ITZEHOE - Wohnungswirtschaft heute
Transcrição
ITZEHOE - Wohnungswirtschaft heute
KUNST FESTIVAL ITZEHOE Kunst und Stadt Veranstalter: Künstlerbund Steinburg Zeit: 17. November – 8. Dezember 2013 Ausstellungsort: Eine Kleinstadt in der Norddeutschen Provinz Ausstellungsraum: Die ganze Stadt Die Künstler mischen sich ein: Zum 775. Geburtstag der Stadt untersuchten, hinterfragten und kommentierten mehr als 20 Künstler auf ihre eigene Art Itzehoes Stadtgeschichte und den anhaltenden Strukturwandel. Wofür steht die Stadt heute? Wie nehmen wir den Stadtraum wahr? Und: Wie wollen wir Itzehoes Zukunft gemeinsam gestalten? Ein Statement der Kunst. 1 einführung einführung kunst und stadt – Gedankliche Annäherung an ein Kunstfestival in der Provinz Am 16. Juli des Jahres 1796 schrieb der Gelehrte Georg Christoph Lichtenberg an den in Itzehoe lebenden Schriftsteller Johann Gottwerth Müller: „Über die Unerschöpflichkeit Ihres Genies, theuerster Freund, muß ich in Wahrheit erstaunen. Sie tragen in dem kleinen Itzehoe ein gantzes London in Ihrem Kopf. Sagen Sie mir doch, wie Sie das anfangen, und was für eine Herschelsche Erfindung Sie gemacht haben, daß Sie an Ihrem geringen Wohnort so tief und so richtig in die Welt hineinschauen, daß die Umfahrer und Umsegler derselben hinter Ihnen zurückbleiben.“ Bemerkenswert ist hier nicht nur Lichtenbergs Erstaunen (Sollte man wirklich glauben, dass die Möglichkeit der geistigen Arbeit und der damit verbundenen Erkenntnis tatsächlich abhängig sei vom aktuellen Aufenthaltsort?), sondern auch sein Verweis auf die Apparatur des Fernrohres. Denn gerade im gesteigerten Abstand zum untersuchten Objekt wird der eigene Standort zunehmend irrelevant: Für die astronomische Betrachtung unseres Mondes schrumpft der Abstand zweier Beobachtungspunkte auf der Erde angesichts der 384400 Kilometer bis zu diesem Himmelskörper zur Bedeutungslosigkeit. In vergleichbarer Weise verhält es sich mit geistiger und kultureller Arbeit: je universaler und grundlegender sie ausfällt, desto geringer gestaltet sich die Rolle des Produktionsstandortes. Itzehoe kann schwerlich zu einem „gantzen London“ werden, aber die Kartographierung unserer kulturellen Landschaft ist angefüllt mit ansonsten unbedeutenden Orten, die sich mit einem Alleinstellungsmerkmal in einem bestimmten Kontext positionieren. Beispielsweise Seebüll als Wirkungsstätte 2 kunst und stadt Emil Noldes oder die Hafenstadt Bilbao deren Name Synonym geworden ist für die Aufwertung in eine globale Spitzenposition durch Architektur plus Kunstsammlung. „Weißt du, wenn das Universum ein helles Zentrum hat, bist Du auf diesem Planeten am weitesten davon weg“ lässt der Regisseur George Lucas seinen Protagonisten Luke Skywalker im 1977 erschienenen Science-Fiction-Märchen „Star Wars“ sagen. Skywalker ist auf einem Wüstenplaneten im Outer-Rim-Territorium aufgewachsen und das Lucassche Universum besitzt tatsächlich ein solches helles Zentrum, welches nicht eine geografische Position meint, sondern die aktuell fungierende Quelle von Zivilisation, Ordnung und Kultur – Coruscant, ein ganzer Planet als durchgängiges Stadtgebiet, die ultimative Urbanität. Schaut man auf Satellitenaufnahmen unseres eigenen Planeten, die unsere Besiedlung anhand der elektrischen Illumination bei Nacht sichtbar machen, gewinnt man den Eindruck, auch wir befänden uns auf dem Wege zur analogen Totalvernetzung. Die stetig expandierenden urbanen Räume verstehen sich dabei jeweils als Zentrum und erklären das Umliegende zur eigenen Peripherie, sobald es in den Bereich ihrer Aufmerksamkeit gerät. Dem gegenüber müssen sich die Bewohner der noch nicht angefügten Gebiete die Identitätsfrage stellen: Schlagen sie sich der nächstgelegenen Metropole zu oder bleiben sie eigenständiges Zentrum mit entsprechendem Wirkungskreis? Möglicherweise entscheidet sich die Zukunft der kleineren Städte anhand der Frage, wie schnell sie in das Randgebiet der nächsten Metropole gelangen. Müssen sie dazu zwangsläufig Trabanten der Stätten werden, die sich selbst als „eigentliche“ Lebensstätten definieren? Im kulturellen Sektor zumindest machen sich die Auswirkungen eines ähnlich zentralistisch gedachten Ansatzes stets bemerkbar: Die Förderung von Kultur beginnt in den Landeshauptstädten und verbreitet sich von da aus in die Umgebung – je weiter eine Region entfernt ist, desto weniger hell leuchtet dort das Licht. Man merkt als in der Provinz lebender Künstler, dass man in ihr „angekommen“ ist, wenn man zu einer Podiumsdiskussion zur Verhandlung von Kunst und Kultur in der Peripherie geladen wird – aber lediglich als Zuschauer, nicht als Referent. Im Panel sitzen urban orientierte Sachverständige. Sie berichten von ihren Erfahrungen mit Projekten jenseits der Zivilisation und meinen damit die am weitesten vom Metropolen-Kern entfernte U-Bahnstation. Ihren Blick auf die Provinz werfen sie von außerhalb, gespeist aus der eigenen zentralistischen Diskursposition. Im Ergebnis erscheint die Provinz als Tabula rasa, unbespielte Fläche, als offener und strukturloser Raum mit überschaubaren stereotypen Positivismen: die gute Luft, die himmlische Ruhe, die herrlichen Kuchen der Landfrauen. Tatsächlich aber ist die Provinz kein offener Raum. Denn es gibt – wenn auch dünne – kulturelle Infrastrukturen. Diese sind nur weniger sichtbar, dafür aber umso stärker festgelegt. Allerdings: Während sich in der urbanen Kultur ständige Wechsel und kontinuierliche Veränderungen großer struktureller Ströme bemerkbar machen, findet Vergleichbares in der Provinz nicht statt. Dadurch sind die bestehenden Gefüge schlechter beobachtbar und schwerer zu handhaben. Die kulturelle Arbeit in der Provinz ist demnach viel weniger von einer Pionierarbeit des Aufbauens von Systemen geprägt als vom Überwinden der vorhandenen. Dafür muss man sich Freiräume schaffen: Diese sind dann aber nicht in der Matrix einer bestehenden kulturellen Infrastruktur eingespeist, entbehren also bereits vorgefertigter Vertriebswege. Für Künstlerinnen und Künstler stellt sich immer auch die Frage nach der Gestaltung der unmittelbar umgebenden Lebensstätten und der persönlichen Einwirkung auf das direkte Umfeld. Das gilt ebenso für jene, die in einem urbanen Kontext leben und arbeiten, wie auch für solche in der Provinz. Macht man dieses zu seiner Aufgabe und bestimmt somit einen Standort, anstatt den eigenen Raum losgekoppelt vom umgebenden Gefüge nur als isolierte Wirkungsstätte ohne Provenienz zu sehen, ist man in einer Kleinstadt vor andere Aufgaben und Ergebnisse gestellt als in der Metropole. Dabei unterscheidet sich die Arbeit zunächst einmal nicht grundsätzlich: auch im großstädtischen Bereich begrenzt man die eigene Wirkung auf eine überschaubare Einheit, seinen Kiez, und schafft sich somit einen Mikrokosmos im Gesamtgefüge, welcher ähnlich überschaubar ist, wie eine Kleinstadt. Allerdings mit einer Homogenität und Zielgerichtetheit mit der Kultur als bestim- mendem Element, die eben im Falle der Kleinstadt als Wirkungskreis nicht vorhanden ist. Dort müssen alle Bereiche bedient werden, der gesamte Makrokosmos eines städtischen Gefüges, wobei die Auswirkungen des eigenen Handelns innerhalb dieses Gefüges sehr hoch sind, außerhalb jedoch kaum wahrgenommen werden: Die „Kiezarbeit“ in der Provinz bleibt provinziell und schafft in der öffentlichen Wahrnehmung und im kulturellen Diskurs selten den Sprung über die Region hinaus. Dies alles sind Gedankengänge, wie sie in Itzehoe seit Jahren verhandelt werden. Ob nun konkret diskutiert, durch Ausstellungspraxis umgesetzt, öffentlich gefordert oder nur frei flottierend in Szenegesprächen verfolgt: Stets von neuem schwingen diese Aspekte subkutan bei jeder kulturellen Arbeit mit, greift die Frage nach den identitätsstiftenden Elementen der Stadt schlüssig in die Fragestellung mäßig stattfindenden „Runden Tisch“, der erstmals im Januar 2012 stattfand mit dem Ziel der Vernetzung und der Standortförderung. Es hatte sich also bereits einiges bewegt als die 775 Jahrfeier der Stadt für das Jahr 2013 konkret auf der Agenda der Kultur landete. Für den Künstlerbund Steinburg, eine der ältesten durchgängig aktiven Künstlervereinigungen Deutschlands mit Sitz in Itzehoe, bot sich damit die Möglichkeit und das Interesse an dieser Entwicklung teilzunehmen und diese voranzutreiben. Aus der ursprünglichen Idee, eine normale Themenausstellung zum Thema „Itzehoe“ im musealen Raum auszurichten wurde schnell mehr: Gastkünstler wurden geladen, um Positionen von außerhalb und die daraus resultierenden Sichtweisen auf die Stadt zu präsentieren. Das Gebiet der Innenstadt sollte einbezogen werden – die Kunst zu den Rezipienten gebracht werden, die Stadt alternativ bespielt und definiert. Als sich dann noch „Die kulturelle Arbeit in der Provinz ist viel weniger von einer Pionierarbeit des Aufbauens von Systemen geprägt als vom Überwinden der vorhandenen.“ nach der eigenen künstlerischen Identität. Und formuliert somit konkrete Handlungsaufträge. Im Jahr 2011 machte sich in Itzehoe eine wundersame Aufbruchstimmung bemerkbar: Ausgelöst unter anderem durch eine Bürgerinitiative, welche sich für die Wiedereröffnung eines zugeschütteten Flusslaufes einsetzt. Der neu gegründete Verein „Störauf“ will damit eine städtebauliche Maßnahme der siebziger Jahre entschärfen, die dem Identitätsgefühl der Stadt und seiner Bewohner bis heute schwer zusetzt. Zeitgleich gründete sich die „Kulturstiftung Itzehoe“ als Initiative von Geschäftsleuten und Akteuren der Hochkultur, welche die kulturellen Bewegungen im Stadtgebiet und darüber hinaus breitgefächert vernetzt und fördert. Zudem startete im selben Sommer ein Ausstellungsprojekt Bildender Künstlerinnen und Künstler namens „Secession!“, welches es sich zum Ziel gemacht hatte, Kunst an kunstferne Orte innerhalb Itzehoes zu bringen, Hochkultur mit Subkultur zu verbinden und neue Wege in der örtlichen Kunstszene zu beschreiten. Angeregt durch Kulturschaffende aller Bereiche installierte die Stadt Itzehoe einen regel- Parallelausstellungen – sinnfällig, aber quasi aus dem Nichts generiert – an die Hauptausstellung andockten, wuchs sich die Unternehmung zu einem regelrechten Kunstfestival aus. Sechsundzwanzig reguläre Teilnehmer aus fünf Bundesländern und dem Ausland, siebzehn Spielorte, vier Parallelausstellungen, sechzehn Veranstaltungen, unter anderem Vorträge und Kunstaktionen und über 150 Beteiligte insgesamt verzeichnet die Bilanz. Als achtzehnter Spielort hatte sich die örtliche Presse etabliert und mit einer kontinuierlichen Kampagne das Kunstfestival in ein zusätzliches Medium überführt. Nun – mit dem Erscheinen dieser Publikation – präsentiert sich das Kunstfestival ein weiteres Mal, an einem neunzehnten Spielort. Es setzt damit die Entwicklung stringent fort: vom musealen Innenraum mit definiertem Publikum in den städtischen Außenraum, direkt zu den Einwohnern als Rezipienten – von dort aus in den größeren Umkreis der regionalen Presse mit Tertiärpublikum und schlussendlich in die Weite. So trägt sich die Idee aus ihrem ursprünglichen Entstehungs- und Wirkungsbereich in andere Städte, aus der Provinz in die Welt. Manuel Zint kunst und stadt 3 im stadtbereich im stadtbereich Klandestine Klänge Sie erinnern an die berühmt-berüchtigten toten Briefkästen früherer Spionage-Thriller, die „Dead Drops“, die der Berliner Künstler Aram Bartholl als Artist in Residence bei EYEBEAM in New York entwickelte. Dabei handelt es sich um USB-Flashdrives, die so in Mauern einzementiert werden, dass findende Passanten gerade noch ein Handy oder Laptop anstöpseln und anonym Daten tauschen können, völlig ohne Netz. Kaum hatte Bartholl von seinem anonymen Datenaustausch-Netzwerk mit fünf ersten Standorten berichtet, war er auch schon museumsreif. Das New Yorker MoMa lud ihn samt seiner Toten Tropfen in die Show „Talk to Me“ ein. Das war im Sommer 2011. Mittlerweile gibt es weltweit 1338 auf der Website deaddrops.com verzeichnete USB-Sticks, jedoch keinen in Itzehoe. Dabei feiert die klandestine Verteilung digitaler Speichermedien im öffentlichen Raum in einer Parallelausstellung des Kunstfestivals seine Itzehoe-Premiere. Versteckt in der Nähe vom Seiteneingang des Hertie-Gebäudes präsentiert „Itzehoe Captain“ mehrere Gigabyte Fotos, Filme und vor allem Musik aus den Reihen einer Itzehoer Szene, die ansonsten lieber unter sich und authentisch bleibt. Einflüsse, gar Einmischung von außen werden abgelehnt, schon der gefällige Ausdruck „Subkultur“ schmeckt niemandem. Um dem Festival-Publikum dennoch ein greifbares Angebot zu machen, sprüht der „Captain“ den Bauzaun vor einem Leerstand in einer Haupteinkaufsstraße sonnig-bunt und bietet Gratis-Musik zum Download an. Alles andere steckt im toten Tropfen. Quelle: www.datenform.de/blog/dead-drops-preview 4 kunst und stadt K l ic k i ns N etz ! ...hören Sie mal rein: www.schleswig-holstein.sh/kunstundstadt Hier gibt es außerdem noch mehr Informationen und Materialien zum Kunstfestival Itzehoe. kunst und stadt 5 im stadtbereich wort und tat im stadtbereich „ Was die Künstler in Itzehoe aus eigener Initiative auf die Beine gestellt haben ist bewundernswert und in dieser Form noch nicht dagewesen. Das Modell „Kunstfestival Itzehoe“ ist beispielhaft und sollte über Itzehoe hinaus Schule machen. Hut ab.“ Gerd Warda, Chefredakteur von wohnungswirtschaft-heute und SCHLESWIG-HOLSTEIN. Die Kulturzeitschrift für den Norden. „ Kunst an allen Ecken, so vielfältig wie Itzehoe selbst. Da lohnte sich ein genauerer Blick – auf die Werke und auf die Stadt. Unbedingt wiederholen! “ Katrin Götz, Redakteurin „Norddeutsche Rundschau“ „ Der Künstlerbund Steinburg hat die Stadt zu seinem Ausstellungsraum erklärt und vielen Itzehoern einen anderen Blick auf ihre Heimatstadt ermöglicht: Kunst kann Einfluss nehmen. Das hat das Festival gezeigt. Dieser Erfolg hat landesweite Beachtung und Anerkennung verdient.“ Dr. Bernd Brandes-Druba, Geschäftsführer der Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein „ Das vom Künstlerbund Steinburg e.V. initiierte Kunstfestival hat durch die kreative Gestaltung einen großen Teil zur Attraktivität des kulturellen Lebens in Itzehoe beigetragen.“ Dr. Andreas Koeppen, Bürgermeister Stadt Itzehoe „ Kunst im Alltag schenkt uns Überraschung, 1550 Jahre Itzehoer Koch-Kunst Lecker locken leuchtend Früchte und Gemüse in der Sonne: die Kraft der Natur zum Reinbeißen schön mitten in der Stadt. Angerichtet und positioniert von der Künstlerin Anke Mellin, die sich eben mit dieser „Kraft der Natur“ beschäftigt. Aber nicht nur: Vielmehr spürt sie dieser Kraft „als verloren gegangener Quelle unserer Existenz“ nach und versucht, durch ihre Installation „Hmmm – ein Denkmal für die Zukunft“ sichtbar zu machen, wie die Natur auf die vom Menschen gemachte Zivilisation reagiert. Dafür spannt sie – gemeinsam mit Eva Ammermann – einen virtuellen Zeitraum von 1550 Jahren Kulinarik auf, der zum einen 775 Jahre zurück zur Stadtwerdung Itzehoes reicht, zum anderen genauso weit nach vorn. Was wird im Jahr 2788 auf den Tellern liegen, spekuliert Mellin angesichts eines erwartbaren wärmeren Klimas und schon jetzt möglicher Manipulationen mit Erbsubstanzen in der Produktion von Nahrungsmitteln. Und sie fragt: „Wie das wohl schmeckt?“ Den Geschmack von 1238 serviert Eva Ammermann in ihrer mobilen Suppenküche „L´aliment“, recherchiert in Backstube, Stadtarchiv und Kirchen-Küche. Ihr Ergebnis: Die öffentliche Ausgabe samtiger Brotsuppe als Variante früherer Armenspeisung – so wohlschmeckend, dass sogar Tupperdosen befüllt werden. neue Blickwinkel, Sinnlichkeit und Freude – tut gut! “ Sven Haltermann „ Wirtschaft lässt die Stadt gedeihen, aber erst Kunst bringt sie zum Blühen.“ Ulrike Schanko, Direktion theater itzehoe 6 kunst und stadt kunst und stadt 7 im stadtbereich im stadtbereich NICHT Ä R GER N. Ä N DER N ! slogans trotzen Innenstadt-Verödung Es war einmal Wirtschaftswunderzeit, und Itzehoe, die „Einkaufsstadt, die alles hat“, trumpfte auf mit einer pulsierenden Fußgängerzone, die vom „Holstein-Center“ bis „Karstadt“ reichte. Lange her. Erst wurde aus Karstadt Hertie, dann folgte Leerstand, schließlich setzte eine unaufhaltsam erscheinende Verödung ein und der Innenstadt zu. „Gute Wünsche“ installiert Wiebke Logemann deshalb längs des brach liegenden und Moos ansetzenden Ex-Konsumtempels mitten in die Stadt. Buddhistische Gebetsfahnen dienen ihr als Folie für die Hoffnung auf eine irgendwie geartete Erleuchtung, wirtschaftskurbelnde Stoßgebete als slogankurze Paradies-Versprechen. 8 kunst und stadt kunst und stadt 9 im stadtbereich im stadtbereich parkplatz-pflanzen Feinfühlige Ökologie auf Flächen asphaltierter Ökonomie: „Park-Platz“ heißt die gemeinsame Außenarbeit von Ilsetraut Widderich und Gunda Schanze, mit der sie in privaten Gärten überzählige Pflanztöpfe auf markierten Flächen des Parkhauses am Bahnhof präsentieren. „Um eine möglichst vielfältige und üppige Bepflanzung des Parkdecks zu ermöglichen“, laden sie über die Zeitung zum Mitbringen, Mitmachen, vor allem aber auch zum Mitnehmen ein. So herrscht drei Wochen reger Pflanz-Verkehr auf einem Stellplatz-Gebäude, das, weil einst an falschem Platz gebaut, meistens leer steht und seinen größten Nutzen hybrider Funktionalität verdankt: dem perfekten Schutz vor Bahnhofslärm für ein benachbartes Seniorenheim. Während des Kunstfestivals aber wird umgetopft, Bäume und Sträucher parken ein und aus, finden so neue Gärten. Die beiden Künstlerinnen trotzen zwischenzeitlichem Schneefall, und vor dem Sturmtief Xaver retten sie die mehrere Hundert Töpfe mit grünendem Gehölz in eine windgeschützte Ecke der Parkhaus-Ballustrade. „Mit eigenen Stecklingen überflüssigen Parkplatz kaputt wachsen lassen“, interpretiert der holländische Gastkünstler Ad Breedveld die partielle Dachbegrünung zunächst. So radikal ist das Pflanzprojekt „Park-Platz“ aber nicht angelegt, sondern deutlich subtiler. 10 kunst und stadt kunst und stadt 11 wenzel-hablik-museum wenzel-hablik-museum Itzehoe abseits Längst der „Klasse 10 d“ entwachsen, sieht Gertrud Fröbes aktuelle künstlerische Auseinandersetzung mit Itzehoe selbstredend völlig anders aus. Bestimmend ist die „freie malerische Form“, die sich nur noch „zuweilen zur Darstellung von Landschaften und Gebäuden verdichtet“. Bildwürdiges entdeckt sie auf Spaziergängen am Stadtrand und in den nahen Wäldern, abseits der früher nachgezeichneten Schönheiten aus dem Zentrum. Vielmehr entwickelt sie heute eigenen Ideen aus Vorgefundenem, wendet unterschiedlichste Techniken an. Fröbe malt, wischt, druckt, kratzt gar aus bereits Entstandenem ihr als überflüssig Erscheinendes wieder heraus. Das Kunstfestival Itzehoe nutzt Gertrud Fröbe, die von lokalen Koryphäen wie Otto Warncke und Karl-Heinz Schaack künstlerisch geprägt wurde, auch zu einer persönlichen Rückschau auf 50 Jahre künstlerische Entwicklung. Reihenweise „Schönheiten Itzehoes“ Ein künstlerisches Kleinod aus der eigenen Vergangenheit präsentiert Gertrud Fröbe. Teile ihrer Jahresarbeit aus dem November 1963, in der „ich mich in Wort und Bild mit meiner Heimatstadt beschäftigt habe“, werden nach einem halben Jahrhundert zu einem museumswürdigen Leporello. Damals angehalten, die Schönheiten Itzehoes naturgetreu wiederzugeben, greift sie zu Bleistift und Feder, schildert detailgenau und unterfüttert mit frischem Wissen all jene „Schönheiten Itzehoes“, die auch heute noch des Ansehens würdig sind. Selbst bereits seinerzeit zur Vergangenheit gehörige, wie den Kirchturm St. Laurentiis, noch ohne Spitze auf altem Turm. 12 kunst und stadt kunst und stadt 13 wenzel-hablik-museum wenzel-hablik-museum Subtile Trilogie mit Schleife Die „an Facetten reiche Prägung der Stadt durch den Fluss“ thematisiert auch Barbara Beutner, untersucht anhand der Stör, wie „eine Region über Jahrhunderte auf wechselnde Realitäten reagiert“. Den drei Arbeitsschritten des Holzdruckes entsprechend, erzählt sie in ihrer „Draufsicht auf die besondere Entwicklung Itzehoes“ drei Epochen mit ihren „eigenen Geschichten und Abenteuern“. Dabei nutzt die Künstlerin die ganze Bandbreite ihrer an asiatischen Traditionen orientierten Drucktechnik, spielt sowohl mit der im Papiergrund integrierten Farbe als auch mit Überdruck und Transparenzen und lässt so subtil neue Formen und Aussagen entstehen. stör auf! Haltloser Machtwahn: Die Säule der Planer Keine Stadt ohne Plan: Schon vor 775 Jahren war das Herzstück Itzehoes, das Oval im Inneren einer Schleife des Flusses Stör, mit einem Gitternetz aus Straßen klar strukturiert, in Quartiere sortiert. Die „menschlichen Eingriffe in diese bestimmte Weltgegend“, über lange Zeiten zusätzlich durch die Einzigartigkeit unterschiedlicher Jurisdiktionen (Rechtssysteme) geprägt, kommentiert Ulf Michaelis bissig-ironisch und ästhetisch vollendet. Seine „Säule der Planer“ verdichtet diese Kritik skulptural, persifliert das unverständliche Sprachgewirr der Theoretiker in einem Babel´schen Turmbau, der schon mittels äußerer Form die Unmöglichkeit dieser Quadratur des Kreises anprangert. Stadtpläne, Planzeichnungen zu Sanierungsgebieten und städtischen Flächennutzungen, sowohl im historischen Original – „noch mit Buntstiften schraffiert“ – als auch auf Papier und Folien kopiert, schichtet Michaelis zu einer weichen instabilen Struktur ohne inneren Halt. „Das ist notwendig, denn ich huldige dem Machtwahn der Planer nicht.“ Im Zentrum seiner Kritik: die Zuschüttung der Fluss-Schleife in den 70er Jahren als Vernichtung naturgegebener Stadt-Struktur. Zwei Beispiele gelungener Kongruenz von gewählter künstlerischer Disziplin und Thematik behandeln hier eine tiefe Wunde Itzehoes. Beutners epochale Verweise zeigen die Störschleife als Ort der Stadtgründung, Zentrum wirtschaftlicher Blüte, aber auch ihren späteren Abstieg. Der gipfelte in zunehmender Verwahrlosung und Gestank. Schließlich schlug die Stunde der Planer, deren wirre Zeugnisse Michaelis´ Säule birgt. 40 Jahre danach dämmert der Stadt, dass sie ihrer Seele, gar ihrer Struktur beraubt wurde. Und es gibt Menschen, die das ändern möchten. „Gib mir mein Herz zurück“, rufen diese Itzehoer und fordern: „Stör auf!“ www.stoerauf.de 14 kunst und stadt kunst und stadt 15 wenzel-hablik-museum wenzel-hablik-museum Fern wurzelnd: Goldene Heimat Irgendwo im Nirgendwo zwischen Heimweh und Fernweh, da muss sie sein, die Heimat, die golden in der Erinnerung glitzert. Nur: Wo denn genau? Wo wuchsen sie, die Wurzeln? Ad Breedveld, Künstlerbund-Gast aus den Niederlanden, treibt diese Frage schon lange, nicht erst seit sich die Welt globalisiert. In „der weltoffenen Stadt Itzehoe“ stellt er sie mit seiner Installation „Heimatmuseum für Ausländer“ raumgreifend. 33 goldene Fernwehwurzeln türmt er in zwei Museums-Räume, mit einer Anmutung von prähistorischem Getier. Breedveld lädt das Publikum zum Tausch: Sentimentale Holland-Souvenirs sind gewünscht und die Itzehoer machen mit: bringen bunte Wimpel, leere Genever-Flaschen oder gestehen, ihre Holland-Souvenirs aufgeraucht zu haben. Sorgsam registriert Breedveld die Angebote, fertigt Zertifikate, vergibt numerierte Bestätigungen, amtsverwaltet als ausländischer Museumsdirektor und kuratiert die Gaben ein in das goldene Wurzel-Geflecht. Ungewohnt reges Treiben dann am letzten Festival-Tag. Breedvelds Tausch-Partner holen alle 33 Heimat-Wurzeln ab. Am Ende sind die heiligen Museumshallen übersät mit Goldund Holz-Emissionen. Flüchtige Spuren von Heimaten im Nirgendwo von Itzehoe. 16 kunst und stadt kunst und stadt 17 wenzel-hablik-museum wenzel-hablik-museum rätsel um des bürgermeisters bild Ausführliche Erklärungen zu einem Gemälde lesen, wer will das schon? Lieber spüren Ausstellungsbesucher auf eigene Faust der berühmten Frage nach, was Künstler mit ihrem Werk auszudrücken gedenken oder fügen sich der Erkenntnis Oscar Wildes, dass „ein Kunstwerk, das man zu verstehen glaubt, schon gestorben“ sei. Die mit sorgsam geordneten Texten befüllte Vitrine unterhalb des Gemäldes „Portrait für einen Bürgermeister“ von Manuel Zint indes lässt jeden verharren und intensiv lesen, sogar den Portraitierten selbst. Denn: Alle Ex-Bürgermeister blicken würdig gemalt und gerahmt als Ahnengalerie auf die Arbeit des Stadtparlaments. Nur dieser eine nicht. Das Ende einer Tradition? Ein bei Zint anonym in Auftrag gegebenes Portrait holt niemand ab. Zint stellt ein Ultimatum. Die Presse berichtet. Die Politik zuckt mit den Achseln. Der offiziell nicht Aufgehängte lächelt aus seinem Bild. Das Publikum liest in der Vitrine. Und Oscar Wilde? das geschenk des kaisers Holt die Zeit den Künstler ein oder die Geschichte die Gegenwart? Egal. Wir wollen unseren Kaiser Wilhelm wieder haben. Denn der logierte 1881 in Itzehoe, um seine Truppen beim Manöver zu beobachten. „Hier ist der Hund verfroren“, lässt ihn Manuel Zint gesagt haben und entreißt ein damals geplantes Geschenk des Monarchen dem Vergessen. Denn angesichts der entdeckten Öde beauftragte der Kaiser seinen Feldarchitekten Varenius mit einem Kunstpalast für Itzehoe. Doch die Honoratioren wünschten einen Ochsenmarkt, rangen ihrer Majestät statt des Palastes für die Künste das Recht zum Kuhhandel ab. Knapp 130 Jahre später gelang es dem Itzehoer Parlament nicht, die als einmaliges Gesamtkunstwerk geltende Hablik-Villa als Geschenk anzunehmen. Mögliche Folgekosten ließen die Bedenkenträger zaudern. Doch da hatte Künstler Zint seine paraphrasierende Historie längst schon fertig. 18 kunst und stadt kunst und stadt 19 wenzel-hablik-museum wenzel-hablik-museum stein-zeit aktuell Ein „spektakulärer Steinhaufen“ als Silhouette prägender Geomarker: „Als sich das skandinavische Gletschereis überlegte, es könne ja einmal einen Ausflug machen, schrappte es bis weit in den Süden und ließ den Haufen Dreck und Schutt, den es vor sich her schob, wie ein guter Gast an Ort und Stelle.“ So persifliert Michael Ruff, studierter Geologe, Itzehoes Prähistorie erdgeschichtlich in seinem Festival-Vortrag. Steine sind es auch, die Saskia de Kleijn auf ihren Spaziergängen aufliest: „Rund und glatt müssen sie sein.“ Einige ihrer Objets trouvés versah die Malerin mit einem „gemeinsamen Merkmal“. Wie sonst ihre Bilder, fügt sie diese Steine umhäkelt „wieder der Welt hinzu, vereint in neuem Kontext“. Zart und völlig unspektakulär. Teile fürs Ganze „Fragmente wie Stichworte“ bringt Brigitta Holste von ihren Erkundungen durch die Stadt mit. Unterwegs ist sie, um genau hinschauend „Kleine Welten“ für ihre Außenarbeit (Seite 35) zu entdecken, verborgene Pretiosen Itzehoes, „die sich in der Sprödigkeit von Fassaden, Häusern und Winkeln verstecken“. Holste spürt mit ihrem Blick übersehbare Details auf und formuliert anhand dieser für das Ganze stehenden Teile (Pars pro Toto) das Ganze um, findet neue Formen für die Stadt. Ihre Fundstücke passen auf keine Leinwand mehr, stattdessen installiert Holste zwei Gruppen frei geformter Ölmalereien auf Holz, die sich mutig von den Museumswänden lösen. 20 kunst und stadt kunst und stadt 21 wenzel-hablik-museum 22 wenzel-hablik-museum nackt statt vornehm stadt mit breitem strich Treffen Stadt und Kunst direkt aufeinander, so haben es beide trotz guten Willens nicht leicht. So schrieb Itzehoe für seinen Prinzesshof im Rahmen einer historisch-orientierten Renovierung einen Brunnenwettbewerb aus. Der erntete im Nachhinein Spott und Kritik nicht nur von Künstlern, spazieren doch die drei Prinzessinnen heute als Stahl-Silhouetten weit entfernt vom zu zierenden Brunnen vornehm-altbacken durch den Park. Heinrich Kröger ironisiert dieses Ergebnis posthum üppig-barock. Er inszeniert seine Prinzessinnen als unbekleidete junge Mädchen, liebreizend ins Ballspiel vertieft. Traditionell: Heinrich Kröger zieht mit seiner Staffelei durch die City Itzehoes und „zwingt“ sich mittels breiter Kohlestriche zur „kraftvollen, summarischen Wiedergabe des Gesehenen“. Das hindert ihn nicht, die Fußgängerzone Breite Straße (oben) mit einem kräftigen Baum aufzuwerten. kunst und stadt kunst und stadt 23 wenzel-hablik-museum wort und tat wenzel-hablik-museum „ Insbesondere die Kreativität der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler der Jugendkunstausstellung begeisterte uns. Das fördern wir gern.“ Theresa Fritz & Michael Hein, „KreativPLUS“ „ Kultur macht unseren Lebensraum lebenswert. Deshalb unterstützen wir kulturelles Engagement nach Kräften und freuen uns, auch einen Beitrag zu den Kunstfestival-Aktivitäten des Künstlerbundes leisten zu können.“ Wolfgang Bitter, Vorstandsvorsitzender der Itzehoer Versicherungen „ Die Sparkassen sind Deutschlands größter nicht-staatlicher Kulturförderer. Da ist es für uns selbstverständlich, dass wir dieses – häufig ehrenamtliche Engagement – vor Ort begleiten und für die Bürger erlebbar machen. Neue Initiativen – wie in diesem Fall das Kunstfestival Itzehoe – zeigen, was möglich ist, wenn sich die richtigen Personen zusammenschließen, die Kräfte bündeln und auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Zum Wohle Itzehoes.“ Rudolf Kochan, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Westholstein „ Das Kunstfestival hat die kreative Vielfalt, die in unserer Region steckt, nicht nur sichtbar gemacht, sondern diese durch zahlreiche Aktionen den Menschen auch näher gebracht.“ Katrin Maibaum, Leiterin des Wenzel-Hablik-Museum Fragile Reize und ein dicker Klops Mit Ohren und Geist nähert sich „Herr Penschuck“ dem Kosmos Itzehoe, stets auf der Suche nach Zeichen struktureller Macht. Für sein durchwanderbares Klangfeld aus experimenteller Musik trommelt der Gastkünstler aus Oldenburg auf dem Treppengeländer eines Geldinstituts, bearbeitet Werksgeräusche der nahen Kreidegrube und erforscht den Raumklang des Galgenbergs aus der Bronzezeit per Klangholz. Diese „regionale Dialektik“, verknüpft mit „Innenwelten des Einzelnen“, ergibt einen wissensbasierten Ortsklang, der sich aufgrund unterschiedlicher Loop-Längen bei jedem Durchschreiten neu arrangiert. Einem wabbeligen Hamburger zieht Karl-Friedrich Hacker seinen grundsoliden „Steinburger“ vor. Der üppige Granit-Leckerbissen wird stilecht im Alu-Grill serviert: Kochkunst vom Steinsten für Neo-Dadaisten. „ Die kreative Auseinandersetzung mit der eigenen Stadt und ihren Möglichkeiten stiftet und stärkt Identität. Kunst findet – im wahrsten Sinne des Wortes – Stadt! “ Nicolai Stamp, Geschäftsführer Stamp Media GmbH im Medienhaus Kiel 24 kunst und stadt kunst und stadt 25 im stadtbereich im stadtbereich Postbote Street-Art: Briefe an die Stadt „Ich gebe mich ganz in die Hände der Itzehoer“, vertraut Wiebke Logemann dem Mitteilungsdrang der Menschen und hofft, „dass ich nicht nur Pöbeleien bekomme“. Per Zeitung ruft sie unter dem Motto „Was ich noch zu sagen hätte“ öffentlich dazu auf, Briefe an die eigene Stadt zu schreiben. Die Itzehoer beteiligen sich reichlich und senden offene, persönliche Worte an ihr Gemeinwesen. Mit leuchtend buntem Tape geklebt, verteilt sich während des Kunstfestivals eine Vielfalt privater Gedanken, Gefühle und Gedichte über leere Schaufenster, mit Graffiti verzierte Stromkästen sowie Wände in der City. Geschimpft wird zwar auch. Erstaunlich indes ist der hohe Grad an Herzlichkeit, Sympathie und sogar – Liebe. 26 kunst und stadt kunst und stadt 27 im stadtbereich im stadtbereich Umdeutungsvolle Stadt-Spaziergänge Es ist einer dieser geglückten Festival-Momente, in denen offenbar wird, dass im Inneren eines Menschen etwas passiert, dass sich Wahrnehmung verändert. Am Denkmal für den Freiheitskämpfer Georg Löck doziert Karl-Friedrich Hacker vor einer Gruppe Kunst-Spaziergänger: „Für´s Vaterland ... mit Mund und Hand“, zitiert er die güldene Inschrift des Sockels, auf dem die schleswig-holsteinische Doppeleiche zu thronen scheint. Doch Hacker deutet „Mund und Hand“ als historischen Verweis auf des „Schorsch Löcks“ eigentliche Leistung, die Erfindung einer Spezialität, deren Name später zu „Schaschlik“ mutierte. Besagtem Herrn in der Gruppe steht vor empörtem Erstaunen zunächst der Mund offen – bis zu jener Sekunde aufheiternder Erkenntnis, dass Itzehoe hier mit dem „Schorsch-Löck-Spieß“ womöglich eines wahren Bürger-Kings öffentlich gedenke. Hackers Spaziergänge zur „Umdeutung öffentlicher Denkmale“ sind höchst vergnüglich, gemeinsam wird gelacht, gedeutet, neu entdeckt, bis hin zum Stein gewordenen Karzinom vor einer Krankenkasse. 28 kunst und stadt Affenstarke Anarchie Die Affen sind los im Prinzesshof, wirbeln die geordnete Beschaulichkeit durcheinander und erobern die Herzen des Itzehoer Festival-Publikums. „Affenstark“ lautet das einhellige Urteil über Christian Richters geschicktes Spiel. Seine mit großer Akribie lebensecht gefertigten Lemuren scheinen, anarchischen Reflexen folgend, sich die Kunst im Öffentlichen Raum anzueignen, klettern den dort lustwandelnden Prinzessinnen aufs hoch erhobene Haupt. Richters mit vermeintlicher Leichtigkeit temporär installierter Kommentar zu den Verhältnissen von Mensch, Kunst und Natur konfrontiert mit ungeahnten Untiefen von Realität und Abstraktion. Die vorgefundenen Stahlskulpturen von Anthony Newsom nutzend, entlarvt Richter den Prinzesshofpark mit seinen Öffnungszeiten und Schutzgittern als nur halböffentliches Freigehege, evoziert gar einen „alternativen Freiheitsbegriff“. kunst und stadt 29 im stadtbereich Viele GrüSSe Park mal anders Warten Sie. Bleiben Sie. Gehen Sie. Glauben Sie nicht. Mit ganz konkreten Handlungsanweisungen zeigt Uwe Ochsler Besuchern des Prinzesshofes „Park-Möglichkeiten“ auf, bietet ihnen Varianten, „einen etwas anderen Spaziergang zu erleben“. Dabei kommen seine knappen Befehle sympathisch daher, laden ein, ihnen spielerisch zu gehorchen, die eigene Wahrnehmung zu verändern, sich neuen Horizonten zu öffnen. Der Künstlerbund-Gast legt seine Installationen prozessorientiert an, setzt gern „banale, triviale, alltägliche Dinge oder Fragmente“ für seine Arbeiten ein. Ihn „interessieren die Möglichkeiten hinter den Wirklichkeiten“. Die Itzehoer auch, sie folgen den 20 Hinweisschildern mit großem Vergnügen. Postkarten-Idylle Ein wenig scheint sie in Vergessenheit geraten zu sein: die Postkarte. Dabei erfreut es die Empfänger gerade in Zeiten von E-Mail und SMS ganz besonders, wenn Reisende sie mit einem bunten Gruß bedenken. Oder Besucher des Itzehoer Kunstfestivals. Gunda Schanze bietet Gelegenheit, „Viele Grüße aus Itzehoe“ direkt vom Festival zu senden. Gleich zehn attraktive Sehenswürdigkeiten umfasst ihre Ansichtskarten-Serie: stadtbekannte Verbrauchermärkte mit genügend Platz zum Parken, fotografiert von öffentlichen Wegen, die Markenlogos dezent verpixelt. 30 kunst und stadt kunst und stadt 31 im stadtbereich im stadtbereich Nebulöse Gesichtslosigkeit „Lebensluft“ nennt Manfred Georg Schwellies seine temporäre Installation in einem leer stehenden Ladengeschäft, ein gleichermaßen düsteres wie verstörendes Statement seiner ganz persönlichen Wahrnehmung Itzehoes. Schwellies „Projektionen auf geringmateriellen Stoffen“, Wolken aus künstlichem Nebel oder Trockeneis, faszinieren durch ihre langsam wabernde, eigenständige Veränderung. Zusätzliche Irritation erzielt er dadurch, dass die von ihm portraitierten Itzehoer Bürger, die er aus dem Nebulösen aufscheinen lässt, ihrer Augen, Nasen und Münder beraubt sind. Als Verlust von Charakter und Gesicht erlebt der Gastkünstler die Veränderungen in der jüngeren Vergangenheit seiner Geburtsstadt. Itzehoe braucht neue „Lebensluft“. Farbenfrohe Hoffnung: Wenn die Zeit kommt Wehmütige Erinnerungen wecken aufgegebene Geschäfte an den ausfransenden Enden von Fußgängerzonen, dort, wo die Ratings der Immobilien weder mit einer Eins noch einem „A“ beste Lagen versprechen. Diesem in vielen Innenstädten zu beobachtenden Szenario setzt Installationskünstlerin Katrin Bethke farbenfrohe Lichträume und ihre Hoffnung „Wenn die Zeit kommt...“ entgegen. Bethke projiziert aus dem Schaufenster eines Briefmarkenladens heraus übergroße Pflanzenschatten quer über die Straße auf die Fassade einer ehemaligen Videothek, bezieht vorbei flanierende Passanten dabei mit ein. Vor dem Runden Tisch Kultur reportierte Wiebke Logemann einen dort gehörten Kind-Mutter-Dialog: „Mama, warum machen die das?“ „Damit das nicht so sch.... aussieht.“ 32 kunst und stadt kunst und stadt 33 im stadtbereich im stadtbereich Googlemaps als Mosaik Wie ein Anachronismus erscheint der inhabergeführte Technikhandel Skau, dessen Schaufenster sich nie verändern. Seit Jahrzehnten faszinieren dort wie von Geisterhand bewegte Stahlkugeln die Passanten und drehen unermüdlich ihre Runden. Die Einkaufsstraße Feldschmiede ohne Skau – undenkbar. Für das Kunstfestival aber wurde Wiebke Logemann eine Intervention in diese heile Welt kaufmännischer Tradition gestattet. Kleine Welten In der alltäglichen Sicht geht der genaue Blick zuweilen verloren, besonders im gewohnten eigenen Stadtraum verliert er an Tiefenschärfe. Damit einhergehend verschwimmt der Blick für die Schönheit der eigenen Heimat. Abhilfe bieten die „Ausschnittgucker“ von Brigitta Holste, mit denen sie „Passanten ermutigen“ möchte, wieder genauer hinzuschauen und „ihre Stadt aus anderen Blickwinkeln kennenzulernen“. Dafür schuftet Holste schwer, denn ihre aus Waschbeton, Stahlschienen und Holz gefertigten Installationen sammelt sie abends ein, positioniert sie täglich leicht verändert neu. Gleich einhundert Ölgemälde präsentiert sie dort, Ausschnitte Itzehoes, die sie im Schaufenster zu vier Quadratmeter Stadtplan zusammensetzt. Erst bei genauerem Hinschauen lassen sich ihre Kartographien als Übersetzungen digitaler Vorlagen erkennen, Der typische Orientierungs-Pin verweist auf den Internet-Giganten GoogleMaps. Ausgerechnet hier, wo hinter dem Schreibtisch des Chefs eine Antiquität an der Wand hängt, ein Stadtplan aus den Wirtschaftswunderjahren Itzehoes, noch mit offener Stör-Schleife. 34 kunst und stadt kunst und stadt 35 wenzel-hablik-museum jugendausstellung wenzel-hablik-museum jugendausstellung Leon Anders (16), Jurypreis, Merle Bredenbeck (15), Eva Gamm (15), Paula Grüneklee (15), Emilie Greve (17), Hagen Hilscher (17), Johanna Jürgensen (16), Lillian Martinen (16), Regina Elene Meyer (16), Ben Nobiling (18), Acelya Özsimsek (17), Madmel Quasemi (15), Mayla Renz-Kiefel (17), Klara Stürmer (19), Lisa Marie Timm (17), Publikumspreis, Isabelle Wahl (16), Beatrix Zessler (15). Die Jury: Nina Berberich (Wenzel-Hablik-Museum), Katharina Lidl (Stadtgalerie Brunsbüttel),Manuel Zint (Künstlerbund Steinburg) Junge Kunst rollt durch Itzehoe Ein ganzer Lastwagen voll Kunst tourte während des Festivals zu den Schulhöfen Itzehoes und präsentierte erstmalig eine Jugendkunstausstellung. Das ambitionierte Projekt entwickelte Manuel Zint gemeinsam mit dem Kinderund Jugendbüro der Stadt. Schon lange vor dem Kunstfestival suchte er Itzehoer Schulklassen auf und warb um rege Beteiligung. Konkrete Vorgaben wurden nicht gemacht, denn bei diesem partizipativen Projekt ging es allein um die Anregung zum kreativen Mitmachen. Schließlich wurden 70 Arbeiten eingereicht, 17 Schülerinnen und Schüler wagten mutig ihre ersten künstlerischen Schritte in die Öffentlichkeit und stellten sich einer Jury. Auch deren Sichtung der Werke sowie die vorbereitenden Arbeiten für die Präsentation in einem als „White Cube“ dienenden LKW wurden gemeinsam mit den Jugendlichen durchgeführt. Die Ergebnisse überraschten alle Beteiligten positiv. Sowohl die Qualität der eingereichten Arbeiten als auch die Resonanz der Ausstellung, die vor dem Museum eröffnet wurde und anschließend zu den Schulen rollte, begeisterte. Am Schlusstag des Festivals wurden zwar Preise vergeben, aber das war Nebensache. Denn gewonnen hatten alle. 36 kunst und stadt kunst und stadt 37 presse 38 kunst und stadt presse kunst und stadt 39 dankeschön dankeschön Impressum KUNST FESTIVAL ITZEHOE Kunst und Stadt Itzehoe, die Kreisstadt des Kreises Steinburg, liegt an der Grenze zwischen Marsch und Geest und wird nicht umsonst die „Stadt im Grünen“ genannt. Die lebens- und auch liebenswerten Seiten Itzehoes entdeckt man am besten bei einem Spaziergang in der Innenstadt. Vergangenheit und Gegenwart liegen dabei eng beieinander. Aber auch die Zukunft mit dem Innovationszentrum im Norden der Stadt ist präsent. Es wird ein vielfältiges gesellschaftliches, kulturelles und sportliches Angebot vorgehalten. Ein Besuch Itzehoes lohnt sich daher immer. Seit 1996 trägt die Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein der gesellschaftspolitischen Verantwortung der Sparkassen für ihre Region Rechnung und verwirklicht landesweit das kulturelle Engagement der Sparkassen, welches durch die überregionalen, gemeinnützigen Fördervorhaben im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger verankert werden soll. Unter dem Titel „Königlich priviligiertes gemeinnütziges unterhaltendes Wochenblatt für Itzehoe und Umgebung“ erschien 1817 erstmals der Vorläufer der „Norddeutschen Rundschau“. Sie ist heute zusammen mit der Glückstädter Fortuna und der Wilsterschen Zeitung kreisweit vertreten und die Lokalzeitung zum Anfassen. „Das Festival des Künstlerbundes medial zu begleiten war uns ein Vergnügen“, so Verlagshausleiterin Petra Remus. Seit 1820 „Fair. Menschlich. Nah.“ Über 300 Berater in 32 Filialen in Steinburg und Dithmarschen bieten den Bürgern in der Region maßgeschneiderte Finanzdienstleistungen. Zusätzlich stehen die 21 Selbstbedienungsstandorte und der Online-Banking-Zugang unseren Kunden rund um die Uhr zur Verfügung. Wir sorgen hier vor Ort für einen Wirtschaftskreislauf zwischen den Bürgern, Unternehmen und Kommunen und unterstützen mit über 600.000 Euro Jahr für Jahr regionale Aktivitäten zum Wohl der Bürger. SCHLESWIG-HOLSTEIN Die Kulturzeitschrift für den Norden gibt allen Interessierten die Möglichkeit, die kulturelle Vielfalt der Region zu entdecken. Kulturelle Vielfalt in Schleswig-Holstein steht dabei für Kunst, für Sprachen und Geschichte, für Natur und Wirtschaft und für das konstruktive Zusammenspiel all dieser Elemente in einer der faszinierendsten Regionen Europas. Als sechs Mal im Jahr erscheinende Print- und Online-Zeitschrift präsentieren wir diese Vielfalt als Einheit und bieten so gleichzeitig Überblick und tiefen Einblick in die Kulturlandschaft und hinter ihre Kulissen. Stamp Media ist die Agentur für Kommunikation und Design im Medienhaus Kiel. Wir entwickeln und gestalten visuelle Kommunikationsmaßnahmen. Logos- und Corporate Designs, Editorial-Layouts und Kampagnen sowie Konzeption und Gestaltung sämtlicher Marketingmaterialien in Print und Internet gehören zu unserem Kerngeschäft. Wir begleiten unsere Kunden bei allen Werbemaßnahmen und schaffen nachhaltige Markenauftritte – mit Idee, Intelligenz und Charakter! Herausgeber KÜNSTLERBUND STEINBURG e.V. Heinrich Kröger, Viertkoppel 2, 25524 Itzehoe; www.kuenstlerbundsteinburg.de in Kooperation mit SCHLESWIG-HOLSTEIN Die Kulturzeitschrift für den Norden, www.schleswig-holstein.sh Künstler Eva Ammermann Karl-Heinz Arlt Katrin Bethke Barbara Beutner Karl-Heinz Boyke Ad Breedveld Itzehoe Captain Saskia de Kleijn Gertrud Fröbe Karl-Friedrich Hacker Brigitta Holste Heinrich Kröger Michael Kress Wiebke Logemann Anke Mellin Ulf Michaelis Uwe Ochsler Herr Penschuck Christian Richter Michael Ruff Gunda Schanze Moritz Schreiyer Silke Schröder Manfred Georg Schwellies Ilsetraut Widderich Nicolas Wiese Manuel Zint Texte Robert Hirse ein Redaktion Robert Hirse, Manuel Zint, Nicolai Stamp, Gerd und Kristof Warda -liches dankeschön für die unterstützung : Gestaltung / Art-Direktion Stamp Media GmbH im Medienhaus Kiel Fotos Robert Hirse, Stefan Horstmann, Michael Ruff Redaktionsanschrift Redaktion Schleswig-Holstein, Löjaer Berg 22, 23715 Bosau Das theater itzehoe ist kultureller Mittelpunkt nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt, sondern auch für Besucher aus der gesamten Region. Ob Oper, Operette, Musical, Tanz, Schauspiel, Kinder- und Jugendtheater, Kabarett, Comedy oder Crossover - professionelle Ensembles zeigen in dem einzigartigen Theaterbau Veranstaltungen aller Genres. Im Rahmen der Kulturnacht belebt das theater itzehoe alljährlich mit künstlerischen Darbietungen die gesamte Innenstadt. Vom Verein der Freunde des theater itzehoe wird diese Arbeit engagiert unterstützt. KreativPLUS öffnete am 6. Januar 2009 seine Türen in der Ritterstraße 11 in Itzehoe. Auf 500m2 wird dort ein umfangreiches Sortiment zu den Themen Malen, Basteln, Handarbeiten und Dekorieren angeboten. Theresa Fritz und Michael Hein führen dort gemeinsam mit ihrem Team die Tradition des im Jahre 1968 in Itzehoe gegründeten Fachgeschäfts „Hobby Koll“ fort, das Ende 2008 geschlossen wurde. Zahlreiche Dekomuster zu traditionellen Hobbys und aktuellen Kreativtrends regen an, selbst kreativ zu werden. Die Menschen im Norden sind geradeheraus. Sie sagen, was sie denken. Sie stehen füreinander ein. Hier packen alle mit an, wenn es darauf ankommt. Dieser norddeutsche Charakter hat uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Denn Vertrauen entsteht nicht von heute auf morgen. Es muss wachsen. Seit über 100 Jahren sind wir ein verlässlicher Partner, fest verwurzelt in der Region. Als Versicherer steht für uns der Mensch im Mittelpunkt – auch außerhalb der Arbeit: Darum engagieren wir uns besonders in der Kulturförderung. Preis-attraktive Mode für die ganze Familie. Das Stör-Carree (ehemals Hertie) versteht sich als Zentrum für Mode & Einkaufsspaß mitten im Herzen von Itzehoe und steht für eine starke Region. Wir wollen das modische Angebot in Itzehoe um neue Labels in einem preis-/leistungsstarken Segment ergänzen und gleichzeitig unsere Innenstadt beleben und verschönern. Das Stör-Carree bietet Mode, Marken und Preise, die es so in Itzehoe noch nicht gibt. Farbklang: 40 kunst und stadt CMYK: 20c, 100m, 40y, 0k HKS 28 CMYK: 10c, 0m, 10y, 40k HKS 91 Schmidt & Klaunig ist das innovative Druckhaus in Kiel. Wir produzieren hochwertige Drucksachen. Mit kompromisslosem Qualitätsanspruch und Erfahrung aus 145 Jahren. Hochmotiviert. Mit besonderem Service und einem professionell ausgebildeten Team. Modernste Maschinen und Technologien gepaart mit Neugierde, Leidenschaft und Know-how erzeugen Printprodukte mit Mehrwert. Viele zufriedene Kunden vertrauen uns – denn das, was wir machen, machen wir richtig gut – seit 1869. Druck Schmidt & Klaunig, Medienhaus Kiel, Ringstraße 19, 24114 Kiel www.schmidt-klaunig.de Verlag Wohnungswirtschaft Heute Verlagsgesellschaft mbh Löjaer Berg 20, 23715 Bosau Geschäftsführer: Johannes-Christian Warda [email protected] KUNST FESTIVAL ITZEHOE Kunst und Stadt erscheint als Teil der Ausgabe 3 / 2014 von SCHLESWIG-HOLSTEIN Die Kulturzeitschrift für den Norden. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht die Meinung von Herausgeber oder Redaktion widerspiegeln. Alle Rechte liegen beim Verlag. Der Nachdruck oder die Entnahme einzelner Texte oder Fotos aus dieser Zeitschrift (Print- oder PDF-Version) sind nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. ISSN 0937-724 kunst und stadt 41 wenzel-hablik-museum KUNST FESTIVAL ITZEHOE Kunst und Stadt www.schleswig-holstein.sh/kunstundstadt 42 kunst und stadt