden hierbei vor allem die Daten der Welle V verwendet, also die
jüngsten zur Verfügung stehenden. Da sämtliche Fallzahlen hinreichend groß
sind und mit spezifisch ermittelten Gewichten versehen wurden, um Überoder Unterrepräsentation bestimmter Bevölkerungsgruppen auszugleichen,
können die unten aufgeführten Ergebnisse als repräsentativ gelten.
3.1 Bildungsgrad und soziodemografischer Hintergrund der Eltern
Für die Effektivität von Maßnahmen, welche die Geburten und die Erziehung von Kindern fördern sollen, ist die Kenntnis über die Adressaten der
Familienpolitik notwendig. Eine der wichtigsten Merkmale ist hierbei die
Ausbildung der Eltern, und damit die Zugehörigkeit der Kinder zu Haushalten mit bestimmtem Bildungsniveau. Eine beliebte Behauptung, mittels derer
bspw. in Deutschland für ein Umschwenken von der pauschalen Auszahlung
staatlicher Familienhilfen hin zu regressiv wirkenden Mitteln argumentiert
wird, ist, dass die durchschnittliche Kinderzahl in Haushalten, deren Mitglieder dem niedrigsten Bildungssegment zugeordnet werden können, höher
ist als in solchen im höheren Bildungssegment.
8
Für einen detaillierten Überblick über die Regelungen in den einzelnen Staaten siehe bspw.
MISSOC 2001, Schöne 2005 und Hiilamo 2004. Gornick/Meyers/Ross 1997 stellen zusammenfassende Indikatoren für die sozialpolitischen Regelungen zur Unterstützung von
Familien in zwölf Staaten zusammen, die allerdings die Entwicklungen des vergangenen
Jahrzehnts nicht berücksichtigen (können).
9
Vgl. Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006.
104
Die LIS-Datenbank erlaubt sowohl eine Differenzierung nach den einzelnen,
länderspezifischen Ausbildungsniveaus10 als auch eine gröbere, in welcher
nur noch nach niedrigem, mittlerem und hohem Bildungsniveau unterschieden wird.
Es gibt signifikante Unterschiede zwischen den betrachteten Staaten, was die
Kinderzahl in Abhängigkeit vom Bildungsgrad der Mutter (für Väter gibt es
wenig abweichende Ergebnisse) angeht. So ist der Anteil der Frauen unter 60
Jahren, die drei oder mehr Kinder unter 18 Jahren haben, in Deutschland im
Bereich hoher Ausbildung nur halb so hoch wie im Bereich geringer Ausbildung, wie in Abbildung 2 zu sehen ist.
15
14
13
12
11
Anteil in %
10
9
8
hoc h
mittel
gering
7
6
5
4
3
2
1
0
D
Abb. 2
F
FI N
I
US
N
A US
Anteil der Frauen mit 3 oder mehr Kindern nach Bildungsgrad
Quelle: Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006, Welle V
(bzw. IV für Frankreich); eig. Berechnung.
In dieser rein degressiven Form ist dieses Resultat nur für Deutschland zu
beobachten; zwar ist auch in Frankreich der Anteil bei Hochqualifizierten
kaum mehr als halb so hoch wie bei Geringqualifizierten (2,4 % vs. 3,9 %),
allerdings ist er bei Frauen mit mittlerem Ausbildungsniveau am höchsten.
Ein ähnliches Bild ergibt sich in den Vereinigten Staaten.
Relativ ausgeglichen sind die Anteile dagegen in Finnland und Norwegen:
Sie bewegen sich für alle Bildungsniveau-Gruppen um 4 %. In diesen Staaten scheint die Bildung der Mütter den geringsten Einfluss bei der Wahl
einer tendenziell hohen Kinderzahl zu haben.
10
In Deutschland sind dies bspw. Hauptschule, Realschule, Abitur, Fachoberschule, Fachhochschule, Universität, Ingenieurfachschule.
105
Einschränkend sei allerdings hinzugefügt, dass – wie üblich bei zwischenstaatlichen Vergleichen – die Vergleichbarkeit der von LIS vorgegebenen
Kategorien „gering“, „mittel“ und „hoch“ nur eine Annäherung sein kann, da
die jeweiligen Bildungssysteme (insbesondere im höheren Sekundär- sowie
im Tertiärbereich) teilweise große Unterschiede aufweisen.
Mehr Aufschluss über den Einfluss des Bildungsgrades erhält man möglicherweise durch Einschluss auch der Männer mittels einer Regressionsanalyse mit der Zahl der Kinder unter 18 Jahren als abhängiger Variable. Erklärende Variablen sind – neben den drei verschiedenen Ausbildungsniveaus –
Dummys für verheiratete Paare (MARRIED), für die ausländische Herkunft
des Haushaltsvorstandes (FOREIGN), für eine ländliche Wohngegend
(RURAL) sowie die Bruttolohnsätze beider Partner (WM bzw. WF). Diese
werden zum Vergleich der Ergebnisse aufgenommen. Betrachtet werden für
diese Korrelationsanalyse nur Haushalte, in denen mindestens ein Paar lebt,
was einen Unterschied zur obigen Zusammenstellung darstellt.
Die Kinderzahl wird durch die gewählten Modellvariablen nur zum Teil
erklärt (die Bestimmtheitsmaße liegen zwischen 2,8 und 11,9 %), was angesichts der außerhalb messbarer sozio-demografischer und ökonomischer
Variablen liegenden Gründe, Kinder zu bekommen, nicht überrascht. Die
erhaltenen Schätzungen für die Koeffizienten sind jedoch zum größten Teil
hoch signifikant (zum Niveau 0,001)11.
Die Ergebnisse sind recht unterschiedlich. Für Australien ergeben sich für
die Ausbildungsvariablen so gut wie keine vernünftig interpretierbaren Werte. In Finnland und Italien gilt dies für das höhere Ausbildungsniveau, in den
Vereinigten Staaten für das geringe. In Frankreich weisen die einzelnen
Niveaus keine signifikanten Unterschiede auf; sie sind sämtlich positiv und
können daher nicht zur Interpretation von unterschiedlichen Neigungen der
einzelnen Gruppen, Kinder zu bekommen, herangezogen werden.
Sowohl Finnland als auch Norwegen weisen negative Werte für die (nichtstandardisierten) Koeffizienten für geringe Bildung auf, und zwar sowohl für
den Mann (-0,233 (N) bzw. -0,232 (FIN)) als auch für die Frau (-0,319 (N)
bzw. -0,273 (FIN)). Die Resultate für Deutschland sind – ähnlich denen in
11
Gleiches gilt für den F-Test sowie den Test auf Multikollinearität. Autokorrelation kann
schon auf Grund der Panel-Datenstruktur als weitgehend unwahrscheinlich angesehen
werden. Die einzelnen Ergebnisse der nicht-standardisierten Koeffizienten und deren tWerte finden sich in der Tabelle A im Anhang.
106
Frankreich – (bis auf die Variable für geringe Bildung der Frau) positiv, aber
nicht sehr hoch. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Korrelationen zwischen dem Ausbildungsniveau der Eltern und der Kinderzahl zwischen den Staaten in Ausmaß und Signifikanz variieren. Sie sind darüber
hinaus auch nicht gleichgerichtet.
Ein nicht überraschendes Ergebnis liefert die vergleichende Betrachtung der
Lohnsatzkoeffizienten. Diese sind – mit hoher Signifikanz- in den Staaten, in
denen ihr Datenmaterial ausreichend verfügbar ist (D, F, I, UK, US) sämtlich
negativ im Lohnsatz der Frau. Der Effekt ist am stärksten in Deutschland
und dem Vereinigten Königreich messbar, in Frankreich und den USA am
geringsten; es scheint also bestätigt, dass ein hoher Lohnsatz der Frau die
Partner eher davon abhält, Kinder zu bekommen bzw. deren Kinderzahl
negativ beeinflusst.
Den Lohnsatzkoeffizienten des Mannes betreffend, können (mindestens)
zwei Aussagen getroffen werden. Zum einen ist dieser (bis auf den Fall
Frankreich) eher positiv, zum zweiten ist er absolut aber deutlich kleiner als
der jeweilige Koeffizient des Lohnsatzes der Frau; außerdem sind die tWerte durchweg geringer, was insgesamt darauf hinweist, dass dieser Erklärungszusammenhang eher schwach ist.
Es ließe sich einwenden, dass der Lohnsatz im Zusammenhang zu den Variablen des Bildungsgrades stehen müsse und somit auch die Regression verzerren würde. Diese Korrelation kommt hier jedoch nur eingeschränkt zur
Geltung, da zwar für alle Frauen Daten zum höchsten erreichten Bildungsgrad vorliegen, jedoch längst nicht alle auch einen Lohnsatz ausgewiesen
haben, da viele ihre Arbeit nicht anbieten (dazu mehr in Abschnitt 3.2), insofern ist allenfalls ein schwacher Zusammenhang denkbar.
Im Kontrast dazu sind die erklärenden Variablen FOREIGN, MARRIED und
(eingeschränkt) auch RURAL sowohl im Ausmaß relativ stark als auch sehr
signifikant. Die Eheschließung ist insbesondere in Finnland, den USA und
Frankreich (0,49, 0,433 und 0,397) ein starker Indikator für die Kinderzahl,
während der Zusammenhang in Norwegen schwach ist (0,078)12. Norwegen
ist jedoch – im Gegensatz zu eher katholisch geprägten Staaten, zum Bei-
12
Diese Zahlen sind so zu lesen, dass die Tatsache, dass ein norwegisches Paar verheiratet
ist, eine um 0,078 höhere Kinderzahl aufweist als ein ansonsten vergleichbares unverheiratetes.
107
spiel im Süden Europas – dafür bekannt, dass Paare hier eher spät (oder
nicht) heiraten, selbst wenn Kinder vorhanden sind. Die Rate außerehelicher
Geburten ist traditionell hoch (ähnliches gilt für Schweden).
Noch stärker sind die Koeffizienten für die Variable FOREIGN. Diese sind
lediglich in Australien und Finnland (leicht) negativ. Dieses liegt für den Fall
Finnland daran, dass die Variablenbelegung im finnischen Panel nicht zwischen Finnen und Ausländern verschiedener Nationalitäten oder ethnischen
Gruppen unterscheidet (wie die der anderen Staaten), sondern lediglich zwischen Finnisch und Schwedisch sprechenden Finnen, was die Aussage dieser
Variable völlig verändert. In allen anderen Staaten erhöht die Tatsache, dass
der Haushaltsvorstand nicht der vorherrschenden ethnischen Gruppe des
jeweiligen Erhebungslandes angehört, die Kinderzahl signifikant. Am stärksten ausgeprägt ist dieser Effekt in Deutschland und dem Vereinigten Königreich.
Ein deutlicher, fühlbarer Einfluss der Tatsache, dass der Haushalt in einer
ländlichen Gegend wohnt, ergibt sich für Finnland (0,231), Deutschland
(0,111) sowie für Frankreich (0,109), während er für die übrigen Staaten
schwach positiv, für Italien und das Vereinigte Königreich schwach negativ
ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zwar länderspezifisch Unterschiede
zwischen Haushalten unterschiedlichen Bildungsgrades in der Neigung,
Kinder zu bekommen, vorhanden sind. Diese sind aber in der Regel weitaus
weniger signifikant (und im Ausmaß geringer13) als die Einwirkungen anderer soziodemografischer Variablen.
3.2 Kinder und Arbeitsangebot
Eine inzwischen in vielen Staaten ebenso wichtige Funktion der Familienpolitik ist in der Ermöglichung (oder gar bewussten Ermunterung) der weiblichen Erwerbsbeteiligung zu sehen, welche eine Parallelstrategie zum Ziel
der Förderung von Geburten darstellt. Die OECD (2004) ermittelte für 2002
gar einen positiven Zusammenhang zwischen der Partizipationsrate der
Frauen und der Geburtenrate, so dass davon ausgegangen werden kann, dass
das Zielsystem der Familienpolitik auch die Arbeitsangebotswünsche und 13
Da es sich um Dummy-Variablen handelt, lassen sich die Regressionskoeffizienten analog
interpretieren.
108
bedingungen der Frau und deren Zusammenhang mit der Fertilität berücksichtigen muss.
In der Tabelle 1 sind die durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeiten der
Haushaltsmitglieder gegen unterschiedliche Kinderzahlen abgetragen. Es
werden hier exemplarisch nur Paarhaushalte zwischen 20 und 64 Jahren
betrachtet, was als typischer Zeithorizont aktiver Erwerbstätigkeit (in den
Industriestaaten) angesehen wird. Weiterhin sind nur die entsprechenden
Werte für Paare mit bis zu vier Kindern aufgeführt. Die entsprechenden
Zahlen für Finnland, Norwegen und Australien sind für die Welle V nicht
erhoben worden. Allerdings lassen sich auch für die verbleibenden Länder
interessante Rückschlüsse ziehen.
Mann
0 31,78
1 39,53
2 42,12
3 37,37
4 38,6
Tab. 1
D
Frau
23,68
19,61
14,43
9,54
12,77
Mann
41,56
42,12
41,54
42,06
40,86
F
Frau
34,48
35,27
33,56
32,49
33,59
Mann
29,12
40,98
44,49
41,24
39,97
I
Frau
15,01
17,52
16,91
10,39
4,05
UK
Mann Frau
35,75 24,55
41,72 22,72
43,15 19,12
40,59 15,67
35,38 10,75
US
Mann Frau
39,39 30,33
42,08 29,44
43,33 26,32
43,97 23,85
42,59 19,58
Durchschnittl. wöchentl. Arbeitszeit in Abhängigkeit von der Kinderzahl.
Quelle: Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006, eig. Berechnung.
Die durchschnittlichen Stundenzahlen der Männer unterscheiden sich innerhalb der einzelnen Kinderzahl-Stufen nicht wesentlich zwischen den fünf
Staaten, mit dem Unterschied, dass sie in Deutschland und Italien für kinderlose Männer auffallend niedrig sind (31,78 bzw. 29,12 Stunden). Ob dies
Resultat der Tatsache geschuldet ist, dass deutsche und italienische Männer
später in ihr Berufsleben starten oder es früher beenden, könnte mit einer
weiteren Altersauffächerung möglicherweise beantwortet werden, ist für die
vorliegende Untersuchung allerdings uninteressant. Gemein ist den Staaten
der Trend, dass die Arbeitszeit bei Männern mit steigender Kinderzahl bis
zum zweiten (in den USA bis zum dritten) Kind ansteigt, dann aber abfällt,
generell jedoch das Niveau einer Vollzeit-Arbeitsstelle nicht wesentlich
unterschreitet.
Wesentlich anders ist die Situation der Frauen. Nach dem traditionellen
Rollenmodell wäre zu erwarten, dass ihre Erwerbsbeteiligung (und damit
109
auch ihre durchschnittliche wöchentliche Arbeitsstundenzahl) in der Zahl
ihrer Kinder sinkt. Dieses Muster kann uneingeschränkt für Italien bestätigt
werden, wo bereits die Frauen ohne Kinder im Durchschnitt lediglich 15,01
Stunden wöchentlich arbeiten, während US-amerikanische und französische
Frauen die doppelte Wochenarbeitszeit vorweisen. Aber auch die Frauen in
Deutschland, dem Vereinigten Königreich und (eingeschränkt) den USA
zeigen dieses Muster: Die Differenz zwischen den Arbeitsstunden der Eltern
mit vier Kindern beträgt zwischen 23,01 (USA) und 35,92 (Italien) Stunden.
Einzig Frankreich ist hinsichtlich beiderlei Trends eine Ausnahme. Einerseits
arbeiten Frauen grundsätzlich mehr als in den übrigen Staaten (unabhängig
von ihrer Kinderzahl), andererseits sinkt ihre Arbeitsstundenzahl so gut wie
überhaupt nicht, egal, wie viele minderjährige Kinder in ihrem Haushalt
leben. Dieses Resultat ist sicherlich sowohl auf die hohe Abdeckungsrate
von Kinderbetreuungsmöglichkeiten (auch im Kleinstkindalter) als auch auf
die hohe gesellschaftliche Akzeptanz von arbeitenden Müttern zurückzuführen. Die Fertilitätsrate Frankreichs liegt in der Spitzengruppe aller Industrieländer, was auf die potenziell gute Vereinbarkeit hoher Partizipation von
Frauen am Arbeitsmarkt und relativ hoher Kinderzahl hinweist.
Darauf, dass das Arbeitsangebot von Müttern möglicherweise mit kluger
Bereitstellungspolitik öffentlicher Betreuung zu beeinflussen ist, weisen
auch die unterschiedlichen Arbeitsstundenzahlen von Frauen in Abhängigkeit vom Alter des jüngsten Kindes hin, die in Abbildung 2 für die oben
genannten fünf Staaten zu finden sind. In Deutschland und (mit Abstrichen)
in den USA und dem Vereinigten Königreich ist fast durchgängig eine Steigerung der durchschnittlichen Arbeitszeit im Alter des jüngsten Kindes festzustellen, wenn auch Mütter in den USA durchschnittlich über zehn Stunden
länger arbeiten als die Mütter in Deutschland. Für Australien fehlen die Daten für Familien, deren jüngstes Kind sechs, acht oder neun Jahre alt ist; für
die restlichen Jahre ist allerdings ebenfalls ein ansteigender Trend der Wochenstundenzahl der Mütter zu beobachten.
110
37,5
W ochenstunden
35
32,5
30
27,5
25
22,5
20
D
17,5
15
F
I
12,5
10
USA
AUS
UK
7,5
5
2,5
0
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Alter jüngstes Kind
Abb. 3
Durchschnittliche Arbeitszeit der Frauen, abhängig vom Alter des jüngsten
Kindes.
Quelle: Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006, eig. Berechnung.
Auffällig ist, dass die durchschnittliche Wochenstundenzahl im ersten Lebensjahr des Kindes (mit Ausnahme Australiens und des Vereinigten Königreichs) absinkt. Dies ist allerdings erklärlich durch den Effekt, dass in dem
Jahr, in dem das jüngste Kind zur Welt kommt, die durchschnittliche Wochenstundenzahl des gesamten Kalenderjahres erfasst wird, die auf Grund
möglicher höherer Erwerbstätigkeit der Mütter in den Monaten vor der Geburt tendenziell nach oben ausreißt.
Ein allgemeiner Trend ist nicht erkennbar für Italien (deren Mütter zwischen
13,7 und 19,09 Stunden arbeiten) sowie für Frankreich. Die Erwerbstätigkeit,
ausgedrückt in der durchschnittlichen Wochenstundenzahl, ist in Frankreich
mit Abstand am höchsten: Sie schwankt zwischen 33 und 35 Stunden. Weiterhin sind keinerlei vom Alter des jüngsten Kindes abhängigen Einschränkungen (oder Verstärkungen) der Erwerbstätigkeit zu erkennen, was die
Schlussfolgerung aus den in Tabelle 2 gezeigten Daten noch verstärkt.
Es bleibt festzuhalten, dass Eltern in Deutschland, Frankreich, Italien, dem
Vereinigten Königreich und den USA ihre Erwerbstätigkeit in unterschiedlichem Maße in Abhängigkeit von ihren Kindern gestalten.
Dabei konnte gezeigt werden, dass die Zahl und das Alter der im Haushalt
lebenden Kinder einen direkten Einfluss auf die Arbeitsstundenzahl der
111
Frauen hat (mit Ausnahme Frankreichs). Allerdings gibt es länderspezifisch
signifikante Unterschiede.
Das Arbeitsangebot der Männer dagegen ist in der Regel nicht oder kaum
beeinflusst von der Anwesenheit von Kindern.
3.3 Distributive Wirkungen
Abschließend soll noch ein vergleichender Blick auf die Inzidenz der familienfördernden Maßnahmen geworfen werden.
In Abschnitt 2 wurde angedeutet, dass die verschiedenen Instrumente der
Familienpolitik unterschiedliche Verteilungsimplikationen aufweisen.
Das Mikro-Datenmaterial der Luxembourg Income Study erlaubt Rückschlüsse auf die staatlichen Leistungen für Familien, indem es (mit Ausnahme Italiens und der USA) sämtliche geldlichen Zuwendungen, die auf
Grund des Vorhandenseins von Kindern oder zur Unterstützung der Mütter
während Schwangerschaft und Geburt gezahlt werden, erfasst.
Diese Unterstützungsleistungen werden in Tabelle 2 für die angesprochenen
Staaten als Geldbeträge in US-Dollar pro Jahr und Kind ausgewiesen, unterteilt nach dem ersten, dem zweiten bis fünften, dem fünften bis neunten sowie dem höchsten Dezil des verfügbaren Einkommens. Zur Absicherung der
hier gezeigten wurde ein Vergleich mit den entsprechenden Daten der Welle
I durchgeführt, der – mit Ausnahme der unterschiedlichen absoluten Höhe
der Leistungen – keinerlei nennenswerte Differenzen ergab, was die Zurechnung der Beträge zu den einzelnen Einkommensdezilen angeht.
1st
2nd-5th
5th-9th
10th
Tab. 2
D
1432,89
1750,20
1823,76
1952,23
F
929,56
1267,87
1292,05
1062,40
FIN
1056,77
2296,06
1962,25
1548,04
UK
988,19
1056,87
1080,12
1214,62
N
2164,17
4345,90
1754,08
1547,29
AUS
646,26
1016,09
513,09
172,92
Staatliche Geldleistungen pro Jahr und Kind in US-Dollar: Unterstes Dezil, 2. bis 5. Dezil, 5. bis 9. Dezil und oberstes Dezil der verfügbaren Einkommen.
Quelle: Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006, eig. Berechnung.
Grundsätzlich ist zu bemerken, dass die direkten geldlichen Familienleistungen sowohl in Deutschland als auch im Vereinigten Königreich „pro rich“
112
wirken: Sie nehmen mit zunehmendem verfügbarem Einkommen zu, wobei
der relative Unterschied zwischen den Leistungen des ersten und denen des
zehnten Dezils in Deutschland größer ist (Faktor 1,36 (D) vs. 1,23 (UK)).
Für Finnland, Norwegen und Australien gilt, dass die Leistungen hier im
zweiten bis fünften Einkommensdezil am höchsten sind und danach abfallen,
in Australien sogar erheblich. Dies hängt wesentlich mit der starken Einkommensabhängigkeit der in Australien gewährten direkten Leistungen
zusammen. Finnland verzichtet fast vollständig auf steuerliche Abzugsbeträge, die regressiv wirken. In Norwegen sind die hohen Leistungen für Familien im zweiten bis fünften Einkommensdezil auffallend. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich hierbei zum Teil um statistische Ausreißer handelt
(da die Zahl der befragten Familien mit diesen Merkmalen nur 458 beträgt,
im Vergleich zu 3162 im fünften bis neunten Dezil), den Trend jedoch gibt
der Wert richtig wieder.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in Frankreich, wo die Leistungen sowohl im
zweiten bis fünften wie auch im fünften bis neunten Dezil relativ hoch sind,
dann aber im obersten Dezil leicht abfallen. Dies überrascht nicht vor dem
Hintergrund der strikten Deckelung des – regressiv wirkenden – Familiensplittings sowie der Höchstbeträge bei der Absetzbarkeit von Betreuungsaufwendungen.
Im Vergleich der absoluten Höhe der staatlichen Leistungen lässt sich
schließen, dass die direkte geldliche Unterstützung für Familien, deren verfügbares Einkommen unterhalb des Medianeinkommens liegt, in Norwegen
(mit Abstand) am großzügigsten bemessen sind, während überdurchschnittlich hohe Einkommen in Finnland (fünftes bis neuntes Dezil) bzw. vor allem
in Deutschland (fünftes bis zehntes Dezil) die höchste Bezuschussung erfahren. Die Kinderzahlen sind (von den hier betrachteten Staaten) in Frankreich,
Norwegen und Finnland am höchsten. Es liegt die Vermutung nahe, dass
eine relativ starke finanzielle Förderung der mittleren Dezile durch staatliche
Maßnahmen die größte Steigerung der Geburtenrate nach sich zieht.
Zur obigen Zusammenstellung ist anzumerken, dass die beiden untersuchten
Größen (verfügbares Einkommen und monetäre staatliche Leistungen zur
Unterstützung von Familien) nicht unkorreliert sind. Erhöhen sich die staat-
113
lichen Leistungen, erhöht sich in der Regel auch das verfügbare Einkommen
in dem Maße, wie die Leistungen nicht steuerpflichtig sind14.
Die Verteilungsimplikationen der direkten Familienförderung werden deutlich, indem man bspw. die Gini-Koeffizienten vergleicht, die sich einerseits
ergeben, wenn nur das Markteinkommen betrachtet wird, und andererseits,
wenn zum Markteinkommen auch die oben betrachteten Leistungen hinzugezählt werden (siehe Tabelle 3).
D
GME
GME+Tr
Tab. 3
0,348
0,321
F
FIN
0,384 0,350
0,342 0,309
UK
0,475
0,454
N
AUS
0,326
0,296
0,414
0,387
Gini-Koeffizienten unter Berücksichtigung des Markteinkommens
bzw. des Markteinkommens zzgl. der direkten familienpolitischen
Leistungen.
Quelle: Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006, eig. Berechnung.
Die Wirkung der staatlichen Leistungen zur Unterstützung von Familien ist
in allen betrachteten Staaten trotz der oben gezeigten Ergebnisse ungleichheitsreduzierend (sofern man den Gini-Koeffizienten als Maß von Ungleichheit akzeptiert). Die Wirkung scheint überdies in Finnland und Frankreich
am stärksten zu sein, wo die Absenkung des Gini-Koeffizienten durch die
staatlichen Transfers das größte Ausmaß annimmt. Aber auch in Deutschland ist sie – angesichts der beobachteten eher regressiven Wirkung in den
Einkommensdezilen – beachtlich.
4 Mögliche Lehren für den deutschen
Familienleistungsausgleich
Die Ermunterung von Paaren, Kinder zu bekommen, ist in Deutschland stets
dominiert gewesen von Debatten um finanzielle Mittel, Umverteilungsvorstellungen und steuerrechtlichen Auseinandersetzungen, weniger jedoch um
14
Dies ist in den betrachteten Ländern durchaus unterschiedlich geregelt. In Deutschland
sind die Leistungen komplett steuerfrei, in Spanien zum Beispiel nicht.
114
wirksame Instrumente15. Es ist kaum bestreitbar, dass die geldliche Summe,
die der deutsche Staat jährlich zur Familienförderung veranschlagt, im internationalen Vergleich durchaus mithalten kann, selbst wenn man die aktuellen Änderungen im Steuerrecht, welche das Baukindergeld16 betreffen, herausrechnet. Davon zeugen auch die unter 3.3 aufgeführten Ergebnisse (insbesondere Tabelle 2). Die relativ niedrige Geburtenrate kann demnach im
Grunde nur durch drei Szenarien charakterisiert werden: Entweder werden so
wenige Kinder geboren auf Grund des Familienleistungsausgleiches (das
heißt, die eingesetzten Mittel sind im ökonomischen Sinne ineffektiv) oder
die Fertilität ist in Deutschland trotz der staatlichen Unterstützung gering
(das heißt, sie ist ausschließlich von Faktoren determiniert, die außerhalb der
Einflusssphäre der Politik liegen) oder Familienpolitik ist wirkungsvoll, wird
jedoch von exogenen Trends oder Schocks überlagert. Um letztere Möglichkeit auszuschließen (oder zu bestätigen), böte sich eine Untersuchung nach
der „Difference-in-Difference“-Technik an.
Wenn man aber vernünftigerweise davon ausgeht, dass sich die Wahrheit
irgendwo zwischen diesen Polen bewegt, scheint es auf jeden Fall sinnvoll,
sich über die Verbesserung der Ausgestaltung der staatlichen Familienpolitik
Gedanken zu machen. Dazu bietet sich ein Blick auf Nachbarsysteme an.
Im Wesentlichen kann Deutschland in zwei Punkten von dieser Betrachtung
lernen. Der zuweilen hörbare Vorwurf, in Deutschland bekämen vor allem
Bevölkerungsgruppen überproportional viele Kinder, welche die größten
Schwierigkeiten hätten, diese angemessen zu unterhalten und zu erziehen, ist
nicht völlig von der Hand zu weisen, wenn man zum Vergleich die Statistiken anderer Staaten heranzieht. Es liegt die Vermutung nahe, dass die relativ
dünn gesäte Bereitstellung öffentlicher (und privater!) Betreuung ein zentraler Bestimmungsfaktor dieses Problems ist. Staaten mit gut ausgebautem
Betreuungssystem (sowohl in der direkten Bereitstellung durch den Staat als
auch durch die indirekte Förderung durch großzügige steuerliche Absetzbarkeit) – wie bspw. Frankreich und Skandinavien – verfügen über eine ausgeglichenere Bilanz was die Kinderzahl von Eltern unterschiedlicher Bildungsgrade angeht. Darüber hinaus ist die Differenz zwischen den Arbeitszeiten
der Partner geringer, insbesondere die Erwerbssituation der Frau besser und
15
Kaufmann 2005, S. 182 ff.
16
§ 34 f EstG.
115
unabhängiger von der Zahl der Kinder17. Die Produktivitäten der Partner
sind weniger signifikant für die Aufteilung der Hausarbeit und für die Zahl
der Kinder (siehe Tabelle A im Anhang).
Ein Betreuungssystem wie das französische lässt sich nicht ohne weiteres
kopieren. Da aber die Möglichkeit, Kinder von Dritten betreuen zu lassen, in
der Regel die effektivste und – relativ gesehen – günstigste Weise ist, die
hohen Opportunitätskosten, die Kinderbetreuung verursacht, zu senken (kein
Kindergeld oder auch Elterngeld kann dauerhaft das wegfallende Einkommen durch Erwerbstätigkeit ersetzen), sollte dieses Instrument quantitativ
wie qualitativ gestärkt werden – zur Not auf Kosten des Kindergeldes bzw.
des Kinderfreibetrags.
Zum zweiten scheint die deutsche Spezialität des dualen Familienleistungsausgleichs, die einen eher untauglichen Kompromiss zwischen verfassungsrechtlicher Mindestnormerfüllung und sozialpolitischen Umverteilungswünschen zugunsten der Familien mit geringem Einkommen darstellt, fraglich.
Einerseits werden die eingeräumten Grundfreibeträge für Kinder in Höhe
von 2904 €18 der rechtlichen Anforderung nach Freistellung des steuerlichen
Existenzminimums nicht ansatzweise gerecht, wenn man die in der Sozialgesetzgebung üblichen Mindestsätze unterstellt. Andererseits lassen die distributiven Konsequenzen (siehe Tabelle 4) Zweifel daran aufkommen, ob der
budgetäre Aufwand für das vergleichsweise hohe pauschale Kindergeld
verteilungspolitisch gut angelegt ist. Eine Umschichtung zugunsten von
Betreuungsmöglichkeiten, wie oben angeregt, würde eine höhere Geburtenrate sicherlich begünstigen.
Ein allgemeines Umverteilungsziel sollte stärker in die Einkommensbesteuerung verlagert werden. Darüber hinaus können qualitative und quantitative
Verbesserungen in der vorschulischen Betreuung und Förderung, die aus
allgemeinen Steuermitteln geleistet werden, als Umverteilung von Bildungsund Berufschancen zugunsten von Kindern weniger privilegierter Eltern
verstanden werden, was eine sinnvolle Abfederung der regressionsverstärkenden Wirkung der Abschmelzung des Kindergeldes wäre.
17
Zwar sind die entsprechenden Daten für Norwegen im LIS Projekt nicht verfügbar, allerdings stützen die relativ hohen Partizipationsraten von Müttern in den skandinavischen
Staaten diese Erkenntnis (bspw. 72,1 % (FIN) und 76,9 % (Schweden) im Vergleich zu
59,3 % im OECD-Durchschnitt (Zahlen für 2003; OECD 2005).
18
§ 32 Abs. 6 EStG, Rechtsstand 2005. Für Ehepaare gelten verdoppelte Sätze.
116
Ist die staatliche Familienförderung und sind ökonomische Anreize generell
unwirksam hinsichtlich der privaten Neigung, Kinder zu bekommen, so
könnte sich die Politik auf sozialpolitische Maßnahmen zur Existenzsicherung von Familien beschränken. Nicht zuletzt aber die Erfahrungen Frankreichs einerseits und Dänemarks und Schwedens andererseits (die hier nicht
explizit betrachtet wurden) zeigen, dass eine Korrelation von geeigneten
familienpolitischen Maßnahmen (vor allem diejenigen, die der in Abschnitt 2
als Input-Ansatz vorgestellten Förderphilosophie folgen) und Geburtenrate
wahrscheinlich ist.
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married
edlom
edmedm
edhim
edlof
edmedf
edhif
foreign
rural
wm
wf
Koeff
0,353
0,002
0,050
0,035
-0,101
0,190
0,128
0,544
0,111
0,005
-0,011
D
t
375,594
1,290
32,604
22,447
-66,467
122,786
78,852
575,912
200,329
328,827
-655,565
F
Koeff
0,397
0,379
0,408
0,453
0,681
0,766
0,879
0,465
0,109
-0,001
-0,004
t
Koeff
357,782 0,490
35,809 -0,232
38,601 0,141
42,851
...
120,826 -0,273
136,471
...
155,351 0,093
327,594 -0,035
113,128 0,231
-74,098
...
-300,100
...
t
177,325
-67,376
47,878
...
-83,247
...
32,425
-6,710
76,658
...
...
FIN
Koeff
0,265
-0,105
0,092
...
-0,391
-0,011
...
na
-0,006
0,004
-0,007
I
t
149,482
-102,655
129,400
...
-397,403
-15,257
...
na
-7,900
119,715
-165,492
Koeff
0,352
-0,725
-0,266
-0,449
-0,131
0,423
0,273
0,567
-0,055
0,003
-0,026
t
365,576
-33,304
-12,240
-20,611
-7,396
23,939
15,458
368,435
-80,551
68,320
-419,511
UK
Koeff
0,433
...
-0,071
-0,081
...
0,072
-0,024
0,365
0,055
0,000
-0,003
t
562,936
...
-129,013
-128,879
...
132,092
-38,466
709,235
103,390
3,351
-187,152
US
Koeff
0,078
-0,233
0,031
0,015
-0,319
0,044
0,120
0,288
0,021
...
...
N
t
25,038
-17,239
2,374
1,113
-28,132
4,012
10,892
57,829
2,599
...
...
0,136
0,008
-0,121
0,051
...
...
Koeff
...
...
0,055
0,198
t
...
...
36,449
85,067
82,899
3,304
-78,175
63,768
...
...
AUS
5 Anhang
Tabelle A: Nicht-standardisierte Koeffizienten (inkl. t-Werte) der unabhängigen
Variablen; OLS-Schätzung.
Quelle: Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006.
Dirk Höner
Institutionalisierung qua Internationalisierung –
Die Entwicklung der Unternehmensberatung aus
neo-institutionalistischer Perspektive
1 Einleitung
Die Suche nach einer Erklärung für den Erfolg der Unternehmensberatungsbranche wird häufig an bestimmte Funktionen geknüpft, die Beratungen für
ihre Klienten erfüllen.1 Diese Funktionen können aber nur erfüllt werden,
wenn eine ganz bestimmte Voraussetzung vorliegt: Unternehmensberatung
muss legitimiert sein, d.h. ihre Existenz und ihr Nutzen werden nicht in Frage gestellt. Das bedeutet, dass sie aufgrund ihrer institutionalisierten Stellung
in der Lage ist, diese Legitimität auch auf ihre Dienstleistungen und letztlich
auf den Klienten zu übertragen.2 Woher diese Legitimität aber kommt, wird
nicht kritisch hinterfragt sondern als gegeben unterstellt. Aus dieser bislang
unbestätigten Unterstellung stammt die Motivation dieses Beitrages. Es wird
untersucht, mit welcher Berechtigung von einer Institution Unternehmensberatung gesprochen werden kann und wie ein derartiger Status entsteht.
1
Vgl. Ernst/Kieser 2002. Zu diesen Funktionen werden gezählt: Wissenstransfer, Entwicklungs- und Innovationsfunktion, Wirtschaftlichkeitsfunktion, Legitimierungsfunktion
und Kommunikationsfunktion, sowie die latenten Politik- und Interpretationsfunktion. Vgl.
Kieser 1998, S. 63 f.
2
Vgl. Faust 2000; McKenna/Djelic/Ainamo 2003.
120
Der Begriff Unternehmensberatung ist kaum konsensfähig abgrenzbar.3
Wenn in der vorliegenden Betrachtung von Unternehmens- oder synonym
von Managementberatung gesprochen wird, so sind damit zunächst alle am
Markt gehandelten Dienstleistungsangebote gemeint, die unter diesen Bezeichnungen angeboten und nachgefragt werden. Aufgrund der angesprochenen Übertragung von Legitimität und der beobachtbaren Selbstverständlichkeit von Managementberatung wird für den vorliegenden Beitrag auf den
Theorieansatz des Neo-Institutionalismus zurückgegriffen, zu dessen Kernanliegen die Erklärung eben dieser Phänomene gehört.
Um den theoretischen Untersuchungsraum abzustecken soll zunächst das
Konzept des Neo-Institutionalismus mitsamt seiner für die weitere Betrachtung notwendigen Grundannahmen dargestellt werden. Auf diese wird dann
im folgenden Teil zurückgegriffen, um die Institutionalisierung von Unternehmensberatung näher zu untersuchen. Abschließend werden die Erkenntnisse und die Relevanz dieser Untersuchung reflektiert.
2 Institutionalisierungsprozesse im Sinne des
neo-institutionalistischen Theorieansatzes
2.1 Grundlagen des Neo-Institutionalismus
Der Nucleus des neo-institutionalistischen Theorieansatzes besteht in der
Annahme, dass Organisationen ihr Handeln nicht nach Maßgabe technischer
Effizienzkriterien ausrichten, sondern primär an kulturellen und gesellschaftlichen Erwartungshaltungen.4 Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive
ist diese These kaum nachvollziehbar, jedoch untermauern zahlreiche empirische Studien, dass Effizienz nicht die wichtigste Determinante organisationaler Überlebensfähigkeit darstellt.5 Gelingt es Organisationen, die gesellschaftlichen und kulturellen Erwartungen zu erfüllen, verschaffen sie sich
Legitimität. Diese ist für Organisationen lebensnotwendig, da legitimierte
3
Vgl. Barchewitz/Armbrüster 2004, S. 4 ff. für eine Beschreibung des Abgrenzungsproblems.
4
Vgl. Hasse/Krücken 1999, S. 10 f.; Meyer/Rowan 1977, S. 341; Walgenbach 2001, S. 319.
5
Vgl. Fligstein 1990; Meyer/Zucker 1989.
121
Organisationen ihren Zufluss an Ressourcen besser sichern können als nicht
legitimierte Organisationen.6 Legitimität steht somit in einem unmittelbaren
Bedingungsverhältnis zur Institutionalisierung.7
Legitimität nimmt im neoinstitutionalistischen Theoriekomplex eine zentrale
Position ein. Sie ist das Produkt von Wahrnehmung, Annahmen und Bewertungen der Organisation durch die organisationale Umwelt.8 Definiert wird
Legitimität als „a generalized perception or assumption that the actions of an
entity are desirable, proper, or appropriate within some socially constructed
system of norms, values, beliefs, and definitions.“9 Bedeutsam ist hier, dass
das Gesamtbild entscheidend für die Zuschreibung von Legitimität ist und
einzelne Non-Konformitäten nicht unbedingt einen Legitimitätsverlust nach
sich ziehen.
Institutionalisierung kann gleichermaßen als Prozess und als Zustand definiert werden.10 Die überwiegende Mehrzahl wissenschaftlicher Analysen
stellt auf den Zustand der Institutionalisierung ab, den bestimmte Strukturen
und Praktiken einnehmen. „Institutionalisierung als Zustand bezieht sich auf
Situationen, in denen die von der Gesellschaft oder Kultur geteilte gedankliche Struktur der ‚Wirklichkeit’ bestimmt, was Bedeutung besitzt und welche
Handlungen möglich sind.“11 Demgegenüber bezieht sich Institutionalisierung als Prozess „auf den Vorgang, durch den sich soziale Beziehungen und
Handlungen zu nicht mehr hinterfragenden entwickeln“.12 Diese Prozessbetrachtung soll im Folgenden vertieft werden.
6
Vgl. Meyer/Rowan 1977, S. 340; Millonig 2002, S. 47 f.
7
Vgl. Suchmann 1995, S. 576.
8
Vgl. Millonig 2002, S. 47.
9
Suchman 1995, S. 574. Suchman weist darauf hin, dass Legitimität und Institutionalisierung synonym zu verstehen sind (1995, S. 576). Dieser Auffassung kann nicht unbedingt
gefolgt werden, denn bspw. kann bei der Mafia durchaus von einer Institution gesprochen
werden, die jedoch keine Legitimität besitzt. Vgl. hierzu Jepperson 1991, S. 149.
10
Vgl. Zucker 1977, S. 728.
11
Walgenbach 2001, S. 321.
12
Walgenbach 2001, S. 320 f.
122
2.2 Der Prozess der Institutionalisierung
Der Prozess der Institutionalisierung kann auf zwei unterschiedliche Weisen
ablaufen. Einerseits können Interessen- und Machteinflüsse und damit verbundenes absichtsvolles Handeln zur Institutionalisierung bestimmter Zustände oder Praktiken führen, wie bspw. die Gesetzesverabschiedung.13 Dieser Prozess allein kann jedoch nicht zur Erklärung der Herausbildung der
Institution Unternehmensberatung herangezogen werden, da der Beruf Unternehmensberater in Deutschland nicht legislativ geregelt ist.14 Auch besteht, im Gegensatz zur Rechtsberatung oder Wirtschaftsprüfung, objektiv
kein Grund für Unternehmen, Managementberatung in Anspruch zu nehmen.
Tun sie es dennoch, folgen sie institutionalisierten Praktiken. Dieser zweite
Institutionalisierungsprozess ist deshalb relevant für die Entwicklung von
Unternehmensberatung.
Tolbert und Zucker15 gehen im Anschluss an Berger und Luckmann16 von
einem sequenziellen, dreistufigen Institutionalisierungsprozess aus, der über
die Phasen Habitualisierung, Objektivierung und Sedimentation reicht. Am
Beginn eines Institutionalisierungsprozesses steht eine Innovation. Diese
kann eine Reaktion auf veränderte Marktkräfte, Technologien oder andere
Umwelteinflüsse sein. Sie kann aber auch eine Lösung für ein spezifisches
Problem einer bzw. mehrerer Organisationen sein.17
In der Phase der Habitualisierung erfolgt die Herausbildung neuer struktureller Arrangements als Reaktion auf die initiale Innovation. Kennzeichnend
für diese pre-institutionalisierte Phase ist die voneinander unabhängige Formalisierung neuer Strukturen und Prozesse in einer oder mehreren Organisationen, die dem gleichen Problem ausgesetzt sind.18
13
Vgl. Hasse/Krücken 1999, S. 54.
14
Vgl. Groß 2003. Damit liegt die deutsche Rechtslage auf der internationalen Linie. Nur in
Österreich, Malaysia und auf den Philippinen ist der Berufsstand der Unternehmensberater
gesetzlich reglementiert.
15
Vgl. Tolbert/Zucker 1996, S. 181.
16
Vgl. Berger/Luckmann 1969.
17
Vgl. Tolbert/Zucker 1996, S. 179; Walgenbach 2002, S. 178.
18
Vgl. Tolbert/Zucker 1996, S. 181.
123
In der semi-institutionellen Phase der Objektivierung diffundieren die neuen
Strukturen und Praktiken innerhalb eines organisationalen Feldes aufgrund
eines zunehmenden Konsens hinsichtlich ihres Nutzens.19 Dieses Übereinkommen entsteht zum einen durch die Beobachtung und Wertschätzung der
Auswirkung der Problemlösung durch andere Organisationen mit dem Ziel
der erfolgreichen Imitation. Zum anderen können Interessengruppen die
Durchsetzung der neuen Strukturen und Prozesse forcieren.20
Eine vollständige Institutionalisierung von Strukturen und Praktiken wird in
der Phase der Sedimentation erreicht. Institutionalisierte Elemente genießen
in diesem Zustand einen hohen Akzeptanzgrad, werden nicht mehr hinterfragt und als „taken-for-granted“ wahrgenommen. Die Verbreitung der Institution findet über Organisationsgrenzen hinaus statt und unterliegt einer
großen Kontinuität. Die in dieser Phase stattfindende Imitation basiert nicht
mehr auf Effizienz- sondern auf Legitimitätsgewinnen.21
Der hiermit skizzierte Institutionalisierungsprozess dient im Folgenden als
Basis für die Rekonstruktion und Überprüfung der Institutionalisierung von
Unternehmensberatung.
3 Die Institutionalisierung der Unternehmensberatung
„Es ist unmöglich, eine Institution ohne den historischen Prozeß, der sie
heraufgebracht hat, zu begreifen.“22 Deshalb soll in diesem Abschnitt der
Institutionalisierungsprozess in historischer Rekonstruktion der Entwicklung
der Managementberatung untersucht werden.
3.1 Auslöser der Entwicklung einer neuen Branche
Ihren Ursprung hat die Unternehmensberatung in den Vereinigten Staaten
von Amerika. Ein häufig genannter Ausgangspunkt der Entwicklung ist die
Gründung des weltweit ersten Beratungsunternehmens im Jahr 1886 durch
19
Vgl. Tolbert/Zucker 1996, S. 182 f.
20
Hierbei handelt es sich um die sog. Institutional Entrepreneurs. Vgl. DiMaggio 1988.
21
Vgl. Millonig 2002, S. 44.
22
Berger/Luckmann 1969, S. 58.
124
Arthur D. Little, dessen Angebote sich allerdings zunächst auf technologische Beratungsleistungen beschränkten.23 Aber schon vor diesem Datum
entwickelten sich ähnliche Beratungsunternehmen als Folge der sich etablierenden industriellen Massenfertigung.24 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich das so genannte Scientific Management in den USA
zunehmend durch. Frederic W. Taylor, der Protagonist dieser Bewegung,
stellte insbesondere die Arbeitsrationalisierung in den Vordergrund und auf
diese Weise wurden die ersten betriebswirtschaftlichen Rationalisierungsprozesse implementiert. Ein Gerichtsverfahren legitimierte im Jahre 1911
das Scientific Management und die Arbeit von Taylor, indem es die Preispolitik der Eisenbahngesellschaften als Folge eines Missmanagements darstellte, das mit Hilfe des Scientific Managements nicht zustande gekommen
wäre. Dabei war nicht das Urteil sondern die öffentliche Diskussion in den
Medien der Faktor, der dem Managementansatz zu großer Popularität verhalf
und in vielen Unternehmen ein „Effizienz-Fieber“ auslöste.25 Die Durchsetzung des Scientific Managements und die dadurch ausgelösten Veränderungen in der Führung von Unternehmen waren für die Entwicklung der Beratungsbranche bedeutsam. Allmählich wuchs die Zahl der Unternehmer und
Manager, die Beratungsleitungen in Anspruch nahmen.26 Neben den Beratungsleistungen des Scientific Managements gab es noch einen zweiten auslösenden Faktor.
Die großen Banken des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, insbesondere der Wall Street-Banker John P. Morgan, boten Ihren Kunden eine
Vielzahl von Beratungsleistungen an, die nicht nur auf rein finanzielle Fragestellungen begrenzt waren. Der Einfluss der Banken in den Führungsetagen der großen amerikanischen Unternehmen war bedeutend und kam dem
heutigen Verständnis von Managementberatung schon näher.27 In beiden
Fällen kann aber noch nicht vom unmittelbaren Beginn des Institutionalisierungsprozesses von Managementberatung gesprochen werden, da sich die
23
Vgl. Faust 2000, S. 64; Fink 2004, S. 4.
24
Vgl. Heuermann/Herrmann 2003, S. 26 f.
25
Vgl. Kieser 2002a, S. 83 f.
26
Vgl. Kipping 2002a, S. 30.
27
Vgl. McKenna/Djelic/Ainamo 2003, S. 85 ff.
125
Dienstleistungen kaum auf betriebswirtschaftliche Fragen der Unternehmensführung konzentrierten.
Auch in Deutschland boten im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts Ingenieure ihre Beratungsdienstleistungen für Unternehmen an. Damit folgten sie
den Prinzipien des Scientific Managements, das in Deutschland als wissenschaftliche Betriebsberatung oder Betriebswissenschaft bezeichnet wurde.28
1903 wurde der Verein beratender Ingenieure gegründet, dessen Aktivitäten
jedoch auf technische Beratungsleistungen begrenzt blieben.29 Tayloristische
Ansätze wurden aber nicht von Beginn an akzeptiert. Erst mit der deutschen
Übersetzung von Taylors „Principles of Scientific Management“ 1913 fand
eine breitere Diskussion des Managementansatzes, sowie eine Anpassung an
die Werte deutscher Unternehmensführung, statt.30 Daneben stellte das Revisions- und Treuhandwesen eine weitere Grundlage der Entwicklung von
Unternehmensberatung in Deutschland dar. Ab 1884 wurde durch eine Gesetzesänderung die Bedeutung der Bücherrevisoren gestärkt und bewirkte
einen Aufschwung der Branche, der bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs
anhielt.31
Die zeitlichen und inhaltlichen Wurzeln der US-amerikanischen und deutschen Beratungstätigkeiten weisen damit einige Gemeinsamkeiten auf.
Schon die Impulse des Scientific Managements wurden internationalisiert, in
Deutschland aufgegriffen und zur Anwendung gebracht.
3.2 Habitualisierung von Unternehmensberatung
McKenna konstatiert, dass „it wasn’t until the 1930s that management consulting firms grew beyond a few founding partners and established branches
in new cities”.32 Der Institutionalisierungsprozess begann in den USA mit
der Phase der Habitualisierung in den späten 1920er bzw. frühen 30er Jahren. Dabei können zwei wichtige Impulse der Entwicklung unterschieden
werden.
28
Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 143 f.
29
Vgl. Kipping 1997, S. 69.
30
Vgl. Kieser 2002a, S. 87 f.
31
Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 145 f.
32
McKenna 1995, S. 54.
126
Einerseits wurde aus der Branche der bereits beschriebenen Beratungsunternehmen des Scientific Managements mit der Gründung des weltweit ersten
Unternehmensberatungsverbandes ein richtungweisender Impuls gesendet.
Im Jahr 1929 wurde die Association of Consulting Management Engineers
(ACME) gegründet.33 Die Bezeichnung „Engineers“ zeugte von den Wurzeln und einer vorwiegend technokratischen Ausrichtung der Beratungsbranche. Erst nach der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren rückten verstärkt betriebswirtschaftliche Beratungsleistungen in den Fokus der Beratungsunternehmen, die sich mit der Führung und der Organisation von Unternehmen befassten. Die Branche erlebte einen ersten signifikanten Aufschwung.34 Hunderte großer amerikanischer Unternehmen fragten in den
30er Jahren Beratung nach, die sich mit Themen wie der Unternehmensstrategie, der Organisationsstruktur oder der Finanzierung beschäftigten.35 In der
Beratungsbranche selbst nahm der Grad einer professionellen Berufsauffassung zu. Ein wesentlicher Wegbereiter dieser Professionalisierungsbestrebung war Marvin Bower, der 1933 zu McKinsey kam und juristische Professionsprinzipien auf das Beratungsunternehmen und den Beruf des Unternehmensberaters übertrug.36 Die ACME verfolgte ebenfalls eine Professionalisierungsstrategie der Beratungsunternehmen, indem sie einen ethischen
Verhaltenskodex entwickelte, einen Qualifikationsstandard definierte und
Arbeitsleitlinien für Berater erstellte.37 Ebenso rückten die Unternehmensberater zunehmend in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit. 1930
erschien im Magazin Business Week ein viel beachteter Beitrag, der die Leser über die sich entwickelnde Branche der Management Consultants informierte und ihre Bedeutung in einer zunehmend komplexeren Geschäftswelt
herausstellte.38
Andererseits wurde der erste Aufschwung und der Beginn der Institutionalisierung maßgeblich von einem zweiten, branchenexternen Impuls unter-
33
Später wurde die ACME umbenannt in Association of Management Consulting Firms
(AMCF), wie sie auch heute noch heißt.
34
Vgl. Kipping 2002a, S. 30f.; McKenna 1995, S. 54.
35
Vgl. McKenna 1995, S. 54.
36
Vgl. Fink 2004, S. 7; Fink/Knoblach 2003, S. 72 ff.
37
Vgl. Ruef 2002, S. 76 f.
38
Vgl. Fink 2004, S. 4; McKenna 2001, S. 673.
127
stützt; einer modifizierten Gesetzeslage der Vereinigten Staaten in Form des
Glass-Steagall Banking Act. Zu diesem Schluss kommen auch McKenna,
Djelic und Ainamo: „The consulting industry as we know it was born in the
United States during the 1930s, partly as an unintended consequence of the
Glass Steagall Act.“39 Als Reaktion auf den Börsencrash vom Oktober 1929
erließen die USA 1933 ein neues Gesetz, dass dem Bankenwesen eine Trennung von Investment- und Geschäftsbanken vorschrieb sowie ein Verbot der
Durchführung von Nicht-Bank-Aktivitäten beinhaltete. Die bis dahin von
vielen Banken durchgeführten betriebswirtschaftlich orientierten Beratungsleistungen wurden nun von selbstständigen Beratungsunternehmen angeboten.40 Faust spricht in diesem Zusammenhang von einer „nicht-intendierte[n]
Folge institutioneller Reformen.“41 So fand die Inanspruchnahme von Managementberatung zunehmend Verbreitung in den amerikanischen Unternehmen der 1930er und 40er Jahre.42
In Deutschland begann die Phase der Habitualisierung auf ähnlichem Wege,
allerdings etwas früher als in den Vereinigten Staaten und das Verbandswesen spielte eine dominantere Rolle. 1921 wurde das Reichskuratorium für
Wirtschaftlichkeit (RKW) gegründet, um die Effizienz von Produktionsprozessen zu verbessern. Zwar diente es nicht unmittelbar der Verbreitung des
Scientific Management, jedoch war es als Dachorganisation für viele Tätigkeiten der Rationalisierungsbewegung bedeutsam und diente auf diese Weise
auch der Verbreitung neuer Methoden.43 Nach dem Ersten Weltkrieg und der
Depression war Ende der 1920er Jahre und insbesondere ab 1931 der Bedarf
in der Wirtschaft für Kostenkontrolle und Methoden der Organisation groß.
Neben den beratenden Ingenieuren traten zunehmend Betriebswirte in den
Beratungsmarkt ein und boten ihre Dienstleistungen an. Dies trieb die Ingenieure dazu, ihr Portfolio auch auf betriebswirtschaftliche Beratungsleistungen auszuweiten.44 Allerdings wurde das Beratungsgeschäft bis nach dem
Zweiten Weltkrieg weiter vom RKW und den effizienzlastigen Beratungs-
39
McKenna/Djelic/Ainamo 2003, S. 100.
40
Vgl. McKenna 1995, S. 54 f.
41
Faust 2000, S. 70.
42
Vgl. McKenna/Djelic/Ainamo 2003, S. 100.
43
Vgl. Kipping 1997, S. 70 f.
44
Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 147 f.
128
leistungen des Scientific Management bestimmt.45 Auch war die Größe des
Beratungsmarktes noch nicht mit dem der Vereinigten Staaten vergleichbar.
Die Gründe hierfür liegen vorwiegend in einer anderen Managementkultur
der Klientenunternehmen.46
Neben den obigen Gründen spielten auch in Deutschland legislative Impulse
eine wichtige Rolle für die Entwicklung von Unternehmensberatung. 1931
wurde das bestehende Revisions- und Treuhandwesen mittels Gesetzesänderungen reformiert. Der Beruf des Wirtschaftprüfers entstand und aufgrund
der engen Verflechtung mit den Klientenunternehmen gehörten bald auch
betriebswirtschaftliche Beratungsleistungen zum Angebot der noch jungen
Branche.47
3.3 Objektivierung von Unternehmensberatung
Der Übergang von der pre-institutionalisierten Phase der Habitualisierung
zur Phase der Objektivierung erfolgte fließend. Dabei setzte diese Phase in
den USA früher als in Deutschland ein.
Im Zweiten Weltkrieg waren viele Unternehmensberatungen für die USRegierung und deren militärische Einrichtungen aktiv. Neben den Erfolgen
der Branche in den vorigen zwei Dekaden war diese Situation eine Signalwirkung die dazu führte, dass sich Manager immer mehr die Frage stellten,
welche Vorteile der Einsatz von Unternehmensberatern für den eigenen
Betrieb bringt.48 In den 1950er Jahren begann in den USA die Phase der
Objektivierung. Der Einsatz von Unternehmensberatern in der Wirtschaft
nahm genauso zu, wie die Anzahl der Beratungsunternehmen. So wurde es in
den 1950er Jahren für die Beratungsfirmen zu einem ernsten Problem, entsprechend viele, geeignete Berater einzustellen. Aus dieser Zeit stammt die
45
Vgl. Kipping 1997, S. 73 ff.
46
Der „kooperative“ Kapitalismus in Zentraleuropa fördert die Institutionalisierung externer
Managementberatung nicht so stark wie der „Konkurrenzkapitalismus“ in den USA und
Großbritannien, wo die Kommunikation von „best practices“ stärker über Berater als über
bspw. Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände, wie in Zentraleuropa der Fall, stattfindet.
Vgl. Faust 2000, S. 74 f.
47
Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 148 f.
48
Vgl. Brown 1943, S. 183.
129
noch heute gängige Praxis, in großem Umfang talentierte Hochschulabsolventen zu rekrutieren.49
Zu Beginn der 1960er Jahre begannen die großen US-Beratungsgesellschaften ihre Internationalisierungsbestrebungen voran zu treiben und ihren multinationalen Klientenunternehmen auf die europäischen Märkte zu folgen.
Der Einsatz von Managementberatungen bei erfolgreichen US-Konzernen
und die Kommunikation von „best practices“ als Quelle von Wettbewerbsvorteilen sorgten bald darauf in Europa für eine verstärkte Inanspruchnahme
von Beratungsdienstleistungen.50 Schon Mitte der 1960er Jahre dominierten
die großen US-Beratungen weltweit den Markt für Unternehmensberatung.51
Von dieser Zeit an wurde von einer internationalisierten Branche gesprochen: „Seit Beginn der 60-er Jahre kann die Entwicklung der Beratung im
anglo-amerikanischen Raum und im kontinental-europäischen Raum kaum
mehr voneinander getrennt betrachtet werden, haben doch in Europa viele
amerikanische Beratungsgesellschaften Niederlassungen eröffnet oder kooperieren mit europäischen Beratungsgesellschaften.“52 In der gleichen Dekade weiteten die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die schon international tätig waren, ihr Dienstleistungsportfolio aus und nutzten ihre
engen Kontakte zu Klientenunternehmen, um in den Markt für Managementberatung einzutreten.53 Es setzte eine regelrechte Amerikanisierung der
Unternehmensberatung ein.
In Deutschland erlebte die Beratungsbranche in der Nachkriegszeit ebenfalls
einen signifikanten Nachfragezuwachs. Der Wiederaufbau der deutschen
Wirtschaft und die Wiederaufnahme der Exporttätigkeiten zwangen die Unternehmen, sich mit den Anforderungen wettbewerbsorientierter Unternehmensführung zu beschäftigen. Dazu wurde vermehrt auf die Leistungen von
Unternehmensberatern zurückgegriffen.54 Ab Mitte der 1950er Jahre schlug
sich die gestiegene Bedeutung der Berater auch in der Gründung eines Ein-
49
Vgl. McKenna/Djelic/Ainamo 2003, S. 87 f.; Ruef 2002, S. 86.
50
Vgl. Kipping/Sauviat 1996, S. 10 ff.
51
Vgl. McKenna 2001, S. 675.
52
Stutz 1988, S. 87. Ebenso sprechen von einer internationalisierten Branche Kipping/Sauviat 1996, S. 1; McKenna/Djelic/Ainamo 2003, S. 101.
53
Vgl. Saint-Martin 2000, S. 44.
54
Vgl. Kipping 1997, S. 76.
130
fluss nehmenden Verbandes nieder. 1954 wurde der Bund Deutscher Unternehmensberater (BDU) gegründet. Der BDU trug wesentlich zur Etablierung
des Begriffs „Unternehmensberatung“ im deutschsprachigen Wirtschaftsraum bei und sorgte für ein stärkeres öffentliches Bewusstsein für diese
Dienstleistungsbranche. Es entstand das Berufsbild des Unternehmensberaters.55 Allerdings waren bis zum Beginn der 1960er Jahre die Beratungsunternehmen fast ausnahmslos kleine Gesellschaften und das RKW, mittlerweile umbenannt in Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft,
dominierte weiterhin die Beratungsthemen sowie die öffentliche Wahrnehmung der Beraterbranche.56 In den Boomjahren der 1960er Jahre wuchs das
Beratungsgeschäft sprunghaft und die Internationalisierungsbestrebungen der
großen US-Beratungen sorgten dafür, dass die amerikanischen Managementansätze als Beratungskonzepte auch in deutschen Unternehmen Einzug hielten.57 Dabei nahmen die Beratungsfirmen die wichtige Position ein, die
amerikanischen Managementansätze den europäischen Gegebenheiten anzupassen und auf diese Weise wirkungsvoller zu verbreiten.58 In diese Jahre
fällt auch die Gründung der größten und erfolgreichsten deutschen Beratungsfirma Roland Berger Strategy Consultants.59 Auch der noch junge
BDU trug der internationalisierten Beratungsbranche Rechnung, indem er
sich 1960 an der Gründung des europäischen Verbandes Federation Européenne des Associations de Conseils en Organisation (FEACO) beteiligte.60
Bemerkenswert ist allerdings, dass deutsche Beratungen kaum Bestrebungen
nachgingen, ins Ausland zu expandieren.61
55
Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 151 ff. 1973 benannte sich der Verband in Bundesverband
Deutscher Unternehmensberater um und ist bis heute der bedeutendste Berufsverband der
Branche.
56
Vgl. Kipping 1997, S: 76 f.
57
Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 154; Gerybadze 1991, S. 40.
58
Vgl. Bjarnar/Kipping 1998, S. 4 f. Die Autoren identifizieren die Managementberater als
einen wesentliches Medium zur länderübergreifenden Verbreitung amerikanischer Managementpraktiken. Sie sehen diesen Transfer schon im Marshall-Plan begründet.
59
Vgl. Fink/Knoblach 2003, S. 100-107.
60
Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 154.
61
Vgl. Kipping/Sauviat 1996, S. 18. Die Gründe hierfür sehen die Autoren darin, dass auch
die deutschen Klientenunternehmen bis weit in die 1970er Jahre hinein nur wenige Internationalisierungsbestrebungen verfolgten. Weitere Gründe sind sprachliche und kulturelle
Barrieren sowie die Vorherrschaft der US-Beratungen (eda, S. 21 f.).
131
Ab den 1970er Jahren fand eine zunehmende Differenzierung auf dem Beratungsmarkt statt. Junge, hoch spezialisierte Beratungsgesellschaften etablierten sich im Markt und sorgten für eine weitere Steigerung des Marktvolumens und eine Erhöhung des Einflusses der Beratungsunternehmen.62 In
dieser Zeit expandierte das damals noch junge Beratungsunternehmen Boston Consulting Group nach Deutschland und die heute renommierte Strategieberatung Bain & Company wurde gegründet.63
In den 1980 Jahren verdichteten sich die Anzeichen einer Sedimentation. Die
Umsätze der Berater nahmen deutlich zu und die Unternehmensberatungen
dehnten ihren Einfluss in der Wirtschaft zunehmend aus.64 Diese Zeit war
gekennzeichnet durch eine zunehmende Globalisierung der Weltwirtschaft.
Ebenso veränderten sich die großen transnationalen Unternehmen und deren
Bedarfe an Wissensproduktion für die Lösung komplexer Probleme. Bereits
international aufgestellte Unternehmensberatungen konnten diese Märkte
aufgrund ihrer Erfahrung und den bestehenden internationalen Netzwerken
entsprechend bedienen.65 Vor diesem Hintergrund ließ sich auch das Erscheinen von Managementbestsellern, die zu erheblichen Teilen von Beratern verfasst wurden, erklären.66 Ab Mitte der 1980er Jahre nahm der Einfluss dieser beraterinduzierten Managementkonzepte deutlich zu. Aus Sicht
neo-institutionalistischer Ansätze bedienten Managementmoden die von
außen an das Management herangetragenen Rationalitäts- und Effizienzerwartungen. „It is not so much the validity or proven effectiveness of ideas or
techniques, but that they are seen to be plausible because they capture the
‘spirit of the times’.“67 International tätige Unternehmensberatungen konnten sich so in den 80er Jahren schon einen Reputationsvorsprung verschaffen.68
62
Vgl. Heuermann/Herrmann 2003, S. 29.
63
Vgl. Fink/Knoblach 2003, S. 98, 125.
64
Vgl. Ernst/Kieser 2002, S. 56; Faust 2000, S. 63, 75.
65
Vgl. Faust 2000, S. 76.
66
Das erste und weltweit erfolgreiche Werk dieser Art erschien 1982: In Search of Excellence der McKinsey-Berater Peters/Waterman (1982).
67
Sturdy 1997, S. 400.
68
Vgl. Faust 2000, S. 76.
132
3.4 Sedimentation von Unternehmensberatung
Die Sedimentation, d.h. die vollständige Institutionalisierung und Legitimation der Managementberatung wurde Ende der 1980er Jahre erreicht. Diese
These lässt sich mit Hilfe unterschiedlicher Indikatoren untermauern.
Seit dieser Zeit beschleunigte sich das Wachstum des Beratungsmarktes in
beispielloser Weise.69 In den Jahren zwischen 1990 und 1995 wuchs der
weltweite Beratungsmarkt durchschnittlich um 7,8 Prozent von 35 auf 51
Mrd. Euro, zwischen 1995 und 2000 beschleunigte sich dann das Wachstum
auf durchschnittlich 17,5 Prozent und ein Marktvolumen von 114 Mrd. Euro
im Jahr 2000.70 Zwischen 1980 und 1997 erhöhte sich die Zahl der Beratungsunternehmen, die mehr als 1000 Berater beschäftigten, von unter fünf
auf über dreißig.71 In den späten 1990er Jahren traten bis zu 40 Prozent der
Absolventen von US-Eliteuniversitäten eine Anstellung in einer Managementberatung an.72 Auch in Deutschland wuchs der Beratungsmarkt von
4,5 Mrd. Euro 1990 auf 7,2 Mrd. Euro 1995. Bis zum Jahr 2000 beschleunigte sich das Wachstum nochmals auf ein Marktvolumen von 12,2 Mrd.
Euro.73 Und auch in Deutschland wuchs die Attraktivität der Beratungsunternehmen als Arbeitgeber für Universitätsabsolventen. Mitte der 1990er
Jahre führten die Beratungsgesellschaften McKinsey & Company, Boston
Consulting Group und Andersen Consulting regelmäßig die Rangliste der
Wunscharbeitgeber an.74 Das Wachstum des Beratungsmarktes und die
wirtschaftliche Bedeutung der Unternehmensberater nahmen in den 1990er
Jahre in einem Ausmaß zu, dass Ernst und Kieser von einer „Beratungsexplosion“75 sprachen. Beratung war zur Selbstverständlichkeit geworden, es
gab fast kein Unternehmen, das nicht auf externe Ratgeber zurückgriff. „Sich
professionellen Helfern oder Wissensexperten anzuvertrauen, gilt heute als
Hinweis auf einen instrumentell rationalen und ‘vernünftigen’ Umgang mit
69
Vgl. Fincham/Clark 2002, S. 3.
70
Vgl. Schwenker 2004, S. 68.
71
Vgl. Canbäck 1998, S. 4.
72
Vgl. Ruef 2002, S. 79.
73
Vgl. BDU 2003, S. 4.
74
Vgl. Sperling/Ittermann 1998, S. 54.
75
Ernst/Kieser 2002, S. 56.
133
eigenen Ressourcen, Interessen und Zielen.“76 Evident wird der taken-forgranted-Status auch an der Gegebenheit, dass kein Unternehmen – anders als
bspw. bei Wirtschaftsprüfern – gezwungen ist, Managementberater in Anspruch zu nehmen; es geschieht freiwillig.77
Die Anerkennung der Institution Unternehmensberatung war aber nicht auf
einen engen Kreis von Insidern begrenzt. Auch in der Öffentlichkeit existierte ein Bild über die Branche der „Propheten der Effizienz“.78 Unternehmensberater wurden als „neue Elite“79 gefeiert und es wurde von einer „von
Beratungsgesellschaften beratene Gesellschaft“80 gesprochen. Dabei war das
Bild der Berater in der Öffentlichkeit durchaus ambivalent. Zwar galten
Unternehmensberater gemeinhin als überaus qualifiziert und effizient, aber
genauso wurde ihnen unterstellt, ein kompromissloses Profitdenken zu fördern und Arbeitsplätze zu vernichten.81 Ganz besonders die großen, einflussreichen Beratungen standen dabei nicht nur stellvertretend für ihre Branche,
sondern für die Auswüchse des modernen Wirtschaftslebens. So bezeichnete
Kurbjuweit bspw. die „Diktatur der Ökonomie“ in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben als „McKinsey-Gesellschaft“.82 Auch das Theaterstück „McKinsey kommt“83 von Hochhuth bediente sich des Namens der
weltweit erfolgreichen Managementberatung, um das in der Öffentlichkeit
herrschende Bild der Berater zum Zwecke der Systemkritik zu benutzen.
Allerdings konnte auch dieses teilweise kritische Bild von Unternehmensberatung nicht darüber hinweg täuschen, dass sich Berater einer großen
Glaubwürdigkeit erfreuten, die der Wissenschaft in vielen Bereichen den
Rang ablief. In Wirtschaftsmagazinen wurden bevorzugt Berater befragt und
76
Eiben/Krekel/Saurwein 1996, S. 224.
77
Vgl. Wooldridge 1997, S. 3 f.
78
Kurbjuweit 1996.
79
Deutschmann 1994.
80
Nicolai 2000, S. 228.
81
Vgl. Heuermann/Herrmann 2003, S. 417 ff.; Sperling/Ittermann, S. 48.
82
Kurbjuweit 2003.
83
Hochhuth 2003.
134
die Politik vergab Aufträge zur Anfertigung von Studien ebenfalls an Unternehmensberatungen.84
Das Phänomen Unternehmensberatung war aber nicht nur Konkurrenz der
Wissenschaft, sondern hat auch als Forschungsobjekt Einzug gehalten. Im
deutschsprachigen Raum nahmen die wissenschaftlichen Veröffentlichungen
zum Thema Unternehmensberatung in den 1980er Jahren zu.85 Ab 1990 ist
ein sprunghafter Anstieg der Veröffentlichungen zu beobachten, der zwar
zyklisch verläuft, jedoch einem klaren Wachstumstrend folgte.86 Dabei
reicht das Spektrum der Veröffentlichungen von praxisorientierten Artikeln,
die kaum einen wissenschaftlichen Abstraktionsgrad besitzen, bis hin zu
qualifizierten Arbeiten, die ein fundiertes Aussagesystem und ein hohes
Abstraktionsniveau aufweisen.87 Neben der Forschung haben die Universitäten auch in der Lehre reagiert und bieten entsprechend fokussierte Studiengänge an. So nahm bspw. die Universität Halle-Wittenberg 2002 den Lehrbetrieb für das Studienfach „beratungsorientierte Betriebswirtschaftslehre/
Consulting“ auf und an der Universität Oldenburg wurde 2004 die Juniorprofessur „Business Consulting“ besetzt.
4 Bedeutung des Institutionen-Status für die
Unternehmensberatung
Mit der Institutionalisierung hat sich die Managementberatung als Lieferant
wissensintensiver Dienstleistungen in der Wirtschaft etabliert. Dies betrifft
allerdings nicht jedes Beratungsunternehmen. Insbesondere kleine Beratungen, die von der Anzahl her den Großteil des Beratungsmarktes ausmachen,
können nicht in gleicher Weise am Markt partizipieren. Eine überschaubare
Zahl großer Beratungen teilt den Markt unter sich auf.88 Der Reputationsvorsprung dieser fokalen Organisationen ist für kleine Unternehmen kaum auf-
84
Vgl. Kieser 2002b, S. 2 ff.
85
Vgl. Steyrer 1991, S. 3.
86
Vgl. Mohe 2004, S. 694. Bei Mohe findet sich auch eine tabellarische Aufstellung der
Beiträge zur deutschsprachigen empirischen Beratungsforschung der Jahre 1991 bis 2003.
87
Vgl. Steyrer 1991, S. 4.
88
Vgl. BDU 2005, S. 8; Sperling/Ittermann 1998, S. 21ff.
135
zuholen. Dies trifft in besonderem Maße auf die internationalen Erfahrungen
der großen Managementberatungen zu.89 Aufgrund ihrer eigenen Institutionalisierung hat die Managementberatung einen Legitimitätsstatus erreicht,
der sich nun auch übertragen lässt. Managementberatung ist zu einer der
wichtigsten Legitimationsquellen für das Management geworden. Dabei geht
es nicht mehr nur um die Bearbeitung organisaionaler Probleme: “Consulting
is employed not only to elaborate and solve problems, but also to legitimize
corporate chance among shareholders and the public [...].”90 Die Berater
beglaubigen auf diese Weise die an Manager herangetragenen Rationalitätserwartungen.91 Noch kritischer wird der Einfluss der Berater in der
Soziologie gesehen. So konstatiert Deutschmann: „Die ‚Reflexionselite’, so
hat es den Anschein, predigt nicht länger nur in den produktionsfernen Sphären der Universität, der Schulen, der Medien, sie hat sich mitten in der Produktionssphäre selbst eingenistet und übt dort eine durchdringende Herrschaft über die Symbolwelt aus“.92 Diese These wird begründet mit dem
Einfluss der Berater auf die Wirtschaftssprache, das Selbstbild und die
Selbstdarstellung der Mehrzahl von Unternehmen.93
Die institutionalisierte Stellung bedeutet aber nicht, dass es für Unternehmensberatung eine Erfolgsgarantie gibt. Angesichts der zunehmenden kritischen Meldungen über Unternehmensberatung wird von einer Krise gesprochen, in der sich die Beratungsbranche seit Mitte 2001 befinde.94 Tatsächlich
geraten immer mehr gescheiterte Beratungsprojekte an die Öffentlichkeit
und die Kritik an den Beratern hat sich verschärft.
5 Schlussbemerkung
In diesem Beitrag konnte gezeigt werden, dass aus wissenschaftlicher Sicht
berechtigt von einer Institution Managementberatung gesprochen werden
89
Vgl. Faust 2000, S. 76.
90
Glückler/Armbrüster 2003, S. 285.
91
Vgl. Faust 1998, S. 166.
92
Deutschmann 1993, S. 61.
93
Vgl. Deutschmann 1993.
94
Vgl. Kipping 2002b, S. 269.
136
kann. Die fundamentalen Entwicklungsschritte begannen mit den Gesetzesänderungen des Glass-Steagall Acts im Jahre 1933, aus denen die heutige
Managementberatung hervorgegangen ist.95 In den 1960er Jahren förderte
daraufhin insbesondere die Internationalisierung der großen amerikanischen
Beratungsunternehmen auch in Deutschland die Etablierung dieser Branche.
Einige Autoren sehen darin sogar den konstituierenden Faktor für den deutschen Beratungsmarkt.96 Die Unternehmensberatung in ihrer heutigen Ausprägung besitzt aufgrund ihrer Institutionalisierung ein Legitimationskapital,
aus dem sie ihren wirtschaftlichen Erfolg generieren kann. Inwieweit die
zunehmende Kritik der letzten Jahre die Institution angreift und möglicherweise eine De-Institutionalisierung97 einleiten kann, bleibt dabei allerdings noch abzuwarten. In jedem Fall aber ist die Institutionalisierung von
Unternehmensberatung weiterhin ein aktuelles Thema, auch wenn die Fragen
in Zukunft in Richtung eines strategischen Managements des institutionellen
Kontextes bzw. die Rahmenbedingungen eines institutionellen Wandels
gehen sollten.
95
Vgl. McKenna 1995; McKenna/Djelic/Ainamo 2003, S. 100.
96
Vgl. Gerybadze 1991, S. 40; Kipping 1996.
97
Vgl. Oliver 1992.
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Herbert Schulze/Peter Wengelowski
Transkulturelle Kompetenz – eine akteursorientierte
Perspektive
1 Globales und Interkulturelles Management
Die Globalisierung von Unternehmensaktivitäten kann aus verschiedenen
Perspektiven gesehen werden. Im Rahmen wettbewerbspolitischer internationaler Herausforderungen kann sie als Mittel dienen, um übergeordnete
Unternehmensziele zu erreichen. Das internationale Handeln von Unternehmen kann aber auch selbst zum Leitmotiv werden. Im ersten Fall bedeutet
dies eine überwiegend reaktive Handlungsweise. Unternehmen müssen, um
überlebensfähig zu bleiben, zwangsläufig den Weg einer Internationalisierung beschreiten. Im zweiten Fall liegt eine proaktive Unternehmenssteuerung vor, die nicht vorrangig aufgrund des Drucks der Unternehmensumwelt
zustande kommt, sondern den Teil einer umfassenden Unternehmensstrategie darstellt. Daraus ergeben sich sehr häufig auch unterschiedliche Handlungsabsichten einer grenzüberschreitenden Unternehmenspolitik.
Das Kernproblem besteht für Unternehmen darin, unter den Bedingungen
der Globalisierung eine Internationalisierungskompetenz aufzubauen. Neben
dem quantitativen Wachstum als Reaktion oder Antizipation von strategischen Allianzen, Mergers & Acquisitions, Joint Ventures u. ä. geht es für
Unternehmen darum, Fähigkeiten zu entwickeln, um auf den globalen Märkten zu bestehen.
Zur international komplexeren Bewältigung der Unternehmens-UmweltBeziehungen eröffnen sich unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten. Tendenziell können dem ersten Fall Kostenstrategien zugeordnet werden, d.h. es
wird nur so viel unternehmerisches Handeln finanziert, wie es nicht zu umgehen ist, meist aber zu wenig. Im zweiten Fall können sich sehr unterschiedliche Gestaltungsbereiche ergeben, schwerpunktmäßig in den Katego-
144
rien Struktur, Prozesse, Strategien, Macht, Politik. Kultur wird in diesem
Zusammenhang häufig nicht als ein Aktionsfeld angenommen. Dies lässt
vielfältige Schlüsse zu. Kultur wird anscheinend in der überwiegenden Zahl
der Fälle als nicht handlungsrelevant und nicht erfolgswirksam in internationalen Wirtschaftsbeziehungen angenommen, da von einer weltweiten Gültigkeit und Kulturunabhängigkeit der Managementkonzepte und -techniken
ausgegangen wird. Danach gibt es keine Kulturrelevanz im Hinblick auf
Managementhandeln. Darüber hinaus wird Kultur als eine Metapher für
Wahrnehmung interpretiert, die aber nicht in gleicher Weise gestaltbar und
beeinflussbar ist wie Struktur und Strategie.
1.1 Internationalisierung als strategisches Entscheidungsproblem
Unabhängig von den jeweiligen klassifizierten Verhaltensmustern von Unternehmen gibt es in der praxisrelevanten Wirklichkeit nie wirklich die reine
Trennung in reaktive oder proaktive Vorgehensweisen, sondern ein Mixed
an sehr unterschiedlichen Vorgehensweisen, die in sich nicht stets geschlossen und konsistent sind. Bei der Analyse von potenziellen strategischen Entscheidungs- und Handlungsfeldern im Internationalisierungsprozess kann als
Systematisierungshilfe auf das inzwischen bekannt gewordene „7S-Modell“,
wie es von Peters/Waterman in die Diskussion über Erfolgsfaktoren für Unternehmen eingeführt wurde, zurückgegriffen werden, mit dem alle wichtigen Aspekte von Organisationen betrachtet werden können und die unter
Verweis auf eine als notwendig erachtete Internationalisierungskompetenz
von Unternehmen ihre besondere Bedeutung erhalten.
Dabei können „subordinate Goals“, die einen wesentlichen Teil dieses Modells ausmachen, als handlungsleitende Werte eines Unternehmens eine
besondere Bedeutung erhalten. Diese spiegeln sich in den jeweiligen Ansprüchen unternehmensspezifisch wider. Unter Bezug auf die eingangs gemachte Unterscheidung zwischen reaktivem und proaktivem Vorgehen stellt
sich die Frage, ob im Rahmen einer Internationalisierung Unternehmen sich
an einem handlungsleitenden Wert orientieren, z.B. in der Auffassung über
den Umgang mit Menschen, Technik und Qualität von Gütern und Dienstleistungen.
Bei reaktiv orientierten Unternehmen werden wahrscheinlich nur Spurenelemente von diesen Überlegungen in der Unternehmenspolitik zu finden
sein, vom Ziel des Aufbaus einer Internationalisierungskompetenz wird man
bei dieser Anpassungsorientierung weit entfernt sein. Die vorrangige Absicht
145
liegt eher in der Praktizierung eines funktionierenden Ausgleichsmechanismus, wenngleich auch in dieser Form von Unternehmenspolitik selektiv
Strategiebereiche angesiedelt und entwickelt sein können.
Zur Sicherstellung der Unternehmensziele können eine Vielzahl unterschiedlichster Indikatoren herangezogen werden.1 Dazu gehören mehr oder
weniger Konzepte strategischer Orientierung, d.h. Bearbeitung z.B. ausgewählter Auslandsmärkte bis hin zu einer Ausrichtung am Weltmarkt, wie
•
unterschiedliche quantitative Wachstum bzw. auch Desinvestitionsstrategien;
•
Funktionsstrategien, insbesondere Preis- und Kostenstrategien, die
für sich reaktiv verhaltende Unternehmen letztendlich häufig die
praktikabelste Form als Reaktion darstellen, auch wenn dies nicht
unbedingt der Vorstellung von einer Strategie standhält;
•
Strukturbildung, Reorganisation, Reengineering, Schaffung technischer Kommunikationsstrukturen auf internationaler Ebene. Bereiche also, die der unmittelbaren Gestaltung zugänglich sind.
Zur Strukturbildung müssen nicht zwangsläufig nur organisatorische Überlegungen gezählt werden. Ebenso gehören hierzu auch Vorstellungen, die im
Rahmen des internationalen Personalmanagements eine größere Bedeutung
bekommen werden. Dies trifft in einem besonderen Maße auf die Gestaltung
von Anreizsystemen zu. Wenn diese verhaltensbeeinflussend wirken sollen,
müssen sie auch international gesehen der Bedürfnisstruktur ihrer Adressaten
entsprechen. Dazu bedarf es grundsätzlich gut aufbereiteter Informationen,
die sich in einem aussagefähigen Steuerungs- und Berichtswesen niederschlagen. Auch hier gilt es herauszufinden, inwieweit dieses Informationssystem positiv den Internationalisierungsprozess fördert oder ob eine Neigung zur Geheimniskrämerei entwickelt wird. So ist es gerade im Rahmen
der Diskussion um lernfähige Unternehmen nicht unwichtig, wie transparent
im Unternehmen informiert wird und ob dies auch international kulturadäquat im Hinblick auf die betreffenden Länder geschieht.
1
Vgl. Rothlauf 1999, S. 4.
146
1.2 Kultur und Personal
Unternehmen sind häufig nur bedingt in der Lage, ihr quantitatives Wachstum durch ein entsprechendes qualitatives Wachstum zu unterstützen. Bei
Akzeptanz der notwendigen Entwicklung kann dies zeitversetzt geschehen.
Im anderen Fall wird es gar nicht oder zu häufig unangemessenen Reaktionen kommen. Um die Handlungs- und Problemlösefähigkeit von Unternehmen dem jeweiligen Handlungskontext anzupassen, um Handlungslücken zu
vermeiden, müssen unterstützende Potenziale aufgebaut werden. Dazu gehören ohne Zweifel verschiedene Kultursysteme wie Landeskulturen, Unternehmenskulturen, aber auch Berufs-, Branchen- und Gruppenkulturen. Häufig steht dabei die Unternehmenskultur im Blickpunkt des Interesses. Hier
stellt sich die Frage nach der Tragfähigkeit einzelner Kulturansätze für ein
Unternehmen, das sich international ausrichtet und dies auch als Leitmotiv
versteht.
Da Internationalisierungsprozesse heute sehr vielfältige Ausprägungsformen
haben, angefangen vom klassischen Handlungsfeld der Marktstrategien, z.B.
Import-/Exportbeziehungen, über M&A bis hin zur Zusammenarbeit in internationalen Teams, kann sich die Betrachtung der Internationalisierungsfähigkeit von Unternehmen als Ganzes und Mitarbeitern nicht allein mehr auf
den Personenkreis konzentrieren, der grenzüberschreitende Tätigkeiten ausübt. Das internationale Umfeld stellt deutlich höhere Ansprüche an das Unternehmen. Diese Risiken können nicht auf den Mitarbeiter abgewälzt werden. Analytisch heißt das zunächst, diejenigen Mitarbeiter zu identifizieren,
die bislang den Internationalisierungsprozess getragen haben. Davon ausgehend muss für die möglichen internationalen Schlüsselsituationen ein Gesamtentwicklungs- und Förderungskonzept gefunden werden, das der Leitidee eines sich international verstehenden Unternehmens gerecht wird. Dies
betrifft vor allem Potenzialförder- und Weiterbildungsprogramme, Konzepte
zur internationalen Nachwuchsförderung, aber auch Mobilitätsprogramme
für potenzielle In- und Expatriates und gewichtigere Beachtung des Stellenwertes der Auslandserfahrung bei Reintegrationsmaßnahmen.
Aber auch das Unternehmen muss sich wandeln. Prozesse, Strukturen und
Kommunikationswege dürfen ein internationales Handeln nicht behindern,
sondern müssen diese Ausrichtung durch Organisationsentwicklung fördern
und stabilisieren.
Skills, allgemein umschrieben mit einer internationalen Handlungskompetenz, stellen zusammen mit der Kulturperspektive und dem Human Resource
147
Management den Kern für eine ressourcenorientierte Globalisierungsstrategie dar. Die Notwendigkeit der Verknüpfung dieser Bereiche zeigt sich insbesondere vor dem Hintergrund häufig stattfindender internationaler Zusammenarbeit. Viele Unternehmen leben nach wie vor aber in einer Art Monokulturismus, den sie selbst durch ihre Personalpolitik ständig reproduzieren. Auch die zunehmende Einstellung von ausländischen Mitarbeitern in
höheren und gehobenen Positionen bedeutet nicht einen Wechsel dieser
Politik. Häufig führt dieser Personenkreis dann im Stammhaus eher ein Exotendasein. Wenn von Integration gesprochen wird, dann ist häufig die Integration im Sinne von Anpassung, d.h. Integration durch Vereinheitlichung
gemeint. Konzepte wie das Managing Diversity, die auf Synergiepotenziale
und Nutzung der kulturellen Unterschiedlichkeit von Mitarbeitern abstellt in
Form des Cultural diversity, sind kaum anzutreffen oder werden nicht systematisch umgesetzt. In vielen Unternehmen fehlt im Bezug auf international
wirtschaftlich-unternehmerisches Handeln das Bewusstsein für den Einfluss
von Kulturen auf die Ökonomie. Länder werden in erster Linie als Märkte
gesehen und Mitarbeiter sind nach wie vor in vielen Unternehmen erst einmal Produktionsfaktoren. Was die Nutzung möglicher Potenziale von Skills
angeht, führt dies zwangsläufig zu entsprechenden Redundanzen in den
Sichtweisen. Damit einher geht nach wie vor das Denken der Unternehmensführung: Ausland gleich Inland und Handlungskompetenz gleich Fachkompetenz, die im Einzelfall um die Beherrschung der jeweiligen Landessprache zu ergänzen ist. Dieser Monokulturismus wird dann noch stabilisiert
durch ein klassisch praktiziertes Personalmanagement mit seinen entsprechenden Instrumenten wie Beförderungs- und Beurteilungsrichtlinien, Laufbahnplanung usw.. Die meisten Unternehmen lassen trotz gegenteiliger Beteuerungen tatsächlich kulturelle Vielfalt und Divergenzen selten zu. Im
Gegenteil: Vielfalt wird häufig als Bedrohung empfunden und es wird darauf
mit Ignoranz und Verneinung reagiert, sofern dies überhaupt ernsthaft als ein
brauchbares Handlungsmuster zu bezeichnen ist. Wenn Kultur, dann wird
diese eher im absolut Fremden vermutet. Dies zeigen Untersuchungen, in
denen in einem sehr hohen Maße die Notwendigkeit einer interkulturellen
Kompetenz von Fach- und Führungskräften gefordert wird, die in arabischen
und asiatischen Wirtschaftsräumen tätig sind. Ansonsten wird sehr stark
vereinfachend zwischen den großen Industrienationen eine Ähnlichkeitsannahme unterstellt. Die Vorstellung lässt sich sehr anschaulich insbesondere
am Beispiel der fortschreitenden europäischen Integration nachvollziehen.
148
In diesem Zusammenhang besagt die sog. Kultur-Distanz-Hypothese, dass
die Wahrscheinlichkeit von Kulturkonflikten mit zunehmender kultureller
Distanz steigt. Dabei ist aber entscheidend, wie mit der Andersartigkeit und
Fremdheit umgegangen wird. Modelle und Vorstellungen, wie sie sich in
Überlegungen zum sog. Euro-Manager oder gar Global Manager manifestieren, veranschaulichen das Spektrum an Möglichkeiten. Die Homogenität von
kulturellen Rahmenbedingungen, wie sie weitgehend im Konzept des Universalismus postuliert wird, geht von einer entsprechenden Ähnlichkeitsannahme zwischen den Kulturen aus, während der Kulturrelativismus das besondere Eingehen auf die jeweils andere bzw. andere Kulturen im Blickpunkt des Interesses stellt. Die Ausbildung der kulturellen Relevanz auf
Entscheidungen und Verhalten von Unternehmen lässt sich dann damit erklären, dass der Führungsgegenstand, Mensch oder Betrieb, so zu gestalten ist,
dass er führ bar wird.
Management wird dabei als ein Steuern von Objekten und Sachverhalten
betrachtet, die außerhalb der eigenen Person liegen. Diese bleibt unberührt,
sie muss sich nicht ändern oder anpassen. In diesem eigenschaftsorientierten
Ansatz geht es darum, die Außenwelt zu verändern, ohne sich selbst verändern zu müssen und ohne Teil von ihr zu sein. Weiterbildungsaktivitäten
spiegeln sich dann vor allem in Vermittlung von Methodenwissen wider,
z.B. Wissen, wie etwas gemacht werden kann. Kultur, sofern sie in ihrer
Wirkung wahrgenommen wird, unterliegt dann den Nutzungs- und Instrumentalisierungsabsichten. Es geht aber nicht um das Verstehen Wollen,
sondern um die Reflexion gemachter Erfahrungen. Diese Art der Vernachlässigung realer Bedingungen des konkreten unternehmensbezogenen Handelns transzendiert jede Herkunftskultur und setzt das Individuum nur noch
ins Verhältnis zur Welt. Ähnliche, teilweise von der Realität abstrahierende
Konzepte finden sich in den weitverbreiteten Überlegungen zum one-world
manager oder konkreter bezogen auf den so genannten Euro-Manager. Die
Konvergenzvorstellungen, die diesen Überlegungen implizit sind, vermitteln
aber nur einen Teil von Managementhandeln. Das Bild des offensichtlich
wunderbar handlungsfähigen Managers weist augenfällige Defizite auf, die
in der Unternehmenspraxis „erfolgreich“ kaschiert werden. So wird bei misslungenen Auslandseinsätzen häufig auf die angeblich fachliche Inkompetenz
der ausländischen Verhandlungspartner oder Mitarbeiter verwiesen. Weitere
Gründe werden häufig in der mangelnden Bereitschaft von Familienangehörigen gesehen, den Auslandsaufenthalt auf längere Sicht mit zu
tragen.
149
Wenn aber die Kultur eines Landes zu Unterschieden in managementrelevanten Handlungsfeldern führt, so dürfen Unternehmen in ihren Entscheidungen und ihrem Verhalten landeskulturelle Aspekte keineswegs ausblenden. Der Unternehmenserfolg hängt dann doch sehr stark von der Stimmigkeit zwischen Unternehmensstrategien, -strukturen, -prozessen, -kultur und
der Landeskultur ab. Dies insbesondere deshalb, weil unterschiedliche Landeskulturen differenzierte und dabei relativ veränderungsresistente Muster
von Gedanken, Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen hervorbringen.
Damit sind nicht nur Konflikte vorprogrammiert, sondern das kulturelle
Kapital und Ausstattung eines Landes bzw. das eines ausländischen Partnerunternehmens wird nicht in seiner Bedeutung als kulturelle Ressource erkannt und entsprechend in die Unternehmenspolitik integriert und nutzbar
gemacht.
Gleichzeitig darf man aber nicht der Naivität unterliegen, jedes konkrete
Verhalten von Menschen auf kulturelle Faktoren zurückführen zu wollen,
wenn das tatsächlich gezeigte Verhalten nicht durch landeskulturelle Prägung beeinflusst ist, sondern durch z.B. persönliche Einstellungsmuster gesteuert wird, die eben nicht landestypisch sind. Dies hieße einem kulturellen
Determinismus das Wort zu reden, was nicht ernsthaft vertreten werden kann
aufgrund der vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen den Kulturebenen
und den anderen Einflussfaktoren.
2 Struktur, Strategie und Systeme
Zweifelsohne gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die zu einer Internationalisierungsentscheidung führen können, die spontane, „aus dem Bauch
heraus“ oder auch die geplante, durchdachte Form. Strategisches Verhalten
basiert auf einem zielorientierten Vorgehen, das vor allem durch Planung,
Analyse, Entscheidung und Kontrolle gekennzeichnet ist. Am Ende dieses
strategischen Managementprozesses stehen von den Unternehmenszielen
abgeleitete Maßnahmen, die zur Erhaltung und Prosperität des Unternehmens dienen sollen.
150
2.1 Unternehmensform in der Internationalisierung
Im Zusammenhang mit der Internationalisierungsentscheidung stellt die
Markteintrittsform eine strategische Wahl dar. Basierend auf der Gesamtstrategie und abgestimmt auf die operativen Möglichkeiten des Unternehmens wird versucht, die passende Internationalisierungsform zu finden. Dabei stehen den Unternehmen Formen des Exports, der Lizenzvergabe, Kooperationen und Direktinvestitionen zur Auswahl. Die Unterschiede liegen
z.B. in der Kapitalintensität des Auslandsgeschäftes oder der Wertschöpfungsintensität des Unternehmens im Ausland.
Es ist aber zu beobachten, dass die Internationalisierung von Unternehmen
dabei einen stufenartigen Verlauf nimmt und die Internationalisierung als
selbst verstärkender Prozess aufgrund von Erfahrungen sich intensiviert.
Internationalisierung
•
Erschließung neuer
Märkte
•
Intensivierung des
Auslandsengage-
Umsatzwachstum
Abb. 1
Umsatzwachstum
Verbesserung der Erlösund Gewinnsituation
Internationalisierung als ein sich verstärkender Prozess.
Quelle: In Anlehnung an Müller/Kornmeier 2002.
Im Sinne eines modelltypischen Internationalisierungsprozesses wäre dann
mit folgender Abfolge von Markteintrittsstrategien zu rechnen:
151
−
Indirekter Export
−
Direkter Export
−
Kooperative Arrangements (Lizenz, Vertragsproduktion, Joint Venture)
−
Direktinvestitionen
In Abhängigkeit zu den bearbeiteten Märkten (sicher/unsicher), den Unternehmensressourcen (Kapital, Know-how und Personal) und den persönlichen
Erfahrungen der Entscheidungsträger wird von diesem Modell in der Praxis
oft abgewichen. Insofern sind eindeutige Aussagen über den optimalen Internationalisierungsprozess nur unter der Maßgabe der vorhandenen Anforderungen eines Unternehmens und dessen Entscheidungsträger zu treffen.
Auch die Internationalisierungsentscheidung gestaltet sich demnach nicht
nach rationalen Kriterien, sondern beinhaltet sowohl systematische Planung,
persönliche Erfahrungen und Interessen als auch die wahrgenommen Rahmenbedingen in der Entscheidungssituation.
Eine weitere Internationalisierungsentscheidung ist als strategisch anzusehen, die der Standortwahl von Tochterunternehmen. Dabei ist die Standortentscheidung von hoher Bedeutung und von oft langfristiger Wirkung für das
jeweilige Unternehmen.
Aus strategischer Sicht kann es sich um die Bearbeitung von Beschaffungs-,
Produktions-, und/oder Distributionsmärkten handeln. Vor allem im Zusammenhang mit der Frage der Produktionsfaktoren werden monetäre Größen,
wie Lohn- und Lohnzusatzkosten diskutiert und eine Verlagerung der Produktion ins Ausland ins Auge gefasst. Empirische Untersuchungen zeigen
aber, dass eine derartig einseitige Betrachtung zu Problemen führen kann, da
z.B. Fragen der Performance, also qualitative Anforderungen nicht erfasst
und bedacht werden.
Im Klartext heißt das für die Unternehmen, dass sie z.T. nicht über wesentliche Faktoren wie erreichbare Produktivität, Aufbau- und Verlagerungskosten, Technologieanpassungskosten, organisatorische Umstellungen und Qualifikation sowie Remanenzkosten (nicht abbaubare Fix- und Gemeinkosten
am "alten" Standort) nachdenken.
In Abhängigkeit mit der Standortwahl sind aber noch andere Strategien verknüpft. So die strategische Ausrichtung zwischen lokal und global als auch
die Frage der Marktbearbeitung durch Standardisierung oder Individualisierung. Sollen nun länderspezifische Gegebenheiten berücksichtigt werden
152
oder ermöglichen die Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens
eine globale, meist standardisierte Marktbearbeitung.
Coca-Cola versuchte bis in die 90er Jahre ihr Image als globale Firma und
Marke zu entwickeln und richtete darauf ihre Strategie aus. Im Sinne einer
sehr geringen lokalen Berücksichtigung und einer hohen globalen Präsenz
durch die Zentralisierung der Entscheidungen und der Standardisierung der
operativen Tätigkeiten. Coca-Cola koppelte sich somit zunehmend von den
veränderten Anforderungen ab. Sie entwickelten sich global, obwohl sie
lokal hätten operieren müssen.2
Seit dem Jahr 2000 haben sie mit dieser strategischen Ausrichtung erhebliche Probleme bekommen, da sie den Marktanforderungen in Form der Berücksichtigung regionaler Unterschiede nicht gerecht werden konnten und
wollten. Vor allem die kulturellen Unterschiede zwischen Europa, Asien und
USA zeigten auch unterschiedliche Verbrauchsgewohnheiten. Globalisierungseffekte vollständig auszuschöpfen, wäre nur möglich, wenn sich die
Bedürfnisse nach Produkten und Dienstleistungen so angleichen, dass eine
weltweit einheitliche Vorstellung vorhanden wäre. Das Gegenteil ist aber der
Fall. Universelle Vorstellungen von Produkten und Dienstleistungen (z.B.
das globale Automobil) haben sich nicht gegen regionale Bedürfnisse und
Wünsche durchsetzen können. Insofern müssen erhebliche Unterschiede in
der Bedürfnisbefriedigung und Marktbearbeitung durch die Unternehmensstrategie Berücksichtigung finden.3
Expansionsmöglichkeiten für Coca-Cola zeichneten sich nur damit ab, wenn
sie auf die lokalen Besonderheiten Rücksicht nehmen würden. Die globale
Strategie stand am Ende der Wachstumsmöglichkeiten. Die dadurch notwendig gewordene Strategieerneuerung zielt nun aber auf lokale Besonderheiten
("think local, act local") ab. Bestandteile dieser rationalisierten Strategie
sind: Entscheidungen werden jetzt stärker auf der lokalen Managementebene
getroffen, die Zentrale beschränkt sich auf die Entwicklung des Markenmarketings und überlässt den lokalen Unternehmen die notwendige differenzierte Umsetzung, zudem engagiert sich Coca-Cola immer stärker im Bereich der lokalen bzw. regionalen Wohlfahrt. Marktwachstum zielt nunmehr
2
Vgl. Daft 2000, S. 336.
3
Vgl. Rugman/Hodgetts 2001, S. 334.
153
nicht mehr auf einen einheitlichen globalen, sondern auf unterschiedliche
regionale Märkte.
Die Sartorius AG fertigte in den 90er Jahren noch Elektronikteile in
Deutschland. Zunehmend wurden aber Elektronikteile guter Qualität aus
Billigländern importiert. In einem Preiswettbewerb sollten diese Low-costVorteile von jedem Unternehmen genutzt werden. Standortverlagerung galt
als das Schlüsselwort der Globalisierung. Auch die Sartorius AG hatte diesen
strategischen Schritt in Erwägung gezogen. Sie merkte aber schnell, dass die
asiatischen Partner zwar kostengünstig Elektronikteile herstellen konnten,
aber nicht über das Know-how des deutschen Standorts und deren Fähigkeiten der Reproduktion und Entwicklung verfügten.4 Von der anfänglichen
Verlagerungsstrategie wurde abgerückt und die Technologiedifferenzierungsstrategie als neue Ausrichtung entwickelt. Dieses bedeutet eine Arbeitsteilung zwischen Asien und Deutschland, indem die lohnintensiven
standardisierbaren Arbeiten in Asien und die aus innovativen Know-how
basierenden Tätigkeiten weiterhin in Göttingen umgesetzt wurden.
Diese Beispiele zeigen die Wichtigkeit einer strategischen Ausrichtung und
deren notwendigen Überprüfung auf ihre Richtigkeit bzw. Erfolgswirksamkeit. Es wird aber auch deutlich, dass eine strategische Ausrichtung eines
Unternehmens als Prozess angesehen und wahrgenommen werden muss.
Geschieht dieses nicht, erscheint die Wahl einer Strategie als einmalige,
möglicherweise nicht revidierbare Entscheidung. Dann ergeben sich zumindest bei Veränderungen der Marktgegebenheiten erhebliche Probleme. Der
strategische Prozess gestaltet sich durch Rückkopplungen und stetige Zielüberprüfung, damit frühzeitig Entwicklungen im Unternehmensumfeld
wahrgenommen und durch entsprechende Maßnahmen darauf reagiert werden kann. International ausgerichtete Unternehmen können nur durch die
Ausnutzung unterschiedlicher Potenziale Strategien entwickeln. Gerade die
Ausnutzung der physischen und psychischen Unterschiede in der Welt lassen
die Leistungsfähigkeit von Unternehmen wachsen. Die Unternehmensbeispiele zeigen, dass integrative Strategien Wissen, Personal und Technik
sinnvoll miteinander verbinden.
4
Vgl. Kinkel/ Jung-Erceg/ Buhmann 2002, S. 11.
154
Insgesamt handelt es sich bei der Auswahl einer Internationalisierungsstrategie um eine komplexe, schwer zu strukturierende, kontinuierliche und auf
Kommunikation basierende Entscheidung (Welge 1998).
2.2 Auswirkungen auf die Organisationsstruktur
Internationalisierungsentscheidungen haben auch immer Auswirkungen auf
die jeweilige Unternehmensstruktur. Dabei ist der Fokus auf zwei Aspekte
zu richten: Entweder bestimmt die vorhandene Organisationsstruktur das
Auslandsengagement, indem sie die Voraussetzungen und Bedingungen
darstellt unter denen eine Internationalisierung stattfinden kann. Oder das
Unternehmen entscheidet sich im Zusammenhang mit einer neuen strategischen Ausrichtung auch für eine neue strukturelle organisatorische Basis.
Dieser Zusammenhang erscheint gerade bei Exportaktivitäten oder Produktionsverlagerungen nur geringe Berücksichtigung zu finden. Die vorgenannten
Internationalisierungsentscheidungen werden nicht als so gravierend in den
Auswirkungen für die Konfiguration des Unternehmens angesehen. Dieser
Annahme kann am Beispiel der sog. Globalisierungsfalle widersprochen
werden.
Eine grenzüberschreitende Tätigkeit mit der Verteilung von Produktionsund Geschäftsprozessen führt unweigerlich zu einer Steigerung der Komplexität im Unternehmen. Sowohl die Anforderungen an die Logistik, die Organisation der Produktionsmengen und der Produktvielfalt erfordern eine erhöhte Abstimmung im Unternehmen, um kostenintensive Redundanzen zu
minimieren. Die Schwierigkeit liegt darin, dass nur eine notwendige Reorganisation im Sinne der Anpassung der Struktur an die Strategie auch die gewünschten Effekte der Internationalisierung realisieren läßt. Geschieht dieses
nicht, setzen sich kostenintensive Mehrarbeit, Blind- und Fehlleistungen
durch und verschlechtern die Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Die
Folge sind zunehmend unzufriedene Kunden, die lediglich mit niedrigeren
Preisen zufrieden zu stellen sind. Dieses impliziert weitere Internationalisierungsmaßnahmen, die aber ohne die Einführung einer Reorganisation nur
noch weitere negative Verstärkungseffekte realisieren.5
5
Vgl. Augustin/ Büngers 1998, S. 107.
155
Die Schwierigkeit der Organisation des internationalen Geschäfts besteht
darin, dass die vorhandenen internationalen Unterschiede nun auch innerhalb
des Unternehmens berücksichtigt und umgesetzt werden müssen. Mehrere
Sprachen, mehrere Nationalitäten, verschiedene soziokulturelle Einflussfaktoren, unterschiedliche Daten- und Wissensbestände, räumliche Distanz,
Währungsunterschiede, unterschiedliche Rechnungslegungsvorschriften und
unbekannte "Spielregeln" des Business sind in diesem Zusammenhang organisatorisch zu integrieren.
Insofern muss z.B. in Informations- und Kommunikationstechnologie investiert werden, um eine einheitliche Datenbasis zu schaffen. Regeln für die
internationale Zusammenarbeit ausgearbeitet und die Steuerung durch Kennzahlen intensiviert werden. Hinzu kommen noch Schulungs- und Entwicklungsmaßnahmen, um den Wissenstransfer im Unternehmen zu gewährleisten. Bei der Organisation der Mitarbeiterkommunikation kommt es dann
darauf an, die entsprechenden lokalen und internationalen Informationen so
aufzubereiten, dass die Mitarbeiter über beide Bereiche ausreichend informiert sind. Eine internationale Mitarbeiterzeitschrift kann hierbei hilfreich
sein. Zur Organisation des internationalen Handels in Unternehmen gehört
aber auch der personelle Austausch, z.B. die Betreuung sog. Expatriates.
Welche Mitarbeiter sollen ins Ausland entsendet werden? Wie sind diese am
Standort zu ersetzen? Was machen wir mit den Wiederkehrern? Dieses sind
alles Fragen, die in diesem Zusammenhang aufgeworfen werden und das
Organisationsgefüge des Unternehmens nachhaltig beeinflussen.
Die Unternehmenspraxis zeigt, das ganz unterschiedlich auf die verschiedenen Anforderungen internationalen Handelns reagiert werden kann. Die
Gestaltungselemente sind dabei sowohl technokratisch als auch personenorientiert. Technokratische Instrumente umfassen die Planung und Formalisierung.
Technokratische Instrumente
Planung
Zielplanung
Abb. 2
Strategieplanung
Formalisierung
Ressourcenplanung
Programmierung
Normierung
Transferpreise
Technokratische Organisationsinstrumente des internationalen Unternehmens.
Quelle: eigene.
156
Das Instrument der Planung basiert auf periodisch wiederkehrenden Vorgaben für die internationalen Geschäfte. Die Pläne strukturieren zukünftige
Entscheidungs- und Handlungsspielräume. Die Zielplanung umfasst die
Ermittlung und Festlegung von Teil- und Gesamtzielen. Dabei handelt es
sich zunächst um erwünschte Sollzustände. Die Strategieplanung bestimmt
die Maßnahmen für die Marktbearbeitung und koordiniert die nationalen und
internationalen Aktivitäten. Bei der Ressourcenplanung stehen vor allem
monetäre Größen im Mittelpunkt, wie sich aber zeigt sind vor allem im internationalen Geschäft auch langfristige Planungen für sachliche und personelle Ausstattungen von Nöten. Zunächst erfolgt aber eine Budgetierung, die
es ermöglicht durch die Kontrolle der Ressourcen auch das Unternehmensgeschehen auf räumlicher Distanz zu steuern.
Mit Hilfe der Formalisierung, also der schriftlichen Fixierung organisatorischer Regeln, der Fixierung des Informationsflusses im Unternehmen und
der Leistungsdokumentation können operative Prozesse aufgrund ihrer stabilen Abstimmungserfordernisse effizienter gestaltet werden. Im internationalen Unternehmen wird dieses auch von allen Beteiligten in den Bereichen
Finanzierung, Rechnungswesen, Planung und Kontrolle akzeptiert, um den
rechtlichen und strategischen Anforderungen gerecht zu werden. Entscheidungsprozesse werden durch Formalisierung aller Erfahrung nach inflexibel
und schwerfällig. Daher ist immer zu überprüfen, welche Leistungen programmiert bzw. standardisiert werden und welche Auswirkungen dieses
Vorgehen auf die Leistungsmerkmale des Unternehmens hat. Verrechnungspreise dienen der Ressourcenallokation und haben Wertbemessungs- und
Gewinnverlagerungsfunktionen.
Personenorientierte Instrumente konzentrieren sich auf persönliche Weisung,
Selbstabstimmung und Sozialisation. Vor allem in KMU´s wird das Instrument der persönlichen Weisung stark genutzt. Organisation und Kontrolle
des grenzüberschreitenden Handels erfolgen auf höchster Geschäftsebene.
Vorteile der persönlichen Weisung sind in der relativ einfachen Handhabung
zu sehen, der Flexibilität und der Möglichkeit präzise Vorgaben zu machen.
Insofern ist ein direktes Eingreifen von Oben jederzeit möglich. Problematisch gestaltet sich diese Organisation des internationalen Unternehmens mit
zunehmender Koordination. Die Folge ist eine Überlastung der Führungsebenen, in KMU´s meist der Geschäftsführung. Es ist dann nicht ausgeschlossen, dass eine mangelnde Koordination und Abstimmung die Folgen
sind. Auch hierbei ist wiederum zu überprüfen, ob die Entscheidungen, die
157
möglicherweise ohne Berücksichtigung der lokalen Besonderheiten zustande
gekommen sind, überhaupt umsetzbar und erfolgreich sind.
Zur Unterstützung der formalen Organisationsstrukturen dienen auch Projekt- und Arbeitsgruppen oder Teams. Sie erlangen eine wachsende Bedeutung zur Steuerung globaler Prozesse, um die vertikale Aufbauorganisation
flexibler und anpassungsfähiger zu gestalten. Die Teams wirken lateral verknüpfend. Im Sinne einer Selbstabstimmung, werden Entscheidungen in
Gruppen getroffen. Die Selbstabstimmung kann dabei fallweise (spontane
Gruppenbildung), themenspezifisch (problem- und fachbezogen) oder institutionalisiert (Arbeitskreise, Fachausschüsse) erfolgen. Durch diese Art der
Entscheidungs- und Aufgabenkoordination erhält sich das gewachsene Unternehmen eine hohe Flexibilität, entlastet die Kommunikation über den
Instanzenweg und ermöglicht einen Informationsaustausch zwischen unterschiedlichen Locationen im Unternehmen. Die Form der Selbstabstimmung
bietet sich vor allem für räumlich noch nicht so ausgedehnte internationale
Unternehmen an, da mit zunehmender physischer Entfernung Effizienzgrenzen erreicht werden können. Zudem basiert diese Form der Organisation auf
einer von den Gruppenmitgliedern geteilten Unternehmenskultur. Nur ein
gegenseitiges Verständnis lässt Verantwortung für Gruppenentscheidungen
entwickeln. Selbstabstimmung in einer Gruppe von "Einzelkämpfern" deren
eigenen Interessen im Vordergrund von Entscheidungen stehen, führen zu
Rivalität und Machtkämpfen. Insofern ist auch immer zu überprüfen, ob
diese Art der Organisation von Unternehmensabläufen in die Kultur des
Unternehmens passt. Die Sozialisation als personenorientiertes Organisationsinstrument basiert auf der Verinnerlichung von geteilten Werten durch
die Unternehmensmitglieder. Dieses hat zu Folge, dass ein kulturorientierter
Ordnungsrahmen entsteht, der sich vor allem komplexitätsreduzierend auswirkt. Bestimmte Handlungs- und Entscheidungsalternativen werden aufgrund der verinnerlichten Unternehmensnormen von den Mitarbeitern weder
in Erwägung gezogen, noch umgesetzt. In diesem Zusammenhang kann die
Sozialisation durch eine gezielte Kulturvermittlung vom Unternehmen unterstützt werden und so zu einem einheitlichen Kulturverständnis beitragen. Bei
Erfolg, einer hohen Verankerungstiefe in der Mitarbeiterschaft über alle
Grenzen hinaus, können so formale Koordinationsinstrumente vermieden
bzw. in ihrem Umfang deutlich eingeschränkt werden. Im internationalen
158
Kontext können insbesondere Akkulturationsprobleme6, aber auch die hohen
Kosten für den Implementierungsaufwand entstehen.
Es steht außer Frage, dass sich mit dem internationalen Engagement eines
Unternehmens auch die Geschäftprozesse verändern. Insofern müssen dann
weltweit die Prozesse aufeinander abgestimmt werden, damit keine Doppelarbeit oder Veränderungen in der Kundenbetreuung entstehen (siehe Globalisierungsfalle). Über die physische und psychische Distanz hinweg, muss
gewährleistet werden, dass sich die Leistungen des Unternehmens für den
Kunden nicht verschlechtern. Die Zusammenarbeit in den einzelnen Funktionsabteilungen und Location wird insofern neu organisiert und immer wieder auf die Erreichung der Unternehmensziele hin überprüft.
In einem internationalen Unternehmen sind alle Informations- und Kommunikationstechnologien auf einen Standard auszurichten. Dabei sollte sich
Gedanken gemacht werden, welche Geschäft- bzw. Unternehmenssprache
relevant sein soll. Zudem sind vor allem bezogen auf die unterschiedlichen
rechtlichen Voraussetzungen einheitliche Rechnungslegungen zu vereinbaren. Die Schwierigkeit besteht darin, Systeme zu finden, die weltweit nutzbar
und einsatzfähig sind. Aufgrund unterschiedlicher Standortbedingungen
können diese Anforderungen nicht immer eins zu eins erfüllt werden. Zudem
müssen erhebliche Investitionen in die Datensicherheit fließen, damit keine
Daten verloren gehen bzw. verfälscht werden können.
3 Strategie, Kultur und Unternehmen
Die im Kapitel 2 dargestellten kritischen Überlegungen zeigen, wie in der
Praxis nach wie vor von dem Glaubenssatz ausgegangen wird, dass eine
effiziente Gestaltung von Strategie, Struktur und System den Unternehmenserfolg garantiert. Mag im nationalen Kontext noch einiges für die Aufrechterhaltung dieser Überlegungen sprechen, so ist gerade international dieser
Ansatz kaum länger aufrecht zu erhalten. Wie schon am Einzelfall verdeutlicht, ist die alleinige Orientierung an der Markt-Produkt-Strategie äußerst
problematisch. Typisch für diesen Ansatz ist die meist, wenn auch nicht
unbedingt rational reflektierte, behauptete Konvergenz in der wirtschaftli-
6
Siehe dazu im Weiteren den Kulturaspekt.
159
chen internationalen Entwicklung, die eingebettet ist in einen globalen Wettbewerb, dessen Fortschrittsfaktor danach die diffundierten technologischen
Entwicklungen darstellt. Die Existenz einer einzigen, universal überlegenen
Technologie wird allen anderen Einflussfaktoren überlegen sein. Nationale
Wirtschaftsräume, die insbesondere charakterisiert werden durch die Besonderheiten ihrer landeskulturellen Prägung und ihrer nationalen institutionellen Bedingungen werden sich danach der technologischen Dominanz nicht
versperren können. Diese Sachzwänge und vermeintlich identischen Aufgabenstellungen lassen den Eindruck entstehen, als ob dem daraus resultierenden Managementverhalten eine universelle Gültigkeit und Wirksamkeit
zukommt. Internationale Wertschöpfungsprozesse unterliegen diesem Aspekt, aus dem sich dann handlungsleitende Gestaltungsempfehlungen herauskristallisieren. So wird nach der Methode verfahren, was in einem Land
erfolgstiftend ist, ist auch in einem anderen Land sinnvoll anwendbar.
Marktorientierte Ansätze zielen primär auf die Positionierung des jeweiligen
Unternehmens in den ausgewählten Märkten bzw. Marktsegmenten ab. Hier
kann festgestellt werden, dass es in den strategisch internationalen Zielregionen der deutschen Wirtschaft gut gelungen ist, vor allem durch Fusionen und
Akquisitionen Marktpositionen zu besetzen und Marktstrukturen zu beeinflussen. Aufgrund der ohne Zweifel bestehenden Gefahr von Strategischen
Fallen (Globalisierungsfalle), reicht es daher nicht aus, bei Misserfolgen sich
nur auf den Aspekt der Markt-Produkt-Orientierung zu konzentrieren und
über die Verfeinerung und Verbesserung des eingesetzten Instrumentariums
die gesetzten Ziele zu realisieren. Vielen Beteiligten ist häufig gar nicht
bewusst, dass die Ursachen des Scheiterns oder der Ineffizienzen häufig in
anderen Bereichen zu suchen sind. Durch nachträgliche Rationalisierung des
eigenen Handelns werden die Gründe allzu oft aber in den suboptimalen
Handlungsstrategien gesehen, auf persönlicher Ebene oder im angeblichen
Fehlverhalten anderer Akteure gesucht, nicht in der eigenen more the samePolitik. Internationalisierung ist aber heutzutage weit mehr als nur eine geografische Diversifikation von Unternehmensaktivitäten. Auch wenn dieser
Tatbestand in der Internationalisierungspraxis von Unternehmen noch allzu
häufig ignoriert wird, zeigt sich aber, dass es eben um mehr als nur eine
reine prozessgleiche Erweiterung intranationaler unternehmerischer Geschäftsfelder geht. Grenzüberschreitendes Handeln muss sich mit fremden
Umwelten auseinander setzen, die stark vom jeweiligen nationalen Kontext
geprägt werden. Ein reiner Transfer national praktizierter Handlungsstrategien geht am Kern der Problematik vorbei: Zur Erklärung auftretender Di-
160
vergenzen haben sich zwei zentrale, aber gleichzeitig konkurrierende Ansätze herausgebildet. Es handelt sich dabei um die grundlegende Bedeutung
und Wirkung von Kulturalismus und Institutionalismus.7
Die institutionalisierte Sichtweise kann verstanden werden als ein System
formaler und informaler Regelungen sowie den damit verbundenen Vorkehrungen zu ihrer Durchsetzung. Dazu gehören staatliche Strukturen, Finanzierungssysteme, aber auch Arbeitsbeziehungssysteme und Aus- und Weiterbildungssysteme. Wie die Ergebnisse der Cranfield-Studie zeigen, können bei
einer ländervergleichenden Betrachtung wiederum Schwerpunkte in der
landestypischen Vorgehensweise festgestellt werden. Zum Handlungsparameter von Gestaltungszielen werden vorrangig markt- oder gruppenspezifische Strategien gesetzt.
Survey of Forbes 500 CF OS
Rank
Factor
Negative
Impact
1
Incompatible cultures
5.60
2
Inability to manage target
5.39
3
Unable to implement change
5.34
4
Synergy non-existent or overestimated
5.22
5
Did not forecast fore seeable events
5.14
6
Clash of management styles/egos
5.11
7
Acquirer paid too much
5.00
8
Acquired firm too unhealthy
4.58
9
Need to spin off or liquidate too much
4.05
Incompatible marketing systems
10
Note: Assessed on a scale of 1 to 7, where 7 is high.
Tab. 1
7
Why integration Synergies are not achieved.
Quelle: Svoboda 2001, S. 239
Vgl. Schmitt 2002, S. 26.
4.01
161
Im kulturalistischen Ansatz wird davon ausgegangen, dass kulturelle Wertvorstellungen räumlich divergieren und eine nicht zu unterschätzende Wirkungsmacht auf die Erreichung von Handlungszielen entfalten. Als Raum
wird in erster Linie der Bereich einer Nation innerhalb der Grenzen verstanden, so dass dann Nationalkulturen bzw. Landeskulturen damit gemeint sind.
Einschränkend muss natürlich darauf hingewiesen werden, dass Ländergrenzen nicht unbedingt einhergehen mit kulturellen Grenzen. Die Ursachen
dafür sind vielfältig. Es kann z.B. zu einer grenzüberschreitenden kulturellen
Nähe kommen durch gemeinsame religiöse Auffassungen oder durch historisch zu erklärende Staatsgrenzen.
Auch innerhalb eines Landes können unterschiedliche Kulturströmungen
existieren, wie dies am Beispiel von Ländern wie der Schweiz und Belgien
deutlich wird. Aber auch die Entwicklung moderner Kommunikations- und
Informationsmittel führt zu einer erhöhten kulturellen Transformation. Über
einen Kulturwandel können Faktoren wirksam werden, die schwergewichtig
nicht nur Kulturunterschiede betonen, sondern über Ländergrenzen hinweg
auch Gemeinsamkeiten entstehen lassen. Die auf diese Weise entstehenden
Kulturkorridore schaffen aber nicht unmittelbar analoge Orientierungs- und
Handlungsmuster.
Die Priorisierung von Strategie, Struktur und System vernachlässigt aber die
Wirkungen von kulturellen Sozialisationsprozessen auf die Menschen eines
Landes. Es gewinnen zunehmend neben den strategischen auch die kulturellen Fallen an Bedeutung. Daher gilt es nicht nur, die strategischen Fallen zu
erkennen und zu beheben, sondern insbesondere darauf zu achten, dass diese
nicht mit kulturellen Fallen verwechselt werden. Die inhaltliche Gleichsetzung intranationaler mit internationalen Geschäftsfeldern wird nicht erfolgsversprechend sein können. Das Erzielen von Handlungsfähigkeit in kulturell
fremden Umwelten wird mit zunehmender Verflechtung der Weltwirtschaft
zu einem zentralen Problem für Unternehmen. Insoweit bedarf der bisher
praktizierte klassische Marktansatz der Ergänzung um eine interkulturelle
Ausrichtung und Perspektive.
3.1 Kultursysteme und die neuen Kulturräume
Bei der international zu beobachtenden kurzfristigen Orientierung der Unternehmenspolitik am Shareholder Value wird die Orientierung an längerfristigen Werten, der Optimierung der Unternehmensprozesse eher hinderlich
sein. Die durchaus noch bestehende landestypische Verbindung und Zugehö-
162
rigkeit beginnt zu bröckeln. Die Loslösung von Landeskultur, Nation und
Territorium und damit die Tendenz von Unternehmen, sich von nationalen
Bezügen zu lösen, wird verstärkt durch eine sich transnational entwickelnde
Unternehmenskultur. Die Möglichkeiten, aber auch Notwendigkeiten der
Implementierung einer grenzüberschreitenden Unternehmenskultur als Steuerungsvariable veranschaulichen die aktuellen Aktivitäten von Unternehmen,
insbesondere in den Prozessen von Mergers und Acquisitions. Hier entstehen
die neuen Kulturräume, die an Gestaltungskraft und Wirksamkeit gewinnen
werden. Entgegen den Untersuchungen von Hofstede, der der Unternehmenskultur den Status einer Oberflächenstruktur (Praktiken) zuweist und der
in der Landeskultur die Verankerung einer Tiefenstruktur sieht, die mit Hilfe
von Kulturdimensionen analysiert wird, ist es äußerst fraglich, ob in Zukunft
die spezifischen nationalen Kultureigenschaften die Unternehmenspolitik
noch gravierend beeinflussen und sie in eine bestimmte Richtung lenken
werden, denn der gesellschaftliche kulturelle Wandel ist auch Ergebnis einer
Prägung durch ökonomische Werte wie dem Shareholder Value, dem sich
eine Gesellschaft auf Dauer nicht wird entziehen können.
Fraglich bleibt natürlich die daraus resultierende Konsequenz und gleichzeitig die Frage, ob Unternehmen tatsächlich sich auf die Konstruktion ihres
Unternehmensalltags zurückziehen können. Die Ignoranz von Unbequemlichkeiten oder die Entwicklung von Stereotypen in der internationalen Zusammenarbeit führen schnell zu Missverständnissen und Konflikten. Die
Sozialisation von Mitarbeitern in Unternehmen über geteilte Werte, Normen
und Handlungsmuster steht häufig in einem divergenten Missverhältnis zu
den in den jeweiligen Ländern gültigen Werten, Normen und Handlungsmustern. Daraus ergeben sich für Unternehmen und Mitarbeiter bei der Entwicklung einer handlungsleitenden Unternehmenskultur latente Problemfelder.
Zuallererst zeigt sich, dass der Begriff der Kultur im Unternehmenskontext
äußerst unpräzise und undifferenziert verwendet wird. Gleichzeitig übt der
Begriff der Unternehmenskultur auf alle Beteiligten eine Faszination aus, da
er sich durch eine hohe Plausibilität auszeichnet. Dieser Begriff bietet einen
breiten Interpretationsspielraum und dadurch glaubt jeder zu wissen, was
Kultur bedeutet.
Der Umgang mit diesem Sachverhalt bleibt daher allgemeingültig. Was mit
Unternehmenskultur aber bezweckt werden soll, ist, aus dem heterogenen
163
sozialen System Unternehmung ein homogenes Gebilde werden zu lassen8.
Daraus entsteht ein Bemühen Unternehmenskultur als eine interne, gestaltbare Variable einzusetzen. Diesem funktionalistischen Verständnis entgegen
steht die Vorstellung, dass Kultur auch als geistiges Konstrukt der Individuen und als in der Unternehmung wirkendes System geteilter Bedeutungsinhalte zu sehen ist. Das Unternehmen kann somit nicht nur als objektive
Realität in seinen z.B. manifestierten Artefakten wahrgenommen werden,
sondern ist gleichzeitig Ausdruck der subjektiven Interpretationen der Realität durch seine Mitarbeiter. Dieser Zusammenhang in seiner Komplexität
wird durch die zu integrierenden landestypischen Sozialisationsmuster bei
grenzüberschreitenden Aktivitäten noch erhöht.
Nicht gleichzusetzen mit der Landeskultur ist dagegen die Individualkultur.
Hierbei handelt es sich um bewusste, unbewusste und/oder unreflektierte
Einstellungen und Verhaltensweisen einer Person, die nicht durch die Dominanz landeskultureller Sozialisation zu erklären sind und damit auch nicht
typisch für den jeweiligen Kulturraum. Dieser Aspekt ist insoweit von Bedeutung, da er im Unternehmensalltag schnell zu Fehldeutungen in der interkulturellen Zusammenarbeit führen kann, z.B. im Führungsverhalten von
Managern. Der praktizierte Führungsstil sollte dann als Ergebnis der Persönlichkeitsstruktur identifiziert werden. Eine Verwechslung oder Gleichsetzung
mit landeskultureller Prägung würde wahrscheinlich eher Vorurteile gegenüber diesen Einflüssen fördern.
Unter Bezugnahme auf das Spannungsverhältnis von Landes-, Unternehmens- und auch Individualkultur geht es daher darum, landeskulturelle Besonderheiten und Wirkungen wahrzunehmen und zu versuchen, diese mit
den zum Teil universalen Erfordernissen der Unternehmensführung zu verknüpfen.
3.2 Kultur als strategische Ressource
Pragmatisch gesehen besteht trotz der einschränkenden Kritik ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen Kultur und Unternehmenserfolg, der ohne
Zweifel in der Konsequenz an Bedeutung gewinnen wird, auch wenn der
Nachweis deterministischer Zusammenhänge nur schwer zu führen sein
8
Vgl. Buhr 1998, S. 78.
164
wird. Das Problem liegt darin, diesen konzeptionell zu erfassen, da sich
beide Größen nicht durch eine deterministische Abhängigkeit auszeichnen.
Wollen Unternehmen nachhaltige Wettbewerbsvorteile erzielen, wird es
darum gehen, die internen Ressourcen früher zu erkennen, bewusster zu
entwickeln und effizienter zu gestalten. Ein Mangel an Ressourcen, z.B.
technische und finanzielle, beschränkt zwangsläufig die Internationalisierungsfähigkeit und -kompetenz von Unternehmen. Diese ressourcenorientierte Perspektive sollte für Unternehmen aber kein alternativer Ansatz zur
externen Markt-Produkt-Strategie sein, sondern der intern ausgerichtete
Ressourcenansatz stellt eine unverzichtbare Vervollständigung eines umfassenderen Strategieansatzes dar. Wird Internationalisierung bislang überwiegend als Leistung des Managements wahrgenommen, so ist nun zu beachten,
dass das Individuum im Unternehmen gleichzeitig Träger von mehreren
Kulturen sein kann. Die wichtigsten wie z.B. Landes-, Branchen-, Unternehmens-, Berufs- und Individualkultur können seine Handlungsfähigkeit
fördern oder bremsen.
165
ökonomische, institu-
Zielsetzung und
ökonomische, institu-
tionelle und kulturel-
Arbeitsauftrag
tionelle und kulturel-
le
le
Rahmenbedingung
Rahmenbedingung
Branchenkultur
Abb. 3
Branchenkultur
Unternehmens-
Unternehmens-
kultur
kultur
Individualkultur
Individualkultur
der
der
Führungs-/
Fachkraft
Führungs-/
Fachkraft
Beziehungsmuster im interkulturellen Handlungsfeld.
Quelle: Kersten/Schulze/Wengelowski (Hrsg.) 2003.
166
Bezogen auf den Gedanken der Ressourcennutzung müssen diese Kulturaspekte intern mit zum Ausgangspunkt strategischer Überlegungen gemacht
werden, um eine nachhaltige Internationalisierungsfähigkeit zu erreichen.
Die Ausblendung der Wirkungen von Kultur und Kulturunterschieden in der
strategischen Unternehmenspolitik ist offensichtlich nicht länger zu rechtfertigen. Kultur stellt eine zentrale Basis für eine handlungsrelevante Orientierung dar. In einer proaktiven Unternehmenspolitik bieten sich somit Optionen für einen Steuerungs- und Koordinierungsansatz an, um möglichst kontraproduktive Effekte zu kanalisieren.
Soll eine pluralistische Unternehmenskultur entwickelt werden9, macht dies
z.B. ein starkes Eingehen auf den jeweiligen internationalen Umfeldkontext
notwendig. Zwangsläufig muss es zu einer starken unternehmensinternen
Differenzierung mit den daraus resultierenden Differenzierungsvorteilen
kommen. Je stärker die dabei entstehenden Subkulturen aber ausgeprägt
sind, umso schwieriger erscheint wiederum die Integration, also die Verknüpfung zu einem wirkungsvollen Ganzen.
Mit einer universellen Unternehmenskultur10 wird versucht, über eine entsprechende kulturelle Sozialisation eine Standardisierung in den Handlungsmustern zu realisieren. Dadurch entsteht in der Regel eine Divergenz
zur relevanten Umwelt, jedoch besteht die Erwartung, dass die in Kauf genommenen Spezialisierungsverluste durch Integrationsvorteile kompensiert
werden können. Dieser Kulturtransfer erweist sich aber häufig als problematisch aufgrund der stark differierenden Kontexte. Der Versuch, auf diesem
Wege Werte und Normen einer Kultur zu transportieren, führt leicht dazu,
dass diese im Widerspruch zu der betreffenden Landeskultur treten können.
So kann eher von einer „Soll-Kultur“11 im Unternehmen gesprochen werden,
die versucht, Homogenität zu erzeugen, die jedoch kaum in dem gewünschten Maße von den Mitarbeitern des Unternehmens gelebt werden wird. In der
Unternehmenspraxis sind aber immer wieder Bemühungen zu beobachten,
auch in den neuen internationalen Unternehmenskulturräumen zu einer Nivellierung der kulturellen Differenzen zu kommen. Schon das Konzept von
Perlmutter (1969), bekannt geworden als ERPG-Modell (ethnozentrisch,
9
Bergmann 2000, S. 67.
10
Vgl. Bergmann 2000, S. 67.
11
Vgl. Bergmann 2000, S. 68.
167
regiozentrisch, polyzentrisch, geozentrisch) zeigt am Beispiel des kooperativen geozentrischem Ansatzes, dass diese im unternehmerischen Alltag im
Konfliktfall starke Züge einer ethnozentrischen Orientierung und damit einer
beherrschenden Dominanzkultur des Stammlandes mit all den bekannten
problembehafteten Erscheinungs- und Bewältigungsformen. Kritisch formuliert könnte ein Kampf um die kulturelle Programmierung im Kulturraum
des Unternehmens konstatiert werden. Diese Auseinandersetzung um eine
Nivellierung im Sinne einer vorgegebenen Zweck-Mittel-Rationalität einer
Führungsgruppe ist aber höchst weltfremd und unterschätzt die individuellen
Handlungseinsichten und -kompetenzen aller Beteiligten. Stattdessen erscheint es sinnvoller die Unterschiedlichkeit, d.h. die kulturelle Diversität,
die sich geradezu in den neuen Kulturräumen auftut, effektiver zu nutzen, in
Form eines neuen Ansatzes der interkulturellen Kompetenz.
3.3 Interkulturelle Kompetenz in neuen Kulturräumen
Mit interkultureller Kompetenz wird allgemein ein Verhalten bezeichnet, mit
dem Situationen in kulturellen Überschneidungssituationen erfolgreich bewältigt werden. Dabei müssen Orientierungsprobleme in fremden Umwelten
nicht automatisch auftreten. Eine Verunsicherung wird dann wahrscheinlich
werden, wenn die Erwartungen nicht mit den gezeigten Verhaltensweisen
übereinstimmen und sich innerhalb eines Interaktionsprozesses zwischen den
Beteiligten zu Interpretationen der jeweiligen Reaktionen kommt. Häufig ist
dieser Ansatz aber aufgrund des beschriebenen Sachverhalts auf landeskulturelle Überlegungen ausgerichtet. Anhand von verhaltensgeprägten Konfliktsituationen wird untersucht, wie Missverständlichkeiten vermieden oder
repariert werden könnten. Ziel ist die Glättung des Fremden und der Unterschiede durch die herrschende Kultur. Nach dem universalistischen Ansatz
wird in international agierenden Unternehmen dies als entscheidende Voraussetzung zur Durchsetzung der Unternehmensziele gesehen. Dieses Kulturverständnis ist eher komparativ statischer Natur und nur noch bedingt
zukunftsfähig. Durch den Dynamisierungsschub in der Internationalisierung
wird es notwendiger, Kultur als Prozess in den Mittelpunkt der Betrachtung
zu rücken. Danach unterliegt Kultur durch die alltägliche Interaktion und
persönliche Reflexion der Beteiligten einer ständigen Neuproduktion. Daher
verbietet sich eine deterministische Stereotypisierung, verbunden damit, das
Fremde in den Griff zu kriegen.
168
Markt
Außenhandelsbeziehungen
Kooperation
Projekte
Programme
Unternehmenskooperation
Auslands-
Joint Venture,
Entsendung von
Strategische
Allianzen
Verhandlungen
Hierarchie
niederlassungen
Führungskräften
und
Mitarbeitern
internationale
Teamarbeit
Stammhaus
Integration
von
ausländischen
Führungskräften
und Mitarbeiter
Migrationsansatz
Interkulturelle
Kompetenz
als Wettbewerbsfaktor
Abb. 4
Internationale Geschäftsbeziehungen im Kontext interkultureller Kompetenz.
Quelle: eigene.
169
Statt Homogenität gibt es Heterogenität des Kulturellen mit Überlagerungen
und Übergängen12, die zunehmend schwieriger abzugrenzen und miteinander vergleichbar sind. Die internationale Unternehmenspolitik muss aber von
den Unternehmensmitarbeitern getragen werden können, d.h. das Unternehmen hat eine Internationalisierungskompetenz aufzubauen, deren wichtiger
Teil die individuelle interkulturelle Kompetenz aller Akteure ist, unabhängig
davon, an welchem Ort des unternehmerischen Kulturraumes sie gerade tätig
sind. Ohne Zweifel sollte dabei auf die Anforderungsgerechtigkeit der Entwicklungsstrategien geachtet werden.
Kulturelle Identität wird durch Internationalisierung andere Handlungsmuster hervorbringen, ohne dass die komplexen Interaktionsbeziehungen einen
globalen gemeinsamen Kern und damit eine neue Homogenität bekommen.
Die Ansätze zur Entwicklung interkultureller Kompetenz sind sehr vielschichtig. Zurzeit können zwei große Strömungen ausgemacht werden. Der
gemeinsame Kern beider Ansätze liegt in den personenbezogenen Fähigkeiten der Individuen, wie z.B. Wissen über andere Kulturen, Toleranz und
Empathiefähigkeit und verhaltensbezogene Aspekte wie Kommunikations-,
Kooperations- und Konfliktfähigkeit, die der Persönlichkeit zugeordnet werden. Interkulturelle Berufs- und Handlungskompetenz kann danach aber
weiter gefasst werden. Zu den sozial-kommunikativen und persönlichkeitsbezogenen Fähigkeiten kommen internationale Berufsqualifikationen, aber
auch Sprachkompetenz. Häufig werden bei Unternehmensbefragungen nur
die beiden letzteren Kategorien genannt. Dies kann durchaus als Beleg für
die Nivellierungsthese herangezogen werden.
Andererseits greift der eher persönlichkeitsorientierte Ansatz ebenfalls zu
kurz, da er in erster Linie auf eine bestimmte kulturell geprägte Situation
abstellt, die eher im Bereich der Entsendung von Mitarbeitern ins Ausland
unter dem Gesichtspunkt einer Dominanzkultur anzutreffen ist.
Internationalisierung tritt heutzutage aber in vielfältigsten Formen auf. Diese
müssen stärker als bisher in ihren Herausforderungen wahrgenommen werden.
Die klassische Entsendungsform hat ohne Zweifel für viele Unternehmen
noch ihre vorrangige Bedeutung. Daneben treten inzwischen neue Wege der
Zusammenarbeit deutlicher hervor, die sich in verschiedenen Formen von
12
Vgl. Dörrenbächer/Ridel 2000, S. 28.
170
Kooperation niederschlagen, wie z.B. Joint Ventures, internationales Projektmanagement oder internationale Teams.
Das Unterdrücken landeskulturell geprägter Verhaltensweisen durch Unternehmenskultur kann dann sehr schnell zum Abbruch oder zur Einschränkung
dieser Kooperationsbeziehungen führen. Hier liegen auch ohne Zweifel neben den ökonomischen einige der Gründe, die zu dem aktuellen Rückzug des
US-Handelsriesen Wal-Mart aus Deutschland geführt haben. Landesgeprägte
Spannungen im Hinblick auf Verhaltensrituale und -zeromonien führten
immer wieder zu Konflikt beladenen Handlungssituationen. Ein Versuch,
durch die Verfeinerung kultureller Steuerungselemente dies zu heilen, stand
nicht zur Diskussion. Im Gegenteil, letztendlich wurden kulturelle und institutionelle Gegensätze vor Gericht ausgetragen. So beschied das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in einer Pressemitteilung vom 14.11.2005, dass die
Mitbestimmung auch bei US-amerikanischen Verhaltenskodex in Deutschland einzuhalten ist.
Im Sinne des ressourcenorientierten Ansatzes, verknüpft mit den Überlegungen zur interkulturellen Kompetenz, geht es daher um eine bewusstere Nutzung kultureller Diversität, um z.B. Synergiepotenziale in den Beziehungen
und der Zusammenarbeit freizusetzen. Dazu ist aber eine gezielte und reflektierte Auseinandersetzung über die verschiedenen, sich aber beeinflussenden Mikro- und Makrokultursysteme in den neuen Kulturräumen notwendig, um nachhaltig Marktchancen durch Internationalisierung besser zu
realisieren.
Somit sind an Unternehmen und Mitarbeiter neue Anforderungen
gestellt. Kultur und der prozesshafte Umgang mit Kulturunterschieden über die Befähigung zur interkulturellen Kompetenz in der alltäglichen Interaktion müssen durch die persönliche Reflexion der
Beteiligten dynamisiert werden und damit seine deterministische
Stereotype verlieren, auch wenn im Kern die Unterschiede bestehen
bleiben (sollen). Eine Kulturkonvergenz sollte daher nicht herbeigezwungen werden. Auch eine vermeintliche Konvergenz im Hinblick
auf Konsumpräferenzen, Kleidungsverhalten und Essgewohnheiten
kann die Unterschiede in Werten und Normen nicht verwischen und
bleibt äußerst fragwürdig. Gewinnende Schritte an der Oberfläche
durch Beherrschung jeweiliger typischer Landesrituale und -zeremonien können Fehlverhalten im Bereich der Tiefenstruktur kaum
wieder ausgleichen. Ähnliches gilt für das zu beobachtende Phäno-
171
men in Unternehmen, landeskulturelle Erkenntnisse in ein Bemühen
umzusetzen, diese zu einer neuen sekundären Ebene der Verhaltenssteuerung zu instrumentalisieren. Darüber hinaus reichen interkulturelle Einzelmaßnahmen zur Gestaltung und Bewältigung kultureller
Situationen bei weitem nicht aus, sondern die Unternehmung als
Ganzes ist herausgefordert, Internationalität zu verinnerlichen und
damit über die Nutzung von Fähigkeiten und Potenzialen ihre Internationalisierungsfähigkeit, d.h. über die Verknüpfung von Marktund Ressourcenstrategie, zu stärken.
4 Transkulturelle Kompetenz als weiterführender Ansatz?
Mit dem Ansatz zur transkulturellen Kompetenz soll eine Vorgehensweise
erläutert werden, die die zunehmende gegenseitige Durchdringung von Kulturen durch Medien, Reisen, Arbeitsprozesse usw. differenzierter für eine
Betrachtung zugänglich macht. Es soll bewusst nicht von einer kulturellen
Konvergenz gesprochen werden. Ralston et al. haben schon diese Problematik aufgegriffen.13 Während es bei dem Konvergenzansatz perspektivisch zu
einer Angleichung von Denk- und Wertemustern kommen kann, wollen die
Autoren mit ihrem Ausdruck der crossvergence zum Ausdruck bringen, dass
Unterschiede auch beibehalten oder kombiniert werden können. Mit Hilfe
der transkulturellen Kompetenz soll dieser Gedanke verfeinert werden, um
einen systematischeren Zugang zu diesen Entwicklungen und Phänomenen
zu bekommen.
Der Begriff der interkulturellen Kompetenz bildet insoweit einen schillernden Ansatz, da neben den üblichen Erfassungs- und Messproblemen14 er
selbst eine Wertorientierung darstellt. Diese lautet, dass es im Wesentlichen
gilt, Spiralen von Missverständnissen zu vermeiden und dass die beteiligten
Akteure eine win-win-Situation anstreben sollten. So entsteht ein ethisch und
moralisch leitender Impetus, der im internationalen Wettbewerb nicht
zwangsläufig bei allen Akteuren, auch aus ihrem Kulturverständnis heraus
13
Ralston et al. 1996.
14
Dennoch gibt es inzwischen mehr als 30 Instrumente zur Einschätzung der interkulturellen
Kompetenz von Mitarbeitern, s.a. SIETAR Europe. Zu den wichtigeren gehören u.a. The
International Profiler, Intercultural Development Inventory, Intercultural Personality Test.
172
die Richtschnur des Handelns bildet. Dies zeigt sich sehr anschaulich in der
von Hofstede gewählten Kulturdimension, die mit Langfristorientierung
beschrieben wird. Parallel dazu hat sich z.B. die europäische Wirtschaft aber
bei Geschäftsbeziehungen mit China ganz intensiv mit den Erscheinungen
von Raubkopien und Imitationen von Gütern zu befassen.
Insoweit kann inhaltlich mit dem Begriff der interkulturellen Kompetenz
mehr verknüpft werden. Wird sie benutzt als Manipulationsstrategie, also
wissen, wie etwas gemacht wird, bietet sie zumindest einem der Beteiligten
Vorteile. Interkulturelle Kompetenz kann sich aber auch nur beziehen auf
den sichtbaren Teil des sog. Eisberges. Diese Eisberg-Metapher veranschaulicht sehr ausdrucksvoll, was in vielen Unternehmen als interkulturelle
Kompetenz interpretiert wird. Vorrangig geht es dabei um die Vermittlung
eines Kultur-Knigges, um Dos and Dont’s, und damit um eine Orientierung
in Form einer Instrumentalisierung, die in konkreten Handlungssituationen
auch eine gewisse Komik in sich verbergen kann.
Interkulturell meint, dass unter Bezug auf ein Gemeinsames auch Unterschiede erkennbar werden und sich etwaige Konflikte daran orientieren, wo
Grenzen eben auch positiv modelliert werden. Interkulturalität lässt sich
somit von einem gemeinsamen Verständnis über Kultur und Kulturleistung
leiten.15 Dies wird durch eine letztlich prägende mechanistische Sichtweise
ermöglicht, die zur gemeinsamen Beurteilungsgrundlage implizit wird.
Jedoch steht ein gemeinsames Verständnis über Kultur und die sie auslösenden Handlungswirksamkeiten aus.
Im transkulturellen Raum, also dem Raum jenseits der eigenen Kultur werden Werthaltungen ersichtlich, die nicht nur die Andersartigkeit von Werten
deutlich machen. Sie zeigen ebenso fremde Vorstellungen davon, was überhaupt ein Wert sei, was eine Orientierungsinstanz sei, was überhaupt eine
Orientierung sei.16 Hinzu kommt, dass Werte je nach Perspektive eine positive oder negative Interpretation bekommen, wie z.B. die erwähnten Imitationen von Gütern. Das Nachahmen ist durchaus vereinbar mit der chinesischen Kultur, aber eben nicht mit den Regeln des Welthandelsabkommens.
So kommt es zu Diskrepanzen im Umgang mit der Interpretation von Werten. Dem Ansatz der interkulturellen Kompetenz kann soweit eine gewisse
15
Vgl. Hubig, 2002, S.29.
16
Vgl. Hubig 2002, S.29
173
Naivität im Hinblick auf internationale Wettbewerbspolitik nicht abgesprochen werden. Er erfasst nicht das vielfältige Geschehen im internationalen
Wirtschaftsleben, was auch durch seine Geschichte zu erklären ist (Kets de
Vries 2004). Darüber hinaus bekommt seine Entwicklung auch idealtypische
Züge, durch den Aufbau von Lernstrategien und Trainingskonzepten.17 Im
Sinne von Max Weber kann sie als ein kognitives Kulturverständnis interpretiert werden, wohl wissend, dass natürlich in den vorherrschenden Ansätzen auch die affektive und soziale Komponente enthalten ist.
Wertungen über die Besonderheiten und die wirtschaftlichen Auswirkungen
von Kulturen sowie über die speziellen Institutionsgefüge selbst erfolgen
auch immer aus einer kulturgebundenen Sicht.18 Viele der Normen und Regeln sind häufig impliziter Natur, daher weder dem unmittelbaren Individuum und den übrigen beteiligten Akteuren bewusst. Dies führt dann zu den
viel zitierten Überraschungen in den Handlungssituationen.
Mit dem Ansatz der transkulturellen Kompetenz sollen diese vielfältigen
Ereignisse und Erscheinungsformen im Handeln der Akteure zugänglich
gemacht werden. Die Konstruktion des Handlungsfeldes durch die Akteure
erfolgt vor dem Hintergrund, dass in unterschiedlichen Kulturen unterschiedliche Vorstellungen von Natur, Subjekt, Rationalität und Gefühl vorhanden sind, während der Bezug zu unterschieden auch Gemeinsamkeiten
voraussetzt. Dies kann im Wirtschaftsleben aber auch schnell zu einer Desorientierung führen, wie das Beispiel eines deutschen Geschäftsmannes
zeigt. Während er gelernt hatte, im interkulturellen Kontext mit chinesischen
Geschäftspartnern geht es um Langfristigkeit und darum, zu beachten, dass
der Gegenüber nicht sein Gesicht verliert, hatte die chinesische Seite nach
dem vierten Besuch alle Informationen, die sie benötigte. Die Geschäftsbeziehungen wurden danach abgebrochen.
Das Erlernen und die Vermittlung transkultureller Kompetenz wird daher
andere Wege gehen müssen, da die Praxis immer weiter sein wird als das
mühsam rekonstruierte Teilwissen aus den gemachten Erfahrungen. Ob interkulturelle Kompetenz in transkulturelle Kompetenz überführt werden
sollte, um einen vorrangig systemischen Zugang zu der Problematik zu erreichen, kann und soll an dieser Stelle abschließend nicht beurteilt werden.
17
Vgl. Diettrich/Reinisch 2005, S. 275ff..
18
Vgl. Leipold 2006, S. 9.
174
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Christoph, Plehwe, Dieter, (Hrsg.), Grenzenlose Kontrolle? 2000, S. 15
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Hofstede, Geert: Lokales Denken, globales Handeln. Kulturen, Zusammenarbeit und Management, München 1997
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abstrakter Harmonisierung und Anwendungsdissensen, In: K. Röttgers,
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Leipold, Helmut, Kulturvergleichende Institutionenökonomik, Stuttgart 2006
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175
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9-18
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Welge, M.K., Das Management globaler Geschäfte, München 1998.
Tobias Menz♣
Demographischer Wandel und Umweltqualität
1 Einleitung
Ziel dieses Artikels ist es herauszufinden, welchen Einfluss der demographische Wandel in den nächsten Jahrzehnten tendenziell auf die Entwicklung
des Umweltverbrauchs1 haben wird. Dabei soll keine Niveaubetrachtung
durchgeführt werden, sondern lediglich der demographische Einfluss auf die
Veränderungsraten des Umweltverbrauchs betrachtet werden.
Im zweiten Abschnitt werden demographische und ökologische Unterschiede
der einzelnen Regionen dargestellt, um besonders interessante Fälle herauszustellen. Im dann folgenden dritten Abschnitt wird der Untersuchungsrahmen herausgearbeitet - also der gesamtgesellschaftliche Umweltverbrauch
als Funktion zweier Variablen dargestellt, auf die der demographische Wandel einen eindeutigen Einfluss hat. Unter Zuhilfenahme realistischer Prognosen bezüglich der Entwicklung dieser beiden Variablen wird anschließend im
vierten Abschnitt die Richtung des demographischen Einflusses auf den
gesamtgesellschaftlichen Umweltverbrauch dargestellt. Das fünfte Kapitel
fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und gibt einen Ausblick über
sinnvolle Erweiterungen.
♣
An dieser Stelle möchte ich Heinz Welsch, Udo Bonn und Martin Duensing für viele
hilfreiche Kommentare und Verbesserungsvorschläge danken.
1
Umweltverbrauch bezeichnet allgemein jegliche Form von Umweltverschmutzung, die
durch menschliche Aktivitäten entsteht. Beispiele sind Luft- und Wasserverschmutzungen,
Waldabholzungen oder das Entstehen von Müll.
178
2 Demographischer Wandel und Umweltverschmutzung
in den Regionen
2.1 Regionale Unterschiede des demographischen Wandels
Standardmäßig wird der demographische Wandel als Übergang einer vorindustriellen Gesellschaft mit hohen Geburten- und Sterberaten zu einer nachindustriellen Gesellschaft mit niedrigen Geburten- und Sterberaten definiert2.
Charakteristisch für seinen Verlauf ist, dass die Sterberaten vor den Geburtenraten zu sinken beginnen und es daher während des gesamten Prozesses
zu einem signifikanten Bevölkerungswachstum kommt.
Der demographische Wandel ist ein langfristig ablaufender Prozess, der in
seinen verschiedenen Phasen unterschiedliche Auswirkungen auf Bevölkerungsgröße und Bevölkerungsstruktur hat. Da er regional zeitversetzt abläuft,
befinden sich die verschiedenen Regionen heutzutage in unterschiedlichen
demographischen Situationen. Die Entwicklungsländer gehören zu den Ländern, die im Prozess des demographischen Wandels noch am wenigsten weit
fortgeschritten sind. Kennzeichnend für diese Länder sind hohe Bevölkerungswachstumsraten sowie Erwerbsfähigenquoten, die von niedrigem Niveau aus ansteigen. In den späteren Phasen des Prozesses, in denen sich
heute die Industrieländer befinden, wächst die Gesamtbevölkerung nur noch
moderat, während die Erwerbsfähigenquote von hohem Niveau aus abnimmt3. Zur besseren Einbettung der späteren Analyse soll an dieser Stelle
ein kurzer Blick auf die prognostizierte Entwicklung der Bevölkerungswachstumsraten und der Erwerbsfähigenquoten dreier Ländergruppen geworfen werden:
2
Vgl. Chesnai 1992, S. 27 ff.
3
Eine genaue graphische Darstellung des demographischen Wandels findet sich beispielsweise in Bloom & Williamson 1998, S. 423.
179
Durchschnittliche jährliche Bevölkerungswachstumsraten
2005 - 2015
2015 - 2030
2030 - 2050
HIC
0.52%
0.35%
0.12%
MIC
0.79%
0.50%
0.09%
LIC
1.72%
1.38%
0.76%
Tab. 1
Bevölkerungswachstumsraten4 nach Regionen5
Während die Bevölkerung in der Gruppe der LIC, also der ärmsten Länder
der Welt, im Zeitraum bis 2015 noch mit gut 1,7% jährlich wachsen wird,
wird das Bevölkerungswachstum in den Ländern mittleren Einkommens
(MIC) nur knapp 0,8% und in den reichsten Ländern (HIC) nur rund 0,5%
betragen. Bis zum Jahr 2050 wird der Bevölkerungsdruck den Prognosen
zufolge in allen drei Regionen stark nachlassen, so dass die Bevölkerung in
den beiden wohlhabenderen Ländergruppen ab 2030 nur noch moderat
wachsen wird. Auch die Bevölkerung der ärmsten Länder folgt diesem
Trend, wird jedoch über den gesamten Zeitraum noch deutlich positive Bevölkerungswachstumsraten aufweisen.
Abbildung 1 zeigt, dass sich nicht nur die Bevölkerungsgröße, sondern auch
die Bevölkerungsstruktur der Ländergruppen unterschiedlich entwickeln
wird. Während die Erwerbsfähigenquote, also der Anteil der Bevölkerung
zwischen 15 und 65 Jahren, in den reichsten Ländern der Welt wahrscheinlich bis zum Jahre 2050 stetig sinken wird, wird sie in den mittelreichen
Ländern laut den Prognosen zumindest kurzfristig noch ansteigen, um erst
danach zu sinken. Einen klaren Kontrast bietet dagegen die Situation in den
Entwicklungsländern, für die über den gesamten Zeitraum hinweg ansteigende Erwerbsfähigenquoten vorhergesagt werden.
4
Mittlere Bevölkerungsprognose der Vereinten Nationen (UN 2004).
5
Die Gruppe der High Income Countries (HIC) umfasst nach Definition der Weltbank alle
Länder mit einem Bruttonationaleinkommen pro Kopf von mehr als 10.000 US-Dollar
(ausgedrückt in US-Dollar des Jahres 2004, nicht kaufkraftparitätenbereinigt). Die Gruppe
der Middle Income Countries (MIC) beinhaltet alle Länder in der Einkommensspanne von
826-9999 US-Dollar und die Gruppe der Low Income Countries (LIC) enthält alle Länder
mit einem Pro-Kopf-Einkommen von maximal 825 US-Dollar.
180
Erwerbsfähigenquote in %
70%
68%
66%
64%
62%
60%
58%
2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050
HIC
Abb. 1
MIC
LIC
Erwerbsfähigenquoten nach Regionen6
2.2 Regionale Unterschiede der Umweltverschmutzung
Umweltverschmutzung ist ein breit gefächertes Problem, wobei die durch die
Emissionen verschiedener Gase verursachte Luftverschmutzung einen besonders problematischen Aspekt der Umweltverschmutzung darstellt. Dabei
ist grundsätzlich zwischen lokal, regional und global wirkender Luftverschmutzung zu unterscheiden. Im Rahmen dieses Beitrags werden daher drei
repräsentative luftverschmutzende Gase betrachtet: Kohlendioxid ( CO2 ) als
typische globale Umweltverschmutzung, Schwefeldioxid ( SO2 ) als regionale Umweltverschmutzung und Kohlenmonoxid (CO) als Beispiel für eine
lokale Umweltverschmutzung7. Bezogen auf die Emissionen dieser Gase
gibt es starke regionale Unterschiede, wie folgende Tabelle verdeutlicht:
6
Basierend auf der mittleren Bevölkerungsprognose der Vereinten Nationen (UN 2004).
7
Vgl. Tietenberg 2006, S. 396 ff. und S. 404 ff.
181
Anteil an der Weltbevölkerung
Anteil an den
weltweiten Kohlendioxid Emissionen
Anteil an den
weltweiten
Schwefeldioxid
Emissionen
Anteil an den
weltweiten
Kohlenmonoxid
Emissionen
HIC
15.8%
51.4%
32.3%
16.4%
MIC
48.4%
42.3%
56.0%
40.8%
LIC
35.8%
6.3%
11.7%
42.9%
Tab. 2
Emissionen nach Ländergruppen im Jahr 20008
Die Tabelle zeigt die Verteilung der Emissionen für Kohlendioxid, Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid für das Jahr 2000. Vergleicht man die Anteile
der einzelnen Ländergruppen an den weltweiten Emissionen, stellt man fest,
dass mehr als die Hälfte der weltweiten CO2 -Emissionen aus den reichsten
Ländern der Welt stammen, während SO2 in besonderem Maße von der
Gruppe der MIC und CO von den LIC emittiert wird.
3 Entwicklung eines Untersuchungsrahmens
3.1 Einfache Bestimmungsfaktoren des Umweltverbrauchs
Ziel dieses Abschnittes ist es, den gesamtgesellschaftlichen Umweltverbrauch als Funktion zweier Variablen darzustellen, auf die der demographische Wandel einen eindeutigen Einfluss hat. Dazu wird in einem ersten
Schritt der Umweltverbrauch einer Gesellschaft folgendermaßen dargestellt:
(1) UV = B ⋅ PKUV
Der gesamtgesellschaftliche Umweltverbrauch (UV) ergibt sich als Produkt
der Bevölkerungsgröße (B) und des Pro-Kopf-Umweltverbrauchs (PKUV).
Da im Rahmen dieser Untersuchung von jeglichen Interdependenzen der
8
Quellen: UN (2004), IEA (2004), RIVM/MNP (2005) und TNO (2001).
182
Variablen B und PKUV abgesehen wird9, lautet die relevante Fragestellung,
welchen Einfluss der demographische Wandel jeweils auf die beiden Größen
haben wird. Da es jedoch ein Hauptanliegen dieses Artikels ist, den marginalen Einfluss des demographischen Wandels auf den Umweltverbrauch zu
untersuchen, und nicht eine Niveaubetrachtung des Umweltverbrauchs vorzunehmen, ist es sinnvoll, Gleichung (1) in Wachstumsraten anzugeben:
(2) rUV = rB + rPKUV + rB ⋅ rPKUV
Der gesamtgesellschaftliche Umweltverbrauch wächst also mit der Bevölkerungswachstumsrate zuzüglich der Wachstumsrate des Pro-Kopf-Umweltverbrauchs und dem Produkt aus beiden Größen.
3.2 Bevölkerungsgröße, Umweltverbrauch und Demographischer
Wandel
Gemäß der Formulierung in Gleichung (2) würde ein 10%iges Bevölkerungswachstum zu einem 10%igen Wachstum der Gesamtemissionen führen.
Diese Annahme stellt eine Vereinfachung des Zusammenhangs zwischen
Bevölkerungsgröße und Umweltverbrauch dar, da Änderungen im Konsumentenverhalten oder in der Produktionstechnologie, die eventuell durch das
Bevölkerungswachstum induziert werden, ausgeblendet werden. Diese Vorgehensweise ist jedoch legitim, wenn ein primäres Interesse an rein qualitativen Aussagen besteht10. Lediglich die Tatsache, dass positives Bevölkerungswachstum einen steigernden Effekt auf den gesamtgesellschaftlichen
Umweltverbrauch hat, sollte durch empirische Untersuchungen bestätigt
werden. Dies wurde für viele Verschmutzungsarten tatsächlich nachgewiesen11.
Es bleibt also die Frage zu beantworten, welchen Einfluss der demographische Wandel auf die Bevölkerungswachstumsrate hat. Hierbei hilft ein Blick
auf die historische Entwicklung der Weltbevölkerung. Im Zeitraum von
9
In der Realität sind durchaus Interdependenzen beider Variablen vorstellbar. Aus Gründen
des Umfangs und der dann stark zunehmenden Komplexität soll in diesem Beitrag jedoch
davon abgesehen werden.
10
So ist es für die hier gewünschten qualitativen Aussagen von geringer Bedeutung, ob der
Umweltverbrauch bei einem Bevölkerungswachstum von 2% um 1%, 2% oder 3% zunimmt.
11
Vgl. Preston 1996, S.103 f. oder Lutz et al. 2001, S. 113 ff.
183
10.000 v. Chr. bis 4000 v. Chr. wuchs die globale Bevölkerung jedes Jahr
lediglich mit einer Rate von 0,01%12, während sich das Bevölkerungswachstum im Zeitraum von 4000 v. Chr. bis 1700 n. Chr. auf jährlich rund 0,08%
erhöhte. Ab diesem Zeitpunkt kam es jedoch zu einem wesentlich stärkeren
Bevölkerungswachstum, so dass in den letzten 300 Jahren die globale Bevölkerung im Jahresschnitt mit 0,8% wuchs13. Der starke Anstieg der globalen Bevölkerungswachstumsraten hängt also eng mit dem beginnenden demographischen Wandel in den heutigen Industrieländern zusammen (typischerweise beginnt der demographische Wandel mit der einsetzenden Industrialisierung). Daher scheint es legitim, sowohl die vergangenen als auch die
zukünftigen Bevölkerungswachstumsraten direkt als Folge des demographischen Wandels zu sehen14. Der marginale Einfluss des demographischen
Wandels auf die Bevölkerungsgröße kann also an den prognostizierten Bevölkerungswachstumsraten der Tabelle 1 abgelesen werden.
3.3 Pro-Kopf-Umweltverbrauch und Demographischer Wandel
Gesucht ist eine Bestimmungsgröße des Pro-Kopf-Umweltverbrauchs, auf
die der demographische Wandel, durch seine Auswirkungen auf die Bevölkerungsstruktur, einen qualifizierbaren Einfluss hat. In Anlehnung an die
breit gefächerte Literatur zur Environmental Kuznets Curve (EKC) bietet
sich das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen als Bestimmungsgröße des
Pro-Kopf-Umweltverbrauches an15:
(3)
PKUV = PKUV ( y )
In dieser Form wird die Annahme getroffen, das durchschnittliche Pro-KopfEinkommen (y) sei die alleinige Bestimmungsgröße des Pro-Kopf-Umweltverbrauchs. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass alle durch die Einkommenssteigerungen induzierten Effekte (wie sich ändernde Vermeidungs-
12
Eigene Berechnungen auf Basis von McEvedy & Jones 1978, S. 343 ff.
13
Eigene Berechnungen auf Basis von McEvedy & Jones 1978, S. 343 ff. und UN(2004).
14
Nach Durchlaufen des demographischen Wandels wird laut Theorie ein Zustand erreicht,
in dem die Bevölkerung nur noch minimal wächst bzw. Nullwachstum erreicht wird (vgl.
Dinkel 1989, Abschnitt 2.3.).
15
Einen guten Einblick in die aktuelle Lage zur EKC Forschung findet sich in Lieb 2003.
184
optionen oder Präferenzen bezüglich der Umweltqualität) bereits durch die
Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens wiedergegeben werden.
Empirische Schätzungen des in Gleichung (3) dargestellten Zusammenhangs
legen nahe, dass bezüglich des Verhältnisses von Pro-Kopf-Einkommen und
Pro-Kopf-Umweltverbrauch zwischen den einzelnen Verschmutzungsarten
unterschieden werden muss. Für lokale und regionale Umweltverschmutzungen (wie Kohlenmonoxid und Schwefeldioxid) wurde die Existenz einer
Environmental Kuznets Curve empirisch nachgewiesen. Die EKC besagt,
dass steigende Pro-Kopf-Einkommen bis zu einem gewissen Niveau zu
einem steigenden Pro-Kopf-Umweltverbrauch führen, Einkommenssteigerungen über dieses Niveau hinaus jedoch mit einem sinkenden Pro-KopfUmweltverbrauch einhergehen. Ursachen für die Existenz der EKC können
unter anderem eine steigende Nachfrage nach Umweltqualität (Umweltqualität als normales Gut), steigende Skalenerträge der Vermeidung oder der
Strukturwandel sein (u.a. Lieb 2003). Folgende Abbildung zeigt eine exemplarische EKC:
Pro Kopf
Umweltverbrauch
Eine exemplarische Environmental Kuznets Curve
Pro Kopf Einkom m en
Laut empirischen Untersuchungen liegt der Maximalwert der EKC für
Schwefeldioxidemissionen bei ungefähr 10.000 US-Dollar pro Kopf und für
Kohlenmonoxidemissionen bei rund 16.000 US-Dollar pro Kopf 16. In Bezug auf die Fragestellung dieser Untersuchung wird ersichtlich, dass der
demographische Wandel einen vollkommen unterschiedlichen Einfluss auf
16
Lieb (2003), S. 10 ff. gibt einen Überblick über eine Vielzahl empirischer Schätzungen.
Die hier angegebenen Maximalwerte geben einen ungefähren Mittelwert der stark variierenden Schätzungen an.
185
den Pro-Kopf-Umweltverbrauch haben kann, je nachdem ob sich die entsprechende Region auf dem steigenden oder fallenden Ast der EKC befindet.
Durch den demographischen Wandel bedingte Einkommenssteigerungen
(Einkommensminderungen) haben einen erhöhenden (senkenden) Einfluss
auf den Pro-Kopf-Umweltverbrauch, sofern sich die Region auf dem steigenden Ast der EKC befindet (wie dies in ärmeren Ländern der Fall ist). In
Regionen, die sich auf dem fallenden Ast der EKC befinden (reichere Länder) haben zusätzliche Einkommenssteigerungen (Einkommensminderungen) dagegen einen senkenden (steigernden) Einfluss auf den Pro-KopfUmweltverbrauch.
Eine EKC konnte jedoch nicht für globale Luftverschmutzungen bestätigt
werden – hier wird meistens ein positiver Zusammenhang zwischen ProKopf-Einkommen und Pro-Kopf-Emissionen angenommen. Einkommenssteigerungen führen also über alle Einkommensniveaus hinweg zu steigenden Pro-Kopf-Emissionen. Durch den demographischen Wandel induzierte
Einkommenssteigerungen (Einkommensminderungen) haben daher in allen
Regionen einen verstärkenden (senkenden) Einfluss auf die CO2 -Pro-KopfEmissionen.
Bevor eine genaue Analyse des Einflusses des demographischen Wandels
auf die Pro-Kopf-Emissionen möglich ist, muss untersucht werden, wie sich
die Bevölkerungsstruktur auf das Pro-Kopf-Einkommen auswirkt. Dazu sei
eine nicht näher spezifizierte, linear-homogene Produktionsfunktion mit den
beiden Produktionsfaktoren Kapital (K) und Erwerbsbevölkerung (L) sowie
dem technologischen Parameter (A) angenommen und durch die Gesamtbevölkerung (P) dividiert, um die Höhe der Pro Kopf Produktion, respektive
des Pro-Kopf-Einkommens (y) zu bestimmen.
(4) y =
~ L
A ⋅ F ( K , L) A ⋅ F ( K , L) ⋅ L A ⋅ F ( K , L) L
=
=
= A ⋅ f (k )
P
P⋅L
L
P
P
Nach einer Erweiterung mit der Variable (L) und einigen Umformungen
wird deutlich, dass das Pro-Kopf-Einkommen von drei Größen abhängt:
Erstens dem technologischen Parameter A, zweitens der Kapitalausstattung
~
je Erwerbstätigen ( k ) und drittens der Erwerbsfähigenquote (L/P). Interessant ist also die Beantwortung der Frage, welchen Einfluss die Bevölkerungsstruktur auf diese drei Größen haben wird. Der Einfluss der Bevölkerungsstruktur auf die Kapitalakkumulation hängt vom Spar- und Investitionsverhalten und von der Offenheit der internationalen Kapitalmärkte ab und
186
ist schwierig herauszuarbeiten17. Auch die Frage, welchen Einfluss die Bevölkerungsstruktur auf den Parameter A und damit auf den technischen Fortschritt hat, ist nicht abschließend geklärt, obwohl oftmals angenommen wird,
eine Alterung der Gesellschaft habe einen negativen Einfluss auf die gesellschaftliche Innovationsfähigkeit18. Daher wird im Folgenden die vereinfa~
chende Annahme getroffen, das Einkommen je Erwerbstätigen ( A ⋅ f (k ) = ~
y)
entwickle sich unabhängig von der Bevölkerungsstruktur. Gemäß Gleichung
(4) hat die Bevölkerungsstruktur jedoch über die Erwerbsfähigenquote (L/P)
einen entscheidenden Einfluss auf das Pro-Kopf-Einkommen. In vereinfachter Form kann Gleichung (4) folgendermaßen ausgedrückt werden, wobei
der Term (BS) für die Bevölkerungsstruktur steht:
(5) y = y ( ~
y , BS )
Ähnlich wie schon bei Gleichung (1) geschehen, ist es sinnvoll, Gleichung
(4) in Wachstumsraten auszudrücken:
(6) ry = r~y + rL − rP
Das Pro-Kopf-Einkommen wächst mit der exogen gegebenen Wachstumsrate des Einkommens je Erwerbstätigen zuzüglich der Wachstumsrate der
Erwerbsbevölkerung und abzüglich der Bevölkerungswachstumsrate. Der
Einfluss, den der demographische Wandel über die Bevölkerungsstruktur auf
die Wachstumsrate des Pro-Kopf-Einkommens hat, ist folgender: Wächst die
Erwerbsbevölkerung schneller als die Gesamtbevölkerung, so hat der demographische Wandel einen steigernden Einfluss auf das Wachstum des ProKopf-Einkommens, während er im umgekehrten Fall einen dämpfenden
Einfluss aufweist. Dieses Phänomen des positiven Einflusses auf das Pro
Kopf Wachstum ist in der Literatur als Demographic Gift bekannt und ist
auch empirisch bestätigt worden19. Die folgende Tabelle zeigt das durchschnittliche jährliche Demographic Gift für die drei Ländergruppen bis 2050
an20:
17
Siehe Grömling (2004), S. 80.
18
Vgl. Rürup (2000) oder (Siebert) 2002. Gefunden in: Grömling (2004), S. 81.
19
Vgl. Bloom & Wiiliamson 1998, S. 430 oder Battini, Callen & McKibbin 2006, S. 13.
20
Im Folgenden wird auch ein negativer Einfluss des demographischen Wandels auf das ProKopf-Einkommen der Einfachheit halber als Demographic Gift bezeichnet.
187
Durchschnittliches jährliches Demographic Gift
2005 - 2015
2015 - 2030
2030 - 2050
HIC
-0.20%
-0.43%
-0.24%
MIC
0.19%
-0.21%
-0.33%
LIC
0.46%
0.30%
0.13%
Tab. 3
Demographic Gift nach Ländergruppen21
Für die Gruppe der Industrieländer besagen die Prognosen, dass in den
nächsten Jahrzehnten die Erwerbsbevölkerung langsamer wachsen wird als
die Gesamtbevölkerung und infolgedessen das Wachstum des Pro-KopfEinkommens gemindert wird. In der Gruppe der MIC hat der demographische Wandel in den nächsten Jahren einen steigernden Einfluss auf das ProKopf-Einkommen, da der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung mit großer
Sicherheit anwachsen wird. Ab 2015 wird laut Vorhersage die Veränderung
der Bevölkerungsstruktur das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens jedoch
auch in dieser Region mindern. In den ärmsten Ländern dagegen bleibt das
Demographic Gift wahrscheinlich den gesamten Zeitraum über positiv, was
zu entsprechend höheren Wachstumsraten des Pro-Kopf-Einkommens in
diesen Regionen führen wird. Inwieweit die einzelnen Länder dieses Demographic Gift tatsächlich realisieren können, hängt von den entsprechenden
institutionellen Rahmenbedingungen der Länder (z.B. der Ausgestaltung des
Arbeitsmarktes) ab.
4 Untersuchungsergebnisse
4.1 Demographischer Wandel und Pro-Kopf-Umweltverbrauch
Wie in Abschnitt 3.3 beschrieben, steigen die Pro-Kopf-Emissionen von
CO2 mit dem Einkommen. Ein positives Demographic Gift hätte zur Folge,
21
Basierend auf der mittleren Bevölkerungsprognose der Vereinten Nationen (UN 2004).
188
dass das Pro-Kopf-Einkommen in dieser Periode schneller wachsen würde,
was wiederum einen steigernden Einfluss auf die Pro-Kopf-Emissionen
hätte. Umgekehrt verhält es sich jedoch bei einem negativen Demographic
Gift. In diesem Fall würde das Pro-Kopf-Einkommen langsamer wachsen,
was im Endeffekt zu langsamer wachsenden CO2 -Emissionen führen würde.
Um den marginalen Einfluss des demographischen Wandels auf die ProKopf-Emissionen lokaler und regionaler Gase zu bestimmen, muss für die
Ländergruppen beachtet werden, ob sie sich zum gegebenen Zeitpunkt auf
dem aufsteigenden oder dem absteigenden Ast der EKC befinden. Dazu sind
realistische Schätzungen der zukünftigen BIP Wachstumsraten der einzelnen
Ländergruppen vonnöten, um das jeweilige Pro-Kopf-Einkommen der Ländergruppen bis 2050 vorhersagen zu können. Zu diesem Zweck wird folgende Vorgehensweise gewählt: Die Wachstumsrate des Einkommens je
Erwerbstätigen nach Gleichung (6) wird für alle Ländergruppen als exogen
gegeben angenommen. Annahmegemäß betrage sie für die Gruppe der HIC
jährlich 2,0%, für die MIC 2,5% und für die LIC 3,0%22. Somit ergibt sich
die prognostizierte BIP Wachstumsrate aus diesem exogenen Wachstum des
Einkommens je Erwerbstätigen zuzüglich des in Tabelle 3 angegebenen
Demographic Gift23. In Bezug auf ihre Position auf der EKC ergeben sich
daher für die einzelnen Ländergruppen folgende Sachverhalte: Die Gruppe
der HIC hatte 2004 ein Pro-Kopf-Einkommen von 30.970 US-$24. Somit
befinden sich diese Länder eindeutig auf dem absteigenden Ast der EKC für
SO2 und CO, woran sich auch in Zukunft wenig ändern dürfte. Für die
Gruppe der MIC wurde 2004 ein Pro-Kopf-Einkommen von durchschnittlich 6.480 US-$ angegeben, wobei der Maximalwert der EKC für SO2 bei
circa 10.000 US-$ liegt. Dieses Einkommensniveau werden die MIC laut
oben getroffenen Annahmen 2022 erreichen. Vor dem Jahr 2022 hätte ein
positives (negatives) Demographic Gift in den MIC einen erhöhenden (mindernden) Einfluss auf die SO2 -Pro-Kopf-Emissionen, da diese Länder sich
22
Ähnliche Annahmen finden sich in Bongaarts 1992, S. 305 ff.
23
Das Demographic Gift wird in diesem Fall für den kleinstmöglichen Zeitraum berechnet.
Aufbauend auf den Bevölkerungsprognosen der UN sind dies 5 Jahresperioden von 20052010, 2010-2015 usw.
24
Alle Einkommensdaten übernommen von der Weltbank (2005).
189
auf dem steigenden Ast der EKC befinden. Nach 2022 würde jedoch ein
positives (negatives) Demographic Gift einen senkenden (verstärkenden)
Einfluss auf die Entwicklung der SO2 -Emissionen haben, da sich die Länder
dann bereits auf dem absteigenden Ast der EKC befinden. Für die Pro-KopfEmissionen von CO liegt der Maximalwert bei 16.000 US-$, welchen die
MIC erst im Jahr 2043 erreichen werden. Eindeutige Aussagen bezüglich des
Einflusses des demographischen Wandels auf die Pro-Kopf-Emissionen
von SO2 (CO) sind daher in der Periode von 2015-2030 (2030-2050) nicht
möglich. Deutlicher ist die Situation wiederum für die Gruppe der LIC, die
2004 durchschnittlich über ein Pro-Kopf-Einkommen von 2.260 US-$ verfügten. Trotz der höheren angenommen Wachstumsraten und der günstigen
demographischen Entwicklung werden diese Länder das Einkommensniveau
von 10.000 US-$ bis 2050 annahmegemäß nicht erreichen und sich daher für
SO2 und CO ständig auf dem ansteigenden Ast der EKC befinden.
Aufbauend auf dem in Tabelle 3 dargestellten Demographic Gift und den
vorherigen Überlegungen bezüglich der Position der Länder auf der EKC,
wird deutlich, dass der Einfluss des demographischen Wandels auf die ProKopf-Emissionen davon abhängt, welches der drei Gase betrachtet wird. Für
CO2 ist der Einfluss des demographischen Wandels in den HIC über den
gesamten Zeitraum dämpfend, da er das Einkommenswachstum mindert. In
den MIC wirkt er kurzfristig noch erhöhend, ab 2015 jedoch auch senkend.
Nur in den LIC hat der demographische Wandel einen verstärkenden Effekt
auf die CO2 -Pro-Kopf-Emissionen, da er einkommenserhöhend wirkt. Für
SO2 dagegen liegt in fast allen Regionen ein durchgehend verstärkender
demographischer Einfluss auf die Pro-Kopf-Emissionen vor. In den LIC
beschleunigt der demographische Wandel das Einkommenswachstum und
damit das Emissionswachstum, während er in den HIC das Einkommenswachstum und damit die Emissionsminderung dämpft. Lediglich für die MIC
muss differenziert werden: So kann in den Perioden von 2005-2015 und
2030-2050 ein erhöhender Einfluss des demographischen Wandels auf die
Pro-Kopf-Emissionen erwartet werden. Für die Periode von 2015-2030
dagegen können keine eindeutigen Aussagen getroffen werden, da die MIC
in diesem Zeitraum das Maximum der EKC erreichen werden. Ähnlich wie
für Schwefeldioxid stellt sich die Situation bei den Kohlenmonoxidemissionen dar. In den HIC und den LIC wirkt der demographischen Wandel in
dieselbe Richtung wie für SO2 – erhöht also die Pro-Kopf-Emissionen. Le-
190
diglich in den MIC ändert sich die Situation dahingehend, dass für die Periode von 2015-2030 der Einfluss des demographischen Wandels auf die ProKopf-Emissionen an CO eindeutig negativ wird und für die Periode von
2030-2050 nicht mehr eindeutig bestimmbar ist. Folgende Tabelle fasst diese
Ergebnisse zusammen:
191
Tab. 4
Demographischer Wandel und Pro-Kopf-Umweltverbrauch
Marginaler Einfluss des demographischen Wandels
auf die Kohlendioxidemissionen pro Kopf
2005 - 2015
2015 - 2030
2030 - 2050
HIC
-
-
-
MIC
+
-
-
LIC
+
+
+
Marginaler Einfluss des demographischen Wandels
auf die Schwefeldioxidemissionen pro Kopf
2005 - 2015
2015 - 2030
2030 - 2050
HIC
+
+
+
MIC
+
?
+
LIC
+
+
+
Marginaler Einfluss des demographischen Wandels
auf die Kohlenmonoxidemissionen pro Kopf
2005 - 2015
2015 - 2030
2030 - 2050
HIC
+
+
+
MIC
+
-
?
LIC
+
+
+
+ (-) → Erhöhender (Senkender) Einfluss des demographischen Wandels auf
die Pro-Kopf-Emissionen . Einfluss ist ungewiss bei “?“
4.2 Demographischer Wandel und gesellschaftlicher Umweltverbrauch
Entscheidend für die Entwicklung der Gesamtemissionen ist laut Gleichung
(1) auch die Entwicklung der Bevölkerungsgröße. Gemäß Tabelle 1 ist der
marginale Einfluss des Bevölkerungswachstums in allen drei Regionen den
gesamten Zeitraum über positiv. Für die Fälle, wo der demographische
192
Wandel über die Bevölkerungsstruktur einen steigernden Einfluss auf die
Pro-Kopf-Emissionen haben wird, ist der Einfluss auf die Gesamtemissionen daher eindeutig positiv, da auch die Bevölkerungsgröße zunimmt25. In
den Fällen, in denen der demographische Wandel einen senkenden Einfluss
auf die Pro-Kopf-Emissionen haben wird, ist es allerdings schwierig genaue
Aussagen über die Entwicklung der Gesamtemissionen zu treffen, da unbekannt ist, welcher der beiden Effekte hier überwiegt26. Unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Unsicherheit fasst Tabelle 5 die erwarteten Effekte
des demographischen Wandels auf die Gesamtemissionen der drei Gase
zusammen. Die Tabelle ist folgendermaßen zu lesen: Eindeutige Effekte
werden direkt mit einem “+“ bzw. “-“ gekennzeichnet. In Fällen, in denen
man aufgrund der Größenverhältnisse annehmen kann, dass einer der beiden
Effekte (Einfluss über die Bevölkerungsstruktur bzw. über die Bevölkerungsgröße) den anderen dominiert, wird dies mit einem “(+)“ bzw. “(-)“
gekennzeichnet. Größenmäßig nicht eindeutige Effekte werden mit einem
“?“ dargestellt:
25
Siehe Gleichung (3).
26
So ist unklar, ob der positive erste Term von Gleichung (3) die negativen Terme 2 und 3
derselben Gleichung betragsmäßig übertrifft.
193
Marginaler Einfluss des demographischen Wandels
auf die Kohlendioxidemissionen
2005 - 2015
2015 - 2030
2030 - 2050
HIC
(+)
?
(-)
MIC
+
(+)
(-)
LIC
+
+
+
Marginaler Einfluss des demographischen Wandels
auf die Schwefeldioxidemissionen
2005 - 2015
2015 - 2030
2030 - 2050
HIC
+
+
+
MIC
+
(+)
+
LIC
+
+
+
Marginaler Einfluss des demographischen Wandels
auf die Kohlenmonoxidemissionen
2005 - 2015
2015 - 2030
2030 - 2050
HIC
+
+
+
MIC
+
(+)
?
LIC
+
+
+
Tab. 5
Demographischer Wandel und Gesamtemissionen
Im Vergleich zur Tabelle 4 fällt auf, dass in einigen Feldern der Einfluss des
demographischen Wandels durch das Miteinbeziehen der Bevölkerungsgröße nicht mehr senkend, sondern verstärkend sein wird. Dies liegt an der
gemachten Annahme, dass wachsende Bevölkerungen ceteris paribus mehr
Gase emittieren werden. Um zu verdeutlichen, wie die Tabelle in den nicht
eindeutigen Fällen zu lesen ist, sei hier ein Beispiel genauer erklärt. In der
Periode von 2005-2015 weist Tabelle 3 für die HIC einen negatives Demographic Gift von 0,2% aus. Dies wird einen dämpfenden Einfluss auf die
194
Entwicklung der Pro-Kopf-Emissionen an CO2 haben. Im selben Zeitraum
wächst aber die Bevölkerung mit jährlich 0,52%. Daher wird hier vermutet,
dass der Skaleneffekt der größeren Bevölkerung in diesem Fall noch überwiegt und die Gesamtemissionen durch den demographischen Wandel
schneller wachsen werden.
Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass der Einfluss des demographischen Wandels für die beiden lokalen und regionalen Luftverschmutzungen
in allen Regionen in fast allen Perioden durchweg positiv zu sein scheint.
Lediglich auf die CO2 -Emissionen ab 2030 kann ein senkender Einfluss des
demographischen Wandels vermutet werden.
5 Zusammenfassung und Ausblick
Hauptanliegen dieses Artikels war es, zu verdeutlichen, dass der demographische Wandel in den verschiedenen Regionen der Welt unterschiedliche
Einflüsse auf den Umweltverbrauch haben wird. Da die Regionen sich sowohl im Hinblick auf ihre Demographie, als auch im Hinblick auf ihre dringlichsten Umweltverschmutzungen und ihre jeweilige Position auf der Environmental Kuznets Curve (EKC) unterscheiden, muss der Einfluss des demographischen Wandels auf den Umweltverbrauch sowohl nach Regionen
als auch nach Arten des Umweltverbrauches getrennt werden. An dieser
Stelle folgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse für die jeweils relevantesten Umweltverschmutzungen der drei Ländergruppen:
•
CO2 wird heutzutage größtenteils in der Gruppe der HIC emittiert.
Nimmt man auch für die Zukunft einen positiven Zusammenhang
zwischen Pro-Kopf-Einkommen und CO2 -Pro-Kopf-Emissionen
an, kann festgestellt werden, dass der marginale Einfluss des demographischen Wandels auf die CO2 -Gesamtemissionen in den HIC
in den nächsten 10 Jahren wahrscheinlich positiv und erst ab 2030
negativ sein wird.
•
Die Gruppe der MIC emittiert in besonders großem Ausmaß SO2 .
Da sich diese Ländergruppe bis 2022 auf dem aufsteigenden Ast der
EKC befindet, werden die Gesamtemissionen bei weiter ansteigender Gesamtbevölkerung wahrscheinlich in Zukunft noch steigen.
195
Der Einfluss des demographischen Wandels ist hier eindeutig erhöhend, was auch nach 2030, jedoch mit anderen Vorzeichen, der Fall
sein wird. Da sich die Region dann auf dem fallenden Teil der EKC
befinden wird, sind sinkende Pro-Kopf-Emissionen eine Folge der
Einkommenssteigerungen. Dies wird, bei sehr mäßigem Bevölkerungswachstum, voraussichtlich zu sinkenden Gesamtemissionen
führen. Allerdings wird der demographische Wandel hier diese, für
die Umwelt positive, Entwicklung verlangsamen, da er das Einkommenswachstum (durch sinkende Erwerbsfähigenquoten) mindern wird.
•
Die Gruppe der LIC ist der größte Emittent von CO. Aufgrund der
relativ hohen Bevölkerungswachstumsraten und der Tatsache, dass
sich diese Ländergruppe den gesamten Zeitraum über auf dem ansteigenden Ast der EKC befindet, werden die CO-Emissionen in
dieser Ländergruppe vermutlich stark ansteigen. In der gesamten
Periode ist der Einfluss des demographischen Wandels auf die Gesamtemissionen an CO noch erhöhend.
Dieser Beitrag kann nur einen ersten Anhaltspunkt liefern, und es sind einige
sinnvolle Erweiterungen vorstellbar. Eine wertvolle Erweiterung wäre die
feinere Gliederung der regionalen Aufteilung, um möglichst Länder mit
ähnlicher Demographie und ähnlichem Wohlstandsniveau zusammenzuführen. Die in dieser Untersuchung vorgenommen Aufteilung ist gerade in der
Gruppe der MIC problematisch, da es beispielsweise für die Position auf der
EKC erhebliche Unterschiede macht, ob das betrachtete Land ein Einkommensniveau von 1.000 oder 9.000 US-$ aufweist. Zweitens könnten die in
dieser Arbeit einfach als linear angenommenen Beziehungen zwischen Bevölkerungsgröße und Umweltverbrauch sowie Pro-Kopf-Einkommen und
CO2 -Emissionen empirisch geschätzt werden, beziehungsweise auf bestehende Schätzungen aufgebaut werden. Dies würde es ermöglichen, unter
Zuhilfenahme einer sinnvollen Prognose zur Entwicklung des Pro-KopfEinkommens, den demographischen Einfluss auf die Emissionen der drei
Gase direkt in Emissionseinheiten zu schätzen, also auch quantitative Aussagen zulassen.
Über den oben behandelten Zusammenhang hinaus, kann der demographische Wandel (über die Bevölkerungsstruktur) auch einen Einfluss auf die
Umweltpräferenzen oder Konsummuster der Bevölkerung haben. Ein solcher
196
Zusammenhang hätte ebenfalls Auswirkungen auf den Pro-Kopf-Umweltverbrauch und sollte näher untersucht werden.
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Bettina Reich
Die Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS
1 Einleitung
Vor dem Hintergrund des Wandels von einer Industriegesellschaft zu einer
Dienstleistungs-, Hochtechnologie- und Informationsgesellschaft und damit
zu einer zugleich globalisierten und weltweit vernetzten Wirtschaft verliert
materielles Vermögen im Hinblick auf die Erreichung und Sicherung von
Wettbewerbsvorteilen sowie die Erhöhung des Unternehmenswertes immer
mehr an Bedeutung. Dagegen steigt die Fokussierung auf immaterielles
Vermögen in stetig zunehmendem Maße als bedeutende Ressource, die den
zukünftigen Wert und Erfolg von Unternehmen determiniert. Insofern haben
Unternehmen auch ein begründetes Interesse, dieses zu bilanzieren. Dabei ist
immaterielles Vermögen nach deutschem Bilanzrecht allerdings nur auszuweisen, wenn dieses entgeltlich erworben wurde. Infolgedessen differieren
seit Beginn der 90er Jahre in zunehmendem Maße die bilanziellen Buchwerte des Eigenkapitals von den Marktwerten der nach HGB (Handelsgesetzbuch) bilanzierenden Unternehmen in ganz erheblichem Umfang. Dabei
liegt diese asymmetrische Entwicklung neben subjektiven Einschätzungsspielräumen im Hinblick auf die Rechnungslegung vor allem auch in der
Existenz nicht bilanzierter immaterieller Vermögensgegenstände begründet.
So bezeichnete Moxter schon frühzeitig die immateriellen Vermögensgegenstände als „ewige Sorgenkinder des Bilanzrechts“1.
Die Bilanzierung nach IFRS (International Financial Reporting Standards vormals IAS (International Accounting Standards)) bietet aber gegenüber der
Bilanzierung nach HGB die Möglichkeit, sowohl entgeltlich erworbene immaterielle Vermögenswerte als auch selbst geschaffene immaterielle Vermö1
Moxter, A. (1979), S. 1102.
200
genswerte zu aktivieren. Dabei sind gemäß der EU-Verordnung Nr.
1606/2002 seit dem 1. Januar 2005, von einigen Ausnahmen2 abgesehen,
kapitalmarktorientierte Unternehmen3 mit Sitz in einem Mitgliedstaat der
Europäischen Union verpflichtet, ihre Konzernabschlüsse nach den Vorschriften der IFRS aufzustellen (§ 315a Abs. 1 und 2 HGB). Daneben besteht
infolge der Umsetzung des EU-Mitgliedstaatenwahlrechts im Rahmen des
BilReG (Bilanzrechtsreformgesetz) ein Wahlrecht für die Anwendung der
IFRS für die Erstellung von Konzernabschlüssen nicht-kapitalmarkt-orientierter Unternehmen (§ 315a Abs. 3 HGB) und von Einzelabschlüssen kapitalmarktorientierter sowie nicht-kapital-marktorientierter Unternehmen
(§325 Abs. 2a HGB), wobei die IFRS-Einzelabschlüsse wiederum ausschließlich Informationszwecken dienen. Dabei impliziert die Umstellung
auf die Rechnungslegung nach IFRS im Vergleich zu der bisherigen Rechnungslegung nach HGB vielschichtige und weitreichende Änderungen sowie
vielfältigere Möglichkeiten im Hinblick auf die Bilanzierung von immateriellem Vermögen und vermag infolge einer Annäherung der Buchwerte des
Eigenkapitals an dessen Marktwerte möglicherweise eine vorherrschende
Informationslücke zu schließen.
2 Wesensbestimmung immateriellen Vermögens
Der Begriff des immateriellen Vermögens wird sowohl in der Wissenschaft
als auch in der unternehmerischen Praxis äußerst differenziert betrachtet und
damit unterschiedlich weit abgegrenzt, so dass sich bisher weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene eine eindeutige Wesensbestimmung
herauskristallisiert hat. Dementsprechend finden Ausführungen in Form von
sowohl sprachlich als auch inhaltlich mehr oder minder stark voneinander
2
Eine Übergangsfrist bis 2007 gilt für europäische Unternehmen, die ihren Konzernabschluss aufgrund einer Notierung in einem Nicht-EU-Land noch nach anderen international
anerkannten Rechnungslegungsnormen, wie z.B. US-GAAP (United States Generally Accepted Accounting Principles), aufstellen und veröffentlichen sowie für Unternehmen, die
den organisierten Markt ausschließlich wegen emittierter Fremdkapitaltitel in Anspruch
nehmen.
3
Als kapitalmarktorientierte Unternehmen sind Unternehmen zu verstehen, die einen organisierten Markt i.S.d. § 2 Abs. 5 WpHG (Wertpapierhandelsgesetz) durch von ihnen oder
einem ihrer Tochterunternehmen ausgegebene Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 WpHG in
Anspruch nehmen.
201
abweichenden Termini, wie u.a. Intangibles4, immaterielle Vermögensgegenstände5, immaterielle Vermögenswerte6 und immaterielle Werte7 sowie
immateriale Güter8 oder Intangible Assets9 als auch Intellectual Capital10 für
die Begrifflichkeit des immateriellen Vermögens synonyme respektive inhaltsverwandte Anwendung.
Dabei wird aber im Allgemeinen eine sowohl in der deutschen als auch in
der internationalen Rechnungslegungsliteratur anerkannte negative Abgrenzung des immateriellen Vermögens vom sonstigen Vermögen vorgenommen.11 Danach umfasst zunächst das rein immaterielle Vermögen das nichtkörperliche Vermögen, das nicht greifbar ist und sich durch dessen geistige
und rechtliche Form kennzeichnen lässt, im Gegensatz zum materiellen
Vermögen, das wiederum das körperliche, stoffliche und damit greifbare
Vermögen inkludiert.12 Daneben wird dann das materialisierte immaterielle
Vermögen, das sich aus immateriellen und materiellen Bestandteilen zusammensetzt, als immaterielles Vermögen klassifiziert, wenn dem materiellen Vermögen als Trägermedium lediglich eine untergeordnete Bedeutung zukommt und dieses vielmehr Transport- und Dokumentations- sowie
Speicherungs- oder Lagerungszwecke übernimmt. Insofern impliziert bspw.
auf einem Datenträger gespeicherte Software immaterielles Vermögen. Ferner liegt beim nominellen oder finanziellen Vermögen, wie z.B. Forderungen
und Verbindlichkeiten, analog zum immateriellen Vermögen auch nichtkörperliches Vermögen vor. Das immaterielle Vermögen ist aber im Gegensatz
zum finanziellen Vermögen nicht monetär geprägt.13
4
Vgl. Zimmermann/Schütte (2004), S. 315; Weber, C.-P. (2002), S. 323; Küting/Dürr
(2003), S. 1.
5
Vgl. § 266 Abs. 2 HGB.
6
Vgl. DRS 12; IAS 38; Kaplan/Norton (2004), S. 3.
7
Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2001), S. 989.
8
Vgl. Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 1; Dawo, S. (2003), S. 5; Keitz, I. v.(1997), S. 6.
9
Vgl. Daum, J. H. (2002), S. 17.
10
Vgl. Brandes/Schabel/Wache (2005), S. 17; Daum, J. H. (2002), S. 7; Sullivan, P. H.
(2000), S. 8f.
11
Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2004), S. 225.
12
Vgl. Bitz/Schneeloch/Wittstock (2003), S. 145.
13
Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2004), S. 225.
202
Des Weiteren wird unabhängig vom Rechnungslegungssystem regelmäßig
zwischen dem Unternehmensbetrieb dauerhaft dienendem immateriellen
Vermögen des Anlagevermögens, wie z.B. Markennamen für Produkte, und
dem zur Veräußerung bestimmten immateriellen Vermögen des Umlaufvermögens (Vorräte), wie bspw. im Kundenauftrag entwickelte Software, unterschieden.14 Vor dem Hintergrund der Bedeutung des dem Unternehmen
langfristig dienenden immateriellen Anlagevermögens wird das immaterielle
Umlaufvermögen aber nachfolgend vernachlässigt und damit ausschließlich
das immaterielle Anlagevermögen als Untersuchungsgegenstand behandelt.15
Darüber hinaus wird in Abhängigkeit von der Form des Zugangs des immateriellen Vermögens zum Unternehmen zwischen dem originären immateriellen Vermögen, das das Unternehmen von Dritten erworben hat, und dem
derivativen immateriellen Vermögen, das von einem Unternehmen selbst
geschaffen wurde, differenziert.16
Weiterhin ist das immaterielle Vermögen von dem Geschäfts- oder Firmenwert (GfW) respektive Goodwill abzugrenzen, der als Differenz aus dem
Ertragswert bzw. bei einem Unternehmenserwerb dem Kaufpreis und dem
Nettosubstanzwert eines Unternehmens zu verstehen ist. Insofern umfasst
das immaterielle Vermögen neben dem nicht separat aktivierten immateriellen Vermögen, das zum einen dem immateriellen Vermögen und zum anderen auch dem Geschäfts- oder Firmenwert zugeordnet ist, das separat aktivierte immaterielle Vermögen.17 Dabei kann aber der bilanzrechtlich differenziert als Vermögensgegenstand, Bilanzierungshilfe, Rechnungsabgrenzungsposten oder Aliud beurteilte Geschäfts- oder Firmenwert auch
weitere nicht zum immateriellen Vermögen zählende Bestandteile aufweisen.18
Außerdem stellen Aufwendungen, wie Ausgaben für Forschung und Entwicklung, selbst kein immaterielles Vermögen dar, sondern können vielmehr
14
Vgl. Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 252.
15
Im Folgenden findet der Begriff des immateriellen Vermögens vereinfachend für den
Terminus des immateriellen Vermögens des Anlagevermögens Anwendung.
16
Vgl. Bitz/Schneeloch/Wittstock (2003), S. 146; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 57f.
17
Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2004), S. 227.
18
Vgl. Bitz/Schneeloch/Wittstock (2003), S. 146.
203
zu potentiellem immateriellem Vermögen in Form von Forschungs- oder
Teilergebnissen führen und sind im Rahmen eines pagatorisch abgesicherten
Rechnungslegungssystems als Aufwendungen zum Erwerb, zur Schaffung
oder auch zur Verbesserung von immateriellem Vermögen zu aktivieren
respektive als Aufwand zu erfassen.19
Schließlich lässt sich das immaterielle Vermögen nach dem Arbeitskreis
„Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ neben unterschiedlichen anderen
Umschreibungen in Form von Kategorisierungen20 operational und umfassend sowie unabhängig von dessen Aktivierungsfähigkeit in die einstufigen
sieben Kategorien Innovation-Capital, Human-Capital, Customer-Capital
und Supplier-Capital, Investor-Capital sowie Process-Capital und LocationCapital systematisieren.21 Danach umfasst das Innovation-Capital das immaterielle Vermögen im Bereich der Produkt- und Dienstleistungs- sowie Verfahrensinnovationen eines Unternehmens, wie z.B. Software, Patente, Filme,
ungeschützte Rezepturen. Das Human-Capital beinhaltet dann das immaterielle Vermögen im Personalbereich eines Unternehmens, wie u.a. Kompetenz und Wissen von Personal und Management und Betriebsklima. Dagegen
expliziert das Customer-Capital das immaterielle Vermögen im Absatzbereich eines Unternehmens, wie bspw. Marken, Marktanteile, Kundenlisten,
Kundenzufriedenheit und auch Abnahmeverträge. Das Supplier-Capital
bezeichnet analog das immaterielle Vermögen im Beschaffungsbereich eines
Unternehmens, wie z.B. Verträge über den Bezug knapper Rohstoffe. Das
Investor-Capital erfasst wiederum das immaterielle Vermögen im Finanzbereich eines Unternehmens, wie z.B. Konditionen der Eigen- und Fremdkapitalbeschaffung. Indessen beschreibt das Process-Capital das immaterielle
Vermögen im Organisationsbereich vor dem Hintergrund der Ablauf- und
Aufbauorganisation eines Unternehmens, wie bspw. Vertriebsnetz, Qualitätssicherung und Kommunikationsnetz. Schließlich fasst das LocationCapital das immaterielle Vermögen im Hinblick auf den Standort eines Unternehmens zusammen, wie z.B. Standortvorteile in Form von Steuervorteilen.22
19
Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2001), S. 991.
20
Vgl. im deutschen Schrifttum z.B. Reuleaux, S. (1987), S. 48-56.
21
Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2003), S. 1234.
22
Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2004), S. 226 f; Arbeitskreis
„Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2001), S. 990 f.
204
3 Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS
3.1 Definition und Ansatz immaterieller Vermögenswerte nach IFRS
Die zentrale Anwendungsvorschrift für immaterielle Vermögenswerte IAS
38 Intangible Assets ist im März 1998 im Zuge langwieriger Diskussionen
des IASC (International Accounting Standards Commitee) aus den Exposure
Drafts E 50 Intangible Assets und E 60 Intangible Assets hervorgegangen,
wurde dann im Zuge eines Proposed Improvement Project umfassend überarbeitet und im März 2004 vom IASB (International Accounting Standards
Board) -vormals IASC- verabschiedet, so dass IAS 38 nunmehr gänzlich den
aus dem Jahre 1978 resultierenden IAS 9 Research and Development Costs
ersetzt.23 Demnach ist ein immaterieller Vermögenswert gemäß IAS 38.8
definiert als ein „identifizierbarer, nicht monetärer Vermögenswert ohne
physische Substanz“, über den das Unternehmen aufgrund von Ereignissen in
der Vergangenheit eine Verfügungsmacht besitzt und aus dem in Zukunft ein
wirtschaftlicher Nutzenzufluss resultiert. Dabei besteht nach IAS 38 eine
Ansatzpflicht für einen Sachverhalt als immaterieller Vermögenswert, wenn
dieser im Zuge einer umfangreichen zweistufigen Prüfung sowohl die abstrakte Aktivierungsfähigkeit als auch die konkrete Aktivierungsfähigkeit
erfüllt.24 Infolgedessen verlangt der Ansatz eines Postens als immaterieller
Vermögenswert das Vorliegen der Definitionskriterien gemäß IAS 38.8-17
sowie der Ansatzkriterien gemäß IAS 38.21-23.25 Dabei begründen die im
Rahmenwerk in F. 49a verankerten Vermögenswertkriterien und die in F. 83
23
Vgl. Wulf, I. (2004), S. 8; Lutz-Ingold, M. (2005), S. 153f; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S.
20f. Daher umfasst IAS 38 alle Arten von immateriellen Vermögenswerten, die nicht in
anderen Einzelstandards, wie IAS 2 Inventories, IAS 11 Construction Contracts, IAS 12
Income Taxes, IAS 17 Leases, IAS 19 Employee Benefits, IAS 39 Financial Instruments,
IFRS 3 Business Combinations, IFRS 4 Insurance Contracts oder IFRS 5 Non-current Assets Held for Sale and Discontinued Operations, konkret behandelt werden sowie keine
Abbau- und Schürfrechte und Ausgaben für die Erschließung oder die Förderung und den
Abbau von Mineralien, Öl, Erdgas und ähnlichen nicht regenerativen Ressourcen (vgl. IAS
38.2-3).
24
Vgl. Esser/Hackenberger (2004), S. 403; Dawo, S. (2003), S. 193; Schmidbauer, R. (2004),
S. 1443.
25
Vgl. IAS 38.18.
205
dargelegten Ansatzkriterien, die aufgrund des dem Rahmenwerk fehlenden
Verpflichtungscharakters in IAS 38 wiederholt und hinsichtlich der Anforderungen an immaterielle Vermögenswerte konkretisiert und damit um weitere
Kriterien ergänzt werden, auch die abstrakte und konkrete Aktivierungsfähigkeit immaterieller Vermögenswerte.26 Insofern müssen immaterielle Vermögenswerte zusätzlich zu den Definitions- und Ansatzkriterien der Vermögenswerte, die nach den Vorschriften der IFRS der Investitionsrechnung
folgend als Strömungsgrößen einen Zeitraumbezug aufweisen und damit
dynamisch und nutzwertorientiert gesehen werden,27 weitere postenspezifische Kriterien erfüllen. Dementsprechend muss es sich im Hinblick auf die
abstrakte Aktivierungsfähigkeit immaterieller Vermögenswerte zunächst um
einen Vermögenswert im Sinne einer nicht monetären Ressource ohne physische Substanz handeln, die ein Ergebnis von Ereignissen in der Vergangenheit darstellt.28 Daneben ist die Identifizierbarkeit (Identifiability) eines Vermögenswertes immer dann gegeben, wenn dieser separierbar ist, d.h. alleine
oder im Zusammenhang mit einem Vertrag, einem Vermögenswert oder
einer Schuld vom Unternehmen verkauft, übertragen, lizenziert, vermietet
oder getauscht werden kann, oder aus vertraglichen oder anderen gesetzlichen Rechten, wie z.B. Lizenzen oder Patenten, entsteht, unabhängig davon,
ob diese Rechte übertragbar oder separierbar sind.29 Demnach muss ein
immaterieller Vermögenswert individuell bestimmbar und damit vom Geschäfts- oder Firmenwert eindeutig unterscheidbar sein.30 Des Weiteren liegt
die Verfügungsmacht (Control) eines Unternehmens über einen Vermögenswert dann vor, wenn sich das Unternehmen den aus dem Vermögenswert in Zukunft resultierenden wirtschaftlichen Nutzenzufluss verschaffen
und den Zugriff Dritter darauf beschränken kann. Die Verfügungsmacht
eines Unternehmens kann sowohl eine rechtliche als auch eine ausreichende
wirtschaftliche Beherrschung implizieren, wobei diese aber bspw. nicht über
26
Vgl. Dawo, S. (2003), S. 193; Schmidbauer, R. (2004), S. 1443; Heyd/Lutz-Ingold (2005),
S. 33.
27
Vgl. Buchholz, R. (2004a), S. 221f.; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 28; Pellens/Fülbier
(2000), S. 124.
28
Vgl. IAS 38.8; Esser/Hackenberger (2004), S. 403; Dawo, S. (2003), S. 193.
29
Vgl. IAS 38.12.
30
Vgl. IAS 38.11; Born, K. (2005), S. 121; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 4; Dawo, S. (2003),
S. 194.
206
den künftigen wirtschaftlichen Nutzenzufluss aus dem Know-How der Mitarbeiter besteht.31 Darüber hinaus muss das Unternehmen aus dem Vermögenswert in Zukunft auch einen wirtschaftlichen Nutzenzufluss (Future Economic Benefit) generieren können, der wiederum aus Erlösen aus dem Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen, Kosteneinsparungen oder anderen Vorteilen der unternehmensinternen Verwendung resultieren kann.32
Schließlich erfolgt die Aktivierung eines immateriellen Vermögenswertes
nur dann, wenn zusätzlich auch die konkrete Aktivierungsfähigkeit erfüllt
ist.33 Diese ist dann gegeben, wenn dem Unternehmen in Zukunft der erwartete wirtschaftliche Nutzen aus dem immateriellen Vermögenswert wahrscheinlich zufließt (Probability) und die Anschaffungs- oder Herstellungskosten des immateriellen Vermögenswertes zuverlässig bestimmt werden
können (Reliability).34 Dabei ist die Wahrscheinlichkeit des erwarteten künftigen wirtschaftlichen Nutzenzuflusses nicht quantifiziert, gleichwohl soll
dessen Abschätzung auf vernünftigen und nachvollziehbaren Annahmen
sowie der bestmöglichen Einschätzung des Managements des bilanzierenden
Unternehmens hinsichtlich der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen während der Nutzungsdauer des immateriellen Vermögenswertes beruhen.35
Zudem sind unternehmensexterne Werthaltigkeitshinweise gegenüber unternehmensinternen Kalkulationen aus Objektivierungsgründen stärker zu gewichten.36 Darüber hinaus sind dann die Anschaffungskosten bei einzeln
erworbenen immateriellen Vermögenswerten aufgrund der dem Kaufpreis
innewohnenden objektivierenden Wirkung gewöhnlich eindeutig feststellbar.37 Vor dem Hintergrund der mangelnden Praktikabilität der Ansatzkriterien der Wahrscheinlichkeit des in Zukunft erwarteten wirtschaftlichen Nut-
31
Vgl. IAS 38.13-16; Wulf, I. (2004), S. 8; Buchholz, R. (2004a), S. 223.
32
Vgl. IAS 38.17.
33
Die Abgrenzung der abstrakten Aktivierungsfähigkeit von der konkreten Aktivierungsfähigkeit ist unscharf, so dass die nachfolgend explizierten Ansatzkriterien der konkreten
Aktivierungsfähigkeit in der Literatur vereinzelt auch bereits der abstrakten Aktivierungsfähigkeit zugeordnet werden (vgl. z.B. Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 255f; Heyd/LutzIngold (2005), S. 27).
34
Vgl. IAS 38.21; Wagenhofer, A. (2005), S. 205.
35
Vgl. IAS 38.22; Esser/Hackenberger (2004), S. 405; Schmidbauer, R. (2004), S. 1443.
36
Vgl. IAS 38.23; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 255; Dawo, S. (2003), S. 199.
37
Vgl. IAS 38.25-26 und 38.34; Schmidbauer, R. (2004), S. 1443; Dawo, S. (2003), S. 201f.
207
zenzuflusses und der zuverlässigen Bestimmung der Herstellungskosten bei
selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswerten wird deren zeitlicher
Entstehungsprozess zur Feststellung der konkreten Aktivierungsfähigkeit
hilfsweise sowohl in eine Forschungsphase als auch in eine Entwicklungsphase unterteilt.38
Dabei ist die Forschung als eigenständige und planmäßige Suche nach neuen
wissenschaftlichen oder technischen Erkenntnissen zu verstehen.39 Die Forschungsaktivitäten innerhalb der Forschungsphase umfassen z.B. Aktivitäten
zur Erlangung neuer Erkenntnisse (Grundlagenforschung) oder die Suche,
Bewertung und Auswahl von Forschungserkenntnissen (angewandte Forschung).40 Das bilanzierende Unternehmen kann in der Forschungsphase
jedoch nicht zuverlässig nachweisen, dass aus den Forschungsaktivitäten in
Zukunft ein wahrscheinlich wirtschaftlich vorteilhafter immaterieller Vermögenswert resultiert.41 Demzufolge besteht grundsätzlich ein Ansatzverbot
für die produktfernen Forschungskosten (Research Costs), die damit sofort
als Aufwand zu erfassen sind.42 Dagegen gilt die Entwicklung als die der
Forschung nachgelagerte vor Beginn der kommerziellen Produktion oder
Nutzung stattfindende Anwendung von Forschungsergebnissen oder anderem Wissen auf einen Plan oder Entwurf für die Produktion von neuen oder
beträchtlich verbesserten Materialien, Vorrichtungen, Produkten, Verfahren,
Systemen oder Dienstleistungen.43 Dabei setzen sich die Entwicklungsaktivitäten innerhalb der Entwicklungsphase bspw. aus der Fertigung von Prototypen und Modellen sowie Pilotanlagen zusammen.44 Demnach unterliegen
die objektbezogenen Entwicklungskosten (Development Costs) einer Ansatzpflicht, wenn das bilanzierende Unternehmen die kumulative Erfüllung
der bestimmten ergänzenden Aktivierungskriterien erstmalig nachweisen
38
Vgl. IAS 38.51-52; Wulf, I. (2004), S. 9. Die Bilanzierung selbst erstellter Webauftritte für
den unternehmensinternen oder unternehmensexternen Gebrauch behandelt die Interpretation SIC-32 Intangible Assets – Web Site Costs, die auch die Differenzierung der Forschungsphase von der Entwicklungsphase hinsichtlich der Websitekosten expliziert.
39
Vgl. IAS 38.8.
40
Vgl. IAS 38.56; Ammann/Müller (2004), S. 136; Kirsch, H. (2005a), S. 59.
41
Vgl. IAS 38.55; Buchholz, R. (2004b), S. 80.
42
Vgl. IAS 38.54; Buchholz, R. (2004b), S. 80.
43
Vgl. IAS 38.8.
44
Vgl. IAS 38.59.
208
kann.45 Danach ist zunächst die technische Realisierbarkeit der Fertigstellung des immateriellen Vermögenswertes zu erfüllen, damit dieser zur internen Nutzung oder zum Verkauf zur Verfügung steht. Daneben muss die
Absicht zur Fertigstellung des immateriellen Vermögenswertes vorliegen,
um diesen intern zu nutzen oder zu verkaufen. Des Weiteren muss auch die
Fähigkeit bestehen, den immateriellen Vermögenswert intern zu nutzen oder
zu verkaufen. Darüber hinaus ist die Art und Weise, wie der immaterielle
Vermögenswert einen voraussichtlichen künftigen wirtschaftlichen Nutzen
erzielen wird, nachzuweisen, z.B. durch die Existenz eines Marktes für den
immateriellen Vermögenswert oder dessen Produkte oder im Falle der internen Nutzung durch den Nutzen des immateriellen Vermögenswertes. Ferner
ist die Verfügbarkeit adäquater technischer, finanzieller und sonstiger Ressourcen auszuweisen, um die Entwicklung abzuschließen und den immateriellen Vermögenswert zu nutzen oder zu verkaufen. Schließlich muss die
Fähigkeit bestehen, die dem immateriellen Vermögenswert während seiner
Entwicklung zurechenbaren Ausgaben zuverlässig zu bewerten.46 Diese
zusätzlichen Ansatzkriterien führen einerseits zu einer de facto restriktiveren
Behandlung der selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswerte gegenüber den erworbenen immateriellen Vermögenswerten,47 andererseits wird
dem bilanzierenden Unternehmen bei der Erfüllung seiner Nachweispflicht
aber auch ein weitreichender Entscheidungsspielraum beim Ansatz eines
selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswertes eröffnet.48 So kann der
Ansatzzeitpunkt unternehmensindividuell begründet in das eine oder andere
Geschäftsjahr verlagert werden.49 Daneben werden die Herstellungskosten
eines selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswertes in der Entwicklungsphase solange als Aufwand verrechnet, bis das Unternehmen die sechs
Ansatzkriterien eindeutig nachweisen kann. Dabei ist die Nachaktivierung
von bereits als Aufwand erfassten Entwicklungskosten untersagt.50 So impliziert auch die Auslegung der speziellen Ansatzkriterien einen erheblichen
Einschätzungsspielraum mit Einfluss auf die extern weder einzuschätzende
45
Vgl. 38.57; Dawo, S. (2003), S. 203.
46
Vgl. 38.57; Kirsch, H. (2005a), S. 55; Wagenhofer, A. (2005), S. 208.
47
Vgl. Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 39.
48
Vgl. Dawo, S. (2003), S. 205; Wulf, I. (2001), S. 128; Müller, S. (2003), S. 129.
49
Vgl. Wulf, I. (2005), S. 6.
50
Vgl. IAS 38.65 und das dazugehörige Beispiel.
209
noch zu quantifizierende Sachverhaltsgestaltung und damit im Ergebnis ein
faktisches Ansatzwahlrecht für Entwicklungskosten.51 In dem Fall, in dem
das Unternehmen aufgrund der interdependenten Beziehung zwischen den
Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten die Forschungsphase nicht von der
Entwicklungsphase abgrenzen kann, werden die gesamten Projektkosten als
in der Forschungsphase angefallener Aufwand erfasst.52
Ferner besteht ein explizites Ansatzverbot für selbst geschaffene Markennamen, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten und ihrem Wesen nach ähnliche Sachverhalte, da diese nicht oder nur selten die Ansatzkriterien erfüllen
und somit deren Entwicklungskosten nicht hinreichend von den sonstigen
Aufwendungen des Unternehmens, also von dem originären Geschäfts- oder
Firmenwert, unterschieden werden können.53 Durch das Fehlen eines aktiven
Marktes für diese bestimmten selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswerte mit hohem Wert- und Erfolgspotenzial ist deren zuverlässige
Bewertbarkeit, die das IASB höher gewichtet als deren Relevanz, nicht gegeben.54 Daneben sind auch Ausgaben für die Gründung und den Anlauf
eines Geschäftsbetriebes sowie für Aus- und Weiterbildungsaktivitäten,
Werbekampagnen und Maßnahmen der Verkaufsförderung sowie für die
Verlegung oder Reorganisation von Unternehmensteilen oder des gesamten
Unternehmens als Aufwand in der Periode zu erfassen, in der sie anfallen.55
In Abgrenzung zum selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswert unterliegt auch ein selbst geschaffener Geschäfts- oder Firmenwert einem Ansatzverbot, da dieser zum einen nicht identifizierbar, also separierbar, ist und
zum anderen nicht auf vertraglichen oder gesetzlichen Rechten beruht.56
Dagegen besteht aber nach IFRS 3 Business Combinations eine Ansatzpflicht für im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses erworbene
immaterielle Vermögenswerte, die infolge der Erwerbsmethode (Purchase
Method) im Zuge der Kaufpreisallokation nun auch separat zu erfassen sind,
51
Vgl. Wulf, I. (2004), S. 9; Esser/Hackenberger (2004), S. 405f; Dawo, S. (2003), S. 205f;
Birgel, K. (2005), S. 135.
52
Vgl. IAS 38.53; Leibfried/Pfanzelt (2004), S. 491; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 260.
53
Vgl. IAS 38.63-64; Wulf, I. (2005), S. 7; Wagenhofer, A. (2005), S. 211.
54
Vgl. IAS 38.78; Wulf, I. (2005), S. 7.
55
Vgl. IAS 38.69.
56
Vgl. IAS 38.48-50.
210
wenn diese zum einen die Definition eines immateriellen Vermögenswertes
gemäß IAS 38 erfüllen und zum anderen deren beizulegender Zeitwert (Fair
Value) zuverlässig bewertet werden kann.57 Dabei entspricht der beizulegende Zeitwert dem Betrag, zu dem zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern ein Vermögenswert getauscht werden könnte.58 So umfassen die aktivierungsfähigen immateriellen Vermögenswerte auch die bisher einem Ansatzverbot unterliegenden immateriellen Vermögenswerte, wie z.B. Markennamen und Kundenlisten.59 Diese sind aber nicht zuverlässig bewertbar und damit nicht
separat anzusetzen, wenn jene aus gesetzlichen oder anderen vertraglichen
Rechten entstehen und nicht separierbar sind oder separierbar sind, aber
vergleichbare Markttransaktionen nicht vorliegen und Schätzungen somit auf
unbestimmbaren Variablen beruhen.60 Die sich daraus ergebenden ganz
erheblichen Einschätzungsspielräume wirken sich dann über die Folgebewertung auch auf die nachfolgenden Jahre aus.61 Die nicht identifizierbaren
oder zuverlässig bewertbaren immateriellen Vermögenswerte fließen
schließlich in den entgeltlich erworbenen Geschäfts- oder Firmenwert ein.62
So ist der aus einem Asset Deal, also dem Erwerb einer Gruppe von Vermögenswerten, resultierende Geschäfts- oder Firmenwert im Einzelabschluss zu
aktivieren. Daneben ist der aus einem Unternehmenserwerb (Share Deal)
resultierende Geschäfts- oder Firmenwert im Zuge der Kapitalkonsolidierung
wiederum in der Konzernbilanz anzusetzen.63
57
Vgl. IFRS 3.45.
58
Vgl. IAS 38.8.
59
Vgl. IFRS 3, Illustrative Examples A1 und B1.
60
Vgl. IAS 38.38; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 52f; Wulf, I. (2005), S. 7.
61
Vgl. Wulf, I. (2005), S. 7f.
62
Vgl. Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 54.
63
Vgl. IFRS 3.51.a; Hayn/Waldersee (2004), S. 110f; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S.
625ff.
211
3.2 Bewertung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS
3.2.1
Erstbewertung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS
Die Erstbewertung respektive Zugangsbewertung aktivierungsfähiger immaterieller Vermögenswerte erfolgt in Abhängigkeit von der jeweiligen
konkreten Erwerbsform zum Zugangszeitpunkt auf Basis der Anschaffungsoder Herstellungskosten.64 Demnach sind einzeln erworbene immaterielle
Vermögenswerte bei Zugang grundsätzlich mit ihren Anschaffungskosten zu
bewerten.65 Dabei implizieren die Anschaffungskosten neben dem Kaufpreis
auch die Anschaffungsnebenkosten, wie Einfuhrzölle, nicht erstattungsfähige
Umsatzsteuern sowie alle direkt zurechenbaren Kosten, wie bspw. Arbeitnehmervergütungen, Honorare und Aufwendungen für Testläufe, um einen
immateriellen Vermögenswert in seine bestimmungsgemäße Betriebsbereitschaft zu versetzen, und eventuell vom Kaufpreis abzuziehende Anschaffungspreisminderungen, wie Rabatte, Boni und Skonti.66 Insofern zählen
dann z.B. Kosten für die Markteinführung sowie für Werbung und Verkaufsförderung, Kosten der Geschäftserweiterung und Mitarbeiterschulung sowie
Verwaltungskosten und andere Gemeinkosten aber auch Kosten für die Inbetriebnahme sowie Anlaufverluste nicht zu den Anschaffungskosten.67
Infolgedessen können entgeltlich erworbene immaterielle Vermögenswerte
bei Zugang generell zuverlässig mit ihrem Kaufpreis in Form von Zahlungsmitteln oder Zahlungsmitteläquivalenten bewertet werden.68 Des Weiteren besteht für durch eine Zuwendung der öffentlichen Hand erworbene
immaterielle Vermögenswerte, wie bspw. Flughafenlanderechte, ein Bewertungswahlrecht. So können diese bei Zugang entweder mit dem beizulegenden Zeitwert im seltenen Falle des Vorliegens eines aktiven Marktes69 oder aber dem Nominalwert der Gegenleistung als symbolischer Wert
64
Vgl. IAS 38.24; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 256; Dawo, S. (2003), S. 207.
65
Vgl. IAS 38.25; Kirsch, H. (2005a), S. 58; Wagenhofer, A. (2005), S. 214.
66
Vgl. IAS 38.27-28; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 59f; Lutz-Ingold, M. (2005), S. 197.
67
Vgl. IAS 38.29-30.
68
Vgl. IAS 38.25-26; Dawo, S. (2003), S. 208; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 58f.
69
Ein aktiver Markt ist definiert als ein Markt, auf dem homogene Produkte gehandelt werden, vertragswillige Käufer und Verkäufer in der Regel jederzeit gefunden werden und
Preise der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen (vgl. IAS 38.8).
212
zuzüglich aller direkt zurechenbaren Kosten bewertet werden.70 Daneben
sind durch Tausch erworbene immaterielle Vermögenswerte gegen nicht
monetäre Vermögenswerte oder eine Kombination von monetären und nicht
monetären Vermögenswerten bei Zugang grundsätzlich mit dem beizulegenden Zeitwert der hingegebenen Vermögenswerte anzusetzen. Dies gilt jedoch
nicht, wenn dem Tausch wirtschaftliche Substanz im Hinblick auf die voraussichtliche Änderung der zukünftigen Cash Flows infolge des Tausches
fehlt oder weder der beizulegende Zeitwert der erhaltenen immateriellen
Vermögenswerte noch der der hingegebenen Vermögenswerte zuverlässig
bewertbar ist. Dann sind die erworbenen immateriellen Vermögenswerte mit
dem Buchwert der hingegebenen Vermögenswerte anzusetzen.71
Dagegen sind selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte bei Zugang
mit ihren Herstellungskosten zu bewerten. Dabei umfassen die Herstellungskosten ab dem Zeitpunkt, ab dem die Ansatzkriterien für alle immateriellen
Vermögenswerte sowie die sechs ergänzenden Ansatzkriterien für selbst
geschaffene immaterielle Vermögenswerte erstmalig kumulativ erfüllt sind,
wegen des Aktivierungsverbotes von Forschungskosten grundsätzlich nur
Entwicklungskosten sowie alle direkt zurechenbaren Kosten, wie z.B. Kosten für Materialien und Dienstleistungen, Arbeitnehmervergütungen, Registrierungsgebühren eines Rechtsanspruches sowie Abschreibungen auf Patente
und Lizenzen und damit neben den Einzelkosten auch produktionsbezogene
Gemeinkosten zur Schaffung, Herstellung und Vorbereitung immaterieller
Vermögenswerte für die bestimmungsgemäße Betriebsbereitschaft.72 Daher
zählen dann bspw. Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten sowie sonstige
Gemeinkosten aber auch identifizierbare Ineffizienzen und Anlaufverluste
sowie Kosten für die Mitarbeiterschulung nicht zu den Herstellungskosten.73
Im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses erworbene immaterielle
Vermögenswerte sind zum Erwerbszeitpunkt mit ihrem beizulegenden Zeitwert zu bewerten.74 Dabei bemisst sich der beizulegende Zeitwert im seltenen Falle des Vorliegens eines aktiven Marktes im Zuge der Kaufpreisallo-
70
Vgl. IAS 38.44 i.V.m. IAS 20.23; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 60f.
71
Vgl. IAS 38.45-46.
72
Vgl. IAS 38.65-66; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 63ff; Esser/Hackenberger (2004), S. 407f.
73
Vgl. IAS 38.67; Kirsch, H. (2005a), S. 58f.
74
Vgl. IAS 38.33.
213
kation nach dem aktuellen Marktpreis oder bei zwischenzeitlich nicht wesentlich veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach dem geschätzten Marktpreis des letzten vergleichbaren Geschäftsvorfalles.75 In
Ermangelung eines aktiven Marktes wird der beizulegende Zeitwert für die
meisten immateriellen Vermögenswerte alternativ zur Marktpreisbewertung
dann regelmäßig über eine Vielzahl anderer zugelassener Bewertungsmaßstäbe und Bewertungsverfahren, wie bspw. Marktpreisschätzungen,76 Multiplikatorverfahren,77 Discounted-Cash-Flow-Verfahren78 und Gruppenbewertung,79 ermittelt, so dass bis auf wenige Ausnahmefälle eine zuverlässige
Bewertbarkeit und damit ein separater Ansatz möglich ist.80 Der entgeltlich
erworbene Geschäfts- oder Firmenwert ist zu seinen Anschaffungskosten als
Differenz der Anschaffungskosten für das erworbene Unternehmen und den
identifizierbaren Vermögenswerten abzüglich der identifizierbaren Schulden
und Eventualschulden zu bewerten.81
3.2.2
Folgebewertung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS
Nach der Erstbewertung ist die Folgebewertung immaterieller Vermögenswerte im Zuge eines eingeschränkten Bewertungsmethodenwahlrechts generell entweder nach der Anschaffungskostenmethode oder der Neubewertungsmethode vorzunehmen.82 So sieht die Anschaffungskostenmethode
(Cost Model) eine Bewertung zu fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten vor. Diese entsprechen den bei Zugang angesetzten historischen
Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich aller bis zum Zeitpunkt
der Folgebewertung kumulierten planmäßigen und außerplanmäßigen Abschreibungen zuzüglich aller kumulierten Zuschreibungen.83 Indessen erfolgt
nach der Neubewertungsmethode (Revaluation Model) eine regelmäßige
75
Vgl. IAS 38.39.
76
Vgl. IAS 38.40.
77
Vgl. IAS 38.41.a.
78
Vgl. IAS 38.41.b.
79
Vgl. IAS 38.36-37.
80
Vgl. Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 69ff; Lutz-Ingold, M. (2005), S. 203f.
81
Vgl. IFRS 3.51.b; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 71.
82
Vgl. IAS 38.72; Kirsch, H. (2005b), S. 27; Wagenhofer, A. (2005), S. 215.
83
Vgl. IAS 38.74; Kirsch, H. (2005a), S. 60f.
214
Bewertung mit dem Neubewertungsbetrag. Dieser ist als beizulegender
Zeitwert zum Zeitpunkt der Neubewertung abzüglich aller bis zum Zeitpunkt
der Folgebewertung kumulierten planmäßigen und außerplanmäßigen Abschreibungen zuzüglich aller kumulierten Zuschreibungen definiert und auf
einem aktiven Markt zu bestimmen. Dabei kann der Neubewertungsbetrag
als paritätischer beizulegender Zeitwert unter oder über den historischen
Anschaffungs- oder Herstellungskosten liegen.84 Deshalb können bei Vorliegen eines aktiven Marktes auch selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte, die nur mit einem Teil ihrer Herstellungskosten aktiviert wurden,
sowie durch eine Zuwendung der öffentlichen Hand erworbene immaterielle
Vermögenswerte, die zum Nominalwert angesetzt wurden, mit ihrem Neubewertungsbetrag bewertet werden.85 Die aus einer Neubewertung resultierende Wertsteigerung als Erhöhung des Buchwertes ist erfolgsneutral in das
Eigenkapital als Neubewertungsrücklage einzustellen, wobei die Wertsteigerung erfolgswirksam als Ertrag zu erfassen ist, die die zuvor aufgrund einer
Neubewertung erfolgswirksam als Aufwand erfasste Wertminderung desselben immateriellen Vermögenswertes aufhebt.86 Dagegen ist die mit einer
Neubewertung einhergehende Wertminderung als Verringerung des Buchwertes erfolgsneutral mit der Neubewertungsrücklage zu verrechnen, wobei
eine die Neubewertungsrücklage übersteigende Wertminderung erfolgswirksam als Aufwand zu erfassen ist.87 Die Neubewertungsrücklage kann bei
Stilllegung oder Veräußerung eines immateriellen Vermögenswertes erfolgsneutral den Gewinnrücklagen zugeführt werden. Ein Teil der Neubewertungsrücklage kann als Unterschiedsbetrag zwischen der Abschreibung
auf der Basis des neu bewerteten Buchwertes und der Abschreibung, die auf
der Basis der historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten erfasst
worden wäre, bei Nutzung eines immateriellen Vermögenswertes auch erfolgsneutral in die Gewinnrücklagen gebucht werden.88 Da ein aktiver Markt
für immaterielle Vermögenswerte nur in seltenen Fällen vorliegt, ist die
Anschaffungskostenmethode von größerer praktischer Bedeutung.89 Sodann
84
Vgl. IAS 38.75; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 77; Kirsch, H. (2005a), S. 60f.
85
Vgl. IAS 38.77.
86
Vgl. IAS 38.85.
87
Vgl. IAS 38.86.
88
Vgl. IAS 38.87.
89
Vgl. Wulf, I. (2005), S. 8f; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 262.
215
sind sowohl eine Nutzungsdauer als auch eine Abschreibungsmethode zu
bestimmen.
Folglich muss ein Unternehmen unabhängig von der gewählten Bewertungsmethode feststellen, ob ein immaterieller Vermögenswert eine begrenzte Nutzungsdauer (Finite Useful Life) oder eine unbegrenzte Nutzungsdauer (Indefinite Useful Life) hat. Dabei ist die Nutzungsdauer (Useful
Life) der Zeitraum, in dem ein immaterieller Vermögenswert aufgrund einer
Analyse aller relevanten Faktoren voraussichtlich positive Cash Flows generieren wird.90 Die Ermittlung der Nutzungsdauer wird von vielen Faktoren,
wie z.B. technischen, technologischen, kommerziellen oder anderen Arten
der Veralterung, bestimmt und in den erläuternden Beispielen veranschaulicht.91 Ferner können auch wirtschaftliche und rechtliche Faktoren die Nutzungsdauer eines immateriellen Vermögenswertes beeinflussen.92 Die Nutzungsdauer eines auf einem vertraglichen oder gesetzlichen Recht basierenden immateriellen Vermögenswertes darf aber die Gültigkeitsdauer des
zugrunde liegenden Rechts nicht überschreiten.93 So sind immaterielle Vermögenswerte mit begrenzter Nutzungsdauer ab dem Zeitpunkt ihrer bestimmungsgemäßen Betriebsbereitschaft planmäßig über ihre Nutzungsdauer
abzuschreiben.94 Die verwendete Abschreibungsmethode muss dann grundsätzlich dem tatsächlichen Verbrauch des wirtschaftlichen Nutzens eines
immateriellen Vermögenswertes entsprechen. Sofern dieser tatsächliche
Verbrauch nicht zuverlässig bestimmt werden kann, ist die lineare Abschreibungsmethode anzuwenden.95 Daneben sind auch die degressive Abschreibungsmethode sowie die leistungsabhängige Abschreibungsmethode zulässig, wenn deren kumulierter Abschreibungsbetrag zumindest dem der linearen Abschreibungsmethode entspricht. Dabei ist die verwendete Abschreibungsmethode während der Nutzungsdauer stetig anzuwenden, sofern sich
der erwartete Nutzungsverlauf nicht ändert.96 Dazu sind die Nutzungsdauer
90
Vgl. IAS 38.88; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 73; Kirsch, H. (2005a), S. 61.
91
Vgl. IAS 38.89-90 und IAS 38, Illustrative Examples; Kirsch, H. (2005a), S. 62.
92
Vgl. IAS 38.95.
93
Vgl. IAS 38.94.
94
Vgl. IAS 38.89 und 38.97; Kirsch, H. (2005a), S. 61.
95
Vgl. IAS 38.97.
96
Vgl. IAS 38.98.
216
und die verwendete Abschreibungsmethode wenigstens am Ende eines jeden
Geschäftsjahres zu überprüfen und gegebenenfalls an die Veränderungen
anzupassen.97 Der Restwert (Residual Value) eines immateriellen Vermögenswertes ist am Ende der Nutzungsdauer grundsätzlich mit Null anzusetzen, es sei denn, dass eine Verpflichtung eines Dritten zum Erwerb besteht,
oder aber ein aktiver Markt existiert, auf dem der Restwert dann ermittelt
werden kann.98 Indessen dürfen immaterielle Vermögenswerte mit unbegrenzter Nutzungsdauer, wie z.B. ein im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses erworbener Geschäfts- oder Firmenwert, im Zuge des
Impairment Only Approach nicht planmäßig abgeschrieben werden,99 sondern sind gemäß IAS 36 Impairment of Assets jährlich und auch bei Anzeichen für eine Wertminderung einem Werthaltigkeitstest (Impairment Test)
zu unterziehen, indem der erzielbare Betrag (Recoverable Amount) mit dem
Buchwert (Carrying Amount) verglichen wird.100 Dabei ist der erzielbare
Betrag als der höhere der beiden Beträge aus dem beizulegenden Zeitwert
abzüglich Verkaufskosten (Fair Value less Cost to Sell) und dem Nutzungswert (Value in Use) definiert.101 Der beizulegende Zeitwert abzüglich Verkaufskosten ist der in einem verbindlichen Kaufvertrag festgelegte Kaufpreis
abzüglich direkt zurechenbarer Verkaufskosten, in Ermangelung eines verbindlichen Kaufvertrages bei Vorliegen eines aktiven Marktes der aktuelle
Marktpreis respektive der Marktpreis der jüngsten Transaktion abzüglich
Veräußerungskosten oder im Falle des Fehlens eines verbindlichen Kaufvertrages und eines aktiven Marktes der auf den besten verfügbaren Informationen beruhende fiktive Marktpreis abzüglich Veräußerungskosten.102 Der
Nutzungswert ist der mit einem angemessenen und risikoadjustierten Zinssatz erzielte Barwert der geschätzten zukünftigen Cash Flows aus der fortgesetzten Nutzung zuzüglich eines eventuell am Ende der Nutzungsdauer vorhandenen Restwertes.103 Zudem ist eine Wertminderung unabhängig von der
97
Vgl. IAS 38.104.
98
Vgl. IAS 38.100.
99
Vgl. IAS 38.89 und 38.107; IFRS 3.55; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 89 und 172.
100 Vgl. IAS 38.108 i.V.m. IAS 36.9-10; Kirsch, H. (2005a), S. 63.
101 Vgl. IAS 36.18.
102 Vgl. IAS 36.25-27.
103 Vgl. IAS 36.6 und 36.30-57; Kirsch, H. (2005a), S. 64.
217
Nutzungsdauer eines immateriellen Vermögenswertes bei Vorliegen von
entsprechenden unternehmensinternen sowie unternehmensexternen Indikatoren zu überprüfen.104 Falls der erzielbare Betrag geringer ist als sein Buchwert, ist eine außerplanmäßige Abschreibung in Höhe des Wertminderungsaufwandes (Impairment Loss) auf den erzielbaren Betrag vorzunehmen.105
Der erzielbare Betrag ist für einzelne immaterielle Vermögenswerte, die
einzeln zurechenbare Cash Flows generieren, zu bestimmen. Sofern ein immaterieller Vermögenswert nur zusammen mit einem anderen oder einer
Gruppe anderer Vermögenswerte Cash Flows erzeugt, ist dann wiederum der
erzielbare Betrag für eine zahlungsmittelgenerierende Einheit (Cash Generating Unit) zu ermitteln, es sei denn, der beizulegende Zeitwert abzüglich der
Verkaufskosten ist höher als sein Buchwert oder der Nutzungswert entspricht
Schätzungen zufolge nahezu dem ermittelbaren beizulegenden Zeitwert
abzüglich der Verkaufskosten.106 Bei Schätzungsänderungen infolge der
Bestimmung des erzielbaren Betrages als Anzeichen einer Wertaufholung ist
eine Zuschreibung auf den erneut zu ermittelnden erzielbaren Betrag vorzunehmen.107 Dabei ist die Zuschreibungshöhe bei einem einzelnen immateriellen Vermögenswert auf den Buchwert, der vorherige außerplanmäßige
Abschreibungen vernachlässigt, sowie bei einem einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit angehörenden immateriellen Vermögenswert auf den niedrigeren der beiden Beträge aus dem erzielbaren Betrag und dem Buchwert,
der vorherige außerplanmäßige Abschreibungen vernachlässigt, begrenzt.108
Ein im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses erworbener Geschäfts- oder Firmenwert unterliegt jedoch einem Zuschreibungsverbot.109
3.3 Ausweis immaterieller Vermögenswerte nach IFRS
Im Zuge einer Angabepflicht über immaterielle Vermögenswerte sind die zu
deren umfassendem Verständnis erforderlichen Informationen im Anhang
anzugeben. Dabei kann die Berichterstattung den bilanziellen Ausweis er104 Vgl. IAS 36.12.
105 Vgl. IAS 36.59; Born, K. (2005), S. 253.
106 Vgl. IAS 36.22.
107 Vgl. IAS 36.114; Kirsch, H. (2005a), S. 69.
108 Vgl. IAS 36.117 und 36.122-123; Brücks/Wiederhold (2004), S. 183.
109 Vgl. IAS 36.124; Kirsch, H. (2005a), S. 69.
218
läutern und ergänzen und damit objektivierungsbedingte Beschränkungen in
der Abbildung immaterieller Vermögenswerte ausgleichen.110 So sind für
Gruppen immaterieller Vermögenswerte als Zusammenfassung art- und
funktionsähnlicher immaterieller Vermögenswerte, getrennt nach selbst
geschaffenen und sonstigen immateriellen Vermögenswerten, und innerhalb
dieser Gruppen wiederum unterteilt nach begrenzter und unbegrenzter Nutzungsdauer Angaben über Nutzungsdauern, Abschreibungssätze und –methoden, Bruttobuchwerte und kumulierte planmäßige und außerplanmäßige
Abschreibungen zu Beginn und zum Ende der Periode sowie GuV-Posten,
die Abschreibungen auf immaterielle Vermögenswerte enthalten, zu machen.
Daneben ist eine Überleitung des Buchwertes zu Beginn und zum Ende der
Periode zu erstellen. Diese hat die Zugänge getrennt nach unternehmensinterner Entwicklung, separatem Erwerb und Erwerb im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses, Stilllegungen/Abgänge, Wertänderungen durch
Neubewertungen und außerplanmäßige Abschreibungen gemäß IAS 36 aber
auch Wertminderungen und Wertaufholungen gemäß IAS 36 sowie Abschreibungen, Währungsdifferenzen und sonstigen Buchwertänderungen zu
erfassen.111 Des Weiteren sind für immaterielle Vermögenswerte mit unbegrenzter Nutzungsdauer die Buchwerte und die Gründe sowie Faktoren für
die Annahme einer unbegrenzten Nutzungsdauer offen zu legen. Darüber
hinaus sind für wesentliche immaterielle Vermögenswerte die Beschreibungen, Buchwerte und verbleibenden Abschreibungszeiträume anzugeben.
Ferner sind für durch eine Zuwendung der öffentlichen Hand erworbene und
mit dem beizulegenden Zeitwert angesetzte immaterielle Vermögenswerte
die anfänglich beigelegten Zeitwerte, Buchwerte und angewandten Bewertungsmethoden zu veröffentlichen. Auch sind das Bestehen und die Buchwerte immaterieller Vermögenswerte, die mit Nutzungsbeschränkungen oder
der Sicherung von Verbindlichkeiten einhergehen, und die Beträge vertraglicher Verpflichtungen für den Erwerb immaterieller Vermögenswerte zu
nennen.112 Sofern immaterielle Vermögenswerte nach der Neubewertungsmethode bewertet werden, sind für jede Gruppe immaterieller Vermögenswerte der Stichtag der Neubewertung, der Buchwert der nach der Neubewertungsmethode bewerteten immateriellen Vermögenswerte und der Buchwert,
110 Vgl. Dawo, S. (2003), S. 267; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 271.
111 Vgl. IAS 38.118-119; Kirsch, H. (2005a), S. 387; Wagenhofer, A. (2005), S. 219f.
112 Vgl. IAS 38.122f.
219
mit dem die immateriellen Vermögenswerte nach der Anschaffungskostenmethode angesetzt worden wären, die Höhe der Neubewertungsrücklage zu
Beginn und zum Ende der Periode unter Angabe der Wertänderungen und
Ausschüttungsbeschränkungen an die Anteilseigner sowie die Methoden und
Annahmen zur Schätzung des beizulegenden Zeitwertes darzulegen.113
Schließlich ist noch über die Summe der Ausgaben für Forschung und Entwicklung der Periode zu berichten.114 Da sich die zusätzlich zu beachtenden
Angabepflichten des IAS 36 und IFRS 3 nicht wesentlich von den erläuterten
Vorschriften des IAS 38 unterscheiden, kann auf eine explizite Darstellung
dieser Angabepflichten verzichtet werden.
Schließlich wird den Unternehmen auch eine Beschreibung jedes vollständig
abgeschriebenen, aber noch genutzten immateriellen Vermögenswertes empfohlen. Des Weiteren wird den Unternehmen eine kurze Beschreibung wesentlicher immaterieller Vermögenswerte empfohlen. Dabei kann ein Unternehmen wiederum Informationen über wesentliche, noch vom Unternehmen
beherrschte immaterielle Vermögenswerte offen legen, die nicht als Vermögenswerte angesetzt sind, da diese nicht die Ansatzkriterien immaterieller
Vermögenswerte erfüllen.115 Infolgedessen können dann auch selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte, die die Aktivierungsvoraussetzungen nicht erfüllen und damit nicht aktiviert wurden, kurz beschrieben werden. Dementsprechend kann ein Unternehmen im Anhang neben dem bilanziellen Ausweis zusätzliche Informationen über nicht aktivierte immaterielle
Vermögenswerte anführen.
Außerdem erwähnt das IASB einen durch das Management zu erstellenden
Bericht über die Unternehmenslage (Financial Review by Management).
Dieser einem Lagebericht ähnelnde Bericht könnte u.a. einen Überblick über
die gemäß IFRS nicht in der Bilanz ausgewiesenen Ressourcen und damit
auch über die nicht aktivierten immateriellen Vermögenswerte geben.116 Die
Erstellung eines Lageberichts ist aber nicht explizit vorgeschrieben.117
113 Vgl. IAS 38.124.
114 Vgl. IAS 38.126f.
115 Vgl. IAS 38.128; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 115.
116 Vgl. IAS 1.9; Dawo, S. (2003), S. 289.
117 Vgl. Wulf, I. (2004), S. 10; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 308.
220
Demzufolge müssen nach IFRS bilanzierende deutsche Unternehmen ihren
Abschluss um einen Lagebericht ergänzen, der den erweiterten handelsrechtlichen Anforderungen der § 289 und § 315 HGB zu genügen hat und die
Konkretisierungen in DRS (Deutscher Rechnungslegungs Standard) 15 Lageberichterstattung berücksichtigen muss.118 Dabei entsprechen die Angaben im Lagebericht über immaterielle Vermögenswerte den Angaben im
Lagebericht über immaterielle Vermögensgegenstände nach HGB, auf deren
Darstellung im Rahmen dieses Beitrags verzichtet wird.
Das aktuelle Active Research Project „Management Commentary“ (MC) des
IASB setzt die Diskussion um eine Entwicklung von Empfehlungen für
Informationen neben dem bilanziellen Ausweis fort. Dabei lässt die Diskussion wiederum die Entwicklung einer Vielzahl von Standards erwarten, die
neben dem bilanziellen Ausweis auch die Berichterstattung durch das Management im Hinblick auf die Unternehmenslage und damit auch über immaterielle Vermögenswerte regeln soll.119
4 Resümee und Ausblick
Im Zuge der Entwicklung von einer Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungs-, Hochtechnologie- und Informationsgesellschaft gewinnt immaterielles Vermögen gegenüber materiellem Vermögen als Schlüsselgröße für
die Wettbewerbsfähigkeit und den Wert vieler Unternehmen in stetig zunehmendem Maße an Bedeutung. Insofern wächst auch im Hinblick auf die
EU-Verordnung Nr. 1606/2002 die Bedeutung der Bilanzierung immateriellen Vermögens nach international geltenden Vorschriften, um die wachsende
Informationslücke und damit die Diskrepanz zwischen Buchwert des Eigenkapitals und Marktwert von Unternehmen zu schließen. So finden in dem
vom Gläubigerschutz geprägten handelsrechtlichen Rechnungslegungssystem jedoch grundsätzlich nur entgeltlich erworbene immaterielle Vermögensgegenstände Berücksichtigung. Dagegen können in dem vorrangig auf
Informationsvermittlung ausgerichteten Rechnungslegungssystem nach IFRS
neben entgeltlich erworbenen immateriellen Vermögenswerten auch selbst
118 Vgl. Ruhnke, K. (2005), S. 668; Wulf, I. (2004), S. 10; Hayn/Waldersee (2004), S. 41.
119 Vgl. IASB (2005), S. 4; Gerpott/Thomas (2005), S. 2424.
221
geschaffene immaterielle Vermögenswerte bei Vorliegen der Aktivierungsvoraussetzungen angesetzt werden. Demnach vermag de lege lata die Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS grundsätzlich entscheidungsrelevante und damit dem True-and-Fair-View entsprechende Informationen zu vermitteln. Indessen sind die internationalen Angabepflichten und
Angabeempfehlungen nicht ausreichend, um objektivierungsbedingten Beschränkungen und den durch offene sowie verdeckte Wahlrechte implizierten Ermessensspielräumen im Rahmen der Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte entgegenzuwirken. Infolgedessen kommt einer Berichterstattung im Sinne weitergehender Informationen eine entscheidende Bedeutung
zu. Dabei könnte die Offenlegung von immateriellen Vermögenswerten
wiederum im Rahmen von Intellectual-Capital-Berichten vorgenommen
werden. Darüber hinaus wäre für immaterielle Vermögenswerte neben einer
qualitativen Offenlegung auch eine allgemein akzeptierte quantitative Standardisierung erstrebenswert.
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Udo Bonn
Theorie Optimaler Währungsräume und ökonomische
Konvergenz
1 Einleitung
Der vorliegende Artikel stellt die konträren Ansichten bezüglich eines „Optimalen Währungsraums“ gegenüber, um deren Implikationen für ökonomische Konvergenz/ Divergenz abzuleiten. Ziel dieses Artikels ist es zu ergründen, ob die im Artikel 2 EGV (Vertrag zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft) angestrebte Konvergenz durch monetäre Integration gefördert
wird.
Dieser Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Ausgehend von der o.g. Fragestellung
werden im Abschnitt 2 die Anfänge der klassischen OCA- Theorie (Optimal
Currency Area) betrachtet. Es werden die statisch geprägten Ansichten der
Monetaristen und Ökonomisten gegenübergestellt. Wesentlich hierbei ist die
Tatsache, dass die Ökonomisten die Ansicht vertraten, dass bestimmte Kriterien für einen Optimalen Währungsraum ex- ante erfüllt sein müssten. Kritisiert wird diese auf makroökonomischen Kosten einer monetären Integration
basierende Strömung von den Vertretern der monetaristischen Richtung.
Diese zweifeln die makroökonomischen Kosten an und stellen die mikroökonomischen Nutzengewinne in den Vordergrund. Durch die monetären
Effizienzgewinne und dem Druck, welcher von der einheitlichen Währung
ausgeht, werden nach Ansicht der Monetaristen konvergente Entwicklungen
gefördert. Im Ergebnis kann somit zwischen der „Krönungstheorie“ (Einführung einer einheitlichen Währung erst nach vorhergehender Integration) und
der „Katalysator-“ oder „Vehikeltheorie“ (gemeinsame Währung als Beschleuniger des Konvergenzprozesses ohne Notwendigkeit eines bestimmten, weitreichenden Integrationsgrades) differenziert werden.
228
Nach der Unterscheidung dieser Richtungen wird in Unterabschnitt 2.3 die
Quintessenz für ökonomische Konvergenz abgeleitet. Aufgrund der statisch
geprägten Vorgehensweise sind die Schlussfolgerungen allerdings mit Vorsicht zu genießen.
Im dritten Abschnitt werden die neueren Entwicklungen der OCA- Theorie
beschrieben. Hier lassen sich ebenfalls zwei verschiedene Strömungen hinsichtlich der (langfristigen) Implikationen der monetären Integration für
ökonomische Konvergenz differenzieren. Auf der einen Seite ist die Haltung
der Europäischen Kommission der „Katalysatortheorie“ zuzurechen, welche
durch Frankel und Rose eine theoretische und empirische Untermauerung
erfuhr.1 Auf der anderen Seite argumentiert Krugman, dass die monetäre
Integration zu Spezialisierungstendenzen und somit zu divergenten Entwicklungen führen wird.2
Anschließend werden im vierten Abschnitt die in der Literatur gängigen
empirischen Methoden bezüglich der Bewertung der Kriterien Optimaler
Währungsräume kurz erläutert. Diese fokussieren sich auf die Bewertung der
Kosten unterschiedlicher Konjunkturverläufe. Fraglich ist, ob diese Vorgehensweise ausreicht, um den Einfluss der monetären Integration auf ökonomischer Konvergenz im Sinne des Art. 2 EGV deutlich zu machen. Aus
diesem Grund wird an jener Stelle eine neue Idee zur Quantifizierung der
Wirkung der monetären Integration auf Konvergenz mittels eines Konvergenzindikators vorgeschlagen.
Im letzten Abschnitt dieses Papiers werden die Ergebnisse und Schlussfolgerungen kurz zusammengefasst.
2 Die historischen Wurzeln der OCA- Theorie
Die bis zum heutigen Tage andauernde Diskussion zur Theorie Optimaler
Währungsräume basiert auf der ersten Veröffentlichung Mundells, welche
sich mit den Konsequenzen eines Nachfrageschocks bei festen und flexiblen
1
Vgl. Frankel/Rose 1998a; Frankel/Rose 1998b.
2
Vgl. Krugman 1993.
229
Wechselkursen auseinandersetzt.3 Ein Optimaler Währungsraum liegt vor,
wenn der aus einer einheitlichen Währung erzielbare Nutzen die makroökonomischen Kosten aus dem Verzicht autonomer Geldpolitik übersteigt. Die
ersten Artikel in den 60er Jahren4 fokussierten sich hierbei auf mögliche
Kriterien für einen Optimalen Währungsraum, welche primär unter strukturellen Ähnlichkeiten der Volkswirtschaften zu subsumieren sind, um ökonomische Schocks zu absorbieren. Die makroökonomischen Kosten sind als
Anpassungslasten aufgrund von Starrheiten (z.B. Rigiditäten bei Löhnen und
Preisen) nach Schocks zu definieren, welche nicht durch autonome Geldpolitiken abgefedert werden können. Im Ergebnis ergeben sich Schwankungen
makroökonomischer Variablen. Die Anhänger dieser (makroökonomisch
geprägten) Richtung werden gemeinhin als Ökonomisten bezeichnet, die es
als sinnvoll erachten, erst dann eine gemeinsame Währung einzuführen,
wenn der wirtschaftliche Integrationsprozess schon weit fortgeschritten ist.
Aus diesem Grund wird in diesem Zusammenhang auch von der „Krönungstheorie“ gesprochen. Ökonomische Integration bezeichnet den Abbau
von Handelshemmnissen sowie institutionellen und wirtschaftspolitischen
Unterschieden zwischen den Teilnehmerländern. Diese vor allem in den 60er
Jahren bedeutende Strömung wird unter Punkt 2.1 genauer beleuchtet.
Die anschließende Entwicklung ab den 70er Jahren war vor allem von der
„Lucas-Kritik“5 geprägt. Die Vertreter dieser Richtung vertraten die Meinung, dass die makroökonomischen Kosten tendenziell als gering einzuschätzen wären, da der reale Wechselkurs aufgrund rationaler Erwartungsbildung der Wirtschaftssubjekte kein Steuerungsinstrument sein könne. Der
langfristige Tradeoff zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit (die sog. Phillipskurve6), mit dem in den 60er Jahren noch argumentiert worden war,
wurde bestritten. In diesem Rahmen wurden vor allem die monetären Effizienzgewinne in den Vordergrund gestellt, welche unten noch genauer beleuchtet werden. Tendenziell kann deshalb auch von einer mikroökonomisch
geprägten Richtung gesprochen werden. In dieser Zeit entwickelte sich die
3
Vgl. Mundell 1961.
4
In diesem Zusammenhang sind neben des Artikels von Mundell 1961 vor allem auch die
Publikationen von McKinnon. 1963 und Kenen 1969 zu nennen.
5
Vgl. Lucas 1976.
6
Eine auf empirischen Werten zurückgehende Beobachtung von Phillips 1958 in Großbritannien im Zeitraum von 1861 bis 1957.
230
(statische) Kosten- Nutzen- Analyse eines Optimalen Währungsraumes.
Anhänger dieser Sichtweise werden als Monetaristen bezeichnet, die von der
Integrationskraft einer einheitlichen Währung ausgehen (sog. Katalysatoroder Vehikeltheorie). Dieser Theoriestrang wird im Abschnitt 2.2 detaillierter dargestellt.
Neuere Entwicklungen in der OCA- Theorie beleuchten die langfristigen
Auswirkungen der monetären Integration. Zum Einen spielt die Endogenität
der Kriterien für einen Optimalen Währungsraum eine Rolle, die ebenfalls
im Zusammenhang mit der Lucas- Kritik steht. Zum Anderen spielen Aspekte der Neuen Wachstumstheorie eine Rolle (zunehmende Skalenerträge).
Beide Betrachtungsweisen, die für ökonomische Konvergenz/Divergenz
entscheidend sind, werden im Abschnitt 3 vorgestellt.
2.1 Die Sicht der Ökonomisten
Wie bereits oben angedeutet basierten die Untersuchung bezüglich eines
Optimalen Währungsraumes noch auf den Beobachtungen Phillips, wonach
davon ausgegangen wurde, dass ein langfristiger Tradeoff zwischen der
Inflationsrate und der Arbeitslosigkeit existierte.7
Die ersten Entwicklungen in den 60er Jahren sind im historischen Kontext
fester Wechselkurssysteme (Bretton- Woods) zu sehen. Mundells Basis für
die Untersuchung Optimaler Währungsräume kann als Reaktion auf Friedmans Argumentation zugunsten flexibler Wechselkurse betrachtet werden.8
Er zeigte anhand eines Beispiels, dass (asymmetrische) Nachfrageschocks
nicht unmittelbar schmerzhafte Anpassungsprozesse nach sich ziehen müssten.9 Er identifizierte Kriterien, nach denen es sehr wohl von Vorteil sein
könnte, einen festen Wechselkurs einzuführen. Bei ausreichender Lohnflexibilität und Arbeitskräftemobilität könnten nachteilige Anpassungsprozesse
7
Vgl. Phillips 1958.
8
Vgl. Friedman 1953. Zitiert nach Horvath/Komarek 2002. Er argumentierte zugunsten
flexibler Wechselkurse, um exogene Schocks besser absorbieren zu können. Eine Volkswirtschaft könnte zu ihrem anfänglichen binnen- und außenwirtschaftlichen Gleichgewicht
zurückkehren, ohne einen schmerzhaften Anpassungsprozess durchlaufen zu müssen (hohe
Inflation oder Arbeitslosigkeit), der unter festen Wechselkursen immer vorhanden sei.
9
Auf die genauere Darstellung dieses Beispiels sei an dieser Stelle aus Platzgründen verzichtet. Hier sei auf entsprechende Quellen [siehe De Grauwe 2003 oder Horvath/Komarek
2002] verwiesen.
231
vermieden werden. Außerdem wäre bei hoher fiskalischer Integration die
Möglichkeit gegeben, Schocks durch Transferzahlungen abzufedern.
An dieser Stelle könnte argumentiert werden, dass z.B. das Kriterium der
Arbeitsmobilität innerhalb der Europäischen Union (EU) in der Realität
kaum erfüllbar sein kann, da einerseits die zeitliche Dimension eines
Schocks kaum ex-ante bestimmbar ist, da sich die Frage, ob ein Schock
kurzfristiger oder dauerhafter Natur ist, nur schwer beantworten lässt. Es
kann kaum erwartet werden, dass eine Familie in einem Jahr in einem Land
und im nächsten Jahr wieder in einem anderen Land arbeitet. Andererseits
können selbst im Falle eines dauerhaften Schocks Gründe angeführt werden,
welche die Mobilität in Frage stellen. Nicht nur sprachliche oder kulturelle
Probleme, sondern eventuell auch Missmatch-Probleme bezüglich der Arbeitsplatzerfordernisse oder der Wechsel des sozialen Umfeldes (z.B.
Schulwechsel für die Kinder) sind an dieser Stelle zu nennen.
Eine ausreichende Lohnflexibilität scheint aufgrund langfristiger Verträge
und Gewerkschaftsmacht ebenfalls unwahrscheinlich. Transferleistungen
stoßen ebenso auf ihre Grenzen, da die nationalen Politiker z.B. Wiederwahlrestriktionen unterliegen.
Als wichtiges Kriterium für einen Optimalen Währungsraum muss deshalb
der Diversifikationsgrad der Produktion10 und der damit verbundene intraindustrielle Handel genannt werden. Dieser macht asymmetrische Schocks
tendenziell unwahrscheinlich, da aufgrund der Breite der Produktion (Produktion heterogener Güter; z.B. Autos in Deutschland und Frankreich) die
Branchen (damit die Länder) in ähnlicher Art und Weise von Schocks betroffen sind, so dass keine unterschiedlichen geldpolitischen Maßnahmen in den
einzelnen Ländern zur Abfederung der Schocks notwendig sind, sondern
symmetrischen Schocks bei einheitlicher Geldpolitik durch adäquate geldpolitische Impulse begegnet werden kann. Allerdings reicht dies nicht alleinig aus, um vor asymmetrischen Schocks gefeit zu sein, da Nachfrageschocks (z.B. Verschiebung der Nachfrage von deutschen zu französischen
Autos) möglich sind, auch wenn keine Spezialisierungen auf bestimmte
Güter stattgefunden haben.
10
Vgl. Kenen 1969.
232
Nickel11 hat insgesamt 10 Kriterien für einen Optimalen Währungsraum
aufgestellt: 1. Grad der außenwirtschaftlichen Offenheit, 2. Größe des Landes, 3. Ähnlichkeit der Produktionsstruktur, 4. Grad der Diversifikation innerhalb eines Landes, 5. Politischer Wille, 6. Preis- und Lohnflexibilität, 7.
Grad der Faktormobilität, 8.Ähnlichkeit von Inflationsraten, 9. Ähnlichkeit
der Arbeitsmarktsituation und 10. Grad der fiskalpolitischen Integration.
Diese lassen sich in vier Hauptkategorien zusammenfassen12:
1.
Ausmaß des Handels
2.
Ähnlichkeit von Schocks und Konjunkturzyklen
3.
Grad der Arbeitskräftemobilität
4.
Wille zur Risikoteilung (Wahrscheinlichkeit fiskalpolitischer Transfers)
Möglich sind, neben den Kosten der Wechselkursanpassung, auch noch
Kosten möglicherweise verloren gegangener Seigniorage (Münzgewinn).
Diese Einnahme resultiert aus dem Drucken von Geld seitens des Staates und
ist vor allem für Länder mit höheren Inflationsraten relevant.13
Insgesamt kann festgehalten werden, dass ein Optimaler Währungsraum
nach dieser Sichtweise dann vorhanden ist, wenn die oben angeführten Kriterien erfüllt sind, also die (makroökonomischen) Kosten der monetären Integration (eingeschränkter Einsatz bzw. Verlust des nationalen geldpolitischen
Instrumentariums) gering sind, d.h. wenn nicht mit Divergenzen makroökonomischer Größen bei Schocks zu rechnen ist.
2.2 Die monetaristische Sicht
Gegen die oben geschilderte Sicht sind bereits in den 70er Jahren erste Einwände erhoben worden. Die makroökonomischen Kosten wurden als tendenziell gering eingeschätzt und der Nutzen (auf der mikroökonomischen Ebene) aus einem Beitritt zu einer einheitlichen Währung wurde hervorgehoben.
11
Vgl. Nickel 2002.
12
Vgl. Frankel/Rose 1998b.
13
Vgl. Dornbusch 1988.
233
Dieser Kosten-Nutzen-Vergleich ist allerdings als statisch zu bezeichnen.
Langfristige Auswirkungen sind nicht explizit ableitbar.
Ingram14 wies explizit auf die Kapitalmarktintegration hin, da entsprechende
Kapitalflüsse asymmetrische Schocks glätten könnten. Auch Mundell wies
auf den Nutzen der besseren Kapitalallokation und Diversifikation hin.15
Die Argumente gegen die makroökonomischen Kosten beruhen vor allem
auf der bereits angesprochenen „Lucas- Kritik“. So wurde ein permanenter
Einfluss des Wechselkurses auf Output und Arbeitslosigkeit bestritten. Im
Gegenteil wurde sogar behauptet, dass ein flexibler Wechselkurs zur makroökonomischen Destabilisierung aufgrund starker Schwankungsmöglichkeiten beitragen kann.16 Zur detaillierten Darstellung der Auseinandersetzung
mit den o.g. Kosten sei auf die entsprechende Literatur verwiesen.17
An dieser Stelle soll auf den hervorgehobenen Nutzen einer einheitlichen
Währung eingegangnen werden. Dieser Nutzen fokussiert sich auf die mikroökonomische Ebene. Der monetäre Effizienzgewinn des Beitrittslandes
resultiert dabei vor allem aus den entfallenden Unsicherheits-, Konfusions-,
Kalkulations- und Transportkosten.18
Neben diesen Vorteilen können indirekte Vorteile resultieren. Durch die
Eliminierung der Wechselkursschwankungen wird die Preistransparenz erhöht, so dass auch eine bessere Vergleichbarkeit für die Konsumenten entsteht, welche die Konsumentenrente erhöhen kann. Außerdem können möglicherweise politische und ökonomische Vorteile aus einer neuen „Weltwährung“ entstehen.
14
In Kawai 1987.
15
Vgl. Mundell 1973a und Mundell 1973b zitiert nach Horvath/Komarek 2002.
16
Vgl. Adams 2005. Dies hängt vor allem von der Größe und vom Offenheitsgrad des Landes ab. Je kleiner ein Land, desto größer ist tendenziell der Offenheitsgrad und desto höher
sind die Kosten flexibler Wechselkurse, die zu einer höheren Volatilität der einheimischen
Preise führt. Als Nutzengewinn einer einheitlichen Währung kann in diesem Fall die Preisstabilisierung und aufgrund des Offenheitsgrades die (möglicherweise) zunehmende Symmetrie der Konjunkturzyklen (hierzu später mehr) gesehen werden.
17
Vgl. De Grauwe 2003, S. 24-57.
18
Vgl. Krugman/Obstfeld 2004, S. 792.
234
Da also kaum makroökonomische Nachteile zu verzeichnen sind, muss die
ökonomische Integration (gemessen im Ausmaß des Außenhandels zwischen
den Staaten) nicht allzu sehr ausgeprägt sein.
Ganz im Gegenteil – die Gewinne aus der monetären Integration werden
nach Ansicht der Monetaristen den Handel positiv beeinflussen und somit
die ökonomische Integration wesentlich beschleunigen. Deshalb wird in
diesem Zusammenhang auch von der „Katalysatortheorie“ gesprochen.
Auf die Frage, ob diese Vorteile auch langfristig zur ökonomischen Konvergenz im Sinne des Art. 2 EGV beitragen können, wird im nächsten Abschnitt
eingegangen.
2.3 Die Kosten-Nutzen-Analyse eines optimalen Währungsraums und
das Ziel der ökonomischen Konvergenz
Die oben geschilderten Ansichten lassen erkennen, dass die Kosten-NutzenAnalyse beider Lager unterschiedlich ausfallen wird. Ganz entscheidend ist
hierbei die Beurteilung der Effektivität der Wechselkursveränderung. Die
Ökonomisten fokussieren sich hierbei vor allem auf die makroökonomischen
Anpassungslasten bei fixen Wechselkursen und auftretenden (asymmetrischen) Schocks. Zwischen den Staaten auftretende Divergenzen bei makroökonomischen Variablen sind nach Ansicht der Ökonomisten unter festen
Wechselkursen möglich, wenn die Kriterien Optimaler Währungsräume
nicht erfüllt sind. Ein fester Wechselkurs sollte somit erst dann eingeführt
werden, wenn der Integrationsprozess weit fortgeschritten ist. Im Gegensatz
dazu stellen die Monetaristen fest, dass ein flexibler Wechselkurs diese Divergenzen nicht beseitigen kann (möglicherweise sogar erhöht). Da deshalb
die Kosten vernachlässigbar sind, überwiegt der (mikroökonomisch geprägte) Nutzen der monetären Integration. Nach dieser Ansicht liegt also ein
Optimaler Währungsraum vor, da die monetäre Integration kaum einen makroökonomischen Einfluss haben dürfte.
Langfristige Auswirkungen bzgl. ökonomischer Konvergenz/Divergenz
makroökonomischer Größen sind aus beiden Sichtweisen nicht ableitbar, da
diese Kosten-Nutzen-Bewertungen statisch sind und keine langfristigen
Implikationen für ökonomische Konvergenz beinhalten. Hierzu sind neuere
Entwicklungen der OCA-Theorie zu betrachten, die im Folgenden dargestellt
werden.
235
3 Die neue OCA-Theorie
Waren die traditionellen Ansätze der OCA-Theorie noch mit dem Start (und
entsprechend mit dem „Ob“) einer Währungsunion verbunden, so richten
sich die neueren Sichtweisen auf die Entwicklung nach dem Eintritt und den
langfristigen Folgen eines Währungsverbundes. Außerdem bleibt anzumerken, dass sich die Neue OCA-Theorie wieder verstärkt den (möglichen)
Kosten zuwendet.
Auch hier ist wieder zwischen zwei unterschiedlichen Richtungen zu unterscheiden. Einerseits ist die Sicht der Europäischen Kommission zu nennen,
die davon ausgeht, dass die Währungsunion (verbunden mit zunehmendem
Handel) zu einer Beschleunigung der Integration führt.19 Auf der anderen
Seite existiert die Krugmansche Ansicht, dass die monetäre Integration divergente Entwicklungen hervorruft. Beide Stränge sollen nachfolgend dargestellt werden.20
Die Sichtweise der Europäischen Kommission erfuhr durch Frankel und
Rose21 eine theoretische und empirische Untermauerung. Frankel und Rose
argumentierten, dass die Kriterien für einen Optimalen Währungsraum nicht
ex-ante erfüllt sein müssten, sondern, basierend auf der Lucas-Kritik, sich
endogen ergeben würden, und somit erst ex-post erfüllt wären. Die Erfüllung
der Kriterien resultieren aus dem Anpassungsdruck der Mitgliedsstaaten
(z.B. Flexibilisierung der Arbeitsmärkte), da das Mittel der Geldpolitik bzw.
das Instrument des Wechselkurses nicht mehr zur Verfügung steht, um bspw.
Wettbewerbsfähigkeit durch Währungsabwertung zu erfahren. Der zunehmende intra-industrielle Handel durch die o.g. Diversifikationseffekte und
erzielbaren Effizienzgewinne würde außerdem zu einer Angleichung der
Konjunkturzyklen, damit zu einer Abnahme an asymmetrischen Schocks und
letztlich zu einer Abnahme der Kosten des Beitritts führen, da die einheitliche Geldpolitik adäquat auf Schocks reagieren könnte.
19
Vgl. De Grauwe 2003.
20
Vgl. Krugman 1993.
21
Vgl. Frankel/Rose 1998a; Frankel/Rose 1998b.
236
Im Ergebnis würde die einheitliche Währung den Anpassungsdruck der Teilnehmerländer erhöhen und zur Konvergenz beitragen bzw. diese beschleunigen. An dieser Stelle muss aber daraufhin gewiesen werden, dass zwar in
diesem Sinne ein Optimaler Währungsraum vorliegen kann, fraglich ist aber,
ob die hier bezeichnete Konvergenz mit dem Ziel des Art. 2 EGV kompatibel ist. Konvergenz im hiesigen Sinne bezieht sich lediglich auf partielle
Variablen, die den Konjunkturverlauf charakterisieren, um die Kosten einer
einheitlichen Geldpolitik gering zu halten. Fraglich ist jedoch, ob dies ausreichend ist, um dem Ziel des Art. 2 EGV Rechnung zu tragen. Hierauf wird
im Abschnitt 4 detaillierter eingegangen.
Eine gänzlich andere Haltung vertritt Krugman.22 Dieser geht davon aus,
dass u.a. aufgrund unvollständigen Wettbewerbs und steigender Skalenerträge Spezialisierungen zu beobachten sein werden, die langfristig zu vermehrten asymmetrischen Schocks und Divergenz zwischen den Teilnehmerstaaten einer Währungsunion führen müssten. Daraus resultierten letztlich im
Zeitablauf zunehmende Kosten eines Beitritts. Man könnte quasi behaupten,
dass die Ansicht Krugmans der „Krönungstheorie“ zuzuordnen ist. Man
könnte die Frage aufwerfen, warum diese Ansicht mit der Krönungstheorie
in Verbindung gebracht werden kann, da auch zu einem späteren Zeitpunkt
Divergenzen zu beobachten sein müssten. Dieser Einwand ist zwar nicht
unberechtigt, jedoch gilt es zu bedenken, dass die Anhänger der Krönungstheorie eine einheitliche Währung nur dann für angebracht halten, wenn
bereits eine weit fortgeschrittenen Integration (ökonomisch und politisch) zu
beobachten ist. Somit könnte man einwenden, dass wenn schon Divergenzen
auftreten sollten, dann zum spätmöglichsten Zeitpunkt. Dies ist natürlich das
schlichteste Argument. Wesentlich tiefgründiger kann argumentiert werden,
dass bei einer fortgeschrittenen Integration (inklusive fiskalpolitischer Integration) das Mittel interstaatlicher Transfers zur Verfügung stünde, welches
zu jenem Zeitpunkt weit fortgeschrittener Integration in der Lage wäre, mögliche divergente Entwicklungen (resultierend aus der Integration) abfedern
zu können.
22
Vgl. Krugman 1993.
237
4 Die empirischen Methoden zur Analyse Optimaler
Währungsräume und das Ziel der ökonomischen
Konvergenz
In der letzten Dekade ist eine Flut von Beiträgen zur OCA-Theorie veröffentlicht worden. Insbesondere zur Bewertung, ob die Teilnehmerstaaten des
Europäischen Währungsgebietes einen Optimalen Währungsraum bildeten.
Zusammenfassend kann an dieser Stelle sicherlich festgehalten werden, dass
die o.g. Kriterien (Lohn- und Preisflexibilität; Arbeitskräftemobilität) nicht
als erfüllt zu betrachten sind. Dennoch kann dem schließlich die Argumentation der Endogenität der Kriterien von Frankel und Rose entgegengehalten
werden. Fraglich bleibt, inwiefern jene Untersuchungen generell in der Lage
sind, des in Art. 2 EGV genannten Ziels Rechnung tragen zu können. Erinnern diese Auseinandersetzungen doch an zwei Fußballexperten, die vor
einem Spiel diskutieren, welche Mannschaft aufgrund partieller Fakten das
Spiel gewinnen wird. Letztlich ist aber nicht diese (partiell geprägte) Diskussion das entscheidende Element, sondern das tatsächlich erzielte Resultat
(die ganzheitlichen, langfristigen Auswirkungen). Übertragen heißt dies,
dass die Vorteilhaftigkeit der Währungsunion anhand des zur Debatte stehenden Ziels bewertet werden muss, welches aufgrund des 30-jährigen monetären Integrationsprozesses möglich sein sollte. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass das in Art. 2 EGV festgeschriebene Ziel zu erreichen ist. Im
Rahmen der Literatur zur OCA-Theorie gibt es eine Vielzahl an Untersuchungsmethoden zu den Kriterien des Optimalen Währungsraums, wobei
diese nur indirekte Aussagen über langfristige, ökonomische Konvergenz/Divergenz und damit zum eigentlichen Ziel zulassen. Hier sind beispielsweise „Schock“-Studien23, Korrelationsanalysen (Korrelation der Konjunkturzyklen, um zunehmende oder abnehmende Synchronisation, d.h.
verbesserte oder verschlechterte Absorptionsfähigkeit von Schocks festzustellen.24) und die Entwicklung eines „OCA-Indikators“25 zu nennen.26
23
Siehe bspw. Bayoumi/Eichengreen 1994.
24
Vgl. Frankel/Rose 1998b.
25
Vgl. Bayoumi/Eichengreen 1997.
26
An dieser Stelle sei auf eine detaillierte Darstellung der Flut an Techniken und Literatur
zur OCA-Theorie verzichtet. Es sei in diesem Zusammenhang auf die Übersicht in Adams
2005, S. 27-34 verwiesen.
238
Diese Wege zur Bewertung der letztendlichen Zielerfüllung im Sinne des
Art. 2 EGV sind aber indirekte Wege, und zum Teil könnte auch die ein oder
andere Methode in Frage zu stellen sein.27 Anzumerken bleibt auch, dass es
durchaus denkbar ist, dass zwar in zunehmender Weise symmetrische
Schocks vorliegen könnten, diese jedoch möglicherweise unterschiedliche
reale Effekte in den einzelnen Ländern hervorrufen28 und damit zur Divergenz beitragen können. Kosten in diesem Sinne beziehen sich lediglich auf
die Absorptionsfähigkeit von Schocks. D.h., dass zwar im Zeitverlauf tatsächlich ein Optimaler Währungsraum vorliegen kann, jedoch kann bis zu
jenem Zeitpunkt bereits deutliche Divergenz einzelner Variablen zu beobachten sein, so dass die ökonomistische Sicht einer einheitlichen Währung
nach vollständiger ökonomischer und politischer Integration sinnvoll wäre.
Deshalb wird an dieser Stelle als der direkteste Weg zur Analyse der monetären Integration im Hinblick auf reale Konvergenz/Divergenz die σ-Konvergenz verschiedener makroökonomischer Größen im Zeitverlauf betrachtet, um den Zielen des Art. 2 EGV gerecht zu werden. An dieser Stelle sei
erwähnt, dass in diesem Falle sowohl gewichtete (mit Bevölkerungsanteilen)
als auch ungewichtete Daten verwendet werden können, welche aber differente Aussagen (individuelle oder länderspezifische Konvergenz/Divergenz)
liefern können.29
Neben der partiellen Analyse makroökonomischer Variablen30 ist auch die
Konstruktion eines „Konvergenzindikators“ in folgender Form möglich, um
eine Gesamtbewertung von Konvergenz/Divergenz vorzunehmen:
KI t =
k
∑α SD(X
i
k
i,t
i=1
Abb. 1
) oder KI t = ∑ α i VC(X i,t ) mit
i=1
k
∑α
i
=1
i=1
Formale Darstellung des inversen Konvergenzindikators.
Quelle: Eigene.
27
Vgl. Frankel/Rose 1998b.
28
Vgl. De Grauwe 2003.
29
Vgl. Welsch/Bonn 2006 und Bonn 2005.
30
Die partielle Analyse bezieht sich überwiegend auf die Entwicklung des BIP/Kopf oder auf
die Analyse des Verlaufs der Konjunkturzyklen (Arbeitslosenquote, Inflationsraten etc.),
nicht aber auf Gesamtkonvergenz im Sinne des Art. 2 EGV.
239
Hierbei sind KIt der inverse Konvergenzindikator (d.h., dass Konvergenz
vorliegt, wenn der Indikator fällt) zum Zeitpunkt t (zwischen t0 und tn), αi das
Gewicht der Standardabweichung (SD) bzw. des Variationskoeffizienten
(VC) der makroökonomischen Variable Xi (mit insgesamt k Größen), welches sich in der Summe über alle betrachteten Standardabweichungen bzw.
Variationskoeffizienten zu eins aufaddiert. Das Gewicht spiegelt die Präferenz zur gewünschten Konvergenz der entsprechenden makroökonomischen
Variable wider.
An dieser Stelle muss die Frage aufgeworfen werden, welche makroökonomischen Größen vom Konvergenzindikator erfasst werden müssen/sollen.
Legt man den Artikel 2 EGV zugrunde, so lassen sich bestimmte Größen
extrahieren. Zum Einen werden die „...harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens...“ und ein hoher „...Grad an Konvergenz der
Wirtschaftsleistungen...“ hervorgehoben.31 Diese Formulierungen lassen
zwar einen erheblichen Spielraum zu, jedoch sollte der Begriff „Wirtschaftsleistungen“ das Bruttoinlandprodukt pro Kopf (BIP/Kopf) implizieren. Deshalb lassen sich m.E. diese Formulierungen als anzustrebende Konvergenz der BIP/Kopf-Größen oder/und auch als Konvergenz der Wachstumsraten der BIP/Kopf-Größen interpretieren. Andere Größen werden zum
Teil explizit erwähnt. So werden „...nichtinflationäres...Wachstum“ und
„...Beschäftigungsniveau...“ direkt aufgegriffen.
Deshalb seien als Beispiel an dieser Stelle der Einfachheit halber die (ungewichteten) Variationskoeffizienten der Inflationsraten, Arbeitslosenquoten
und des BIP/Kopf in PPS [Purchasing Power Standard; Kaufkraftstärke zu
konstanten PPPs]32 im Zeitraum von 1974 bis 2003 der EU-15 herangezogen.33
Aus Vereinfachungsgründen sei außerdem von einer Gleichgewichtung der
Präferenzen bezüglich der Konvergenz der einzelnen Variablen ausgegan-
31
Vgl. Art 2 EGV (s.o.).
32
Zu näheren Ausführungen hierzu siehe Bonn 2005.
33
Datenbasis: AMECO-Datenbank (makroökonomische Datenbank auf Jahresbasis der
Europäischen Kommission) erreichbar unter: http://europa.eu.int/comm/economy_finance/
indicators/annual_macro_economic_database/ameco_en.htm. Eigene Berechnungen des
VC und KIs.
240
gen, wobei es sicherlich Gründe geben könnte, die Konvergenz einer bestimmten Variable zu bevorzugen.34
Jahr
Abb. 2
KI
Linear (KI)
0,90
0,80
0,70
0,60
0,50
0,40
0,30
0,20
0,10
0,00
19
74
19
77
19
80
19
83
19
86
19
89
19
92
19
95
19
98
20
01
KI
KI 1974-2003
y = 0,0036x + 0,5576
R2 = 0,1064
Konvergenzindikator 1974-2003. Quelle: Eigene.
Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass es über den gesamten
Zeitraum von 1974 bis 2003 keine eindeutige Wirkung der monetären Integration auf ökonomische Konvergenz gegeben hätte, da die einfache Regression mit einem äußerst schwachen Bestimmtheitsmaß wenig aussagekräftig
scheint. Um der Fragestellung der monetären Integration auf Konvergenz/Divergenz Rechnung zu tragen, bedarf es einer gesonderten Analyse
der einzelnen Integrationsphasen. Im Folgenden werden vier Zeitperioden
unterschieden. Zunächst wird der Zeitraum von 1974-1978 betrachtet. Nach
dem Ende des Bretton-Woods-Systems gab es den höchsten Grad an Flexi-
34
Dies könnte z.B. mit dem unterschiedlichen Einfluss einzelner makroökonomischer Variablen auf die Lebenszufriedenheit begründet werden. Siehe hierzu bspw. Di Tella/MacCulloch/Oswald 2001; Welsch/Bonn 2005 oder Welsch 2006.
241
bilität der Wechselkurse innerhalb der EU-15-Länder.35 Die Schaffung des
Europäischen Währungssystems (EWS) im Jahre 1979 stellt die erste grundlegende monetäre Integrationsstufe dar. Der zweite Zeitraum bezieht sich
deshalb auf die Periode von 1979 bis 1991. Mit dem Beschluss des Maastrichter Vertrages (Dezember 1991; Unterzeichnung im Februar 1992) und
der darin enthaltenen Konvergenzkriterien folgte der nächste Integrationsschritt. Die letzte Integrationsstufe erfolgte mit der Arbeitsaufnahme der
Europäischen Zentralbank (EZB) im Jahre 1999.
Abb. 3
Konvergenzindikator nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems bis zum Beginn des EWS. Quelle: Eigene.
KI
KI 1974-1978
Linear (KI)
0,60
0,55
KI
0,50
0,45
0,40
0,35
0,30
1974
1975
1976
Jahr
35
1977
1978
y = 0,0279x + 0,4235
2
R = 0,6975
Mit Ausnahme der Teilnehmer der sog. „Währungsschlange“ (permanente Teilnehmer:
Deutschland, Belgien, Niederlande und Luxemburg) ließen die Länder die Wechselkurse
frei floaten.
242
KI
KI 1979-1991
Linear (KI)
0,90
0,80
KI
0,70
0,60
0,50
0,40
19
79
19
80
19
81
19
82
19
83
19
84
19
85
19
86
19
87
19
88
19
89
19
90
19
91
0,30
y = 0,0203x + 0,4997
2
R = 0,5464
Jahr
Abb. 4
Abbildung 3: Konvergenzindikator von 1979 bis 1991. Quelle: Eigene.
KI
KI 1992-1998
Linear (KI)
0,75
KI
0,70
0,65
0,60
0,55
1992
1993
1994
1995
Jahr
Abb. 5
1996
1997
1998
y = -0,0127x + 0,7296
R2 = 0,6145
Konvergenzindikator von 1992-1998. Quelle: Eigene.
243
KI
KI 1999-2003
KI
Linear (KI)
0,62
0,60
0,58
0,56
0,54
0,52
0,50
0,48
0,46
1999
2000
2001
Jahr
Abb. 6
2002
2003
y = -0,018x + 0,6086
R2 = 0,8571
Konvergenzindikator von 1999-2003. Quelle: Eigene.
Die Zerlegung in die einzelnen Zeitperioden macht den Einfluss der monetären Integration auf Konvergenz/Divergenz deutlich. Zu Beginn der Betrachtungsperiode (1974-1978) war noch Divergenz zu beobachten, die mit Beginn der monetären Integration abnahm (1979-1991). Die weiter zunehmende monetäre Integration führte schließlich zu (Gesamt-) Konvergenz
(1992-1998), die sich weiter erhöhte (1999-2003).
Diese Darstellung kann natürlich zunächst nur einen ersten Eindruck der
monetären Integration auf (Gesamt-) Konvergenz geben. Interessant ist, dass
ab 1986 Konvergenz beobachtet werden kann. Dies steht möglicherweise im
Zusammenhang mit dem Abbau der Devisenkontrollen und damit verbunden
dem Verlust der Fähigkeit mittels geldpolitischer Maßnahmen binnenwirtschaftliche Ziele zu erreichen.36 An dieser Stelle müssen zukünftig noch
detaillierte Analysen mit Differenzierung in Ländergruppen des gleichen
Wechselkursregimes und Analysen mit gewichteten Daten vorgenommen
werden. Außerdem ist es sicherlich sinnvoll, die eine oder andere makroökonomische Größe in den Konvergenzindikator mit aufzunehmen und unterschiedliche Präferenzen (Gewichtungsfaktor αi) bezüglich der Konvergenz
bestimmter Größen zuzulassen. Insgesamt wird aber deutlich, dass die obi-
36
Vgl. Krugman/Obstfeld 2004, S. 778.
244
gen Ergebnisse die Ansicht der Monetaristen bzw. die Anhänger der „Katalysatortheorie“ empirisch bestärkt.
5 Zusammenfassung der Ergebnisse
Das Ziel des vorliegenden Artikels bestand darin, einen Beitrag zur Diskussion Optimaler Währungsräume im Hinblick auf das Ziel der ökonomischen
Konvergenz (s. Art. 2 EGV) zu leisten.
Folgende Resultate sind dabei wesentlich:
-
Theoretisch sprechen sowohl Argumente für als auch gegen die
Hypothese, dass durch monetäre Integration ökonomische Konvergenz erreicht wird;
-
die gängigen empirischen Methoden zur Überprüfung dieser Hypothese lassen allenfalls indirekte bzw. partielle Schlüsse bezüglich
des Ziels der ökonomischen Konvergenz zu;
-
der oben entwickelte (inverse) Konvergenzindikator zeigt seit 1992
einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem monetären Integrationsgrad und der ökonomischen (Gesamt-) Konvergenz;
-
erste Ergebnisse sprechen für die Haltung der Vertreter der „Katalysatortheorie“ (monetaristische Sichtweise).
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Sarah Müller
Epistemologische Überzeugungen zu Wissen und
Wissenserwerb im europäischen Vergleich
1 Einleitung
Bereits seit Mitte der 1950er Jahre beschäftigen sich Untersuchungen mit
dem Thema der epistemologischen Überzeugungen. Was in der englischsprachigen Literatur als „personal epistemology“, „epistemological beliefs or
theories“, „ways of knowing“ oder „epistemic cognition“ bezeichnet wird,
kann als individuelle Auffassungen über Wissen und Wissenserwerb definiert werden, als „[…] individuals’ beliefs about the nature of knowledge
and the processes of knowing“1.
Zahlreiche empirische Studien weisen darauf hin, dass der Mensch individuelle Überzeugungen bzw. Systeme zu Wissen und Wissenserwerb besitzt, die
unmittelbaren Einfluss auf das Verstehen, Problemlösen und Handeln haben2. Diese sind ihm nicht notwendigerweise bewusst. Weiter wird die Annahme bestärkt, dass diese Überzeugungen einem Entwicklungsprozess unterliegen, der mit einer dualistischen Auffassung, einem Schwarz-WeißDenken von Welt beginnt3. Wissen wird als richtig oder falsch angesehen,
und Autoritäten besitzen die Antworten. Im Verlauf der Entwicklung bemerkt das Individuum, dass es selbst zwischen den Autoritäten Meinungskonflikte gibt. Auf der Suche nach der einen richtigen Antwort findet es
heraus, dass sich verschiedene Meinungsstandpunkte erschließen lassen
1
Vgl. Hofer/Pintrich 1997, S. 117.
2
Vgl. z.B. Schommer 1994a, S. 26.
3
Vgl. z.B. Perry 1999, S. 10 und S. 66 f.; Schommer 1994a, S. 26 f.
248
(Vielfalt) und dass jede Überzeugung haltbar ist4. Die eigene Meinung ist
nun nicht mehr minderwertig, sondern ebenso gültig und haltbar wie andere
Auffassungen. Später erkennt das Individuum, dass Wissen immer in Abhängigkeit von Kontexten betrachtet werden muss und nur im Zusammenhang gesehen richtig oder falsch ist (Relativismus)5. Eine sehr differenzierte
Position im weit fortgeschrittenen Entwicklungsprozess ist erreicht, wenn
realisiert wird, dass es viele Möglichkeiten von Wissen gibt und dass man
sich aktiv für eine entscheiden muss.
1.1 Begriffsklärung
Der Begriff der epistemologischen Überzeugungen kann definiert werden als
„persönliche Einstellungen und Annahmen über die Natur des Wissens und
Wissenserwerbs“6. Die Bezeichnung „epistemologische Überzeugung“ ist
seitens der Semantik bereits untrennbar verbunden mit dem Begriff „Wissen“ bzw. „Erkenntnis“ (griech. episteme). Es geht hierbei um die Natur des
Wissens und die subjektiven Kriterien für die Wahrheit von Wissen. Das
Individuum steht vor einem erkenntnistheoretischen Problem, wenn es sich
fragt: Wie kann ich sagen, dass ich etwas weiß, wenn sich selbst Experten
darüber nicht einig sind? Sind die Meinungen von Experten besser als meine
eigenen? Kann ich überhaupt etwas mit vollständiger Sicherheit wissen?
Man kann davon ausgehen, dass die individuellen epistemologischen Überzeugungen einen erheblichen Einfluss auf den Lernprozess haben7. Sie beinhalten grundlegende Annahmen einer lernenden Person darüber, „welche
Kriterien des Wissens und Lernens es gibt, wo die Grenzen des Lernens
liegen, wie viel Sicherheit ein bestimmter Wissensbestand geben kann und
wie Lernen und Wissenserwerb generell ‚funktioniert’“8.
Es wird also deutlich, dass epistemologische Überzeugungen immer persönlich und damit auch subjektiv sind. Hier ergibt sich die Frage nach dem Zusammenhang mit Subjektiven Theorien. Subjektive Theorien können als ein
4
Vgl. z.B. Perry 1999, S. 10 f. und S. 105 ff.
5
Vgl. Perry 1999, S. 11 und S. 170 ff.
6
Hofer/Pintrich 1997, S. 117.
7
Vgl. Hofer/Pintrich 2002.
8
Drechsel 2001, S. 40.
249
Bündel von Annahmen, Motiven, Vermutungen, Vorstellungen und Kognitionen einer Person betrachtet werden, die sich inhaltlich auf ihre Selbst- und
Weltsicht beziehen9. Dahinter steht die Vorstellung, dass jedes Individuum
psychologisches Wissen und Annahmen darüber entwickelt und Erfahrungen
gemacht hat, wie andere Menschen handeln, was sie wahrnehmen, denken,
fühlen und beabsichtigen, warum und mit welchen Folgen sie das tun10.
Während Subjektive Theorien allgemeine Überzeugungssysteme sind, beziehen sich epistemologische Überzeugungen auf spezifische Überzeugungen,
nämlich zu Wissen und Wissenserwerb.
Epistemologische Überzeugungen zeichnen sich folglich analog zu Subjektiven Theorien durch folgende Merkmale aus11: Es sind relativ stabile kognitive Strukturen, die durch Erfahrungen veränderbar sind. Sie sind meistens
unbewusst und unreflektiert, können aber unter bestimmten Bedingungen
dem Bewusstsein der Person zugänglich gemacht werden. Sie sind ähnlich
strukturiert wie wissenschaftliche Theorien und erfüllen vergleichbare Funktionen. Darüber hinaus besitzen epistemologische Überzeugungen zumindest
teilweise handlungsleitende und handlungssteuernde Funktionen. Insbesondere die handlungsleitende und -steuernde Funktion scheint im Kontext von
Lernen und Lehren bedeutsam und folgenreich. Dann nämlich steuern Subjektive Theorien (wie auch epistemologische Überzeugungen) das Verhalten
von Lehrenden gegenüber Lernenden, bestimmen also, „wie der Lehrer unterrichtliche Situationen auffasst, welche Handlungsmöglichkeiten er in
Betracht zieht und welche er letztlich auswählt, wie er die Effekte seines
Eingreifens bewertet und wie er nachträglich sein gesamtes Handeln begründet oder rechtfertigt“12.
9
Vgl. Christmann/Groeben/Schreier 1999, S. 138.
10
Vgl. Dann 1994.
11
Vgl. Dann 1994, S. 166 f.; Groeben Wahl/Schlee/Schelle 1988; Helmke 2003, S. 52.
12
Wahl 1979, S. 209.
250
1.2 Bedeutung epistemologischer Überzeugungen für das professionelle
Handeln von Lehrenden
„Given their power, understanding students' beliefs about knowledge can
provide insights into their learning and motivation”13. Damit bilden epistemologische Überzeugungen von Lernenden für Lehrerinnen und Lehrer
einen wichtigen Ansatzpunkt, um das Lernen der Schülerinnen und Schüler
zu fördern14.
Doch nicht nur die epistemologischen Überzeugungen der Lernenden gilt es
für professionelles Handeln der Lehrenden zu berücksichtigen, sondern auch
die epistemologischen Überzeugungen von Lehrenden selbst. Lernende erfahren nämlich im Unterricht alle Aspekte der Lehrvorstellungen der Lehrenden, und es wird angenommen, „what is learned will be determined as
much by those beliefs and intentions than by activities used“15.
Verschiedene empirische Studien lassen auf einen Zusammenhang zwischen
den individuellen Überzeugungen einer Lehrkraft und dem Lehrerhandeln
schließen16. Man nimmt an, dass die epistemologischen Überzeugungen der
Lehrenden – vielfach unbewusst – ihr Handeln im Unterricht steuern. Sie
bilden folglich einen „didaktischen Referenzrahmen“17, der die Lehrerentscheidungen im Unterricht beeinflusst und damit den Unterrichtsverlauf
prägt.
Bisher liegen nur wenige Studien zu den epistemologischen Überzeugungen
von Lehrkräften vor. Angesichts der Bedeutung epistemologischer Überzeugungen für das Lehren ist es notwendig, weitere Untersuchungen durchzuführen und folgende Fragestellungen zu klären: Welche Vorstellungen haben
Lehrerinnen und Lehrer zu Wissen und Wissenserwerb? Wie sind diese
epistemologischen Überzeugungen von Lehrerinnen und Lehrern strukturiert? Wie und unter welchen Bedingungen werden epistemologische Überzeugungen generiert? Von welchen (kulturellen) Faktoren werden diese
13
Buehl/Alexander 2001, S. 385.
14
Vgl. Köller/Baumert/Neubrand 2000, S. 232.
15
Pratt 1992, S. 217.
16
Vgl. z.B. Pratt 1992, S. 208.
17
Helmke 2003, S. 52.
251
Überzeugungen beeinflusst? Lassen sich für alle Lehrende – unabhängig von
ihrem Tätigkeitsbereich – einheitliche Überzeugungen feststellen?
Anhand empirischer Erhebungen zu den epistemologischen Überzeugungen
von österreichischen und deutschen Lehrkräften sollen im Folgenden erste
Antworten auf die oben aufgeworfenen Fragen gegeben werden. Zuvor jedoch soll der Stand der Forschung dargelegt werden.
2 Theorien und Modelle zu epistemologischen
Überzeugungen
Die meisten der vorliegenden Theorien und Modelle zu epistemologischen
Überzeugungen stimmen mit der Beschreibung von epistemologischen Überzeugungen als subjektive Konzepte zu Wissen und Wissenserwerb überein. Gemeinsam nehmen sie an, dass sich diese Überzeugungen von Personen im Verlauf der Zeit verändern und zunehmend komplexer werden18.
Über diesen Grundkonsens hinaus gibt es jedoch erhebliche Differenzen in
der Beschreibung des Konstrukts. Dabei lassen sich die Theorien danach
unterschieden, ob sie von domänenspezifischen oder domänenübergreifenden Überzeugungen und ob sie von einem eindimensionalen oder mehrdimensionalen Modell ausgehen.
2.1 Domänenspezifische vs. Domänenübergreifende Modelle
Hinsichtlich der Domänenspezifität von epistemologischen Überzeugungen
lassen sich verschiedene Positionen identifizieren: Eine Annahme lautet,
dass epistemologische Überzeugungen von Wissensdomänen vollständig
oder weitgehend unabhängig sind19. Eine andere Auffassung nimmt eine
Domänenspezifität an, der zufolge Individuen in verschiedenen Domänen
bzw. Fachgebieten unterschiedliche epistemologische Überzeugungen vertreten können20. Eine weitere, bislang allerdings noch wenig untersuchte
Auffassung lautet, dass es einen Kernbereich domänenübergreifender Über-
18
Vgl. Rebmann 2005.
19
Vgl. Perry 1999; Schommer-Aikins 2002.
20
Vgl. Hofer/Pintrich 1997.
252
zeugungen gibt, der durch domänenspezifische Überzeugungen ergänzt
wird21. In Bezug auf die Domänen können im schulischen und hochschulischen Bereich Unterrichtsfächer bzw. unterschiedliche Studienrichtungen
nach so genannten „well-structured domains“22 oder „ill-structured domains“23 unterschieden werden. Ein Fach wird danach beurteilt, welche der
beiden Strukturen vorherrscht. So bezeichnet man die Fächer als well-structured, denen bei Aufgaben und Problemen allgemein gültige Lösungen zur
Verfügung stehen, wie z.B. in Mathematik oder Physik. Andere Fächer wie
beispielsweise Literatur oder Geschichte, in denen es für Probleme oder
Aufgaben keine allgemein gültigen Lösungen gibt, werden als ill-structured
bezeichnet.
2.2 Eindimensionale vs. Mehrdimensionale Modelle
So genannte eindimensionale Modelle24 gehen von typischen Entwicklungsstufen aus. Höhere Entwicklungsstufen lassen sich durch zunehmende Differenzierung und komplexere Vorstellungen charakterisieren. Mehrdimensionale Konzepte gehen davon aus, dass sich die Ausprägungen auf den einzelnen Dimensionen unabhängig voneinander verändern. Das bedeutet, dass
Veränderungen auf einer Dimension nicht zwangsläufig von Veränderungen
auf anderen Dimensionen begleitet werden. Sie nehmen zudem an (z.B. im
Gegensatz zu Perry), dass es auf einer oder sogar auf allen Dimensionen zu
rekursiven Entwicklungen kommen kann, die eben nicht auf ein bestimmtes
Entwicklungsende hin abzielen25.
Ein empirisch gut untersuchtes mehrdimensionales Konzept liegt von
Schommer vor26. Ihr Konzept der Epistemological Beliefs besteht aus fünf
Dimensionen, die sich auf das Wesen von Wissen und auf Wissenserwerb
beziehen. Diese Dimensionen werden bezeichnet als (1) source, (2) certainty
and (3) structure of knowledge und (4) control and (5) speed of knowledge
21
Vgl. Trautwein/Lüdtke/Beyer 2004.
22
Buehl/Alexander 2001; Kitchener 1983.
23
Buehl/Alexander 2001; Kitchener 1983.
24
Vgl. z.B. King/Kitchener 2002; Perry 1999.
25
Vgl. Schommer-Aikins 2002, S. 110 f.
26
Vgl. Schommer 1994a; 1994b; Schommer-Aikins 2002.
253
acquisition. Wie aus den Bezeichnungen der Dimensionen deutlich wird,
gelingt es Schommer in ihrem Modell, die direkte Vernetzung von Wissen
und Wissenserwerb darzustellen. Die Dimensionen 1 bis 3 beziehen sich auf
das Wesen von Wissen, die Dimensionen 4 und 5 auf den Prozess des Lernens.
Jede dieser Dimensionen ist als Kontinuum von einer extrem naiven bis zu
einer differenzierten Position zu verstehen27. So versteht sich die Dimension
(4) control als Kontinuum von „Die Fähigkeit zu lernen ist angeboren“ bis
„Die Fähigkeit zu lernen wird durch Erfahrungen erworben“. Die Dimension
(5) speed reicht von der naiven Sicht „Lernen geht schnell oder gar nicht“ bis
zur differenzierten Sichtweise „Lernen ist ein allmählicher Prozess“. Die
Extrempositionen des Kontinuums der Dimension (3) structure, ebenfalls
dargestellt als naive Position einerseits und differenzierte andererseits, können folgendermaßen formuliert werden: „Wissen besteht aus isolierten Einzelbausteinen“ und „Wissen ist komplex und zusammenhängend“. Die Dimension (2) certainty bildet das Kontinuum von „Wissen ist absolut“ bis
„Wissen unterliegt einem konstanten Entwicklungsprozess“ ab. Obwohl die
Dimension (1) source von Schommer empirisch nicht nachgewiesen werden
konnte, wurde für sie ein Kontinuum definiert, das von der naiven Sicht „es
gibt eine allwissende Autorität, die Wissen weitergibt“ bis zur differenzierten Position „Wissen wird durch subjektive und objektive Erfahrungen erworben“ reicht.
3 Empirische Erhebung
3.1 Forschungsziele und Hypothesen
Zahlreiche Untersuchungen bestärken die Annahme, dass die individuellen
Überzeugungen bzw. die Systeme zu Wissen und Wissenserwerb unmittelbar
Einfluss auf das Verstehen, Problemlösen und Handeln haben28. Des Weite-
27
Vgl. im Folgenden Schommer 1994b, S. 301.
28
Vgl. z.B. Schommer 1994a, S. 26.
254
ren wird die Auffassung bekräftigt, dass diese Überzeugungen einem Entwicklungsprozess unterliegen29.
Epistemologische Überzeugungen wurden bisher überwiegend bei Studierenden untersucht30. Überzeugungen zu Wissen und Wissenserwerb von
Lehrerinnen und Lehrern, die unmittelbar mit dem Lernprozess in Berührung
stehen, wurden bislang vergleichsweise wenig berücksichtigt.
Der vorliegende Beitrag untersucht folgende Forschungsanliegen:
•
Wie weit sind die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen
der Lehrenden entwickelt?
•
Lassen sich für die epistemologischen Überzeugungen von Lehrenden aus Deutschland und Österreich einheitliche Kriterien feststellen?
•
Sind die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden unterschiedlich weit entwickelt in Abhängigkeit von der
Schulform, in der sie unterrichten?
•
Sind die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen der lehrenden ähnlich weit entwickelt, da sie aus einem Kulturkreis stammen
oder gibt es länderspezifische Unterschiede?
•
Sind die epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden domänenspezifisch? Und besitzen Lehrende unterschiedliche epistemologische Überzeugungen über das selbst unterrichtete Fach und
über das nicht selbst unterrichtete Fach?
3.2 Methodisches Vorgehen
Um diese Fragestellungen zu klären, wurde dieser Studie das mehrdimensionale Modell von Schommer zugrunde gelegt. Als Erhebungsinstrument diente ein Fragebogen, der im Rahmen zweier Examensarbeiten31 entwickelt und
zur Erfassung subjektiver Theorien, pädagogischem Inhaltswissen und epistemologischen Überzeugungen eingesetzt wurde. Aus den ursprünglich 79
29
Vgl. z.B. Perry 1999. S. 10 f.
30
Vgl. Baxter Magolda 2002; Perry 1999; Schommer 1994b.
31
Vgl. Müller 2005; Müsing 2005.
255
Items wurden lediglich 46 in die Analyse einbezogen, da sie sich explizit auf
epistemologische Überzeugungen beziehen. Items, die beispielsweise äußere
Einflussfaktoren erfassen, wurden ausgelassen.
In dieser Untersuchung wurden Lehrende verschiedener Schulformen aus
Österreich und Deutschland zu ihren epistemologischen Überzeugungen
befragt. Es nahmen insgesamt 301 Lehrende teil. Die Stichproben gestalteten
sich wie folgt:
In Deutschland wurden insgesamt 233 Lehrende von elf verschiedenen Schulen32 aus dem Weser-Ems-Gebiet befragt. Davon waren 127 männlich und
102 weiblich33. Im Durchschnitt waren die Lehrenden knapp 46 Jahre alt
und verfügten im Mittel über rund 17 Dienstjahre. In Österreich wurden
insgesamt 148 Lehrende der AHS34 und BHS35 an neun Schulen in Graz und
Klagenfurt befragt36. Davon waren 41 männlich und 107 weiblich. Die
durchschnittliche Berufserfahrung lag bei knapp 18 Jahren.
Bei den deutschen Lehrkräften wurde eine Version des Fragebogens eingesetzt, die allgemeine epistemologische Überzeugungen erfassen sollte, während der Fragebogen in Österreich auf domänenspezifische Überzeugungen
abzielte; dazu wurden die Fächer Deutsch und Mathematik gewählt als typische Vertreter einer ill-structured bzw. einer well-structured dimension.
3.3 Validierung des Fragebogens
Der Validierungsprozess ist entscheidend, um die Qualität eines Fragebogens
sicher zu stellen. Ungeeignete Items werden in diesem Prozess selektiert.
Itemschwierigkeit und Trennschärfe
Für alle Items wurde zu Beginn der Schwierigkeitsindex berechnet. Die
statistische Schwierigkeit von Fragebogenitems wird als ihre Popularität
bezeichnet. Eine Frage, die prozentual sehr häufig in die Schlüsselrichtung
32
Grundschulen, Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und berufsbildende Schulen.
33
Vier Personen machten keine Angabe zu ihrem Geschlecht.
34
Allgemeinbildende höhere Schulen.
35
Berufsbildende höhere Schulen.
36
Vgl. Umschaden 2005.
256
beantwortet wird, gilt als populär37. Für den Popularitätsindex können Werte
zwischen Null und Eins erreicht werden. Items, die weder zu leicht noch zu
schwer waren (p>.20 und p<.80), wurden in die weiteren Analysen einbezogen. Items, die außerhalb dieses Bereichs lagen, wurden selektiert, da sie
keine Aussagen über die Person zulassen und so nur wenig Information
beinhalten. Fünf Items lagen außerhalb der mittleren Schwierigkeit. Sie wurden entfernt und in nachfolgende Analysen nicht mit einbezogen.
Mithilfe der Trennschärfe kann berechnet werden, wie gut ein einzelnes Item
das Gesamtergebnis des Fragebogens widerspiegelt, d.h. wie typisch das
Item für eine Skala ist. Für den Trennschärfeindex können ebenfalls Werte
zwischen Null und Eins erreicht werden. Nicht trennscharfe Items machen
keine Differenzierung möglich und werden somit selektiert.
In die weiteren Analysen wurden nach Durchführung obiger Verfahren 32
der ursprünglich 46 Items einbezogen.
Faktorenanalyse
Zum Zweck der Gesamtbetrachtung wurde mit den verbleibenden Items eine
Faktorenanalyse durchgeführt, da dies eine Identifikation von Variablengruppen ermöglicht, die für die Gesamtvarianz der Stichprobe von besonderer Bedeutung sind. Das primäre Ziel der Faktorenanalyse ist, die zahlreich auftretenden korrelativen Beziehungen in eine geordnete Struktur zu
bringen, und so Ähnlichkeiten einzelner Variablen in ihrer Zusammenfassung auf einer höheren Abstraktionsebene abzuschätzen38. Als Rotationsmethode wurde eine orthogonale Methode (Varimax-Rotation) gewählt, da das
zugrunde liegende theoretische Konzept Schommers von untereinander unabhängigen Faktoren ausgeht. Nun wurden der Reihe nach alle Items mit
Mehrfachladungen und Items mit geringen Ladungen (hier: <.20) gestrichen.
Schließlich wurde eine Faktorlösung mit zwei Faktoren erreicht, die insgesamt 56.73% der Varianz aufklärt. Anschließend wurde Cronbach’s α berechnet, um die innere Konsistenz der Skalen zu prüfen.
Der erste Faktor klärt 31,90% der Varianz auf und besitzt mit α=.57 eine
zufrieden stellende Konsistenz. Zu diesem Faktor gehörige Items beschreiben den Bereich der Einstellung, inwieweit Informationen als eindeutig und
37
Vgl. Lienert/Raatz 1998.
38
Vgl. Kirchhoff 2003, S. 86 ff.
257
kontextunabhängig oder uneindeutig und von Kontext abhängig betrachtet
werden. Ebenfalls beinhaltet dieser Faktor Einstellungen über die Struktur
von Wissen, d.h. ob es in klar voneinander abgegrenzte Einheiten einzuteilen
ist oder ob es als komplexe Verknüpfung von Informationen und Bereichen
angesehen wird. Weiter fließt in diesen Faktor die Einstellung ein, ob die
Fähigkeit zu lernen angeboren ist oder sich ständig weiter entwickelt. In den
Faktor gehen zudem Items ein, die den Nutzen und die Anwendung von
Lernstrategien fokussieren. Dieser Faktor stimmt in weiten Teilen mit der
Beschreibung des Faktors Struktur von Wissen aus Schommers Modell überein. Daher wurde diese Skala „Struktur des Wissens“ genannt.
Der zweite Faktor klärt 24,83% der Varianz auf und besitzt mit α=.49 eine
noch mittlere innere Konsistenz. Auf diesem Faktor laden Items, die die
Einstellung thematisieren, inwieweit der Lernerfolg von harter Arbeit abhängt. Außerdem finden sich Items, die die Einstellungen darstellen, dass
man einen Sachverhalt auf Anhieb versteht oder gar nicht, und dass es sich
lohnt über einen problematischen Sachverhalt länger nachzudenken. Dieser
Faktor stimmt weitestgehend mit Schommers Faktor Stabilität/Sicherheit
überein und wurde daher ebenfalls „Stabilität von Wissen“ genannt.
Als Fazit lässt sich feststellen, dass es in der empirischen Analyse nicht möglich war, die von Schommer proklamierten fünf Dimensionen epistemologischer Überzeugungen in einer Stichprobe aus dem deutschsprachigen Kulturraum zu replizieren. Viele Items mussten gestrichen werden, da sie den testtheoretischen Gütekriterien nicht genügten und wurden in folgende Berechnungen nicht mehr einbezogen.
3.4 Ergebnisdarstellung und Interpretation
Hinsichtlich der oben aufgeworfenen Forschungsfragen wurden Hypothesen
formuliert, die mithilfe der empirischen Daten überprüft werden sollen.
Hypothese 1: Die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden sind weit entwickelt, d.h. differenziert.
Betrachtet man zusammenfassend die Gruppe der teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland, deren allgemeine epistemologische Überzeugungen erhoben wurden, kann man mithilfe der berechneten Mittelwerte
Aussagen über die Entwicklung der epistemologischen Überzeugungen treffen hinsichtlich der beiden Skalen Struktur und Stabilität. Dabei sind die
258
Items so gepolt, dass eine naive epistemologische Überzeugung durch einen
niedrigen Wert wiedergegeben wird, eine differenzierte Überzeugung durch
einen hohen Wert. Der maximale Wert liegt bei 6,0 erreicht werden. Die
Mittelwerte bestätigen, dass die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen weit entwickelt sind. Jede Skala erreicht einen hohen Zustimmungsgrad: die Mittelwerte beider Skalen liegen über 4,0 (Skala Struktur 4,25,
Skala Stabilität 4,05). Infolgedessen lässt sich feststellen, dass die teilnehmenden Lehrenden in ihren allgemeinen epistemologischen Überzeugungen
durchschnittlich sehr weit entwickelt sind und somit eine differenzierte Sicht
einnehmen.
Hypothese 2: Die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden sind unterschiedlich weit entwickelt in Abhängigkeit von der Schulform, in der sie unterrichten.
Wenn man davon ausgeht, dass die Art der Wissensvermittlung entscheidend
von der Schulform bestimmt wird, schließt sich die Vermutung an, dass die
epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden ebenfalls unterschiedlich
weit entwickelt sind – je nach Schulform, in der sie unterrichten. Um dieses
zu prüfen, wurde eine einfaktorielle Varianzanalyse durchgeführt. Die Ergebnisbetrachtung zeigt ein sehr homogenes Bild: bezüglich der Skala Stabilität wurden Mittelwerte von 3,79 bis 4,23 erreicht, für die Skala Struktur
lagen die Mittelwerte bei 4,23 bis 4,29. Das Maximum lag wieder bei 6,0.
Keine Schulform fällt auf, indem sie hinsichtlich der Skalen Ausreißer bildet. Dies gibt Grund zur Annahme, dass die epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden unabhängig von ihrem Tätigkeitsbereich, d.h. von der
Schulform, entwickelt sind. Aussagen über die Entwicklung der epistemologischen Überzeugungen der Lehrerinnen und Lehrer in Abhängigkeit von der
Schülerklientel können folglich nicht getroffen werden.
Hypothese 3: Die epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden aus
Österreich und Deutschland sind ähnlich weit entwickelt, da sie aus einem
Kulturkreis stammen.
Man kann davon ausgehen, dass das kulturelle Umfeld die epistemologischen Überzeugungen in entscheidender Weise beeinflusst und an ihrer Entwicklung maßgeblich beteiligt ist39. So liegt es nahe, für Österreich und
39 Vgl. z.B. Qian/Pan 2002.
259
Deutschland ähnlich entwickelte Überzeugungen anzunehmen, die durch den
deutschsprachigen Kulturkreis bestimmt sind. Die Ergebnisse stellen sich
folgendermaßen dar:
z-Wert Stabilität
z-Wert Struktur
Österreich
3,21
2,18
Deutschland
2,92
2,96
Tab. 1
z-Werte der deutschen und österreichischen Lehrenden in den Faktoren „Stabilität“ und „Struktur“ des Wissens. Quelle: Eigene.
Mithilfe der z-Transformation ist es möglich, Werte aus Verteilungen mit
unterschiedlichem Mittelwert und Streuung, wie sie hier vorliegen, vergleichbar zu machen40. Die Werte zeigen, dass hinsichtlich des Faktors Stabilität die epistemologischen Überzeugungen der österreichischen Lehrenden
weiter entwickelt sind als die ihrer deutschen Kollegen. Bezüglich des Faktors Struktur besitzen die deutschen Lehrkräfte differenziertere Überzeugungen. Da nicht eindeutig gesagt werden kann, durch welche Faktoren dieser
Unterschied hervorgerufen wird, muss die Hypothese 3 vorerst als nicht
bestätigt angesehen werden. Der Einfluss der Kultur muss in nachfolgenden
Studien weiter überprüft werden.
Hypothese 4: Lehrende besitzen unterschiedliche epistemologische Überzeugungen über das selbst unterrichtete Fach (Eigendomäne) und über das
nicht selbst unterrichtete Fach (Fremddomäne).
In der vorliegenden Studie wurden die epistemologischen Überzeugungen
von Deutsch- und Mathematiklehrenden erhoben. Es soll überprüft werden,
ob Lehrende dieser unterschiedlichen Bereiche ebenfalls unterschiedlich
entwickelte Überzeugungen besitzen. Des Weiteren geben bereits durchgeführte Studien Anlass zu der Annahme, dass Lehrende sich in ihren epistemologischen Überzeugungen über das selbst unterrichtete Fach (Eigendomäne) und über das nicht selbst unterrichtete Fach (Fremddomäne) unterscheiden41. Die Ergebnisse der durchgeführten Varianzanalyse sind in Tabelle 2
40 Vgl. Wirtz/Nachtigall 2004.
41 Vgl. z.B. Buehl/Alexander 2001.
260
dargestellt. Naive epistemologische Überzeugungen sind mit einem niedrigen Wert gekennzeichnet, differenzierte Überzeugungen mit einem hohen
Wert. Das zu erreichende Maximum lag bei 5,0.
Deutschlehrende
Mittelwert
Struktur
Mittelwert
Stabilität
Eigendomäne (Deutsch)
2,29
2,70
Fremddomäne (Mathematik)
2,58
2,82
Eigendomäne (Mathematik)
2,66
2,54
Fremddomäne (Deutsch)
3,02
3,02
Mathematiklehrende
Tab. 2
Mittelwertunterschiede der Lehrenden (Eigen- und Fremddomäne)
hinsichtlich der Faktoren „Struktur“ und „Stabilität“ des Wissens.
Quelle: Eigene.
Die Betrachtung der Mittelwerte zeigt, dass sowohl Deutschlehrende als
auch Mathematiklehrende in ihrem nicht selbst unterrichteten Fach (Fremddomäne) hinsichtlich des Faktors „Struktur des Wissens“ von komplexeren
epistemologischen Überzeugungen ausgehen. Sie gehen also davon aus, dass
die Bedeutung einer Information eher uneindeutig ist und vom Kontext abhängig ist. Des Weiteren besitzen sie die Überzeugung, dass Wissen aus
zusammenhängenden Informationen besteht und es einer ständigen Weiterentwicklung unterliegt.
Hinsichtlich des Faktors „Stabilität des Wissens“ zeigt sich ein ähnliches
Bild. Ausgehend von den Mittelwerten kann man sagen, dass sowohl die
Deutsch- als auch die Mathematiklehrenden bezüglich des nicht selbst unterrichteten Faches (Fremddomäne) überzeugt sind, dass die epistemologischen
Überzeugungen dort komplexer sind. Sie sind überzeugt, dass der Lernerfolg
weitgehend von harter Arbeit abhängt, und dass es sich lohnt über einen
problematischen Sachverhalt länger nachzudenken. Diese Ergebnisse bestätigen die Hypothese, dass epistemologische Überzeugungen domänenspezifisch sind.
261
4 Fazit
In der vorliegenden Studie wurden – ausgehend von einem mehrdimensionalen Konzept der epistemologischen Überzeugungen und einer herrschenden
Domänenspezifität – die individuellen Überzeugungen von Lehrenden aus
Österreich und Deutschland erfasst. Die empirischen Daten wurden hinsichtlich des Unterrichtsfaches der Lehrenden ausgewertet, um Aussagen über die
Domänenspezifität machen zu können. Dabei wurde das Fach Deutsch als
typisches Beispiel für eine so genannte ill-structured domain gewählt: dazu
gehören Fächer, in denen es für Probleme oder Aufgaben keine allgemein
gültigen Lösungen gibt. Das Fach Mathematik wurde als typisches Beispiel
für eine so genannte well-structured domain gewählt: dort kann bei Aufgaben und Problemen auf allgemein gültige Lösungen zurückgegriffen werden.
Hinsichtlich der anfangs aufgeworfenen Forschungsfragen lassen sich folgende Ergebnisse festhalten:
•
Wie weit sind die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen
der Lehrenden entwickelt?
¾
•
Die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen der
teilnehmenden Lehrenden sind durchschnittlich sehr weit
entwickelt. Die Lehrenden vertreten eine differenzierte
Sicht der epistemologischen Überzeugungen.
Lassen sich für die epistemologischen Überzeugungen von Lehrenden aus Deutschland und Österreich einheitliche Kriterien feststellen oder gibt es schulform- oder länderspezifische Unterschiede?
¾
Die epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden sind
unabhängig von ihrem Tätigkeitsbereich, d.h. von der
Schulform, entwickelt. Aussagen über die Entwicklung der
Überzeugungen in Abhängigkeit von der Schülerklientel
können nicht getroffen werden.
¾
Es lassen sich keine Aussagen über einheitliche Kriterien
der epistemologischen Überzeugungen treffen, die sich auf
den gemeinsamen Kulturkreis zurückführen lassen. Die
empirischen Daten geben Anlass zur Vermutung, dass län-
262
derspezifische Unterschiede existieren, die an dieser Stelle
allerdings nicht genauer definiert werden können.
•
Sind die epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden domänenspezifisch?
¾
Die empirischen Daten zeigen, dass sich eine domänenspezifische Struktur der epistemologischen Überzeugungen
feststellen lässt.
¾
Die Lehrenden unterscheiden zwischen den epistemologischen Überzeugungen in dem von ihnen selbst unterrichteten Fach (Eigendomäne) und dem nicht selbst unterrichteten Fach (Fremddomäne).
Abschließend lässt sich sagen, dass noch erheblicher Forschungsbedarf besteht, was die epistemologischen Überzeugungen von Lehrenden betrifft. Es
existieren bislang nur wenige Studien, die sich mit den Auswirkungen der
epistemologischen Überzeugungen auf das unterrichtliche Handeln der Lehrenden befassen. Um empirische Daten unmittelbar vergleichen zu können,
muss ein einheitliches Erhebungsinstrument entwickelt und validiert werden.
Die in dieser Studie nachgewiesenen Faktoren „Stabilität“ und „Struktur“
des Wissens können das Konzept von Schommer, das dieser Studie zugrunde
liegt, allerdings nur in Teilen bestätigen.
263
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Chege, Victoria
The Interaction of Race and Gender in EU Equality Law
1 Introduction
Studies on the multidimensionality reveal that grounds of discrimination are
as interrelated as the multiple identities of individuals are inseparable.1 Due
to this interplay, the different grounds serve as background features, the
presence or absence of which either intensifies or mitigates the effect of
discrimination faced.2 Racial discrimination can hence take place in a gender
context, while gender discrimination can take place in a background already
made vulnerable by racial discrimination. In effect therefore, different subsets of people will experience discrimination differently, and a general approach that ignores differences among groups will deny some of effective
1
See Crenshaw, Background Paper for the Expert Meeting on the Gender-Related Aspects
of Race Discrimination Zagreb, Croatia (2000) (http://www.wicej.addr.com/wcar_docs/crenshaw.html); Crenshaw, Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: a Black
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Women of Color, 43 Stanford Law review, (1991) 1241 – 1299; Makonnen, Multiple,
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Real Peoples Experience, 13 Canadian Journal Women and Law (2001), 37 – 73; Hannett,
Equality at the Intersections: The Legislative and Judicial failure to Tackle Multiple Discrimination, 23 Oxford Journal of Legal Studies (2003), 65 – 86.
2
See Crenshaw, Background Paper for the Expert Meeting (2000) Section III ff
(http://www.wicej.addr.com/wcar_docs/crenshaw.html).
268
protection.3 For anti discrimination law to be effective in its aim, it must
hence reflect the social reality of individuals and address their multiple identities4 and not just one particular aspect of thereof. Such an approach that
integrates all aspects related to a ground has been related to substantive notion of equality.5
Integrating ground related aspects implies taking a multidimensional approach which involves an analysis of the effects of separate grounds adding
to each – additive discrimination6 – or of an invisible interaction of grounds
which would disproportionately disadvantage those at the intersection of two
or more grounds – intersectional discrimination.7
For law to bite there must be a corresponding prohibition.8 For a multidimensional approach, this would require the prevalence of several prohibited
grounds, and the admissibility of interactions between them. Anglo American law fulfilled the former requirement, but was criticised for failing to
adequately facilitate latter.9 EU law likewise fulfils the former requirement.
3
Crenshaw makes this point in her works on the interactions of race and gender . See op. cit
n.1.
4
Schiek, Broadening the Scope and the Norms of EU Gender Equality Law: Towards a
Multidimensional Conception of Equality Law, 12 Maastricht Journal of European and
Comparative Law (2005), 427-466, 459 f.
5
Schiek, 12 Maastricht Law Journal (2005), 459 f.
6
See for example Hannett, 23 Oxford Journal of Legal Studies (2003), 65; Makonnen,
Multiple, Compound and Intersectional Discrimination (2002).
7
See especially the works of Crenshaw, op. cit. fn. 1.
8
See for example Miné, Concepts of Direct and Indirect Discrimination (Revised text of a
presentation delivered at the conference on “The Fight Against Discrimination. New Directives of 2000 Concerning Equality, 31 March to 1 April, Trier)
(http://www.era.int/web/en/resources/5_2341_603_file_en.576.pdf#search=%22concepts%
20of%20direct%20and%20indirect%20discrimination%22).
9
In the USA, although Title VII of the Civil Rights Act, 1964 prohibits discrimination on
grounds of race, colour, religion, sex or national origin, courts had problems addressing
multiple and intersectional claims. Despite the existence of the Sex Discrimination Act
1975, the Equal Pay Act 1970, the Race Relations Act 1976, the Disability Act 1995, multidimensional claims in the UK were not really addressed. See the works of Shoben, Compound Discrimination: The Interaction of Race and Sex in Employment Discrimination, 55
New York University Law Review, (1980) 793 – 833; Hannett, 23 Oxford Journal of Legal
Studies (2003), 65.
269
Grounds prohibited include nationality,10 sex,11 race and ethnicity,12 religion
or belief,13 disability,14 age,15 sexual orientation.16 In respect to the admissibility of the interaction of grounds, it might be necessary to point out that
recitals 14 and 3 of the Race and Framework directives respectively mention
the fact that women are often victims of multiple claims; Article 17 and 19
of the Framework and Race directives also require an assessment of the
impact of the measures undertaken under the respective instruments on
women. The gender mainstreaming aim of the EU has itself been construed
to imply recognition of the fact that other inequalities carry a gender dimension.17 Taken together, this could imply that EU law acknowledges the possibility of the interaction of grounds, albeit from the perspective of gender
equality. But does also mean that EU law is structured in such a manner as to
facilitate the integration of ground related aspects?
The fact that multiple discrimination is only mentioned in relation to gender
is the first indication of doubt. But a more illuminating answer would necessitate a more detailed look at the structure and content of EU equality law.
To stay within the permissible scope, only the inseparability of race and
gender which has been specifically pointed out in both legal18 and sociologi-
10
See for example Article 12 EC, the provisions of the fundamental freedoms, especially
Article 39 EC.
11
Directive 2002/73/EC amending Directive 76/207/EEC on the equal treatment between
men and women [2002] OJ 269/15.
12
The Race Directive 2000/43/EC establishes the principle of equal treatment of persons
irrespective of race and ethnic origin [2000] OJ L 180/22.
13
The Framework Directive 2000/78/EC lays down the principle of equal treatment of persons irrespective of religion or belief, sexual orientation, age and disability [2000] OJ
L303/16.
14
Ibid.
15
Ibid.
16
Ibid.
17
Nielsen, EU Law and Multiple Discrimination, CBS Law Studies WP 2006 – 01, Copenhagen Business School, Law Department, p. 3. (http://ir.lib.cbs.dk/paper/ISBN/
8791759013)
18
See especially Crenshaw, op.cit. 1; Duclos, 6 Canadian Journal Women and Law (1993),
25-51, esp. 33 ff.
270
cal literature19 is the main focus here. Both grounds have been said to share
similar stereotypes,20 and law is being urged to address their possible interactions.21
The article will briefly examine the provisions of gender and racial discrimination in EU equality law. This will be followed by a discussion of the contents of the directive in the light of the question of multidimensionality.
Lastly, an evaluation of the findings and some suggestions will be made.
2 Gender, Race in EU Equality Law
2.1 Legal Base
Article 2 EC and Article 3 (2) place the attainment of gender equality as a
task of the EU and an objective that has to be mainstreamed in all the Community activities. There are several other provisions aimed at achieving gender equality in the EU. Article 141 establishes the principle of equal pay
between men and women. Several other secondary law instruments pursue
the principle of equal treatment between men and women in different areas.22 Of great relevance to this work is the Gender Reform Directive which
purposes to put into effect the principle of equal treatment between men and
19
See Adib/Guerrier, The Interlocking of Gender with Nationality, Race, Ethnicity and
Class: the Narratives of Women in Hotel Work, 10 Gender, Work, Organisation (2003),
413. Browne/Misra, The Intersections of Gender and race in the Labour Market, 29 Annu.
Rev. Sociol. (2003), 487–513.
20
Duclos, 6 Canadian Journal Women and Law (1993), 25-51, esp. 33 ff..
21
Crenshaw op. cit. 1; Hannet 23 Oxford Journal of Legal Studies (2003), 65
22
See for example the Equal pay Directive 75/117/EEC [1975] OJ L45/198; Social Security
Directive 79/7/EEC [1979] OJ L 6/24; Occupational Social Security Directive 86/378/EEC
[1986] OJ L 225/40 (amended by Directive 96/97/EC [1997] OJ L 14/13); Self Employed
Directive 86/613/EEC [1986] OJ L 359/56; the Pregnant Workers Directive 92/85/EEC
[1992] OJ L 348/1; the Working Time Directive 93/104/EC [ 1993] OJ L 307/18; Parental
Leave Directive 96/34/EC [ 1996] OJ L 145/11 (amended by 97/75/EC [1997] OJ L 10/24;
Burden of Proof Directive 97/80/EC [1998] OJ L 14/6; Part – time Workers Directive
97/81/EC [1998] OJ L 14/9.
271
women within its scope of application.23 It is equally important to note that
on the basis of Article 13 EC, the provisions of gender equality were extended beyond the labour market through the adoption of the Goods and
Services Directive.24
The prohibition to discriminate on grounds of race and ethnicity is contained
in the Race Directive which purposes to lay down a general framework for
combating discrimination on the grounds of racial or ethnic origin, with a
view of putting into effect in the Member State the principle of equal treatment.25
Since they purpose to put into effect the principle of equal treatment, both
EU gender and racial provisions strive for substantive equality or equality in
fact.26 Addressing the multidimensionality of human identity has been argued to be inherent in the concept of substantive equality.27
2.2 Contents of Gender and Race Provisions
The section below will not try to reproduce the considerable work already
done on the directives.28 Rather, it will stick to those elements that are considered to be of relevance to the topic at hand.
23
Gender Equal Treatment Directive 76/207/EEC [1976] OJ L 39/40 (amended by Directive
2002/73/EC [2002] OJ L 269/15.
24
Goods and Services Directive OJ [20004] L 373/37.
25
Article 1 Race Directive.
26
See Schiek, A New Framework on Equal Treatment of Persons in EC law? ELJ Vol. 8
(2002), 290 – 314, 304.
27
Schiek, 12 Maastricht Journal (2005), 427-466, 459 f.
28
For allok at the directives see Schiek, ELJ Vol. 8, (2002), 290; Waddington/Bell, More
Equal than Others: Distinguishing European Union Equality Directives, 38 CML Rev.
(2001) 587 – 611; Masselot, The New Equal Treatment Directive: Plus Ça Change… 12
Feminist Legal Studies (2004), 93 – 104; Nielsen, EU Law and Multiple Discrimination,
CBS Law Studies WP 2006; Torella, The Goods and Services Directive: Limitations and
Opportunities, Feminist Legal Studies (2005), DOI 10.1007/s1069 – 005 – 9007 – 5.
272
2.2.1
Scope of Application
The material scope of application envisaged in the gender and race provisions is not consistent.29 In employment related areas, the scope might be
similar; however race has a wider scope beyond the labour market which
extends to education, health care.30
In relation to the personal scope of application, the race provisions do not
cover differential treatment arising from nationality31 and will not affect
differential treatment that arises from the legal status of third country nationals and stateless persons.32 This particular exemption is not envisaged under
the gender provisions.
2.2.2
Exceptions
Both the gender and race provisions contain ground related exceptions to the
non discrimination principle. Only those exceptions relating to occupational
activities and positive action33 will be examined here. The occupational
exceptions under the Race Directive apply to all occupational activities.
However, they do not go beyond the labour market.34 The relevant employment provisions of the Gender Reform Directive are only restricted to access
to employment, and do not envisage promotion per se.35 The gender exceptions are also extended beyond the labour market by the Goods and Services
Directive.
29
Schiek, ELJ Vol. 8, 2002, 290; Waddington/Bell, More Equal than Others: Distinguishing
European Union Equality Directives, 38 CML Rev. (2001) 587 – 611.
30
For a comparison of the scopes see Articles 3 Race, Gender Reform and Goods and Services Directives; Schiek, ELJ Vol. 8, 2002, 290; Waddington/Bell, More Equal than Others: Distinguishing European Union Equality Directives, 38 CML Rev. (2001) 587 – 611.
31
Article 3 (2) Race Directive.
32
Ibid.
33
For positive action as an exception see Masselot, 12 Feminist Legal Studies (2004), 93 –
104; Waddington/Bell, 38 CML Rev. (2001) 587 – 611, 601.
34
Article 4 Race Directive
35
Article 2 (6) Gender Reform Directive.
273
Positive action is provided for in all the equality instruments.36 The aim of
positive action pursued by all directives is full equality in practice – a substantive notion of equality.37
2.2.3
Concepts
Direct discrimination has been defined as less favourable treatment (on the
particular ground) under comparable situations. Indirect discrimination requires that an apparently neutral provision, criterion, or practice leads to
disadvantageous treatment, unless it can be objectively justified and the
principle of proportionality respected.38 Impact of such measures on a group
can be established through statistical or any other means,39 which reflects a
departure from the case law of the ECJ established under gender equality
where statistics were a must for establishing disparate effect.40 The definitions of direct and indirect discrimination under both provisions necessitate a
comparator or comparable situation. Hypothetical comparisons seem to be
permitted.41
The concept of goods and services envisaged under gender equality has been
linked to the concept of goods and services as envisaged in the EC Treaty.42
2.2.4
Enforcement
Equal treatment bodies are envisaged under both gender and race provision;43 sanctions are required to be effective, proportionate and dissuasive.44
36
Article 5, Article 2 (8), Article 6 Race, Gender Reform, and Goods and Services Directives
respectively. According to Article 2 (8) Gender Reform Directive, positive action measures
pursued under this directive must be adopted within the meaning of Article 141 (4) EC.
37
Barnard/Hepple, Substantive Equality, Cambridge Law Journal 59 (3) (2000), 562 – 585,
576 f.
38
See Article 2 Race and Gender Reform Directives respectively.
39
See recitals 15 and 10 of Race and Gender Reform Directives respectively.
40
See ECJ Kirsammer Hack C – 189/91 ECR 1993, 1 – 6215. See also Schiek, ELJ Vol. 8,
(2002), 290, 296. Waddington /Bell, 38 CML Rev. (2001) 587, 594.
41
Also Schiek, ELJ Vol. 8, (2002), 290, 296; Waddington/Bell, 38 CML Rev. (2001) 587 –
611, 591 f.
42
Recital 11 Directive 2004/113/EC O.J. L 373/38.
274
Real and effective compensation is also envisaged under the Gender Reform
Directive.45 Victimization has been prohibited.46 The gender provisions are
extended beyond the labour market by Article 10 of the Goods and Services
Directive.
3 Assessment
3.1 The Inconsistent Scope – Under Inclusiveness?
Under inclusiveness as a term has been specifically used in academic literature to refer to a situation where the scope of legal protection did not correspond to actual disadvantage undergone,47 especially where only one of the
grounds of discrimination experienced was protected. By analogy, under
inclusiveness will be applied here to such instances where different levels of
protection is envisaged in the instruments in such a manner as to exclude the
possibility of combining claims.
In employment and occupation related areas, the material scope of the provisions seem to cover the same elements. This is of course of relevance, since
employment and occupation related areas are fields in which the interplay of
race and gender have forced many racial minority women in different EU
Member States into the lowest paying jobs, irrespective of their qualifications.48 It is hence all the more important for multidimensional claims that
this area has a consistent material scope. This cannot be maintained in re-
43
See Article 13 Race Directive; Article 8 (a) Gender Reform Directive.
44
See Article 15; Article 8 (d) Race and Gender Reform Directives respectively.
45
See Article 6 (2) of the Gender Reform Directive.
46
See Article 9 and 7 of the Race and Gender Reform Directives respectively.
47
Hannett, 23 Oxford Journal of Legal Studies (2003), 65, 77 ff.
48
Ashiagbor, Feminist Perspectives on Employment Law, (Cavendish, 1999) 139 – 160, 143
-147; Rommelspacher, Gender, Race, Class: Ausgrenzung and Emanzipation. In Sozial Extra: Zeitschrift für soziale Arbeit und Sozialpolitik (2005), Bd. 29, 7 – 8, 26 – 29; Wilpert,
Migrant Women and their Daughters: Two Generations of Turkish Women in the Federal
Republic of Germany. In: International Migration Today (1988) 2, 168 – 186.
275
spect to the scope beyond the labour market. Unlike that of gender equality,
the material scope of racial equality extends to education and health care.
Any multidimensional claims will be excluded by this under inclusive
scope.49
The personal scope of application of both provisions is likewise problematic.
In relation to third country nationals living in the EU, full racial equality
might not the goal of the EU legislator, as Article 3 (2) of the Race Directive
seems to imply. However, it is the goal of the legislator to achieve full gender equality, as reflected by Article 2 and Article 3 (2) EC. To what extent
will the differences in the personal scope of application affect this latter
goal?
From an EU perspective, third country nationals will be regarded to be persons who do not have the nationality of any of the EU member states, and
are hence not EU citizens in the meaning of Article 17 (1) EC.50 The origin
of third country nationals in the EU varies from Member State to Member
State, but most of them appear to have racial or ethnic origins: in the Netherlands, the majority are said to come from Algeria, Morocco, Turkey and the
former Yugoslavia; in France, these are mostly from Algeria and Morocco.
In Germany, the majority of third country nationals come from Turkey followed by those from the former Yugoslavia.51 One particular aspect that will
be mentioned here pertains to rules regulating access to employment. Article
19 of Council Regulation 1612/6852 endorsed the principle of according EU
nationals priority over third counrty nationals when filling employment
vacancies. Such a rule is also envisaged in the equal treatment provisions of
49
See also Fredman, Double Trouble: multiple Discrimination and EU law, European Anti
Discrimination Law Review, Issue No.2, (October 2005), 13 – 18, 17. Chege, Multidimensional Discrimination: Are the EC Equality Directives Well Adapted for Intersectional
Discrimination? In: Beratung – Evaluation – Transfer (ed. Klusmeyer/Meyerholt/ Wengelowski) (Oldenburg 2005), 305 – 323, 309 f.
50
Compare with Article 2 Directive Concerning the Status of Third Country Nationals who
are Long Term Residents (Long term Resident Directive) 2003/109/EC [2004] OJ L 16/44.
51
Schneider, Towards a European Migration Policy: from Maastricht to Amsterdam, from
Tampere to The Hague, in Migration, Integration and Citizenship, A Challenge for
Europe’s Future Volume II, 7 – 33, 16.
52
[1968] OJ L 257/2, [1968] Spec. Ed, 475.
276
the Long Term Resident Directive that came into effect early this year.53
Accordingly, taking Germany as an example, Germans, EU citizens and
privileged third country nations54 are accorded priority in access to the labour market.55 Employment of third country nationals will only ensue if
none of the above mentioned nationals can fill up the place.56 Though such a
rule is directed equally at all foreigners, its effect on racial minority women
ought not to be ignored, especially since their structural background is at the
same time vulnerable to existing gender discrimination the labour market.
This particular rule has been spotted out in intersectional studies on the
German labour market as one of the factors responsible for the disadvantageous position of racial minority women in the German labour market.57
It can hence be argued that the exclusionary effects of the provisions of racial discrimination in relation to third country nationals affect the attainment
of the goal of gender equality due to the inevitable interaction of the two
grounds. In that respect, it is hardly appropriate to talk about EU law acknowledging or facilitating an integrated approach.
3.2 Exceptions to the Non discrimination principle
3.2.1
Occupational Activities
The logic behind the above identified inconsistencies in the ground related
exceptions from the prohibition to discriminate is hard to reconcile with,
especially when the indivisible nature of human identity is considered. What
the provisions are in effect saying is that whereas less favourable treatment
of women beyond the labour market might in some cases be justified, less
53
Article 11 Long Term Resident Directive 2003/109/EC [2004] OJ L 16/44.
54
I.e. those from the European Economic Area
55
See for example §§ 18 and 39 Aufentaltsgesetzt Vom 14.3.2005, BGBl I 2005 Nr. 16 vom
17.3.2005. Also Bericht der Beauftragte der Bundersregierung für Migration, Flüchtlinge
und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, August
(2005) 73 f (Report of the Federal Ministry for Migration, Refugees and Integration Concerning the Position of Foreign Women and Men in Germany).
56
Bericht der Beauftragte der Bundersregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration
über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, 73.
57
Rommelspacher, 29 Sozial Extra 2005, 26 – 29.
277
favourable treatment on grounds of race beyond the labour market will never
be justified; whereas less favourable treatment of women on grounds of sex
during promotion will always be discriminatory, less favourable treatment on
grounds of race during promotion could in some cases be justified. This
approach does not reflect the social reality of individuals. Intersectional
discrimination is a result of an inseparable interplay of grounds; victims are
never able to tell which part of their identity is being affected, because they
experience discrimination in their capacity as human beings.58 Here again,
the structure might not facilitate multidimensional claims, since the interplay
of grounds was ignored while determining the scope of exceptions relating to
occupational activities.
One other example where the interplay of grounds could be crucial to multidimensional claims is probably to be found in the concepts of goods and
services. Under gender equality, the concepts of goods and services have
been linked to similar concepts as envisaged under the EC Treaty.59 It has
been argued that such an approach might exclude some activities carried out
by public bodies from the scope of the Goods and Services provisions.60
This being the case, some activities might well be caught by the Race Directive, but not by the gender provisions, which would lead to unequal protection, in cases where gender and race interact. This point could be refuted by
the argument that according to the case law of the ECJ, the concepts of fundamental freedoms will be defined from a Community law perspective;61
hence the meaning of goods and services under the Race Directive must
comply with the concept of goods and services as applied under the EC
Treaty and case law of the European Court of Justice (ECJ). This argument
would however not suffice to explain why education, which only qualifies as
a service where it is financed by private means and where there is an economic benefit involved,62 is included in the Race Directive, but not in the
gender provisions. That a difference in the application of concepts might
lead to less protection on the ground of gender and hence to shortcomings
58
See for example Pothier, 13 Canadian Journal Women and Law (2001), 37 – 73, 59.
59
Recital 11 Directive 2004/113/EC O.J. L 373/38.
60
Torella, Feminist Legal Studies (2005), DOI 10.1007/s1069 – 005 – 9007 – 5.
61
ECJ Lawrie Blum Case 66/85 [1986] ECR 2121.
62
ECJ Wirth Case C – 109/92 [1993] ECR 1 – 6447.
278
when addressing multidimensional discrimination, most especially intersectional discrimination, cannot be excluded.
3.2.2
Positive Action and Intra Group Differences
One particular aspect to be considered under positive action as a group based
model of equality,63 is the need to recognise intra group differences.
Crenshaw argues that ignoring intra group differences either leads to a generalization of the experiences of a particular sub group as pertaining to the
whole group (over inclusion),64 or on the other hand, to the ignoring of the
experience of some sub groups as being only characteristic for that specific
sub group but irrelevant to the whole group at large.65 For example, it has
been established that the intersection of race and gender exclude racial minority women from the public sector and instead confines them to the lowest
employment strata and racially segregated jobs, irrespective of their qualifications.66 Therefore, positive action aimed at addressing the under representation of women in the public sector might be beneficial to women in general, but not to racial minority women who might still remain confined to
low status jobs due to racial discrimination. Likewise, positive action measures aimed at increasing either the representation of women and or of the
different races in the public sector might still not profit those ethnic minority
women wearing a Hijab unless it recognizes the multidimensional effects of
a Hijab ban.67
For it to effectively address the multiple identity of individuals, positive
action must be focused on intra group differences as well as on the needs of
the most disadvantaged.68 Construing positive action to the needs of the
63
McCrudden, Discrimination and Human Rights, the Case for Racism (Oxford University
Press, (2001) 251 – 307.
64
Crenshaw, Background Paper for the Expert Meeting
(http://www.wicej.addr.com/ wcar_docs/crenshaw.html).
(2000)
Section
II
65
Ibid.
66
Op. cit. n. 48.
67
For a discussion of the headscarf issue see Schiek, Just a piece of Cloth? German Courts
and Employees with Headscarves, 33 Industrial Law Journals Issue 1, March 2004, 68–73;
Chege, Beratung – Evaluation – Transfer (Oldenburg 2005), 305–323.
68
Compare Fredman, Anti Discrimination Law Review No. 2 (2005), 13, 18.
279
most disadvantaged necessitates a substantive approach. This substantive
approach is provided for in the wording of the positive action provisions of
both gender and racial equality, which refer to full equality in practice.69
However, the case law of the ECJ on positive action bounces between both
the formal and substantive approaches to equality. In Lommers, the ECJ
acknowledged that positive action measures purposed to eliminate and reduce actual instances of inequality which existed in the reality of social
life.70 A substantive approach is also evident in Marschall,71 where the ECJ
upheld the preferential treatment of a woman over a man, in circumstances
where women were under represented. A formal approach is evidenced in
the rebuttal of rules giving automatic preference to the under represented sex
by the ECJ,72 especially when where no objective assessment of the individual candidates had been undertaken.73 As Masselot says in reference to gender equality, women are not the only beneficiaries of positive action.74 This
amounts to a formal symmetric approach which does not seek to achieve
equality of results. A substantive reading of positive action measures would
consider social reality as reflected by intra group differences, and in this way
seek to improve the position of the most disadvantaged within the various
groups. Unfortunately, positive action measures are not obligatory upon
Member States.75
3.2.3
Conceptual Structure
As stated above, the concepts of discrimination in the provisions under study
are similar and this should not be taken for granted: under the case law of the
ECJ on gender equality, statistics were a must for establishing disparate
69
Barnard/Hepple, Cambridge Law Journal 59 (3) (2000), 562 – 585, 576 f.
70
ECJ Lommers C – 476/99 [2002] ECR I – 2891, no 32.
71
ECJ Marschall Case C – 409/95 [1997] ECR 1 – 6363.
72
ECJ Kalanke C – 450/93, [1995] ECR I – 3051; ECJ Marschall C – 409/95 [1997] ECR I –
6363; ECJ Badeck C – 158/97 [2000] ECR I – 1875.
73
ECJ Marschall C – 409/95 [1997] ECR I – 6363; ECJ Badeck C – 158/97 [2000] ECR I –
1875.
74
Masselot, 12 Feminist Legal Studies (2004), 93 – 10, 101 f.
75
Ibid.
280
effect,76 though they were never relied upon under the case law of nationality discrimination, where the potential of the measure to disadvantage migrants mattered.77 Though a positive development in itself, having consistent
concepts might not be enough for multidimensional claims, especially where
the often criticised comparator concept,78 as well as the need to establish
disparate effect could be still relevant to the legal mind. Both have proved
problematic in those jurisdictions where law attempted to address multidimensional claims.79 In De Graffenreid,80 one of the most often cited cases of
intersectional discrimination, the employment related claims of discrimination against black women as a group were discharged by a finding that both
black men and white women had been employed by the respondent, which
excluded a finding of racial or gender discrimination. Establishing indirect
discrimination was also never easy in multidimensional cases, since numbers
affected were at times too few to establish disparate effect.81 Pontier cites the
case of Emily Carasco whose claims of discriminatory pay could not be
substantiated due to the fact that there were not many women of colour employed by the university, hence there was no discernible pattern of salary for
women of colour upon which reliance could be placed.82
In EU law, the fact that reference to hypothetical comparisons seems to be
accepted now,83 and that there seems to be an apparent departure from reliance on statistics84 might help overcome some of the weaknesses related
with the comparator concepts and with establishing disparate effect. In dis-
76
ECJ Kirsammer Hack C – 189/91 ECR 1993, 1 – 6215. See also Schiek, ELJ Vol. 8,
(2002), 290, 296.
77
ECJ O’ Flynn, C – 237/94 [1996] ECR 1 – 2417.
78
Also Fredman, Discrimination and Human Rights, the Case for Racism (Oxford University
Press, (2001) 9 – 44.
79
See Hannet, 23 Oxford Journal of Legal Studies (2003), 65.
80
De Graffenreid v. General Motors Assembly Div. 413 F. Supp. 142 (US Federal Court of
Appeal).
81
Hannet, 23 Oxford Journal of Legal Studies (2003), 65, 74; Davies, Should Diagonal
Discrimination Claims be Allowed? 25 Legal Studies 2 (2005), 181-200.
82
See Pothier, 13 Canadian Journal Women and Law (2001) 37, endnote 76.
83
See op.cit. n. 41.
84
See op.cit. n. 40.
281
cussing the concept of indirect discrimination in the new directives and the
related issue of statistics, Schiek’s suggests that the new provisions give
courts room to rely on qualitative sociological studies and other sources, by
laying less emphasis on statistics.85 Adopting such an approach would be
one way to ease multidimensional claims without necessarily relying on
statistics and comparisons– though of course its success would depend on the
existence of studies on multidimensionality, which might not be available in
all EU member states.
3.2.4
Enforcement
Case law from the Anglo American jurisdictions reveals that a reliance on a
single issue approach often led to the failure of many cases of multidimensional discrimination, especially where evidence for each ground was
weighed separately. Hence, in the above mentioned De Graffenreid case86
evidence collected under separate grounds could not substantiate the claims
of the black women.
The creation of equal treatment bodies is a novel provision in EU law.87 The
directives make no mention of any working relationship between the bodies,
which might imply that the bodies are separate and distinct with powers to
handle only specific ground related cases of discrimination. Separate and
distinct bodies are certainly relevant for single ground discrimination cases,
but might fail to facilitate multiple claims especially if their structure does
not permit cooperation and exchange of ground related information.88 This
problematic will only be complicated by the fact that the Framework Directive does not envisage the setting up of such bodies.
The provisions requiring sanctions to be effective, proportionate, and dissuasive will be turned to here. The question is, should sanctions take into account the burden of disadvantage suffered? This question has not been well
85
Schiek, ELJ Vol. 8, (2002), 290, 296.
86
De Graffenreid v. General Motors Assembly Div. 413 F. Supp. 142 (US Federal Court of
Appeal).
87
Bell, The EU Racial Equality Directive, 8 European Law Journal (2002), 383 – 399, 386.
88
Ashiagbor makes this point in respect to the UK equality bodies. See Ashiagbor, Feminist
Perspectives on Employment Law, (Cavendish, 1999) 139-160, 156.
282
answered elsewhere. The OHRC reports that the question of multidimensionality of grounds is often not put into consideration when determining
remedies.89 At the same time, it has been argued that remedies must recognise the interplay between the various grounds of discrimination.90 This is
especially so because persons suffering adverse treatment are said to be reluctant to report discrimination cases, especially when the remedies to be
awarded might not offset the disadvantages involved under such circumstance.91
Specifically for EU gender equality law, the ECJ has related real equality of
opportunity to an appropriate system of sanctions.92 It has said compensation
must be adequate in relation to the damage sustained93 and criticised the
setting of upper limits in advance for compensation, since the damages may
be higher than the upper limit.94
Can this be construed to apply to multidimensional claims as well? Could
perhaps a woman who has experienced racial and gender discrimination rely
on this case law when claiming damages and remedies? The gender mainstreaming task of the EC might imply so. But definite answers to such questions might probably depend on the outcome of cases before the ECJ.
89
Ontario Human Rights Commission (OHRC), An Intersectional Approach to Discrimination: Addressing Multiple Grounds in Human Rights Claims, Discussion paper, (Queens
Printer for Ontario 2005). Accessed on the 4th of October 2005 (http://www.ohrc-onca/english/consultations/intersectionality-discussions-paper.shtml)
90
See for example Duclos’ assessment of Olarte v. DeFilippis and Commodore Business
Machines Ltd. ((1983), 4 C.H.R.R. D/1705) in Duclos, 6 Canadian Journal Women and
Law (1993), 25, 39 f.
91
See Duclos, 6 Canadian Journal Women and Law (1993), 25 – 51, 37 – 40.
92
ECJ Von Colson Case 14/83 [1983] ECR 1891 para. 22.
93
Ibid. para. 23.
94
ECJ Draemphael Case C – 180/95 [1997] ECR 1 – 2195 para 37.
283
4 Evaluation and Suggestions
In answering the question set in the beginning, one can say that in some
instances, the interaction of grounds is not facilitated by the present EU
equality framework. Within the scope of this work, this has been identified
most especially in the inconsistent scope of application envisaged in the
instruments, as well as the inconsistencies as regards the exceptions to the
prohibition to discriminate. In other instances, it is not so much the structure
itself as the approach and policy taken that will be decisive. This especially
relates to areas like the concepts, enforcement mechanisms, or positive action. Here, the framework might have the potential to address multidimensional claims, but the legal mind must be willing to attach a substantive reading to it.
The prevalent inconsistencies make it hard for ground related aspects to be
integrated in a multidimensional approach, though it might be possible for
persons affected to make additive claims. But additive claims cannot substitute intersectional claims.95
Some suggestions that have made to make the EU legal framework adapted
for multidimensional claims include the adoption of a consistent material
scope by the national implementing measures, as in fact some national jurisdictions have been pointed out to have done.96 Since this does not secure a
uniform application of EU law, action is still required at the EU level. It has
also been suggested that a non exhaustive list of grounds be employed.97
There could be indications that ECJ the tends towards finding the list of
prohibited grounds as being exhaustive – at least in relation to Directive
2000/78/EC which prohibits five grounds of discrimination. In Sonia Chacon
Navas98 it found sickness could not be a ground in addition to those con-
95
Compare Schiek, 12 Maastricht Journal (2005), 427-466, 459 f; Chege, Beratung – Evaluation – Transfer (ed. Klusmeyer/Meyerholt/Wengelowski) (Oldenburg 2005), 305 – 323,
319 f.
96
Fredman, Anti Discrimination Law Review, Issue No.2, October 2005, 13 – 18.
97
Fredman, Anti Discrimination Law Review, Issue No.2, October 2005, 13 – 18.
98
ECJ Chacon Navas Case C 13/05 [2006] Judgement of 11 July 2006 n.y.r.
284
tained in Article 1 of Directive 2000/78/EC, since the list contained therein
was exhaustive, and the Community legislator had no powers to pass legislation combating discrimination on grounds other than those mentioned in
Article 13 EC. This of course raises such matters of concern like whether the
legislator could be considered to be lacking powers to combat intersectional
discrimination in particular, and whether the list of grounds in Article 13 EC
could be found to be exhaustive in such a manner as to exclude such claims.
As already said, there are indications that the Community acknowledges
multiple claims; intersectional discrimination is not a matter of adding
grounds though, but represents an entirely unique experience of discrimination.
The gender mainstreaming task of the EU, which implies incorporating gender considerations in all other grounds of discrimination, is also another step
towards incorporating a multidimensional approach,99 though of course it
might be criticised for maintaining a hierarchy in grounds.100 Gender mainstreaming as a means of addressing multidimensional claims is supported by
the fact that women are often victims of multidimensional discrimination, as
recitals 14 and 3 of the Race and Framework directives, as well as several
other studies point out.101 There are concerns that mainstreaming should be
extended to all other equalities.102
Should endless permutation be permitted then? Fears of unrestricted combinations led to a restriction of grounds to sex plus in the USA103 and some
authors have actually argued for a restriction of the permitted interactions.104
It is of course hard to provide an answer to this question is here; most probably it would require one to balance the objectives of full equality in practice
as reflected by the social reality of persons living in the EU, the relevance of
the principle of equal treatment in the EU as a fundamental principle of
99
See Schiek, 12 Maastricht Journal (2005), 427-466, 466; Nielsen, EU Law and Multiple
Discrimination (2006), 3.
100 For a hierachy in grounds see Schiek, ELJ Vol. 8, (2002), 290, 308.
101 See generally Makonnen, Multiple, Compound and Intersectional Discrimination (2002).
102 Schiek, 12 Maastricht Journal (2005), 427-466, 466.
103 Judge v. Marsh 649 F Supp 770 (DDC 1986).
104 Shoben, Compound Discrimination (1980), 820 f.
285
Community law105 and a fundamental human right106 against the ability and
concerns of the legal mind to cope with legal issues related to multidimensional claims.
105 Case C-13/94 P.v. S. and Cornwall County Council 1996 ECR 1 – 2143, para 18.
106 Case 149/77 Defrenne v Sabena [1978]ECR 1365, para. 26 and 27; Case C-13/94 P.v. S.
and Cornwall County Council 1996 ECR 1 – 2143, para 19. See also KoukoulisSpiliotopoulos, The Amended Equal Treatment Directive (2002/73): an Expression of
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Romy Morana, Judy Libra
Internationalisierung regionaler Produktkreisläufe
1 Einleitung
Die globale Textilkette ist mit vielfältigsten sozialen und ökologischen Problemen verbunden. Eine Möglichkeit die vorhandenen Umweltprobleme zu
verringern, ist die Einführung von Produktkreisläufen. Die bisher entwickelten und in der Praxis eingeführten Kreisläufe beschränken sich i.d.R.,
historisch bedingt, auf eine Region oder ein Land. Es scheint nun an der Zeit
diese hinsichtlich einer Internationalisierung zu überprüfen.
In diesem Beitrag wird die globale Textilkette mit ihren sozialen und ökologischen Auswirkungen kurz skizziert, um die Notwendigkeit für die Einführung von Produktkreisläufen zu begründen. Es folgt deren theoretische Charakterisierung. Darauf aufbauend werden zwei unterschiedliche Kreisläufe
aus der Praxis hinsichtlich ihrer Funktionsweise und Probleme vorgestellt.
Eine Möglichkeit diese erfolgreicher wirken zu lassen, könnte in der internationalen Ausweitung ihres bisherigen Aktionsfeldes liegen. Die Chancen
einer solchen Ausweitung werden am Ende dieses Beitrages diskutiert.
2 Ökologische und soziale Auswirkungen der Textilkette
Textilien gehören zu unserem Alltag wie Wasser und Brot. Aber während
diese beiden Lebensmittel i.d.R. regional hergestellte Produkte sind, werden
Textilien weltweit an sehr unterschiedlichen Orten hergestellt. Der Weg den
die Textilproduktion dabei von der Rohstoffentnahme bis zur Entsorgung
beschreitet, wird unter dem Begriff "textile Wertschöpfungskette“ beschrieben. Unter diesem Sammelbegriff „werden vielfältige Wertschöpfungsketten
290
für Textilien zusammengefasst. Die Vielfalt der Verzweigungen der textilen
Kette veranschaulicht die folgende Abbildung 1..
Rohstoffe
Rohstoffe
Basischemie
Agrarchemikalien
Basischemie
Faserherstellung
Landwirtschaft
Textilherstellung
Rohstoffe
Basischemie
Herstellung v.
Textilchemikalien
Textilveredelung
Kleidungsherstellung
Rohstoffe
Basischemie
Herstellung v.
Reinigungsmitteln
Gebrauch
von Kleidung
Sammlung Sortierung
Recycling
Abfallbehandlung
Abb. 1
Die textile Wertschöpfungskette.
Quelle: Vgl. Myers/Stolton 1999.
Mit der internationalen textilen Wertschöpfungskette sind erhebliche ökologische,1 soziale2 und ökonomische3 Probleme verbunden. Die Umweltprobleme beginnen bei der Gewinnung der Rohstoffe und enden mit der Entsorgung der Alttextilien. Grundsätzlich lässt sich für die gesamte textile Kette
ein hoher Ressourcenverbrauch, einhergehend mit hohen Stoff- und Energie-
1
Enquete-Kommission.1994.
2
Vgl. Graafland 2002; Preuss 2001 Enquete-Kommission.1994.
3
Vgl. Morana 2006, Back 2003,. Seuring/Goldbach 2005; .
291
umsätzen sowie die Verwendung einer Fülle von problematischen Hilfs-,
Farb- und Ausrüstungsstoffen, feststellen. Darüber hinaus entstehen auf jeder
Wertschöpfungsstufe Produktionsabfälle unterschiedlichster Art, Menge und
Umweltrelevanz. Auch die Textilien selbst stellen am Ende ihrer Nutzungszeit ein Abfallproblem dar. Da Textilien aus Natur- und/oder Synthesefasern
hergestellt werden, ist bei einer differenzierteren Betrachtung der Umweltbelastungen zwischen diesen beiden Herstellungspfaden zu unterscheiden.4
Durch die Globalisierung und die passive Lohnveredelung hat sich die Produktion in den letzten Jahrzehnten in Billiglohnländern verlagert. Rund 90%
der in Deutschland verkauften Bekleidungsstücke werden in Freihandelszonen wie China, Südostasien, Mittelamerika oder in Osteuropa unter vergleichbaren sozialen Bedingungen hergestellt. Diese Länder zeichnen sich
u.a. dadurch aus, dass die Entlohnung für die Textilarbeiter (i.d.R. Frauen)
extrem niedrig ist. Auch existieren vielfach keine sozialen Rechte wie Kündigungsschutz, soziale Absicherung und gewerkschaftliche Selbstorganisation. Wenn doch soziale Rechte vorhanden sind, sind diese vielfach beschnitten oder werden in ihrer Ausübung massiv behindert.5
3
Produktkreisläufe
Die Einführung von Produktkreisläufen ist eine Möglichkeit die soeben skizzierten ökologischen Probleme zu verringern. Unter Produktkreisläufen werden "anthropogen (künstlich) gestaltete, zielgerichtete Systeme mit mindestens zwei Akteuren, in denen durch physische Rückkoppelungsprozesse
nicht mehr zweckgerichtet einsetzbare Produkte (produktbezogener Abfall)
wieder als Inputfaktoren (Produkt-, Komponenten-, Stoffebene) dem Produktions- und Verwendungsprozess zugeführt werden"6, verstanden. Hauptanliegen bei der Einführung von Produktkreisläufen ist es, durch ein Recycling der Produkte die Ressourcenentnahme zu vermindern und das Abfallaufkommen quantitativ und qualitativ zu senken. Produkte und Stoffe durchlaufen in Produktkreisläufe idealtypisch 6 Phasen. Diese Phasen sind die
4
Vgl. Umweltbundesamt 1998, S. 194.
5
Vgl. Ferenschild/Hax-Schoppenhorst 1998, S. 71.
6
Vgl. Kirchgeorg 1999, S. 78, Morana 2006.
292
Produktion, Distribution, Konsumtion, Kollektion, Reduktion und Induktion.7 In der Reduktionsphase findet ein Recycling der Altprodukte statt.
Unter dem Begriff des Recycling werden die Formen der Wieder- und Weiterverwendung sowie der Wieder- und Weiterverwertung zusammengefasst.8
Unter Wiederverwendung wird die erneute Benutzung eines gebrauchten
Produkts für den gleichen Verwendungszweck wie zuvor unter Nutzung
seiner Gestalt ohne beziehungsweise mit beschränkter Veränderung einiger
Teile. (z.B. Second-Hand-Verkauf) verstanden.
Eine Weiterverwendung liegt vor, wenn ein gebrauchtes Produkt für einen
anderen Verwendungszweck benutzt wird. Es kann unverändert oder mit
beschränkten Veränderungen des Produkts genutzt werden. (z.B. Putzlappenherstellung).
Die Wiederverwertung ist der wiederholte Einsatz von Altstoffen und Produktionsabfällen oder Hilfs- und Betriebsstoffen in einem gleichartigen wie
dem bereits durchlaufenen Produktionsprozess. Durch Wiederverwertung
entstehen aus den Ausgangsstoffen weitgehend gleichwertige Werkstoffe
(z.B. Herstellung von Polyester aus Polyester).
Unter Weiterverwertung wird der Einsatz von Altstoffen und Produktionsabfällen oder Hilfs- und Betriebsstoffen in einem von ihnen noch nicht
durchlaufenen Produktionsprozess verstanden. Durch Weiterverwertung
entstehen Werkstoffe oder Produkte mit anderen Eigenschaften (Sekundärwerkstoffe) und/oder anderer Gestalt (z.B. Herstellung von Filz).
4 Textilkreisläufe
Die Idee Produktkreisläufe im Textilbereich einzuführen, ist nicht neu. So
kann die Sammlung von Altkleidern (Lumpen) auf eine jahrhundert lange
Tradition zurückblicken. Hauptzweck war es dabei die gesammelten Lumpen
ein weiteres Mal zu verkaufen und zu nutzen oder aber für andere Zwecke (z.
B. der Putzlappenherstellung) einzusetzen. Diese klassische Alttextilsammlung weist jedoch einige Probleme auf. Diese begründen sich einmal in der
7
Vgl. Kirchgeorg 1999; Guide, D./Van Wassenhove, L. 2001
8
Vgl. VDI 1993, S. 6.
293
Art und Weise, wie die Alttextilien gesammelt werden. So ist die gesammelte Ware häufig verunreinigt und nicht mehr tragbar, weil in den Straßenboxen und Sammelcontainer sich neben den gewünschten Alttextilien oftmals auch Hausmüll und andere Abfallarten finden. Daneben begründen sich
die Probleme in der Qualität und Nutzung der Neutextilien. Es ist festzustellen, dass die Qualität der Alttextilien, vor allem von Bekleidung, abnimmt.
Dies hat ebenfalls zwei Ursachen. Zum einem führt die abnehmende Qualität
der Neuware, bedingt durch den harten Preiskampf in der Branche, zu einer
Abnahme der Qualität von Alttextilien. Zum anderen führt eine längere Nutzung der Textilien (bedingt durch das Stagnieren der Nettoeinkommen privater Haushalte) ebenfalls zu einer verminderten Qualität der Alttextilien.
Für die Wiederverwertung von Alttextilien kommt als weitere Schwierigkeit
hin zu, dass eine Wiederverwertung nur dann möglich ist, wenn sortenreine
Gewebe und keine Mischgewebe vorliegen. Diese speziellen Textilien müssen dann bei der Sammlung auch erkannt werden. Ist das nicht der Fall, können die gesammelten Alttextilen nur noch weiterverwertet werden, wenn
eine Wiederverwendung nicht mehr möglich ist. Für die Wiederverwendung
und die Wiederverwertung der Alttextilien sind die traditionell gesammelten
Alttextilien aus den eben genannten Gründen daher nicht so gut geeignet
oder mit einem hohen Sortieraufwand verbunden.
Vor diesen Hintergrund wurden in Deutschland zwei Produktkreisläufe eingeführt, deren Ziel es ist, Alttextilien von Endverbrauchern über den Handel
zurückzunehmen und dem Textilkreislauf wieder zuzuführen. Die Sammlung
von Alttextilien durch den Handel hat den Vorteil, eine sortenreine und wenn
gewünscht auch saubere und funktionsfähige Erfassung der Alttextilien zu
gewährleisten. Dies ist möglich, weil der Handel die angebotenen Alttextilien hinsichtlich der zu Grunde gelegten Annahmekriterien begutachten
kann. Die zurückgenommenen Alttextilien können dann wie bei dem folgenden Beispiel ECOLOG wieder verwertet oder wie bei dem Beispiel GETEX
wieder verwendet werden.
4.1 ECOLOG
4.1.1
Konzept
ECOLOG ist die Bezeichnung für ein Textilrecycling-Netzwerk, das den
Einsatz sortenreiner Polyestertextilien, die Rücknahme der Alttextilien und
deren Recycling garantiert. Das Netzwerk wurde 1994 von VAUDE, einem
294
international agierenden Anbieter für Outdoor- und Sportbekleidung, initiiert. Die Koordination und Verwaltung des Netzwerkes führt die ECOLOG
Recycling-Network GmbH durch. In diesem Netzwerk haben sich verschiedene Akteure der textilen Wertschöpfungskette zusammengeschlossen:
drei Bekleidungshersteller, ein Prüfinstitut, diverse Händler, Konsumenten
und ein Recyclingunternehmen von Polyester-Textilien (siehe Abbildung 2).
In diesem Netzwerk sind sowohl Akteure aus der Outdoor-Branche als auch
aus dem Bereich der Arbeitsschutzbekleidung vertreten. Ziel dieser Kooperation ist die Durchführung eines sortenreinen Polyesterkreislaufs für Textilien. Hierzu gehört neben der Produktentwicklung und dem Angebot
100%iger Polyestertextilien auch die unendgeldliche Rücknahme ausgedienter Produkte durch den Handel und deren Verwertung zu einem Granulat,
welches als Rohstoff für die Polyesterproduktion eingesetzt wird. Polyestertextilien können ohne Qualitätseinbußen wieder verwertet werden, wenn
sortenreine Produkte vorliegen. Der Kunde erkennt ECOLOG-Textilien
anhand eines Labels. Dieses Label garantiert, das die Textilien gänzlich, d.h.
vom Oberstoff über den Reißverschluss bis hin zur Klimamembrane aus
sortenreinem Polyester bestehen. Darüber hinaus werden die Kunden durch
weiteres schriftliches Informationsmaterial, so genannte Tanks, über die
Produkteigenschaften, also auch über die Recyclingfähigkeit informiert. In
dieser Produktinformation finden sich auch Hinweise zur Rückgabemöglichkeit der Textilien beim Fachhändler. Die ECOLOG Textilien finden ihren
Weg über den Fach-, den Versandhandel oder durch Direktversand zum
Kunden. Nach der Gebrauchsphase hat der Kunde die Möglichkeit, ausgediente Bekleidungstextilien auf dem Postweg entweder direkt an die
ECOLOG GmbH zu senden oder unentgeltlich an insgesamt 500 bundesweit
verteilten Annahmestellen im Einzelhandel abzugeben. Die Möglichkeit der
Rückgabe ist zeitlich nicht befristet und die Vorlage eines Kaufbelegs ist
nicht notwendig. Die Annahmestellen sind in der Regel Fachhändler. Diese
Einzelhändler sammeln die Alttextilien und senden sie auf dem Postweg an
die zentrale Koordinations- und Sammelstelle von ECOLOG. Diese dient als
zentrales Zwischenlager und gibt, sofern ausreichende Mengen vorliegen,
die gesammelten Alttextilien an einen Recyclingbetrieb weiter. In den Recyclingbetrieben werden die alten Polyestertextilien zerrissen, geschreddert,
aufgeschmolzen und zu einem Regranulat verarbeitet. 9
9
Vgl. Morana/Seuring 2003; Morana 2006.
295
Abb. 2
Stoff-, Informations- und Finanzströme im ECOLOG Netzwerk
Quelle: eigene
Mustervorlage
r
Zertifikat
Zertifizierer
Händler
Konsumenten
Label
Lizenzgebühr
Zertifikat
Hersteller
Koordinator
Recycler
Alttextilien
Finanzflüsse
Warenflüsse
Informationsflüsse
Dabei wird die Methode des Schmelzrecyclings angewandt, die im Gegensatz zum mechanischen Recycling, die Sortenreinheit der Sekundärrohstoffe
voraussetzt. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass sich harte Komponenten
wie Reißverschlüsse ebenso recyceln lassen wie Gewebe. Aus dem so gewonnen Regranulat lassen sich wieder neue Materialien herstellen, wie beispielsweise Reißverschlüsse und Druckknöpfe.
Das Recyclingkonzept von ECOLOG sieht in Abhängigkeit von der jährlich
gelieferten Masse an Alttextilien drei Verwertungswege vor. Werden nur geringe Rücknahmemengen erreicht (bis 10 t/Jahr), so wird das Regranulat aus
Alttextilien von Netzwerkpartnern aus der Kurzwarenindustrie für feste
Komponenten wie Knöpfe, Perlen oder Kordelstopper eingesetzt. Die Alttextilien werden also weiterverwertet. Liegen größere Mengen an gesammelten
296
Alttextilien (mind. 10 t/Jahr) vor, werden daraus Isolationswatte und Vliese
hergestellt, die beispielsweise als Trägermaterial für die Wetterschutzmembrane Sympatex dienen. Wenn mehr als 500 t/Jahr an Polyestertextilien zurückgenommen werden, kann das Regranulat für die Herstellung von Polyestergewebe eingesetzt werden. Die Alttextilien werden also wiederverwertet.
Ausgaben für Forschung und Entwicklung werden von den beteiligten Herstellern selbst getragen. So müssen z. B. Reißverschlüsse und Druckköpfe
aus 100% Polyester entwickelt werden, welche die gleichen Eigenschaften
aufweisen, wie Kurzwaren aus Metall oder aus Polyestergemischen. Die
Kosten für den Alttextilversand zu ECOLOG GmbH sowie die Bereitstellungskosten (Lagerkosten) tragen i.d.R. die Annahmestellen. Zusätzlicher
Lagerraum ist zur Zeit, wegen der geringen Rücknahmemengen, nicht nötig.
Finanziert wird das ECOLOG-Netzwerk durch Lizenzeinnahmen.10
4.1.2
Chancen und Probleme
Der ECOLOG-Produktkreislauf ist konzeptionell betrachtet, stimmig und
sehr gut geeignet, Alttextilien in den Kreislauf zurückzuführen. Die notwendigen organisatorischen und logistischen Voraussetzungen für die Rückführung und das Recycling der Alttextilien sind vorhanden. Der ECOLOGKreislauf ermöglicht eine saubere und sortenreine Erfassung. Weiter ist
festzuhalten, dass er einen geschlossenen Produktkreislauf darstellt, der die
Rohstoffentnahme vermindern könnte, mit wenig Transportaufkommen
verbunden ist und das Abfallaufkommen qualitativ und quantitativ entlastet
könnte.
Leider ist der ECOLOG-Kreislauf in der Praxis nicht erfolgreich. Im Jahr
2002 – 10 Jahre nach der Einführung des ECOLOG Kreislaufs – belief sich
die zurückgenommene Menge an Alttextilien auf ca. 40 kg/Jahr. Aufgrund
der geringen Rücknahmemengen wurde das vorhandene Material nicht recycelt. Die zurückgenommenen Alttextilmengen wurden daher allein für Versuchszwecke eingesetzt.
Die Gründe hierfür sind vielfältig. So führten Qualitätsprobleme und eine
stagnierende Nachfrage nach ökologischer Arbeitsschutz- und Wetterschutzbekleidung dazu, dass sich Hersteller aus der aktiven Unterstützung des
ECOLOG-Systems zurückzogen. Die Gewinnung weiterer Hersteller erwies
10
Vgl. Morana/Seuring 2003; Morana 2006.
297
sich als problematisch, da viele nicht geneigt waren, den zusätzlichen finanziellen Aufwand zu übernehmen. Des Weiteren befürchten viele Hersteller,
bei einer Teilnahme Betriebsgeheimnisse zu offenbaren. Der Vorteil einer
ökologischen Imageverbesserung erscheint aufgrund der Unbekanntheit des
ECOLOG-Labels und des Nachfragerückgangs schwer vermittelbar.11
Ein weiteres Problem ist, dass das ECOLOG-Label vielen Fachverkäufern
unbekannt ist. Sie können daher auch nicht potentielle Käufer über die Recyclingfähigkeit und Rückgabemöglichkeit informieren. Erschwerend
kommt hinzu, dass diejenigen Fachverkäufer, denen das Label zwar bekannt
ist, es häufig unterlassen, ihre Kunden auf die Recyclingfähigkeit und Rückgabefähigkeit der Produkte hinzuweisen. Diese Tatsache wird dadurch unterstrichen, dass das von der ECOLOG Recycling GmbH zur Verfügung gestellte Werbematerial nicht oder nur spärlich verwendet wird. Es scheint,
dass die Vorteile (Kundenservice, Kundenbindung und Neukundengewinnung) die eine Produktrücknahme für die Händler bringt, nicht stark genug
sind, um sie zu motivieren, ihre Kunden entsprechend zu informieren.
Ein weiteres Dilemma ist, dass einige Händler, die von den Kunden zurückgebrachten Alttextilien an soziale Einrichtungen weitergegeben, anstatt sie
an die ECOLG GmbH zurückzusenden.
Obwohl für die Mehrheit der Kunden die Recyclingfähigkeit einen Zusatznutzen darstellt, haben viele nicht die Absicht, ihre ECOLOG-Alttextilien zu
den Annahmestellen zurückzubringen. Ein großer Anteil der Privatkunden
gibt die entgegengenommenen Bekleidungsstücke an karitative Einrichtungen weiter oder bei mangelnder Qualität in den Hausmüll. Eine Begründung
hierfür könnte die Tatsache sein, dass die Rückgabe erhebliche Transaktionskosten (z.B. Informations-, Planungs- und Zeitkosten) für die Endbesitzer
verursachen. Monetäre Anreize, die diese Kosten ausgleichen, gibt es nicht
und nicht-monetäre Anreize, wie soziale Anerkennung oder ein gutes ökologisch Gewissen, wiegen diese Kosten nicht immer auf.12
Ein weiteres Problem trat bei der Analyse der Kunden von Arbeitsschutzkleidung zu Tage: Kein Akteur fühlte sich für die Rückgabe der ausgedienten Arbeitsschutzbekleidung verantwortlich. Die Informationen über die
Rückgabemöglichkeit und Recyclingfähigkeit gingen innerhalb der Wirt11
Vgl. Niehues 2000, S. 30-34.
12
Vgl. Morana 2006.
298
schaftsunternehmen verloren. Auch diese Kunden gaben ihre Alttextilien
lieber an karitative Einrichtungen weiter. Die Weitergabe der Bekleidung
geht in der Regel nicht mit einem Weitergeben der Informationen über die
Rückgabemöglichkeit einher.
Als letzte Schwierigkeit sei noch auf die Lebensdauer der ECOLOG Produkte eingegangen. ECOLOG-Produkte haben eine lange Lebensdauer, bei Outdoor-Jacken im Durchschnitt 10 Jahre, bei Arbeits- und Wetterschutzbekleidung 5 Jahre. Das birgt einerseits die Gefahr, dass die Kunden die Rückgabefähigkeit vergessen, anderseits bedeutet diese Tatsache, dass die eine Planung bezüglich des Zeitpunktes, des Anfallortes und Alttextilmenge für die
ECOLOG Recycling GmbH erschwert wird.
4.2 GETEX
4.2.1
Konzept
GETEX ist ein regionales System zur Sammlung von Alttextilien, dessen
Ziel der kostengünstige Bezug von sauberen und vorsortierten Alttextilien
für den Wiederverkauf ist. Die Alttextilien werden in sogenannten Ankaufstellen von Alttextilverkäufern aufgekauft. Im Jahre 2002 gab es im Bundesgebiet 800 Ankaufstellen. Die Endverbraucher (First-Hand Konsumenten)
erhalten als Gegenleistung Wertgutscheine, deren Höhe sich nach der Art der
gekauften Kleidung und ihrem Zustand bemisst. Der Wert dieser Wertgutscheine liegt bundeseinheitlich zwischen 3 € und 60 € pro Kleidungsstück.
Voraussetzung für die Annahme der Alttextilien ist, das sich diese in einem
einwandfreien Zustand befinden, dass heißt, dass sie unversehrt und sauber
sind. Die Wertgutscheine können bei bestimmten Einzelhändlern, sogenannten Akzeptanzstellen eingelöst werden. Sie berechtigen zu einem 10%igen
Discount. Vorraussetzung ist, dass eine Leistung bezogen wird, deren Wert
mindestens das 10-fache des Wertgutscheins beträgt. 13
13
Vgl. o.V. 1999; Morana 2006.
299
Gutscheine
Neuware
Akzeptanzstellen
Gutscheine
Altkleider
Ankaufstelle
Altkleider
Franchisenehmer
Franchisegebühr
Altkleider
GETEX
GmbH
Altkleider
First-Hand
Konsument
Altkleiderhändler
Altkleider
Second-Hand
Konsument
Finanzströme
Warenströme
Informationsströme
Abb. 3
Entsorgung
Stoff-, Waren- und Informationsflüsse im System GETEX
Quelle: eigene
Im Jahr 2002 gab es bundesweit 2000 Akzeptanzstellen, in Form von Einzelhandels- und Dienstleistungsgeschäften unterschiedlichster Art und Branchen.
Das GETEX-System basiert auf einem Franchise-System. Die in den Ankaufstellen gesammelten Alttextilien werden an Franchise-Unternehmen
weitergegeben, welche ihrerseits die erhaltenen Alttextilien an die GETEXSystem GmbH zu fest fixierten Preisen weiterverkaufen. Im Jahr 2002 hat
die GETEX-System GmbH ca. 24 000 t Altkleider aufgekauft.
Das Bundesgebiet umfasst 17 verschiedene Sammelgebiete, welche durch
jeweils einen Franchisenehmer betreut werden. Franchisenehmer sind in der
Regel Transportunternehmen, da diese über einen eigenen Fuhrpark, die
Lagerkapazitäten und das logistische Know-how für das Abholen und den
Transport der Altkleider an die GETEX-System GmbH verfügen. Diese
300
Franchisenehmer sammeln die in ihrem Gebiet aufgekaufte Ware, lagern
diese und transportieren sie anschließend an die Zentrale in Norddeutschland. Dort werden die Alttextilien weiter sortiert und an ausländische Altkleiderhändler verkauft.
4.2.2
Chancen und Probleme
Das Gesamtergebnis für den Franchisenehmer ist trotz vieler kleiner Mängel
insgesamt zufriedenstellend. Die organisatorische Umsetzung der handelsbasierten Alttextilsammlung ist gut. Auch die GETEX-System GmbH ringt mit
der Tendenz der abnehmenden Bekleidungsqualität, welche zu einer verringerten Lebensdauer der Bekleidungstextilien und damit zu einer Abnahme
der wieder verwendbaren Alttextilmenge führt. Auch hat die öffentliche
Diskussion über den Sinn des Altkleiderexportes eher negative Auswirkungen auf die Motivation der Konsumenten ihre Alttextilien in die Altkleidersammlung zugeben. Darüber hinaus hat diese Diskussion in einigen Ländern
zum Verbot des Altkleiderimportes geführt. Diese Tatsache beschränkt die
Absatzmöglichkeiten.
Das GETEX Beispiel zeigt, dass es in der Praxis Anreize gibt, die den Einzelhandel motivieren, 1. Alttextilien zurückzunehmen und 2. ihre Kunden
über diese Rückgabemöglichkeit zu informieren und 3. das bereitgestellte
Werbematerial zu verwenden. Allerdings, das zeigt das Beispiel auch, fallen
eine Reihe von z. T. zu niedrig kalkulierten und unvorhersehbaren Transaktionskosten bei der Alttextilsammlung an. So müssen die Ankauf- und Akzeptanzstellen erheblich mehr Beratungstätigkeit leisten, als ursprünglich
von ihnen angenommen. Dieser Umstand führte zu einigem Unbehagen auf
Seiten der Ankauf und Akzeptanzstellen.
Der Nutzen wurde von den befragten Einzelhändlern (Werbung, Neukundenakquisition, Kundenbindung) sehr unterschiedlich wahrgenommen. Das
Nutzen-/Kosten-Verhältnis für die Ankaufstellen ist von vielen Faktoren
abhängig, z.B. von der Betreuung durch den Franchisenehmer (z.B. seine
Werbeintensität), vom Kundenverhalten, von der Dichte des GETEX-Netzes
(insbesondere der des Akzeptanznetzes) und von der Höhe der Kostenerstattung.
Das Gutscheinsystem weist ebenso noch einige Probleme auf, z.B. sind die
Einlösemodalitäten den Kunden häufig unbekannt, obwohl die Einlösemodalitäten auf der Rückseite der Gutscheine aufgeführt werden. Das Sammelergebnis fällt regional sehr unterschiedlich aus. Ob diese an einem regional
301
unterschiedlichen Endverbraucherverhalten oder an der Netzwerkorganisation liegt, ist unbekannt.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Funktionieren dieses Rücknahmesystems ist dessen Bekanntheitsgrad. Dieser hängt auch von der Intensität der durchgeführten Werbung ab. Die Verantwortung für die Werbung
wird geteilt und liegt bei verschiedenen Netzwerkpartnern auf überregionaler, regionaler und lokaler Ebene. Die Verantwortung für die Durchführung
der Werbung wird sehr unterschiedlich wahrgenommen. Dies wird dadurch
begünstigt, dass die Möglichkeiten einer gegenseitigen Verhaltenskontrolle
eingeschränkt sind.
Durch die Einlösung der Wertgutscheine profitieren vor allem diejenigen
Akzeptanzstellen, die ein großes Warenangebot aufweisen und somit den
Kunden viele Möglichkeiten bieten ihre GETEX-Gutscheine einzulösen. Das
sind in der Regel Warenhäuser. Die Möglichkeit Wertgutscheine in Warenhäusern einzulösen, senkt die Transaktionskosten (z.B. die Planungskosten)
der Konsumenten.
Das GETEX-System weist eine hohe Transparenz bezüglich der weiteren
Verwendung der gesammelten Alttextilien auf. Dem Alttextilbesitzer ist
bekannt, dass die Alttextilien mit dem Ziel des Wiederverkaufs aufgekauft
werden.
Ein weiterer Vorteil des untersuchten Beispiels ist die Möglichkeit, dass Alttextilien unabhängig vom Label oder dem Händler (bei dem sie erworben
wurden), vom Endverbraucher verkauft werden können. Dies senkt die Informations- und Planungskosten für den Endverbraucher. In der Textilbranche ist die Fluktuation von kleinen Textilherstellern und Händlern hoch, so
dass die Gefahr besteht, dass das Geschäft, in dem ein Produkt erworben
wurde, nach Ablauf der Nutzungsdauer nicht mehr existiert.14
14
Vgl. Morana 2006.
302
5 Möglichkeit der Internationalisierung der
Produktkreisläufe
Es liegt zunächst auf der Hand, das beide Produktkreisläufe sich auf den
deutschsprachigen Raum beschränken. Beide Produktkreisläufe wurden von
deutschen Unternehmen gegründet und konnten auf einen reichen Erfahrungsschatz der vorhandenen Absatzgebiete zurückblicken. Es stellt sich nun
die Frage, ob nicht nach mehr als 10 jährigen Bestehen diese regional begrenzten Produktkreisläufe auf andere Länder ausgeweitet werden sollten. In
beiden vorgestellten Produktkreisläufen ist eine Ausweitung des Sammelgebietes auf den Europäischen Raum denkbar. Während die GETEX-System
GmbH die Ausdehnung ihres Sammelgebietes von Grund auf neu aufbauen
müsste, könnte VAUDE auf Kontakte und Erfahrungen in seinem bestehenden internationalen Vertriebsgebiet (dazu gehören z.B. Italien, Niederlande,
Russland und China) aufbauen.
Die Ausweitung des Sammelgebietes hätte den Vorteil, dass sich die Sammelmengen erhöhen würden. Dies wäre vor allem für den ECOLOG-Produktkreislauf wünschenswert, da dieser dann aus der Versuchsphase in die
Weiterverwertungsphase aufsteigen könnte. Begleitet werden sollte eine
Ausweitung von einer geeigneten Kommunikationskampagne. Dennoch ist
zu bedenken, das mit dieser Ausweitung möglicherweise auch einige Nachteile verbunden sind. An dieser Stelle können nur kurz einige Gedanken vorgetragen werden. Bei einer Ausweitung wäre es notwendig, in jedem Land
ein zentrales Sammellager einzurichten, das seinerseits die gesammelten Alttextilien nach Deutschland versenden müsste. Damit würden aber auch die
Transportkosten und die mit dem Transport verbundenen Umweltbelastungen steigen. In jedem Land müsste für beide Produktkreisläufe nicht nur eine
zentrale Ansprechperson eingesetzt werden, sondern auch das bisher vorhandene Werbematerial den jeweiligen landestypischen Gewohnheiten angepasst werden. Zu überprüfen wäre auch, ob das (eher negative) Informationsund Rückgabeverhalten von Händlern und Kunden im deutschsprachigen
Raum auf andere Länder zu übertragen ist. Zu diesen generellen Bedenken
gesellen sich die im vorangegangen Kapitel aufgeführten Schwierigkeiten.
Für ECOLOG scheint es daher ratsam mit einer Ausweitung seines Produktkreislaufes noch zu warten, bis ein Großteil der vorhandenen nationalen
Probleme gelöst worden ist.
303
Hingegen sprechen keine weiteren Argumente, als die in diesem Abschnitt
oben aufgeführten allgemeinen Schwierigkeiten, gegen eine Ausweitung des
GETEX-Systems auf andere Länder. Nach dem das System in Deutschland
aufgebaut ist, stabil funktioniert und genügend Erfahrungen im deutschsprachigen Raum gesammelt werden konnten, steht einer Ausweitung nichts
mehr im Wege.
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Anne Rubens-Laarmann
Tageszeitungen im Umbruch – Implikationen für das
regionale Anzeigenmarketing
1 Einführung
Die Tageszeitung ist traditionell ein Medium mit hoher Bedeutung sowohl
auf dem Rezipienten- als auch auf dem Werbemarkt. Dabei ist insbesondere
für Deutschland eine Dominanz der lokalen und regionalen Zeitungen zu
konstatieren: Hier haben ca. 90% aller Zeitungen einen regionalen Bezug –
weltweit liegt die Quote hingegen nur bei 75%.1 Aktuell existieren in
Deutschland 341 regionale Tageszeitungsausgaben mit einer Gesamtauflage
von über 15 Millionen Exemplaren. Die durchschnittliche Auflagengröße
beträgt dabei zwischen 5.000 und 20.000 Exemplaren.2 Dementsprechend
liegt die Reichweite der regionalen Tageszeitungen mit 63,6% weit über der
der überregionalen Abozeitungen (5,7%) und Kaufzeitungen (22,4%).3
Vor allem für Werbetreibende mit einem lokalen und regionalen Einzugsgebiet ist die Zeitung ein Basismedium. Überregionale Anbieter, insbesondere
aus dem Bereich der Markenartikel, nutzen die Zeitung hingegen zumeist nur
als Ergänzungsmedium. Der Großteil der Budgets wird hier für Werbung in
den elektronischen Medien sowie in Zeitschriften aufgewendet.4 Die Zeitung
1
Vgl. Heinrich 2001, S. 271.
2
Vgl. BDZV 2005, S. 388 ff. Als “Ausgabe” sind die Angebote zu verstehen, die auf ein
bestimmtes Verbreitungsgebiet abgestimmt sind. Häufig bringt ein Verlag mehrere Ausgaben heraus, die über den gleichen überregionalen Teil verfügen. So sind die aktuell 341
Ausgaben in gut 130 „publizistische Einheiten“ zusammenzufassen.
3
Vgl. Goldbeck 2005, S. 157 ff.
4
Vgl. Heinrich 2001, S. 270.
306
ist ist in diesem Bereich kaum wettbewerbsfähig, da eine landesweite Schaltung von Anzeigen trotz einer Vielzahl von Anzeigenkooperationen noch
immer kompliziert und vergleichsweise teuer ist.5 Lediglich überregionale
Handelsketten setzen verstärkt auf die Zeitung, um aktuelle Abverkaufswerbung möglichst zeitnah zum täglichen Einkauf an die Leserinnen und Leser
zu bringen.
Im regionalen Anzeigenmarkt ist vor allem zu unterscheiden zwischen den
Geschäftsanzeigen und dem Rubrikenmarkt. Hier ist aus Sicht der Verlage
seit mehreren Jahren eine Negativentwicklung zu beobachten: Während die
Geschäftsanzeigen zunehmend in Anzeigenblätter oder die Direktwerbung
abwandern, finden sich Rubrikenanzeigen (Stellen, Immobilien, Auto, Partnerschaft) häufig im Internet, das die Funktion des Zusammenbringens von
Angebot und Nachfrage offenbar besser erfüllt als die Zeitung.6
Während die Reichweiten auf dem Rezipientenmarkt seit Jahren kontinuierlich, aber nur langsam sinken, sind die Verluste im Anzeigengeschäft
schwerwiegend: Die traditionelle Regel, wonach zwei Drittel der Einnahmen
der Verlage aus der Werbung und nur ein Drittel aus Vertriebserlösen generiert werden, trifft heute nicht mehr zu. Im Durchschnitt stammen heute
bereits 47% der Erlöse aus dem Vertrieb, in Ostdeutschland ist es sogar mehr
als die Hälfte der Einnahmen.7
5
Vgl. Spitzer-Ewersmann 2005, S. 84; Lamberty 2005, S. 130; Rosendahl 2005, S. 134 f.
6
Neben den geringeren Kosten der Informationsbeschaffung für die Rezipienten bestehen
auch für die Inserenten Rationalisierungspotenziale. Deutlich wird dies z.B. anhand des
Online-Stellenmarktes, vgl. Breyer-Mayländer 2004, S. 38 ff.
7
Vgl. Spitzer-Ewersmann 2005, S. 82.
307
Abb. 1
„Krisenmanagement im Zeitungsverlag“
Quelle: Breyer-Mayländer 2003, S. 117.
Die Zeitungsverlage haben inzwischen reagiert und sich im Laufe der letzten
Jahre von reinen Verlagsunternehmen zu Medienunternehmen gewandelt.8
Eine Vielzahl von Veränderungen an der Leistung Zeitung sowie neuen
Angeboten und Geschäftsfeldern wurde ins Leben gerufen, um die beschriebenen Verluste zu kompensieren. Auf diese Weise ergeben sich für die Werbekunden neue Möglichkeiten, ihre Kunden zielgruppen- und situationsgerecht zu erreichen. Die Dienstleistung „Werbung“ ist dadurch aber auch um
ein Vielfaches komplexer geworden.
8
Vgl. Schulz 2005, S. 117.
308
Dieser Beitrag hat sich zum Ziel gesetzt, aktuelle Entwicklungslinien im
Anzeigengeschäft regionaler Tageszeitungen nachzuzeichnen und im Hinblick auf die Konsequenzen für das Marketing im regionalen und lokalen
Raum zu untersuchen. Die betroffenen Anzeigenkunden sind darauf angewiesen, innerhalb ihres Einzugsgebietes mit ihrer Kommunikation eine möglichst hohe Haushaltsabdeckung zu erzielen. Es ist davon auszugehen, dass
diese Marktpartner der Zeitung neuen Angeboten zunächst kritisch gegenüberstehen. Ohne diese Angebote kann die Zeitung jedoch im intermedialen
Wettbewerb langfristig nicht bestehen.
Ziel des Beitrags soll es sein, ein auf die Bedürfnisse regionaler Kunden
abgestimmtes Anzeigenmarketing zu entwerfen. Speziell bei kleineren regionalen Inserenten ist neben dem Ergebnis (Anzeige in der Zeitung) der Prozess der Betreuung durch die Anzeigenberater ein kritischer Erfolgsfaktor.
Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der oben geschilderten Angebotserweiterungen. Der Verkauf von Anzeigenraum ist daher als Dienstleistung zu verstehen. Dementsprechend wird das Dienstleistungsmarketing als
Rahmenkonzept genutzt, um ein kundenorientiertes Anzeigenmarketing für
die Region zu skizzieren.
2 Zur Situation der Tageszeitung
Der Tageszeitungsmarkt unterliegt spätestens seit dem „Ausgangsjahr der
Werbekrise”9 2001 einer Vielzahl von Veränderungen. Diese sind zum einen
am Produkt selbst zu beobachten:
•
Um der wachsenden Mobilität der Leser gerecht zu werden, stellen
viele Verlage auf die sogenannten „Tabloid“-Formate um.10 Die
Zeitungen werden hierdurch handlicher und sind unterwegs besser
zu lesen. Vorbehalte, wonach ein kleineres Format mit einer geringeren Qualitätswahrnehmung durch die Rezipienten einher geht,
haben sich bisher nicht bestätigt. Dies zeigt besonders die Ent-
9
Vgl. ZAW 2005, S. 13. Seit 2004 steigen die Netto-Werbeeinnahmen wieder leicht, vgl. S.
199.
10
In Deutschland ist das wohl bekannteste Beispiel hierfür die WELT Kompakt, die in
Ballungsräumen zusätzlich zur etablierten großformatigen Ausgabe zu einem niedrigeren
Preis herausgegeben wird.
309
wicklung in Großbritannien, wo die Times seit 2004 im kleineren
Format erscheint und hierdurch Leser hinzugewonnen hat.11 Eine
Aufnahme in die Mediapläne der Werbetreibenden gestaltet sich
hingegen noch schwierig.12
•
Entwicklungen sind auch im Bereich der Inhalte und der formalen
Präsentationsform zu beobachten. So werden besonders die „Problemzielgruppen“ Jugendliche und Frauen heute verstärkt angesprochen, außerdem ist der Anteil an Serviceinhalten („news to use“)
und Unterhaltung („news to amuse“) gestiegen. Das Layout ist heute stärker durch farbige Infografiken und Bilder geprägt.13
•
Das Trägermedium Papier wird durch neue Distributionsformen ergänzt. Viele Verlage bieten inzwischen neben ihrer Website auch
Online-Abonnements (E-Paper) an, wobei sich allerdings noch kein
Geschäftsmodell wirklich durchsetzen konnte.14
•
Die Rezipienten werden – zumeist auf elektronischem Weg – verstärkt in die Produktion der Zeitung eingebunden. Der Trend zu
Online-Tagebüchern (Weblogs) und gemeinschaftlich betriebenen
Websites (Wikis) wird von den Verlagen aufgegriffen und im
Rahmen eines „Citizen Journalism“ zu Community-Zeitungen ausgebaut.15
Neben diesen Innovationen im Kerngeschäft werden verstärkt neue Geschäftsfelder erschlossen:
•
Schon seit Jahrzehnten produzieren die Verlage neben ihrem
Stammmedium Zeitung auch Anzeigenblätter oder engagieren sich
im Rundfunkbereich.16 Hier sollen insbesondere Markteintrittsbar-
11
Vgl. Korosides 2006, o.S.; Gärtner 2005, S. 23 f.
12
Vgl. Pöhlmann 2005, S. 87.
13
Vgl. Siegert 2003, S. 158; Möllmann 1998, S. 149, 164.
14
Vgl. Bauer 2005; Riefler 2001, S. 194 ff.; ZAW 2005, S. 223 f.
15
Vgl. Borstelmann 2005, S. 214 ff.; die Inhalte finden sich z.T. auch in der gedruckten
Zeitung wieder: So legt die Rheinische Post alle 14 Tage ihrer Ausgabe das Magazin „Opinio“ bei, in dem die besten Beiträge der Online-Community abgedruckt werden.
16
Vgl. Sjurts 2002, S. 10; Kiefer 2001, S. 93 f.
310
rieren für potenzielle Wettbewerber im regionalen Raum aufgebaut
werden.
•
Aktuell sind insbesondere die überregionalen Qualitätszeitungen bemüht, ihre starken Marken zu dehnen, indem weitere Produkte und
Leistungen herausgebracht werden, die die Interessen der Leser widerspiegeln. Hierdurch soll insbesondere die Leser-Blatt-Bindung
gestärkt werden. So bietet die ZEIT eine Erlebniswelt aus Reisen,
Foren, Kochwettbewerben, Kinopreviews etc. an. Die Süddeutsche
Zeitung kompensiert einen Großteil der weggefallenen Anzeigeneinnahmen durch ihre „SZ Bibliothek“ und „SZ Cinemathek“, in
denen Bücher und DVDs abgesetzt werden.17
•
Das Ausnutzen von Synergieeffekten steht beim Aufbau von Postzustellungsdiensten durch die Verlage im Vordergrund. Das Zustellernetz der Zeitungen soll dabei auch für Postsendungen eingesetzt
werden, wenn das Briefmonopol der Deutschen Post AG 2008 fällt.
Hier sehen die Verlage die Chance, ihre ureigenen Kompetenzen
und Erfahrungen gewinnbringend zu nutzen.18 Eine andere Möglichkeit der Nutzung von Synergien besteht darin, die in den meisten Verlagen vorhandene telefonische Anzeigennannahme zum
Call-Center umzurüsten.
Es wird somit deutlich, dass die Verlage auf dem Lesermarkt auf die Stärkung der Leser-Blatt-Bindung und auf die Gewinnung neuer Zielgruppen
setzen. Darüber hinaus werden Markteintrittsbarrieren geschaffen und neue
Geschäftsfelder erschlossen. Parallel zeigt sich allerdings, dass die Einbrüche im Anzeigengeschäft, welche zunächst der schlechten Wirtschaftslage
zugeschrieben wurden, sich offenbar mit anziehender Konjunktur nicht wieder erholen. Die Bemühungen, durch Vereinheitlichung der Preise und Formate sowie die Transparenz der Belegungseinheiten die Zeitung für überregionale Kunden attraktiver zu machen, erscheint zunächst sinnvoll, um die
Zeitung auch im intermedialen Wettbewerb um die Werbebudgets konkurrenzfähig zu halten.19 Die Werbetreibenden, speziell im Bereich der Marken-
17
Vgl. Lutz 2005, S. 120 ff.; Esser/Schreier 2005, S. 128 ff.; ZAW 2005, S. 221 f.
18
Vgl. Laskowski 2005, S. 146 ff.
19
So werden einfachere Preislisten, einheitliche Formate und die Abschaffung der Abhängigkeiten von der Farbe oder Belegungseinheit gefordert, vgl. Rosendahl 2005, S. 134. Als
311
und Imageanzeigen, profitieren dabei hauptsächlich vom entstehenden
„Glaubwürdigkeitsverbund“ von Werbung und redaktionellem Teil des Mediums.20
Auch wenn von einigen Autoren im überregionalen Bereich Potenziale für
die Zukunft der regionalen Tageszeitung gesehen werden, so hängen die
Verlage doch am „Tropf der Image-Kampagnen großer, zum Teil national
aufgestellter Markenartikler und Handelshäuser“21. Das eigentliche Kerngeschäft sind jedoch die regionalen Anzeigen. Hier hat die Zeitung zwar durch
die Anzeigenblätter und die Direktwerbung ebenfalls Konkurrenz bekommen, eine Vernachlässigung der regionalen Kunden würde für die Verlage
jedoch mittel- und langfristig bedeuten, dass ihnen die Kernzielgruppe ihres
Anzeigengeschäfts verloren geht – und ob eine Substitution dieser Einnahmen über den überregionalen Markt stattfindet, kann aus heutiger Sicht keinesfalls als gesichert gelten.
3 Das regionale Anzeigengeschäft
3.1 Die Zielgruppe
Die Geschäftskunden aus dem Verbreitungsgebiet einer Zeitung werden
traditionell preispolitisch bevorzugt: Während nicht ortsansässige Anzeigenkunden sowie Kunden, die über eine Mediaagentur ihren Werbeplatz buchen,
den so genannten „Grundpreis“ bezahlen, liegt der „Ortspreis“ für die regionalen Kunden und Direktbucher ca. 15% darunter.22 Diese Preisdifferenzierung reicht jedoch im intermedialen Wettbewerb nicht aus: Die (absoluten)
Kosten der Anzeigenschaltung sind in der Tageszeitung wesentlich höher als
in den Anzeigenblättern, die häufig mit ihrer verteilten Auflage eine höhere
Haushaltsabdeckung erzielen. Gleiches gilt für die Direktwerbung. Es stellt
problematisch können sich dabei die neu entstehenden Tabloid-Formate erweisen, da die
Werbekunden bei kleinerem Format und höherer Seitenhzahl um die Wirkung ihrer Anzeige fürchten, vgl. Bughin/Poppe 2005, o.S.
20
Vgl. Heinrich 2002, S. 582; BDZV 2005, S. 400.
21
Spitzer-Ewersmann 2005, S. 82.
22
Kritik dazu von Lamberty 2005, S. 130.
312
sich daher besonders für die Kunden, die lediglich Angebots- und Preisinformationen kommunizieren möchten und weniger vom redaktionellen Umfeld der Zeitung profitieren, die Frage, ob nicht ein Abwandern in andere
Medien oder in die Direktwerbung für sie günstiger wäre.
Bei den Anzeigenkunden, die regional und direkt bei der Zeitung ihre Anzeigen in Auftrag geben, handelt es sich hauptsächlich um mittelständische
Unternehmen: Es sind Einzelhändler, die keiner großen Kette angehören,
Handwerksbetriebe oder Industriebetriebe aus dem KMU-Bereich.
Diese Unternehmen haben mit den KMU-typischen Problemen hinsichtlich
ihres Marketing zu kämpfen:23
•
Sie verfügen über geringe Ressourcen und somit eine geringe Finanzkraft für Marketingaktivitäten
•
Aufgrund mangelnder Marketingprofessionalität wird auch die
Marktkommunikation häufig eher aus einem „Bauchgefühl“ heraus
betrieben und kaum strategisch fundiert.
Daraus resultiert, dass das wahrgenommene Risiko der Betroffenen im Hinblick auf nicht vertraute Marketinginstrumente und –maßnahmen eher gering
ist und die Neigung, ihre Kommunikationspolitik zu ändern, nicht sehr ausgeprägt sein dürfte. Die in Abschnitt 2 vorgestellten Maßnahmen zur Modernisierung der Leistung Zeitung können zur Bindung der regionalen Anzeigenkunden nur einen geringen Beitrag leisten. Auch neue Distributionswege
für die Anzeigen wie z.B. über die Website, das E-Paper oder sogar regionale Mobile Services24 sind für diese Zielgruppe nur bedingt geeignet. Es
handelt sich dabei um stark erklärungsbedürftige Leistungen, die aus Sicht
der Informationsökonomie über einen hohen Anteil an Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften verfügen, während die klassische Anzeigenschaltung
aufgrund des ausdifferenzierten Systems der Medienforschung heute eher ein
Suchgut darstellt.25 Die gängige „Währung“ ist hier die Kontaktchance mit
den Rezipienten, und diese wird so sorgfältig nach Kriterien erhoben, die
von den Werbetreibenden sogar zum Teil mitbestimmt werden, dass kaum
23
Vgl. Meyer 2000, S. 3.
24
Vgl. zu mobilfunkgestützten Angeboten von Regionalzeitungen Ellers 2005, S. 77 f.
25
Zur informationsökonomischen Gütertypologie vgl. grundlegend Kaas 1995, S. 3 f.
313
Unsicherheit über die Medienleistung besteht.26 Bei neuen Angeboten auf
dem Werbemarkt sieht dies anders aus: Die werbetreibenden Unternehmen
sind vor Vertragsabschluss nicht in der Lage, die Qualität der Angebote zu
beurteilen, und auch im Nachhinein fehlen ihnen häufig die Kontrollmöglichkeiten.
Ein hoher Anteil an Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften sowie die
hohe Bedeutung des Informationssubstituts „Mediadaten“ deutet darauf hin,
dass es sich beim Anzeigenverkauf um eine Dienstleistung handelt. Das bedeutet, dass sich das Anzeigenmarketing an den Prämissen des Dienstleistungsmarketing orientieren muss, um langfristig auch wenig professionalisierte Kunden nicht zu verlieren. Dabei kann nicht nur über die absoluten
Insertionskosten argumentiert werden, denn hier hat die Tageszeitung gegenüber den Wettbewerbern im regionalen Raum strukturelle Nachteile.27
3.2 Der Anzeigenverkauf als Dienstleistung
Dienstleistungen sind zunächst als selbständige, marktfähige Leistungen zu
charakterisieren.28 Sie verfügen über eine Reihe von konstitutiven Merkmalen: Sie sind (a) immateriell und daher (b) nicht lagerfähig. Die Qualität des
Ergebnisses hängt zunächst von der (c) Leistungsfähigkeit des Anbieters ab.
Doch auch der Nachfrager trägt zum Gelingen der Leistung bei, da er sich
selbst oder ein in seinem Besitz befindliches Gut als (d) „externen Faktor“
einbringen muss. Dies führt zu einer (e) mangelnden Standardisierbarkeit
von Dienstleistungsangeboten.29
Das Kriterium der Immaterialität hat zur Folge, dass sich der Kauf von
Dienstleistungen für die Kunden risikoreicher darstellt als der Kauf von
Sachleistungen, da die Leistungseigenschaften nicht greifbar und daher auch
schlecht zu evaluieren sind. Zeitungen sind zwar materielle Produkte, ihr
wichtigster Bestandteil sind jedoch die Inhalte, wohingegen das Papier, auf
dem sie geliefert werden, für die Rezipienten uninteressant ist. Printmedien
26
Vgl. Kiefer 2001, S. 245.
27
Vgl. Toerpel 2005, S. 136.
28
Vgl. Meffert/Bruhn 2000, S. 30.
29
Vgl. genauer hierzu: Meffert/Bruhn 2000, S. 51 ff.; aufgrund der besonderen Eigenschaften von Medien wurden die Immaterialität und die Nicht-Lagerfähigkeit hier als zwei getrennte Merkmale betrachtet; ähnlich: Pepels 1995, S. 21 ff.
314
werden somit durch die Inhalte zum ökonomischen Gut, nicht durch ihren
materiellen Träger.30 In der Literatur werden sie daher als veredelte Dienstleistungen betrachtet.31 Wichtig ist es somit für die Anzeigenkunden nicht,
ihre Anzeige auf Papier gedruckt zu sehen, sondern die damit verbundene
Verbreitung sowie die daraus entstehenden Kontaktchancen mit ihrer Zielgruppe. Diese sollte möglichst deckungsgleich mit der Nutzerschaft des
Mediums sein.32
Die Lagerfähigkeit von Medienprodukten hängt zum einen von ihrer Bindung an materielle Träger ab33, zum anderen korreliert sie negativ mit der
Erscheinungshäufigkeit (Periodizität) des Mediums. Eine Tageszeitung ist
zwar, was das Material angeht, länger als 24 Stunden aufzubewahren, ihr
ökonomischer Wert sinkt jedoch mit dem Erscheinen der nächsten Ausgabe
rapide. Die Erscheinungshäufigkeit ist auch für die Werbekunden von Bedeutung: So sind Imageanzeigen in der Regel auch nach vier Wochen noch
aktuell, während Anzeigen mit tagesaktuellen Angeboten die Medienrezipienten punktgenau erreichen müssen. Den Anzeigenkunden kommen dabei
kurzfristige Anzeigenschlusstermine entgegen. Die Garantie des Erscheinens
der Anzeige zum gewünschten Zeitpunkt ist ohnehin unumgänglich.
Die Leistungsfähigkeit der Anbieter ist bei Medien von großer Bedeutung,
denn von den beteiligten Personen hängen die Inhalte, die Präsentation und
die Inszenierung der Medienprodukte ab. Dem Personal kommt daher in
Medienunternehmen eine überdurchschnittlich große Bedeutung zu.34 Speziell bei etablierten Medien ist der persönliche Verkauf das wichtigste
Kommunikationsinstrument gegenüber den Werbekunden.35 Die Anzeigenberater der regionalen Zeitungen sind somit erfolgsentscheidend. Dies gilt
insbesondere für den Verkauf innovativer Insertionsformen sowie aller Leistungen, die über die wöchentliche „Routineanzeige“ hinausgehen.
30
Vgl. Sjurts 2002, S. 8; Kiefer 2001, S. 143.
31
Vgl. Siegert 2002, S. 179; Pepels 1995, S. 26; Möllmann 1998, S. 7; Weigand 2003,
S. 274; die Synchronität von Dienstleistungserstellung und -konsum ist hier nicht gegeben.
32
Hierzu speziell nach Mediagattungen stellvertretetend für andere: Kotler/Keller 2006,
S. 575 f.
33
Vgl. Haller 1995, S. 51.
34
Vgl. Siegert 2002, S. 181.
35
Vgl. Siegert 2003, S. 160 ff.
315
Der externe Faktor kann der Dienstleistungskonsument selbst oder ein ihm
gehörendes Objekt sein. Dieser wird im Laufe des Leistungserstellungsprozesses verändert. Das Ergebnis der Leistungserstellung hängt somit auch
vom externen Faktor ab. Der externe Faktor auf dem Werbemarkt ist die
Anzeige, mit der der Werberaum gefüllt wird. Mit der Abgabe eines Anzeigenauftrags geht die Anzeige in den Verfügungsbereich des Medienunternehmens über; die Kunden sind darauf angewiesen, dass die Anzeige inhaltlich und räumlich gemäß ihrer Wünsche erscheint und sie nicht durch redaktionelle Inhalte konterkariert wird.
Die hohe Individualität vieler Dienstleistungen ist mit einem hohen Anspruch an die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Personals verknüpft,
was zu schwankenden Ergebnissen in der Dienstleistungsqualität führt. Eine
Standardisierung soll daher eine Vermarktung als Massenprodukt ermöglichen. Zu unterscheiden ist dabei in die Standardisierung der gesamten
Dienstleistung, einzelner Teilkomponenten oder des Kundenverhaltens.36 Im
Medienbereich ist eine inhaltliche Standardisierung nur in geringem Umfang
möglich (z.B. durch gleich bleibende Sendepläne oder Ressortplätze), da
jedes Medienprodukt ein Unikat darstellen muss.37 Die individuellen Wünsche der Anzeigenkunden (z.B. nach Farbe, Form, Platzierung) sind nur bis
zu einem gewissen Grad zu erfüllen, da jeder Platz in einer Zeitung nur einmal vergeben werden kann.38
3.3 Der Prozess der Anzeigenschaltung
Die Integration des externen Faktors in die Erstellung einer Dienstleistung
impliziert, dass vor dem Kauf lediglich ein Leistungsversprechen, jedoch
nicht die Leistung selbst vorliegen kann. Die Erstellung ist als Prozess zu
verstehen, der mit einem unterschiedlichen Maß an zeitlicher und räumlicher
Verbundenheit von Anbieter und Nachfrager ablaufen kann. Am Ende steht
das Ergebnis der Leistungserstellung. Um diesen Spezifika gerecht zu werden, wird zumeist eine phasenorientierte Betrachtung der Dienstleistungser-
36
Vgl. Meffert/Bruhn 2004, S. 243.
37
Vgl. Baumgarth 2004, S. 2254.
38
Zur individuellen Wünschen der Inserenten vgl. auch Abschnitt 4.2.
316
stellung vorgenommen: Es lassen sich dabei Potenzial-, Prozess- und Ergebnisphase unterscheiden.39
In der Potenzialphase bietet der Dienstleistungsanbieter zunächst lediglich
seine Leistungsfähigkeit und -bereitschaft an. Das Potenzial setzt sich dabei
aus einer Kombination interner Faktoren zusammen.40 Diese internen Faktoren können Personen, Informationen oder Güter sein.41 Im Anzeigenverkauf
ist zumeist der zuständige Anzeigenberater die wichtigste Ansprechperson.
Er verfügt über die Möglichkeit, den Kunden Anzeigenraum zukommen zu
lassen. Die Leistungserstellung beginnt in der klassischen Dienstleistungstheorie in dem Moment, wo der Nachfrager einen externen Faktor einbringt,
welcher zusammen mit den internen Faktoren in einen Prozess integriert
wird. Diesen Prozess verdeutlicht Abbildung 2.
Entwicklung redaktioneller Konzepte und Werbekonzepte
Journalistische und
künstlerische Produktion
Einkauf
Selektion von
Fremdleistungen
Zusammenstellung der Inhalte
Veräußerung von Kontaktchancen
zu den Lesern
Verbreitung
Produktion von Aufmerksamkeitsgemeinschaften
Segmentierung, Typisierung und Nachweis von spezifischen Publika
Abb. 2
Die Phasen der Medienerstellung
Quelle: leicht modifiziert nach Siegert (2002), S. 179.
39
Vgl. stellvertretend für andere Meffert/Bruhn 2004; Haller 1995; Meyer/Mattmüller 1987,
S. 191 ff.
40
Vgl. Haller 1995, S. 54.
41
Vgl. Hilke 1989, S. 11 ff.; Haller 1995, S. 54.
317
Für die Werbekunden der Medienunternehmen ergibt sich (zumindest nach
Gesetzeslage) die Besonderheit, dass sie mit dem Prozess der Medienerstellung praktisch nicht in Berührung kommen: Ihnen werden Werberaum und
Werbekonzepte angeboten, die eine Kontaktchance zu bestimmten Zielgruppen darstellen. Dabei ist es unerheblich, ob die redaktionellen Inhalte zum
Zeitpunkt des Werbeplatzverkaufs bereits existieren – auf die Produktion
und Zusammenstellung dürfen Werbekunden gemäß dem rechtlich festgeschriebenen Trennungsgebot keinen Einfluss ausüben.42 Der Prozess der
Erstellung der Dienstleistung „Transport von Werbebotschaften“ beginnt
somit erst spät im Prozess der Medienerstellung.
Für die Anzeigenberater ergibt sich daraus die Anforderung, einerseits die
Vorgaben des Verlages beachten zu müssen, andererseits möglichst flexibel
auf die Kundenwünsche einzugehen. Dies kann sich vor allem dann als
kompliziert erweisen, wenn die Verlage neue Werbekonzepte an den Markt
bringen, da diese für die Kunden als erklärungsbedürftige Dienstleistung
anzusehen sind. Da besonders im mittelständischen Bereich die Werbebudgets eher gering sind, muss es Ziel der Anzeigenberatung sein, das wahrgenommene Risiko der Kunden möglichst weit zu reduzieren.
Das Ergebnis dieses Prozesses ist der Vertragsabschluss über eine oder mehrere Anzeigenschaltungen. Die Kunden erhalten somit die Möglichkeit, ihre
Werbebotschaften an ein disperses Publikum zu verbreiten und gleichzeitig
von der Aufmerksamkeit, die die Rezipienten dem redaktionellen Teil entgegenbringen, zu profitieren.
42
Vgl. hierzu die Landespressegesetze; bezahlte Inhalte sind in jedem Fall durch den Verlag
als solche zu kennzeichnen – in der Regel mit dem Wort „Anzeige“. Auch der ZAW zeigt
Formen nicht erlaubter „redaktioneller“ Inhalte mit werblichem Charakter auf, vgl. ZAW
1974, S. 47, 83; zitiert nach Streng, 1996, S. 103. Die Trennung von Redaktion und Werbung erodiert jedoch zunehmend.
318
4 Ansatzpunkte des Anzeigenmarketing für regionale
Kunden
4.1 Die regionale Identität als verbindendes Element
Nach Jahrzehnten des multinational und global geprägten Marketing sowie
der damit verbundenen Standardisierung von Produkten und Leistungen tritt
seit einigen Jahren auch die Region als marketingrelevanter Raum in den
Fokus des Interesses. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Marketing für die
Region selbst und dem Marketing für regionale Produkte und Dienstleistungen.43 Innerhalb einer Region wird häufig die gemeinsame Identität von
Anbietern und Abnehmern in der Region betont („aus der Region – für die
Region“). Diese Identität dient dazu, den Mitgliedern einer Gruppe (hier: der
Region) das Gefühl einer sozialen Einheit zu geben, welche auch von außen
wahrgenommen wird.44 Es handelt sich somit um eine bewusste Abgrenzung.
Die Tageszeitung wird als Symbol dieser regionalen Identität wahrgenommen.45 Speziell für Unternehmen, deren Einzugsgebiet ebenfalls nur regional
ist, ist sie daher ein geeigneter Kommunikationskanal. Aus Sicht der Verlage
erscheint es daher sinnvoll, die gemeinsame Identität im Marketing für ihre
Anzeigenkunden zu betonen. Die etablierten Marketinginstrumente der
Preisdifferenzierung sowie des direkten Verkaufs über die Anzeigenberater
wurden bereits angesprochen. Auch die Leistungspolitik wird schon seit
langem auf die Kunden ausgerichtet: So gibt es Sonderveröffentlichungen,
z.B. zu bestimmten Einkaufsgegenden, oder es werden Unternehmen aus der
Region vorgestellt.
Speziell in jüngster Zeit haben sich Kundenbindungsprogramme in Form
sogenannter „Abo-Cards“ etabliert. Ziel ist es dabei aus Sicht der Verlage,
43
Vgl. hierzu Balderjahn 2004, S. 2357 ff.; Enke/Geigenmüller 2004, S. 2375 ff.
44
Dies kann eine Stärke, aber in Zeiten zunehmender Mobilität insbesondere der jüngeren
Generationen auch eine Schwäche im intermedialen Wettbewerb sein; vgl. BreyerMayländer 2005, S. 139. Zur Gruppenidentität generell: Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S.
444.
45
Vgl. hierzu die Ergebnisse der empirischen Untersuchung von Möllmann 1998, S. 197 ff.
319
sowohl die Rezipienten als auch die Anzeigenkunden an sich zu binden.
Abonnenten können in der Regel mit Hilfe der Karte bei den teilnehmenden
Unternehmen Rabatte erhalten.46 Hier werden beinahe automatisch die mittelständischen Unternehmen der Region einbezogen, da heute praktisch alle
großen Handelsketten über eine eigene Kundenkarte verfügen bzw. einem
Mehrpartnerprogramm angehören.47 Während einige Verlage das Programm
als Erfolg einstufen, werden in anderen Verlagen die Anfangsinvestitionen
als zu hoch angesehen.48
4.2 Gezieltes Beziehungsmanagement
Die Dienstleistung „Anzeigenschaltung“ wird wie gesehen zunehmend erklärungsbedürftig. Die entstandenen Zusatzangebote vieler Verlage dürfen nicht
dazu führen, dass die Zeitung als „Bauchladen“49 wahrgenommen wird, die
sich von ihren Kernkompetenzen immer weiter entfernt. Die entstandenen
cross-medialen Angebote (Zeitung und E-Paper, Zeitung und Mobile Service
etc.) stellen für die Anzeigenkunden zunächst Mehrkosten dar. Die damit
verbundenen Vorteile müssen ersichtlich werden, damit die Inserenten das
nötige Vertrauen in die Maßnahmen gewinnen. Dies hängt zum einen mit der
schwierigen Abschätzbarkeit der Werbewirkung zusammen, zum anderen
sind die Entscheidungstatbestände (Mediaselektion, Auswahl von Zeiten,
Platzierungen etc.) häufig komplex.50 Medienunternehmen unterstützen
daher ihre Kunden bei der Entscheidungsfindung, helfen z.B. bei der Erstellung von Mediaplänen. Die persönliche Nähe sowie das Vertrauensverhältnis
zwischen Verkäufer und Kunde fördern die Kundenbindung. Eine hohe
wahrgenommene Kompetenz des Anbieters kann dabei als Surrogat für Informationen über den Nutzen und die Wirtschaftlichkeit der Leistung dienen.51
46
Vgl. Strahlendorf 2005, S. 13.
47
Vgl. Klingsporn 2005, S. 100 ff.
48
Vgl. o.V. 2005, S. 145.
49
o.V. 2005, S. 145.
50
Vgl. Büchelhofer et al. 1994, S. 475; Schuster 1995, S. 259.
51
Vgl. Belz 1998, S. 23.
320
Anzeigenberater betreuen ihre Kunden häufig über viele Jahre, daher sind
die Voraussetzungen für eine solche vertrauensvolle Anbieter-Kunden-Beziehung gegeben. Über eine Beteiligung der Berater am Anzeigenumsatz
geben die Verlage Anreize zum aktiven Verkauf. Als problematisch könnte
sich jedoch die Einführung neuer Geschäftsmodelle wie sie oben geschildert
wurden erweisen. Sind diese aus Sicht der Anzeigenberater zu komplex, um
sie den mittelständischen Unternehmen der Region zu verkaufen, so besteht
die Gefahr, dass die Personalzufriedenheit sinkt.52 Es muss daher Aufgabe
des Managements der Verlage sein, für neue Leistungen am Anzeigenmarkt
– seien es Kombitarife von Zeitung und Werbebanner oder die neu eingeführte Kundenkarte – zunächst eine interne Akzeptanz zu schaffen. Denkbar
sind in diesem Zusammenhang unterschiedliche Instrumente des internen
Marketing: So können personalpolitische Instrumente (Personalauswahl,
Entgeltpolitik) ebenso eingesetzt werden wie interne Kommunikationsinstrumente (Trainings).53 Diese Maßnahmen sind notwendig, damit die Anzeigenkunden den Nutzen des Mediums Zeitung auch langfristig sehen. Die
Anzeigenberater werden auf diese Weise zu Medienberatern.
Die hohe Bedeutung von persönlichen Geschäftsbeziehungen fördert zwar
die Bindung der Anzeigenkunden, kann aber auch kontraproduktive Effekte
haben: Wie auch in anderen Branchen besteht die Gefahr, dass im Rahmen
der Auftragsakquisition „unternehmensfremde Nebenleistungen“ oder „problematische Gegengeschäfte“54 zum Einsatz kommen. Bekannt sind in diesem
Zusammenhang Anreize wie Geschenke, Reisen o.ä. für die Kunden. Im
Zeitungsmarkt besteht hingegen die Tendenz, mit den Kunden Einigungen
über Zusatzleistungen zu treffen, die intern, vor allem in der Redaktion, nicht
geteilt werden. Dabei kann es sich um die Forderung nach einer redaktionellen Kopplungsvereinbarung55 handeln oder auch um die Drohung, im
Fall negativer Berichterstattung über das eigene Unternehmen Werbeauf-
52
Vgl. Stauss 1995, Sp. 1047.
53
Vgl. Stauss 1995, Sp. 1050; Ziel sollte in jedem Fall eine marktorientierte Unternehmenskultur und damit verbunden eine stabil verankerte Kundenorientierung sein, vgl. Homburg/Krohmer 2003, S. 1083 ff.
54
Belz 1998, S. 125.
55
Vgl. Koschnik 2003, S. 1545; es findet sich auch der euphemistische Begriff der „Medienkooperation“, vgl. Wolff 1999, S. 25. Beide Begriffe umschreiben die Ergänzung einer
Anzeige durch einen redaktionellen Beitrag zum Unternehmen – es handelt sich somit um
eine Form von PR durch die Journalisten.
321
träge zurückzuziehen.56 Mit intensiver werdendem Wettbewerb im regionalen Raum steigt die Wahrscheinlichkeit dieser Instrumentalisierung des redaktionellen Teils der Zeitung, insbesondere, weil in Anzeigenblättern diese
Praxis verstärkt zu beobachten ist. Für die Anzeigenberater gilt – ebenfalls
analog zu anderen Branchen – dass ein hoher Professionalisierungsgrad
ethisches Verhalten fördert.57 Die oben erwähnten Instrumente des internen
Marketing sind von den Verlagen auch im Kontext dieses Problemfeldes
einsetzbar. Die strategische Bedeutung sollte dabei nicht unterschätzt werden, da die Glaubwürdigkeit der regionalen Tageszeitungen ein wettbewerbsrelevantes Merkmal darstellt.
5 Fazit
Es wurde in diesem Beitrag darauf verzichtet, die Optimierungspotenziale im
regionalen Anzeigenmarketing anhand der klassischen Marketinginstrumente
aufzuzeigen. Hier hat sich (zumindest in Bezug auf die Kernleistung Zeitung) in den vergangenen Jahren einiges getan:
•
56
In der Leistungspolitik sind besonders neue Anzeigenformate und platzierungen zu erwähnen. Hier besteht für die Kunden eine Vielzahl von Möglichkeiten, seine Anzeigen jenseits der rechteckigen,
in Millimetern gemessenen Form zu gestalten.58 Außerdem werden
zunehmend redaktionelle Umfelder geschaffen, in denen die Kunden entsprechend der Interessen ihrer Zielgruppen inserieren können – zu nennen sind vor allem Sonderthemen zu den Bereichen Urlaub, Haus, Garten, Mode etc.
Vgl. Stahmer 1995, S. 164; Rogall 2000, S. 58.
57
Vgl. Belz 1998, S. 123.
58
Vgl. Strickler 2005, S. 63 f.; es ist jedoch darauf zu achten, dass diese Sonderwerbeformen
die Informationsfunktion der Zeitung nicht zu stark dominiert, da sonst (analog zu den oben erwähnten „redaktionellen Zugaben“) ein Glaubwürdigkeitsproblem entstehen kann,
vgl. Donnerstag/Mika 2005, S. 254 ff.
322
•
In der Kommunikationspolitik setzen die Verlage verstärkt auf Eigenwerbung und Öffentlichkeitsarbeit, auch in crossmedialer
Form.59
•
Die Distributionspolitik bezieht sich größtenteils auf die Übermittlung der Anzeigeninhalte an die Medienunternehmen. Hier kann der
Kunde in der Regel zwischen der persönlichen Abholung durch den
Anzeigenberater und verschiedensten Formen der elektronischen
Datenübermittlung wählen.
•
In die Preispolitik kommt ebenfalls Bewegung: So werden den Inserenten crossmediale Angebote gemacht und in der Zeitung selbst
stehen insbesondere die Farbzuschläge auf dem Prüfstand.60
Dieser Beitrag plädiert vielmehr dafür, die im Dienstleistungsmarketing
ebenfalls schon länger thematisierten Instrumentalbereiche „Personal“ und
„Prozess“ stärker zu berücksichtigen. Im Rahmen der Ausweitung der Leistungen für die Werbekunden und der Nutzung neuer Geschäftsfelder tritt der
Prozess der Dienstleistungserstellung immer stärker in den Vordergrund;
dabei kann die Leistung wesentlich stärker als bisher individualisiert und auf
den einzelnen Anzeigenkunden zugeschnitten werden. Die einfache „Standardanzeige“ verliert demgegenüber an Bedeutung.
Die Anzeigenberater bilden die Schnittstelle zwischen den Kunden und dem
Verlag. Von ihrem Engagement und Commitment hängt es ab, ob sich neue
Angebote im Anzeigenmarkt auch durchsetzen. Da Veränderungen auch
immer innerhalb des Unternehmens kommuniziert werden müssen, erscheint
hier die Entwicklung eines internen Marketingkonzepts angebracht.
Die Bindung regionaler Anzeigenkunden wird sich mittel- und langfristig als
strategischer Erfolgsfaktor für die Verlage erweisen. Die Zeitung verliert
zwar vor allem junge Leser, ist in der regionalen Medienlandschaft jedoch
noch immer vorherrschend. Setzt sich die Entwicklung fort, so ist das Medium Zeitung in absehbarer Zeit für die Markenartikelindustrie kein attrakti-
59
In der PR haben Medienunternehmen gegenüber anderen Branchen generell den Vorteil,
dass sie die Kommunikationskanäle kontrollieren können. Dafür ist die Zahl der in Frage
kommenden Medien allerdings begrenzt, da die Wettbewerbermedien hier nicht genutzt
werden können, vgl. Rubens-Laarmann 2006, S. 365; Siegert 2003, S. 193.
60
Vgl. Spitzer-Ewersmann 2005, S. 84.
323
ver Werbepartner mehr.61 Um ihre Position im regionalen Raum zu sichern,
ist vor allem eine Orientierung an der eigenen Identität und am eigenen
Selbstverständnis nötig.62 nötig. Anstatt ausschließlich dem Druck der Werbekunden nach zielgruppenspezifischen Umfeldern nachzugeben und sich
auf diese Weise an andere Medien anzupassen, sollten im Rahmen der Markenführung verstärkt die eigenen Ressourcen und Kompetenzen hervorgehoben werden. Ohne diese Identität wird die Zeitung für ihre Anzeigenkunden auch im regionalen Verbreitungsgebiet austauschbar mit Anzeigenblättern und Direktwerbung. Tageszeitungsmarketing muss daher auch bedeuten, der Beliebigkeit entgegenzuwirken.
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61
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62
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Jörg Hammermeister
All business is local – Möglichkeiten der strategischen
Differenzierung durch regionale Markenführung –
Am Beispiel von Marken der Unternehmen EWE,
InBev und Rügenwalder
1 Einführung
Der Ausspruch “Think global, act local” gewinnt für die strategische Markenführung zunehmend an Bedeutung. Regionen werden sich im zusammenwachsenden Europa im stärkeren Maße als früher identitätsstiftend in der
Lebenswelt der Menschen verankern. Dadurch ist auch das Konsumentenverhalten zunehmend determiniert. Der Stellenwert der regionalen Marken
wird darum in Zukunft zunehmen, da der Markenwert von einer Zugehörigkeit zu einer Region beeinflusst wird. Das gelingt Markenartikelunternehmen
mit regionalen Marken im Portfolio dann, wenn eine Region bzw. ein Image
von einer Region als Ursprung einer Marke positiv wahrgenommen wird.
Der Markenursprung kann dabei als Bestandteil der Markenpersönlichkeit
und damit auch des Markenimages verstanden werden.1 Die Identifikation
des Markenursprungs ist einserseits über den Markennamen selbst, der Verpackung oder über die Markenkommunikation umsetzbar. Dieser Beitrag
fokussiert die Relevanz, die besonderen Ausprägungen und die Anforderungen an die regionale Markenführung, um den besonderen Transfer zwischen
Region als Identitätsstifter und regionaler Marke nachzuzeichnen. Anhand
ausgewählter Beispiele aus der Metropolregion Bremen-Oldenburg werden
die gemachten Ausführungen abschließend illustriert und verdichtet.
1
Vgl. Enke/Geigenmüller 2004, S. 2379.
330
2 Theoretisch-begriffliche Basis: Bedeutung und
Grundformen des regionalen Bezugs bei Marken
Wenn viele Deutsche in den Urlaub reisen, kann ihnen, dem allgemeinen
klischeehaften Bild nach, an ihrem Urlaubsort nichts Besseres passieren, als
eine Kneipe zu finden, die deutsches Bier – am besten noch vom Fass –
ausschenkt.2 Auf dem Flug mit der Lufthansa an den Urlaubsort wird ihnen
deutsches Essen serviert, vor Ort wird als Speise Kasseler mit Sauerkraut
präferiert. Am Pool oder Strand cremt man sich mit Nivea-Sonnenmilch ein,
redet über Lichtschutzfaktoren und genießt das Magnum-Eis von Langnese.
Musikalisch fragt man sich beim Hören deutscher Radiosender, ob der alte
Holzmichel noch lebt und lauscht nebenbei halbstündlich dem Verkehrsfunk
im deutschen Radio. So geben selbst solche Produkte bzw. Marken ein Gefühl von regionaler-heimatlicher Verbundenheit, die ansonsten mit der Nähe
zur Region bzw. zur Heimat wenig zu tun haben.3 Gerhard Polt hat in seiner
satirischen Filmkomödie „Man spricht Deutsh“4 von 1988 dieses Ur-Bild
vom Deutschen im Italien-Urlaub sehr treffend dargestellt.
Betrachtet man dieses Klischee vom deutschen Urlauber aus der reinen Marketingperspektive, liegt als Grund für dieses (hier überzeichnete Verhalten)
nahe zu vermuten, dass Menschen stets Komplexitätsreduktion und Orientierung suchen – egal wo sie sind.5 Konsumenten scheinen in unübersichtlichen, anonymen Märkten die Herkunftsregion als Schlüsselinformation für
Qualität heranzuziehen. Dadurch vereinfachen sie ihre Kaufentscheidung.
Dabei spricht man vom information chunk-Effekt. Gute Erfahrungen und
Verbundenheit mit einer Region - in diesem Fall mit Deutschland - übertragen sich auf die Produkte bzw. Marken (Halo-Effekt). Für die strategische
Markenführung kann vermutet werden, dass die Akzentuierung eines regionalen Markenursprungs ein Alleinstellungsmerkmal darstellt, welches im
Vergleich zu allen (meist nationalen und internationalen) Wettbewerbsmarken zu mehr Nähe, Vertrauen und Sympathie beim Verbraucher führen kann.
2
Vgl. Musiol 2005, S. 1.
3
Vgl. ebd., S. 1.
4
„Deutsch“ hier als Eigenname von Polt ohne das „s“ verwendet.
5
Vgl. ebd.
331
Neben Vertrauen, Sympathie und Nähe bieten sich auch Umweltschutz,
Qualität, Tradition, Frische, Arbeitsplätze oder Heimatliebe als Positionierungsargumente für die regionale Markenplattform an.
Abb. 1
Regionale Marke i.e.S.
(aufgrund Beschränkungen
verschiedenster Art)
Regionale Marke i.w.S.
(regional aufgeladene Marke
mit universellem Markenkern)
Regionaler Markt
Überregionaler Markt
Klassifizierung von regionalen Marken – Teil 1
Quelle: Eigene in Anlehnung an Geigenmüller 2003, S. 75.
Marken können also grundsätzlich je nach Selbstverständnis, Ressourcen,
Kompetenzen und Expansionsstrategie durch ihren geographischen Geltungsbereich klassifiziert werden (vgl. Abbildung 1).6
Die regionale Marke im engeren Sinn beschränkt sich auf ihre Ursprungsregion bzw. ein festgelegtes regionales Vertriebsareal z.B. aufgrund konkreter
Produkteigenschaften/-beschränkungen oder ökonomischen Erwägungen7.
Die regionale Marke im weiteren Sinn dehnt sich auch auf den überregiona-
6
Vgl. Enke/Geigenmüller 2004, S. 2379.
7
Als mögliche Ursache für die Beschränkung auf eine Region kann das Verhältnis zwischen
Warenwert und den Distributionskosten genannt werden (vgl. Enke/Geigenmüller,
S. 2379). Das regionale Absatzgebiet bestimmt sich demnach so, das diese Relation für einen Hersteller noch gerade Nutzen stiftend sein muss.
332
len Markt aus, vorausgesetzt sie besitzt einen universellen Markenkern (als
Angebot für Nachfrage überregional geeignet) und sie unterliegt keinerlei
Beschränkungen (regional aufgeladene überregionale Marke). In der letzteren Form sind eindeutige Parallelen zur Internationalisierungsstrategie zu
sehen.
Es bleibt an dieser Stelle noch die Frage zu beantworten, wie aus Marketingsicht Regionen überhaupt definiert werden können: Anja Geigenmüller8 teilt
die Region in Ihrer Doktorarbeit über regionale Marken und Konsumverhalten in drei Bereiche auf: die Real-, die Aktivitäts-/Programm- und in die
Wahrnehmungs-/Identitätsregion. Die reale Region besteht aus einem physisch abgrenzbaren Raum, wie z.B. die Weser-Ems-Region. Die Aktivitäts/Programmregion bestimmt sich eher als funktionaler Raum, somit können
beispielsweise verschiedene Wirtschaftsräume definiert werden. Der letzte
Teil scheint der schwierigste eingrenzbare Bereich zu sein. Die Wahrnehmungs- und Identitätsregionen stellen sozialpsychologische Konstrukte bzw.
Sinnordnungen dar. Hier kann auch ein räumlicher Bezug hergestellt werden,
Als Beispiel für eine Wahrnehmungsregion kann das Ruhrgebiet oder das
Erzgebirge angeführt werden.9 Somit unterscheidet sich die Definition von
Regionen untereinander doch recht stark. Keine davon gibt eine genaue Definition davon, wie groß eine Region genau sein kann. Für diesen Aufsatz
kann festhalten werden, dass Regionen nicht nur physische Eigenschaften
haben, sondern auch über die Wahrnehmung einzelner Personen oder Gruppen definiert werden können.
3 Theoretisch-konzeptionelle Basis: Markenherkunft als
relevante Komponente der Markenidentität
3.1 Grundlagen
Die Grundlage des Kommunikationsprozesses und die Basis aller strategischen und operativen Marketingentscheidungen bildet die Markenidentität.
Insbesondere können wichtige Schritte für das Ableiten der Markenstrategie,
8
Vgl. Geigenmüller 2003, S. 73.
9
Vgl. ebd., S. 72 ff.
333
der Positionierung und der Botschaft der Marke geplant und umgesetzt werden.10 Adjouri unterscheidet hinsichtlich der Markenidentität zwei Ebenen:
Die Ausdrucksebene der Marke bildet sich aufgrund der wahrnehmbaren
Elemente und umfasst somit die formalen Aspekte der Marke, die Inhaltsebene hingegen wird durch alle Assoziationen mit der Marke beschrieben.11
Die Markenidentität wird durch Bedeutungen dargestellt, welche wiederum
verschiedene Images bei unterschiedlichen Zielgruppen entstehen lassen.12
Im Gegensatz zum Markenimage sind diese Bedeutungen weder subjektiv
noch an eine Zielgruppe gebunden.
Basierend auf Überlegungen zur Identität von Personen, wurden bereits Anfang der 1990er Jahre in Theorie und Praxis verschiedene Ansätze zur identitätsorientierten Markenführung entwickelt. Sie wurden vor allem durch
Arbeiten von Aaker13 und Kapferer14 geprägt. Allen gemeinsam sind die
zentrale Bedeutung der Identität der Marke und die Idee, dass die Kaufverhaltensrelevanz einer Marke grundlegend auf eine starke Markenidentität
zurückgeführt wird.15 Durch die Gestaltung einer Identität werden der Marke
Orientierung, Zweck und Bedeutung zugewiesen. Nach Aaker besteht die
Markenidentität aus dem Identitätskern sowie einer erweiterten Markenidentität. Der Kern entspricht dem zentralen zeitlosen Wesen der Marke, die
erweiterte Identität bezieht sich auf temporäre Anpassungen in Zusammenhang mit der Verwendung des Konzeptes in neuen Absatzmärkten oder bei
neuen Produkten.16
Unter der Marke als Produkt werden zum Beispiel Anwendungsbereiche
oder Verwendungsmöglichkeiten aber auch das Herkunftsland betrachtet.
Die Marke als Organisation beschreibt Attribute, die mit dem Unternehmen
(z.B. lokal versus global ausgerichtet) in Zusammenhang gebracht werden.
Markenpersönlichkeiten und -beziehungen charakterisieren die Marke als
Person und alle sichtbaren bildlichen Elemente die Marke als Symbol wie
10
Vgl. Adjouri 2002, S. 89.
11
Vgl. ebd., S.100.
12
Vgl. ebd., S.104.
13
Vgl. Monographie Aaker 1996.
14
Vgl. Monographie Kapferer 1992.
15
Vgl. Meffert/Burmann 2002a, S. 31.
16
Vgl. Aaker 1996, S.68.
334
z.B. die Markenhistorie. Aus diesen vier Kategorien bilden sich in der Regel
die drei Identitätskreise.
Der Ansatz von Meffert und Burmann unterscheidet sich von den Überlegungen Aakers in der Hinsicht, dass sie dem Selbstbild der Marke17 ein
Fremdbild gegenüberstellen. Das Aussagekonzept der Marke wird durch das
Unternehmen gestaltet, während ein Akzeptanzkonzept die Sichtweise der
Konsumenten widerspiegeln soll. Diese beiden Konzepte beeinflussen sich
wechselseitig. So wird die absatzmarktbezogene Sichtweise mit einer innengerichteten Perspektive verbunden. Die Verbindung führt dazu, dass sich die
Markenidentität als Wechselwirkung zwischen internen (Selbstbild der Marke) und externen (Fremdbild der Marke) Anspruchsgruppen bildet und eine
spezifische Persönlichkeit zum Ausdruck bringt18, die umso stärker ist, je
mehr Selbst- und Fremdbild übereinstimmen. Angestrebt wird die bestmögliche Übereinstimung von Selbst- und Fremdbild der Markenidentität,
um das Vertrauen der Konsumenten in die Marke zu erhöhen.
Innerhalb der Markenidentität zeigen nun die Forschungsergebnisse von
Blinda, dass die Basis der Markenidentität die Herkunft der Marke darstellt
(siehe auch Abbildung 2): Auf dieser bauen demnach die Kompetenzen, die
Werte, die Persönlichkeit, die Vision und die Leistungen einer Marke auf.
Die Markenherkunft übt zudem einen direkten als auch indirekten Einfluss
auf diese Komponenten der Markenidentität aus. Darüber hinaus beeinflusst
die Markenherkunft das Markenimage und die Entscheidung der Konsumenten für ein Gut. Die hohe Relevanz begründet sich dadurch, dass eine
Marke von externen wie auch internen Zielgruppen zunächst im Kontext
ihres Urspungs wahrgenommen und interpretiert wird.
17
Das Selbstbild der Markenidentität ähnelt dem Ansatz Aakers, die Komponenten der
Markenidentität werden teils anders operationalisiert. Für die detaillierte Betrachtung sei
auf die Literatur verwiesen. Vgl. Meffert/Burmann 2002b, S. 35-72.
18
Vgl. ebd, S. 47.
335
Markenpersönlichkeit
Markenwerte
Externe Zielgruppe
Markenimage
Positionierung
Interne Zielgruppe
Markenidentität
Symbolischer Nutzen
der Marke
Markenvision
Funktionaler Nutzen
der Marke
Art der Markenleistungen
Markenherkunft
Abb. 2
Markenmerkmale
Glaubwürdigkeit
(Kern-)Kompetenzen der Marke
(Marken-. Käufer-,
Verwendereigenschaften)
Markenbekanntheit
Komponenten der Markenidentität und des Markenimage
Quelle: Blinda 2003, S. 27.
Blinda definiert die Markenherkunft wie folgt: „Die Markenherkunft stellt
die Gesamtheit aller geographischen, kulturellen und institutionellen Einflüsse dar, die festlegen von wo, wem oder was eine Marke entstammt.“19
Ich möchte mich in meinem Beitrag dieser Definition anschließen.
Im Folgenden werden die Explikationsmodelle der Markenherkunft bis zum
aktuellen Forschungsstand reflektiert und diskutiert.
3.2 State of the Art der Markenherkunftsforschung
Zunächst werden drei bekannte Modelle vorgestellt und auf ihre Stärken und
Schwächen analysiert. Anschließend wird das aktuelle Herkunftsverständnis
dargestellt, mit welchem alle Einflüsse der Markenherkunft erklärt werden
19
Vgl. Blinda 2003, S. 39, auch zu konkreten Zusammenhängen der Markenherkunft auf die
anderen Markenkomponenten, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.
336
sollen. Die folgenden Ausführungen geben die in diesem Zusammenhang
zentralen Forschungsergebnisse von Blinda20 in geraffter Form wieder.
3.2.1
Country of Origin-Ansatz (COO)
Der Country of Origin-Ansatz setzt an der Produktebene an. Mittels des
Ansatzes können die Produkte bestimmten Ländern zugeordnet werden. Das
bedeutet, dass die Produkte anhand stereotypischer Eigenschaften und/oder
Kompetenzen mit einzelnen Ländern assoziativ in Verbindung stehen. Als
Beispiel kann Frankreich genannt werden, das für guten Wein steht oder
auch Russland, dem man hohe Kompetenzen in der Kaviarherstellung zuschreibt. Aber hier enden auch schon die möglichen Vorteile dieses Ansatzes. Durch die Vielzahl von Schwächen, die dieser Ansatz birgt, ist er nur
sehr beschränkt nutzbar, um die Herkunft einer Marke zu erklären. Nachteile
sind, dass mit der Betrachtungsweise und Zuordnung nicht erklärt werden
kann, warum beispielsweise Autos in einem bestimmten Land produziert
werden, ihre Eigenschaften aber eine andere Herkunft implizieren (sollen)
(z.B. der PKW Fox der Marke VW, der in Brasilien produziert wird, aber als
deutsches Auto gilt). Ein weiterer Nachteil dieses Ansatzes ist, dass er seinen Untersuchungsfokus nicht auf die Markenebene, sondern ausschließlich
auf die Produktebene richtet. Somit können keine einzelnen Marken, sondern
nur eine Produktgruppe erklärbar gemacht werden. Nachteilig ist außerdem,
dass nur die nationale Herkunftsebene betrachtet wird. Es kann nicht zwischen verschiedenen Regionen eines Landes unterschieden werden. Zudem
muss an diesem Ansatz kritisiert werden, dass er keine Erklärung für kulturelle oder institutionelle Einflüsse abbildet. Die kontinuierlich voranschreitende Globalisierung und die immer stärker werdende Homogenität der Güter lässt diesen Ansatz veraltet erscheinen.
3.2.2
Brand Origin-Ansatz (BO)
Der Brand Origin-Ansatz stellt in mehrfacher Hinsicht eine Weiterentwicklung des Country of Origin-Ansatzes dar: Die Betrachtungsweise ist von der
Produkt- zur Markenebene hin verändert. Somit stehen jetzt einzelne Marken
im Vordergrund und nicht weiterhin die Produktgruppen. Darüber hinaus
wird die Herkunftsebene genauer. Das heißt, die Marke kann nicht nur dem
Land, sondern auch einer Region oder einem Ort zugewiesen werden. Die
20
Vgl. ebd., S. 40 ff.
337
Integration von Herkunftshinweisen beeinflusst nun das Markenimage. Im
Gegensatz dazu nahm bei dem COO-Ansatz das Länderimage Einfluss auf
die Qualitätsbewertung der Produkte. Ein weiterer wichtiger Punkt bei dem
BO-Ansatz ist, dass die Konsumentenwahrnehmung in den Vordergrund
rückt. Hierbei ist nun nicht der eigentliche Produktionsort der Marke wichtig, sondern wie der Konsument die Markenherkunft wahrnimmt. Somit kann
erklärt werden, warum z.B. der New Beatle der Marke VW von Volkswagen
als deutsches Auto wahrgenommen wird, obwohl der eigentliche Produktionsstandort Mexiko ist. Beispielsweise werden die Produkte des schwedischen Konzerns IKEA als typisch schwedisch wahrgenommen, obwohl mittlerweile 93% der Produkte außerhalb Schwedens produziert werden.21 Mit
dem Country of Origin-Ansatz wäre diese Beobachtung nicht erklärbar.
Allerdings weist dieser Erklärungsversuch auch Schwächen auf, die Lücken
entstehen lassen: Brand Origin bezieht sich nur auf die geographische Herkunft einer Marke, lässt aber die kulturelle und institutionelle Herkunft einer
Marke weiterhin außer Acht. Die Sichtweise des Konsumenten spielt nach
diesem Verständnis eine übergeordnete Rolle. Durch die Sichtweise oder
Wahrnehmung der Herkunft eines Produktes durch den Konsumenten spielt,
wie am IKEA-Beispiel gezeigt, die tatsächliche Herkunft keine Rolle. Für
die identitätsbasierende Markenführung hat die tatsächliche Herkunft aber
eine nicht zu vernachlässigende Relevanz.
3.2.3
Culture of Brand Origin-Ansatz (CBO)
Der Culture of Brand Origin-Ansatz bezieht im Gegensatz zu den beiden
anderen Explikationen auch die kulturelle Herkunft einer Marke mit ein. Da
es sich um eine Weiterentwicklung des BO-Ansatzes handelt, sind Zusammenhänge gegenüber dem ersten Ansatz zu erkennen. Dieses Markenherkunftsverständnis geht davon aus, dass die Konsumenten aufgrund internationaler Unternehmensaktivitäten Probleme damit haben, einzelne Länder als
das Herkunftsland bestimmter Marken zu identifizieren. Weiterhin geht es
davon aus, dass der Konsument stattdessen die kulturelle Herkunft als ein
wesentliches Herkunftsmerkmal einer Marke identifiziert. Als Beispiel kann
die Biermarke BECK´S angeführt werden. BECK`S gilt in den USA als
deutsches Bier. Das Bier repräsentiert eigentlich das Land Deutschland und
nicht dessen Kultur. Viele Amerikaner setzen jedoch Deutschland mit der
21
Vgl. IKEA 2006, S. 14.
338
Region Bayern und mit dessen Kultur und/oder Traditionen gleich. Dieses
macht sich der Braukonzern InBev zunutze, in dem sie jedes Jahr zur Zeit
des Oktoberfestes in den USA ein BECK´S Oktoberfestbier anbietet (vgl.
Abbildung 3). Bei diesem Beispiel versucht die Marke BECK´S einen kulturellen Hinweis, in diesem Fall auf die bayerische Kultur, in ihr Markenbild
mit einzubauen. Wiederum wird anhand dieses Falls deutlich, dass nicht die
tatsächliche (geographische) Herkunft eine Rolle spielt, sondern erneut die
Sichtweise des Konsumenten. Es handelt sich folglich wieder um einen
imageorientierten Ansatz. Auch bei diesem Erklärungsversuch werden keine
institutionellen Herkunftsmerkmale berücksichtigt. In diesem Kontext existiert eine klare Trennung zwischen der regionalen und der kulturellen Herkunft. Eine große Zahl von Konsumenten aber betrachten die Kultur und das
Land als Einheit und nehmen keine Trennung vor.
Abb. 3
Etikett Oktoberfestbier von BECK´S in den USA
Quelle: InBev 2006a.
339
3.2.4
Brand Identity Origin-Ansatz (BIO)
Die drei oben grob skizzierten Ansätze erscheinen aufgrund der Kritikpunkte
nicht vollkommen geeignet für die vorher aufgeführte Definition der Markenherkunft. Abhilfe bietet nach aktuellem Stand der Forschung der Brand
Identity Origin- Ansatz. Mithilfe dieses Erklärungsversuchs gelingt es
BLINDA auch die institutionellen Einflüsse auf die Markenherkunft mit einzubringen. Dies ist in den Ansätzen zuvor nicht gelungen. In der folgenden
Abbildung 4 sieht man nun eine gute Zusammenfassung des Brand Identity
Origin-Ansatzes und seiner Bereiche. Das Brand Identity Origin-Modell
vereint somit alle drei Herkunftsmerkmale (kulturelle, institutionelle und
geographische Merkmale) der vorhergehenden Erklärungsansätze zur Markenherkunft in sich. Hiermit ist es möglich, die Herkunft einer Marke und
die Auswirkungen des Herkunftseffekts auf die Marke umfassend zu greifen
und zu untersuchen.
Geographische Herkunft
Kulturelle Herkunft
Ressourcen und Kompetenzen
Land
Region
Geschichte
Ort
Werte, Normen der
Bevölkerung
Brand Identity OriginAnsatz
Unternehmenskompetenzen
Konzernzugehörigkeit
Ressourcen und Kompetenzen
Unternehmensmitarbeiter
Institutionelle Herkunft
Abb. 4
Übersicht Brand Identity Origin-Ansatz
Quelle: Blinda, 2003 S. 27.
Unternehmenshistorie
Unternehmenskultur
340
4 Abstraktion von regionalen Markenstrategien anhand
von Beispielen aus der Metropolregion BremenOldenburg
4.1 Methodik und Datensammlung
Aufbauend auf den vorherigen Grundlagenkapiteln wird nun ein Transfer der
theoretischen Ergebnisse auf Praxisbeispiele aus der Metropolregion Bremen-Oldenburg vorgenommen. Hieraus sollen induktiv allgemeine praktisch-konzeptionelle Implikationen respektive eine weitergehende Systematisierung für die regionale Markenführung abgeleitet werden. Es werden dabei
die Aussagen- und Argumentationskonzepte der Dachmarke EWE mit den
Regionaltochtermarken EWE TEL und nordcom des EWE-Konzerns (Oldenburg), der Dachmarke Rügenwalder Mühle der Carl Müller GmbH Co.
KG Wurstfabrik (Bad Zwischenahn) und der Regionalmarke Haake-Beck
des InBev-Konzerns (Bremen) systematisch untersucht und strukturiert. Im
Fokus stehen folgende zentrale Fragen:
−
Welchen Geltungsbereich hat die Marke?
−
Was sind die wichtigsten Argumentationsstränge in der
Kommunikation? Wie werden die Marken positioniert?
−
Wie ist der Stil/die Tonalität der Kommunikation?
Dabei wurde bei der Datensammlung neben den Quellen Mitarbeiterzeitungen und Fach-/Presseartikel maßgeblich auf den Internetauftritt und die Mediendatenbank der Unternehmen zurückgegriffen.
4.2 Fallbeispiele des EWE-Konzerns: EWE, EWE TEL und nordcom
4.2.1
EWE
„Als fünftgrößtes deutsches Energieunternehmen ist EWE in der Ems-Weser-Elbe-Region, in Brandenburg, auf der Ostseeinsel Rügen und in Westpolen tätig. Der EWE-Konzern bietet ein breites Spektrum an Dienstleistungen rund um Strom, Erdgas, Telekommunikation, Informationstechnologie
341
und Umwelt. Zum Konzern gehören neben der EWE AG mit Hauptsitz in
Oldenburg weitere Tochter- und Beteiligungsunternehmen22. Der EWEKonzern beschäftigt mehr als 5 400 Mitarbeiter und setzte im Geschäftsjahr
2005 7,4 Mrd. Euro um. Eigentümer der EWE AG sind die Landkreise und
Städte zwischen Ems, Weser und Elbe über den Ems-Weser-Elbe Versorgungs- und Entsorgungsverband. (…) EWE gehört zu den großen Unternehmen in der Region und trägt deshalb Verantwortung nicht nur als Energiedienstleister, sondern auch als bedeutender Arbeitgeber, Auftraggeber,
Investor und Partner der Kommunen und Landkreise. Gegen den Trend
schafft EWE neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze und bildet über den eigenen
Bedarf hinaus aus. Mehr als 200 Jugendliche absolvieren im Konzern eine
gewerblich-technische oder kaufmännische Berufsausbildung. Auch gesellschaftlich übernimmt EWE Verantwortung und fördert sinnvolle Aktivitäten,
attraktive Veranstaltungen und talentierte Menschen in und aus der Region.
Die EWE Stiftung unterstützt weitere Projekte aus Kunst und Kultur, Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung.“23
Mit diesen einleitenden Worten stellt sich der EWE-Konzern auf seiner Internetpräsenz vor. Dabei wird sofort deutlich, dass die Regionalität neben
Versorgungssicherheit durch ein hochwertiges Leitungsnetz sowie Kunden-,
Familien-, Mitarbeiter- und Umweltorientierung zentraler Bestandteil der
Markenidentität der Dachmarke EWE ist. Hier werden geographische, kulturelle als auch institutionelle Markenherkünfte eingesetzt, um die Dachmarke
EWE regional aufzuladen. Im EWE-Leitbild steht die Region sogar auf gleicher Höhe neben Kunden, Markt und Mitarbeiter.24
Auch in der übrigen Markenkommunikation finden sich eindeutige Hinweise
im Aussagen- und Argumentationskonzept darauf, dass die Dachmarke EWE
auf ihre regionale Markenherkunft hinweist (im hier geltenden Verständnis
von Brand Identity Origin). Die folgende Abbildung 5 gibt einen Einblick
über die aktuelle Imagekampagne anlässlich des 75-jährigen Firmenjubiläums von EWE.
22
u.a. IuK-Töchter EWE TEL und nordcom (Anmerkung J.H.)
23
EWE 2006a.
24
Vgl. EWE 2006b.
342
Positionierungsargument Tradition/Historie
Positionierungsargument Sicherheit
Positionierungsargument Norddeutschland
Positionierungsargument Nähe
Abb. 5
Imagekampagne Print EWE 2005: „In der Region – für die Region!“25
Quelle: EWE 2006c.
Die Positionierungsargumente in der regionalen Markenführung spiegeln
sich in der Dachmarke EWE idealtypisch wider: Tradition/Historie, Sicherheit, Norddeutschland/Heimat, Nähe/Geborgenheit sowie Leistungsfähigkeit,
Innovation und Nachhaltigkeit. Zu diesem Zweck wird zwischen dem Regionenimage und dem Leistungsbündel eine Passung hergestellt, indem die
Facetten der norddeutschen Region „energiegeladen“ dargestellt werden
(Wind, Wasser, Sonne und Umwelt). Hierdurch ist im Akzeptanzkonzept der
Marke eine Markentonalität angelegt, die einen positiven symbolisch-emotionalen Imagetransfer der natürlichen Umweltressourcen auf die Versorgung
mit Strom, Erdgas, Wasser und IT-Lösungen beim Konsumenten vorbereitet.
Das Gelingen dieser Irradiation gilt zweifelsohne als eine notwendige Voraussetzung zur regionalen Aufladung von Marken in der Kommunikation.
Abgerundet wird diese regionale Markenidentität einerseits durch die Förderung von erdgasbetriebenen Fahrzeugen und die EWE-NaturWatt GmbH.
25
Vernachlässigt wird an dieser Stelle die Darstellung der Imagekampagne für die Region
Brandenburg/Rügen Nord-Vorpommern.
343
Seit 1998 liefert EWE-NaturWatt ausschließlich Strom aus Sonne, Wind und
Wasser für gut zwei Euro mehr im Vergleich zum allgemeinen Tarif. Andererseits wird mit einem Demarketing-Ansatz26 auf die Schonung der natürlichen und finanziellen Ressourcen hingewiesen: Das EWE-Energie-Sparbuch
für Verbraucher bietet dafür zahlreiche Tipps zum Energiesparen.
Eine im Frühjahr 2005 durchgeführte Markenstudie27 kam zu dem Ergebnis,
dass die Dachmarke EWE als sehr vertraut und nah am Kunden wahrgenommen wird. Diese Nähe werde vor allem durch zahlreiche EWE-ServicePunkte in der Region, durch die seit Anfang des Jahres 2006 an alle Haushalte im EWE-Gebiet verteilten EWE-Infobriefe sowie eine Vielzahl von
Sponsoringaktivitäten im Bereich Kultur, Sport, Bildung und Wissenschaft
erzielt (vgl. Abbildung 6). Die meisten Kunden schätzten diese Aktivitäten,
würden ihren Förderungsgedanken für die Region erkennen und dankten es
dem Unternehmen mit einer positiven Markenbewertung. EWE wird sogar in
Zukunft noch intensiver als bisher den Kunden in den Fokus aller Überlegungen mit einer Neuausrichtung der Marketing- und Vertriebsstrategie
stellen.28 Darunter fiele z.B. ein strategisches Vertriebssteuerungskonzept,
welches es erlauben soll, noch effektiver auf Privat- und Geschäftskunden
akquisitorisch und bindend zuzugehen. Den unterschiedlichen Bedürfnissen
beider Geschäftsbereiche solle somit mehr Rechnung getragen werden.
26
Das Demarketing zielt auf eine Reduzierung der Nachfrage nach bestimmten Gütern ab
(z.B. Tabakwaren, Rohöl oder Strom).
27
Vgl. EWE 2006d, S. 14 u.15.
28
Vgl. EWE 2006e, S. 6-8.
344
Kundenorientierung/-information
(Bsp. u.a. ServicePunkte und Infobrief)
(EWE-Cup)
Sport
(Bsp. u.a. [Spitzen]-Sportler im
Bereich Segeln, Surfen,
Basketball [EWE-Baskets],
Handball sowie Kinderfußball)
Wissenschaft
(Bsp. Trendforum
Interne Kommunikation)
Soziales Engagement
Sucht- und Gewaltprävention in Schulen
Kultur
(Bsp. Filmfest Oldenburg)
Nachhaltigkeit
(Bsp. u.a. EWE-NaturWatt, Förderung von
Erdgasfahrzeugen u. Energiesparbuch)
Abb. 6
Auswahl von Präsenz und Förderung in der Region
Quelle: EWE 2006f, Hunte Report 2006, S. 11 und eigene.
345
4.2.2
EWE TEL und nordcom
Analog zur Muttermarke EWE haben sich die IuK29-Tochtermarken EWE
TEL und nordcom ähnlich markenstrategisch regional aufgestellt.
„Die EWE TEL GmbH ist der junge Telekommunikations-Dienstleister mit
Sitz im Nordwesten. Das 100-prozentige Tochterunternehmen der EWE
Aktiengesellschaft ist mit einem klaren Ziel angetreten: schneller, besser und
näher zu sein. Schneller bei den Kunden, besser in den Lösungen und näher
an den Bedürfnissen der Menschen in der Region. Gestartet im September
1996 ist EWE TEL mit 910 Mitarbeitern heute ein wichtiger Arbeitgeber in
der Region. Zu EWE TEL gehört auch die starke Bremer Marke nordcom30.“31
Bei der Gründung der EWE TEL GmbH 1996 ging es vor allem darum, für
einen vollständigen Telekommunikationswettbewerb in einer Region zu
sorgen, in der andere Telekommunikations-Unternehmen vielleicht erst spät
oder auch gar nicht investiert hätten.32Aufbauend auf dem Steuerungs- und
Überwachungsnetz der Strom- und Gasleitungen der EWE konnte schon
damals auf ein eigenes Netz zurückgegriffen werden, das bis heute stetig
ausgebaut wird. An diesem Ansatz der Dynamik und Schnelligkeit nach der
Liberalisierung des Telekommunikations-Marktes entfaltet sich ein besonderes regionales Alleinstellungsmerkmal: Wir tun Gutes für die Region. Produktpolitisch drückt sich die regionale Verbundenheit z.B. durch den Telefontarif „Hallo Nachbar“ aus, der mittlerweile auch markenübergreifend
kostenfreie Gespräche zwischen EWE TEL- und nordcom-Kunden ermöglicht. Im Gegensatz zum Wettbewerb wurde damit ein besonders einfaches
und transparentes Tarifmodell entwickelt und kommuniziert. Das Engagement für die Region zeigt sich u.a. in dem Sponsoring für den Fußballverein
SV Werder Bremen, dem Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg, den
EWE TEL Speedy´s und zahlreichen anderen geförderten Institutionen (vgl.
Abbildung 7). Bei der Analyse der EWE TEL-Kommunikationsinhalte fiel
insgesamt jedoch auf, dass die Marke mit Regionalität nicht in dem Maß
29
IuK = Information- und Kommunikationstechnologie.
30
Hinzu kommen im Portfolio noch die regionalen Marken BREKOM, osnatel, htp und
teleos.
31
EWE TEL 2006a.
32
Vgl. EWE TEL 2006b, S. 2. Allein in dieser kurzen Zielformulierung wird zweimal ein
regionaler Bezug hergestellt.
346
aufgeladen ist, wie es bei der Marke EWE der Fall ist. Aus markenstrategischer Sicht erscheint eine Verstärkung der Betonung auf die regionale Ausrichtung der Marke EWE TEL empfehlenswert, gerade wenn für die Zukunft
folgendes Ziel definiert ist: „EWE TEL wird sicher weiter eine Vorreiterrolle
in der regionalen Telekommunikations-Branche einnehmen; längerfristig
verfolgen wir das Ziel, die Telekom zu überholen und stärkster Anbieter in
der Region zu werden.“33
Hallo Nachbar-Tarif
Sponsoring (Bsp. u.a. SV Werder Bremen)
(kostenfreies Telefonieren
zwischen EWE TEL-Kunden,
auch markenübrgreifend zu
nordcom-Kunden)
EWE TEL Speedy´s beim
Drachenbootrennen
EWE TEL
nordcom
Positionierungsargument:
Vertrauen und Nähe
vermittelt durch
besseren
Kundenservice
und
Engagement in
Bremen
Relaunch Oktober 2006
(Logo jetzt in Bremer
Landesfarben rot und weiß)
Abb. 7
Neue Shopgestaltung
(ebenfalls in Bremer
Landesfarben rot und weiß
mit Stehplatzberatung u.
Infodisplays für mehr
Kundennähe)
Sponsoring
(u.a. Bremen Roosters
[Basketball] und Viertelfest)
Einblick in die regionale Verankerung von EWE TEL und nordcom
Quelle: EWE TEL 2006c, S. 4, 6, 12 u. 13, Pressehaus Bremen und eigene.
Die regionale Bremer und Bremerhavener Marke nordcom34 bekam im Oktober 2006 sogar aus Gründen einer stärkeren regionalen Aufwertung ein
neues Gesicht. Das Corporate Design wurde verändert. Aus der bisherigen
Erkennungsfarbe blau/sand wurde ein rot/weiß. Somit finden sich nun auch
33
EWE TEL 2006d, S. 5.
34
Der Markenname allein macht den regionalen Geltungsbereich schon deutlich.
347
die Bremer Landesfarben in dem neuen Markenauftritt (vgl. Abbildung 7).
Alles in allem sollte mehr Dynamik und regionale Verbundenheit in den
Bremer Markt gebracht werden. Sogar in den Shops wurden dafür die Sitzgelegenheiten in der Beratung durch Stehtische abgelöst und mehr Möglichkeiten der Kundeninformation auf großflächigen Displays an den Wänden geschaffen. Die Positionierungsargumente, die hinter diesem Markenrelaunch stecken, sind mehr Nähe und Vertrauen, um auf dem Bremer Markt
der Lokalmatador in der Telekommunikation zu werden. Hierfür bekam die
Marke nordcom eine deutlich symbolisch-emotionalere Markenidentität nach
dem Identity Brand Origin-Ansatz: Eine Marke, die zu Bremen gehören soll.
Der neue Claim unterstreicht diesen tieferen regionalen Anspruch: „Vertrauen verbindet.“ In der Relaunchkampagne heißt es: „Darüber spricht ganz
Bremen: die neue nordcom und Ihre Leistungen!“35 Die auch bisher in Bremen präsente Marke EWE TEL (Shops, etc.) wurde dafür mehr in der Kommunikation nach außen auf dem Bremer Markt zurückgenommen. Die Rollenverteilung der Marken im EWE- Markenportfolio wurde dadurch für
mehr Durchschlagskraft am Markt konsistenter.36 nordcom bietet zudem
seine Leistungspakete zu geringen Preisen am Bremer Markt an.
4.3 Fallbeispiel Haake-Beck
„Ein weiter Horizont, klare Konturen und eine frische Brise – erleben Sie die
Ursprünglichkeit des Nordens! Hier kommt man zur Ruhe, kann sich zurücklehnen und den Augenblick genießen. Haake Beck – das ist der Genuss
des Nordens: ehrlich, offen und frisch. Entdecken Sie den Geschmack einer
Landschaft, die so ehrlich ist wie ihre Menschen. Ein Geschmack, den man
kennt und den man mag. Trotzdem kommt keine Langeweile auf, denn das
Angebot von Haake-Beck ist so individuell und einzigartig wie die Menschen im Norden. Was sie verbindet, ist der Genuss...“.37
Mit dieser Aussage stellt das Unternehmen InBev Deutschland (Bremen)
seine regionale Biermarke Haake-Beck im Rahmen einer neuen Kampagne
seit Mai 2006 vor und positioniert sie damit als ein „echtes“ Urgestein aus
35
nordcom 2006.
36
Vgl. dazu auch allgemein zur konsistenten Markenportfolioplanung Raabe 2004,
S. 853-877.
37
InBev 2006b.
348
dem Norden in einzigartiger „Steinie“-Flasche mit den Markenwerten Echtheit, Ehrlichkeit und Authentizität (vgl. Abbildung 8).38
Auch dieses eher in Bezug auf Tonalität emotional als funktional angelegte
Aussagen- und Argumentationskonzept der Marke macht deutlich, dass
Norddeutschland mit seiner Kultur und seinen Institutionen die Markenherkunft zentral prägen (entsprechend dem Brand Identity Origin-Ansatz). So
greift die Marke im Rahmen von vielen speziellen Events den Torfkahn oder
die Weser auf (vgl. Abbildung 8).
Kampagne „Echt“
Positionionierungsargumente:
Echtheit, Ehrlichkeit und Authentizität
Event
Haake-BeckTorfkahnRennen®
an Land
Sponsoring des regionalen
Sympatieträgers SV Werder Bremen
Event
Haake-BeckBadeinselRegatta®
auf der Weser
Abb. 8
Kampagne der Regionalbiermarke Haake-Beck
Quelle: InBev 2006a u. 2006b, S. 26.
Auch ist die Marke auf vielen bekannten Festen in Norddeutschland präsent,
wie z.B. auf dem Stoppelmarkt in Vechta, den Stadtfesten in Aurich und
Oldenburg sowie dem Brokser Heiratsmarkt in Bruchhausen-Vilsen oder
dem Freimarkt Bremen.
38
Vgl. InBev 2006c, S. 26.
349
4.4 Fallbeispiel Rügenwalder Mühle
Die Rügenwalder Mühle ist eine nationale Dachmarke, unter der deutschlandweit verschiedene Monomarken vertrieben werden: Rügenwalder Teewurst, Schinkenspicker, Pommersche und Pommern Spiess (vgl. Abbildung
9). Die Marke gehört zu der Klasse der Konsumgüter. Die Wurzeln des Unternehmens befinden sich in Rügenwalde, einem kleinen Ort in Pommern.
Dort wurde 1834 der Betrieb „Rügenwalder Mühle“ von Carl Müller gegründet. Sein Sohn entwickelte schließlich 1903 die bekannte Streichmettwurst.39 Bis 1945 konnte sich in Rügenwalde eine Fleischwarenindustrie
etablieren, deren bekanntestes Produkt die Teewurst war. 1927 wurde der
Begriff Rügenwalder Teewurst als geographische Herkunftsbezeichnung
rechtlich geschützt. Nach dem zweiten Weltkrieg begann sich der Betrieb in
Niedersachsen neu anzusiedeln: 1946 erst in Westerstede, dann 1956 in Bad
Zwischenahn, wo das Unternehmen bis heute produziert. Mit einem Umsatz
von 135 Millionen Euro (2005) ist die Rügenwalder Mühle einer der größten
Arbeitgeber in der Region neben EWE. Rund 400 Beschäftigte arbeiteten
Ende 2005 für Rügenwalder.40
Diese Unternehmenshistorie macht deutlich, dass die Markenidentität der
Marke Rügenwalder Mühle stark durch ihre geschichtliche Markenherkunft
geprägt ist. Das Unternehmen beruft sich heute noch auf seine Wurzeln und
bewirbt seine Historie, damit es sich von anderen Fleischfabrikanten durch
regionale Aufladung der Marken distanzieren und absetzen kann.
In der Markenkommunikation finden sich dementsprechend deutliche Hinweise darauf, dass Rügenwalder kontinuierlich auf seine Historie hinweist.
Nimmt man z.B. die Fernsehspots, so kann man in jedem dieser Spots deutliche Beispiele regionaler Aufladung erkennen. So ist die „Rügenwalder Mühle“ im Mittelpunkt der Werbung (vgl. Abbildung 9): Es wird eine typisch
ländliche und idyllische Landschaft in der Markenkommunikation mit aufgenommen, in der die Menschen außerdem historische Landkleidung tragen.
Diese ländliche, natürliche Umgebung, die mit dem Ort Rügenwalde in Verbindung gebracht wird, soll dem Konsumenten Vertrauen in die Marke geben – in die gute heile Welt von früher. Das natürliche und ländliche Umfeld
wird in der Kommunikation betont und soll auf das Produkt übertragen wer-
39
Vgl. Rügenwalder 2006.
40
Vgl. Gerber 2006, S. 36.
350
den, damit der Konsument automatisch Qualität und Natürlichkeit mit dieser
Marke assoziiert. Dies wird mit dem Hinweis auf die lange Tradition des
Unternehmens verstärkt. Hier werden also auch bewusst geographische,
kulturelle und auch institutionelle Markenherkünfte symbolisch-emotional
vermischt und genutzt, um die Marke regional aufzuladen.
Dachmarkenstrategie
Bsp. für Innovation
Posititionierungsargumente: von natürlich und traditionell über hausgemachte Qualität bis hin zur heilen Welt
und den schönen Kindheitserinnerungen an die „gute, alte Zeit“ in „Rügenwalde“
Abb. 9
Markenstrategie und -kommunikation Rügenwalder Mühle
Quelle: Rügenwalder 2006, Absatzwirtschaft 2003, S. 78, Gerber 2006,
S. 37 und Lebensmittelzeitung 2006, S. 1.
Eine weitere Bestätigung findet sich auf der Internetpräsenz des Unternehmens und mit Blick auf die Verpackungsgestaltung. Auch hier wird bewusst
mit der Geschichte und der Qualität des Unternehmens geworben. Die „Rügenwalder Mühle“ ist überall deutllich als Key Visual zu erkennen. Sie
transportiert neben der regionalen Verortung ins idyllischen Rügenwalde als
„heile Welt-Dorf von früher“ zugleich das Positionierungsargument einer
handwerklichen, traditionellen und hausgemachten Qualität, schöne Kindheitserinnerungen und Natürlichkeit.
351
Das wirklich interessante an diesem Beispiel ist im Vergleich zu den oben
aufgeführten Beispielen des EWE-Konzerns, dass Rügenwalder mit keiner
real existierenden Region wirbt, sondern mit einer Region, die in der heutigen Zeit namentlich nur noch in Vorstellungsbildern gegenwärtig ist. Durch
die gemeinsame Markentonalität der Dachmarke Rügenwalder Mühle über
alle Monomarken hinweg wird ein identischer funktionaler und emotionaler
Nutzen aufgebaut und wiederum die Dachmarke konsequent gespeist. An
diesem Fallbeispiel zeigt sich eine weitere Anforderung bei der regionalen
Markenführung: die ständige Aktualisierung der Marke durch integrierte
Markenkommunikation und Innovation. Für die Rügenwalder Mühle sei an
dieser Stelle das Beispiel „Frische-Becher“ (September 2005 mit Line Extension Oktober 2006) für die Marke Rügenwalder Teewurst oder die Rügenwalder Teewurst „Aktiv“ für Gesundheitsbewusste (Juli 2006) genannt
(vgl. Abbildung 9). Das Unternehmen hat für seine konsequente Dachmarkenstrategie bisher diverse Marken-Awards erhalten.
5 Synthese der Kommunikationsanalyse und Abstraktion
von Herkunftstypen für die regionale Markenführung
Die oben aufgeführten Beispiele zeigen einen Ausschnitt von Differenzierungsmöglichkeiten, die für die regionale Markenführung vorstellbar sind.
Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, diese zu strukturieren
und allgemeingültige Anforderungen für die regionale Markenführung abzuleiten.41
Das vorangehende Fallbeispiel des Unternehmens EWE mit den vorgestellten regionalen Marken EWE, EWE TEL und nordcom zeigt, dass hier eine
regionale Markenaufladung im Sinne eines regionengebundenen Herkunftskonzepts (Typ I) vorliegt. Die Marke ist mit der Region fest verankert und
kommuniziert diese Verbundenheit unmissverständlich durch intensive
Kommunikation und Engagement für die Region. Elemente der Region werden in die Marke transferiert und finden sich in dem Markenauftritt wieder.
Die geographische Lage sowie kulturelle, institutionelle und historische
Eigenheiten der Region fließen in die Marke mit ein - sind hier sozusagen
41
Vgl. zu Vorarbeiten Gerlach 2006, S. 63 ff.
352
„eins“ mit der Marke. Dieses regionengebundene Herkunftskonzept ist eher
auf regionalen und nationalen Absatzmärkten sinnvoll - allein schon aufgrund eines vorgegebenen regional beschränkten Geltungsbereichs. Das
Konzept kann generell auf alle Gütergruppen angewandt werden. Als besonders geeignet erscheinen z.B. versorgungsnahe Gebrauchsgüter mit Vertrauens- und Erfahrungseigenschaften für das Wohnen/den Haushalt.
Das Fallbeispiel Haake-Beck kann unter einem unspezifischen Herkunftskonzept (Typ II) subsumiert werden. Hiernach gibt es keine spezifischen
geographischen Abgrenzungen einer Region. Hier wird nur mit allgemeinen
Regionentypen geworben, z.B. der Norden wie in diesem Fall. Der Geltungsbereich der Marke ist durch das Produkt nicht a priori technisch und
ökonomisch eingeschränkt. Durch ein solches Konzept wird es dem Konsumenten möglich gemacht, sich mit dem Produkt oder der Marke allgemein
zu identifizieren. Er kann seine persönlichen Erfahrungen beispielsweise
über die norddeutsche Region auf die Marke übertragen und in seinem persönlichen Wahrnehmungsraum konkret verorten. Der Konsument kann dadurch die Marke mit der eigenen kleineren Heimregion verbinden. Ein Beispiel hierfür ist auch die Marke „Landliebe“. Das Konzept kann grundsätzlich auf Konsumgüter jeglicher Art angewandt werden, insbesondere in Produktgruppen, die eine besondere regionale Verbindung aufbauen können,
etwa Ernährungsprodukte. Auf der anderen Seite können aber nicht alle
Produkte mit jeder beliebigen unspezifischen Region verbunden werden.
Den Erfolg des Fallbeispiels Rügenwalder Mühle kann man einem nostalgiegebundenen Herkunfts-Konzept (Typ III) zuordnen: Das Konzept beruht
auf vor allem nur in Vorstellungsbildern existenten Regionen, die oftmals
einen historischen Bezug aufweisen und in der Gegenwart nicht mehr in
dieser Form real zuzuordnen sind. Neben der Rügenwalder Mühle ist dafür
das Markenkonzept von Marlboro ein Beispiel („Der wilde Cowboy-Westen“). Die Markenherkunft ist hauptsächlich in der guten, alten Vergangenheit verankert. Aus dieser stammen auch die Werte und Bilder, die genutzt
werden, um die Marke regional zu unterfüttern. Verbrauchern wird es dadurch möglich, sich mit Marken vergangenheitsbezogen zu identifizieren
und sich die „Heimat von früher“ heute im persönlichen Wahrnehmungsraum zu Eigen zu machen. Tradition wird im positiven Sinn mit Erfahrung
und Qualität verbunden. Für ein solches Konzept eignen sich vornehmlich
Fast Moving Consumer Goods mit entsprechend großem Werbedruck und
regelmäßig neuen Produkten, die nicht nur in einer bestimmten Region „ver-
353
standen“ werden. Das ist nach Musiol unabdingbar und er schildert zugleich,
was im entgegensetzten Fall passieren kann: „Denken Sie nur an den Bären
von Bärenmarke. Der dachte auch einmal, dass ihm die wunderschöne Alpenwelt ganz allein gehört und seine Heimat ist. Dann kam eine lila Kuhl mit
großem Portemonnaie und schon gehörten ihr die Alpen.“42
Komplettierend zu diesen möglichen Typen von regionalen Markenkonzepten muss noch ein kompetenzbezogenes Herkunftsverständnis (Typ IV)
genannt werden. Bei diesem Konzept wird das Wissen und die Erfahrung
einer bestimmten Region ganz speziell für die Markenkompetenz genutzt. Es
handelt sich dabei in erster Linie um Gebiete mit einer langen Tradition in
bestimmten unternehmerischen Bereichen. So genießt Solingen Kompetenz
in der Stahlverarbeitung oder Meißen in der Porzellanmanufaktur. Es kann
sich dabei um eine kleine Region, z.B. eine Stadt oder ein Ballungszentrum
handeln, aber auch um größere Regionen wie das Silicon Valley, das für
erstklassiges Computer-Know-How steht. Das Konzept kann auf jegliche Art
von Gütern angewandt werden. Allerdings muss die Regionenkompetenz
breit bekannt sein. Erfreuen sich diese Regionen auch internationaler Bekanntheit, kann dieses Konzept auch international bzw. global angewandt
werden. Die französische Region Champagne ist sehr bekannt für ihren besonderen Sekt: den Champagner. Die Region Oldenburg-Bremen ist beispielsweise bekannt für ihren Grünkohl und dem Kohl- und Pinkelessen in
der kühleren Jahreszeit, der/das jedoch schon in Hannover kaum mehr geläufig ist.
Folgende Abbildung 10 fasst die Systematisierung der Differenzierungspotenziale durch regionale Markenführung im Kontinuum zwischen dem Pol
„Aus der Region – für die Region“ und „regionales und überregionales Spezialitätenmarketing“ zusammen.
Diese in diesem Rahmen nur kurz erläuterbaren Herkunftskonzepte können
nicht ganz trennscharf voneinander betrachtet bzw. genutzt werden. Es wird
bei allen auf eine regional aufgeladene Marke aufgebaut. Auch können unter
Umständen mehrere Konzepte gleichzeitig genutzt werden.
42
Musiol 2006, S. 2.
354
Regionale Marke i.e.S.
„Aus der Regionfür die Region“
Regionengebundener
Markenherkunfts-Typ I
Regionenunspezifischer
Markenherkunfts-Typ II
Nostalgieorientierter
Markenherkunfts-Typ III
Kompetenzorientierter
Markenherkunfts-Typ IV
Regionale Marke i.w.S.
Regionales und
überregionales
Spezialitätenmarketing
Abb. 10 Klassifizierung von regionalen Marken – Teil 2
Quelle: Eigene.
6 Fazit
Für den Aufbau starker Marken ist ein zielgerichtetes Markenmanagement
notwendig. Ein erfolgreiches Markenmanagement zeichnet sich durch die
Schaffung eines positiven, relevanten und unverwechselbaren Image einer
Marke bei den Konsumenten aus. Zu dem Aufbau starker Marken gibt es
verschiedene Ansätze. Im vorliegenden Artikel wurde der identitätsbasierte
Ansatz als Möglichkeit zum strategischen Aufbau starker Marken thematisiert. Die Herkunft steht dabei im Mittelpunkt der Untersuchung. Anhand
dieser Herkunft wurden über die Analyse von Fallbespielen aus der Metropolregion Bremen-Oldenburg Möglichkeiten aufgezeigt, wie Marken regional eingefärbt werden können und dazu genutzt werden, um sie von anderen
Marken dadurch erfolgreich zu differenzieren. Gerade in Zeiten zunehmender Globalisierung und globaler Marken liegt in der regionalen symbolisch-
355
emotionalen Markenführung ein großes Potenzial. Von Seiten der Medien
bieten sich hierfür mittlerweile gute Möglichkeiten an, seine Marke „nur“
oder speziell in einem regional begrenzten Raum zu bewerben, z.B. mit dem
Angebot für Nordrhein-Westfalen „Ganz groß raus kommen“ der ARD Werbung Sales & Services43 oder durch Möglichkeiten der Regionalbelegungen
im Stern nach den Nielsen-Gebieten44. Auch langjährig in der Region verankerte Werbeagenturen können sehr gute Impulse bei der regionalen Aufladung einer Marke schöpfend aus langer Erfahrung geben.
Wer markenstrategisch „König“ sein möchte, sollte nicht nur das ganze Land
oder die Welt im Blick haben, sondern an die Kraft in und aus der Region
denken. Versteht man Marketing im Sinne einer konsequenten Marktorientierung mit gesellschaftlicher Verantwortung, so ist das eingangs verwendete
Motto dieses Artikels „Daheim bin ich König“ natürlich nicht aus Unternehmenssicht zu interpretieren. Der Kunde ist der König. Diese einzige
Quelle für den ökonomischen Erfolg eines Unternehmens muss man sich
stets vor Augen halten - gerade bei einer rein regional ausgerichteten Marke.
Die Menschen richten sich immer in einer Region ein und suchen darin nach
Orientierungshilfen, die insbesondere auch von regionalen Marken auf vielfältige Art ausgehen können. Aber auch darüber hinaus liefert ein regionaler
Bezug für überregional distribuierte Marken strategische Differenzierungsvorteile.
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43
Vgl. dazu ARD Werbung Sales & Services 2006.
44
Vgl. dazu G+J media 2005.
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Autorinnen und Autoren
Bonn, Udo, Dipl.- Oec.
Udo Bonn ist seit September 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Volkswirtschaftslehre, Fachgebiet Wirtschaftstheorie bei Prof. Dr. H. Welsch.
Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Geldpolitik,
sowie der Entwicklung der EU-Länder nach der einheitlichen Geldpolitik.
Hierbei liegt der Fokus auf konvergente/divergente ökonomische Entwicklungen und deren Messbarkeit.
Kontakt: [email protected], URL://www.uni-oldenburg.de/wt/403.html. Institut für Volkswirtschaftslehre und Statistik, Carl von Ossietzky
Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg
Chege, Victoria LL.M, LL.M Eur.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Europäisches Wirtschaftsrecht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten Gleichheit und Diskriminierung im Recht der EG; Europäisches Wirtschaftsrecht. Studium der Rechtswissenschaften – Schwerpunkt
Völkerrecht.
Kontakt: [email protected], Institut für Rechtwissenschaften, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Duensing, Martin, Dip.-Vw.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Volkswirtschaftslehre und
Statistik, AB Finanzwissenschaft, an der Carl von Ossietzky Universität
Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten Besteuerung und Familienökonomie. Studium der Volkswirtschaftslehre. Berufliche Erfahrungen als
Mitarbeiter an HWWA in Hamburg in Kooperation mit der Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit (GTZ).
360
Kontakt:
[email protected],
URL://www.uni-oldbenburg.de/fiwi, Institut für Volkswirtschaftslehre und Statistik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg
Eiselt, Andreas, Dipl.-Kfm.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen der Universität Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten nationale und internationale Rechnungslegung, Bilanzpolitik
und Jahresabschlussanalyse. Studium der Betriebswirtschaftslehre mit juristischem Schwerpunkt. Berufliche Erfahrungen als Prüfungsassistent bei einer
mittelständischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.
Kontakt: [email protected], www.uni-oldenburg.de/rewe,
Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik, Universität
Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg
Fink, Matthias, Dr. rer. soc. oec.
Universitätsassistent und Habilitand am Institut für Betriebswirtschaftslehre
der Klein- und Mittelbetriebe und Senior Researcher am RiCC – Forschungsinistitut für Kooperationen und Genossenschaften der Wirtschaftsuniversität
Wien. Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Entrepreneurship an der Carl von
Ossietzky Universität Oldenburg. Studium der Betriebswirtschaftslehre an
der Wirtschaftsuniversität Wien. Stipendiat der Österreichischen Akademie
der Wissenschaften.
Kontakt:
[email protected],
URL:
http://www.wuwien.ac.at/kmb/. Institut für Betriebswirtschaftslehre der Klein- und Mittelbetriebe, Wirtschaftsuniversität Wien, Augasse 2-6, A-1090 Wien, Österreich
Graue, Bettina, Dr. jur.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Arbeitsrecht der Carl von
Ossietzky Universität Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten Arbeitsrecht, Öffentliches Dienstrecht, Europarecht, Gleichstellungsrecht. Studium
der Rechtswissenschaften an der Universität Bremen. Tätigkeiten in der
Gerichtsbarkeit und Lehre an der Universität Bremen, Fachhochschule für
361
öffentliche Verwaltung Bremen und im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen für Betriebs- und Personalräte, Frauenbeauftragte und Mitarbeiter/
innen.
Kontakt: [email protected]; Institut für Rechtswissenschaften,
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Uhlhornsweg, 26111 Oldenburg
Hammermeister, Jörg, Dipl.-Oec.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Absatz und Marketing an
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit dem Forschungsschwerpunkt Integrierte Markenführung. Studium der Wirtschaftswissenschaften
und Betriebswirtschaftslehre. Berufliche Erfahrungen als Angestellter der
BMW AG, als Mitarbeiter der ecco Unternehmensberatung GmbH und als
Lehrbeauftragter in diversen Studiengängen.
Kontakt: [email protected], URL://www.uni-oldbenburg.de/marketing, Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111
Oldenburg
Heinicke, Thomas, Dr. iur., LL.M.
Rechtsreferendar beim OLG Oldenburg und Tutor an den Lehrstühlen für
Arbeitsrecht und für Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Universität Oldenburg. Studium der Rechtswissenschaft in Düsseldorf, Köln und Kapstadt.
Promotion an der Universität zu Köln zu einem umweltverfassungsrechtlichen Thema.
Kontakt: [email protected], URL:www.uni-oldenburg.de/fk2/InstRW/arre/18958.html, Institut für Rechtswissenschaften, Postfach 2503, 26111 Oldenburg
Höner, Dirk, Dipl.-Kfm.
Doktorand am Lehrstuhl für Unternehmensführung und betriebliche Umweltpolitik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Studium der
Betriebswirtschaftslehre an der Universität Oldenburg und der University of
Calgary, Kanada. Praktische Erfahrungen in der externen Unternehmensbe-
362
ratung und in der Meta-Beratung sowie Lehrbeauftragter im Bereich Unternehmensführung. Mitglied der Forschergruppe Consulting Research (CORE)
an der Universität Oldenburg.
Kontakt: [email protected]
Kastrup, Julia, Diplom-Oecotrophologin
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität Hamburg; von Februar 2002 bis Mai 2006 am Fachgebiet Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Forschungsschwerpunkte: Berufliche Umweltbildung und Umweltkommunikation in Unternehmen, Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung sowie Bedarfsanalysen in der beruflichen Bildung. Studium der
Oecotrophologie an der Fachhochschule Münster. Berufliche Erfahrungen
als wissenschaftliche Beraterin bei der Behörde für Stadtentwicklung und
Umwelt der Freien und Hansestadt Hamburg im Rahmen der Initiative
„Hamburg lernt Nachhaltigkeit“ sowie als persönliche Assistentin des geschäftsführenden Vorstandes und Mitarbeiterin im Projektmanagement beim
Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management e. V.
(B.A.U.M.).
Kontakt: [email protected], URL:// http://www.ibw.uni-hamburg.de
/personen/mitarbeiter/Kastrup/index_kastrup.html, Institut für Berufs- und
Wirtschaftspädagogik, Universität Hamburg, Sedanstraße 19, 20146 Hamburg
König, Susanne, Dr. rer. Pol. (Dipl.-Kffr./Dipl.-Hdl.)
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Organisation und Personal an
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie hat sich in mehreren empirischen Forschungsprojekten mit Fragen der Personalauswahl und -entwicklung beschäftigt. Weitere Forschungsschwerpunkte: Verhandlungskulturen, industrielle Beziehungen, psychologische Vertragsforschung, Gleichstellungspolitik, Folgen des demographischen Wandels für den Arbeitsmarkt.
Kontakt: [email protected], URL://www.uni-oldenburg.de/orgpers/, Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik,
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg
363
Kraus, Sascha, Dr. rer. soc. oec.
Assistent und Habilitand am Lehrstuhl für Entrepreneurship an der Carl von
Ossietzky Universität Oldenburg. Studium der Betriebswirtschaftslehre an
den Universitäten Köln und Siegen, der University of California, Los Angeles (USA) und der Hogeschool Zeeland (NL). Promotion an der Universität
Klagenfurt. Lehrbeauftragter an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder, der Wirtschaftsuniversität Wien und der Hochschule Vechta.
Kontakt: [email protected], URL: http://www.uni-oldenburg.de/fk2/entrepreneurship. Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503,
26111 Oldenburg
Mahlmann, Heidemarie, Dipl. Pädagogin
Mitarbeiterin im Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) und
in der Stabsstelle Personal- und Organisationsentwicklung der Universität
Oldenburg.
Kontakt: [email protected]
Menz, Tobias, Dipl.-Vw.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie am Institut für Volkswirtschaftslehre und Statistik der Carl von Ossietzky Universität
Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten Demographischer Wandel und
Umweltökonomie. Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität
Konstanz inklusive zweier Austauschsemester an der Université du Québec à
Montréal in Kanada.
Kontakt: [email protected], URL:www.uni-oldenburg.de/wt/12164.html, Institut für Volkswirtschaftslehre und Statistik, Carl von
Ossietzky Universität Oldenburg, 26111 Oldenburg
Mester, Britta Alexandra, Ass. jur.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Rechtsinformatik an der Carl von Os-
364
sietzky Universität Oldenburg. Referentin im Rahmen des Erasmus/Sokrates
Programms „Dozentenmobilität“ an der Partneruniversität Le Havre in
Frankreich, Lehrveranstaltungen, Veröffentlichungen und Vorträge bei nationalen und internationalen Konferenzen u.a. zu den Themen: Datenschutz,
individuelles und kollektives Arbeitsrecht, Wettbewerbsrecht, Online-Recht.
Vorsitzende des Fachausschusses Arbeitsrecht der Deutschen Gesellschaft
für Recht und Informatik (DGRI), 2003-2005 Frauenbeauftragte des Institut
für Rechtswissenschaften, seit 9/2003 Datenschutzbeauftragte der Carl von
Ossietzky Universität Oldenburg..
Kontakt: [email protected], URL://www.uni-oldbenburg.de,
Institut für Rechtswissenschaften, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg,
Postfach 2503, 26111 Oldenburg
Meyerholt, Ulrich, Dr. jur., Diplom Kaufmann
Akademischer Rat am Lehrstuhl für Öffentliches Wirtschaftsrecht. Arbeitsschwerpunkte liegen im Umweltrecht, im Wirtschaftsverwaltungsrecht, im
Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrecht und im Presserecht. Forschungsthemen liegen im Bereich Umweltrecht, Wirtschaftsrecht und Presserecht.
Kontakt: [email protected]. Institut für Rechtswissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503,
26111 Oldenburg.
Morana, Romy, Dr.rer.pol.
Freiberuflich tätig mit den Forschungsschwerpunkten Kreislaufwirtschaft,
Produktkreisläufe und Betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement. Nach einer
Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau Studium der Betriebswirtschaft an der Technischen Universität Berlin sowie eines interdisziplinären
Aufbaustudium Umweltwissenschaften an der Freien Universität Berlin.
Berufliche Erfahrungen in der Umweltberatung kleiner und mittelständischer
Unternehmen und als Lehrbeauftragter in diversen Studiengängen und Hochschulen.
Kontakt: Morana @gruen-der-zeit.de
365
Müller, Sarah, Dipl.-Hdl.
Ausbildung zur Bankkauffrau. Studium des Lehramts an berufsbildenden
Schulen (Wirtschaftswissenschaften, Englisch). Seit September 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin im Fachgebiet Berufs- und
Wirtschaftspädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Arbeitstitel der Promotion: Methoden zur Erfassung epistemologischer Überzeugungen von Studierenden – eine empirische Vergleichsstudie.
Kontakt: [email protected], URL://www.uni-oldenburg.de/bwp, Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik, Carl
von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg
Rehling, Mette, Dipl.-Kffr.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Organisation und Personal an
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Personalentwicklung, insbesondere Evaluation und Controlling von Personalentwicklung, Organisationstheorien.
Kontakt:
[email protected],
URL://www.uni-oldenburg.de/orgpers/, Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111
Oldenburg
Reich, Bettina, Dipl.-Oec./Dipl.-Kffr.
Studium der Wirtschaftswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre mit
juristischem Schwerpunkt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
sowie Auslandsstudium an der Universität Paris-Sorbonne im Rahmen eines
Programms mit der Industrie- und Handelskammer Paris. Seit 2000 Mitarbeiterin und seit 2002 Doktorandin am Fachgebiet Öffentliches Wirtschaftsrecht von Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Götz Frank an der Carl von Ossietzky
Universität Oldenburg. Stipendiatin der Heinz-Neumüller-Stiftung im Jahre
2004. Forschungsschwerpunkte: Markenführung und Recht.
Kontakt: [email protected], http://www.uni-oldenburg.de/
fk2/InstRW/oeffwr/1225.html, Institut für Rechtswissenschaften, Carl von
Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg
366
Rubens-Laarmann, Anne, Dipl.-Kauffr.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Weiterbildung, Lehrstuhl
für Organisationsforschung, Weiterbildungs- und Sozialmanagement, Universität Dortmund. Studium der Betriebswirtschaftslehre mit juristischem
Schwerpunkt; Forschungsschwerpunkte: Medienmarketing, Unternehmenskommunikation, Marketing und Gesellschaft. Berufliche Erfahrung als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Marketing der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, im Bereich Marktforschung, Marketingberatung
und Verlagswesen sowie als Lehrbeauftragte in der Weiterbildung an den
Universitäten Oldenburg und Vechta.
Kontakt: [email protected]; URL://www.zfw.uni-dortmund.de,
Zentrum für Weiterbildung, Universität Dortmund, Hohe Str. 141, 44139
Dortmund
Schulz, Ann-Christine, Dipl.-Vw.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Stiftungsprofessur
für Entrepreneurship der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Studium
der Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und
an der University of Glasgow (Schottland). Beratende Tätigkeiten für das
Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Landes SchleswigHolstein. Lehraufträge in Volkswirtschaftslehre und Entrepreneurship.
Kontakt: [email protected], URL://www.uni-oldenburg.de/fk2/
entrepreneurship/
Schulze, Herbert, Dr.rer.pol
Wissenschaftlicher Angestellter im Bereich Organisation und Personal, Carl
von Ossietzky Universität Oldenburg. Lehr- und Forschungsschwerpunkte:
Human Resource Management, Internationales und interkulturelles Personalmanagement. Studium der Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Bremen
und Hamburg. Mehrjährige Tätigkeit in einem deutschen Großkonzern,
mehrjährige Erfahrung mit zahlreichen studentischen Projekten in Unternehmen.
Kontakt: [email protected]
367
Siehlmann, Günter, Dr. phil.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten Bildung für nachhaltige Entwicklung, Schulentwicklung,
betriebliche Weiterbildung und Beratung. Studium der Wirtschaftswissenschaften und Erziehungswissenschaften. Berufliche Erfahrungen als Geschäftsführer einer Bildungseinrichtung, Trainer und Berater für Unternehmen und Schulen.
Kontakt: [email protected], URL://www.uni-oldenburg.de/bwp, Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik,
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg
Simmel, Annika, (Ass. jur.; Dipl. Kauffrau cand.)
Referentin beim Senator für Wirtschaft und Häfen in Bremen mit den Arbeitschwerpunkten Bilanz- und Finanzrecht, Aufsicht nach dem Börsen- und
dem Unternehmensbeteiligungsgesetz, Betreuung von Aufsichtratsmandaten,
Rechtsangelegenheiten und betriebswirtschaftliche Beratung. Bis Juli 2006
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Weiterbildung und Bildungsmanagement (we.b), Prof. Dr. Anke Hanft und dem Institut für Bürgerliches Recht und Handels- und Gesellschaftsrecht, Prof. Dr. Jürgen Taeger
an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Projekt Mawest.
Kontakt: [email protected]
Tredop, Dietmar, Dipl.-Hdl.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten Weiterbildungs-Controlling, Schulautonomie, Wirtschaftsdidaktik. Studium der Wirtschaftswissenschaften, Soziologie und Wirtschaftspädagogik/-didaktik.
Kontakt: [email protected], URL://www.uni-oldenburg.de/bwp/7488.html, Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik, Fachgebiet BWP Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach
2503, 26111 Oldenburg
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Wengelowski, Peter, Dr. rer. pol.
Lehrbeauftragter an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät
II, Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik, Professur
für Organisation und Personal. Hauptamtlicher Dozent und Projektmanager
an der Leibniz-Akademie Hannover. Freiberuflicher Berater in vielfältigen
Change-Projekten. Forschungsgebiete: Human and Organization Development, Wissensmanagement, internationales Management und kontextorientierte Unternehmenssteuerung.
Kontakt: [email protected].
Westhaus, Magnus, Dr. rer. pol.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten Supply Chain Controlling, Supply Chain Management und Controlling. Studium der Wirtschaftswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre.
Berufliche Erfahrungen als Angestellter im logistischen Dienstleistungsbereich und als Lehrbeauftragter in diversen Studiengängen.
Kontakt:
[email protected],
URL://www.uni-oldenburg.de/produktion, Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111
Oldenburg
Wulf, Inge, Dr. rer. pol.
Vertreterin der Professur „Betriebswirtschaftslehre/Unternehmensrechnung“
an der Technischen Universität Clausthal. Nach kaufmännischer Ausbildung
und Praxis in der Industrie, Studium der Wirtschaftswissenschaften in Oldenburg und Exeter (1990-1995), anschließend Promotion zum Thema „Stille Reserven im Jahresabschluss nach US-GAAP und IAS“ im Jahr 2001 an
der Universität Oldenburg (Univ.-Prof. Dr. Laurenz Lachnit), seit 2001 Wissenschaftliche Assistentin bei Univ.-Prof. Dr. Laurenz Lachnit an der Professur für Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen der Carl von Ossietzky
Universität Oldenburg. Die Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Konzernbilanzierung und Internationale Rechnungslegung einschließlich Abschlusspolitik und –analyse sowie Wissensbilanzierung; derzeit Habi-
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litationsvorhaben zum Thema „Abbildung von immateriellen Potenzialen
und Managemententscheidungen“.
Kontakt: [email protected], Tel. (05323) 72-7646, URL://www.ingewulf.de.

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