Mystagogische Sakramentenpastoral

Transcrição

Mystagogische Sakramentenpastoral
Option für eine mystagogische
Sakramentenpastoral
Orientierungsrahmen für die Sakramentenpastoral
im Bistum Hildesheim
Bistum
Hildesheim
INHALT
Vorwort
4 – 7 Einleitung
Gesellschaftlicher Wandel und seine
8 – 10 Auswirkungen auf die Sakramentenpastoral
Ansatz und Stellenwert
11 – 16 einer mystagogischen Sakramentenpastoral
11 – 13
Mystagogische Sakramentenpastoral als
Wagnis für eine neue Gottesverwurzelung
13 – 15
Exilische Mystagogie als Rahmen
mystagogischer Sakramentenpastoral
15 – 16
Mystagogische Sakramentenpastoral und Liturgie
Bausteine auf dem Weg
17 – 31 zu einer mystagogischen Sakramentenpastoral
17 – 18
Mystagogische Sakramentenpastoral
braucht Räume des Glaubens
19 – 20
Mystagogische Sakramentenpastoral
braucht Zeugenschaft
21 – 23
Mystagogische Sakramentenpastoral
braucht Kooperation
24 – 26
Mystagogische Sakramentenpastoral
braucht differenzierte Wege
27 – 31
Praktische Anregungen
32 – 34 Anhang
Analyseraster zur Wahrnehmung von Bedingungsfeldern und
beteiligten Personengruppen in der Sakramentenvorbereitung
35 – 36 Beteiligte
1
VORWORT
Liebe Mitbrüder,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im pastoralen Dienst,
gerne greife ich das Votum des Priesterrates vom 29. Oktober 2002 auf
und setze hiermit das Dokument „Option für eine mystagogische Sakramentenpastoral“ als Orientierungsrahmen für die Sakramentenpastoral
im Bistum Hildesheim in Kraft.
Ein langjähriger Prozess der Vergewisserung, der Verständigung und der
Orientierung ist damit an einem Meilenstein angekommen. Die Mühe dieses Weges hat sich gelohnt. Der
Reichtum der katechetischen Mühen
wurde in seiner Vielfalt und in seinem Gewicht in den Blick genommen.
Nachdrücklich hat mich immer
wieder das persönliche und das gemeinschaftliche Zeugnis für die Weitergabe des Glaubens in der Hinführung zu den Sakramenten beeindruckt. Hier wird Christsein wirklich
gewagt!
Gleichzeitig wurde deutlich, dass
die persönlichen Zeugnisse und katechetischen Konzepte nicht nur einer weiteren Einbettung in eine rapide veränderte Lebenswelt bedürfen,
sondern auch und vor allem einer
Neuorientierung. Von dieser Neuorientierung spricht das vorgelegte Dokument vor allem - eigentlich von
einer Vision: Menschen in das Geheimnis Gottes einzuführen. Dieser
visionäre Aspekt im vorgelegten
2
Orientierungsrahmen hat mir selbst
die Augen geöffnet. Denn was nützen alle Programme, alle katechetischen Curricula ohne diese Vision?
Wofür eigentlich sollten diese Programme einstehen?
Der Prozess Sakramentenpastoral
will die Katechese hinweisen auf den
Kern: Aufbruch zum Geheimnis Gottes. Er hat damit die Mystagogie zum
Maßstab der Neuorientierung gesetzt. Das drückt sich besonders in der
zentralen Stellung der Liturgie in der
Katechese aus. Sie selbst ist dann
nicht nur Feier, sondern sie ist Aufbruch in das Geheimnis. Denn kein
Aufbruch in das Geheimnis, der nicht
vom Geheimnis Gottes selbst seinen
Ausgang nimmt.
Die Vorbereitung auf die Sakramente, besonders der Initiationssakramente, bedarf einer Einführung
in die Feier der Liturgie durch die
Mitfeier der Liturgie. Eine solche Einführung und Einübung in die Liturgie, die sicherlich längere Anwege
und Stufen auf dem jeweiligen Glaubensweg braucht, stellt alle Beteiligten, vor allem die jeweilige Gemeinde vor die Herausforderung, die eigene liturgische Feierkultur zu vertiefen und zu erneuern. Dankbar bin
ich, dass dieser Weg nach dem Hirtenwort 2000 „Eucharistiegemeinde
VORWORT
am Sonntag“ so mutig wie umsichtig begonnen wurde. Vieles liegt aber
auch noch vor uns. Wichtig bleibt:
Die Gemeinde teilt mit der Katechese den mystagogischen Aufbruch!
Ich lade alle Mitbrüder und alle an
der Sakramentenpastoral beteiligten
hauptberuflichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen herzlich dazu ein, sich auf den
Weg einer mystagogischen Neuorientierung der Sakramentenpastoral
zu machen. Ganz gewiss ist dies kein
kurzer Weg. Es geht ja nicht zuerst
darum, einen Methodenwechsel vorzunehmen, sondern sich selbst auf die
Herausforderung einzulassen, Sakramentenpastoral mystagogisch und
liturgisch neu auszurichten. So herausfordernd das auch sein wird, so
erkenne ich doch, dass viele junge
Menschen auf der Suche nach dem
Geheimnis Gottes sind. Gerade auch
Erfahrungen wie z.B. die Jugendvesper in Marienrode und der Friedensgrund bestätigen mich nachdrücklich darin, dass Kinder und
Jugendliche eine hohe Empfindsamkeit und Offenheit für die Feier des
Geheimnisses mitbringen. Bei dieser
Suche nach einer Gestalt und Form
des christlichen Glaubens dürfen wir
ihnen den großen Schatz unserer liturgischen Feiern nicht vorenthalten.
Das vorliegende Papier ist ein
Grundstein. Nun kann und wird an
dem Gebäude einer erneuerten Sakramentenpastoral in den kommenden Jahren gearbeitet werden. Das
Ziel unseres Weges ist durch diesen
Text klar bestimmt. Nun kommt es
darauf an, dass viele kreative Modellprojekte und neue Wege gewagt werden. Dabei vertraue ich auf Ihre
Phantasie und Tatkraft.
Ich bin sehr dankbar, dass ein solcher Prozess in unserem Bistum möglich geworden ist. Das hängt ja entscheidend mit den vielfältigen Entwicklungen und Erfahrungen in der
Sakramentenpastoral unseres Bistums zusammen, und mit den nachdenklichen Rückfragen so vieler Mitbrüder, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge. Danken
möchte ich natürlich von Herzen
ganz besonders all denen, die bei der
Erarbeitung dieses wichtigen Dokumentes mitgewirkt und dafür sehr
viel Zeit und Kraft eingebracht haben.
Mit der Inkraftsetzung dieses Orientierungsrahmens verbinde ich vor
allem eine Hoffnung: Die Erfahrung
der Freude des Glaubens und seiner
Weitergabe. Denn solche Freude ist
vom Geheimnis Gottes getragen.
Hildesheim, im Februar 2003
+ Josef Homeyer
Bischof von Hildesheim
3
EINLEITUNG
B
ei der Vollversammlung des
Priesterrates im Herbst 1998
wurde deutlich, dass bei immer mehr
Mitbrüdern gerade im Zusammenhang mit der Initiations- und Sakramentenpastoral Unsicherheiten und
Fragen auftreten, die einer intensiven Klärung bedürfen. Die Überlegungen des Priesterrates führten im
Februar 1999 zur Bildung einer Steuergruppe und von Arbeitsgruppen,
die unter der Federführung des Collegium Consultorum ein grundlegendes Papier zur zukünftigen Sakramentenpastoral im Bistum Hildesheim erarbeiten sollten.
Es entstanden entlang den im
Priesterrat diskutierten Themen fünf
Arbeitsgruppen: Die grundlegende
Perspektive der Sakramentenpastoral
sollte eine mystagogische sein, und
so bildete sich eine erste Arbeitsgruppe mit dem Ziel, den Begriff der
Mystagogie im Zusammenhang mit
einer zukunftsorientierten Sakramentenpastoral zu präzisieren.
Ein zweiter Themenkreis sollte den
Zusammenhang zwischen Sakramentenpastoral und dem zugrundliegenden ekklesiologischen Leitbild
erarbeiten. Eine mystagogische Sakramentenpastoral hat eine deutliche
Mitte in der Liturgie. Dies zu erhellen war das Thema der dritten
Arbeitsgruppe. Schließlich - und hier
liegt ja einer der neuralgischen Punkte, die zum Gesamtprozess führten war die Frage zu klären, welche Aufgabe und welche Verantwortung der
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Pfarrer und die beteiligten pastoralen Mitarbeiter in einer so positionierten Sakramentenpastoral haben
werden. Die Arbeitsgruppe 4 diskutierte somit Fragen der kooperativen
Pastoral. Schließlich beschäftigte sich
die fünfte Arbeitsgruppe mit der Frage, in welcher Weise eine mystagogische Sakramentenpastoral eine
innere Differenzierung ermöglicht,
ohne dabei der Gefahr der Beliebigkeit zu erliegen.
Während die Mitglieder und Leiter
dieser Arbeitsgruppen ausgewählte
und fachkundige Priester unseres Bistums waren, gehörten den Arbeitsgruppen auch Fachleute der verschiedenen pastoralen Berufsgruppen sowie einige Katechetinnen und Katecheten aus Pfarreien des Bistums als
Beraterinnen und Berater an.
Diese Arbeitsgruppen arbeiteten
zwischen März 1999 und Sommer
2000 intensiv und höchst engagiert
an ihren Themenstellungen. So entstand ein erstes Positionspapier, das
nach kritischen Anmerkungen und
Anfragen aus dem Collegium Consultorum noch einmal intensiv von einer Redaktionsgruppe bearbeitet
wurde und dann im Oktober 2000
zum Inhalt des Studientages der Vollversammlung des Priesterrates wurde. Schon das erste Positionspapier
zeigte deutlich die brisanten möglichen Konsequenzen einer mystagogisch positionierten differenzierten
Sakramentenpastoral.
Die intensive Diskussion im Pries-
EINLEITUNG
terrat führte zu einer doppelten Option. Zum einen wurde deutlich, dass
das Thema selbst und die angerissenen Problemstellungen weiter bearbeitet werden sollten. Der Priesterrat beschloss eine Weiterführung des
Prozesses. Zum anderen - und das
hatte sich schon in den Überlegungen der einzelnen Arbeitsgruppen als
gewichtiges Problem erwiesen brauchte es eine grundlegende theologische Bestimmung und Präzisierung des Begriffes der Mystagogie. Alle anderen Themenstellungen sollten ja von diesem
mystagogischen Grundanliegen
durchdrungen sein.
Dieser Auftrag des Priesterrates
wurde einer erneuerten Redaktionsgruppe übergeben, die ab dem März
2001 unter der Leitung des Fachbereichs Verkündigung in vielen Sitzungen bis zum April 2002 das vorliegende Papier erstellte, das in seiner
Endfassung noch redaktionelle Bearbeitungen erfuhr, die auf Eingaben
und Modi des Collegium Consultorum und Mitgliedern des Priesterrates zurückgehen. Die redaktionelle
Bearbeitung erfolgte durch eine kleine Arbeitsgruppe unter der Leitung
des Fachbereichs Verkündigung.
Zuerst und vor allem gebührt all
jenen Mitarbeitern in den Arbeitsgruppen, die sich in höchst engagierter Weise über ein Jahr mit den anstehenden und höchst interessanten
Fragestellungen beschäftigten, hoher
Dank und Anerkennung.
Derselbe Dank geht auch und in
besonderer Weise an die Mitglieder
der neugebildeten Redaktionsgruppe:
Matthias Eggers, Dr. Christian
Hennecke, Matthias Kaune, Ulrich
Koch, Jens Lüpke, Hubertus Schönemann, Dr. Werner Schreer, Martin
Schwedhelm, Dr. Nikolaus Schwerdtfeger, Bärbel Smarsli und Martin
Wrasmann. Sie haben unter erheblichem Zeitdruck und mit großem Zeitaufwand intensiv um die immer
deutlicher werdende Perspektive gerungen. Auch wenn dies sehr anstrengend war und bisweilen eine
hohe Diskussionskultur erforderte,
auch wenn der anvisierte Zeitrahmen
um ein weiteres Jahr überschritten
wurde, so liegt jetzt doch ein Papier
vor, das - so meinen wir - den Weg
zu einer mystagogischen Sakramentenpastoral in unserem Bistum eröffnet und ermöglicht.
Der Text, der nun vorliegt, enthält
zweifellos brisante und herausfordernde Thesen. Die grundlegenden
Überlegungen zum „Ansatz und Stellenwert einer mystagogischen Sakramentenpastoral“ wollen bedacht und
diskutiert werden. Sie stellen liebgewordene Traditionen unserer Praxis
theologisch in Frage und fordern und
fördern so das Einschlagen neuer
Wege. Dabei verbieten sich von selbst
die Erwartungen an möglichst rasche,
rezeptartige Umsetzung: Die Frage
nach einer neuen Gottesverwurzelung, die Frage nach dem Selbstverständnis der kirchlichen Gemein5
EINLEITUNG
schaft und schließlich die zentrale
Stellung der Liturgie im Rahmen einer mystagogischen Pastoral und
Sakramentenpastoral sind dabei als
Grundperspektiven der persönlichen
und ekklesialen Umkehr besonders zu
beachten.
Die Kirche von Hildesheim ist an
vielen Stellen im Aufbruch.
Einer der Orte, an denen das am
spürbarsten werden kann, ist die
Pastoral der Initiation.
Anders gesagt: Einen Neuaufbruch
unserer Kirche wird es ohne eine deutlichere Profilierung der Gottesfrage,
eine theologischere Gründung unseres
Gemeindeverständnisses, die die Perspektive der Sendung deutlicher diakonisch akzentuiert, und eine erneuerte liturgische Feierkultur nicht geben.
Die „Bausteine auf dem Weg zu
einer mystagogischen Sakramentenpastoral“ versuchen ihrerseits, Wegweiser für die einzuleitenden Veränderungsprozesse an die Hand zu geben. Auch sie eignen sich wenig dazu,
als „neue Methode“ umgesetzt zu
werden. Der Umsetzungsprozess einer mystagogischen Sakramentenpastoral kann nicht anders denn
mystagogisch angelegt werden. Und
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das heißt, dass es längerer Wege des
gemeinsamen Nachdenkens, des gemeinsamen Suchens und Findens bedarf. Das erfordert - ganz im Gegensatz zur zuweilen noch gepflegten
pastoralen Schnelllebigkeit - eine
neue pastorale Kultur des Dialogs, der
Kooperation und der sorgfältigen
Evaluation. Das erfordert langen
Atem, das erfordert Geduld und Arbeit an Visionen. Gerade in der Zeit
fundamentaler Umbrüche ist dies die
eigentliche Herausforderung, die uns
zukunftsfähig sein lässt.
Deswegen beginnt der Umsetzungsprozess mit der Herausgabe des
vorliegenden Papiers. Doch dies ist
nur der Anfang. Der Prozess Sakramentenpastoral will über die nächsten Jahre begleitet und geduldig
fortgeschrieben werden. Der Fachbereich Verkündigung im Bischöflichen
Generalvikariat wird sich dieser Aufgabe zusammen mit der Arbeitsstelle für pastorale Fortbildung und Beratung stellen. Neue Arbeitsinstrumente - wie zum Beispiel Denkwerkstätten - werden zur Zeit entworfen. Modellprojekte, die sich an
vielen Orten des Bistums weiter entwickeln, verdienen eine sorgfältige
Beobachtung, Begleitung und
Vernetzung, um den Erkenntnisgewinn zu sichern und fruchtbar zu
machen. Dabei schenkt das vorliegende Papier eine neue Sichtweise,
die uns eine pastorale „Unterscheidung der Geister“ im Bereich der
Sakramentenpastoral ermöglicht und
EINLEITUNG
uns damit ein wertvolles Instrument
an die Hand gibt, mit dessen Hilfe wir
hoffentlich die Zukunftswege in der
Sakramentenpastoral von den Holzwegen unterscheiden können.
Die Kirche von Hildesheim ist an
vielen Stellen im Aufbruch. Einer der
Orte, an denen das am spürbarsten
werden kann, ist die Pastoral der Initiation. Viele Pfarrer, Kapläne, Diakone, pastorale Mitarbeiter und Katecheten haben sich schon seit geraumer Zeit auf den Weg gemacht.
Die ersten Früchte dieses Aufbruchs
sind sehr ermutigend. Wir möchten
mit dem vorliegenden Papier zu weiteren Schritten ermutigen und
gleichzeitig eine deutliche Option
vorgeben. Die nächsten Jahre werden
zeigen, wie dieser Impuls sich bewährt, Praxis verändert und durch die
Praxis bereichert wird. Auf dieses
Abenteuer dürfen wir alle gespannt
sein.
Hildesheim, im Februar 2003
Pfarrer Dr. Christian Hennecke
Leiter des Fachbereichs
Verkündigung
7
GESELLSCHAFTLICHER WANDEL UND SEINE
AUSWIRKUNGEN AUF DIE SAKRAMENTENPASTORAL
W
estliche Gesellschaften sind zunehmend aufgeteilt in unterschiedliche Lebens- und Funktionsbereiche, die oft wenig oder gar
nichts miteinander zu tun haben. Jeder Einzelne muss mehr und mehr in
eigener Verantwortung seine Biografie gestalten, indem er seinen Alltag
aus den unterschiedlichsten Bezugssystemen zusammenbastelt. Diese
Bezugssysteme sind nicht mehr kontinuierlich über Jahre und Jahrzehnte stabil; berufliche Karrieren erleben
zunehmend Brüche, Neuanfänge und
Umorientierungen; Beziehungen,
Nachbarschaften und Freundeskreise bestehen über einen begrenzten
Zeitraum. Die Mobilität von Einzelnen und Gruppen ist enorm.
Der Zusammenhang in einem volkskirchlichen Milieu ist zerbrochen.
Traditionelle Milieus sind in Auflösung begriffen; neue und sehr differenzierte Milieus deuten sich an
und vergehen wieder. Gängige Traditionen gelten als hohl oder müssen jeweils neu erschlossen werden,
wenn sie Sinn bekommen und verstehbar werden sollen. Klassische Institutionen und Großorganisationen
werden zunehmend kritisch betrachtet und erscheinen in ihrer gesellschaftlichen Wirkung geschwächt.
Man rückt einander näher in einer
8
global vernetzten Welt; gleichzeitig
wird die Welt damit komplexer und
unüberschaubarer. Einflüsse auf das
eigene Leben sind nicht mehr direkt
nachvollziehbar.
Gemeinsame Verantwortung wird
ersetzt durch die Verantwortung der
Einzelnen; Entsolidarisierung und
Befreiung werden zu zwei verwechselbaren Seiten einer Medaille.
Neue Bedürfnisse entstehen, hinter
denen oft tiefe Sehnsucht verborgen
zu sein scheint. Die Dialektik zwischen zu viel und zu wenig wird krasser - man scheint alles zu haben, aber
doch nichts richtig erfüllt zu bekommen. Persönliche Fragen nach dem
Sinn stellen sich ebenso wie Fragen
nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit
vielfältig neu. Der Eindruck, in einer
komplexen Welt austauschbar zu
sein, hält die Suche nach einer Antwort auf die Frage „Wer bin ich eigentlich?“ in Gang.
Der Zusammenhang in einem
volkskirchlichen Milieu ist zerbrochen. Ein verbundenes Gesamtgefüge
von Religiosität schwindet; auch Religiosität wird plural, religiöse Wünsche und Empfindungen sind privatisiert. Damit wird auch Glaube zunehmend als individuell verfügbar
und verantwortbar erlebt. Sinn gebende Instanzen wie Kirche werden
dabei ‚bei Bedarf‘, häufig bei Lebenswenden, in Anspruch genommen.
Von ihr wird ‚Dienstleistung‘ erwartet, punktuell aus gegebenem Anlass
und zeitlich klar befristet. Glaube und
GESELLSCHAFTLICHER WANDEL UND SEINE
AUSWIRKUNGEN AUF DIE SAKRAMENTENPASTORAL
Kirche werden viel deutlicher nach
ihrem ‚Mehrwert‘ für die Gestaltung
des persönlichen Lebens oder ihrer
Bedeutung für gesellschaftliche Zusammenhänge befragt.
In der Sakramentenkatechese vor
Ort zeigen sich auf diesem Hintergrund sehr unterschiedliche Phänomene parallel nebeneinander. Widersprüche prägen die vielfältigen Bemühungen in der Sakramentenkatechese; Gelingen und Scheitern,
ungelöste Fragen und sichere Gestaltung liegen eng zusammen:
• Jahrgangskatechese, die sich als
eingebettet in einen Prozess kontinuierlicher Glaubensweitergabe
versteht, erreicht immer noch einen Großteil der Angesprochenen
- auch wenn Abbrüche deutlich
erkennbar sind.
Gleichzeitig nimmt der Eindruck
zu, dass eine kontinuierliche Weitergabe des Glaubens über die Generationen hinweg nicht mehr
gelingt, z.B. bei Kindern im
Kommunionkurs, deren Eltern keinen Kontakt mehr zur Kirche zu
haben scheinen. Aber auch bei den
Engagierten der Pfarrgemeinde
gibt es zunehmende Sprachlosigkeit und schwindendes Grundwissen. Weil es bisher nicht üblich
war, tun sie sich schwer, einander
von ihrem Glauben zu erzählen.
• In der Katechese begegnen wir
Menschen, die sich selbst als Glaubende betrachten und mit großer
innerer Beteiligung die Möglichkeit
zur Auseinandersetzung mit dem
Glauben der Kirche suchen - in der
Hoffnung ihn besser zu verstehen
und ihren persönlichen Glauben zu
vertiefen.
Widersprüche prägen die
vielfältigen Bemühungen in der
Sakramentenkatechese; Gelingen und
Scheitern liegen eng zusammen.
Gleichzeitig ist der Kontakt zur Kirche für mehr und mehr Menschen
ein punktueller Kontakt mit relativ
großer äußerer und innerer Distanz.
Es gibt die Erwartung, eine schöne
Feier zu erleben, ohne Interesse an
intensiverem Kontakt mit Gemeinde und Glaube zu zeigen.
• Die Feierlichkeiten im Rahmen
sakramentaler Vollzüge haben bei
Vielen nach wie vor einen hohen
Stellenwert im Lebenszyklus der
Teilnehmenden und deren Familien. Diese Feiern halten die Frage
nach ihrem Sinn offen und ermöglichen deutende Ausgestaltung.
Gleichzeitig scheint es im Blick auf
viele Teilnehmende immer fragwürdiger, ob die Feiern noch Ausdruck einer verdichteten Glaubenserfahrung und Höhepunkte auf einem Glaubensweg sind. Die Bedeutung kirchlicher Zeichen und Sym9
GESELLSCHAFTLICHER WANDEL UND SEINE
AUSWIRKUNGEN AUF DIE SAKRAMENTENPASTORAL
bole erschließt sich vielen Menschen nicht mehr. Oft scheinen die
Feierlichkeiten einen säkularisierten ‚Restwert‘ zu haben; die Gestalt
der Gemeinschaft scheint nicht mit
Gehalt gefüllt.
• Klassische Kursstrukturen, die von
relativ langer zeitlicher Dauer, kontinuierlichem Gruppengeschehen
und der Idee einer vertiefenden
Auseinandersetzung mit Glaube
und Kirche leben, gibt es nach wie
vor. Sie ermöglichen ein ‚Andocken‘
Vieler an die Gemeinschaft der
Glaubenden und die Fragen nach
Gott.
Gleichzeitig werden in differenzierten katechetischen Prozessen sehr
verschiedene Versuche gestartet,
den vielfältigen Lebenssituationen
und den sehr divergenten Erwartungen der Menschen gerecht zu
werden. So gibt es z.B. parallele
Kursteile zur Auswahl, verpflichtende Teile und freiwillige Angebote, Angebote von kurzer Dauer
und geringer Verbindlichkeit neben
langfristigen begleitenden Angeboten mit hoher Verbindlichkeit.
Inmitten dieser Spannungen geht
der Versuch, Katechese in großer Offenheit für unterschiedliche Lebenssituationen zu gestalten und auf diese Situationen engagiert zu antworten, manchmal mit dem Eindruck
einher, dafür die Identität der Katechese aufgeben zu müssen. Gleichzeitig scheinen Versuche, der Kate10
chese ein einheitliches Profil zu geben, in der Gefahr zu stehen, den differenzierten Lebenswelten der Menschen und ihren Erwartungen nicht
mehr gerecht werden zu können.
Hauptberuflichen und ehrenamtlich Tätigen fällt es in dieser Gemengelage zunehmend schwer, eine realistische Orientierung dafür zu bekommen, was gelungene Katechese
sein kann und wie gelingende katechetische Prozesse gestaltet werden
können.
Die im folgenden vorgestellte Option für eine mystagogische Sakramentenpastoral wagt den Versuch
einer Orientierung, ...
… die theologisch gegründet wird,
… die ihre Auswirkungen auf die Liturgie, das Leben der Gemeinde, die
Zusammenarbeit von verschiedenen Verantwortlichen und die Gestaltung der Sakramentenpastoral
bedenkt und
… die Akzente für die praktische Gestaltung der Sakramentenvorbereitung umreißt.
ANSATZ
UND
MYSTAGOGISCHEN
W
enn wir in dieser Einleitung das
Profil einer mystagogischen
Sakramentenpastoral in Ansätzen aufzeigen wollen, so beschreiben wir damit keinen methodischen oder inhaltlichen Ansatz, sondern vergewissern
das, was der Sakramentenkatechese
fundamental ist und insofern als Kriterium allen nachfolgenden Überlegungen und Optionen vorausliegt.
Mystagogische Sakramentenkatechese ist Wegbegleitung zum
Geheimnis Gottes als Geheimnis des
Lebens. Diese Wegbegleitung will die
Erfahrung Gottes, die in jedem Leben
und in der Geschichte der Menschheit immer schon, ausdrücklich oder
verborgen, angenommen oder verneint gegeben ist, offen legen und
als Geheimnis - als Grund und Verheißung - des Lebens zeichenhaft
feiern. Der mystagogische Weg gründet im Abstieg Gottes zum Menschen,
sein Ziel ist nicht nur Deutung, sondern auch Anbetung, nicht nur Sprechen über Gott sondern auch zu Gott,
sein Ziel ist letztlich Hinführung zu
einer lebendigen Gottesbeziehung.
„Gott darf nicht die Sonne sein, die
alles sichtbar macht und selber nicht
gesehen wird“ (Karl Rahner).
Wenn wir so die Öffnung zur Erfahrung des sich selbst in die Endlichkeit unserer Geschichte mitteilenden Gottes ins Zentrum der Pastoral
stellen, gehen wir auf das radikale,
gleichsam gefährliche Wagnis unseres Christ- und Kircheseins heute zu.
Die Radikalität dieses Wagnisses, das
STELLENWERT
EINER
SAKRAMENTENPASTORAL
Geheimnis Gottes zu erfahren, zu erzählen, hat Karl Rahner in seiner Rede
des Ignatius von Loyola an einen Jesuiten von heute so ausgesagt:
„Wenn ich sage, daß man Gott
auch in eurer Zeit wie in meiner eigenen unmittelbar begegnen könne,
so ist wirklich Gott gemeint, der Gott
der Unbegreiflichkeit, das unsagbare
Geheimnis, die Finsternis, die nur dem
das ewige Licht wird, der sich von ihr
bedingungslos verschlucken läßt, der
Gott, der keinen Namen mehr hat.
Mystagogische Sakramentenkatechese
ist Wegbegleitung zum Geheimnis
Gottes als Geheimnis des Lebens.
Aber eben dieser Gott, er und kein
anderer, wurde von mir erfahren als der
Gott, der zu uns absteigt, der uns nahekommt, in dessen unbegreiflichem Feuer wir gerade nicht verbrennen, sondern eigentlich erst werden und ewig
gültig sind. Der unsagbare Gott sagt
sich selber zu; und in dieser Zusage seiner Unsäglichkeit werden wir, leben wir,
sind wir geliebt und ewig gültig.“
Mystagogische Sakramentenpastoral als Wagnis für eine neue
Gottesverwurzelung
Eine mystagogische Pastoral stellt
die Sakramentenkatechese vor Her11
ANSATZ
STELLENWERT EINER
MYSTAGOGISCHEN SAKRAMENTENPASTORAL
UND
ausforderungen: Auf eine neue Weise nach Gott zu fragen.
Mystagogische Sakramentenpastoral wird
dazu herausfordern, die Lebenswelten der
Menschen würdigend anzunehmen.
Auf der einen Seite gab es selten ein
solch intensives, kreatives und differenziertes Suchen nach der Erfahrung Gottes. Selten konnten Bedürfnisse und
Sehnsüchte stärker artikuliert und gelebt werden. Dies hat unter anderem
auch zur Befreiung unserer Glaubenspraxis von konventionellen Verkrustungen und Erstarrungen geführt.
Die Hinwendung zum Leben aus der
Erfahrung des Geheimnis Gottes wird
auch kritisch (unterscheidend) sein.
Auf der anderen Seite wird das
marktförmige Schema „Bedürfnis Erfüllung“ immer mehr zum ökonomischen Gefängnis unserer Lebenswelt. Es bestimmt die Aneignung kulturellen Wissens, die Erziehung und
Sozialisation, Biographien und Beziehungen - am Ende besteht die Gefahr, dass auch die Gottesfrage zur
reinen Bedürfnisfrage im Horizont
12
der Selbstverwirklichung verdunkelt
wird. Die Gotteserfahrung, die alles
Erfahren von Sinn und Geborgenheit
übersteigt, ist aber mehr als ein religiöses Hochgefühl. Sie reicht bis an
die Erfahrung des Todes und an das
äußerste Wagnis der Hoffnung.
Auch unser gemeindliches Leben ist
durch diese Spannung von Befreiung
zu authentischem Leben und der
marktförmigen Anpassung beeinflusst. So wird eine mystagogische
Sakramentenpastoral dazu herausfordern, die Lebenswelten der Menschen würdigend anzunehmen und
in ihnen das Suchen nach Gott und
einem befreiten und erfüllten Leben
zu entdecken. Im Glauben an die
Menschwerdung Gottes unterscheiden wir uns von Sekten gerade darin,
dass unsere Hinwendung zu Gott keine Abkehr vom Leben meinen kann.
Gleichzeitig wird diese Hinwendung
zum Leben aus der Erfahrung des Geheimnis Gottes auch kritisch (unterscheidend) und empfindlich für Gefahren sein. Gegenüber der Gefahr der
Gottvergessenheit in Kirche und Gesellschaft und der Anpassung der Geheimnisse unseres Glaubens an das
Schema Bedürfnis - Erfüllung muss
mystagogische Sakramentenpastoral
auch als prophetisches Zeugnis gelebt
und verstanden werden. Dabei ist sie
immer auch eine miteinander kreuztragende Mystagogie, ihre geteilten
Erfahrungen bleiben immer Fragment,
so aber eben auch Verheißung; sie ist
miteinander geteilte Heimatlosigkeit
ANSATZ
UND
MYSTAGOGISCHEN
des Volkes Gottes und Erinnerung an
den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.
Exilische Mystagogie als Rahmen
mystagogischer Sakramentenpastoral
STELLENWERT
EINER
SAKRAMENTENPASTORAL
harmonisierende Beschwichtigung.
Mystagogische Sakramentenkatechese wird sich zentral deshalb immer
dem Vergessen Gottes stellen.
Mystagogische Sakramentenkatechese
Die Gottsuchenden werden sich
immer wieder neu der gesellschaftlichen Wirklichkeit stellen. In vielem
werden sie in der Gesellschaft Lernende sein und gerade im Mut und in
gegenseitiger Ermutigung zu solchen
Lernwegen im Säkularen ihre Gottessehnsucht lebendig bezeugen: In den
vielfältigen Formen der Teilhabe und
Mitsprache, die unsere demokratische
Kultur ausgeprägt hat; in Aufnahme
des differenzierten und vertieften
Wissens um den Menschen, das gerade die Humanwissenschaften erarbeitet haben, in neuen Formen der Kreativität, der Lebensbejahung und Solidarität. Dieser Lernweg geschieht
immer auch mit denen, die besondere Lasten tragen: Mit Jugendlichen,
Alleinerziehenden, Selbsthilfegruppen, Familien, Suchenden, ... Gerade in ihnen werden wir „kleinen Propheten“ unserer Hoffnung begegnen.
In den vielfältigen und oft gegenläufigen Erfahrungen unserer modernen Gesellschaft und der Kirche in ihr
erscheint die Krise des Gottesgedächtnisses besonders bedrängend.
Zwar kommt „Religion“ in vielfältigen Formen in unserer Lebenswelt
vor, gleichwohl wird Gott immer
mehr verdrängt. Oft bleibt nur eine
wird sich immer dem Vergessen Gottes
stellen. Das Vergessen Gottes führt
nämlich ins Vergessen des Menschen, dem
sich jede Katechese zuwenden will.
Das Vergessen Gottes führt nämlich ins Vergessen des Menschen, dem
sich jede Katechese zuwenden will.
Wo Menschen stumm werden, wo
Menschen nicht mehr atmen können,
wo Menschen vom Hass erdrückt
werden, wo Ungerechtigkeit unter
dem Deckmantel individueller Freiheit nicht mehr zum Himmel schreit
- dort ist Gottvergessenheit und
Menschenvergessenheit. Diese Gottvergessenheit demütigt Menschen
und verdunkelt das Geheimnis unserer Hoffnung.
Gottsuchende werden im Antlitz
der Menschen angesichts der Ungerechtigkeit der Gesellschaft und der
Zerrissenheit der Lebenswelt oftmals
sich selbst wie im Exil erfahren und
dabei in den Abstieg Gottes in diese
Welt mit eintreten. In Jesus Christus
wendet sich Gott selbst dem Men13
ANSATZ
STELLENWERT EINER
MYSTAGOGISCHEN SAKRAMENTENPASTORAL
UND
Gottsuchende erfahren sich angesichts
von Ungerechtigkeit und Zerrissenheit
oftmals selbst wie im Exil.
schen zu. Sein Hinabsteigen und seine Entäußerung machen ihn zum ersten Diener der Menschen: „er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave
und den Menschen gleich.“ (Phil 2,7).
Das diakonische Handeln der Christen ist also Mitvollzug dieser Hinwendung Gottes zum Menschen.
In Israel war die Zerstörung des
Tempels mit der Erfahrung der Gefangenschaft in der Fremde verbunden. Gerade so wurde das Volk aber
fähig, das eigene Leben selbstkritisch
zu befragen (Jes 42,18f.). Die Erfahrung der Schuld vor Gott als Ursache
des Exils lautete: Wir haben den be-
Die Rückkehr zu Gott bedeutet im Exil
die Rückkehr zu einer befreienden
Lebenspraxis.
freienden Gott unserer Väter vergessen, unsere Lebenspraxis war nicht
mehr befreiend und bezeugte nicht
mehr den Exodus (Jes 64,5).
Die Rückkehr zu Gott bedeutet im
Exil die Rückkehr zu einer befreien14
den Lebenspraxis, also keine Rückkehr
zum Alten, sondern eine Rückkehr
zum Ursprung. Deshalb war für Israel die Entscheidung auf Gott hin
nicht einfach die Entscheidung zwischen Assimilation und Bewahrung.
Beide Formen des Lebens in der Fremde mussten sich fundamental befragen lassen, ob sie wirklich Gott bezeugen. Die neue Sammlung zum
Volk Gottes (Synagogie) war nicht
schon als Abgrenzung gegenüber allem Fremden garantiert, in vorauseilender Angleichung allerdings
genauso wenig (Jer 29,4-7).
Gewiss werden auch in der Situation heutiger Katechese untergründig Schuldgefühle transportiert: Bei
allem Mühen ist wenig „Erfüllung“
und angesichts rapide schwindender
Zahlen der Tauf- und Firmbewerber,
der Brautleute und eines nahezu vollständigen Zusammenbruchs der
Beichtpraxis sehen sich viele wie im
Exil. Diesen Erfahrungen sind wir oft
ratlos und verletzlich ausgesetzt. Es
bleibt offen, ob wir heute am Anfang
oder am Ende einer exilischen Situation stehen.
Die Erfahrung Israels zeigt aber, dass
in dieser Situation nicht Rigorismus
oder Anpassung weiterführen, sondern einzig die erinnernde Praxis an
Gottes befreiende Gegenwart. Dabei
gilt es vor allem - wie Jesus - die im
Blick zu halten, die sich in der Kirche
nicht mehr beheimaten können.
Nur die Nachfolge Jesu, in der wir
den Abstieg Gottes in diese Welt le-
ANSATZ
UND
MYSTAGOGISCHEN
bendig mit vollziehen, führt uns in
neue Gottesverwurzelung, in Gemeinschaft untereinander und in
„compassion“ mit den Menschen.
Nicht Anpassung und nicht Abgrenzung war sein Programm, sondern
Zeugenschaft für das Reich Gottes
und die Befreiung auf Gott selbst hin.
STELLENWERT
EINER
SAKRAMENTENPASTORAL
Menschliches Leben kommt in der
liturgischen Feier zur Sprache, wird
im Lichte des Glaubens vor Gott getragen und erfährt von ihm her eine
Nicht Rigorismus oder
Anpassung führen weiter,
Mystagogische Sakramentenpastoral und Liturgie
In einer mystagogisch orientierten
Sakramentenkatechese kommt der
Liturgie zentrale Bedeutung zu, insofern in ihr Gott als Geheimnis unseres Lebens ausdrücklich Raum findet
und gefeiert wird. Liturgie ist nicht nur
Rede über Gott, sondern mehr noch
Hören auf Gott, das in die Anbetung
mündet. Bei aller aktiven Teilnahme
ist letztlich der unergründliche Gott
selbst der Handelnde, dem sich der
glaubende Mensch öffnen kann.
Unsere exilische Situation schärft
die Wahrnehmung dafür, dass es in
der Ambivalenz und Mehrdeutigkeit
menschlichen Lebens Gott ist, der rettet, beruft und einen je neuen Anfang schenkt. Die Zusage Gottes bedeutet für das Leben zugleich Ermutigung und Anfrage, Bestärkung und
Aufforderung zur Umkehr, Berufung
und Sendung. So finden sich in der
liturgischen Feier gleichermaßen Zusage und Zuspruch, zugleich Befreiung und Aufforderung, zugleich wirksame Erinnerung an die Erlösung und
vorausgreifende Verheißung.
sondern einzig die erinnernde Praxis
an Gottes befreiende Gegenwart.
Deutung. Gleichzeitig leuchtet Gott
selbst in das Leben hinein, ein
unauslotbares, unverfügbares Licht,
das dem Menschen sein Dasein erschließt, sich aber auch immer wieder
entzieht. In diesem Sinne wird in der
Liturgie immer die fruchtbare Spannung „von dieser Welt“ und „nicht
von dieser Welt“ bestehen bleiben.
Wenn glaubende Menschen andere zum Geheimnis Gottes, zum Mysterium, begleiten, führt der Weg
irgendwann zu den „mysteria“, zu den
In einer mystagogisch orientierten
Sakramentenkatechese kommt der
Liturgie zentrale Bedeutung zu.
wirksamen Zeichen, in denen Gott die
Menschen anruft und die die lieben15
ANSATZ
STELLENWERT EINER
MYSTAGOGISCHEN SAKRAMENTENPASTORAL
UND
de Zuwendung Gottes verwandelnd
„be-greifbar“ machen. Allerdings sind
nicht ausschließlich die Sakramente
die Gestalt der Begegnung Gottes,
auf die alles katechetische Tun zuläuft. Liturgie hat auch ihren Stellenwert im Sinne von Innehalten und
ermutigender Vergewisserung auf
dem Weg zu den Sakramenten. In vielen katechetischen Prozessen wird
der „Vorhof“ der Sakramentalien
nicht oder nicht ausreichend wahrgenommen und gestaltet.
Den Schatz an Zeichen und Symbolen, den die Liturgie der Kirche
birgt, gilt es zu heben und zu nutzen. Dabei wird bei manchen Zeichen
eine Einführung nötig sein für jene,
die im Vollzug wenig oder gar nicht
beheimatet sind; andererseits gibt es
auch immer wieder die Erfahrung,
dass Menschen sich gerade durch die
Tiefendimension christlicher Symbole
für den Urgrund Gott aufschließen
und von ihm ergreifen lassen. Es
bleibt zu prüfen, ob nicht eine Sichtweise, die ausschließlich auf Zulassungbedingungen und Gültigkeit
der Sakramentenfeier abhebt, die
Zeichenhaftigkeit verdunkelt. Daher
bleibt es ein zentrales Ziel der Sakramentenkatechese, Menschen in die
Grundhaltungen des Hörens, des
Schweigens, des Erzählens, des
Dankens, des Bittens, des Klagens und
des Lobens einzuführen.
In den heiligen Zeichen feiern nicht
nur Einzelne, sondern auch und gerade die Glaubensgemeinschaft Gott.
16
Daher tritt die je konkrete Verfasstheit der feiernden Gemeinschaft,
d.h. im Gegenüber und gleichzeitigen Aufeinander-Bezogen-Sein in
Erscheinung: Geistliche und Gemeindemitglieder, Katechumenen und
diejenigen, die sie begleiten. Die Gemeinschaft der Glaubenden ist
allerdings auch geschichtlich im Blick
auf die Mitglaubenden vor (und auch
nach) unserer eigenen Zeit zu verstehen. Hier geraten Tradition und Überlieferung in ihrem unersetzlichen und
orientierenden Wert in den Blick. Die
liturgische Hinführung auf die Sakramente und ihre Feier selbst wird also
immer in der Spannung von Kreativität und Bewahrung, von je persönlicher Aktualität und gemeinschaftlicher Glaubenserfahrung stehen.
Gerade in der Liturgie wird das
Sich-Ergreifen-Lassen durch Gott
wirksam. In diesem Sinne werden
Christen aus der Feier der Heiligen
Geheimnisse immer wieder ausgesendet zur Gestaltung der Welt im Vertrauen auf den, der „die Welt besiegt“
hat. (Joh 16,33)
MYSTAGOGISCHE SAKRAMENTENPASTORAL
BRAUCHT RÄUME DES GLAUBENS
G
egenwärtige Gemeindebilder
gründen sich in einer liebgewonnenen Erfahrungswelt von Kirche,
die unser Denken und Handeln über
Jahrzehnte geprägt hat: Feste Formen,
feste Rituale, selbstverständliches
Miteinander, eingespielte Religiosität
und Weitergabe des Glaubens hatten ein
Milieu geschaffen, dass Vielen Heimat
war und ist. Es fällt Vielen schwer, diese
prägenden und fast normativen Bilder
zu relativieren und sich der Wirklichkeit
zu stellen, wenn der Weg in die Zukunft
ungewiss scheint und wenige Erfahrungen des Aufbruchs gemacht wurden.
Wer stehen bleibt und nur zurückblickt,
der erlebt Frust, Lähmung und Depression. Die Trauer, etwas Wertvolles verloren zu haben, eröffnet hingegen die
Chance, das Vergangene zu würdigen
und in Zuwendung zum Gott der Befreiung für Neues offen zu werden. Das
Exil des Volkes Israel kann Wegweiser
sein. Das Volk Gottes musste sich die Frage stellen, ob es den befreienden Gott
ihrer Väter vergessen hatte, ob seine
Lebenspraxis noch befreiend war und ob
es noch seinen Glauben bezeugte. Es war
nicht die Frage, sich an gesellschaftliche Verhältnisse anzupassen oder ihnen
zu widerstehen; es war nicht die Frage
nach der Rückkehr zum Gekannten; es
war die Frage nach der Rückkehr zum
Ursprung, zum lebendigen Gott. So kann
Offenheit für eine mystagogische Vision des Kircheseins wachsen: In der Gemeinschaft mit anderen die Gegenwart
Gottes erfahren zu können und so als
Gemeinde Jesu Christi zu leben.
Es gibt bereits Erfahrungen einer
neuen Gestalt und Art des Kircheseins,
die mutmachend den Weg weisen können. Beispielsweise kommt ein kleiner
Es gibt mutmachende Erfahrungen einer
neuen Art des Kircheseins: Kleine christliche Gemeinschaften als Orte der
Evangelisierung, der Gottesverwurzelung
und der Ermutigung zum Handeln aus
der Erfahrung der Nähe Gottes.
Kreis regelmäßig zusammen - zu Hause
oder in Kirchenräumen - , um sich über
das eigene Leben und seinen Bezug
zum Glauben auszutauschen. Man liest
in der Schrift, trifft sich zum Bibelteilen, betet miteinander, betrachtet
und meditiert Bilder oder spricht als
Christen über aktuelle Zeitungsartikel
und Themen der Zeit. Damit überwinden die Teilnehmenden nicht nur die
Sprachlosigkeit im Glauben und werden fähig, anderen von ihrer Hoffnung
zu erzählen, sondern sie entdecken
auch ihre eigenen Begabungen und
fangen an, sie zu leben. Oftmals erzählen Menschen aus diesen Kreisen Anderen von ihrer Erfahrung und geben
so Suchenden ein Zeugnis lebendigen
Glaubens und Beispiel für die Gestaltung der eigenen Lebenspraxis.
17
MYSTAGOGISCHE SAKRAMENTENPASTORAL
BRAUCHT RÄUME DES GLAUBENS
Mystagogische Sakramentenpastoral
setzt Lebensräume des Glaubens
voraus, die in ihrer vielfältigen Gestalt
einladend und gastfreundlich sind.
Die Dokumente der Hildesheimer
Synode wie auch der 2. Bernwardsbrief beziehen sich auf solche Erfahrungen, wenn sie von „kleinen christlichen Gemeinschaften“ sprechen.
Diese sind Orte der Evangelisierung,
der Gottesverwurzelung und der Ermutigung zum Handeln aus der Erfahrung der Nähe Gottes. Die Vision
einer Gemeinde als „Gemeinschaft
von Gemeinschaften“ verweist auf
diese neue Art des Kircheseins und
nennt verschiedene Beispiele.
Solche Gruppen sind nicht begrenzt durch territoriale Zugehörig-
Mystagogische Sakramentenpastoral
ist ohne das Nachdenken über eine
erneuerte Gestalt der Gemeinde Jesu
Christi nicht denkbar.
keit, sondern finden sich als Gesinnungsgemeinschaften innerhalb von
Pfarreien, als Kurse in Bildungshäusern, in Klöstern, bei anderen
18
geistlichen Gemeinschaften oder Bewegungen und an geistlich geprägten Orten. Sie realisieren einen
mystagogischen Anspruch: Im gemeinsamen Vertrauen auf die Gegenwart des Auferstandenen wächst in
ihnen die Sehnsucht nach der Eucharistie, sie gewinnen den Mut und die
Kraft zum diakonischen Handeln und
ermöglichen ihrerseits durch ihr
Lebenszeugnis neue Räume des Glaubens (z.B. durch gelebte Gastfreundschaft, durch Sterbe- und Trauerbegleitung, durch das Engagement
für gesellschaftliche Anliegen etc.).
Eine mystagogische Sakramentenpastoral setzt Lebensräume des Glaubens voraus, die in ihrer vielfältigen
Gestalt einladend und gastfreundlich
sind. Sie kann annehmen und aushalten, wenn nicht alle der Einladung
folgen oder nur punktuellen Kontakt
suchen. Sie lebt zugleich von Zeugen
und Deutern, die bereit sind mit Anderen Wege zum Glauben zu gehen
und an ihrer eigenen Glaubenserfahrung Anteil zu geben.
Eine mystagogische Sakramentenpastoral ist ohne das Nachdenken
über eine erneuerte Gestalt der Gemeinde Jesu Christi nicht denkbar.
Vor allem gilt es darüber nachzudenken, wo in der eigenen Gemeinde
Spuren des lebendigen Gottes zu finden sind, und wie Christen suchenden Menschen ihren Glauben bezeugen können, auf dass eine Sehnsucht
nach Gott aufbrechen kann.
MYSTAGOGISCHE SAKRAMENTENPASTORAL
BRAUCHT ZEUGENSCHAFT
Das gemeinsame Zeugnis aller
Getauften
Alle Getauften und Gefirmten sind berufen und gesandt, Zeuginnen und Zeugen
E
ine mystagogische Sakramentenpastoral will Menschen in das
dreifaltige Geheimnis des Lebens Gottes einführen. Hinführung in das dreifaltige Leben Gottes, das in den Sakramenten geschenkt ist, geschieht wesentlich durch Zeugnis. Grundlegendes
Zeugnis für Christus gibt und ist dabei
die ecclesia selbst, das von Gott gerufene und zu seinem dreifaltigen Bild
geschaffene Volk. Gemeinsam geben die
Christen Zeugnis von Christus, lassen im
Lebensvollzug der ihnen geschenkten
Liebe und in der Gegenseitigkeit ihrer
Liebe (Joh 13,34) Christus selbst aufstrahlen. In ihm, der im Leben der Gemeinschaft gegenwärtig ist, wird so das
Geheimnis dreifaltigen Lebens sichtbar.
Gelebtes Kirchesein ist so der Ort, an
dem Christus selbst durch bezeugende
Zeichen und Worte den Menschen anspricht und ihn so in das Geheimnis der
Dreifaltigkeit hineinführt. In der Kirche
ist jeder Einzelne, der sich durch Taufe
und Firmung in die Kirche hat einfügen lassen, berufen und gesandt, Zeuge des dreifaltigen Lebens Gottes zu
sein: Indem und je mehr der Einzelne
gemeinsam mit den anderen seinen
Weg, den Gott ihm weist, in seinem eigenen Leben entdeckt und geht, je mehr
er in der communio mit anderen die Gegenwart Christi bezeugt und die communio so glaubwürdige Ikone des dreifaltigen Gottes wird, desto besser kann
er auch andere in diesen Weg hinein-
des dreifaltigen Lebens Gottes zu sein.
nehmen und sie auf ihrem Weg begleiten. In dieser Weise existenzieller Anteilnahme und Anteilgabe an dem Weg
Gottes sind die Getauften und Gefirmten, gemeinsam und auch als Einzelne,
authentische Zeugen. Durch die Teilgabe
ihrer Erfahrung können sie andere begleiten, auf dass sie selbst ihre Berufung
zum Zeugnis und zum Leben entdecken.
Handeln in persona Christi capitis
Damit alle Christen und die Kirche als
Ganze ihre Berufung zum Zeugnis
immer neu wahrnehmen können, sind
sie verwiesen auf Wort und Sakrament, in deren Dienst das ordinierte
Amt steht - als Priestertum des Dienstes. In der Feier der Sakramente, in der
amtlichen Verkündigung des Wortes
und im Dienst der Leitung wird immer
wieder neu der geschenkte und heilige Ursprung der Gemeinschaft der
Glaubenden vergegenwärtigt und damit ein authentisches Zeugnis für den
Alle Christen und die ganze Kirche sind
verwiesen auf Wort und Sakrament,
in deren Dienst der Priester steht.
19
MYSTAGOGISCHE SAKRAMENTENPASTORAL
BRAUCHT ZEUGENSCHAFT
Je mehr die Kirche communio einübt
und lebt, desto deutlicher wird auch
das Geheimnis des dreifaltigen Gottes.
dreifaltigen Gott ermöglicht.
Das Zeugnis des geweihten Amtspriesters unterscheidet sich dem Wesen
nach vom gemeinsamen Zeugnis aller
Gläubigen (vgl. LG 10). Kraft der Weihe
handelt der Priester in den sakramentalen Vollzügen „in persona Christi
capitis“. Denn in der Feier der Sakramente handelt Christus selbst, erbaut so die
Kirche und befähigt die Gemeinschaft
der Getauften zum Zeugnis. Christus
selbst handelt im Handeln des Priesters
auch dann, wenn der einzelne Priester
seiner Berufung als Getaufter und Gefirmter nicht entspricht. Aber auch
wenn er damit das Handeln Christi verdunkelt, ist es immer Christus selbst, der
tauft, und der die Menschen hineinführt
in das Geheimnis Gottes.
Um diesen Dienst an der Einheit und
mithin an der Kooperation erfüllen zu
Existentielle Zeugenschaft der Getauften und das amtliche Zeugnis des
Priesters sind aufeinander zugeordnet.
Beide sind wichtige Bestandteile einer
mystagogischen Sakramentenpastoral.
20
können, bedarf der amtliche Dienst der
Leitung selbst einer Verwurzelung in einem communionalen Raum: Die Gemeinschaft des Presbyteriums mit dem
Bischof, durch die sie in der communio
ecclesiarum, im Kollegium der Bischöfe mit dem Bischof von Rom eingebunden ist. Auch die kirchliche Hierarchie
spiegelt also das Geheimnis des dreifaltigen Gottes: Je mehr sie als
communio eingeübt und gelebt wird,
desto deutlicher wird auch das Geheimnis des dreifaltigen Gottes, in dessen
Dienst das sakramentale Amt steht.
Das kirchliche Amt dient durch seine
Leitung, seine Verkündigung und durch
seinen sakramentalen Dienst der allen
gemeinsamen Aufgabe, den Menschen
das Heil Jesu Christi zu bezeugen, seine
Sendung als Prophet, Priester und Hirte für die Menschen zu vergegenwärtigen und die Einheit zu bezeugen, in der
Christus sich selbst bezeugt. Umgekehrt
führt das Lebenszeugnis der Gemeinschaft der Gläubigen für Christus in einer mystagogischen Sakramentenkatechese zur Glaubwürdigkeit dieses
Zeugnisses. Ziel des existenziellen Zeugnisses des Einzelnen wie der Gemeinschaft ist die Begegnung mit Christus
in der liturgischen Feier des Sakraments,
in der Christus selbst im Tun des Priesters handelt.
Die existenzielle Zeugenschaft der
Getauften und das amtliche Zeugnis
des Priesters sind also aufeinander zugeordnet. Beide sind wichtige Bestandteile einer mystagogischen Sakramentenpastoral.
MYSTAGOGISCHE SAKRAMENTENPASTORAL
BRAUCHT KOOPERATION
D
ie Getauften und Gefirmten geben als Einzelne in ihrem Handeln und Reden Zeugnis von Christus; die Gemeinschaft der Gläubigen
bezeugt in ihrem Lebensvollzug das
dreifaltige Geheimnis Gottes und
führt Menschen in dieses Geheimnis
hinein. Das Lebensgeheimnis Gottes
bestimmt dabei auch die Weise dieser Einführung. Ist Gott das dreifaltige Geheimnis der Liebe, dann ist
sein Wesen und sein Leben
communio. In der Kirche als Ikone der
Dreifaltigkeit spiegelt sich dieses
Wesen Gottes auch in der gelebten
communio und einer kooperativen
Pastoral wider. Beide gehören in dieser trinitätstheologischen Perspektive zur sakramentalen Struktur der
Kirche selbst. Die kirchliche communio als Ikone der Dreifaltigkeit ist
der Lebens-Raum, in dem die mystagogische Einführung in das Geheimnis der Dreifaltigkeit erfolgen kann.
Dort, wo diese communio nicht gelebt wird, wo Getaufte und Gefirmte
einander Kommunikation und Kooperation verweigern, ist dann
nicht nur das Zeugnis der Kirche, sondern auch ihr eigenes Zeugnis für
Christus verdunkelt.
Die amtliche Zeugenschaft als
Dienst am gemeinsamen Priestertum
aller Gläubigen besteht zum einen
darin, die verschiedenen Charismen
und Talente der Einzelnen und damit
ihre Möglichkeit zu einem authentischen Zeugnis zu fördern. Zugleich
ist sie ein Dienst an der von Gott ge-
schenkten communio, indem sie die
Kooperation fördert - wozu auch eine
Streitkultur gehört - und auf das gegenseitige Einverständnis der Gläubigen hinwirkt.
In der Kirche als Ikone der Dreifaltigkeit spiegelt sich das Wesen Gottes in
einer gelebten communio und einer
kooperativen Pastoral wider.
Damit ergeben sich für die Entwicklung einer mystagogischen Sakramentenpastoral als kooperativer Pastoral spezifische Herausforderungen:
• Eine mystagogische Sakramentenpastoral verlangt nach einer entsprechenden Hinführung aller Christen, die sie zu einem gemeinsamen
Aufgabe des Priesters ist es,
die Charismen der Einzelnen und die
Kooperation aller zu fördern.
Zeugnis für Christus befähigt. Eine
communionale Spiritualität (siehe
‚Novo Millenio Ineunte‘) und einen
entsprechenden communionalen
Lebensstil einzuüben ist für alle
Christen angebracht - besonders
21
MYSTAGOGISCHE SAKRAMENTENPASTORAL
BRAUCHT KOOPERATION
für diejenigen, die einen Dienst für
das Volk Gottes ausüben.
• Dies gilt in besonderer Weise für
den amtlichen Dienst an der Einheit. Das Presbyterium mit dem
Bischof ist ein zentraler Ort zur Einübung einer gemeinschaftlichen
Spiritualität, die Zeugnis vom Geheimnis Gottes gibt. Die Einübung
einer Konflikt- und Streitkultur,
eines verantworteten Gehorsams,
die Einübung von kooperativen
Leitungsfähigkeiten und das Lernen einer geistlichen Entscheidungsfindung in Gemeinschaft
sind nicht nur wünschenswert,
sondern wichtige Voraussetzungen
für ein sakramentales Leitungsverständnis.
• Die Verantwortung des Pfarrers in
der Sakramentenvorbereitung besteht theologisch darin, dass er das
gemeinsame Zeugnis der Christen
im Dienst an der Einführung in das
Geheimnis Gottes selbst immer
wieder am Evangelium ausrichtet
und die communio mit seinem Bischof und der ganzen Kirche zur
Geltung bringt. Dies verlangt eine
Praxis, die alle Wege der kooperativen Konfliktlösung nutzt. Eine
solche Praxis ist weder durch
Wege der kooperativen Konfliktlösung sind
weder durch Alleinverantwortung noch
durch vorschnelle Delegation geprägt.
22
Alleinverantwortung bzw. vorschnelle Inanspruchnahme der
kirchlichen Autorität geprägt noch
durch vorschnelle Delegation; das
eine wie das andere würde das
Zeugnis Christi verdunkeln.
Einige praktische Konsequenzen
für die Aus- und Fortbildung der
pastoralen Berufe
Mit der Einübung der persönlichen
Nachfolge gehört zum Anforderungsprofil einer mystagogischen
Pastoral eine Gestalt der Ausbildung,
die christliche Lebensvollzüge gemeinschaftlich prägt. Eine solche
(geistliche) Aus- und Fortbildung ist
in den verschiedenen pastoralen
Diensten notwendig und weiter zu
intensivieren.
Hinzu kommt eine Ausbildung von
Leitungskompetenzen. Hier sind vor
allem Methoden und Grundhaltungen der Moderation und Kooperation, der Konfliktfähigkeit und gemeinsamen Entscheidungsfindung
einzuüben und spirituell einzuholen.
Nur dann ist zu erwarten, dass alle
Mitarbeiter und auch die zukünftigen
Pfarrer die notwendigen Fähigkeiten
erwerben, um geistlich zu leiten und
damit Kooperation aller zu ermöglichen wie auch zu begrenzen. Dies
aber ist die Voraussetzung für eine
mystagogische Sakramentenpastoral.
Vor uns liegt die Herausforderung,
diesen Weg als geistlichen Prozess zu
begreifen und zu gestalten.
MYSTAGOGISCHE SAKRAMENTENPASTORAL
BRAUCHT KOOPERATION
Konkrete Kooperation in der
Sakramentenpastoral
Die Gesamtverantwortung für Pastoral und Seelsorge in einer Pfarrei obliegt dem Pfarrer. Planung und Durchführung einer mystagogisch orientierten Sakramentenpastoral sind
kooperativ anzulegen. Das bedeutet,
dass der Pfarrer die Charismen der
Getauften und Gefirmten in die konkrete Planung und Durchführung der
Sakramentenvorbereitung einbezieht. Zusammen mit den pastoralen
MitarbeiterInnen geht es darum, mit
allen Beteiligten einen gemeinsamen
Weg der christlichen Initiation zu
entwickeln. Dabei hat der Pfarrer
dafür zu sorgen, dass eine Vorbereitung auf die Sakramente evangeliumsgemäß und gesamtkirchlich
verantwortbar ist. Er hat dafür zu
sorgen, dass die Zusammenarbeit
zwischen allen Beteiligten kommunikativ und kooperativ angelegt ist:
Die gemeinsame Entwicklung eines
Konzepts, das Bemühen um verbindliche Absprachen und die Übertragung von Entscheidungskompetenzen sind nur einige Beispiele für
die konkrete Wahrnehmung des
Leitungsdienstes.
Der Pfarrer nimmt seine Leitungsverantwortung also nicht nur
dadurch wahr, dass er konkrete Projekte der Sakramentenpastoral gemeinsam mit allen Beteiligten durchführt, sondern auch durch die
Ermöglichung von Kooperation zwi-
schen allen Beteiligten und durch
Übertragung von Verantwortung.
Planung und Durchführung einer
mystagogisch orientierten
Sakramentenpastoral sind kooperativ
anzulegen.
Dabei muss er darauf achten, dass
alle Beteiligten miteinander ins Gespräch kommen können und im Gespräch bleiben. Die pastoralen
MitarbeiterInnen, die begabten Zeugen, die Gremien und Räte, aber auch
die Eltern sind in die Erarbeitung und
Weiterentwicklung des Konzepts mit
einzubeziehen.
23
MYSTAGOGISCHE SAKRAMENTENPASTORAL
BRAUCHT DIFFERENZIERTE WEGE
E
s scheint, dass die Volkskirche in
ihrer derzeitigen Gestalt zunehmend zerbricht. Das hat zur Folge,
dass wir Ausschau danach halten
müssen ‚auf eine neue Art Kirche zu
sein‘. Die herkömmliche praktische
Arbeit der Sakramentenpastoral wird
damit im besten Sinne frag-würdig.
Von der Grundoption einer mystagogischen Sakramentenpastoral aus
stellen sich viele Herausforderungen
und Fragen, etwa:
• Unter welchen Bedingungen können jahrgangsmäßige Katechesen
sinnvoll sein?
• Lässt sich aus einer mystagogischen
Perspektive ein „Kurssystem“ verantworten und auf welche Weise
kann es gestaltet werden?
• Wie kann mystagogische Katechese eingebunden sein in die Lebensräume der Gemeinde?
• Wie ist das Verhältnis von inhaltlicher Glaubensvermittlung und
kommunikativer Praxis?
Grunderkenntnisse einer mystagogischen Sakramentenpastoral eröffnen legitime Freiräume der Gestal-
Es gibt Freiräume der Gestaltung
zwischen einer Kirche der Entschiedenen und einem einfachen Fortschreiben
volkskirchlicher Erfassungspastoral.
24
tung in einer Zeit des Umbruchs; sie
ermöglichen einen verantwortbaren
Weg zwischen einer Kirche der Entschiedenen und einem einfachen und
oft wenig reflektierten Fortschreiben
volkskirchlicher Erfassungspastoral.
Eine differenzierte Sakramentenpastoral geht - gemäß dem Konzil
von Trient - davon aus, dass die Sakramente die Gnade, die sie bezeichnen, enthalten und dass diese Gnade
sich denen mitteilt, die kein Hindernis entgegensetzen (DS 1606). Wenn
unter mystagogischer Perspektive
davon ausgegangen werden kann,
dass Gott bereits im Leben eines jeden Menschen wirkmächtig anwesend ist, dann darf man - bei aller
gebotenen Unterscheidung der Geister - ebenfalls davon ausgehen, dass
der Wunsch nach dem Empfang eines Sakraments selbst schon - wie
auch immer reflektiert - von der
Nähe Gottes gewirkt ist.
Aus pastoral-praktischer Sicht besteht die Voraussetzung für den Empfang des Sakraments somit darin,
dass
• einerseits der Empfangende dem
Empfang des Sakraments
zumindest keinen Widerstand entgegensetzt;
• andererseits die Vorbereitung den
Rahmen schafft, in dem grundlegende Zeichen und Inhalte der sakramentalen Feier verstanden werden können, um eine ‚würdige‘ und
‚bewusste‘ Mitfeier des Sakraments
zu ermöglichen.
MYSTAGOGISCHE SAKRAMENTENPASTORAL
BRAUCHT DIFFERENZIERTE WEGE
Differenzierte Sakramentenpastoral bietet einen Rahmen, in dem die
Beteiligten Deutungsangebote und
Verstehenshorizonte in Bezug auf die
Feier des Sakraments erhalten. Gerade die Liturgie bietet reichhaltige
Ansatzpunkte zur deutenden Einführung in die Grundthemen Gott Vater,
Jesus Christus, Heiliger Geist und Kirche. Die bewusste Gestaltung eines
solchen Rahmens begegnet der Gefahr der Beliebigkeit; gleichzeitig soll
die Begrenzung von Dauer und Inhalt
eines solchen Rahmens Kräfte freisetzen für Angebote, die sich an diejenigen wenden, die ‚mehr‘ wollen.
Differenzierte Sakramentenpastoral gestaltet einen erweiterten
Rahmen, in dem auf weitergehende
Wünsche von Beteiligten eingegangen werden kann. Solche Angebote
werden die Möglichkeit bieten, sich
näher auf die Begegnung mit Jesus
Christus einzulassen, dem Reich Gottes im Leben intensiv auf die Spur zu
gehen und die Praxis des Christseins
einzuüben.
So empfehlen die Deutschen Bischöfe: „Bei einigen - und oft vielen
- müssen wir es gut sein lassen, wenn
wir ihnen etwas in ihr Leben mitgeben können. In solchen Begegnungen ist der Zeitaufwand und das innere Engagement zu begrenzen im
Blick auf das in der jeweiligen Situation Mögliche und Gewollte. Anderen können wir evtl. viel mitgeben.
Vielleicht vermögen Einzelne sogar
ihre Berufung als Mitträger kirchli-
Differenzierte Sakramentenpastoral
wird eine Bandbreite von kurzfristigen
Kontakten bis hin zu langfristigen
katechumenalen Wegen eröffnen.
cher Sendung für unsere Zeit neu und
vertieft wahrzunehmen und zu begreifen. Es wird dann darauf ankommen, mit der nötigen Zeit und Kraft
verfügbar zu sein.“ 1
Eine differenzierte Sakramentenpastoral, die die komplexe Gesamtsituation beachtet und die auf die
unterschiedlichen Lebenssituationen
der Menschen zu antworten versucht,
wird also - ohne in vagabundierender Beliebigkeit zu zerrinnen und
ohne die Beteiligten zu überfordern
- eine Bandbreite von kurzfristigen
Kontakten bis hin zu langfristigen
katechumenalen Wegen ermöglichen. Damit trägt sie den Wünschen
und der Lebenswirklichkeit der Betroffenen Rechnung und ermöglicht
in Freiheit unterschiedliche Grade der
communio.
Differenzierte Sakramentenpastoral entlastet damit vom vermeintlichen Anspruch, in der Sakramentenkatechese all das nachholen zu müs1
Die Deutschen Bischöfe (Hrsg.), Sakramentenpastoral im Wandel, 3. korrigierte Auflage,
Bonn 1996, S.34.
25
MYSTAGOGISCHE SAKRAMENTENPASTORAL
BRAUCHT DIFFERENZIERTE WEGE
sen, was den Beteiligten an Glaubenswissen oder kirchlicher Vorerfahrung (Sozialisation) zu fehlen
scheint.
Grundlage für die Entwicklung einer
differenzierten Sakramentenpastoral ist
die vorurteilsfreie Wahrnehmung der
Lebenswirklichkeit aller Beteiligten.
Gestaltung differenzierter
Sakramentenpastoral 2
Die Lebenssituationen der Menschen,
die der Kirche im Zusammenhang mit
dem Wunsch nach dem Empfang eines Sakraments begegnen oder die
an der Gestaltung der Vorbereitung
auf das Sakrament beteiligt sind,
werden immer unterschiedlicher. Damit begegnen sich in der Sakramen-
Gestaltete Orte des Dialogs sind konsti-
hat die Sakramentenpastoral differenziert zu reagieren. Voraussetzung dazu
ist die intensive und vorurteilsfreie
Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit
aller Menschen, die unmittelbar oder
mittelbar am Geschehen der Sakramentenvorbereitung beteiligt sind.
Einzelne Menschen und bestimmte Personengruppen (z.B. KatechetInnenrunde, Pfarrgemeinderat,
Elternkreis, Pastoralteam, Jugendgruppe etc.) sind in unterschiedlicher
Weise aufeinander bezogen und beeinflussen sich im Gesamtzusammenhang einer differenzierten Sakramentenpastoral gegenseitig. Dieses
Beziehungsgeflecht und die darin
entstehenden Fragen und Probleme
bedürfen der Bearbeitung innerhalb
eines partnerschaftlichen Dialogs.
Differenzierte Sakramentenpastoral
braucht gestaltete Orte für einen solchen Dialog (vgl. die Praxisbeispiele
Seite 30: Orte des Dialogs initiieren
und gestalten), die zugleich beispielhaft das Communioangebot Gottes
zeigen können. Diese Orte und die Art
und Weise ihrer Gestaltung sind konstitutiv für das Gelingen einer differenzierten Sakramentenpastoral.
tutiv für das Gelingen einer differenzierten Sakramentenpastoral.
tenvorbereitung auch gleichzeitig
unterschiedlichste Hoffnungen und
Wünsche, Befürchtungen und Fragen,
Ideen und Einstellungen. Auch darauf
26
2
vgl. dazu den Anhang: Analyseraster zur
Wahrnehmung von Bedingungsfeldern und
beteiligten Personengruppen in der Sakramentenvorbereitung
PRAKTISCHE ANREGUNGEN
D
ie nachfolgenden Anregungen
wollen dabei helfen, in den Gemeinden und Seelsorgeeinheiten
Prozesse einzuleiten, die die Weiterentwicklung einer mystagogischen Sakramentenpastoral fördern.
Orte des Dialogs initiieren und
gestalten
Der ständige ‚Praxisdruck‘ hinterlässt
allzu oft Lustlosigkeit und Frustration; Visionen und das gemeinsame
Fundament geraten in Vergessenheit.
Unterbrechungen im Alltag können
dazu dienen, neu die Frage nach der
zukünftigen Gestalt der eigenen Gemeinde zu beraten; sie können helfen,
eine Vision zu entwerfen, die der Wirklichkeit der Sakramentenvorbereitung
neue Kraft verleiht. Um einen Dialog
aller Beteiligten zu ermöglichen,
braucht es ‚Auszeiten‘ im Alltag.
Verantwortliche und Beteiligte
stärken
Allen an der Sakramentenvorbereitung beteiligten Priestern, Hauptberuflichen und ehrenamtlich Engagierten tut es gut, die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen zu
stärken. Das geschieht nicht nur
durch das persönliche Studium, sondern insbesondere in Exerzitien und
geeigneten Fortbildungsmaßnahmen
wie Studientagen oder KatechetInnenschulungen.
Mit der Beschreibung unterschiedlicher Kompetenzbereiche ist kein
vollständig zu erfüllendes Anforderungsprofil gemeint, das quasi als
‚Messlatte‘ dient. Vielmehr sollen
verschiedene Wege der Weiterentwicklung angedeutet werden, die sehr
individuell und sicher nicht alle gleichzeitig gegangen werden können.
Orte des Dialogs können z.B. initiiert werden durch …
… ein Gemeindeforum zum Thema „Sakramente“, zu dem eine qualifizierte Person von außen eingeladen wird.
… einen Klausurtag des Pfarrgemeinderats oder des Pastoralteams zum
Thema „Tauf- bzw. Eucharistievorbereitung und Gemeinde“.
… einen „Kreativkreis Sakramente“, in dem interessierte Mitglieder des
Pfarrgemeinderats mit anderen Interessierten aus der Gemeinde für
einen begrenzten Zeitraum Entwicklungen vordenken.
… die Unterbrechung des Kreislaufs der jährlich stattfindenden
Erstkommunionvorbereitung zu Gunsten einer „Zunkunftswerkstatt
in der Gemeinde“.
… einen „Workshop Sakramentenkatechese“, zu dem die KatechetInnen
der vergangenen Jahre zum Erfahrungsaustausch eingeladen werden.
27
PRAKTISCHE ANREGUNGEN
Grundhaltungen entwickeln und
ausbauen
„Eine mystagogisch ausgerichtete
Sakramentenpastoral bedarf einer
sensiblen Begleitung durch die Seelsorger bzw. Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in den Gemeinden. Entscheidend ist ihre Grundeinstellung
und Haltung.“ 3 Eine mystagogisch
ausgerichtete Sakramentenpastoral
sollte bei ihnen also von folgenden
Grundhaltungen und Fähigkeiten
geprägt sein:
• Ehrfurcht vor dem Menschen.
• Bewusstsein für das eigene Leben:
Wer andere darin einführen und
dazu begleiten will, sollte das Leben kennen - selbst Zeit zum eigenen Leben und zum reflektierenden Gebet haben.
• Einfühlungsvermögen in die
Lebenssituationen des Menschen
(Empathie).
• Neugier, „Gott auch dort zu entdecken, wo wir es bisher nicht gewohnt waren, ihn zu suchen: in den
Gesichtern der Menschen, hinter
Büroschaltern und unter Uniformmützen, in den Spalten der Zeitungen oder in den Wartezimmern der
Polikliniken“. 4
• Ernstnahme der Glaubenssituation
des Einzelnen in der Unterschiedlichkeit des Glaubensstandpunktes
und der Glaubensintensität. „Auch
ein zunächst unzureichend erscheinendes Motiv kann Ausgangspunkt
für den Weg zum Glauben sein.“ 5
28
• Demut: Der Glaube an die Gegenwart Gottes ist nicht machbar.
‚Machbar‘ ist nur, den Rahmen, in
dem Menschen ihre Erfahrungen
mit Gott machen können, zu gestalten und zur Verfügung zu stellen.
Liturgische Kernkompetenzen entwickeln und ausbauen
Liturgie eröffnet einen mystagogischen Raum in Worten und Zeichen.
Es geht um eine Einübung von Zelebrant und feiernder Gemeinschaft in
eine angemessene und einladende
„ars celebrandi“ (Kunst des Feierns),
die offen ist für das Gefülltwerden
von Gott her, dem Geheimnis des
Glaubens. Eine so geprägte Grundhaltung führt zu einer erneuerten
Feiergestalt der Liturgie einer Gemeinschaft. Dies hat Auswirkungen
auf die Sakramentenpastoral - vor
allem auf den Zusammenhang von
katechetischen und liturgischen Elementen auf dem Glaubensweg vor
und nach der Feier der Sakramente
(die Gestaltung des Erwachsenenkatechumenats kann hierbei als Modell hilfreich sein).
3
Die Deutschen Bischöfe (Hrsg.), Sakramentenpastoral im Wandel, 3. korrigierte Auflage,
Bonn 1996, S.27.
4
Bischof Wanke, Erfurt 1986.
5
Die Deutschen Bischöfe (Hrsg.), Sakramentenpastoral im Wandel, 3. korrigierte Auflage,
Bonn 1996, S.28.
PRAKTISCHE ANREGUNGEN
Bei der Entwicklung liturgischer Kernkompetenzen und der Gestaltung
konkreter Feiern sind folgende Fragen hilfreich:
… Welche gottesdienstlichen Formen sind vertraut, welche werden
gepflegt?
… Wie wird die Lebenssituation der Menschen in liturgisches Handeln
eingebracht und von dorther gedeutet?
… Gibt es anknüpfend an den reichen Schatz liturgischer Formen unterschiedliche Feiern, die sich in differenzierter Weise an Menschen
in unterschiedlicher Nähe oder Distanz zur Kirche bzw. an Menschen
in unterschiedlichen Lebenssituationen wenden?
… Auf welche Weise wird die Sensibilität der Mitfeiernden für Zeichen
und Symbole gefördert?
… Ist die Gestaltung des jeweiligen liturgischen Zeichens schlicht, ausdrucksstark und nicht verdoppelnd?
… Auf welche Weise finden liturgische Elemente in der Katechese Raum?
… Werden Menschen in der Katechese eingeladen, sich durch eine „Schule des Gebets“ in liturgischen Grundhaltungen einzuüben?
… Wie wird in der Feier der Sakramente die Zusage Gottes als lebensspendende Kraft und als Ermutigung zu Handeln deutlich?
Kommunikative Kernkompetenzen
entwickeln und ausbauen
Ohne die Bereitschaft und Fähigkeit,
vom eigenen Leben und Glauben zu erzählen und so anderen Anteil zu geben
an dem, was das eigene Leben trägt (authentische Zeugenschaft), ist die Weitergabe des Glaubens nicht denkbar.
Darüber hinaus erfordert eine mystagogische Sakramentenpastoral für
alle Beteiligten ein hohes Maß an Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung. Eine solches Klima wird insbesondere durch eine partnerschaftliche
Gesprächsatmosphäre gefördert. In einem solchen Miteinander kann es gelingen, die vielen verschiedenen Auf-
gaben und Tätigkeiten zu koordinieren, tragfähige Vereinbarungen zu
treffen und damit transparente Strukturen zu ermöglichen, die den Beteiligten ein hinreichendes Maß an Sicherheit bieten. Unter diesen Bedingungen lassen sich entstehende Fragen, Spannungen und Konflikte leichter kreativ lösen. Es ist zunächst Aufgabe von Hauptberuflichen oder auch
von besonders qualifizierten Ehrenamtlichen, einen solchen Rahmen zu
schaffen und die Gesprächsprozesse zu
begleiten. Dazu sind Fähigkeiten im
Bereich von Leitung und Moderation,
Kooperationsfähigkeit und Fähigkeiten
im Bereich des Konfliktmanagements
besonders hilfreich.
29
PRAKTISCHE ANREGUNGEN
Kompetenzen im Bereich der Kommunikation können zum Beispiel
gefördert werden durch...
… eine Fortbildung in Moderationstechnik.
… die Teilnahme an Kursen der Themenzentrierten Interaktion (TZI).
… eine Aneignung von einfachen Techniken des Sitzungsmanagements.
Theologische Kernkompetenzen
entwickeln und ausbauen
Differenzierung meint nicht Beliebigkeit. Jede Differenzierung orientiert sich an der Tradition der einen
Kirche. Die Lebendigkeit dieser Tradition gilt es immer neu zu bezeugen und auszusagen. In Verbundenheit mit der ganzen Kirche will
mystagogische Sakramentenpastoral
Wege einer vertieften Beziehung zu
Jesus Christus eröffnen und gehen.
Dies geschieht zentral in der Liturgie, aber auch in der theologischen
Lehre und Reflexion. Dazu gehört das
Bemühen um ein vertieftes Verstehen der Heiligen Schrift, die Einübung in das Beten der Kirche und die
Auseinandersetzung mit dem Glaubenszeugnis der Generationen vor
uns und der lehramtlichen Verkündigung der Kirche von heute.
Wir halten es für unverzichtbar,
dass alle an der Sakramentenpastoral
Beteiligten sich mit den grundlegenden Inhalten des Glaubens vertraut
machen und auseinandersetzen mit
dem Ziel, verantwortet Zeugnis geben zu können von dem, woran die
30
Kirche glaubt. Eine solche Auseinandersetzung kann im Rahmen eines
Grundkurses des Glaubens geschehen, der sich zum Beispiel am Katechismus, am Glaubensbekenntnis der
Kirche, an einem Evangelium oder
etwa an einem der liturgischen Hochgebete orientiert.
Alle Beteiligten in die Vorbereitung
der Sakramentenkatechese
einbeziehen
Die konkrete Gestalt der Sakramentenvorbereitung ergibt sich aus der
Gestaltung ihres äußeren Rahmens
und der inneren Struktur. Dazu gehören beispielsweise Vereinbarungen
über die Häufigkeit und Dauer der
Treffen, Inhalte und Methoden während der Vorbereitung, Verbindlichkeiten und Konsequenzen bei deren
Nichteinhaltung, begleitende und
ergänzende Maßnahmen und Veranstaltungen, Möglichkeiten und Formen der aktiven Beteiligung etc. Am
ehesten gelingt eine differenzierte
Sakramentenvorbereitung, wenn alle
Beteiligten schon vor Beginn des katechetischen Weges gemeinsam die
Planungen erarbeiten.
PRAKTISCHE ANREGUNGEN
In die Vorbereitung der Sakramentenkatechese können viele mit einbezogen werden z.B. durch...
… ein ‚Elternforum Erstkommunion’, auf dem KatechetInnen und interessierte Eltern die kommende Erstkommunionvorbereitung planen.
… einen ‚Workshop Taufvorbereitung’ am Samstag Nachmittag, zu dem evtl. zusammen mit Taufeltern der vergangenen Jahre - Eltern eingeladen werden, die in der kommenden Zeit ein Kind taufen lassen wollen.
… eine ‚Planungsgruppe Firmung’ mit Hauptberuflichen, KatechetInnen
und interessierten Eltern und Jugendlichen, die sich an mehreren Abenden gemeinsam Gedanken macht zur Gestalt der künftigen Firmkatechese.
Aufgabenteilung ermöglichen
Die unterschiedlichen Zugehensweisen der Menschen auf die Sakramente erfordern unterschiedliche
Formen der Beteiligung im Prozess
der Vorbereitung und Durchführung.
Zwischen scheinbar ‚passiver‘ Teilnahme und der engagierten Beteiligung als Katechet/in während des
gesamten Zeitraums der Vorberei-
tung gibt es einen breiten Spielraum
unterschiedlichster Beteiligungsformen. Diesen gilt es zu ermöglichen, um der unterschiedlichen Bereitschaft zur Nähe und zum Engagement gerecht werden zu können.
Manche werden aber auch keine
Bereitschaft zur Mitwirkung zeigen
und nur zu wenigen - manchmal
auch gar keinen - Gelegenheiten
Kontakt zur Gemeinde haben.
Aufgabenteilung in der Sakramentenkatechese kann z.B. heißen:
… Einige werden sicher bereit sein, einen Kuchen zu backen, einen
Salat mitzubringen oder einen Fahrdienst zu übernehmen.
… Andere werden am Familiennachmittag einen Basteltisch betreuen
oder sind bereit, einen Gottesdienst mit vorzubereiten.
… Wieder andere haben vielleicht Interesse, an einem Vorbereitungswochenende mitzuwirken oder als Gesprächspartner während einer
Katechese mit Jugendlichen zur Verfügung zu stehen.
… Manche gehen vielleicht den ganzen Weg einer Sakramentenvorbereitung mit und übernehmen Aufgaben im Bereich der Koordination, führen Katechesen durch oder sorgen sich um die Öffentlichkeitsarbeit.
31
ANHANG
Analyseraster zur Wahrnehmung
von Bedingungsfeldern und
beteiligten Personengruppen in
der Sakramentenvorbereitung
F
ür die Weiterentwicklung einer
angemessenen Praxis der Sakramentenvorbereitung vor Ort sind verschiedene Bedingungsfelder und
Personengruppen in den Blick zu
nehmen.
Die Wahrnehmung des komplexen
Zusammenhangs von Bedingungsfeldern und beteiligten Personengruppen kann in der Praxis entscheidend
zur Gestaltung einer mystagogischen
Sakramentenpastoral beitragen, die der
Situation vor Ort angemessen ist.
32
Personengruppen:
* Zielgruppe
* Gemeinde
* KatechetInnen
* Hauptberufliche
Bedingungsfelder:
* Theologie und Sozialwissenschaften
* Struktur und Prozess
Theologie, Sozialwissenschaften,
Prozess und Struktur beziehen sich
aufeinander und sind unauflösbar
miteinander verbunden. Differenzierte Sakramentenpastoral verliert sich
nicht in einem der unterschiedlichen
Pole, sondern hält sie in einer dynamischen Balance.
ANHANG
Bedingungsfelder:
• Theologie:
Entscheidend ist, dass die in einem
pastoralen Handlungsraum (Pfarrgemeinde, Seelsorgeeinheit, Dekanat etc.) am Prozess Beteiligten sich
auf der Grundlage einer hier aufgezeigten mystagogischen Pastoral über die intendierten Inhalte
der gemeinsam verwendeten theologischen Begriffe und über die
angezielte Praxis verständigen (z.B.
„Was heißt ‚mystagogisch‘?“; „Was
bedeutet ‚Sakrament‘?“; „Wie verstehen wir ‚Gemeinde‘?“ etc.).
• Sozialwissenschaften:
Mystagogische Sakramentenpastoral setzt die Beschäftigung mit
Erkenntnissen der Sozialwissenschaften voraus. Das betrifft sowohl Erkenntnisse über den Einzelnen als auch Erkenntnisse über die
Entwicklung von Gruppen und Organisationen sowie die stetige Verfolgung gesellschaftlicher Wandlungsprozesse (ganz allgemein aber auch speziell bezogen auf das
konkrete soziale Umfeld).
• Prozess:
Lebenszusammenhänge entwickeln sich nicht gradlinig und stringent. Mystagogische Sakramentenpastoral muss Räume eröffnen,
in denen mit der Anwesenheit Gottes auf dem Weg des Einzelnen und
der Gruppe gläubig gerechnet wird.
Dafür braucht es die Aufmerksamkeit für Unvorhergesehenes; dazu
braucht es die Möglichkeit zur Veränderung und Neuorientierung auf
dem Weg der Vorbereitung auf ein
Sakrament.
• Struktur:
Planung und Organisation, Vereinbarungen über Zeiten und Orte, Inhalte und Methoden sind unumgänglich, um Ziele zu verfolgen und
Begegnung zu ermöglichen, so dass
Vertrauen und Sicherheit wachsen
und Menschen sich aufeinander
einlassen können. Mystagogische
Sakramentenpastoral verwirklicht
sich in geplanten und gestalteten
Zusammenhängen.
Personengruppen:
• Zielgruppe:
Gemeint sind die Menschen, die ihren Wunsch nach Empfang eines
Sakramentes deutlich gemacht haben, und nun Teilnehmende an einer gestalteten Sakramentenvorbereitung sind. Dazu gehören auch
die nicht unmittelbar Beteiligten,
sofern sie durch die Kursplanung
in den Blick genommen werden.
• Gemeinde:
Sakramentenvorbereitung gestaltet sich in einem konkreten Lebensraum einer Gemeinde als Gemeinschaft der Christen. Die Sakramentenvorbereitung ist wesentlich
33
ANHANG
durch die Kultur dieses Lebensraums (Ziele und Visionen, konkrete
Schwerpunkte der Gemeindearbeit,
Traditionen etc.) und die Menschen
dieses Lebensraums (Gruppen und
Gremien, Meinungsführerschaft,
Herkunft und Lebenszusammenhang etc.) bestimmt.
• Priester und Hauptberufliche:
Sie sind in besonderer Weise verantwortlich für Leitung, Ausbildung und Begleitung innerhalb der
Vorbereitung auf die Sakramente.
• KatechetInnen:
Verschiedene Menschen sind mit
unterschiedlichen Rollen und Begabungen an der Sakramentenvorbereitung beteiligt. Insbesondere
geht es hier um die Ehrenamtlichen, die sich in der Vorbereitung
auf die Sakramente engagieren.
Im Blick auf alle beteiligten Personen stellen sich immer wieder gleiche oder ähnliche Fragen, deren Beantwortung mit entscheidend sind
für die Gestaltung einer differenzierten Sakramentenpastoral unter
mystagogischer Perspektive:
… Welche Begabungen, Fähigkeiten, Kompetenzen bringen sie mit?
… Welche Ressourcen haben sie (insb. z.B. im Blick auf Zeit und Kraft)?
… Welche Visionen, persönlichen Ziele, Erwartungen, Hoffnungen haben sie?
… Welche Befürchtungen, Ängste, Vorbehalte bewegen sie?
… Welche Erfahrungen mit Kirche, welchen persönlichen Glauben bringen sie mit?
… Welche Traditionen und welche Kultur bestimmen ihren Lebenszusammenhang?
… Welche Rolle nehmen sie ein im Gesamtzusammenhang der Sakramentenpastoral eines pastoralen Handlungsraums?
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BETEILIGTE
Beteiligte am „Prozess
S a k ra m e n t e n p a s t o ra l “
Auftraggeber:
Priesterrat des Bistums Hildesheim
Prozessleitung:
Collegium Consultorum
Steuergruppe (1999-2000):
DK Adolf Pohner
PR Ulrich Koch
Pfr. Peter Herbst (AG1)
Pfr. Wolfgang Voges (AG2)
Prof. Dr. Franz-Wilhelm Thiele (AG3)
Pfr. Bernd Kösling (AG4)
Pfr. Dr. Christian Hennecke (AG5)
Arbeitsgruppe 1 (1999-2000):
,Mystagogische Sakramentenpastoral‘
Mitglieder:
Pfr. Peter Herbst (Leitung)
DK Wolfgang Freter
Pfr. Andreas Pape
Pfr. Dr. Werner Schreer
Berater/innen:
Kpl. Matthias Eggers
PR Werner Hohmann
GR Matthias Risau-Klöpper
Dozent i. R. Gerhard Schlichting
PR Martin Schwedhelm
Arbeitsgruppe 2 (1999-2000):
‚Gemeinde und Sakramentenpastoral‘
Mitglieder:
Pfr. Wolfgang Voges (Leitung)
Diakon Armin Bötjer
Kpl. Franz Kurth
Pfr. Johannes Lim
Pfr. Heinrich Metzner
Berater/Innen:
Dozent Dr. Peter Abel
Josee Kompier-Koch
GR Bärbel Smarsli
PR Hans-Georg Spangenberger
Arbeitsgruppe 3 (1999-2000):
‚Sakramentenpastoral und Liturgie‘
Mitglieder:
Prof. Dr. Franz-Wilhelm Thiele (Leitung)
Pfr. Herbert Drexler
Pfr. i. R. Norbert Kaesehage
Diakon Klaus Kilian
DK Wolfgang Osthaus
Pfr. Prof. Dr. Dietrich Zimmermann
Berater/innen:
Maria Behnke
PR Hubertus Schönemann
Arbeitsgruppe 4 (1999-2000):
‚Sakramentenpastoral in
kooperativer Pastoral‘
Mitglieder:
Pfr. Bernd Kösling (Leitung)
Diakon Thomas Müller
Dechant Christian Piegenschke
Dechant Wigbert Schwarze
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BETEILIGTE
Berater/innen:
GR Ursula Widenka
PR Martin Wrasmann
Ursula Behrens
Arbeitsgruppe 5 (1999-2000):
‚Differenzierte Wege in der
Sakramentenpastoral‘
Mitglieder:
Pfr. Dr. Christian Hennecke (Leitung)
Pfr. Alfons Berger
Diakon Johannes Koch
Pfr. P. Kazimierz Pajor C.Or.
Pfr. Franz-Josef Schubert
Berater/innen:
Renate Brachem
PR Annette Burchardt
PR Matthias Kaune
GR Elisabeth Seelwische
Redaktionsgruppe (1999-2000):
Pfr. Dr. Christian Hennecke
PR Matthias Kaune
PR Ulrich Koch
Pfr. Bernd Kösling
DK Adolf Pohner
PR Hubertus Schönemann
PR Martin Schwedhelm
GR Bärbel Smarsli
PR Martin Wrasmann
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Redaktionsgruppe (2000-2002):
Kpl. Matthias Eggers
Pfr. Dr. Christian Hennecke
PR Matthias Kaune
PR Ulrich Koch
Diakon Jens Lüpke
PR Hubertus Schönemann
Pfr. Dr. Werner Schreer
PR Martin Schwedhelm
WB Dr. Nikolaus Schwerdtfeger
GR Bärbel Smarsli
PR Martin Wrasmann
Steuergruppe (2000-2002):
Pfr. Dr. Christian Hennecke (Leitung)
Pfr. Peter Herbst
PR Matthias Kaune
PR Ulrich Koch
DK Adolf Pohner
Prof. Dr. Franz-Wilhelm Thiele
ISBN: 3-89366-536-6
Titelbild: Andreas Felger, Öl und Blattgold
© Präsenz Verlag, Hünfelden
Impressum
© 2003 Bischöfliches Generalvikariat, Hildesheim
Herausgeber: Der Bischof von Hildesheim
Bezug: Bischöfliches Generalvikariat Hildesheim
Hauptabteilung Pastoral – Fachbereich Verkündigung
Domhof 18–21, 31134 Hildesheim