Die erbrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten unter dem Aspekt

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Die erbrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten unter dem Aspekt
Erbrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten
unter dem Aspekt behinderter Familienangehöriger als Erben
von Rechtsanwalt Peter Dietrich (Stand: März 2012)
Vorwort
Eltern gehen in der Regel bei der Verteilung ihres Nachlasses davon aus, möglichst alle Kinder gleich zu behandeln. Dieser dem Gerechtigkeitsgefühl entspringende Wunsch kann bei
einem behinderten Kind in der Familie dazu führen, dass es zwar den gleichen Erbanteil erhält, jedoch keinen praktischen Nutzen daraus hat; denn es führte letztlich zur Kostenentlastung des Sozialhilfeträgers. Angesichts hoher Betreuungs- und Pflegekosten, die bei Vermögenslosigkeit des behinderten Kindes vom Sozialhilfeträger übernommen werden, würde der
Sozialhilfeträger vorrangig die Verwendung des Erbes als Vermögen des Kindes zur Finanzierung des Hilfebedarfs verlangen. Damit kommt letztlich das aus dem elterlichen Nachlass
stammende Vermögen nicht dem behinderten Kind zu Gute, sondern dem Sozialhilfeträger.
Der elterliche Wunsch, aus ihrem Nachlass ihrem behinderten Kind einen Lebensstandard zu
ermöglichen, der über dem Sozialhilfeniveau liegt, ist von der Rechtsprechung als billigenswertes Motiv anerkannt worden (zuletzt BGH, Urteil vom 19.01.2011, AZ: IV ZR 7/10).
Soweit die erbrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten es zulassen, kann somit der
Sozialhilfeträger von dem Zugriff auf den Erbteil des behinderten Kindes ausgeschlossen
werden.
Nachstehend soll erläutert werden, wie ein „Behindertentestament“ auszugestalten ist, um
dieses Ziel zu erreichen.
I. Das gesetzliche Erbrecht
Wer sich nicht mit der Regelung seines Nachlasses befassen will, dem steht das gesetzliche
Erbrecht zur Verfügung. Dort ist geregelt, wer Erbe wird und wie der Nachlass unter mehreren Erben verteilt wird. Das Vermögen des Erblassers geht zunächst als Ganzes auf die Erben
über. Es entsteht eine Erbengemeinschaft zwischen den Erben. Die Erben können nur gemeinsam über das Erbe verfügen. Erst nach der Erbauseinandersetzung (Auflösung der Erbengemeinschaft) erhält jeder Erbe seinen Erbteil. Nach dem gesetzlichen Erbrecht werden alle
Erben gleich behandelt. Sie erben also zu gleichen Teilen.
Nach gesetzlichem Erbrecht erben nur Verwandte und der Ehegatte. Die Rangfolge bestimmt
sich nach sog. Ordnungen. Gesetzliche Erben der ersten Ordnung sind die Abkömmlinge des
Erblassers, also dessen Kinder, Enkelkinder oder Urenkel usw.. Die Kinder schließen die
Enkelkinder und die Enkelkinder die Urenkel von der Erbfolge aus.
Gesetzliche Erben der zweiten Ordnung sind die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, also Onkel, Tanten, Vettern usw..
Gesetzliche Erben der dritten Ordnung sind die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge. Gesetzliche Erben der vierten Ordnung sind die Urgroßeltern und deren Abkömmlinge usw..
Verwandte einer vorhergehenden Ordnung schließen Verwandte fernerer Ordnungen von der
Erbfolge aus. Sind z.B. Kinder vorhanden, so sind Eltern oder Großeltern von der Erbfolge
ausgeschlossen. Großeltern kommen z.B. als Erben erst dann in Betracht, wenn der Erblasser
keine Nachkommen und keine Eltern hat.
Der Ehegatte des Erblassers erbt neben den Abkömmlingen des Erblassers zur Hälfte, wenn
die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben.
II. Gewillkürte Erbfolge
Wer von der starren gesetzlichen Erbfolge abweichen will, dem stellt das Erbrecht zahlreiche
Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Testierfreiheit, also das Recht, seinen Nachlass
nach eigenem Belieben zu regeln, ist ein grundgesetzlich geschütztes Grundrecht (Artikel 14
Grundgesetz).
1. Form einer letztwilligen Verfügung
Wegen seiner großen rechtserheblichen Bedeutung hat der Gesetzgeber detaillierte Formvorschriften für eine letztwillige Verfügung vorgesehen. Bei deren Nichteinhaltung ist die Verfügung nichtig.
Der Erblasser kann durch einseitige Verfügungen von Todes wegen (bezeichnet als Testament
oder letztwillige Verfügung) den Erben bestimmen. Ein Testament kann sowohl in der Form
eines notariellen als auch als eigenhändiges Testament errichtet werden. Bei einem notariellen
Testament werden die letztwilligen Verfügungen vom Notar aufgesetzt und beurkundet oder
dem Notar zu Protokoll gegeben und beurkundet. Das eigenhändige Testament ist voll und
ganz handschriftlich zu verfassen und mit Ort und Datum versehen, zu unterschreiben.
Beide Formen der letztwilligen Verfügungen sind gleichwertig. So ist etwa ein eigenhändiges
Testament, das auf einem Bierdeckel verfasst ist, rechtsgültig.
Neben dem Testament – der einseitigen Verfügung – kann auch ein Erbvertrag zwischen
Erblasser und Erben abgeschlossen werden. Beispiel hierfür sind Hausübergabeverträge im
Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge. Ein Erbvertrag kann aber auch zwischen Erblasser und Erben abgeschlossen werden, in dem man etwa eine Gesamtregelung zwischen
allen Beteiligten treffen will, insbesondere wenn damit auch eine Gegenleistung der Erben
verbunden ist. Ein Erbvertrag bedarf jedoch der notariellen Beurkundung.
2. Gesetzlicher Pflichtteil
Nach der gewillkürten Erbfolge kann der Erblasser seinen Nachlass nach Belieben verteilen,
allerdings mit der Einschränkung, dass pflichtteilsberechtigten Erben ein Pflichtteil zusteht.
Pflichtteilsberechtigt sind die Abkömmlinge des Erblassers, dessen Eltern und der Ehegatte.
Der Pflichtteil umfasst wertmäßig die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und ist ein Geldanspruch des Enterbten gegen die Erben.
Beispiel: Hinterlässt der Erblasser zwei Kinder, so erhält jedes Kind nach gesetzlicher Erbfolge jeweils die Hälfte. Bei testamentarischer Erbenbestimmung können die Kinder bis auf
ein Viertel enterbt werden. Besteht das Erbe etwa in einem Hausgrundstück, so steht dem
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enterbten Kind ein Geldanspruch in Höhe eines Viertels des Wertes des Hauses zu. Es besteht
jedoch keine Erbengemeinschaft.
3. Das Ehegattentestament
In dieser speziellen Form des Testaments regeln Ehegatten ihren Nachlass gemeinsam in einem notariellen oder eigenhändigen Testament. Bei einem eigenhändigen Ehegattentestament
gelten ebenfalls die vorstehend genannten Formvorschriften. So ist der Text der letztwilligen
Verfügung von einem Ehegatten handschriftlich niederzuschreiben und mit Ort und Datum
versehen, von beiden Ehegatten zu unterschreiben. Nach dem Tod des zuerst versterbenden
Ehegatten ist der länger lebende Ehegatte an die gemeinsamen Verfügungen gebunden, es sei
denn, sie haben diese Bindungswirkung im Testament ausdrücklich ausgeschlossen.
In dem als „Berliner Testament“ bezeichneten Ehegattentestament setzen sich die Ehegatten
zunächst jeweils als Alleinerben ein und als Schlusserben – also nach dem Tode des zuletzt
versterbenden Ehegatten – ihre Kinder. Die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten
bedeutet rechtlich eine Enterbung der Kinder nach dem zuerst versterbenden Ehegatten mit
der Konsequenz, dass für jedes Kind ein Pflichtteilsanspruch entsteht.
4. Vermächtnis
Eine weitere Gestaltungsmöglichkeit besteht darin, eine Person mit einem Vermächtnis zu
bedenken. Durch ein Vermächtnis ordnet der Erblasser an, dass ein oder alle Erben einem
Miterben oder einem Nichterben einen Vermögensvorteil zuwenden müssen, etwa einen
Geldbetrag, einen Gegenstand oder ein vermögenswertes Recht, wie ein Wohnungsrecht oder
Nießbrauch.
Das Wohnungsrecht – auch Einsitz genannt – gestattet dem so Bedachten ein unentgeltliches
nur durch ihn ausgeübtes Wohnrecht. Ein Nießbrauch ist ein unentgeltliches Nutzungsrecht,
das jedoch weiter geht als das Wohnungsrecht und auch die Nutzung durch Dritte beinhaltet.
Da der Vermächtnisnehmer nicht Erbe ist, gehört er auch nicht zu der Erbengemeinschaft.
5. Widerruf einer letztwilligen Verfügung
Schließlich kann ein Testament durch ein neues Testament ersetzt oder widerrufen werden.
Es gilt immer die neueste Fassung. Das Testament kann beim Amtsgericht zur amtlichen Verwahrung hinterlegt werden. Ist der Erbfall eingetreten, wird das Testament vom Nachlassgericht eröffnet und die Erben in Kenntnis gesetzt.
III. Das Behindertentestament
Kommt ein behinderter Angehöriger als Erbe in Betracht, kann sich die Frage stellen, ob es
sinnvoll ist, dem behinderten Angehörigen, etwa dem behinderten volljährigen Kind, ein größeres Vermögen zukommen zu lassen, wenn er es nicht in sinnvoller Weise für sich verwenden kann oder die Möglichkeit besteht, dass ein Sozialhilfeträger Regress für seine Aufwendungen verlangen kann.
1. Zu beachtende sozialhilferechtliche Regelungen
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Sozialhilfeleistungen sind grundsätzlich nachrangig, d.h. Sozialhilfe wird erst gewährt, wenn
sich der Hilfebedürftige nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen selbst helfen kann. Die
§§ 85 und 87 des Zwölften Sozialgesetzbuches (SGB XII) regeln den Einsatz von Einkommen, wobei bei einem vollstationären Heimaufenthalt das gesamte Einkommen als Kostenbeitrag eingesetzt werden muss. Bei Hilfen, die ein Sozialhilfeträger außerhalb von
vollstationären Einrichtungen leistet, hat der Hilfeempfänger von seinem Einkommen einen
Freibetrag – der nicht vom Sozialhilfeträger in Anspruch genommen werden kann - von
derzeit 748 Euro zzgl. der Unterkunftskosten. Bei Vermögen steht dem Hilfeempfänger nur
ein Vermögensfreibetrag von 2.600 Euro zu, darüber hinaus weiteres Schonvermögen (§ 90
SGB XII). Größte Bedeutung als Schonvermögen hat dabei das selbstgenutzte angemessene
Hausgrundstück. Schonvermögen kann vom Sozialhilfeträger nicht in Anspruch genommen
werden. Nach dem Tode des Hilfeempfängers ist das Schonvermögen nicht mehr geschützt;
es verliert seine Rechtsnatur als Schonvermögen.
Das Erbteil eines behinderten Angehörigen stellt dessen Vermögen dar und kann somit auch
vom Sozialhilfeträger in Anspruch genommen werden. Durch die Enterbung des behinderten
Familienangehörigen entsteht kraft Gesetzes ein Pflichtteilsanspruch in Geld in Höhe der
Hälfte des gesetzlichen Erbteils, den der Sozialhilfeträger nach § 93 SGB XII unmittelbar auf
sich überleiten und geltend machen kann. Auch nach dem Tod des Hilfeempfängers kann sich
der Sozialhilfeträger aus dessen Nachlass noch rückwirkend für zehn Jahre seine Aufwendungen ersetzen lassen (§ 102 Absatz 1 SGB XII).
Schlussfolgerung:
Ein behinderter Angehöriger, der Sozialleistungen erhält, hat keinen Vorteil, wenn er als unbeschränkter Erbe eingesetzt wird oder nur Pflichtteilsberechtigter ist. In beiden Fällen kann
der Sozialhilfeträger den Einsatz des Vermögens verlangen und auch durchsetzen.
2. Gestaltungsmöglichkeiten eines Behindertentestaments
Eine schematische Lösung und die Verwendung von Mustervorschlägen empfiehlt sich nicht,
ja verbietet sich gerade wegen der großen Gefahr von Fehlerquellen. Es ist immer auf eine
individuelle Gestaltung abzustellen und die Besonderheit des Einzelfalls zu berücksichtigen.
2.1. Gestaltungsmöglichkeit durch ein Ehegattentestament
Eltern eines behinderten Kindes werden häufig ein Interesse daran haben, ihrem behinderten
Kind zwar einen Erbteil zukommen zu lassen, ohne dass jedoch ein Sozialhilfeträger auf den
Erbteil zugreifen kann. Hierfür bietet sich als Gestaltungsmöglichkeit das Ehegattentestament
an. Für die Erbfolge muss in diesem Fall immer zwischen zwei Erbgängen unterschieden
werden, nämlich zwischen dem Nachlass nach dem zuerst versterbenden Ehegatten und dem
Nachlass nach dem Zuletztversterbenden. Nach dem zuletzt versterbenden Ehegatten wird das
Mehrfache an Vermögen vererbt als dies nach dem zuerst versterbenden Ehegatten der Fall
ist. Deshalb muss das Schwergewicht der Nachlassregelung auf dem zweiten Erbgang liegen,
ohne jedoch den ersten zu vernachlässigen.
2.2. Zur Verdeutlichung betrachten wir als Beispielsfall Eltern mit zwei Kindern, von denen
eines behindert ist und in einem Wohnheim lebt und die überwiegenden Kosten des Heimaufenthalts von dem Sozialhilfeträger übernommen werden. Die Eltern besitzen gemeinsam ein
Hausgrundstück im Wert von 200.000 Euro und Kapitalvermögen im Wert von 80.000 Euro.
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Beim Tod des zuerst versterbenden Ehegatten gehört zu dessen Nachlass das halbe Hausgrundstück und die Hälfte des Kapitalvermögens (in Geldwert ausgedrückt: 140.000 Euro).
Gesetzliche Erbfolge:
Der überlebender Ehegatte wird Erbe zu 1/2 und
jedes Kind wird Erbe zu ¼.
In Geldwert:
Der Ehegatte erhält wertmäßig 50.000 Euro (Hälfte der vererbten Haushälfte) und 20.000
Euro (Hälfte des Kapitalvermögens),
jedes Kind erhält wertmäßig ¼ der vererbten Haushälfte (25.000 Euro) und ¼ des Kapitalvermögens (10.000 Euro).
Das behinderte Kind würde für etwa 10 Monate Selbstzahler, danach wäre sein Erbteil verbraucht.
Behindertentestament:
Die Eltern setzen sich gegenseitig zu Alleinerben ein. Das behinderte Kind erhält ein Geldvermächtnis in Höhe seines Pflichtteils (ein Achtel: 17.500 Euro). Alternativ kann auch im Testament bestimmt werden, dass die Fälligkeit des Vermächtnisses bis zum Tod des länger lebenden Ehegatten aufgeschoben wird. Freiwillige Leistungen sind auch bereits vor Fälligkeit
zulässig Über das Vermächtnis wird Testamentsvollstreckung angeordnet. Dadurch wird dem
Vermächtnisnehmer - hier dem behinderten Kind - die Verfügungsbefugnis entzogen mit der
Folge, dass dem Sozialhilfeträger kein Zugriff möglich ist. Ferner wird der Testamentsvollstrecker angewiesen, Leistungen an das behinderte Kind zu erbringen, die nicht zweckidentisch mit den Sozialhilfeleistungen sind, wie etwa Leistungen zur Befriedigung seiner kulturellen Bedürfnisse im weitesten Sinne, Freizeitgestaltung, für eine optimale Gesundheitsversorgung, Therapien, die die Krankenkasse nicht übernimmt usw.. Alle diese Leistungen werden nicht vom Sozialhilfeträger finanziert, so dass es sich um Leistungen handelt, die „einem
anderen Zweck dienen“ (§ 83 SGB XII) und daher nicht als Einkommen im sozialhilferechtlichen Sinne gelten und folglich nicht als Kostenbeitrag verlangt werden können.
Es kann unter Umständen auch sinnvoll sein, dem behinderten Kind im Wege des Vermächtnisses ein Wohnungsrecht einzuräumen. Dies gilt ebenfalls – zumindest so lange, wie es auch
selbst genutzt wird – als Schonvermögen; eine Verwertung kann daher vom Sozialhilfeträger
nicht verlangt werden. Bei einem lebenslangen Wohnrecht können sich jedoch Abgeltungsansprüche des Sozialhilfeträgers ergeben, wenn das Wohnrecht vom Wohnrechtsinhaber nicht
mehr genutzt wird. Bei der Einräumung eines Wohnrechts ist daher zu empfehlen, dass es
befristet wird, und bei einem Umzug in ein Heim entfällt.
Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 19.01.2011,
AZ.: IV ZR 7/10) ist auch ein Pflichtteilsverzicht des behinderten Kindes wirksam und kann
von einem Sozialhilfeträger nicht wegen Sittenwidrigkeit angefochten werden. Es eröffnet
sich damit eine neue Gestaltungsmöglichkeit. Allerdings muss ein Pflichtteilsverzicht vor dem
Notar erklärt und vom Betreuungsgericht genehmigt werden. Das Verfahren ist somit etwas
aufwendig und empfiehlt sich daher nur in besonders gelagerten Einzelfällen.
Dem nicht behinderten Kind kann sein Pflichtteil ausgezahlt werden. Will man jedoch den
überlebenden Ehegatten vor finanziellen Schwierigkeiten schützen, die mit der Auszahlung
des Pflichtteils verbunden sein könnten, sollte man im Testament einen wirtschaftlichen Anreiz schaffen, indem dem nicht behinderten Kind die Enterbung nach dem Tod des zuletzt
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versterbenden Ehegatten angedroht wird, falls es nach dem Tod des zuerst versterbenden
Ehegatten seinen Pflichtteil verlangt (Pflichtteilsstrafklausel).
2.3. Die Nachlassregelung nach dem zuletzt versterbenden Ehegatten kann in der Weise gestaltet werden, dass das nicht behinderte Kind als Erbe zu zwei Drittel und das behinderte
Kind als Vorerbe zu einem Drittel eingesetzt wird. Selbstverständlich ist auch eine andere
Quotierung möglich. Allerdings muss das Vorerbe mindestens ¼, nämlich die Höhe des
Pflichtteils betragen. Nach dem Tode des Vorerben wird das nicht behinderte Kind oder
dessen Nachkommen als Nacherbe eingesetzt.
3. Rechtsnatur des Vorerbes
Bei der Einsetzung als Vorerbe wird der Vorerbe zwar Eigentümer des Erbschaftsgegenstandes; er wird Erbe auf Zeit, in der Regel bis zu seinem Tode. Der Vorerbe unterliegt jedoch
weitreichenden Verfügungsbeschränkungen (§§ 2113 ff. BGB). So kann der Vorerbe den
Erbschaftsgegenstand nicht verkaufen. Es steht ihm an sich nur ein Nutzungsrecht zu. Bei
Immobilien besteht das Nutzungsrecht in der Eigennutzung – also dem Bewohnen – oder in
einer Nutzung durch Vermietung, also der Erzielung von Mieterträgen. Bei Kapitalvermögen
stehen dem Vorerben die Zinserträge zu. Nach dem Tod des Vorerben fällt der
Erbschaftsgegenstand nicht in seinen Nachlass, sondern geht kraft Gesetzes unmittelbar auf
den Nacherben über. Der Nacherbe ist nicht der Erbe des Vorerben, sondern Erbe des
ursprünglichen Erblassers.
Von den Verfügungsbeschränkungen des Vorerben kann auch testamentarisch befreit werden.
Dann kann der Vorerbe auch den Substanzwert – den Vermögensstamm - verbrauchen. Eine
befreite Vorerbschaft ist jedoch in der Regel nicht sinnvoll, denn wenn die Verfügungsbeschränkungen wegfallen, kann der Sozialhilfeträger die Verwertung des Vermögens verlangen.
Diese rechtlichen Konsequenzen einer Vorerbschaft macht man sich beim Behindertentestament zu Nutze. Durch die Verfügungsbeschränkung des Vorerben ist auch ein Zugriff des
Sozialhilfeträgers ausgeschlossen. Durch den Kraft Gesetzes erfolgten Übergang des Vorerbes auf den Nacherben fehlt es an dem Nachlass des Vorerben, so dass der Sozialhilfeträger
auch aus dem Nachlass des Vorerben keinen Regress nehmen kann.
Die Erträgnisse aus dem Vorerbe stellen allerdings Einkommen des Vorerben dar, das dem
Grunde nach von dem Sozialhilfeträger in Anspruch genommen werden kann. Diese
Zugriffsmöglichkeit lässt sich durch die Anordnung von Testamentsvollstreckung verhindern.
Die Testamentsvollstreckung ist ein unverzichtbares Instrumentarium bei der Errichtung eines
Behindertentestaments. Sie ist mehr als nur eine treuhänderische Vermögensverwaltung, denn
sie entfaltet eine kraft Gesetzes bestehende Rechtswirkung, indem sie dem Vorerben auch die
Verfügungsbefugnis über die Erträge des Vorerbes entzieht, so dass ein Gläubiger des
Vorerben – etwa der Sozialhilfeträger – auf die Erträge keinen Zugriff nehmen kann (§§ 2211,
2214 BGB). Schließlich kann testamentarisch der Testamentsvollstrecker mittels einer
bindenden Verwaltungsanordnung (§ 2216 Absatz 2 BGB) angewiesen werden, die Erträge
aus dem Vorerbe in der Weise zu verwenden, dass sie nicht demselben Zweck wie die Sozialhilfe dienen (§ 83 Absatz 1 SGB XII). Hier sollte sehr detailliert geregelt werden, für welche
Zwecke die Erträge verwendet werden sollen. Sinnvoll ist jeder Verwendungszweck, für den
der Sozialhilfeträger keine zweckidentischen Sozialleistungen erbringt. Der Sozialhilfeträger
trägt bei einem Heimaufenthalt die Kosten für den Lebensunterhalt, die Unterkunft, die soziale Betreuung und Pflege, nicht aber für Maßnahmen der darüber hinausgehenden Freizeit6
gestaltung, wie Freizeitfahrten und Reisen, für Hobbys, für Zuzahlungen bei der medizinischen Behandlung, für medizinische Leistungen, die aus der Krankenversicherung ausgeschlossen sind, wie etwa Brillen und sonstige Sehhilfen, zahlreiche medizinische Therapien
und Sonderleistungen, die zwar nicht zwingend notwendig sind, aber die Lebensqualität steigern.
Im obigen Beispiel wäre zwar der Pflichtteil des behinderten Kindes lediglich ein Viertel des
Nachlasses des zuletzt versterbenden Ehegatten. Die Einsetzung als Vorerbe muss die
Pflichtteilsgrenze erreichen, da ansonsten ein Pflichtteilsergänzungsanspruch entstünde, der
nicht mehr geschützt wäre. Durch eine sog. Teilungsanordnung kann das behinderte Kind
auch einen Geldbetrag, der einem Drittel entspricht, erhalten, und das nicht behinderte Kind
das Hausgrundstück.
4. Vermächtnislösung
Ein Behindertentestament kann auch in der Form eines Vermächtnisses erfolgen. Das behinderte Kind erhält sowohl nach dem zuerst versterbenden Ehegatten als auch nach dem Versterben des länger lebenden Ehegatten ein Vermächtnis, dessen Höhe mindestens den Wert
des Pflichtteils erreichen muss. Ferner wird Testamentsvollstreckung angeordnet einschließlich der vorstehenden Verwaltungsanordnung, die andere als von dem Sozialhilfeträger erbrachte Leistungen vorsieht. Die Vermächtnislösung kann bei kleinem Vermögen sinnvoll
sein, das zu Lebzeiten des behinderten Kindes noch verbraucht werden kann. Bei größerem
Vermögen ist sie nicht zu empfehlen, denn nicht verbrauchte Mittel aus dem Vermächtnis
fallen in den Nachlass des behinderten Angehörigen und unterliegen dann dem Zugriff des
Sozialhilfeträgers. Auch durch ein Nachvermächtnis, bei dem nach dem Tode des Vermächtnisnehmers dem Nachvermächtnisnehmer ein Anspruch auf die noch vorhandenen Mittel zusteht, kann der Zugriff des Sozialhilfeträgers nicht verhindert werden.
5. Vorweggenommene Erbfolge
Als weitere Gestaltungsmöglichkeit kommt die vorweggenommene Erbfolge in Betracht.
Darunter ist eine noch zu Lebzeiten des Erblassers im Wege einer Schenkung unter Lebenden
vorgenommene Vermögensübertragung auf einen oder mehrere Familienangehörige, etwa die
Kinder zu verstehen. So erhält etwa ein nicht behindertes Kind schenkweise unter Nießbrauchsvorbehalt von den Eltern das Hausgrundstück. Zweck der Regelung ist es, sich aus
Sicht der Eltern vermögenslos zu machen, um im Erbfall den Nachlass möglichst gering zu
halten, so dass ein behindertes Kind weitgehend „leer ausgeht“. In aller Regel ist die vorweggenommene Erbfolge nicht zu empfehlen. Zwar werden Schenkungen unter Lebenden dem
Grunde nach bei dem Schenker nach 10 Jahren nicht mehr berücksichtigt, bei einem Nießbrauchsvorbehalt zugunsten des Schenkers beginnt diese 10-Jahresfrist nicht zu laufen, so
dass das Hausgrundstück fiktiv dem Nachlass des Schenkers zugerechnet wird mit der Folge,
dass sich der Beschenkte Ausgleichs- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen ausgesetzt sieht.
Solche Konstruktionen können bei großen Vermögen unter Umständen sinnvoll sein, um Erbschaftssteuer zu sparen, denn so können Freibeträge mehrmals ausgeschöpft werden. Bei kleinen und mittleren Vermögen bleiben in der Regel steuerliche Überlegungen außer Betracht.
6. Schlussbemerkung
Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Gestaltungsmöglichkeiten, die hier nicht im Einzelnen
dargestellt werden konnten. Jeder Einzelfall ist gesondert zu betrachten und bedarf einer individuellen Regelung. Eine fachliche Beratung ist daher zwingend notwendig.
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